BEETHOVEN - Die Münchner Philharmoniker...BEETHOVEN 9. Symphonie MANZE, DirigentKARG,...

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BEETHOVEN 9. Symphonie MANZE, Dirigent KARG, Sopran LEHMKUHL, Alt BRUNS, Tenor NAZMI, Bass PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN Mittwoch 30_12_2015 20 Uhr Donnerstag 31_12_2015 17 Uhr Samstag 02_01_2016 19 Uhr

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BEETHOVEN9. Symphonie

MANZE, DirigentKARG, SopranLEHMKUHL, AltBRUNS, TenorNAZMI, BassPHILHARMONISCHERCHOR MÜNCHEN

Mittwoch30_12_2015 20 UhrDonnerstag31_12_2015 17 UhrSamstag02_01_2016 19 Uhr

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Zur Titelgestaltung

Privileg Kunstfreiheit ?

EVA HUTTENLAUCH

Der Freiheit der Kunst gilt Grundgesetz Artikel 5 III: »Kunst und Wissenschaft sind frei.« Damit scheint alles gesagt. Nachge-fragt wird jedoch alles unklar. Welche Frei-heit ist gemeint ? Das politische Ideal der Libertas im antik-römischen Sklavenhal-terstaat ? Die geistliche Freiheit eines Christenmenschen, die vor Christus gilt, aber weltlich unterm Konfessionszwang steht ? Die Freiheit des Künstlers, als Außen seiter der Gesellschaft zu verhun-gern ? Die Freiheit wovon oder die Freiheit wozu ? Physische, gedankliche, handelnde Freiheit ? Da sie erst eingefordert, er-kämpft, behauptet und gegen die Staats-macht zugesichert werden muss, ist Frei-sein offenbar nicht der selbstverständ-liche, sondern der Sonderfall; letztlich eine Utopie, partiell, aber nie total erreichbar. Bereits das erste Verkehrszeichen setzt ihr Grenzen, von Kerker und Handschelle nicht zu reden.

Ahnen wir schon kaum, was Freiheit, was Kunst ist, so wissen wir es noch viel weni-

ger: ein Verabredungsbegriff mit je nach historischer, partikularer, politischer, äs-thetischer, kausaler Bedingung wechseln-der Geltung. Kunst ist eine Hypostase, die abgehoben vom untergeschobenen gegen-ständlichen Werk als dessen mitgeführter Gedanke existiert. Als ob jemand gültig bestimmen könnte, was an Malerei, Musik, Dichtung implizit Kunst sei ? Verdächtig viele überheben sich dagegen, zu wissen, was jedenfalls »Keine Kunst« ist, womit sie ihre ideologischen Urteilsprämissen preis-geben. Kunst jedoch erstellt ihren Begriff zu jeder Zeit, durch jeden Vollzug, mit je-dem Urteil neu. In jedem Neuansatz sind alle vorangegangenen aufgehoben.

Letztlich fallen die Bedeutungen von Kunst und Freiheit in eins zusammen, nämlich in der Autonomie des tätigen Individuums. Aber kaum ausgesprochen, stößt dieser Gedanke schon an seinen eigenen Wider-spruch: Wirkende Kunst verwirklicht sich nur öffentlich, Privatkunst ist eine contra-dictio in adjecto. Mit dem Pleonasmus der

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Zur Titelgestaltung

Freien Kunst versucht sie, sich von Ange-wandter Kunst abzusetzen – aber erfüllt nicht Kunst nur »angewandt« ihren Frei-heitsanspruch: öffentlich gezeigt, aufge-führt, deklamiert ?

Ihr grundsätzlich öffentliches Wesen stützt die These, Kunst sei ein ins Werk gesetzter Prozess mit nachfolgendem Diskurs, ein Frage- und Antwortspiel zwischen Ideen-geber und Gesellschaft. In der Seinsbedin-gung des Öffentlichen kollidiert der Frei-heitsanspruch des Individuums mit dem kunstbindenden Sittlichkeitsgebot der Gesellschaft als Kunstpublikum. Die grund-gesetzliche Freiheitsgarantie spricht also gar nicht der »Kunst« genannten Fiktion die Freiheitslizenz zu, sondern sie verbie-tet dem Staat, über Kunstereignisse zu verfügen und ist mithin eine Selbstfesse-lung des Gesetzgebers.

Diesen kleinen Exkurs löste das Wagnis des Titelbildes zu diesem Programmheft aus: es steht dort als eine freiheitliche Seins-form, deren Vielfalt mögliche Gegenbegrif-fe beweisen: Mauern, Religion, Staat, Lie-be, Mangel, Recht, Gefahr, Vorurteil. Allein Kunst kennt keinen Gegen-, nur einen Wechselbegriff: die Freiheit.

Die Autorin ist Sammlungsleiterin und Kura-torin für Kunst nach 1945 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und im Kunstbau München.

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118. Spielzeit seit der Gründung 1893

VALERY GERGIEV, ChefdirigentPAUL MÜLLER, Intendant

LUDWIG VAN BEETHOVENSymphonie Nr. 9 d-Moll op. 125

mit Schlusschor über Schillers Ode »An die Freude«

1. Allegro ma non troppo, un poco maestoso2. Molto vivace – Presto – Molto vivace

3. Adagio molto e cantabile – Andante moderato4. Finale mit Soli und Chor

ANDREW MANZEDirigent

CHRISTIANE KARGSopran

WIEBKE LEHMKUHLAlt

BENJAMIN BRUNSTenor

TAREQ NAZMIBass

PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN Einstudierung: Andreas Herrmann

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Ludwig van Beethoven: 9. Symphonie

Titelblatt der Erstausgabe mit Widmung an Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1826)

»Beethoven hätte uns seinen Segen

gegeben...«WOLFGANG STÄHR

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Ludwig van Beethoven: 9. Symphonie

»Beethoven hätte uns seinen Segen

gegeben...«WOLFGANG STÄHR

LUDWIG VAN BEETHOVEN(1770–1827)

Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125mit Schlusschor über Schillers Ode »An die Freude«

1. Allegro ma non troppo, un poco maestoso2. Molto vivace – Presto – Molto vivace3. Adagio molto e cantabile – Andante

moderato4. Finale mit Soli und Chor

LEBENSDATEN DES KOMPONISTENGeburtsdatum unbekannt; geboren am 15. oder 16. Dezember 1770 in Bonn; dort Ein-tragung ins Taufregister am 17. Dezember 1770; gestorben am 26. März 1827 in Wien.

TEXTVORLAGE FÜR DAS FINALE

»An die Freude«, Ode von Friedrich Schiller (1759–1805), verfasst im September 1785 in Dresden; für ihre Verwendung im Finale der »Neunten« wählte Beethoven die Stro-phen 1–4 (von insgesamt 9 Strophen) aus, komponierte aber von der 2. Strophe nur den ersten, von der 4. Strophe nur den zweiten Teil.

ENTSTEHUNG

Erste Skizzen zum Scherzo (»Fuge«) ent-standen 1815; doch erst 1817/18 begann sich Beethoven mit konkreten Entwürfen zu einer »Symphonie in D«, einem Vorläufer der »Neunten«, zu befassen; Wiederaufnahme der Arbeit im Sommer 1822; Abschluss der Komposition im Februar 1824 in Wien.

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WIDMUNG

»Seiner Majestät, dem König von Preußen Friedrich Wilhelm III. in tiefster Ehrfurcht zugeeignet«: Hohenzollern-König Fried-rich Wilhelm III. (1770–1840) war in der Reihenfolge der geplanten Widmungsträger Beethovens lediglich dritte Wahl; aus unge-klärten Gründen war die ursprünglich vor-gesehene Widmung an seinen Schüler Fer-dinand Ries unterblieben, auf dessen Initi-ative die Londoner » Philharmonic Society« Beethoven den Kompositionsauftrag zur »Neunten« erteilt hatte, und eine zweite geplante Widmung, die dem russischen Zar Aleksandr I. hätte gelten sollen, wurde ebenfalls wieder annulliert, weil der Zar vor Drucklegung der Partitur verstarb.

URAUFFÜHRUNG

Am 7. Mai 1824 in Wien im Kärntner Tor- Theater (Dirigent: Michael Umlauf; Solis - ten: Henriette Sontag, Sopran; Caroline Unger, Alt; Anton Haitzinger, Tenor; Joseph Seipelt, Bass); Beethoven fungierte wegen seiner vollständigen Taubheit nur als eine Art »Nebendirigent« (Programmzettel: »Herr Ludwig van Beethoven selbst wird an der Leitung des Ganzen Antheil neh-men«).

