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Beihefte der Francia Bd. 42 1997 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht- kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver- folgt werden.

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Beihefte der Francia

Bd. 42

1997

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ULRICH ALBRECHT

RÜSTUNGSFRAGEN I M DEUTSCH-FRANZÖSISCHEN VERHÄLTNI S (1945-1960)

Einleitung Das Thema scheint absurd, gibt es doch in allgemeiner Sicht aufgrund des Potsdamer Abkommens un d de r nachfolgende n Rüstungsbeschränkunge n i m Rahme n de r Westeuropäischen Union von 1945 bis 1955 kein deutsches Rüstungswesen, so daß von einem »Verhältnis« Deutschlands in Rüstungsdingen mi t irgendeinem Partner , gar Frankreich, wohl kaum die Rede sein könne. Die nachfolgenden fün f Jahre bis 1960 galten in der jungen Bundesrepublik dem (nach innen gewandten) Wiederauf-bau von Streitkräften un d Rüstungskapazitäten , s o daß praktisch wenig Raum fü r Rüstungskooperation gegeben zu sein scheint1.

Ähnlich im Widerspruch zu r Formulierung des Themas scheint der allgemeinen Wahrnehmung nach die Situation im befreiten Frankreic h zu sein. Dort suchte man in jener Phase, gleichfalls au f di e eigenen Ressourcen konzentriert , i n einem müh-sam nachholenden Wettlau f Anschlu ß an den Rüstungsstandard de r Weltmächte . So wenigstens da s Selbstbil d etw a i n dem einschlägige n Kapite l »Rekonstruktio n (1945-1958)« in der offiziösen »Histoire de l'aviation militaire française« der Gene-räle Christienn e un d Lissarague 2. Auc h di e angelsächsisch e Literatu r zu r Politi k Frankreichs im besetzten Deutschland, etwa die Schriften von F. Roy Willis, thema-tisieren deutsch-französische Rüstungskollaboratio n in der Nachkriegszeit nicht3.

Die Ablehnun g de s Projekt s eine r »Europäische n Verteidigungsgemeinschaft « durch di e Nationalversammlung i m Jahre 1954 , so ein verbreitetes Bild , zeigte an, daß Frankreich fü r ein e militärische Kooperation mi t dem neuen Deutschland da -mals noch nicht bereit war. Der Aufbau der Bundeswehr bis 1960 erfolgte vorrangig mit amerikanischen Waffen, so daß Frankreich in dem hier thematisierten Zeitraum - s o diese Wahrnehmung weiter - kaum eine Rolle spielen konnte.

1 Fü r diese konventionelle Sichtweise aus neuerer Zeit: Lars BENECKE, Ulrich KRAFFT, Gemeinsam vor der technische n Herausforderung. Deutsch-französische Kooperation in Rüstung und Technologie, in: Dokumente . Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog und übernationale Zusammenar-beit, 41 (1985) S. 109-121, hier S. 109.

2 Charle s CHRISTIENNE , Pierr e LISSARAGUE , Histoire de Paviation militaire française, Paris, Limoges 1980, part V, chapitre 1 (Christienne war »Chef du Service Historique de l'Armée de l'Air«, Lissara-gue ist ein bekannter Luftwaffengeneral). Hier und in anderen französischen Quellen findet sich kein Hinweis au f die hier thematisierte Kooperation zwischen deutschen und französischen Fachleuten, obwohl die Ergebnisse dieser Kooperation, etwa die ATAR-Triebwerke, angeführt werden. Ähnlich andere offiziöse Text e (etwa: L'Office Généra l de l'Air, 1921-1961. Quarante années au service de l'Aviation, Paris 1961, bes . S. 37).

3 F . Roy WILLIS , The French in Germany. 1945-1949, Stanford, Cal. 1962; DERS., France, . Germany, and th e New Europe, 1945-1963, Stanford, Cal. 1965.

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Diese Wahrnehmun g erweis t sic h al s z u oberflächlich . Di e neuer e Forschun g zeichnet ein sehr viel differenzierteres Bild . Die französischen Nachkriegsregierun -gen strebten ähnlich wie die anderen Hauptsiegermächte danach, einen substanziel-len Anteil aus der deutschen Technologiebeute zu erwerben, die die Nazis hinterlas-sen hatten , scho n um di e Vorsprünge de r andere n Mächt e rasche r ausgleiche n z u können. Mi t diesem Beitrag wird angestrebt , wenigstens ein e Übersichtsskizze z u den französischen Bemühunge n zu geben, sich im Zeitraum 194 5 bis 1955 deutsche rüstungstechnische Kompeten z zu sichern, sowie auch ansatzweise zu beschreiben, wie die Behörden de r Bundesrepublik a b 195 5 ihrerseits für di e nachholende Ent -wicklung der eigenen Kapazitäten die französischen Bemühunge n zu fördern such -ten. Auch sollen die typischen Akquisitions- und Transfermuster umrisse n werden. Ähnlich wie die Russen waren die Franzosen an geschlossenen Arbeitsgruppen von Waffenfachleuten un d nicht etwa, wie besonders die Amerikaner, lediglich am tech-nischen Spitzenpersonal interessiert. Ein Generaladministrator hebt diese Besonder-heit in einem Bericht Ende 1947 hervor, mit kritischem Bezug auf das Verhalten der französischen Privatindustri e (»Das Rüstungsministerium wußte, welche Techniker ihm von Nutzen sein konnten, und fand in Deutschland komplette Teams«)4. Ciesla hebt eine weitere Parallele mit der Sowjetunion hervor : »Interessant ist hierbei, daß sich die Zwangsverschickung und Abwanderung in die UdSSR und nach Frankreich in einer ähnlichen Größenordnung bewegt haben«5.

Über das Wirken Deutscher in der Nachkriegszeit i n den USA, der UdSSR und Lateinamerika liege n mehrer e Untersuchunge n vor 6. Fü r Frankreich , obwoh l e s nach derzeitigem Erkennisstand knapp 500 Rüstungsexperten aus der Hinterlassen-schaft de s Dritten Reiche s übernahm, gib t e s in Deutschland kein e solche Studie. Auf französischer Seit e hat Gérard Bossuat, in Fortführung seine r Studien über den industriellen Wiederaufba u Frankreich s i n de r Nachkriegszeit 7, jüngs t wiederhol t Skizzen zu r Beschäftigun g deutsche r Rüstungsfachleut e i m Nachkriegsfrankreic h vorgelegt8. Eine vergleichbare Übersicht wurde 1992 von J. Viellain von dem Unter-

4 Laffo n a n CGAAA (Commissariat généra l au x Affaires allemandes et autrichiennes), 8. Novembe r 1947 (Quelle: Ministère des Affaires étrangères, Archives de l'Occupation, Dossier T 11) , zit. nach: Marie-France LUDMANN-OBIER , Di e Kontrolle der chemischen Industrie in der französischen Besat -zungszone 1945-1949 , Main z 198 9 (Veröff . de r Kommissio n de s Landtage s fü r di e Geschicht e de s Landes Rheinland-Pfalz, 13) , S. 147.

5 Burghar d CIESLA , intellektuell e Reparatione n de r SBZ a n die alliierte n Siegermächte ? Begriffsge -schichte, Diskussionsaspekte un d ein Fallbeispiel - Di e deutsche Flugzeugindustri e (1945-1946) , in: Christoph BUCHHEI M (Hg.) , Wirtschaftliche Folgelasten des Krieges in der SBZ/DDR, Baden-Bade n 1994, S . 41.

6 Zusammenfassen d daz u Burghar d CIESLA , Da s >Projec t Paperclip< - deutsch e Naturwissenschaftle r und Techniker i n den USA (194 6 bi s 1952) , in: Jürgen KOCK A (Hg.) , Historische DDR-Forschung . Aufsätze und Studien, Berlin 1993, S. 294.

7 Vgl . vo n Gérard BOSSUAT, L a France , l'aide américain e et la constructio n européenn e 1944-1954, 2 vols., Paris (Comité pour l'histoire économiqu e e t financière) 1992; sowie di e älteren Arbeiten: La modernisation sous influence. Le s premières étapes de l'appel à l'étranger 1944-1949, Paris 1988; und der Beitrag in Patrick FRIDENSON, André STRAUS (Hg.), Le capitalisme français, Paris 1987, S. 307-325.

8 Gérard BOSSUAT, Les armements dans les relations franco-allemandes (1945-1963). Les nationalismes à l'épreuve des temps nouveaux, in dem Sonderheft der Revue d'Allemagne e t des pays de langue alle-mande 25, »Les relations économique s franco-allemande s a u XXe siècle« , Octobre-Décembre 1993, S. 601-615. Daneben die z.T. textgleiche, aber ausführlichere Fassung : »Les armements dans les rela-

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nehmen Société Européenn e de Propulsion gegeben 9. Ergänz t werde n Bossuat s Makrostudien durc h Publikatione n vo n Claude Carlie r vom Centre d'Histoir e de l'Aéronautique et de l'Espace, der vor allem eine Vielzahl von Einzelheiten etwa zu dem Triebwerksteam unte r Dr . Oestrich mitzuteile n weiß 10. Mit Schwerpunkt auf der deutschen Chemieindustrie gibt schließlich Marie-France Ludmann-Obier eini-ge wichtige Angaben zum Transfer deutscher Rüstungsfachleute nach Frankreich11.

Solche Studien sind um so notwendiger, als in der Literatur verschiedentlich über französische Versionen der amerikanischen »Operation Paperclip«, der Gewinnung deutscher Rüstungsfachleute , polemisier t wird . Michel Bar-Zohar überschreib t ei-nen Abschnitt in seinem Buch »La chasse aux savants allemands«12 gar mit der Zeile »Man muß den Franzosen zuvorkommen«. John Gimbel berichtet in seiner tonan-gebenden neuen Studie »Science, Technology and Réparations« wiederholt anhan d amerikanischer Quellen über französische Versuche, den USA »ihre« Deutschen ab-spenstig zu machen13. Für die betroffenen Deutsche n berichtet Henrich Focke wie-derholt von Reibereien der Franzosen mit den anderen Siegermächten14. In der auf-wendigen Messerschmitt-Biographie von Ebert u.a. wird berichtet , wie in Wertach im Allgäu die Franzosen kurzfristig Unterlagen über die neuesten deutschen Düsen-jägerkonstruktionen i n den Händen hielten - di e sie bald jedoch den Amerikanern wieder herausrücken mußten:

»Die 1. Armee unter Führung von General Jean de Lattre de Tassigny war schon mehrfach während des gemeinsamen Vormarschs in das den Amerikanern vorbehal-tene Gebie t eingedrungen , und so fielen dies e Unterlagen zunächs t französische n Spezialisten in die Hände. Darunter befanden sich die Zeichnungsunterlagen für den Prototyp de r P 1101 sowie Zeichnungen und Dokumente der Projekte P 1102 bi s 1112. Di e Amerikaner erhielten sie erst am 9. Juni 1945 wieder zurück«15.

tions franco-allemandes (1945-1963)«, in : Centre des Hautes Étude s de l'Armement, Histoir e de l'Armement e n France d e 1914 à 1962. Actes d u Colloqu e d u 19 Novembre 1993, Paris 1994, S. 149-206.

