Beeinflusst die Sprache unsere Wahrnehmung von …¼r... · Empirical data || New perspectives ||...
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Holden Härtl & Svenja Bepperling
Universität Kassel
holden.haertl | [email protected]
Beeinflusst die Sprache unsere Wahrnehmung
von Ereignissen?
Einblicke in das Verhältnis zwischen sprachlicher und
nicht-sprachlicher Kognition
1
Einführung
3
“Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.”
s. Wittgenstein (1921)
Zwei Lesarten:
2. Die Grenzen unserer Einzelsprache, z.B. das Deutsche vs. das Russische, bestimmen die Grenzen unserer Welt.
1. Die Grenzen der allgemeinen Sprachfähigkeit des Menschen bestimmen die Grenzen unserer Welt.
Einführung
4
“Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.”
s. Wittgenstein (1921)
Zwei Lesarten:
2. Die Grenzen unserer Einzelsprache, z.B. das Deutsche vs. das Russische, bestimmen die Grenzen unserer Welt.
1. Die Grenzen der allgemeinen Sprachfähigkeit des Menschen bestimmen die Grenzen unserer Welt.
Einführung
5
Sapir-Whorf-Hypothese:
“We dissect nature anlong lines laid down by our native language […] the world is presented in a kaleidoscopic flux of impressions which has to be organized by our minds – and this means largely by the linguistic system in our minds.”
s. Whorf (1956: 213)
Einführung
6
Sapir-Whorf-Hypothese:
“We dissect nature anlong lines laid down by our native language […] the world is presented in a kaleidoscopic flux of impressions which has to be organized by our minds – and this means largely by the linguistic system in our minds.”
s. Whorf (1956: 213)
Fragestellung und Inhalt
7
Ist Sprache wirklich so mächtig?
Lässt sich denn das Denken von Sprache überhaupt trennen?
1 Empirische Sprache-Denken-Forschung und die Probleme
2 Wahrnehmung von Ereignissen
3 Schlussfolgerung
Wahrnehmung von Farben
Wahrnehmung von Objekten
Und wie können wir diese Dinge überprüfen?
Aspekt und Thinking for Speaking
Experimentelle Studie
Sprache versus Denken?
Farbkognition
8
Bestimmen die Farbbegriffe unsere Farbwahrnehmung?
Einfache Farbbegriffe im Deutschen
vgl. Hjelmslev (1963)
Einfache Farbbegriffe im Walisischen
grün blau grau braun
gwyrdd gras llwyd
Farbkognition: Objektunterscheidung
9
Auch das Himba (Namibia) teilt das Farbspektrum sprachlich anders ein als das Deutsche oder Englische.
s. Roberson et al. (2005)
Studien zeigen, dass Sprecher des Himba Objekte anders unterscheiden als Sprecher des Englischen.
dumbu burou
green blue
Himba: =
English: ≠
Farbwahrnehmung wird im rechten visuellen Feld unterstützt:
Farbkognition und Sprache
s. Regier & Kay (2009)
10
Empirical data || New perspectives || Implications || Conclusion || References
RVF
11
s. Regier & Kay (2009)
Farbkognition und Sprache
Farbwahrnehmung wird im rechten visuellen Feld unterstützt:
LVF
Empirical data || New perspectives || Implications || Conclusion || References
RVF LVF
12
s. Regier & Kay (2009)
Farbkognition und Sprache
Farbwahrnehmung wird im rechten visuellen Feld unterstützt:
Objektwahrnehmung: Genus
13
Konstruieren wir aus grammatischem Genus eventuell bestimmte geschlechtliche Eigenschaften?
Scheinbar ja: Boroditsky et al. (2003) zeigen, dass das grammatische Genus Einfluss auf Wahrnehmung und Memorisierung von Nomen hat.
Demnach erinnern deutsche VPn den männlichen Namen Patrick für APFEL besser als einen weiblichen (Patricia).
Bei spanischen VPn und la manzana zeigt sich ein umgekehrtes Bild.
→ Patricia
→ Patrick
der Apfel – die Birne
Objektwahrnehmung: Genus
14
Bildähnlichkeitstest: Spanische VPn > Deutsche VPn
s. Phillipps & Boroditsky (2003)
→ la tostadora
→ der Toaster =
Objektwahrnehmung: Genus
15
Bildähnlichkeitstest: Deutsche VPn > Spanische VPn
→ la cuchara
→ der Löffel =
s. Phillipps & Boroditsky (2003)
Zirkularitätsproblem
16
Einwand: “Benennen VPn die Bilder eventuell still? Die ermittelte Ähnlichkeit von der Löffel und der Prinz ergäbe sich dann einfach aus der internen Verbalisierung!”