»Man hat die >Neunte Symphonie< in einen Nebel von hohen Worten und schmücken-den Beiworten gehüllt«, schrieb Claude Debussy 1901 in der »Revue blanche«. »Sie ist – neben dem berühmten >Lächeln der Mona Lisa<, dem mit seltsamer Beharr-lichkeit das Etikett >geheimnisvoll< anhaf-tet – das Meisterwerk, über das am meis-ten Unsinn verbreitet wurde. Man muss sich nur wundern, dass es unter dem Wust von Geschreibe, den es hervorgerufen hat, nicht schon längst begraben liegt.«

MYTHOS »LETZTE SYMPHONIE«

Debussy hat gewiss nicht übertrieben: Es dürfte wohl keine zweite Komposition in der Musikgeschichte geben, die eine solch schillernde und widersprüchliche Langzeit-wirkung entfaltet hat wie Beethovens d-Moll-Symphonie: die »Neunte«. Einer-seits schien sie einen historischen End-punkt zu markieren: »Maß und Ziel« der Instrumentalmusik seien mit der »Neunten« erschöpft, glaubte Robert Schumann 1835 feststellen zu müssen – sechs Jahre, bevor er selbst mit seinen Symphonien B-Dur op. 38 und d-Moll op. 120 das Gegenteil beweisen sollte. Und Richard Wagner be-hauptete 1849 kühn: »Die letzte Sympho-nie Beethovens ist die Erlösung der Musik aus ihrem eigensten Elemente heraus zur allgemeinsamen Kunst [...] Auf sie ist kein Fortschritt möglich, denn auf sie unmittel-bar kann nur das vollendete Kunstwerk der Zukunft, das allgemeinsame Drama fol-gen.« Andererseits diente gerade diese Symphonie – von Berlioz über Liszt bis zu Mahler – als Prototyp einer neuen, die Gattungsgrenzen überschreitenden Sym-phonik. Und eine »Neunte« zu schreiben, war fortan für Komponisten eine riskante Unternehmung: nicht allein, weil sie sich unweigerlich dem Vergleich mit Beethoven

Ludwig van Beethoven: 9. Symphonie

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Ludwig van Beethoven: 9. Symphonie

Joseph Carl Stieler: Ludwig van Beethoven (1820)

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stellen mussten, sondern weil eine irratio-nale Furcht sich breit machte, mit der Kom-position einer »Neunten« an das Ende der eigenen Lebensfrist zu geraten. Anton Bruckner begründete seine tiefsitzende Scheu, sich an eine Symphonie mit der Ord-nungsnummer 9 zu wagen, ausdrücklich mit dem belastenden Gedanken, dass Beet-hoven »mit der >Neunten< den Abschluss seines Lebens« gefunden habe. Und tat-sächlich sollte auch er seine »Neunte« nicht überleben ! Auch Gustav Mahler hat-te, wie wir in den Erinnerungen der Alma Mahler-Werfel lesen, »Angst vor dem Be-griff >Neunte Symphonie<, da weder Beet-hoven noch Bruckner die >Zehnte< erreicht hatten. So schrieb er >Das Lied von der Erde< erst als >Neunte<, strich dann die Zahl durch und sagte mir bei der später folgenden >Neunten Symphonie<: >Eigent-lich ist es ja die >Zehnte<, weil das >Lied von der Erde< ja meine >Neunte< ist.< Als er dann an der >Zehnten< schrieb, meinte er: >Jetzt ist für mich die Gefahr vorbei !< Doch hat er eine Aufführung der >Neunten< nicht erlebt und niemals seine >Zehnte< vollendet. Da Beethoven nach der >Neun-ten< starb und Bruckner seine >Neunte< gar nicht mehr vollenden konnte, so war es eine Art Aberglauben geworden, dass kein großer Symphoniker über die >Neunte< hinauskomme.« Arnold Schönberg sprach schließlich 1912 die Überzeugung aus: »Die >Neunte< ist eine Grenze. Wer darüber hi - naus will, muss fort. Es sieht aus, als ob uns in der >Zehnten< etwas gesagt werden könnte, was wir noch nicht wissen sollen, wofür wir noch nicht reif sind. Die eine >Neunte< geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe. Vielleicht wären die Rätsel dieser Welt gelöst, wenn einer von denen, die sie wissen, die >Zehnte< schriebe.«

Beethovens d-Moll-Symphonie ist jedoch, bei allen musikhistorischen Folgen, vor allem Gegenstand und Projektionsfläche politischer Ideale und Weltanschauungen geworden. Repräsentiert sie das sieges-bewusste Deutschtum oder das einige Euro-pa ? Spornt sie zum Krieg an, oder ermahnt sie zum Frieden ? Manifestiert sich in ihr eine republikanische Gesinnung ? Ertönt sie gar als Triumphgesang der kämpfenden Arbeiterklasse ? Es lohnt sich, angesichts dieser verwirrenden Vielzahl einander wi-dersprechender Deutungsversuche einen – vielleicht klärenden – Blick zurück in die Geschichte zu werfen und den ideologi-schen Wechselfällen nachzuspüren, denen Beethovens »Neunte« ausgesetzt war.

DIE »NEUNTE« ZUM JAHRESWECHSEL

Die Aufführung von Beethovens d-Moll- Symphonie zum Jahreswechsel folgt einer Tradition, über deren Ursprung in der Ar-beitermusik-Bewegung sich nur die wenigs-ten Konzertbesucher (und -veranstalter) im Klaren sein dürften. Das Leipziger Arbeiterbildungs-Institut ließ für eine »Friedens- und Freiheitsfeier« in der Sil-vesternacht des Jahres 1918 Beethovens »Neunte« einstudieren und aufführen. Kein Geringerer als Arthur Nikisch dirigier-te das Städtische Theater- und Gewand-hausorchester und Mitglieder des Bach- und des Riedel-Vereins sowie des Gewand-hauschores. Der Konzertbeginn in der Al-bert halle des Kristallpalastes war auf 23 Uhr festgelegt, um den Anbruch des neuen, nach dem Ende des Krieges und der Mon-archie mit größten Hoffnungen begrüßten Jahres mit Schillers Worten und Beetho-vens »Freuden«-Melodie gebührend feiern

Ludwig van Beethoven: 9. Symphonie

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Ludwig van Beethoven: 9. Symphonie

Joseph Carl Stieler: Skizze zum Portrait Ludwig van Beethovens (1819)

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zu können. Der historisch-symbolische Rang jener musikalischen Kundgebung spiegelt sich in den Kritiken wider. Nie sei die 9. Symphonie »so zeitgemäß gewesen wie heu-te«, hieß es etwa im »Leipziger Tage blatt«, »wenn wir auch noch inmitten der Not, im wirren Chaos sind. Diejenigen, die in der Novemberrevolution die Erlösung erbli-cken, werden in ihrer Seele beim Lied an die Freude die Resonanz empfinden, die ande-ren werden ihre Sehnsucht nach der Lö-sung aller Wirrnisse, nach dem Frieden im Land in das Werk strömen lassen – ergrei-fen aber muss es heute alle, da wir zu keiner Zeit leidenschaftlicher um unser Schicksal rangen als jetzt.« Die Idee, den Jahres-wechsel mit einer Aufführung der »Neun-ten« zu begehen, machte sich in der Zeit von 1927 bis 1932 auch die Berliner Volks-bühne zu eigen. Mittlerweile sind Silvester-konzerte mit Beethovens »Neunter« land-auf, landab zu einem alljährlichen Brauch geworden: vertraut, beliebt, aber kaum noch erhellt von dem programma tischen An-spruch, wie er die Menschen im Jahr 1918 bewegt hatte.

Beethovens »Neunte« stand auch nach je-nem denkwürdigen 31. Dezember 1918 im Zentrum der Arbeitermusik-Bewegung und ihrer ehrgeizigen Konzertaktivitäten. 1927 nahm der Komponist Hanns Eisler den 100. Todestag Beethovens zum Anlass, dessen Musik zum geistigen Besitz »der aufstei-genden Arbeiterklasse, nicht aber der Bour-geoisie« zu erklären. In der »Roten Fahne«, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei Deutschlands, schrieb Eisler: »Und wenn dieser gewaltige Hymnus an die Freu-de aufbraust, sich steigert und jubelnd ausklingt, dann kann und muss jeder klas-senbewusste Arbeiter, mit Kraft und Zu-versicht erfüllt, sich sagen können: Diese Töne, die schon jetzt uns, den noch kämp-

fenden Arbeitern, Energien zuführen, wer-den erst recht uns gehören, wenn wir über die jetzt herrschende Klasse gesiegt ha-ben werden und den Millionenmassen der bis dahin Unterdrückten mit dem Triumph-gesang Beethovens zujauchzen werden: >Seid umschlungen, Millionen !<«

FREIHEIT, GLEICHHEIT, BRUDERLIEBE

Die ideologische Inanspruchnahme der »Neunten« durch die politische und musi-kalische Linke reicht zurück bis in die Epo-che des Vormärz. Franz Brendel, Heraus-geber der »Neuen Zeitschrift für Musik« (ab 1844) und Wortführer der musika-lischen Fortschrittspartei, feierte Beetho-ven als Inbegriff »des neuen, durch die Revolution hervorgerufenen Geistes, er ist der Komponist der neuen Ideen von Frei-heit und Gleichheit, Emancipation der Völ-ker, Stände und Individuen«. Namentlich Beethovens »Neunte« glaubte er »mit al-len Fragen der Zeit« assoziieren zu kön-nen. »Das Ideal der Zukunft ist diese rück-haltlose, unbedingte Hingebung an die Menschheit, dieser ächte Socialismus, wie ihn Beethoven zuerst ausgesprochen hat.« Als Brendel von konservativer Seite ange-griffen und aufgefordert wurde, seine Theorie von der Musik als Ausdruck revo-lutionären Zeitgeists zu belegen und zum Beweis einige Takte zu nennen, in denen demokratische Denkungsart nachprüfbar festzustellen sei, ließ er seinen Mitarbei-ter Ernst Gottschald mit stilisierter Empö-rung antworten: »Sie begreifen nicht, wie musikalische Kunstwerke aristokratische oder demokratische Gesinnungen aus-drücken können ? Glauben Sie, dass Beet-hoven zu Schiller’s Gedicht gegriffen, um blos einmal Gesang mit einer Symphonie zu verbinden ? Finden Sie in diesen Tönen kei-