9 J. VIELLAIN , Sociét é Européenn e d e Propulsion , Franc e an d th e Peenemünde Legacy, in : 43r d Congress o f the International Astronautica l Fédération , Aug. 28-Sept. 5, 1992, Washington, D.C. (IAA-92-0186). Der Verf. dankt Burghard Ciesl a für den Hinweis auf diesen Bericht .

10 Vo r allem die Dissertation: L'Aéronautique français e de 1945 à 1975, Lavauzelle 1983 . Vgl. auch: Le développement de l'aéronautique militair e française d e 1958-1970, Cedocar, 1976, die Chronologi e aérospatiale (1940-1990), Paris 1992, sowie L'aéronautique e t l'espace 1945-1993, in: André CORVI -SIER (Hg.), Histoire Militaire de la France, vol.4: De 1940 à nos jours, Paris 1994.

11 LUDMANN-OBIE R (wi e Anm. 4). Vgl. auch ihr e Vorstudie n L a mission du CNRS e n Allemagn e (1945-1950), in: Cahiers pou r l'Histoir e d u CNRS , No.3 (1989) S. 73-84, sowie Le contrôle d e la recherche scientifiqu e e n zone française d'occupatio n e n Allemagne (1945-1949), in: Revue d'Alle -magne 1988, S. 397-414.

12 Michel BAR-ZOHAR , L a chasse au x savants allemands , Pari s 1965, dt.: Die Jagd au f di e deutsche n Wissenschaftler (1944-1960) , Berlin 1966.

13 Joh n GIMBEL , Science , Technology , an d Réparations. Exploitation an d Plunde r i n Postwa r Ger -many, Stanford, Cal. 1990, S. 31,40 (angebliche Entführung vo n elf deutschen Windkanalexperten in Kochel in Oberbayern i m Dezember 1945) , S. 41-42 (die Franzosen überboten amerikanisch e Ho-norarofferten), S . 46-47 (ein Bericht au s dem State Department : »W e have caugh t th e French red -handed agai n stealing scientists out of our zone«).

14 Sieh e das Kapitel »Sackgassen « und die dort angegebene Quelle, S. 71f. 15 Han s J. EBERT , Johann B . KAISER, Klau s PETERS , Willy Messerschmit t - Pionie r de r Luftfahrt un d

des Leichtbaues. Eine Biographie, Bonn 1992 , S. 293.

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Wenn die »französischen Spezialisten « diese Bezeichnung verdienen, werden sie besonders die Unterlagen zu Messerschmitts erstem Pfeilflügel)äger P 1101 nur un-ter größten Schmerzen weitergegeben haben. Es handelte sich um die Baupläne fü r den Stammvate r de r zweite n Generatio n vo n Düsenjägern , welch e i m transsoni -schen Bereich mit gepfeilten Tragflügeln operieren würden. Die Amerikaner bauten die P 1101 mit ihrer revolutionären variablen Pfeilung zunächs t als Versuchsmuster Bell X-5 (Erstflug 1951 ) nach. Nach Ansicht von Fachautoren beeinflußte das Mes-serschmitt-Konzept s o grundlegend e Baumuste r wi e de n Jäge r Nort h America n F-86 oder den ersten amerikanischen Pfeilflügelbomber , de n B-47 von Boeing. Die sowjetische Lawotschki n La-160 , die schwedische SAAB J 29, sowie die argentini-sche Pulqui II-Entwicklung von Kurt Tank lehnen alle direkt an die Messerschmitt-Konzeption an. - Di e französischen Fachleut e werden begriffen haben , daß so fort-geschrittene flugtechnische Unterlage n zumindes t 194 5 außerhalb de r Kompeten z französischer Konstrukteur e lagen, damit direkt etwas anzufangen, was vielleicht die Entscheidung erleichtert hat, dem amerikanischen Druck auf die Überlassung dieser Unterlagen stattzugeben16.

Zu betonen ist, daß dieser Beitrag vor allem auf neueren deutschen Materialien be-ruht, die nach dem Erscheinen de r Vorstudie nunmehr zugänglic h geworden sind . Eine Kommentierung aus französischer Sich t (so wie hier französische Beiträg e er-örtert werden) steht aus. Dies e wäre äußerst wünschenswert17.

Die These Die Grundthese dieses Beitrages ist , daß 1955 die deutsch-französische Rüstungs -zusammenarbeit nicht neu einsetzt, sondern lediglich neu ansetzt, daß es sich um eine Kontinuität auf anderer Ebene handelt.

Die erfolgreich e Zusammenarbei t deutsch-französische r Team s vo r 195 5 bei m Bau von Düsentriebwerken, auf die im folgenden Text vor allem zu verweisen bleibt, ist in Grundzügen bekannt . Nicht gesehen zu werden scheint jedoch die Breite die-ser Kooperation über die ATAR-Linie hinaus in den Jahren bis 1955, besonders im Raketenbau. Diese bildet nach der These des Verfassers di e Grundlage für di e ein-fache Bereitschaf t französische r Ingenieur e und Manager , sich nach 195 5 - damal s noch i m Gegensat z zu r öffentliche n Meinun g - au f weitreichend e kollaborativ e

16 Einzelheite n über das Muster Messerschmitt P 1101 ibid., S. 276-282, auch zu den internationalen Folgewirkungen. Ein Tableau zu den im Zitat genannten Folgemustern Messerschmit t P 110 2 bis 1112 findet sich im gleichen Band, S. 288-290.

17 Aufbauen d au f eine n Beitrag für da s Deutsche Historisch e Institu t au s dem Jahre 199 0 (Ulrich ALBRECHT, Di e technologische n Komponente n de s deutsch-französische n Verhältnisse s i n de r Sicherheitspolitik seit Mitte der 60er Jahre, in: Yves COHEN, Klaus MANFRASS (Hg.), Frankreich und Deutschland. Forschung , Technologie un d industriell e Entwicklun g i m 19 . und 20 . Jahrhundert, München 1990, hier bes. S. 202-205) wird in Auswertung von zwischenzeitlich zugänglich gewor-denen Quellen und Untersuchungen di e in der Vorstudie skizzierte Hypothese substanziiert , daß die Rüstungsaktivitäte n vo n Deutsche n i m Nachkriegsfrankreic h erheblich e Bedeutun g fü r de n rüstungswirtschaftlichen Wiederaufstie g Frankreichs hatten. Die Arbeitsgrundlage für die Erschlie-ßung dieser neuen Quellen bildete ein über mehrere Jahre von der Deutschen Forschungsgemein -schaft geförderte s Projek t übe r di e Migration deutsche r Waffenfachleut e nac h 194 5 ins Ausland . Ansonsten werden die Ausführungen de r Studie von 1990 hier nicht wiederholt.

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 13 9

Rüstungsprojekte mi t de n Deutsche n einzulassen , di e die folgenden Jahr e präge n sollten. Un d si e erklär t auc h di e weitgehende Bereitschaf t de s politischen Frank -reich, sich zehn Jahre nach Kriegsende für eine ungewöhnlich enge Zusammenarbeit mit der jungen Bundesrepublik zu engagieren.

Schon in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre läßt sich nachweisen, daß die Indu-strien in beiden Ländern , die Aufhebung de s deutschen Rüstungsverbote s antizi -pierend, sic h aufeinander zubewegten , und da ß nach dem Scheitern de r EV G auf französischer Seit e ein Prozeß einsetzt, der dann Mitte der fünfziger Jahr e zu einer raschen Akzeptanz von deutschem Militär und deutscher Rüstungsindustrie führte . In der zweiten Hälft e de r fünfziger Jahr e werden eine Reihe kollaborativer Groß -projekte für Transportflugzeuge, Seeaufklärer , Düsentraine r und Hubschrauber be-schlossen.

Es gibt, zumindest in französischer Sicht , auch Fehlschläge: nach 1960 in der Nu-klearzusammenarbeit, zuvor bei zentralen Rüstungsgütern wie Jagdbombern. Auch kommen französisch e Erwartunge n nich t zu m Tragen, den beiderseitige n Militär -aufwand durc h gezielte Zusammenarbeit zu verringern. Die Rolle der Bundesregie-rung bleib t hie r genaue r z u untersuchen . Insgesam t läß t sic h ein e bemerkenswer t unideologische, a n Kooperatio n un d ga r Integratio n interessiert e Politi k de r Ent -scheidungseliten feststellen , di e durchaus zu unterscheiden is t von der zeitgenössi -schen Haltung der Bevölkerung und der Medien.

Die Studie gilt vor allem Projekten des Sektors Luftrüstung. I n diesem hightech-Bereich suchten die Franzosen besonder s die Kooperation de r Deutschen , im Ge-gensatz zur Heeresrüstung oder dem Kriegsschiffbau. Hie r nicht behandelt werden die Anfänge de r angestrebten Zusammenarbei t i m nuklearen Bereich , weil die we-sentlichen Entwicklungen außerhalb des Berichtszeitraumes fallen.

Deutsche Rüstungsfachleute i m Nachkriegsfrankreich - ei n Tableau Ludmann-Obier gib t i n ihre r Untersuchun g zu r Kontrollpoliti k i n de r französi -schen Besatzungszone an , daß »die wenigen Daten , über die wir verfügen, .. . vo n den dami t befaßte n Dienststelle n de s Rüstungsministerium s (stammen).« 18 Eine m von ihr zitierten Schreiben des Generalstabs für nationale Verteidigung vom 22. No-vember 1946 zufolge handelte es sich um 800 deutsche Spezialisten, die nach Frank-reich verbracht worden seien. Insgesamt, auch alle nichtmilitärisch bedingten Trans-fers einbeziehend, schätzt Ludmann-Obier, daß »man wohl ohne allzu großes Risi-ko vo n eine m Gesamtumfan g vo n 200 0 bi s 300 0 Spezialiste n ausgehen « dürfe 19. Bossuat ha t recherchiert , daß die französischen Behörde n unter ihren 9 5 700 deut -schen Kriegsgefangene n 677 2 Männer al s »spécifiquement recrutés « ausgesondert haben, die augenscheinlich zumeist als Angehörige technischer Berufe Ende 1947 in Frankreich Arbeitsmöglichkeiten zugewiese n bekamen 20. Weitaus bedeutsamer fü r

18 LUDMANN-OBIE R (wi e Anm . 4 ) S . 153 . 19 Ibid . I n eine r ältere n Arbei t gib t dies e Verfasseri n gleichfall s 80 0 Deutsch e i m Diens t de r franzö -

sischen Rüstun g an , neben - rech t niedrige n - Vergleichszahle n fü r di e US A un d Großbritannie n (Marie-France LUDMANN-OBIER , Un aspec t de la chasse aux cerveaux: les transferts d e technicien s allemands en France 1945-1949, in: Relations internationales 46 (1986) S. 195-208, hier S. 208.