Abhilfeversuch: Blockieren des internen Sprachsystems
s. Phillipps & Boroditsky (2003)
Zirkularitätsproblem
17
In anderen Studien zeigt sich, dass Gender-Effekte nur bei Wortstimuli auftreten:
Erklärung: Genus-Information beeinflusst nicht unsere außersprachliche Weltsicht, sondern das sprachbezogene / -nahe Thinking for Speaking.
s. Vigliocco et al. (2005); Slobin (1996)
Bei entsprechend dargebotenen Bildern zeigen sich keine Gender-Effekte:
asino (‘Esel’) = cammello (‘Kamel’)
≠
Thinking for Speaking
18
s. Levelt (1989); Slobin (1996)
Abbildung: Modell der Sprachproduktion (vereinfacht)
Konzeptualisierung Außersprachliches Wissen
(Episodisches und Weltwissen)
Formulierung Mentales Lexikon
Artikulierung
Präverbale Botschaft
Grammatische Repräsentation
Phonetische Repräsentation
Thinking for Speaking
19
Abbildung: Modell der Sprachproduktion (vereinfacht)
Konzeptualisierung Außersprachliches Wissen
(Episodisches und Weltwissen)
Formulierung Mentales Lexikon
Artikulierung
Thinking for Speaking
Grammatische Repräsentation
Phonetische Repräsentation
s. Levelt (1989); Slobin (1996)
Unsere Sprache und deren Grammatik bestimmen unser Denken.
SPRACHE
NICHT-SPRACHLICHES DENKEN DENKEN
GRAMMATIK
DENKEN = SPRACHE
Sprache versus Denken?
Man beachte, dass die Sapir-Whorf-Hypothese mit (mindestens) zwei unterschiedlichen Modellen der Kognition vereinbar ist:
20
Unsere Sprache und deren Grammatik bestimmen unser Denken.
SPRACHE
NICHT-SPRACHLICHES DENKEN DENKEN
GRAMMATIK
DENKEN = SPRACHE
Sprache versus Denken?
Man beachte, dass die Sapir-Whorf-Hypothese mit (mindestens) zwei unterschiedlichen Modellen der Kognition vereinbar ist:
Ist diese Annahme denn überhaupt plausibel?
21
Das Sprach-Apriori in der Philosophie
22
Sprach-Apriori (à la Wittgenstein, Herder, Davidson, Heidegger, etc.): “Alles Denken basiert auf Sprache.”
Herders Zirkularitätskritik:
C: Sprache ist ein Produkt des Denkens, welches unabhängig von Sprache ist.
Herder: Aber man kann nur denken, wenn man Sprache hat!
DENKEN
SPRACHE
Kognitiv-psychologische Evidenz (cf. de Villiers & de Villiers 2000):
Das Meistern von (falschen) Glaubenseinstellungen (z.B. Peter glaubt, dass Maria den roten Ball hat) hängt offensichtlich tatsächlich von sprachlichen Fähigkeiten ab und u.a. dem Erwerb von Satzeinbettung (… dass …), Testgruppe: gehörlose Kinder mit verzögerter Sprachentwicklung
Sprachunabhängiges Denken?
23
Bierwischs Beispiele für Denken “jenseits” von Sprache, i.e. nicht-sprachliches Denken:
Bierwisch (2008):
“Propositionales Wissen basiert auf Sprache.”
“Sprache trennt propositionales Denken von allem ‘dahinter liegenden’ Denken.
“Alles Ausdrückbare ist denkbar.” (à la Searle 1969)
Gesichtererkennung Verarbeitung von Musik
Wahrnehmung von Ereignissen: Fragestellung
24
Beeinflussen einzelne grammatische Eigenheiten unserer Sprache unsere Wahrnehmung von Ereignissen?