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Neujahrsglückwunsch Beethovens für Dorothea Ertmann: »An die Baronin Ertman zum neuen Jahre 1804 von ihrem Freunde und Verehrer Beethoven«

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ne tiefere Bedeutung als in irgend einem Hymnus ? Wenn er in gewichtigen Accorden singt: >Seid umschlungen, Millionen, die-sen Kuss der ganzen Welt !< – erkennen Sie in solchen Stimmungen gar keinen geisti-gen Zusammenhang mit den Ideen der mo-dernen Demokratie, mit den Ideen der Frei-heit, Gleichheit, Bruderliebe ?«

Wenige Wochen nach dem Ausbruch der Barrikadenkämpfe des Mai 1849 studierte Richard Wagner die »Neunte« in Dresden ein. Unter den Zuhörern der Generalprobe am 31. März befand sich auch der russi-sche Anarchist Michail Bakunin, der am Schluss zum Podium trat und Orchester und Dirigent ermutigte, sie sollten, wenn beim nahen Weltenbrand auch alle Musik verloren ginge, für den Erhalt dieser Sym-phonie ihr Leben wagen. Als dann während der Kampfhandlungen am 6. Mai das Alte Dresdner Opernhaus ein Raub der Flammen wurde, traf Wagner mit einem der Aufstän-dischen zusammen, der ihm zurief: »Herr Kapellmeister, >der Freude schöner Götter-funken< hat gezündet, das morsche Ge-bäude ist in Grund und Boden verbrannt.« Dieses unerwartete Pathos habe, so Wagner in seiner Autobiographie, »seltsam kräfti-gend und befreiend« gewirkt.

URGERMANE ODER ANTIFASCHIST ?

Aber die Rezeptionsgeschichte der »Neun-ten« kennt durchaus nicht nur repub-likanische, linksdemokratische oder sozia-listische Kapitel. Eine ganz andere Welt- und Werksicht offenbart sich schlagartig in jenem Feldpostbrief, den die Zeitschrift »Die Musik« zu Beginn des Ersten Welt-kriegs dokumentierte und dessen Verfas-ser seinen »tatkräftigen Willen« bekunde-te, »einst siegreich und ohne Schatten des

Hohnes der Welt den großen deutschen Freudenhymnus anzustimmen: >Seid um-schlungen, Millionen !<« Auch der Musik-historiker Hermann Abert wusste zu be-richten, dass Beethovens »Kampf- und Helden-Symphonien« – zu denen er die »Neunte« zählte – »in den Tornistern un-serer Feldgrauen zu finden waren. Der Erz-klang in Beethovens Kunst übertönte alle anderen.« Im Dritten Reich wurde Beetho-ven dann apodiktisch zum »Symbol deut-scher Selbstbehauptung« und zum »ger-manischen Meilensteinmenschen« erklärt, »geboren aus der Urkraft deutschen Men-schentums«. »Wer begriffen hat, welches Wesen in unserer Bewegung wirkt«, ver-kündete der nationalsozialis tische Chef-ideologe Alfred Rosenberg, »der weiß, dass ein ähnlicher Drang in uns allen lebt, wie der, den Beethoven in höchster Steigerung verkörperte. Das Stürmende über den Trümmern einer zusammenbrechenden Welt, die Hoffnung auf einen neue Welten gestaltenden Willen, die starke Freude durch leidenschaftliche Trauer hindurch.« Selbstverständlich gelangte die »Neunte« auch bei den Düsseldorfer Reichsmusik-tagen von 1938 zur Aufführung: »Es be-darf wohl keiner Beweisführung, warum der Gedanke, die große deutsche Musik der Vergangenheit auf den Reichsmusiktagen in erster Linie durch Beethovens 9. Sym-phonie repräsentieren zu lassen, ein be-sonders glücklicher ist«, kommentierte die »Zeitschrift für Musik«. Gleichwohl blieb Beethovens Opus 125 mit seiner so gar nicht zeitgemäßen Botschaft »Alle Men-schen werden Brüder« für das national-sozialistische Deutschland ein heikler Fall. Wie in einem Brennglas bündelt sich der ideologische Streit um den »Besitz« der »Neunten« in jenen Zeilen, mit denen Hanns Eisler 1938 die Unvereinbarkeit von Beethovens Symphonie mit Propaganda

Ludwig van Beethoven: 9. Symphonie

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und Realität des Nationalsozialismus unter-strich, um das Werk im selben Atemzug auf die moralisch richtige, d. h. auf seine Seite zu ziehen: »Können wirklich die Faschisten dieses Werk übernehmen ? Bei ihnen müss-ten doch die Worte ganz anders lauten, nämlich so: >Alle Menschen werden Brüder, mit Ausnahme sämtlicher Völker, deren Länder wir annektieren wollen, mit Ausnah-me der Juden, der Neger und vieler ande-rer.< Dieser Beethoven ist kein Zeuge für die faschistische Diktatur, aber er ist das Vorbild für den Antifaschisten, und der große Zeuge für die Wahrheit und die Ge-rechtigkeit unseres Kampfes.«

Und heute ? Ist der Streit um Beethovens »Neunte« entschieden ? In unseren ideo-logisch windstillen Tagen ist er zumindest abgeflaut. Und seit die »Freuden«-Melodie 1972 zur »Europahymne« bestimmt worden ist, tritt auch ihre ursprüngliche friedens-stiftende Idee wieder stärker ins Bewusst-sein: »Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt.« In Augenblicken von historischer Dimension allerdings scheint sich nach wie vor kein anderes Werk zwin-gender zur Aufführung anzubieten als eben diese Symphonie. 1989, nach dem Fall der Mauer, dirigierte Leonard Bernstein am Ort des Geschehens, in Berlin, Beethovens »Neunte«. »Zu umjubelten musikalischen Freiheitsfeiern gerieten über Weihnachten die beiden Berlin-Konzerte unter Leonard Bernstein im Ost- und Westteil der Stadt«, meldete damals die Deutsche Presse- Agentur: »Bei beiden Konzerten ließ der amerikanische Dirigent den Schlusschor von Beethovens 9. Symphonie >Alle Menschen werden Brüder< in leicht geänderter Fas-sung singen: >Freiheit, schöner Götterfun-ken< (im Original: >Freude, schöner Götter-funken<). Sowohl in der West-Berliner Phil-harmonie an Heiligabend als auch im Ost -

Berliner Schauspielhaus am ersten Weih - nachtstag wurden Bernstein und das von ihm geleitete, aus Ost- und Westmusikern international zusammengesetzte Orches-ter enthusiastisch gefeiert. Auf Monitoren neben der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-kirche und auf dem Platz der Akademie verfolgten im Freien Tausende die Konzer-te. Fernseh- und Hörfunkstationen aus mehr als 20 Ländern übertrugen das Ost-Berliner Gastspiel live. Im Programm-heft hatte Bernstein vermerkt: >Ob wahr oder nicht – ich glaube, dies ist ein Augen-blick, den der Himmel gesandt hat, um das Wort >Freiheit< immer dort zu singen, wo in der Partitur von >Freude< die Rede ist. Ich bin sicher, dass Beethoven uns seinen Segen gegeben hätte...<«

Ludwig van Beethoven: 9. Symphonie

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»An die Freude«TEXTVORLAGE FÜR DAS FINALE DER 9. SYMPHONIE

IN DER BEARBEITUNG DURCH LUDWIG VAN BEETHOVEN

FRIEDRICH SCHILLER

Der Gesangstext

REZITATIV (Basssolo)

O Freunde, nicht diese Töne !Sondern lasst uns angenehmereanstimmen,Und freudenvollere.

ALLEGRO ASSAI (Soli und Chor)

Freude, schöner Götterfunken,Tochter aus Elysium,Wir betreten feuertrunken,Himmlische, dein Heiligtum !

Deine Zauber binden wieder,Was die Mode streng geteilt;Alle Menschen werden Brüder,Wo dein sanfter Flügel weilt.

Wem der große Wurf gelungen,Eines Freundes Freund zu sein;Wer ein holdes Weib errungen,Mische seinen Jubel ein !

Ja – wer auch nur eine SeeleSein nennt auf dem Erdenrund !Und wer’s nie gekonnt, der stehleWeinend sich aus diesem Bund !

Freude trinken alle WesenAn den Brüsten der Natur,Alle Guten, alle BösenFolgen ihrer Rosenspur.

Küsse gab sie uns und Reben,Einen Freund, geprüft im Tod,Wollust ward dem Wurm gegeben,Und der Cherub steht vor Gott.

ALLEGRO ASSAI VIVACE. ALLA MARCIA (Tenorsolo und Männerchor)

Froh, wie seine Sonnen fliegenDurch des Himmels prächt’gen Plan,Laufet, Brüder, eure Bahn,Freudig wie ein Held zum Siegen.

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Der Gesangstext

Anton Graff: Friedrich Schiller, gemalt 1785 in Dresden zur Entstehungszeit der Ode »An die Freude«

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(Chor)

Freude, schöner Götterfunken,Tochter aus Elysium,Wir betreten feuertrunken,Himmlische, dein Heiligtum !

Deine Zauber binden wieder,Was die Mode streng geteilt;Alle Menschen werden Brüder,Wo dein sanfter Flügel weilt.

ANDANTE MAESTOSO

Seid umschlungen, Millionen !Diesen Kuss der ganzen Welt !Brüder – über’m SternenzeltMuss ein lieber Vater wohnen.

ADAGIO MA NON TROPPO, MA DIVOTO

Ihr stürzt nieder, Millionen ?Ahnest du den Schöpfer, Welt ?Such’ ihn über’m Sternenzelt,Über Sternen muss er wohnen.