20 BOSSUAT [1993] (wie Anm. 8) S. 602; BOSSUAT [1994] (wie Anm. 8) S. 154.

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die Technikentwicklung in Frankreich al s die Verpflichtung vo n Kriegsgefangene n mit technischen Berufe n sollt e die Übernahme vo n ganzen Arbeitsgruppe n deut -scher Waffentechniker au s dem besetzten Deutschland werden. Bossuats Ergebnisse über die Zahl der Rüstungsspezialisten stimme n in etwa mit der Angabe von Lud-mann-Obier (800) und meinen Daten überein. Der Forschungsstand21 dazu:

Deutsche Rüstungsexperten im Nachkriegsfrankreic h

Größe des Teams Leiter Arbeitgeber, Ort

140 Dr. Hermann Oestrich SNECMA, Decize (Nièvre) 120 Dipl.-Ing. Fritz Nallinger Turboméca, Nay 100 Dr. Otto Müller/Dr. Jauernick LRB A, Vernon 96 Prof. Hubert Schardin LRSL, Saint-Louis 70 Dr. K.-W. Maybach AMX, Vernon 46 (Dr.-Ing. Kohler) ONERA, Paris 20 Dr. Henrich Focke SNCASE, Paris

? (Fa. Mauser) -, Mulhouse

Die Tabelle gibt die Erstverwendung in Frankreich und die jeweilige Gesamtzahl Deutsche r wieder , ohne Rückwanderer und Abgaben an andere französische Unternehmen .

Die beiden größte n Gruppen , ein vormaliges BMW-Tea m unte r Oestric h und ein Daimler-Benz-Team unte r Nallinger, arbeiteten an Luftfahrtprojekten, nämlic h Düsentriebwerken un d Fernflugzeugen . Auc h di e drittgrößte Gruppe , ehemalig e Peenemünder Raketenspezialiste n unte r Müller , ist dem Luftfahrtsektor zuzurech -nen. Das Maybach-Team sollte zentrale Bauteile schwerer Panzer, vor allem Moto-ren und Getriebe, bauen. Die Focke-Gruppe begründet e den Hubschrauberbau in Frankreich, während da s Team um Schardin vorrangi g aus Ballistik-Experten be-stand. Die zahlenmäßig nicht bekannte Gruppe, welche die Franzosen aus den Mau-ser-Werken in ihrer Besatzungszone abzogen, dürfte weiter an Kanonen und Hand-feuerwaffen gearbeite t haben . Danebe n liege n Bericht e vo n einzelne n deutsche n Fachleuten vor, die besonders im Meßwesen in Frankreich tätig wurden22.

Für de n Transfer de r deutschen Ingenieurgruppe n ka m es wiederholt z u kurz -lebigen Neugründungen von Unternehmen in der französischen Besatzungszone . Ein charakteristisches Beispie l bildet das »Centre Technique de Wasserburg« (CTW) . In die Orte Wasserburg und Enzisweiler bei Lindau waren vor Kriegsende Teile der Ver-suchsabteilung der Firma Dornier verlegt worden. Die Franzosen fanden bald Interes-se an den modernen Apparaturen zu r Schwingungsmessung im Fluge (Bekämpfun g

21 Hierz u besonders BOSSUAT, ibid. 22 Etw a (mit programmatischem Titel) Hans ROLLA , 3 4 Jahre, mehr als ein Drittel des Jahrhunderts

in Frankreich i m Dienste der SFENA, in: Deutsche Gesellschaf t fü r Luft - un d Raumfahrt e.V. , Die Tätigkeit deutscher Luftfahrtingenieure un d -Wissenschaftler i m Ausland nach 1945. Beiträge einer Vortragsveranstaltung de r DGLR-Fachgruppe 1 2 »Geschichte de r Luft- un d Raumfahrt « am 19. März 1991 im Deutschen Museum in München, Bonn-Bad Godesberg 1992 . Weiter zit. als »Die Tätigkei t deutsche r Luftfahrtingenieur e un d -Wissenschaftle r i m Ausland nac h 1945« . Der Verf. dankt Burghard Ciesla für den Hinweis auf diesen Band.

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des »Flatterns« von Tragflügeln) ode r auch den Apparaten zu r Prüfung de r Ermü-dungsfestigkeit. Mit der Gründung des CTW sollten die deutschen Teams zusammen-gehalten und für französische Zwecke dienstbar gemacht werden. Neben einem fran-zösischen Capitaine wurde diese Gruppierung vom vormaligen Chef der Dornier-Ver-suchsabteilung, Dr.-Ing. Kohler, geleitet. Zu erwähnen ist in gleicher Weise ferner etwa die Firma »Marin e Française, Groupe Aéronavale«, hernach »Apparatebau « i n He-chingen, oder die ATAR-Gruppe in Rickenbach:

»Das CTW hatte die Aufgabe, begonnene wissenschaftliche und Versuchsarbeiten zu Ende zu führen, schon abgeschlossene Versuche auszuwerten und neue Apparate, beispielsweise für die Dehnungsmessung und für di e statische Belastung, weiterzu-entwickeln .. . De n Angestellten, Ingenieure n un d Facharbeitern , insgesam t etw a 150 Personen, bot das CTW damals die Chance, fachlich tätig zu bleiben, und mate-riell, wenn auch bescheiden, zu existieren. Anfang 194 7 wurden die meisten Ange-stellten entlassen; eine kleine Anzahl verpflichtete sich zur Dienstleistung in Frank-reich«23.

Später wurde das CTW der O.N.E.R.A. unterstellt. Im März 1947 wurd e das CTW aufgelöst, 47 Deutsche wurden von der O.N.E.R.A. nach Frankreich übernommen24.

Die Verbringungszeiten nac h Frankreich fallen seh r unterschiedlich aus . Die er-sten drei genannten Gruppe n sowi e das Focke-Team wurden relati v direkt im un-mittelbaren Zusammenhan g mi t de m Kriegsend e nac h Frankreic h verbracht . Di e Gruppe Schardin arbeitete hingegen von 1950-1959 in Frankreich. Obwohl die erste französische Suchaktion im Jahre 1945 de n Panzermotorenbauern um Maybach galt, kam es erst 1955 zum Umzug dieses Teams nach Frankreich.

Das Tableau erfaßt mit Sicherheit nicht alle deutschen Rüstungsfachleute, die nach dem Kriege beim Wiederaufbau de r französischen Rüstun g tätig waren. Bossuat er-wähnt in einer Fußnote weitere Deutsche, etwa eine Materialprüfgruppe um Dr. For-ster, die nach Zwischenstationen beim O.N.E.R.A. agierten25.

Der Flugmeteorologe und Leite r des vormaligen Deutschen Forschungsinstitut s für Segelflu g (a n der immerhin auch Raketenflugzeuge entwickel t wurden), Walter Georgii, geht in seinen Erinnerungen kurz auf seine Tätigkeit im Arsenal de l'Aéro-nautique in Châtillon-sous-Bagneux als Abteilungsleiter ein , und schreib t summa -risch: »Eine ganze Gruppe von Abteilungsleitern meines ehemaligen Forschungsin-stituts war mir nach Frankreich gefolgt« 26. Unter den so anonym vermittelten An -gehörigen der DFS befand sic h u.a. der Raketenpionier Dr . Eugen Sänger (den fü r die UdSSR z u gewinnen , Stalin persönlich befohle n hatte) . - Georgi i hatt e ferne r

23 Joachi m WACHTEL, Claude Dornier. Ein Leben für die Luftfahrt, Planegg 1989 , S. 301. 24 Detailliert e Auskünft e übe r dies e Grupp e un d ihr e Tätigkei t i n verschiedene n Bereiche n de r

O.N.E.R.A. gib t Fridoli n SORG , Nachkriegstätigkeite n deutsche r Wissenschaftie r un d Ingenieur e bei dem Office Nationa l d'Études et de Recherches Aéronautiques (O.N.E.R.A.) in Paris, in: Deut-sche Gesellschaf t fü r Luft - un d Raumfahr t e.V. , Di e Tätigkei t deutsche r Luftfahrtingenieur e un d -Wissenschaftler im Ausland nach 1945.

25 BOSSUA T [1993 ] (wie Anm. 8 ) Anm. 4 . WACHTE L (wi e Anm. 23) S. 301 schein t z u implizieren , daß die verbleibenden Deutschen für die O.N.E.R.A. votierten .

26 Walte r GEORGII , Forsche n un d Fliegen . Ei n Lebensbericht , Tübinge n 1954 , S . 314 . Au f S . 10 7 schreibt er : »Weihnach t 1946 . Seit neun Monaten arbeite ich mit mehreren Ingenieuren meines Insti-tuts in Paris, wohin mich der französische Luftfahrtministe r berufe n hatte.«

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(was er in seiner Autobiografie nicht thematisiert) im besetzten Frankreich die tech-nische Aufsicht über ein Lastenseglerprojekt mi t dem damals hochmodernen Lami-narflügel, welcher von der S.A. Française des Recherches Aéronautiques (SAFRA ) entwickelt wurde27. Einige Deutsche konnten auf Erfahrungen in Frankreich aus der Zeit der deutschen Besatzung zurückgreifen .

Es verbleiben beträchtlich e Forschungslücken . O b ferne r - s o die französisch e Sicht, zugleich eine Priorität anzeigend - »le père de la V-l«28, Professor Otto Krae-mer, etwa beim Nachbau de r V-l i m Arsenal mitwirkte, ist derzeit offen. Wie viele der erwähnten 677 2 deutschen Techniker , die aus den Lagern für Kriegsgefangen e ausgesondert wurden , i m Rüstungsbereic h täti g wurden , is t gleichfall s nich t be-kannt. Zumindest gemäß der Wahrnehmung der französischen Elite n sind aber mit der hie r vorgelegten Zusammenstellun g di e meisten und vor allem die wichtigsten »französischen« deutsche n Rüstungsfachleute erfaßt .

Die angeführten Zahlen gewinnen Profil erst durch den internationalen Vergleich. Die meiste n deutsche n Fachleut e au s der Rüstun g de s Dritten Reiche s hatt e di e UdSSR rekrutiert, 3000 bis 3500 Mann29. Frankreich folgt mi t rund 80 0 Rüstungs-fachleuten a n zweiter Stelle. Für die USA, welche ähnlich wie die Sowjets über gut organisierte Strukturen für da s Aufgreifen deutsche r Experten verfügten, wird eine durchschnittliche Gesamtzahl von 518 transferierten deutsche n Rüstungsfachleute n angegeben30. Die Situation in Großbritannien is t wenig erforscht. Vie l spricht auf-grund der restriktiven Haltung der britischen Behörden für die von Ciesla referierte Zahl von 201 Personen 31. Der britische Historiker Carl Glatt geht in seiner unveröf-fentlichten Dissertatio n allerdings von einer ähnlichen Gesamtzahl für Großbritan -nien aus, wie sie für Frankreich gilt32. Insgesamt, so Ciesla, sind bei den vier Haupt-siegermächten al s »intellektuelle Reparation« »zwische n 550 0 und 750 0 Personen« als Naturwissenschaftler un d Techniker deutscher Nationalitä t nach 194 5 tätig ge-worden. Nimm t ma n di e Abwanderung deutsche r Rüstungsfachleut e i m gleiche n Zeitraum in andere Länder hinzu, so erhöht sich die Grundgesamtheit - s o Ciesla -um weitere 500 Personen33.

27 S o ei n Berich t amerikanische r Dienststelle n kur z nac h de r Befreiung : Majo r Joh n W . Loga n u.a. , Aircraft - Pari s zone, Combinée ! Intelligence Objective s Sub-Committee , C- 2 Division , SHAE F [Rear], A PO 413, Aug. 28-Sept. 9 [1944], S. 16. Weiter zit. als »Logan-Bericht« . De r Verf . dank t Burghard Ciesl a für de n Hinweis au f dieses Dokument .