Aspekt und Thinking for Speaking
25
Thinking for Speaking: obligatorische grammatische Kategorien lassen den Sprecher während der Verbalisierung auf bestimmte Aspekte eines Ereignisses achten
s. Slobin (1996)
Aspekt und Thinking for Speaking
26
Nehmen wir die unterschiedlichen temporalen Eigenschaften der Szene auf gleiche Weise wahr?
fallen (punktuell) vs. rennen (durativ):
The boy fell. The dog is running.
s. Slobin (1996)
Englisch markiert progressiven Aspekt am Verb
Aspekt und Thinking for Speaking
27
Nehmen wir die unterschiedlichen temporalen Eigenschaften der Szene auf gleiche Weise wahr?
sehen
El buho vío que el niño se cayó. The owl saw-PFV that the boy fell-PFV El buho veía que el perro corría. The owl saw-IPV that the dog ran-IPFV
The owl saw that the boy fell. The owl saw that the dog was running.
Spanisch unterscheidet zusätzlich zwischen imperfektivem und perfektivem Aspekt am Verb
Aspekt und Thinking for Speaking
28
Thinking for Speaking: obligatorische grammatische Kategorien lassen den Sprecher während der Verbalisierung auf bestimmte Aspekte eines Ereignisses achten
s. Slobin (1996)
Aspekt und Thinking for Speaking
29
a. El buho vío que el niño se cayó. The owl saw-PFV that the boy fell-PFV
b. El buho veía que el perro corría. The owl saw-IPV that the dog ran-IPFV
Start Ende Prozess
Perfektiv Imperfektiv
Start Prozess Ende
„Aspekte sind verschiedene Wege, die innere zeitliche Struktur einer Situation zu betrachten“ (nach Comrie 1976)
s. Herweg (1990); Comrie (1976)
Aspekt und Thinking for Speaking
30
The dog is running.
Im Englischen ist Aspektmarkierung am Verb obligatorisch und grammatikalisiert
Sprachen unterscheiden sich hinsichtlich der Aspektmarkierung
Im Deutschen ist Aspektmarkierung optional und nicht grammatikalisiert
Der Hund rennt weg.
Der Hund ist am Wegrennen.
Thinking for Speaking
31
Abbildung: Modell der Sprachproduktion (vereinfacht)
Konzeptualisierung Außersprachliches Wissen
(Episodisches und Weltwissen)
Formulierung Mentales Lexikon
Artikulierung
Thinking for Speaking
Grammatische Repräsentation
Phonetische Repräsentation
s. Levelt (1989); Slobin (1996)
Thinking for Speaking: Die grammatischen Kategorien unserer Einzelsprache beeinflussen die Konzeptualisierungsprozesse
Aspekt und Thinking for Speaking
32
Ist diese intuitive Annahme plausibel?
Zeigen sich behaviorale Effekte bei einer empirischen Überprüfung, die für unterschiedliche Konzeptualisierungsmuster aus Verarbeitungssicht sprechen?
…und welche Effekte müssten sich denn im Zusammenhang mit der grammatischen Kategorie Aspekt zeigen?
Aspekt und Thinking for Speaking
33
… bedeutet das, dass Englischsprecher eher auf den Verlauf eines Ereignisses konzeptualisieren als Deutschsprecher?
The dog is running.
Englisch und Deutsch unterscheiden sich systematisch hinsichtlich der Aspektmarkierung
Englisch markiert progressiven Aspekt obligatorisch, das Deutsche optional…
Wahrnehmung von Ereignissen
34
Empirische Studien zeigen einen Einfluss des grammatischen Aspekt auf die Ereigniskonzeptualisierung
Englisch Sprecher fokussieren den Verlauf eines Ereignisses und benennen das Ziel (den „Endpunkt“) selten, wenn Ziel im Video nicht erreicht wird
Deutsche Sprecher betrachten die Situation in ihrer Ganzheit und benennen den Endpunkt häufiger, auch wenn er nicht erreicht wird
s. Stutterheim & Nüse (2003); Stutterheim et al. (2012)
Wahrnehmung von Ereignissen
35
Phasale Dekomposition
Holistische Betrachtungsweise
The car is driving along the road.
Das Auto fährt zu einem Dorf.
Empirische Studien zeigen einen Einfluss des grammatischen Aspekt auf die Ereigniskonzeptualisierung:
s. Stutterheim & Nüse (2003); Stutterheim et al. (2012)
Wahrnehmung von Ereignissen
36
s. Slobin (1996)
Beeinflussen die sprachlichen Spezifika auch die nicht-sprachliche Kognition?
SPRACHE
NICHT-SPRACHLICHES DENKEN DENKEN
GRAMMATIK
Unsere Sprache und deren Grammatik bestimmen unser Denken ...
… während wir sprechen (= Thinking for Speaking).
Und auch darüber hinaus?