ALLEGRO ENERGICO, SEMPRE BEN MARCATO

Freude, schöner Götterfunken,Tochter aus Elysium,Wir betreten feuertrunken,Himmlische, dein Heiligtum !Seid umschlungen, Millionen !Diesen Kuss der ganzen Welt !

Ihr stürzt nieder, Millionen ?Ahnest du den Schöpfer, Welt ?Such’ ihn über’m Sternenzelt !Brüder – über’m SternenzeltMuss ein lieber Vater wohnen.

ALLEGRO, MA NON TANTO (Soli und Chor)

Freude, Tochter aus Elysium,Deine Zauber binden wieder,Was die Mode streng geteilt;

POCO ADAGIO

Alle Menschen werden Brüder,Wo dein sanfter Flügel weilt.

POCO ALLEGRO, STRINGENDO IL TEMPO, SEMPRE PIÙ ALLEGRO. PRESTISSIMO

Seid umschlungen, Millionen !Diesen Kuss der ganzen Welt !Brüder – über’m SternenzeltMuss ein lieber Vater wohnen.Freude, schöner Götterfunken !Tochter aus Elysium !Freude, schöner Götterfunken !

Der Gesangstext

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Richard Wagner über die »Neunte«

Allen Verehrern des wundervollen Meisters Beethoven steht in Kürze ein seltener Ge-nuss bevor, wenn mit diesem fast zu sinn-lichen Worte die erhabene Wirkung bezeich-net werden kann, von welcher bei würdigs -ter Ausführung und erlangtem edelsten Ver-ständnisse sein letztes derartiges Werk, die Neunte Symphonie mit Schlusschor über Schillers Ode »An die Freude«, sein muss. Dadurch dass die Kapelle gerade dieses Werk zur Aufführung in ihrem diesjährigen sog. Palmsonntags-Konzert gewählt hat, scheint dieser vortreffliche und reiche Verein von Künstlern beurkunden zu wollen, bis zu wel-cher Höhe seine Leistungen sich zu erheben vermögen; denn wie diese Symphonie un-bestreitbar die Krone des Beethoven’schen Geistes ist, enthält sie ebenso unleugbar auch die schwierigste Aufgabe für die Aus-führung; bei dem würdigen Geiste aber, der diesen großen Palmsonntags-Konzertauf-führungen bisher stets innegewohnt hat, dürfen wir mit Sicherheit annehmen, dass diese Aufgabe gewiss eine vollkommene Lösung erhalten werde. – Endlich darf also auch das größere Publikum Dresdens hof -fen, dieses tiefsinnigste und riesenhafteste Werk des Meisters sich erschlossen zu se-hen, dessen übrige Symphonien bereits zu

einer edlen Popularität gelangt sind, wäh-rend dieses Werk bisher noch in die Ferne eines geheimnisvollen, wunderbaren Rätsels entrückt blieb, zu dessen erhebender Lö-sung es aber gewiss nur einer vollkommen geeigneten Gelegenheit und eines kräftigen, mutigen Sinnes für die erhabenste und edelste Richtung der Kunst bedarf, die sich nirgends mit sprechenderer Überzeugung offenbart hat, als in dieser letzten Sympho-nie Beethovens, zu welcher alle seine frühe-ren Schöpfungen der Art uns wie die Skizzen und Vorarbeiten erscheinen, durch welche es dem Meister eben nur möglich werden konnte, sich zur Konzeption dieses Werkes emporzuarbeiten. O höret und staunet !

Würde es nicht gut sein, wenn – wenigstens versuchsweise – irgend etwas geschähe, um auch dem größeren Publikum das Verständ-nis der letzten Symphonie Beethovens, deren Aufführung wir in diesen Tagen ent-gegensehen, näher zu rücken ?! Wir erin-nern hierbei an die wunderlichsten Missver-ständnisse und sonderbarsten Deutungen, denen dieses Werk so verschiedentlich aus-gesetzt war, so dass schon vom Umherlau-fen der darauf beruhenden Gerüchte zu fürchten stünde, nicht dass sich das Publi-

»Haben Schiller und Beethoven umsonst

gelebt ?«RICHARD WAGNER

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kum zu jener bevorstehenden Aufführung etwa nicht zahlreich genug einfinden möch-te (dagegen bürgt der Ruf der Wunderbar-keit und Seltsamkeit dieser letzten großen Schöpfung des Meisters, von dem ja man-che behaupten, er habe diese Symphonie im halben Wahnsinn geschrieben !!) – sondern dass ein wahrscheinlich nicht geringer Teil desselben bei einer ersten und nur einma-ligen Anhörung dieser Tondichtung dadurch in Befangenheit und Verwirrung versetzt werde, und ihm somit ein wahrhafter Ge-nuss entgehe. Öfter gebotene Gelegenheit zur Anhörung solcher Werke würde aller-dings das geeignete Mittel zur Verbreitung ihres Verständnisses sein; leider aber kommt diese Vergünstigung meist nur Musikstücken zu gut, die bei ihrer fast übertriebenen Be-greiflichkeit und Leichtverständlichkeit ihrer gar nicht bedürfen !

Es war einmal ein Mann, der fühlte sich ge-drängt, alles was er dachte und empfand, in der Sprache der Töne, wie sie ihm durch große Meister überliefert war, auszudrü-cken: in dieser Sprache zu reden, war sein innigstes Bedürfnis, sie zu vernehmen, sein einzigstes Glück auf Erden, denn sonst war er arm an Gut und Freude, und die Leute ärgerten ihn sehr, wie gut und liebend er auch gegen alle Welt gesinnt war. Nun sollte ihm aber sein einzigstes Glück geraubt werden, – er wurde taub und durfte seine eigene herrliche Sprache nicht mehr verneh-men ! Ach, da kam er nahe daran, sich der Sprache selbst auch berauben zu wollen: sein guter Geist hielt ihn zurück; – er fuhr fort, auch was er nun empfinden musste, in Tönen auszusprechen; – aber ungewöhnlich und wunderbar sollten nun seine Empfin-dungen werden; – wie die Leute von ihm dachten und fühlten, musste ihm fremd und gleichgültig sein; er hatte sich nur noch mit seinem Innern zu beraten und in die tiefsten

Tiefen des Grundes aller Leiden schaft und Sehnsucht sich zu versenken ! In welch wun-derbarer Welt ward er nun heimisch ! Da durfte er sehen – und hören, denn hier be-darf es keines sinnlichen Gehöres, um zu vernehmen: Schaffen und Genießen ist da eines. – Diese Welt aber war, ach ! die Welt der Einsamkeit: wie kann ein kindlich liebe-volles Herz für immer ihr angehören wollen ?! Der arme Mann richtet sein Auge auf die Welt, die ihn umgibt, – auf die Natur, in der er einst voll süßen Ent zückens schwelgte, auf die Menschen, denen er sich doch noch so verwandt fühlt ! Eine ungeheure Sehn-sucht erfasst, drängt und treibt ihn, der Welt wieder anzugehören und ihre Wonnen, ihre Freuden wieder genießen zu dürfen. – Wenn ihr ihm nun begegnet, dem armen Mann, der euch so verlangend anruft, wollt ihr ihm fremd ausweichen, wenn ihr zu eurer Verwunderung seine Sprache nicht sogleich zu verstehen glauben solltet, wenn sie euch so seltsam, ungewohnt klingt, dass ihr euch fragt: Was will der Mann ?! O, nehmt ihn auf, schließt ihn an euer Herz, höret staunend die Wunder seiner Sprache, in deren neuge-wonnenem Reichtume ihr bald nie gehörtes Herrliches und Erhabenes erfahren werdet, – denn dieser Mann ist Beethoven, und die Sprache, in der er euch anredet, sind die Töne seiner letzten Symphonie, in der der Wunderbare all seine Leiden, Sehnsucht und Freuden zu einem Kunstwerke gestaltete, wie es noch nie da war !

»Zu Beethovens Neunter Symphonie«, 1846

Wenn wir aber dem Werte dieser Tapferkeit die Bedeutung der deutschen Musik, wie dies soeben geschah, zur Seite stellen, so meinen wir darunter gewiss eben nur die Musik Beethovens, nicht jedoch die Musik, wie sie heute gerade in Deutschland getrieben wird.

Richard Wagner über die »Neunte«

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Richard Wagner über die »Neunte«

Anton Dietrich: Büste Ludwig van Beethovens (»nach dem Leben modellirt«, 1821)

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Seine Tapferkeit würde man ihm allerdings nicht wohl zutrauen, wenn man die Musik sich anhört, zu welcher der Deutsche unse-rer Tage tapfer ist, und durch nichts kann eben dem Deutschen schlagender nachge-wiesen werden, dass er das große Vermächt-nis seines Beethoven sich noch gar nicht anzueignen gewusst hat, als durch den Hin-weis auf den Geist seiner öffentlichen und eigentlichen Volksmusik. Wie muss es den Schüler Beethovens gemuten, wenn er unse-re so ernst gestimmten Heere nach den läp-pischen Polka- und italienischen Opernmelo-dien dahinmarschieren sieht ?! Und wenn nun gar das Philister-Liederkränzchen sich vor der Schlacht in seiner albernen Weichlichkeit breit macht, da fragt man sich denn wohl, zu was ein Luther seine »feste Burg« einem solchen Volke geschenkt hat, wenn es ohne alle Skrupel sein »Rheinwachthäuschen« ihm zur Seite setzt. Wie der öffentliche Ge-schmack der Deutschen in Kunstdingen sich gewöhnt hat, das Schlechteste mit dem Besten gleich behaglich zu verschlingen, müssen wir uns denn wohl auch es gefallen lassen, die großartigste Erhebung und die gewichtigsten Taten unseres Volkes von un-seren Dichtern und Musikern so gefeiert zu sehen, als würden sie beim Stiftungsfest eines Turnervereins im Biergarten vor uns ausgeführt. Wenn je, so musste jetzt es sich zeigen, dass es einen Sinn hatte, einen Schil-ler, einen Beethoven von einer deutschen Mutter geboren zu wissen ! Wie wollen wir nun unseren Beethoven feiern ?!