28 BOSSUA T [1993 ] (wie Anm. 8 ) S. 602; BOSSUAT [1994 ] (wie Anm. 8 ) S. 154. Kraemer hat , hier schei -nen di e französischen Dienst e fehlinformier t gewese n z u sein , im Krieg e i n Kie l un d Eckernförd e Torpedos entwickelt . Auch war e r nicht promoviert, sonder n wurde, wie es in den technischen Dis -ziplinen häufi g geschieht , al s Dipl.-Ing . i n ei n Hochschullehram t berufen . Gerhar d FIESELER , i n dessen Werk die V-l unte r der Bezeichnung F i 10 3 entwickelt und gebau t wurde, erwähnt i n seine n Erinnerungen Kraeme r nicht , wohl aber namentlich eine Anzahl andere r führender Projektbeteilig -ter (Gerhar d FIESELER , Mein e Bah n a m Himmel . De r Erbaue r de s Fiesele r Storc h un d de r V- l er -zählt sein Leben, München 1979 , bes. S. 251-267).

29 Ein e genauere Abklärung diese r Zahl finde t sic h in dem Forschungsberich t Ulric h ALBRECHT , An -dreas HEINEMANN-GRÜDER , Aren d WELLMANN , Di e Spezialisten . Deutsch e Naturwissenschaftle r und Techniker i n der Sowjetunion nac h 1945 , Berlin 1992 , S. 176f .

30 CIESL A (wi e Anm . 6 ) S . 294 . 31 CIESL A (wi e Anm . 5 ) S . 41 . 32 Ibid . 33 Ibid .

Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 14 3

Die französisch-deutsche Liaiso n in der Düsentriebwerkstechnik 1. BMW/SNECMA

Wie di e andere n Siegermächt e auc h sucht e di e französisch e Besatzungsmach t di e technologische Hinterlassenschaf t de s Dritte n Reiche s auszuwerte n un d möglichs t großen Nutze n au s dieser z u ziehen . I m Vergleich mi t de n andere n Siegermächten , besonders den Angelsachsen, is t ihnen dies bemerkenswert gu t gelungen. Die Brite n zeigten sich überzeugt, daß ihr Pionier in der Technologie der Düsentriebwerke, de r spätere »Sir« Frank Whittle, mit den Deutschen zumindest gleichauf gewese n sei. Sie interessierten sich nicht für di e deutschen Jet-Triebwerke. Ähnlich die seinerzeit von britischer Technologie abhängigen Amerikaner . Lediglich die US-Navy, welche sic h in de r Rivalitä t de r amerikanische n Teilstreitkräft e hintangestell t sah , lie ß i n Stutt -gart-Zuffenhausen i n de n Heinkel-Werke n nac h 194 5 eine Kleinseri e vo m Düsen -triebwerken de s Muster s HS- 3 bauen 34, u m eine n unabhängige n Zugan g z u diese r neuen Technologie z u gewinnen . Der Vorgang zeigt , wie unbekümmert all e Alliier -ten die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens über das Verbot der Fortführun g von Rüstungsproduktio n i m besetzten Deutschlan d mißachteten , wenn e s ihren ei -genen Interessen förderlich war .

Mit der Option für di e Technologielinie der Jets von BMW votierten die französi -schen Behörde n fü r di e modernste Variant e de r Düsentriebwerk e i n de r Hinterlas -senschaft de s Dritten Reiches . Unter Leitun g von Dr.-Ing. Hermann Oestric h hatt e BMW mit seiner Entwicklungsabteilung im Kriege in Berlin-Spandau entscheidend e Fortschritte bei m Ba u de r neuartige n Düsentriebwerk e erziele n können . Da s Ent -wicklungsteam setzt e sein e revolutionäre n Entwicklungsarbeiten , damal s noc h ge -gen die Alliierten, ab Oktober 194 4 unterirdisch in einem stillgelegten Salzbergwer k bei Staßfur t for t - fü r di e Entwickler vo n hochmoderne n Düsentriebwerke n gewi ß ungewöhnliche Arbeitsbedingungen . I m Apri l 1945 , unmittelbar nac h de r Erobe -rung diese s Teil s Deutschland s durc h amerikanisch e Truppen , wurd e Dr . Oestric h mit mehreren Mitarbeitern von amerikanischen Dienststellen verhört. Die aus diesen Anhörungen gewonnene n Erkenntniss e veranlaßte n di e amerikanische n Behörde n mit Blick auf die Tatsache, daß die Russen i m Sommer 194 5 gemäß den inter-alliier -ten Abkommen über die Aufteilung de r Besatzungszonen Staßfur t besetze n würden , die BMW-Düsentriebwerksexperten mitsam t ihren Familien schleunigs t i n die ame-rikanische Zon e z u verlegen . Di e Triebwerksexperte n kame n provisorisc h i m vor -maligen BMW-Wer k Milbertshofe n i n Münche n unter , w o sic h ei n technologisc h anspruchsvoller Höhenversuchsstan d fü r Düsenantrieb e befand 35.

Hier setzte eine Phase intensiver Befragungen durc h Offiziere de r drei westalliier-ten Mächt e ein . A m End e kristallisiert e sic h fü r di e BMW-Grupp e ein e deutlich e Alternative heraus. Die amerikanischen Verantwortlichen, wie in anderen Fällen auch

34 Dies e Episode berichte t Erns t HEINKE L in seinen Erinnerungen, Stürmisches Leben , Preetz/Holst. , 5. Aufl. 1963 , im Anhang .

35 Dies e Herbitus genannte Anlage wurde 1945/46 in die USA verbracht und war einer deutschen Veröf-fentlichung au s dem Jahre 198 4 zufolge »heut e noch auf dem Air Force Arnold Engineering Center i n Tullahoma, Tennesse e fü r di e Erprobun g amerikanischer , militärische r Großtriebwerk e i m Einsatz « (Erinnerungen 1934-1984 . Flugtriebwerkbau i n München, Hg. MTU München, München 1984 , S. 62).

144 Ulrich Albrecht

an den Führungskräften von Technologieteams interessiert, offerierten Oestrich und elf seiner Mitarbeiter Verträge. Die Briten zeigten sich nicht interessiert. Die Franzo-sen hingegen, des enormen Potentials der Gruppe für de n Aufbau eine r eigenstän-digen Düsen-Triebwerkindustrie i n Frankreich gewahr , boten an, Dr. Oestrich und 120 seiner Mitarbeiter Wirkungsmöglichkeiten i n Frankreich zu geben. Gimbel be-richtet, daß in der Sicht der amerikanischen Dienststellen das BMW-Team von den Franzosen mehr oder minder entführt wurde36.

Der Rest der Story war für di e französischen Dienst e Routine. Die Gruppe »O« (für Oestrich, unter französischer Mißachtun g des Umlauts) war in die französische Zone zu verbringen. Die BMW-Ingenieure wurden im November 194 5 in ein vor-maliges Dornier-Zweigwerk nac h Lindau-Rickenbach a m Bodensee umgesiedelt 37. Der selbstgewählte Name der Gruppe, ATAR, im Protest gegen den Code-Name n Gruppe »O« angenommen, spiegelt bis heute verkappt diesen Neubeginn: unter fran-zösischer Obhu t beganne n di e vormaligen BMW-Mitarbeite r nunmeh r fü r Frank -reich Düsentriebwerke z u entwickeln , al s »Atelier Aéronautique de Rickenbach«. Das Werk Rickenbach wurde 1948 , nach dem Abzug des ATAR-Teams, der Firma Dornier demontiert zurückgegeben.

Im Oktober 1945 , noch im bayrischen Milbertshofen, hatte n die Entwurfsarbei -ten für di e Serie von Düsentriebwerken begonnen , die zehn Jahre später unter de r Bezeichnung ATAR 101 (ATA R 1, Projekt 1 ) eine Weltkarriere antreten sollten. Zu-gleich wurde die Gruppe zunehmend französisiert. Das Ministère de PAir beschloß im Juni 1946 , dem deutschen Team französische Ingenieur e zu attachieren, und die vormaligen BMW-Ingenieur e au s de r Besatzungszon e nac h Deciz e a n de r Loir e (Dept. Nièvre) zu verlegen. Die deutsche Gruppe wurde »mit den zunehmend zahl-reicher werdenden französischen Mitarbeitern« 38 unter der verschleiernden Bezeich-nung »Groupe Technique Voisin« dem gleichnamigen Unternehmen Société Aéro-planes Voisin, einen der großen Namen der französischen Luftfahrtgeschicht e nut -zend39, faktisch der SNECMA (Société Nationale d'Études et de Constructions des Moteurs Aéronautiques) , dem führenden Staatsbetrie b für Flugmotoren , zugeord -net. 195 0 ging Voisin in die SNECMA über . 195 3 gelangten di e deutschen Trieb-werkbauer endgültig an den Ort ihrer Bestimmung: in der Nähe des Flugversuchs-zentrums Villaroche im Süden von Paris kamen sie nach Dammarie-les-Lys im De-partement Seine et Marne. Dr.-Ing. Oestrich stieg 1950 zum »Technischen Direktor« der SNECMA für den Bereich Gasturbinen auf40.

36 »The y spirited away twelve specialist s who ha d already been selected and cleared for eventual éva-cuation to the United States and whom the U.S. Air Forces employed temporarily at Bayrische Mo-torenwerke (BMW ) i n Munich while contractua l détails were bein g worke d out« , GIMBE L (wi e Anm. 13) S. 31 .

37 De r kleine Ort Rickenbach wird in der französischen Literatu r durchweg falsch mi t »Richenbach « wiedergegeben. Über dieses Dornier-Werk informier t in Einzelheiten eine Sonderausgabe der Dor-nier-Post au s dem Jahre 1984 , nachgedruckt i n dem zitierten DGLR-Bericht 87-0 3 (wie Anm. 22), mit Bezugnahme auf die ATAR-Entwicklung bes . S. 62.

38 Kyril l von GERSDORFF , Kurt GRASMANN, Flugmotoren und Strahltriebwerke, Koblenz 21985, S. 226. 39 Vgl . Claude CARLIER , L'Aéronautique Française 1945-1975, Lavauzelle 1983 , S. 13. 40 Oestric h blieb für ein Jahrzehnt bis 196 0 in dieser Funktion. 196 2 wurde er zum Ritter der Ehren-

legion ernannt. Bis zu seinem Ableben 1973 stand er der SNECMA als Berater zur Verfügung. Weitere Einzelheiten bei BOSSUAT [1994] (wie Anm. 8) S. 160-165 (der Oestrich gar zum Professor macht).

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältnis (1945-1960) 14 5

Das ganze Manöver zeigt deutlich die Handschrift de r Geheimdienste: die Wahl von Zwischenstatione n fü r da s deutsch e Team , di e Nutzun g vo n Tarnnamen . Oestrich erwarb 1948 die französische Staatsbürgerschaf t - ei n für Deutsche damals ungewöhnlicher Vorgang. Dies verweist darauf, daß man sich auf französischer Seit e des überragenden Wertes der BMW-Gruppe für de n Aufbau eine r modernen Flug-motorenindustrie im Nachkriegsfrankreich vol l bewußt war.