Wahrnehmung von Ereignissen
37
Evidenz aus Blickbewegungsstudien I:
s. Stutterheim et al. (2012); Papafragou et al. (2008)
Beeinflussen die sprachlichen Spezifika auch die nicht-sprachliche Kognition?
Deutsche Sprecher fokussieren bei Verbalisierungsaufgaben öfter und länger die Zielregion (hier: Haus)
Englische Sprecher fokussieren hingegen öfter und länger das fahrende Auto
Evidenz aus Blickbewegungsstudien II:
Englische und griechische Sprecher fokussieren sprachspezifische Ereigniskomponenten bei der Verbalisierung
Dieser Effekt verschwindet bei nicht-sprachlichen Aufgaben!
Wahrnehmung von Ereignissen
38
Es zeigen sich unterschiedliche Konzeptualiserungs- und Verbalisierungmuster im zwischensprachlichen Vergleich
Zwischenstand: Aspekt und Thinking for Speaking
Diese sprachspezifischen Präferenzen auf der Konzeptualisierungsebene lassen sich auf unterschiedliche Aspektsysteme zurückführen
…wie verändern sich die Konzeptualisierungsmuster unter Zweitspracherwerb?
Wahrnehmung von Ereignissen
39
Empirische Funde zeigen eine Restrukturierung der Konzeptualisierungsmuster nur im begrenzten Maß
Generell deuten die Funde gegen eine zielsprachliche Anpassung selbst bei weit fortgeschrittenen Lernern
s. Stutterheim (2003); Stutterheim & Carroll (2006); Schmiédtova (2011)
Erwerben Zweitsprachenlerner die zielsprachspezifischen Präferenzen in der Konzeptualisierung und Verbalisierung im Lernprozess?
Unter bestimmten Bedingungen scheint eine Restrukturierung jedoch möglich (Bewegungsereignisse mit fokussiertem Ereignisverlauf)
Slobin (1996): “[…] once our minds have been trained in taking particular points of view for the purposes of speaking, it is exceptionally difficult to be retrained.”
Experimentelle Studie
41
Forschungshypothese 1:
Es zeigen sich signifikante Unterschiede im zwischensprachlichen Vergleich in der Ereigniskonzeptualisierung im Sinne eines Thinking for Speaking
Forschungshypothese 3:
Forschungshypothese 2:
Es zeigen sich keine signifikanten Unterschiede im zwischensprachlichen Vergleich hinsichtlich möglicher Effekte in der Memorisierung
Bei Ereignissen mit salientem Verlaufsmerkmal (Bewegungsereignisse mit längerer Bewegungsdauer und inferierbarem Bewegungsziel) kann im Fremdsprachenerwerbsprozess eine Anpassung an die zielsprachlich präferierten Konzeptualisierungsmuster erfolgen
Experimentelle Studie
42
Design
Vier Versuchsgruppen:
Englische Muttersprachler Deutsche Muttersprachler SchülerInnen einer 8. Klasse SchülerInnen einer 12. Klasse
45 Test-Items:
12 kritische Items 33 Distraktoren
Zwei Testbedingungen:
Verbalisierung Memorisierung
Experimentelle Studie
43
Design
Kritische Items Distraktoren
45 Test-Items: standardisierte Animationen
Experimentelle Studie
44
Design
Zwei Testbedingungen in einem Experimentaldesign:
Memorisierung
Was passiert? What is happening?
Verbalisieren während des Clips
Was passiert? What is happening?
Verbalisieren nach dem Clip
= Thinking for Speaking = Memorisierungseffekte
Verbalisierung
Experimentelle Studie
45
Erste Ergebnisse: Zwischensprachlicher Vergleich
65,15 68,57
84,38
56,86
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Verbalisierung Memorisierung
Be
ne
nn
un
g En
dp
un
kte
(in
%)
Englisch
Deutsch
Zusammenfassung
Ein möglicher Einfluss von Sprache auf Denken lässt sich im Bereich eines Thinking for Speaking vermuten.
Empirische Funde deuten auf eine sprachspezifische Konzeptualisierung von Bewegungsereignissen hin.
Die unterschiedlichen Konzeptualisierungsmuster scheinen abhängig vom grammatischen Aspektsystem einer Sprache zu sein.
46
Vielen Dank.
Wir gehen davon aus, dass sich die im Erstspracherwerb gelernten Konzeptualisierungsmuster im Zweitspracherwerb unter bestimmten Bedingungen umstrukturieren lassen.
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48