Mit Aufführungen seiner Werke ?! Aber diese werden ja, jahraus jahrein, in unseren Kon-zertsälen gespielt; die Söhne und Töchter unseres vermögenden Bürgerstandes hören sie mit vielem Vergnügen an, und in allen Musikzeitungen wird darüber berichtet, wie ausgezeichnet dies alles sei. Und nun das deutsche Volk ?! Sobald es in die Schlacht

zieht, um unerhörte Taten zu verrichten, spielt man ihm aus dem »Trovatore« dazu auf, oder – noch schlimmer ! – der deutsche Musiker komponiert ihm Schlachthymnen und Germanialieder ! –

Uns dünkt nun, dass gerade diese Erschei-nung, die unwiderleglich sich uns aufdrän-gende Einsicht in den geradezu schmach-vollen Abstand dieser äußeren Erscheinung des deutschen Wesens von seinem inneren An-sich, eben jetzt, und in diesem großen Jahre uns Stoff zu männlich ernsten Erwä-gungen des Grundes jener ungeheuren Er-schlaffung, in welche der öffentliche deut-sche Kunstgeist verfallen ist, zuführe. Diese Erwägungen würden nicht in beiläufiger Kürze zu klaren Erkenntnissen führen kön-nen; dennoch dürften wir sie am richtigsten leiten, wenn wir sie an die Frage knüpften, wie das Andenken Beethovens am würdigs-ten zu feiern sei. Die Geschichte kommt uns zur Hilfe und setzt in das Jahr des hunderts-ten Geburtstages seines großen Musikers die siegreiche Erhebung des deutschen Volkes aus viel hundertjährigem Verfall. Feiert jedes von diesen beiden so, dass die eine Feier der anderen würdig sei, so feiert ihr einzig sowohl jene Geburt wie diese Wiedergeburt würdig. Ergänzt das, was euch Beethoven ist, durch das, was euch die Siege der deutschen Heere sind; empfindet die Kraft der deutschen Tat mit der Energie eines von Beethoven’scher Musik erfüllten Herzens, so begreift ihr die Bedeutung des einen wie des anderen. Dort Taten, hier Werke. Lasset die Taten unserer Siege das Werk eines wahren und ächten deutschen Reiches errichten, so sollen euch jene Werke des großen Beethoven auch zu den edelsten Taten des deutschen Geistes führen. Wie also wollen wir Beethoven feiern ?!

»Beethoven«, 1871 (Schlussabschnitt)

Richard Wagner über die »Neunte«

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Richard Wagner über die »Neunte«

Ferdinand Waldmüller: Ludwig van Beethoven (1823)

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»Erleuchtungen aus dem Munde des größten

Beethoven-Kenners«STEPHAN KOHLER

Richard Strauss über die »Neunte«

Anlässlich des 125-jährigen Bestehens der »Musikalischen Akademie des Bayeri-schen Staatsorchesters« dirigierte der 73 Jahre alte Richard Strauss 1936/37 eine Serie von 10 Festkonzerten, in denen ne-ben Tondichtungen Franz Liszts und eige-nen Werken sämtliche Symphonien Ludwig van Beethovens erklangen. Die Programm-gestaltung war als musikhistorisches Kol-leg gedacht; weiß man doch, dass Strauss zeitlebens Liszt und Wagner als »Lehr-meister« betrachtet hatte - aber auch die Klassiker, »insbesondere den letzten Beet-hoven«, von dem – wie Strauss bemerkte – »die direkte Linie über den von der Zunft heute noch unerkannten Franz Liszt bis zu meiner Wenigkeit geht«. Die Berufung auf Beethoven als den heimlichen Initiator einer »neudeutschen« Ausdrucksästhetik gehörte schon beim jungen Strauss zum Voka bular künstlerischer Selbstbestäti-gung. So heißt es in einem Brief an Hans von Bü low aus dem Jahre 1888: »Eine An-knüpfung an den letzten Beethoven, des-sen gesamte Schöpfungen nach meiner An-sicht ohne einen poetischen Vorwurf wohl unmöglich entstanden wären, scheint mir das Einzige, worin eine Zeit lang eine selbst-ständige Fortentwicklung unserer Instru-

mentalmusik noch möglich ist. Bei Beet-hoven deckte sich musikalisch-poetischer Inhalt zwar meistens mit der >Sonaten-form<, doch finden sich schon bei ihm Wer-ke, wo er sich für einen neuen Inhalt eine neue Form schaffen musste. Ich halte es für ein rein künstlerisches Verfahren, sich bei jedem neuen Vorwurfe auch eine dem-entsprechende Form zu schaffen.« Zwei Jahre später vergleicht Strauss in einem Brief an Cosima Wagner Beethovens 9. Symphonie mit der »Faust-Symphonie« Franz Liszts, in der die poetische Idee mit einer Genauigkeit zum Ausdruck gelange, »die selbst ein Beethoven nur ahnen konn-te«: »Die drei ersten Sätze der 9. Sym-phonie sind doch das Äußerste, was Beet-hoven leisten konnte, ein darüber hinaus in der Bestimmtheit des Ausdruckes einer poetischen Idee schien ihm nur mit Zuhilfe-nahme des Wortes möglich. Während Beet-hoven die Mehrsätzigkeit unter dem Zwang einer gewissen Konvention der aus dem Tanze entstandenen Sinfonia immer noch beibehielt, wurde Liszt im >Faust< zur mehrsätzigen Form durch die poeti-sche Idee genötigt, die in einem Satze gar nicht darzustellen war.«

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Richard Strauss über die »Neunte«

Martin Tejček: Ludwig van Beethoven beim Spaziergang auf dem Glacis (1823)

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Richard Strauss über die »Neunte«

Als wichtigste Anreger-Gestalt für Strauss’ Beethoven-Auffassung darf Hans von Bü-low gelten: »Die Art, wie er den poetischen Gehalt der Werke Beethovens ausschöpfte, war absolut überzeugend. Da war nirgends ein Zug von Willkür, alles zwingende Not-wendigkeit, aus Form und Inhalt des Wer-kes selbst heraus, und sein Wahlspruch: >Lernt erst die Partitur einer Beethoven’ schen Symphonie genau lesen, und ihr habt auch schon die Interpretation<, kann heute noch [1909] die Eingangspforte jeder Hochschule zieren.« Im April 1892 war Strauss zu einer Aufführung der 9. Sym-phonie unter Bülow nach Berlin gewallfahr-tet. Dem Vater schrieb er: »Die Auffassung der 9. war wundervoll, wenngleich Bülow jetzt anfängt, Beethoven zu verweichlichen: er hat gegen früher alle Schroffheiten und Härten seiner Wiedergabe etwas gemildert, er treibt so ein molto crescendo und poco subito nicht mehr auf die äußerste Spitze, diminuendo’s machen sich bemerkbar, auch bringt er nicht mehr dieses äußerste ff aus dem Orchester heraus, das früher seine Stärke war; die Scherzo’s sind nicht mehr so straff und energisch im Tempo wie ehe-dem; nichtsdestoweniger blieb so viel des Herrlichen übrig, dass es viel zu genießen und lernen gab. Der letzte Satz der 9. schien mir nie so großartig wie neulich.« Auf die Herkunft seiner Beethoven-Auffassung an - gesprochen, antwortete Strauss 1929 in einem Zeitungsinterview: »Ich halte da nur das musikalische Andenken an meinen ge-nialen Lehrmeister Hans von Bülow in Ehren, dem ich die gute und sichere Interpretation verdanke.«

Man darf es einen Glücksfall der Interpreta-tionsgeschichte nennen, dass Strauss im An-schluss an den erwähnten Aufführungszyk-lus der »Musikalischen Akademie« seine Di-

rigiererfahrungen schriftlich niederlegte. Er trug in eine Reihe kleiner Taschenpartituren ein, was er der Überlieferung für wert be-fand: »Der Mangel an jeglicher wahren Tra-dition, der die Beethoven-Interpretationen der meisten jüngeren Dirigenten (der buch-stabengetreue, aber romantisch starre Tos-canini macht mit seiner fanatisch korrekten Wiedergabe noch eine rühmliche Ausnahme) nicht zu ihrem Vorteil auszeichnet, veran-lasst mich, Erinnerungen an den Vortrag dieses (neben Mozart !) >schwierigsten< aller Komponisten mit meinen persönlichen Erlebnissen an diesen 9 Symphonien hier festzuhalten, da mein eigenes Leben durch meine Bekanntschaft mit Franz Lachner fast bis Beethoven selbst hinaufreicht, Bü-low aber Belehrungen über den Vortrag Beethovens von Richard Wagner empfangen hat, die aus dem Munde des größten Beet-hoven-Kenners authentische Bedeutung beanspruchen müssen.« Zur 9. Symphonie notierte Strauss u. a.: »Alles Wesentliche über diese Symphonie ist von Rich. Wagner. Bezügl. der Wagner’schen Orchesterretou-chen möchte ich persönlich von den Trom-petenveränderungen des Anfangs des letz-ten Satzes abraten. Original ist charakte-ristischer u. klingt weniger >modern< ! Ganz zu verwerfen sind die von Gus tav Mahler (wenn auch in guter Absicht !) vorgenom-menen Vergröberungen !« Die Kommentare allein zur 9. Symphonie belaufen sich auf weit über 100 Eintragungen und zeugen von der Akribie, mit der sich Strauss sei-nem Vorhaben widmete: der Fixierung einer ungebrochenen Beethoven- Tradition nach Bülows Vorbild. Dass er diese Tradition ver-körperte, wusste er als knapp 30-jähriger schon 1893. Da heißt es in einem Brief an seine Eltern: »Wenn der selige Beethoven nie schlechter aufgeführt worden wäre als von mir, könnt’ er zufrieden sein...!«