Oestrich beließ wichtige Mitarbeiter i n Frankreich in eben den Funktionen, die sie in Berlin-Spandau i m Kriege ausgeübt hatten . Die wichtigste Abteilung, Kon-struktion, unterstand hier wie dort Hans Roßkopf. Die Vorentwicklung wurde von Dr. Münzberg geleitet , der zuvor in Berlin al s Aerodynamiker vergleichbar e Auf-gaben erfüllte. Alfred Renner , im Kriege Verantwortlicher für die Konstruktion der Muster BMW 003 und 018, übernahm beim ATAR eine ähnliche Funktion41. Auch wandte Oestrich, was einen raschen Erfolg ermöglichte, konstruktive Vorgaben aus dem Dritten Reich an. Im Oktober 1948 beschrieb er seine Vorgehensweise selbst:

»Bei de r Auslegun g de s ATA R 10 1 waren insbesonder e zwe i Gesichtspunkt e maßgebend. So sollte einmal die Konstruktion so erfolgen, daß keinerlei Risiko ein-gegangen werden mußte, d.h. es sollten nur bewährte Bauteile verwendet werden .. . Als zweiter Gesichtspunk t tra t di e Ausnutzung des kleinen Durchmessers be i der Projektierung des ATAR 101 besonder s in Erscheinung«42.

Der zweitgenannt e Aspek t bedar f de r Erläuterung . Nebe n de n Axialkompres -soren, denen Oestrich mit ihrem geringen Stirnquerschnitt weitsichtig den Vorrang gab, wurd e der zeitgenössische Düsentriebwerkbau besonders im damals führenden England von Jets mit Radialkompressoren bestimmt , weil vermeintlich die Radial-bauweise zusätzliche Verdichtereffekte erbrachte . Besonders für Überschallflugzeu -ge setzte sich aber die axiale Bauweise mit ihren geringen Querschnitten durch.

Das Düsentriebwerkprojekt kam zügig voran. Im Juni 1946 gingen die ersten Sätze von Zeichnungen für de n Bau der Versuchsmuster an die SNECMA. Am 26. März 1948 fand der erste Probelauf eines ATAR statt, 1949 erfolgten Dauertests, Ende 1949 wurde di e Flugerprobung i n mehrmotorige n französische n Flugzeuge n begonnen . Im Rahmen einer insgesamt dreißigjährigen Entwicklung erreichte der ATAR Schritt für Schritt hohe Reifegrade in der Zuverlässigkeit und im Leistungsvermögen.

Die ATARs von SNECMA dominierten rasch den französischen Düsentriebwerk -bau. Hispano-Suiza, der Hauptkonkurrent de r SNECMA, setzte auf den Lizenzbau und die Weiterentwicklung britischer Düsentriebwerke, vor allem von Rolls-Royce. Nach Anfangserfolgen (solc h ein britisches Aggregat sorgte etwa für den Antrieb von Dassaults erstem Düsenjäger, dem Muster M.D. 45 0 Ouragan) gab Hispano-Suiza auf . Die traditionsreiche Firma Société Râteau, die - wi e ein zeitgenössisches britische s Handbuch hervorhebt - ga r unter deutscher Besatzung die Jet-Entwicklung fortsetzte (»clandestine work continued under considérable difficulties«)43, fiel mit ihrem durch-aus überzeugende n 101-Entwurf durch und gab bald darauf ebenfalls auf. Turboméca,

41 Grundlag e dieser Ausführungen is t eine Datenbank, in der die Namen der meisten Deutschen, die in Frankreich im Rüstungssektor tätig wurden, enthalten sind.

42 Herman n OESTRICH , Vom BMW 003 zum ATAR 101 , Teil II: Der ATAR. Aufbau, Funktion, Ferti-gung. Interner Bericht, vervielf. Man., 1948.

43 Leonar d BRIDGMAN, Jane's All the World's Aircraft, 1951-52 , London 1951 , S. 18d.

146 Ulrich Albrecht

später di e Nr . 2 i m französische n Flugmotorenbau , konzentriert e sic h au f Klein -triebwerke, bemerkenswerterweis e auc h zunächs t i n eine m deutsch-französische n Projekt.

2. Daimler-Benz/Turboméca

Ab November 194 5 sammelte n die Franzosen in ihrer Besatzungszone in Bregenz am Bodensee eine zweite Gruppe von deutschen Triebwerkspezialisten aus dem Bereich der BMW-Konkurrenz Daimler-Benz . Das schwäbische Prestigeunternehmen hatt e im Dritten Reic h spä t sein e Dominan z i m Flugmotorenba u auc h i n di e neuartig e Technologie der Düsenmotoren fortzusetzen versucht , mit wenig Erfolg. Die Daim-ler-Projekte litten unter überhöhten Vorgaben (so wollte man im Kriege die Konkur-renz durch Zweistromtriebwerke ausstechen), sowie vor allem unter überambitiösen Flugzeugentwürfen. So hatte Dipl.-Ing. Fritz Nallinger, im Kriege für diese Projekte verantwortlich, später im Nachkriegsdeutschland prominentes Mitglied des Vorstan-des de r Daimler-Ben z AG , kompliziert e Huckepack-Bombe r konzipiert , u m vo n Deutschland aus New York erreichen zu könen. Sein Projekt »A« sah ein vielmotori-ges Trägerflugzeug vor , welches zwischen seinen überhohen Fahrwerkbeine n eine n Bomber i n große Höhen un d übe r eine n große n Tei l einer interkontinentalen An -flugstrecke schleppe n sollte . Stat t eine s Bombers sucht e Nallinge r i m Nachkriegs -frankreich nunmeh r ei n Huckepack-Passagierflugzeug fü r transatlantisch e Strecke n zu entwickeln, Bezeichnung nunmehr Ultra-Rapid/UR-1. Ein Trägerflugzeug sollt e wie beim Daimler-Benz-Projekt »B « mit vier Propellerturbinentriebwerken ei n un-tergehängtes Düsenflugzeug über den ersten Teil einer Transozean-Strecke befördern .

Joseph Szydlowski, Gründer und Präsident der Société Turboméca, nahm direk-ten Antei l a n de r Akquirierun g de s deutschen know-how . Sei n 193 8 gegründetes Unternehmen war im Juni 1940 vo n Billancourt nach Bordes in den Pyrenäen verlegt worden (zwische n Pau und Lourdes gelegen) un d konnt e hoffen , aufgrun d de r größeren Kontinuität seiner Tätigkeit (im Vergleich zu den um Paris herum angesie-delten Konkurrenzunternehmen) i m Flugmotorenbau i m Nachkriegsfrankreich di e Führungsrolle zu übernehmen.

Über den Beginn der Tätigkeit der Gruppe informiert ein Beteiligter: »Nach einer Reihe von Kontaktaufnahmen versammelt e sich im Winter 1945/4 6

unter Leitung von Herrn Nallinge r eine Gruppe von Ingenieuren vorwiegend von Daimler-Benz, aber auch von Junkers und Heinkel und von Fachleuten auf Spezial-gebieten, die für Triebwerksentwicklunge n wichti g waren , i n Lindau/Bodensee . Auch eine Focke-Wulf-Gruppe unte r Mittelhuber und Quenzer und eine Gebläse-gruppe unter Dr. Eckert schlössen sich uns an. Die französischen Behörde n stellten der deutschen Gruppe das ehemalige Dornier-Werk in Bregenz-Tannenbach als Ar-beitsplatz zu r Verfügung . Si e brachten un s auc h mi t de m Che f de r französische n Firma >Turboméca<, Herrn Szydlowski, in Verbindung, der sich darum bemühte, die Gruppe bei sich anzustellen«44.

44 Geor g OBERLÄNDER, Die ersten Kleingasturbinen für die Luftfahrt. Erinnerungen an die Aktivitä-ten be i Turboméca in Frankreich , in: Deutsche Gesellschaf t fü r Luft - un d Raumfahr t e.V. , Di e Tätigkeit deutscher Luftfahrtingenieure un d -Wissenschaftler im Ausland nach 1945, S. 30. Zu der deutschen Gruppe bei Turboméca s. auch BOSSUAT [1994] (wie Anm. 8) S. 157.

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 14 7

Ab Dezember 194 5 schloß Turboméca Anstellungsverträge mi t den Deutschen . Im Juni 1946 wechselt e die Gruppe von mittlerweile etwa 125 deutsche n Ingenieuren und Technikern per Sonderzug45 zu Turboméca nach Frankreich. Sie wurd e proviso-risch in Nay, rund zehn Kilometer von Bordes entfernt, untergebracht 46. Das deut-sche Team konzentrierte sich zunächst auf die Entwicklung der schweren Triebwerke (6000 kp Schub, im Vergleich zu den etwa 2000 kp des ATAR) für da s Transozean-Flugzeug UR-1 .

Firmenchef Szydlowsk i benötigt e run d ei n Jahr, u m z u begreifen , da ß e r ein e grandiose unternehmerische Fehlentscheidung getroffen hatte . Seine Firma war von dem Projekt, Huckepack-Flugzeuge und die Triebwerke dafür z u entwickeln, tech-nisch und aufgrund ihrer bescheidenen Größe einfach überfordert. Da konnten auch die Deutschen nicht als Ausgleich dienen. Ende 1947 wurden die Arbeiten abgebro-chen. Die Mehrzahl de r deutschen Ingenieur e und Technike r kehrt e Anfang 194 8 nach Deutschland zurück .

Szydlowski behielt rund 20 Deutsche zurück47, um ein realistischeres und späte r ungemein erfolgreiches Firmenkonzept umzusetzen, den Bau von kleinen Gasturbi-nen als Antriebe fü r Kleinfluggerät . Au s der Triebwerkentwicklung klaubt e er die sogenannte »Grupp e Eckert« heraus , die für di e anspruchsvollsten Komponenten , Verdichter und Turbinen, zuständig gewesen war, und e r bot rund einem Dutzend weiterer Deutscher Verträge für eine weitere Zusammenarbeit an48. Das Wirken die-ser Gruppe läßt sich technologisch bis heute nachzeichnen. Die von den Deutschen schon im Kriege bevorzugten Ringbrennkammern (anstell e der ansonsten vorherr -schenden Einzelkammern), bei Turboméca mit rotierender Einspritzung, sind nach wie vor Charakteristikum dieser Technologielinie geblieben.

In de r staatliche n französische n Politi k spielt e di e Nallinger-Truppe erkennba r immer eine sekundäre Rolle und gal t allenfalls al s eine Art Rückversicherung, fall s das BMW-Team unter Oestrich nicht anschlagen sollte. Die französischen Behörde n verzichteten auf die Tarnmanöver, welche sie im Falle BMW für erforderlich hielten, und ließen das Nallinger/Turboméca-Team direkt von Bregenz nach Südfrankreic h wechseln. Ein transozeanisches Passagierflugzeug war damals gewiß von geringerer Priorität als ein Triebwerk für künftige Kampfflugzeuge .

Eine deutsche Luftfahrtgeschichte verzeichne t dennoc h einen allgemeineren Er -folg der Turboméca-Affaire:

45 OBERLÄNDE R (wi e Anm . 44 ) S . 30 . 46 BOSSUA T [1993 ] (wi e Anm . 8 ) S . 60 2 gib t da s nah e Tarbes al s Standor t de r Nallinger-Grupp e an .

OBERLÄNDER (wi e Anm. 44) S. 30 f. referier t Einzelheiten : »Das Werksgelände war ein ehemalige s Gut. De n Gutsho f bewohnt e Szydlowski , i n eine r ehemalige n große n Scheun e wa r di e Werkstat t mit einer Reihe von Werkzeugmaschinen untergebracht , und im Verwaltungsgebäude ware n Büros eingerichtet. Nu n wurd e fü r di e deutsch e Grupp e un d di e scho n i n Borde s tätige n französische n Mitarbeiter im benachbarten Ort Nay die Halle einer ehemaligen Textilfabrik als Arbeitsplatz ange-mietet.«

47 Ein e nennenswert e Grupp e diese r Fachleute wandert e nac h Argentinien aus , vgl. di e Dissertatio n von Ruth STANLEY , Die Migration deutscher Natur- und Technikwissenschaftler nac h Lateinameri -ka (Diss. FU Berlin 1996).

48 Einzelheite n zu r Kleinturbinenentwicklun g be i Turboméca ausführlich be i OBERLÄNDE R (wi e Anm. 44), dem nachmaligen Chef dieser Abteilung.

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»Nach dem Abbruch der Arbeiten an den großen Triebwerken entstand eine im wesentlichen mit deutschen Spezialisten in der Leitung besetzte effektive Organisa -tion, mit vielen jungen französischen Ingenieuren« 49.

Deutsche als Begründer von euro-französischer Raketentechnologi e 1. Peenemünde/LRBA

Beim Versuch des befreiten Frankreich , zügig Anschluß an den Rüstungsstand de r führenden Militärmächte zu gewinnen, standen verständlicherweise auch in der Luft-rüstung die »Wunderwaffen« de s Dritten Reiches, die Flugbombe V-l sowie die Fern-rakete V-2, au f der Prioritätenliste obenan. Immerhin war Paris Ziel von V-2-Raketen gewesen (e s wurden 2 1 Einschläge i m Stadtgebie t verzeichnet , von insgesam t 7 8 V-2 Angriffen au f französische s Territorium) 50, und e s gab Startanlagen fü r V-l -Geschosse au f französische m Gebiet . Nac h de r Befreiun g stellte n di e überrasch -ten französischen Behörde n fest, daß ihr Land gar an der Produktion der deutschen V-Waffen beteilig t gewesen war. I n der Region Longwy fanden sich nach dem Rück-zug de r Deutsche n Vorbereitunge n fü r di e täglich e unterirdisch e Fertigun g eine r Großserie von 10 0 bis 15 0 V-l. In Watten im Departement Nor d hinterließe n di e Deutschen Produktionsanlagen für Treibstoffe de r V-2 sowie Startanlagen für diese Rakete.

Es war vor allem das Verdienst eines Mannes, Professor Henri Moureu, Leiter des wissenschaftlichen Dienste s de r Stad t Paris , der au s zahlreiche n Einzelheite n wi e den Einschlagdaten deutsche r Waffen Informatione n übe r di e V-Waffen sammelte , daß da s unabhängig e Frankreic h zügi g eigen e Erkenntniss e übe r dies e neu e Rü -stungstechnik erhielt51. Ab Mai 1945 arbeitete Moureu nicht mehr allein. Die franzö-sischen Behörden bildeten, nach alliiertem Vorbild, eine »Groupe Opérationnel des Projectiles Autopropulsés« (G.O.P.A.), um gezielt deutsche Raketentechnologie zu beschaffen. Au f Vorschla g de r D.E.F.A . vom 13 . August 194 5 wurde di e Grupp e dann am 14. November 194 5 in das »Centre d'Études des Projectiles Auto-propul-sés« (C.E.P.A.) unter der Leitung Moureus umgewandelt.

Am 9 . Mai 1945 , unmittelbar nac h der deutschen Kapitulation , brac h Professo r Moureu an der Spitze einer französischen Delegatio n auf , u m in der französische n Besatzungszone di e - s o der deutsch e Tarnname - »Porzellan-Fabrik « i n Ober -Raderach a m Bodense e z u untersuchen . Hinte r diese m Name n verbar g sic h ein e Prüf- und Abnahmeeinrichtung für Raketenmotoren der V-2. Moure u empfahl den französischen Dienststelle n de n sofortige n Abba u de r Einrichtunge n i n Raderac h und deren Überführung nac h Frankreich52. Unmittelbar darauf, vom 7. bis 29. Jun i 1945, bega b sich Moureu auf eine noch anspruchsvollere Reise in die amerikanische Besatzungszone nach Nordhausen am Südhang des Harzes, wo bald die Russen ein-ziehen sollten. Am 15. Juni erhielten die sehr beeindruckten Franzosen von den ame-

49 Vo n GERSDORFF , GRASMAN N (wi e Anm . 38 ) S . 231 . 50 S o VIELLAI N (wi e Anm . 9)S . 2 . 51 Daz u i m einzelne n VIELLAIN , ibid. , S . 3f , sowi e mi t de n gleiche n Detail s BOSSUA T [1994 ] (wi e

Anm. 8) S. 158-160. 52 VIELLAI N (wi e Anm . 9 ) S . 4 .

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 14 9

rikanischen Dienststellen die Erlaubnis, die unterirdischen Stolle n der »Mittelwer -ke« zu besichtigen, in denen KZ-Häftline V- l un d V-2 gefertigt hatten . Moureu er-reichte, daß die Amerikaner den Transfer von neun Bahnwaggons mit V-Waffentei-len nach Frankreich gestatteten , worunter sic h vier komplette V-l-Geschosse un d Vierfachsätze von V-2-Bauteilen (den Düsen, Turbogeneratoren und Servomotoren) befinden sollten . Mi t Datu m 18 . Juni 194 5 erhielt Moure u ga r die Mitteilung de s amerikanischen Oberkommandos , da ß Frankreic h zeh n vollständig e V- 2 erhalte n würde. Am 27. Februa r 194 6 teilte freilich das War Department in Washington mit, daß die USA diese Zusage nicht aufrecht erhalten könnten53.

Eine dritte Reise von Moureu i n das besetzte Deutschland gal t dem V-2-Test -gelände in Lehesten in Thüringen. Hier befragten di e Franzosen nunmehr deutsche kriegsgefangene Experten und nahmen als Beobachter an Testläufen von V-2-Moto-ren teil. Auf britische Einladung beobachtete Moureu ferner gemeinsam mit seinem Assistenten, Chovin, und Hauptmann Carrière im Oktober 1945 ein Probeschießen von V-2 Raketen in der Nähe von Cuxhaven, die »Operation Backfire«. Es handelte sich um ein illustres Treffen: die Briten hatten auch Amerikaner und Russen eingela-den. Auf russische r Seit e waren unte r andere n di e später führende n Raketenkon -strukteure S.P. Koroljo w und W.P. Gluschk o dabei54. , k

Bei dieser Gelegenheit bat Moureu die Russen um die Gelegenheit, Peenemünde zu besuchen. Die sowjetischen Militär s sagten dies zu, hielten sich aber später nicht an dieses Versprechen. Da sich rasch herausstellte, daß Amerikaner und Russen das deutsche Potential bei den zukunftsträchtigen Rakete n unter sich wirksam aufgeteil t hatten, blieb den Franzosen später vor allem die Option für die V-l.

Das Laboratoire de Recherches Balistiques et Aérodynamiques (LRBA)55 in Ver-non an der Seine diente als Sammelbecken alle r deutschen Raketenfachleute , dere r die Franzosen habhaft werden konnten. Das LRBA wurde 1946 als »zentrale Regie-rungsbehörde gegründet, um die nationalen Bemühungen zur Entwicklung von bal-listischen Raketen und Raumfahrttechnik z u koordinieren und zu steuern«56.

Erste Station aller Peenemünder, die in die französische Zon e gelangten, war ab 1946 das Städtchen Emmendingen nördlich von Freiburg. Dorthin wurden 28 deut-sche Aerodynamikfachleute verlegt , die mit ihrem Überschallwindtunnel von Peene-münde nach Kochel in Oberbayern gelangt und von den Amerikanern den Franzo-sen überlassen worden waren. Im Herbst 1945 wurde diese erste Gruppe von Peene-münder Spezialiste n unte r Vertra g genommen 57. I n de n Personalunterlage n de r Deutschen steht wiederholt »LRBA Emmendingen« - s o als ob dieses französisch e Staatsunternehmen ein e förmlich e Außenstell e i n Deutschlan d unterhalte n hätt e (dies schreibt etwa der renommierte Aerodynamiker Dr. Klaus Oswatitsch, der zu-

53 Ibid. , S. 5. 54 Ibid. , S. 6. 55 Au f Vorgängerinstitutione n wi e da s Centre d'Étude s des Projectiles Autopropulsé s (CEPA) ode r

das Centre d'Études de Fusées in Vernon wird hier vereinfachend nicht weiter eingegangen. 56 Rober t S. NORRIS, Andre w S . BURROWS , Richar d W . FIELDHOUSE , British , French , an d Chines e

Nuclear Weapons, Vol. V des Nuclear Weapons Databook, Boulder , Col. 1994, S. 194. In dieser in-formativen Gesamtdarstellun g der französischen Kernwaffenentwicklun g un d der Trägermittel fin -det die deutsche Zuarbeit keinerlei Erwähnung.

57 VIELLAI N (wi e Anm . 9 ) S . 6 .

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vor für zwe i Jahre beim Royal Aircraft Establishmen t im englischen Farnboroug h tätig gewesen war). Dieses Detail illustriert die Zielstrebigkeit, mit der in Frankreich Raketenfachleute au s dem Dritten Reic h in eine zentrale Einrichtung fü r di e Ent -wicklung unbemannter Flugkörper integriert werden sollten.

Die erste n Kontakt e zwische n de n Peenemünde r V-2-Konstrukteure n un d de n Franzosen entstanden eher zufällig. Im Frühjahr 194 6 kam Dr. Helmut Weiß, der bis zu diesem Zeitpunkt mi t dem britischen Ministry o f Supply (MOSEC, mit Stand-orten in Cuxhaven und Trauen bei Munster) in V-2-Fragen einen Vertrag hatte, aus familiären Gründe n nach Emmendingen, und hörte von dem Interesse der Franzo-sen an Raketen. Bei seiner Rückkehr erzählt e er im Kollegenkreis davon, und zwei weitere Ex-Peenemünder, Dr. Jauernick und der Ingenieur Helmut Habermann, be-kundeten Interess e daran , mi t französische n Dienststelle n Kontak t aufzunehmen . Dr. Graf , vormal s Betriebsleite r de r Aerodynamikergrupp e i n Kochel , nunmeh r Verwaltungsleiter de s Büros i n Emmendingen , dient e al s Mittelsmann . Jauernick , Habermann un d Weiß erhielten am 6. Mai 194 6 von der D.E.F.A. Anstellungsver -träge. Die französischen Offizier e erklärte n den Deutschen, daß sie an der Anstel-lung weitere r deutsche r Raketenfachleut e interessier t seien , und nannte n Quote n von bis zu 35 Deutschen für ein e Gruppe, die Raketenantriebe baue n sollte, sowie von 25 Deutschen, die an Raketensteuerungen arbeiten sollten58.