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Der britische Geiger, Dirigent und Musik-gelehrte hatte zunächst eine klassische Hoch-schulausbildung an der Cambridge University absolviert, bevor er bei Simon Standage und Marie Leonhardt Violine studierte. Von 1996 bis 2003 war Andrew Manze Associate Direc-tor der »Academy of Ancient Music«, von 2003 bis 2007 Nachfolger Trevor Pinnocks als Künstlerischer Leiter des »English Concert«. Seit der Spielzeit 2006/2007 ist er Chef-dirigent des Helsingborg Symphony Orchestra sowie Associate Guest Conductor des BBC Scottish Symphony Orchestra. Weitere Enga-gements führten Andrew Manze an das Pult

DIRIGENT

zahlreicher Orchester in Europa und Übersee, so z. B. zum Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, zum Mahler Chamber Orchestra, zu den Radio-Sinfonieorchestern von Hannover und Frankfurt, zum City of Birmingham Symphony Orchestra, zum Scottish Chamber Orchestra und zum Royal Stockholm Philharmonic Orche-stra. In den USA debütierte er beim Seattle Symphony Orchestra sowie beim Mostly Mozart Festival in New York. Während Andrew Manze als Dirigent ein breites Repertoire von der Barockzeit bis ins 20. Jahrhundert pflegt, setzt er als Geiger einen deutlichen Schwer-punkt bei der Violinliteratur von 1610 bis 1830; mit dem Pianisten Richard Egarr hat er u. a. exemplarisch die Sonaten von Biber, Händel, Bach und Mozart erarbeitet.

Andrew Manze lehrt an der Londoner Royal Academy of Music und ist Gastprofessor an der Oslo Academy. Außerdem ist er Mither-ausgeber von Urtextausgaben von Werken Bachs und Mozarts, betätigt sich als Musik-publizist und arbeitet für Rundfunk und Fernsehen. 2011 wurde Andrew Manze in Stockholm mit dem Rolf Schock Prize geehrt, einer Auszeichnung, die vor ihm u. a. György Ligeti, Mauricio Kagel und Gidon Kremer er-halten hatten.

Andrew Manze

Die Künstler

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Die Künstler

Seit ihrem Debüt 2006 in Salzburg zählt Christiane Karg zu den führenden Sängerinnen ihres Faches: 2009 wurde sie von der Zeitschrift »Opernwelt« zur »Nachwuchskünstlerin des Jahres« gewählt, 2010 erhielt sie bereits einen ECHO-Klassik. Im bayerischen Feuchtwangen geboren, absolvierte Christiane Karg ihr Studium bei Heiner Hopfner und Wolfgang Holzmair am Salzburger »Mozarteum«. Von 2008 bis 2013 sang sie an der Oper Frankfurt Rollen wie Susanna, Pamina, Servilia, Zdenka und Mélisande. Als Ighino in Pfitzners »Palestrina« wurde Christiane Karg an die Bayerische Staatsoper ver-pflich tet, außerdem gastierte sie an der Oper Hamburg, an der Komischen Oper Berlin, am Theater an der Wien und beim Glyndebourne Festival. Bei den Salzburger Festspielen trat Christiane Karg als Amor in Glucks »Orfeo« unter Riccardo Muti auf und als Zerlina im »Don Giovanni« unter Yannick Nézet-Séguin. Neben der Oper widmet sie sich intensiv dem Liedgesang.

Die aus Oldenburg stammende Altistin erhielt ihre Gesangsausbildung bei Ulla Groenewold und Hanna Schwarz an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, wo sie ihr Studium »mit Auszeichnung« abschloss. Wiebke Lehmkuhl ist weltweit als Solistin gefragt und gastiert regelmäßig bei den wichtigsten internationalen Festivals, so z. B. beim Schleswig-Holstein Musik Festival, beim Lucerne Festival, bei den Salzburger Festspielen sowie beim Festival »La Folle Journée« in Nantes / Frankreich. Außerdem trat Wiebke Lehmkuhl u. a. im Wiener Mu-sikverein, im Leipziger Gewandhaus, in der Berliner Philharmonie sowie in den Musikmetropolen Bilbao, Shanghai und Tokio auf, wo sie mit Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt, Thomas Hengelbrock, Daniel Harding, Philippe Jordan und Marc Minkowski zusammenarbeitete. Weitere Engagements führten Wiebke Lehmkuhl an die Opéra Bastille in Paris, an das Opernhaus Zürich, an die Bayerische Staatsoper München und an die Mailänder Scala.

SOPRAN ALT

Christiane Karg

Wiebke Lehmkuhl

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Die Künstler

Der deutsche Tenor begann seine Laufbahn als Alt-Solist im Knabenchor seiner Hei-mat stadt Hannover; eine erste private Gesangsausbildung bei Peter Sefcik setzte er an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bei Renate Behle fort. Noch als Student wurde Benjamin Bruns vom Bremer Theater ein erstes Festengagement angeboten, das ihm früh den Aufbau eines breitgefächerten Repertoires ermöglichte und dem bald ein Ensemblevertrag an der Oper Köln folgte. Über die Dresdner Semperoper ging Bruns’ Weg direkt an die Wiener Staatsoper, der er seit 2010 angehört und wo er die großen lyrischen Partien seines Faches wie Tamino, Don Ottavio und Ferrando singt. Gastspiele führten Benjamin Bruns u. a. an die Berliner Staatsoper, die Deutsche Oper Berlin, die Oper Nürnberg, das Gärtnerplatz-Theater in München sowie an das Teatro Colón in Buenos Aires. Im Sommer 2012 gab Benjamin Bruns sein Bayreuth-Debüt als Steuermann im »Fliegenden Holländer«.

Der aus Kuwait stammende Bassist wuchs in München auf, wo er bei Edith Wiens und Christian Gerhaher an der Hoch schule für Musik und Theater seine Ge sangsausbildung absolvierte. Daneben besuchte Tareq Nazmi zahlreiche Meister kurse und erhielt den 1. Preis der Walter-und-Charlotte-Hamel-Stiftung sowie einen Preis beim Bundes-wettbewerb »Gesang«; außerdem war er Stipendiat der Studienstiftung des Deut-schen Volkes und des Ravinia’s Steans Mu-sic Institute. Nach ersten Bühnen erfah-rungen, die er an der Bayerischen Thea ter - akademie in München sammeln konnte, gastierte Tareq Nazmi am Theater Augsburg u. a. als Sarastro in Mozarts »Zauberflöte«. Seit 2012 ist er festes Ensemblemitglied an der Bayerischen Staatsoper, wo er zuvor als Mitglied des Opern studios u. a. in Beet- hovens »Fidelio« mitwirkte. Zu den jüngsten Konzert auftritten Tareq Nazmis zählen Mo-zarts c-Moll-Messe mit dem WDR-Sinfonie-or chester und Brahms’ »Deutsches Requiem« mit dem Sinfonieorchester St. Gallen.

TENOR BASS

Benjamin Bruns

Tareq Nazmi

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Der Philharmonische Chor München ist einer der führenden Konzertchöre Deutschlands und Partnerchor der Münchner Philharmoni-ker. Er wurde 1895 von Franz Kaim, dem Gründer der Münchner Philharmoniker, ins Leben gerufen und feiert somit in diesem Jahr seinen 120. Geburtstag. Seit 1996 wird er von Chordirektor Andreas Herrmann geleitet.

Das Repertoire erstreckt sich von baro-cken Oratorien über a-cappella- und chor-symphonische Literatur bis zu konzertan-ten Opern und den großen Chorwerken der Gegenwart. Das musikalische Spektrum umfasst zahlreiche bekannte und weniger bekannte Werke von Mozart über Verdi, Puccini, Wagner und Strauss bis hin zu Schönbergs »Moses und Aron« und Henzes »Bassariden«. Der Chor pflegt diese Lite-ratur ebenso wie die Chorwerke der Kom-ponisten Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Bruckner, Reger, Strawinsky, Orff oder Penderecki. Er musizierte u. a. unter der Leitung von Gustav Mahler, Hans Pfitzner, Krzysztof Penderecki, Herbert von Karajan, Rudolf Kempe, Sergiu Celibidache, Zubin Mehta, Mariss Jansons, James Levine, Christian Thielemann und Lorin Maazel.

In den vergangenen Jahren hatten Alte und Neue Musik an Bedeutung gewonnen: Nach umjubelten Aufführungen Bach’scher Pas-sionen unter Frans Brüggen folgte die Ein-

ladung zu den Dresdner Musikfestspielen. Äußerst erfolgreich wurde auch in kleineren Kammerchor-Besetzungen unter Dirigenten wie Christopher Hogwood und Thomas Hen-gelbrock gesungen. Mit Ton Koopman ent-wickelte sich eine enge musikalische Freundschaft, die den Chor auch zu den »Europäischen Wochen« in Passau führte. Im Bereich der Neuen Musik war der Philhar-monische Chor München mit seinen Ensem-bles bei Ur- und Erstaufführungen zu hören. So erklang in der Allerheiligen-Hofkirche die Münchner Erstaufführung der »Sieben Zau-bersprüche« von Wolfram Buchenberg un-ter der Leitung von Andreas Herrmann. Ende 2014 gestaltete der Chor die Urauf-führung von »Egmonts Freiheit – oder Böh-men liegt am Meer« unter der Leitung des Komponisten Jan Müller-Wieland.

Der Philharmonische Chor ist ein gefragter Interpret von Opernchören und setzt nach-drücklich die unter James Levine begonne-ne Tradition konzertanter Opernaufführun-gen fort, die auch unter Christian Thiele-mann mit großem Erfolg gepflegt wurde. Zu den CD-Einspielungen der jüngeren Zeit zählen Karl Goldmarks romantische Oper »Merlin«, die 2010 den ECHO-Klassik in der Kategorie »Operneinspielung des Jahres – 19. Jahrhundert« gewann, und eine Auf-nahme von Franz von Suppés »Requiem«, die für den International Classical Music Award (ICMA) 2014 nominiert wurde.

Philharmonischer Chor München

Die Künstler

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Der 1963 in München geborene Dirigent und Chorleiter schloss sein Studium an der Münchner Musikhochschule mit dem Meis-terklassen-Diplom ab. Seine Ausbildung er - gänzte er durch zahlreiche internationale Chorleitungsseminare und Meisterkurse bei renommierten Chordirigenten wie Eric Ericson und Fritz Schieri.

Als Professor an der Hochschule für Musik und Theater in München unterrichtet An-dreas Herrmann seit 1996 vorwiegend im Hauptfach Chordirigieren. Zehn Jahre, von 1996 bis 2006, leitete er den Hochschul-

CHORDIREKTOR

chor, daneben zeitweise auch den Madrigal-chor der Hochschule, und betreute in die-ser Zeit Oratorienkonzerte, Opernauffüh-rungen und a-cappella-Programme aller musikalischen Stilrichtungen. Pädagogi-sche Erfolge erzielt Herrmann weiterhin mit der Ausbildung professioneller junger Chor-dirigenten aus ganz Europa, wie etwa in einem Spezialworkshop über neue a-cappella- Musik.

1996 übernahm Andreas Herrmann als Chordirektor die künstlerische Leitung des Philharmonischen Chores München. Mit ihm realisierte er zahlreiche Einstudierungen für Dirigenten wie Lorin Maazel, Zubin Mehta, Christian Thielemann, James Levi-ne, Mariss Jansons, Krzysztof Penderecki, Manfred Honeck, Andrew Manze, Ton Koop-man und viele andere. Mit dem Philharmo-nischen Chor und anderen professionellen Chören, Orchestern und Ensembles ent - faltet Herrmann auch über sein Engage-ment bei den Münchner Philharmonikern hinaus eine rege Konzerttätigkeit, die auch CD-Produktionen einschließt. Konzertrei-sen als Chor- und Oratoriendirigent führ-ten ihn durch Europa, nach Ägypten und in die Volksrepublik China.

Andreas Herrmann

Die Künstler

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Russische Musik in München

Die Philharmoniker als frühe Botschafter

russischer MusikGABRIELE E. MEYER

Russische Musik in München ? Ein Streif-zug durch die Programme der Münchner Philharmoniker von 1893 (dem Gründungs-jahr des Orchesters) bis in die frühen 30er Jahre zeigt, dass neben den wiederkehren-den Beethoven-, Brahms- und Bruckner- Zyklen, die zahlreichen Richard Wagner- Abende nicht zu vergessen, auch nicht- deutsche Musik, vor allem aber russische Musik aufgeführt wurde. Mit diesem Bei-trag soll an einen Dirigenten und Kompo-nisten erinnert werden, dem die Münchner Musikfreunde Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einen äußerst spannen-den Einblick in die damalige Musikentwick-lung seines Landes verdankten, kannte man doch außerhalb Russlands bislang kaum mehr als die Musik des eher westeuropä-isch orientierten Pjotr Iljitsch Tschaikow-skij.

Gefördert von Milij Balakirew studierte der am 5. Dezember 1869 in Tiraspol geborene Nikolaj Iwanowitsch von Kasanli (auch: Ka-zanli) neben seiner Offizierslaufbahn u. a. Komposition bei Nikolaj Rimskij-Korsakow,

bevor er ins Ausland ging. Wie schon vor ihm Jurij Nikolajewitsch Gallitzin sah es auch Kasanli als seine vornehmste Aufgabe an, einen Überblick über die verschiedenen musikalischen Stilrichtungen seiner Heimat zu geben. In seinem Münchner Debüt als Dirigent am 17. März 1897 – der ursprüng-lich angesetzte Termin wurde »wegen ein-getretener Hindernisse« um zwei Tage ver-schoben – , stellte sich Kasanli sogleich mit eigenen Kompositionen vor. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« würdigten seine eingangs gespielte Symphonie in f-Moll als durchaus ernstzunehmende Talentprobe. »Sie zeigt nicht nur, daß der junge Mann vortreffliche Studien gemacht hat, son-dern sowohl im Aufbau wie in der Ausge-staltung der fast durchweg edel empfun-denen Themen und Melodien ein Beweis wahrer Begabung ist. […] Der seine Werke selbst dirigierende Komponist wurde nach jedem Satze der vom Kaim-Orchester vor-trefflich gespielten Symphonie durch ver-dienten starken Beifall geehrt.« Die Vokal-beispiele hingegen fanden deutlich weniger Anklang. Daran konnten auch die »Hervor-

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Die Philharmoniker als frühe Botschafter

russischer MusikGABRIELE E. MEYER

Programm des letzten »Russischen Symphonie-Concerts« unter Leitung von Nikolaj von Kasanli

Russische Musik in München

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Russische Musik in München

rufungen« am Ende des Abends nichts än-dern.

Zehn Monate später übernahm Kasanli die zweite Hälfte eines Konzerts mit der »König-lichen Hofopernsängerin Emilie Herzog aus Berlin«. Zunächst spielte das Orchester nochmals die f-Moll-Symphonie, danach Borodins »Steppenskizze aus Mittelasien« und Balakirews »Ouvertüre über ein spani-sches Marschthema«. In dem am 30. De-zember 1898 geleiteten »Russischen Sym-phonie-Concert« machte Kasanli noch auf weitere Komponisten aus dem Umkreis des sogenannten »Mächtigen Häufleins« wie Sergej Ljapunow und Aleksandr Tanejew aufmerksam. Balakirew war diesmal mit der symphonischen Dichtung »Russia« vertre-ten, der Dirigent mit In strumentationen von zwei Klavierstücken von Franz Liszt (»Sposalizio« und »Il Penseroso«) sowie von Schuberts »Erlkönig«. Das Echo war diesmal recht zwiespältig. »Es ist über-haupt mit der ganzen jung-russischen Schule eine eigene Sache. Ihre Vertreter bringen oft recht Interessantes, bei dem aber vielfach mehr Absonderlichkeit, als echte Originalität sich äußert.«

Dank Kasanlis Engagement kam es ein gu-tes Jahr später gar zu einem »Concert Mi-chael Glinka gewidmet«. Zum ersten Mal erklangen große Teile – »Fragmente« wie es damals hieß – aus der Oper »Ruslan und Ljudmila«, die trotz des Fehlens von Hand-lungsübersicht und der jeweiligen Szenen-texte in der Konzerteinführung äußerst positiv aufgenommen wurden. So meinten die »Münchner Neuesten Nachrichten«, dass die Bruchstücke durchweg interes-sant und reich an charakteristischen Stel-len seien, »deren Wirkung durch eine sehr farbenreiche Instrumentation gehoben wird«. Die sehr detaillierte Besprechung

würdigte zudem die Leistung aller Mitwir-kenden. »Das Kaim-Orchester hielt sich sehr wacker, und Herr v. Kasanli, der mit viel Schwung und Lebendigkeit dirigierte, wußte das oft sehr komplizierte Ensemble gut zusammenzuhalten, wenn auch viele Momente […] zu stärkerer Wirkung hätten gelangen können.«

Weitere Konzerte mit wiederum zum Teil noch nicht gehörten Werken von Aleksandr Dargomyschskij, César Cui und Nikolaj Rimskij-Korsakow sowie von Balakirew, Bo-rodin und Tanejew folgten, dann verließ Kasanli die Residenzstadt München. Bis auf Mussorgskij hatte er alle wichtigen Kom-ponisten vorgestellt, einen Bogen ge-spannt von Glinka und Dargomyschskij als den Vätern der russischen Tradition bis zu den Protagonisten und Sympathisanten des »Mächtigen Häufleins«, denen ja auch Kasanli angehörte. Doch riss die Vorliebe für das Russische nach seinem Weggang nicht ab. Nun gab es Komponisten zu ent-decken wie beispielsweise Anton Rubin-stein, Modest Mussorgskij, Sergej Bort-kjewitsch, Wasilij Kalinnikow, Nikolaj Lo-patnikow, Anatolij Ljadow, Aleksandr Gla-sunow, Sergej Prokofjew, Eduard Schütt, Aleksandr Skrjabin, Igor Strawinskij, Alek-sandr Tscherepnin und Wladimir Vogel. Noch bis zum Beginn der 30er Jahre wur-den »Russische Abende« angesetzt, aber keiner hatte sich so engagiert für die Musik seines Landes eingesetzt wie jener heute zu Unrecht vergessene Dirigent, Kompo-nist und unermüdliche Organisator Nikolaj von Kasanli. Am 23. Juli 1916 ist er in St. Petersburg gestorben.