Im Mai 1946 setzt das »deutsche« Raketenprogramm de r französischen Arme e in Emmendingen vol l ein. Am 15 . Mai 1946 und in den folgenden Tage n wurden 35 Dienstverträge mit Peenemündern abgeschlossen, die vom britischen MOSEC zu den Franzosen überwechselten, oder die von den neuen deutschen Mitarbeitern fü r französische Dienst e angeworbe n wurden . Bi s zur Überführun g nac h Frankreic h von März bis Mai 1947 wuchs das LRBA Emmendingen au f run d 10 0 Mitarbeiter an59. In den Nachbarstädten Denzlingen und Riegel wurden weitere Räume für di e Deutschen und ihre Familien freigemacht. Emmendinge n blieb der zentrale Stand-ort, welche r direk t de r französischen Militärregierun g i n Baden-Bade n unterstell t wurde. Jauernick, der bis in die Tage der Ariane-Rakete in führenden Positionen die-ser Art in Frankreich arbeiten sollte, wurde zum Leiter der Gruppe »Études Aéro-dynamiques Propulsion« bestimmt. Dr. Otto Müller übernahm die Gruppe »Études Aérodynamiques Guidage«.

Eine kleinere Gruppe von zwölf anderen Raketenfachleuten war schon im Okto-ber 1946 nach Puteaux verbracht worden. Vier Deutsche erhielten dort den Auftrag, von den Briten überlassene V-2-Unterlagen zu sichten und zu ergänzen.

Aufgabe der Raketengruppen war die Ergänzung der französischen Beständ e von technischen Unterlagen über die V-2 und die Flugabwehrrakete Wasserfall. Außer -dem sollten die Deutschen die Anlagen für ein e Flugkörperentwicklung un d -ferti -gung in Frankreich entwerfen. Im August 1946 war ein erster nennenswerter Erfol g zu verzeichnen. Heinz Bringer, in Peenemünde Assistent eines der deutschen Rake-tenpioniere, Walter Riedel, legte in Riegel die Bauzeichnungen für ein Raketentrieb-werk mi t 40 Tonnen Schub vor. Neuartig war ein die Konstruktion gegenübe r der

58 Detail s nach VIELLAIN, ibid., S. 9. 59 Di e erste Gruppe Emmendinger, die aus Kochel kommende Aerodynamikgruppe, ging nicht nach

Vernon, sondern 1950 zum LRSL in Saint-Louis.

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältnis ( 1945-1960) 15 1

V-2 vereinfachende r Gasgenerator , mi t de m Bringe r seinerzei t be i Wernhe r vo n Braun nicht zum Zuge gekommen war. Der Bringersche Entwurf profitiert e ferne r von den Arbeiten bei m MOSEC. Jahrzehnte späte r zeichnete Bringer verantwort -lich für den Viking-Motor der europäischen Trägerrakete Ariane.

Ein Bericht über den Stand der Arbeiten vom 23. Dezember 1946 endete mit dem Vorschlag, etwa 30 V-2-Raketen aus vorhandenen Bauteilen und noch herzustellen-den Komponenten in Frankreich zu fertigen und zu verschießen. Rund drei Viertel aller V-2-Teile für diese Kleinserie waren in Frankreich verfügbar. Es fehlten beson -ders Teile der Steueranlage. Als Testgelände für di e Schießversuche war die Region Guir, südöstlich Ton Colomb-Béchar in Algerien, ausersehen worden. Die Franzo-sen hofften , s o ihre »Raketenlücke « i n einem Zeitraum von zwe i bi s drei Jahren schließen zu können. Bei der Detailplanung stellte sich dieses Ziel als unrealistisch heraus. Die Montage der V-2 sollte in einem besser als Vernon zu sichernden und erst neu zu bauenden Werk in der Schlucht von Bede, in der Nähe von Gramat in der Re-gion Lot , erfolgen , un d auc h die Konstruktio n de r Prüfständ e i n Algerien würd e mehr Zeit erfordern. Die ersten Flugversuche würden realistischerweise erst im Jah-re 1952 erfolgen können.

Im Jahre 194 7 war da s für di e französischen Behörde n ei n zu lange r Zeitraum . 1952 würde man voraussichtlich dann überholte Raketentechnik testen. Im Mai 1947 wurde entschieden, den Nachbau der V-2 nicht weiter zu verfolgen, und statt dessen die in Peenemünde konzipierte Rakete A 9 (eine verbesserte Variante der V-2) weiter zu entwickeln. Die A 9 sollte eine Reichweite von 700 km (statt der 350 km der V-2) erreichen, und mit Bringers Raketenmotor von 40 Tonnen Schub stand auch ein ge-eigneter Moto r i n Aussicht . I n de r Folgezei t wurde n verschieden e Variante n de s Projekts 421 2 oder »Supe r V-2« berechnet. Im Frühjahr 194 8 wurden jedoch auch diese Arbeiten abgebrochen - angesicht s der Erfordernisse de r Aufbaujahre schie n den Verantwortlichen eine französische Rüstun g mit schweren Raketen als zu vage Aussicht mit zweifelhafter Erfolgschance .

Hernach wurde für bescheidener e Zielsetzungen gearbeitet . Die Treibstoffkom -bination fü r di e »Supe r V-2« , Salpetersäure un d Kerosi n (reguläre r Treibstof f fü r Düsenmotoren) wurde für das Projekt einer Versuchsrakete, der Véronique, mit der Nummer 4213 übernommen. Über das Zwischenmuster Eole wurde die Véronique hernach al s eigentliche französisch e Adaptio n de r V2-Technologie vol l durchent -wickelt. Die Versuchsreihe Véronique bildet das Urmuster aller nachfolgenden fran -zösischen Raketentypen.

Die »Antriebsgruppe« i n Vernon konstruierte in der Folge eine Serie von Rake-tentriebwerken, die heute sowohl die technologische Grundlage für die Fernraketen der »Force de Frappe« (die Muster M-4 auf fünf französische n Raketen-U-Booten , sowie die zwei Schwadronen S- 3 Raketen in unterirdischen Silos ) abgibt wie auch die Grundlage für die Serie von Trägerraketen Ariane für kommerzielle Nutzlasten. Das Team unter Heinz Bringer erzeugte die bekannte »V«-Serie (in Anspielung auf den Standor t Vernon ) vo n französische n Raketenmotoren , namen s Vexin , Valois, und Viking. Diese Aggregate spielten eine bedeutsame Rolle bei französischen Ver -suchen, zu einer eigenständigen Raketentechnologie zu gelangen.

Die »Steuerungsgruppe « began n 194 8 mi t de r Entwicklun g eine s militärische n Projektes, de r Flugabwehrraket e P.A.R.C.A . (Projectile autopropulsé , radioguid é

152 Ulrich Albrecht

contre avions). Es folgten die Steuerungen für die Raketen Diamant und das Europa-Projekt ELDO . Wi e be i de r späte r nachfolgende n Europa-Raket e wurde n bei m ELDO-Konzept di e Schwierigkeite n augenscheinlic h zunächs t unterschätzt . De r Europa-Rakete gelang nie ein erfolgreicher Start .

Aus dem LRBA-Team bildete Eugen Sänger 195 4 seine Kernmannschaft fü r da s neugegründete Institut für die Physik der Strahlantriebe in Stuttgart. Rund 20 wich-tige Mitarbeiter wechselten in den nächsten fünf Jahren in die schwäbische Metropo-le. Beim LRBA verblieb vor allem eine Gruppe von 1 4 deutschen Spezialiste n fü r Flüssigkeitsantriebe von Raketen unter Dr. Jauernick. Sie sollte für den späteren Tri-umph de r Ariane-Trägerrakete n entscheidend e Vorarbeite n leisten . Ei n deutsche r Raketenfachmann wechselte von Frankreich in die USA, einer nach Brasilien60.

In französischer Sich t sind neben Bringer mit seinem Raketenmotor weitere tech-nische Leistunge n de r Deutsche n al s herausragend e Innovatione n zu m spätere n Weltstandard der französischen Raketentechnologi e zu werten. Viellain zählt die er-ste französische Trägheitsplattform au s dem Jahre 1958 dazu, Zielsuchköpfe, die auf die Arbeiten von Dr. Müller und seine Gruppe zurückgingen, aktive Magnetkugel-lager (mit denen der Name von Helmut Habermann verbunden bleibe), die Führung großer Raketen in der Startphase durch Kabelanschluß (eine Idee von Dr. Pilz) sowie das Aquitaine-Radar61.

2. BMW/SEPR

In Frankreich herrschte zu Ende des Zweiten Weltkrieges auch großes Interesse an den deutschen Entwicklungen für kleinere Raketentriebwerke als Flugantriebe. Un-mittelbar nac h der Befreiung wurd e 194 4 die Société d'Etude de la Propulsion par Réaction (SEPR, zunächst SCEPR) gegründet, welche sich diesem Gebiet widmen sollte. Im Gegensatz zum eher auf die Grundlagenforschung ausgerichtete n LRBA sollte die SEPR zügig fertigungsreife Konstruktione n vorlegen. Um möglichst rasch zu Ergebnissen z u kommen , benutzte di e SEPR erbeutete Walter-Triebwerke un d Teile von BMW-Triebwerken zu Tests.

Im Mai und Juni 194 5 folgte ein e besondere militärisch e Einhei t de m französi -schen Vormarsch durch Süddeutschland und Österreich, die Informationen über die Luftrüstung de s Dritten Reiches sammelte. Zu dieser Einheit gehörte Leutnant Flo-rio, der Gründer der SEPR. Florio interessierte sich besonders für Walter-Motoren , den Antrieb des Raketenjägers Me 163. Das Aggregat Walter 109-509 sollte bald den Grundstock des know-how der SEPR bilden.

Der Firma Heinke l war 194 4 der Großserienba u de s Walter-Motors übertrage n worden. Diese wählte, um vor alliierten Bombenangriffen geschütz t zu sein, für die Fertigung des Solls von täglich 30 Motoren Produktionsstandort e i n Tirol aus . In Kramsach a m In n wurd e ei n Prüfwer k errichtet , welche s da s Funktioniere n de r Triebwerke sicher n sollte . Diese s Prüfwer k fie l de n Franzose n unzerstör t i n di e Hände.

60 BOSSUA T [1993] (wie Anm . 8 ) S. 603. 61 VIELLAI N (wie Anm . 9 ) S . 14f .

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältnis (1945-1960) 15 3

Im Februar 1946 erging der Befehl, »alle Ausrüstungen dieser Fabrik nach Frank-reich zu verbringen. So erhielt die SEPR für den Anschub ihrer eigenen Aktivitäten ein hochwertiges Sortimen t von Geräten, einschließlich Prüfständen, Speiche r und Tanks aller Größen, Ventile, Rohrleitungen, Druckmesser, Druckaufzeichner, Spezial-gläsern« usf., berichtet Viellain62.

Der SEPR gelang es zunächst allerdings nur , eines einzigen deutschen Experte n habhaft zu werden, des Dipl.-Ing. Hans Schneider. Der hatte bei BMW eine Neben-aufgabe z u bewältigen: die Verkürzung der für Düsenjäge r relati v langen Startroll -strecken durc h di e Verwendung von zusätzliche n Raketentriebwerken . I m Krieg e hatte Schneider an dem Projekt BMW 003 R gearbeitet, der Kombination des erfolg-reichen Turbinenmotor s mi t eine r Flüssigkeitsrakete . Di e Treibstoffkombination , welche BM W damal s wählt e (Salpetersäur e un d Triäthylaminmischungen) , finde t sich später bei den Zusatztriebwerken für einen Teil der Mirage III-Serie sowie dem Versuchsflugzeug Trident. Die Konzeption dieser bis Ende der fünfziger Jahr e ver-folgten Projekte gleicht den BMW-Vorgaben aufs Haar - ungewöhnlicherweis e sind die mit 2500 Grad Celsius hochbelasteten Öfen in Leichtmetall ausgeführt, wei l der Innenmantel, de r Kühlkana l un d soga r de r Düsenkop f durc h eine n entsprechen d ausgestalteten Kühlmantel aus Treibstoff geschütz t wurden.