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Donnerstag *07_01_2016 20 Uhr bFreitag *08_01_2016 20 Uhr cSamstag *09_01_2016 19 Uhr g4

JOHANN SEBASTIAN BACH Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F-Dur BWV 1046 »Jauchzet Gott in allen Landen« Kantate BWV 51 »Weichet nur, betrübte Schatten« Kantate BWV 202GEORG FRIEDRICH HÄNDEL»Music for the Royal Fireworks« (Feuerwerksmusik) HWV 351

TON KOOPMANDirigentMARÍA ESPADASopran

Sonntag10_01_2016 17 Uhr

SONDERKAMMERKONZERTMünchner Künstlerhaus am Lenbachplatz

»Zucker zum Kaffee« – Tiefe Streicher auf hohem Niveau

Ein Neujahrsempfang der Freunde und Förderer der Münchner Philharmoniker

Mitglieder der Gruppen der Violoncelli und KontrabässeLUDWIG W. MÜLLER Moderation

Dienstag12_01_2016 20 Uhr f

CLAUDE DEBUSSY»Prélude à >L’après-midi d’un faune<«DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCHKonzert für Violine und Orchester Nr. 2 cis-Moll op. 129HECTOR BERLIOZ»Symphonie fantastique« op. 14

VALERY GERGIEVDirigentJANINE JANSENVioline

Freitag 22_01_2016 10 UhrÖffentliche Generalprobe Samstag23_01_2016 19 Uhr dSonntag24_01_2016 11 Uhr m

CÉSAR FRANCK»Le Chasseur maudit« (Der wilde Jäger)JOAQUÍN RODRIGO»Concierto de Aranjuez« für Gitarre und OrchesterLUCIANO BERIOQuattro versioni originali della »Ritirata Notturna di Madrid« di Luigi BoccheriniMANUEL DE FALLA»El amor brujo« (Der Liebeszauber)MAURICE RAVEL»La Valse«

JAMES GAFFIGANDirigentMILOŠ KARADAGLIĆGitarre

Vorschau

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1. VIOLINENSreten Krstič, KonzertmeisterLorenz Nasturica-Herschcowici, KonzertmeisterJulian Shevlin, KonzertmeisterOdette Couch, stv. KonzertmeisterinLucja Madziar, stv. KonzertmeisterinClaudia SutilPhilip MiddlemanNenad DaleorePeter BecherRegina MatthesWolfram LohschützMartin ManzCéline VaudéYusi ChenHelena Madoka BergIason KeramidisFlorentine Lenz

2. VIOLINENSimon Fordham, StimmführerAlexander Möck, StimmführerIIona Cudek, stv. StimmführerinMatthias Löhlein, VorspielerKatharina ReichstallerNils SchadClara Bergius-BühlEsther MerzKatharina TriendlAna Vladanovic-LebedinskiBernhard MetzNamiko Fuse

Die MünchnerPhilharmoniker

Qi ZhouClément CourtinTraudel Reich

BRATSCHENJano Lisboa, SoloBurkhard Sigl, stv. SoloJulia Rebekka Adler, stv. SoloMax SpengerHerbert StoiberWolfgang StinglGunter PretzelWolfgang BergBeate SpringorumKonstantin SellheimJulio LópezValentin EichlerYushan Li

VIOLONCELLIMichael Hell, KonzertmeisterFloris Mijnders, SoloStephan Haack, stv. SoloThomas Ruge, stv. SoloHerbert HeimVeit Wenk-WolffSissy SchmidhuberElke Funk-HoeverManuel von der NahmerIsolde HayerSven FaulianDavid HausdorfJoachim Wohlgemuth

Das Orchester Das Orchester

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Das Orchester

KONTRABÄSSESławomir Grenda, SoloFora Baltacigil, SoloAlexander Preuß, stv. SoloHolger HerrmannStepan KratochvilShengni GuoEmilio Yepes Martinez Ulrich ZellerThomas Hille

FLÖTENMichael Martin Kofler, SoloHerman van Kogelenberg, SoloBurkhard Jäckle, stv. SoloMartin BeličGabriele Krötz, Piccoloflöte

OBOENUlrich Becker, SoloMarie-Luise Modersohn, SoloLisa OutredBernhard BerwangerKai Rapsch, Englischhorn

KLARINETTENAlexandra Gruber, SoloLászló Kuti, SoloAnnette Maucher, stv. SoloMatthias AmbrosiusAlbert Osterhammer, Bassklarinette

FAGOTTELyndon Watts, SoloSebastian Stevensson, SoloJürgen PoppJörg Urbach, Kontrafagott

HÖRNERJörg Brückner, SoloMatias Pin~eira, SoloUlrich Haider, stv. SoloMaria Teiwes, stv. SoloRobert Ross

Alois SchlemerHubert PilstlMia Aselmeyer

TROMPETENGuido Segers, SoloBernhard Peschl, stv. SoloFranz UnterrainerMarkus RainerFlorian Klingler

POSAUNENDany Bonvin, SoloDavid Rejano Cantero, SoloMatthias Fischer, stv. SoloQuirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune

PAUKENStefan Gagelmann, SoloGuido Rückel, SoloWalter Schwarz, stv. Solo

SCHLAGZEUGSebastian Förschl, 1. SchlagzeugerJörg Hannabach

HARFETeresa Zimmermann

CHEFDIRIGENT Valery Gergiev

EHRENDIRIGENTZubin Mehta

INTENDANTPaul Müller

ORCHESTERVORSTANDStephan HaackMatthias AmbrosiusKonstantin Sellheim

Das Orchester

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Impressum

IMPRESSUM

Herausgeber:Direktion der MünchnerPhilharmonikerPaul Müller, IntendantKellerstraße 481667 München

Lektorat: Stephan Kohler

Corporate Design:HEYE GmbH, München

Graphik: dm druckmedien gmbhMünchen

Druck: Color Offset GmbHGeretsrieder Str. 1081379 München

TEXTNACHWEISE

Wolfgang Stähr, Gabriele E. Meyer und Eva Hutten-lauch schrieben ihre Texte als Originalbeiträ ge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Stephan Kohler stellte sei-nen Text den Münchner Philharmonikern zum Ab-druck in diesem Pro-grammheft zur Verfügung; er verfasste auch die lexi-kalischen Werkangaben und Kurzkommentare zu Beet-hovens 9. Symphonie. Die Wiedergabe der Gesangs-texte folgt der Vertonung

von Schillers »Ode an die Freude« durch Ludwig van Beethoven mit den von ihm vorgenommenen Aus-lassungen bzw. Hinzufü-gungen. Richard Wagners Anmerkungen zu Beetho-vens 9. Symphonie zitie-ren wir nach Band 9 der Jubiläumsausgabe in 10 Bänden von Wagners ge-sammelten »Dichtungen und Schriften«, Frankfurt / Main 1983. Künstlerbio-graphien (Manze, Karg, Lehmkuhl, Bruns, Nazmi, Herrmann, Philharmoni-scher Chor): Nach Agen-turvorlagen. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kos-tenpflichtig.

BILDNACHWEISE

Abbildungen zu Beethoven und seiner 9. Symphonie: Joseph Schmidt-Görg und Hans Schmidt (Hrsg.), Ludwig van Beethoven, Bonn / Hamburg / Braun-schweig 1969; Sammlung Stephan Kohler, München. Sonstige Abbildungen: Privatbesitz. Künstler-photographien: Benjamin Ealovega (Manze); Gisela Schenker (Karg); Sound Picture Design (Lehm-kuhl); Sara Schöngen (Bruns); Christine Schae-fer (Nazmi); privat (Herr-mann).

TITELGESTALTUNG

»In Beethovens 9. Sym-phonie heißt es: ›Seid um-schlungen, Millionen ! Die-sen Kuss der ganzen Welt !‹ Das ist moderne Demo-kratie. Nichts anderes. Die Idee von Freiheit. Und Freiheit bedeutet eben auch anders, speziell oder provokant sein zu dürfen. Gegen Konventionen und Regeln – genau wie der Ti-telentwurf. Zugegeben ex - trem, aber ist die ›Neunte‹ leise ?« (Haman Alimar-dani, 2015)

DER KÜNSTLER

Haman Alimardani (Mode-label »haman sutra«) wur-de 1977 in Teheran, Iran, geboren. Er wuchs in New York und München auf und lebte längere Zeit in Ham-burg und London. Seit 2003 hält er Vorträge an Designschulen wie der Parsons School of Design in New York. Er war Do-zent an der Miami Ad School in Brooklyn und unterrichtet momentan an der AMD Akademie Mode & Design in München. Ha-man Alimardani arbeitet und lebt in München und New York.

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SONDERKAMMERKONZERTZUCKER ZUM KAFFEETiefe Streicher mit hohem Unterhaltungswert

Ein kabarettistisches Neujahrskonzert mit Ludwig W. Müller und Musikern der Münchner Philharmoniker:4 Violoncelli, 4 Kontrabässe und 1 Solokabarettist

Sonntag10_01_2016 17 UhrMünchner Künstlerhaus

mphil.de089 54 81 81 400Karten: 30 €

Mit � eundlicher Unters� tzung der Münchner Künstlerhaus-S� � ung

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DAS ORCHESTER DER STADT

’15’16