Kein Wunder, daß Dipl.-Ing. Schneider bei SEPR rasch Karriere machte. 1946 hat-te er bei dem Unternehmen als Berater angefangen. Bald wurde er Versuchsleiter und nahm von 1955 bis 1962 die Aufgabe des Chefingenieurs im SEPR-Versuchszentrum Villaroche wahr.

Im Allta g de s militärische n Flugbetrieb s bewährt e sic h di e Raketenausrüstun g nicht. Die hochkonzentrierte Salpetersäur e sowie das toxische Äthylamin (welches ansonsten nur die Russen in ihren ersten Interkontinentalraketen verwendeten) war-fen beim Tanken fortwährend Problem e auf, angeblich kam es wiederholt zu Hava-rien im Normalbetrieb. Damit ist angezeigt, daß es bei der Fortführung von Techno-logielinien de s Dritten Reiche s i m Nachkriegsfrankreich nebe n durchschlagende n Erfolgen auc h schwerwiegende Fehlschläg e gab , auf di e im folgenden noc h einge-gangen wird.

Das deutsch-französische Institu t in Saint-Louis Das einiges Renommee genießende Ballistische Institut der Technischen Akademie der Luftwaffe (TAL ) in Berlin-Gatow war im Kriegsverlauf ins süddeutsche Biberach verlegt worden. Das Städtchen wurde am 23. April 1945 von der Ersten Panzerdivisi-on der französischen Streitkräft e besetzt . Im Divisionsstab wirkte ein Major Lutz , der von der Luftkriegs-Akademie wußte , und der sogleich mit dem Ballistischen In-stitut Verbindung aufnahm.

Von Lutz benachrichtigt, erkannte die D.E.F.A. sogleich den erheblichen Wert des Instituts für Frankreich und verhandelte mit Professor Hubert Schardin, dem letzten Leiter dieser Einrichtung, wegen einer Übersiedlung nach Frankreich. Im Juli 1945 erschien auc h ein e amerikanische Gesandtschaf t be i Schardin un d bo t diese m di e Fortführung seine r Tätigkeit in den USA an. Zur Genugtuung der Franzosen lehnte

62 Ibid. , S. 16.

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Schardin ab, weil er sich bei den Franzosen im Wort sah. Die D.E.F.A. schlug zu-nächst vor, das Institut nach Versailles zu verlegen - abe r das löste bei Schardin und seinen deutschen Mitarbeitern Unbehage n aus . Kurz entschlossen wurde dann das elsässische Saint-Louis in der Nähe zur deutschen Grenze zum künftigen Standor t des vormaligen Ballistischen Instituts der Luftkriegs-Akademie bestimmt .

Formal wurde die am 15 . Augus t 1945 gegründete neue Einrichtung dem Labora-toire Central de l'Armement, der zentralen Forschungsstelle der Armee, zugeordnet. Ende Juli 1945 waren die ersten Dienstverträge mit den Deutschen geschlossen wor-den, und im Verlauf der nächsten Tage wurden insgesamt 32 Dienstverträg e mit, wie Viellain hervorhebt, »deutschen Spezialisten für Ballistik , Werkstoffragen, Aerody -namik un d Bewaffnungstechnik« 63 abgeschlossen . Di e Zah l de r Deutsche n wuch s stetig an. Mitte August waren 45 deutsche Fachleute in Saint-Louis beschäftigt, am 1. Dezember des gleichen Jahres war diese Zahl auf 64 gestiegen und genau ein Jahr später, am 1 . Dezember 1946 , auf 77 angewachsen. Als das Emmendinger LRBA -Büro sein e Tätigkeit beendete , kamen weitere 1 9 deutsche Aerodynamikfachleut e nach Saint-Louis, so daß die Zahl der deutschen Mitarbeiter auf 96 anstieg .

Mit Beginn de s Jahres 195 1 hatte das vormalige Luftwaffeninstitu t de n Name n Laboratoire de Recherch e Technique de Saint-Louis (L.R.S.L.) angenommen . D a mehr und mehr französische Fachleut e in die Tätigkeit des Institutes aufgenomme n wurden, wurde die Bezeichnung am 31. März 1958 geändert in Institut Franco-Alle-mand de Recherches de Saint-Louis. Am 22. Juni 1959 ratifizierten die Nationalver-sammlung und der Deutsche Bundestag die neue Gemeinschaftsgründung .

Hubschrauber Focke/S.N.CA.S.E. 64

Ihren »ranghöchsten « eigene n Fan g machte n 194 5 die Franzose n mi t de m Hub -schrauberkonstrukteur Henrich Focke. In Frankreich gab es praktisch keine eigenen Vorarbeiten in der neuartigen Technik dieser Vertikalstartflugzeuge, und Focke galt weltweit als Pionier für Hubschrauberentwicklungen .

Focke wurde im Mai 1945 von den Franzosen im Allgäu aufgegriffen un d verhaf-tet. Augenscheinlich begriffen di e französischen Besatzungebehörde n nu r langsam, welcher Fisch ihnen da ins Netz gegangen war. Ende Juni wurde Focke mit einigen Mitarbeitern nac h Paris geflogen un d erhiel t nach längeren Befragungen un d Ver -handlungen das Angebot, mit 15 bis 20 Mitarbeitern seine Arbeiten an Hubschrau-bern in Frankreich fortzusetzen. Da s Angebot, in den Dienst des Luftfahrtministe -riums einzutreten, mochte Focke nicht annehmen. Rasch war ein Privatvertrag mit einem nationale n französische n Unternehme n zu r Hand , (s o Focke ) Aérosudest (gemeint is t Sud-Est , ode r mi t vollem Namen : Société Nationale d e Constructions Aéronautiques de Sud-Est, S.N.C.A.S.E.), den vormaligen Lioré et Olivier-Werken in Argenteuil im Norden von Paris. Focke berichtet in Einzelheiten, wie das Militär in Bezug auf Einreisevorschrifte n fü r Deutsch e wiederhol t di e Polizeibehörden über -ging, und daß auch Claudius Dornier in Paris zu intensiven Befragungen angereist war.

63 Ibid. , S. 20 . Zu m LRSL auch ausführlich BOSSUA T [1994] (wie Anm. 8) S. 156f . 64 Diese r Abschnitt wertet die Eigendarstellung aus : Henric h FOCKE, Mein Lebensweg, Deutsche Ge-

sellschaft für Luft- und Raumfahrt, Mitteilung 77-01, Köln 1977 , S . 69-80.

Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 15 5

Den Franzosen waren zwei Focke-Hubschrauber in die Hände gefallen, die Mu-ster F-223 und F-33065. Die französischen Behörde n entschlossen sich, den in gerin-ger Stückzahl im Dritten Reich gebauten Hubschrauber 223 (700 kg Zuladung) als S.E. 3000 nachzubauen, was mit Erfolg geschah.

Focke schied nach zwei Jahren im Juni 1947 aus französischen Diensten und dien-te sich den Engländern an (wenig später wechselte er nach Brasilien). Seine Arbei-ten bei Sud-Est hatten eine langanhaltende Wirkung. Über Zwischenmuster wie das Experimentalfluggerät S.E . 312 0 enstanden s o erfolgreich e Hubschraube r wi e die Muster S.E . 3130 Alouette II (in 44 Länder exportiert , Lizenzbau i n Deutschland , den USA und Schweden) und S.E. 3160 Alouette III (in 56 Länder exportiert), später das Muster SA 330 Puma66. Zumindest läßt sich festhalten, daß der zweijährige Auf-enthalt von Focke und seinen Mitarbeitern am Anfang der Weltgeltung des franzö-sischen Hubschrauberbaus steht .

Sackgassen

1. Maybach/AMX

Die ersten französischen Aktione n überhaupt, deutscher Rüstungsfachleute habhaf t zu werden, galten den legendären Panzerbauern. Man darf mutmaßen , daß der seit der Niederlage gegen die Deutschen tiefsitzende Schock bei den französischen Mi -litärs bezüglich der Überlegenheit de r Panzerrüstung des Dritten Reiches hier den Auslöser gab . Sogleich nach dem 8 . Mai 1945 , dem förmlichen Kriegsende , begab sich eine französische Sondermission nach Friedrichshafen, um in der Zahnradfabrik und be i de r Firm a Maybac h Motorenba u nac h Tankspezialiste n z u suchen . A m 18. Juni 194 5 machte sich eine weitere solche Sondertruppe au f de n Weg, um di e technischen Unterlagen für modern e deutsche Panzer, die legendären Panther- und Tiger-Panzer, besonders aber den letzten Panzerentwurf von Ferdinand Porsche, ge-nannt Maus, und dessen Konstrukteure zu ergattern. Bossuat vermerkt mit einer ge-wissen Genugtuung, daß es den Franzosen gelang, gar vor den Briten nach den deut-schen Panzerexperten zu fahnden (obwohl das Unternehmen fehlschlug)67.

Das Panzer-Projek t Mau s un d da s französische Engagement , dies e angeblich e Zukunftswaffe fü r Frankreic h zu sichern, charakterisiert exemplarisch die Fehler der Verantwortlichen, welche mit dem Rückgriff au f die vorgeblichen Wunderwaf -fen de s Dritte n Reiche s zügi g di e Rüstungsdefizit e Frankreich s gegenübe r de n Großmächten auszugleichen dachten. Die Maus war kein Kleingerät, sondern reprä-sentierte mit 200 Tonnen Gefechtsgewicht di e Gigantomanie der späten Hitler-Ära (selbst heute überschreiten schwere Kampfpanzer kau m die Grenze von 50 Tonnen Gewicht, weil Straßenbrücken häufi g fü r solch e Maximallasten ausgeleg t werden).

65 I n der Nomenklatur de s Reichsluftfahrtministeriums müßt e es eigentlich korrek t »F a 223« sowie »Fa 330« heißen, aber Focke läßt in seiner Darstellung, der hier gefolgt wird, seinen Firmenpartner Gerd Achgelis (das »a«) weg. Tatsächlich spielte dieser in der Focke, Achgelis & Co. GmbH, bald nach der Gründung kaum mehr eine Rolle.

66 Di e Typenbezeichnungen vo n Alouette II und III ändern sich mi t den Umorganisationen i n der französischen Flugzeugindustri e in SA 318 und SA 316, die nunmehr geläufigen Bezeichnungen der Aérospatiale.

67 BOSSUA T [1993] (wie Anm . 8 ) S. 601.

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Professor Porsch e ha t den n auc h de n Führerbefeh l fü r di e Erstellun g de s Super -schweren Panzer s (Abb . 1 ) erkennbar lust - un d ideenlo s umgesetzt . Diese s Ur -vehikel sollt e gege n jede Art von Beschuß immun sein , so Hitlers Gedankengan g (deswegen di e überschwer e Panzerung) , andererseit s abe r mi t seine r übergroße n Kanone jeden Gegne r au f de m Schlachtfel d auße r Gefech t setzen . Di e deutsche n Versuchsingenieure mußte n den n auch in den letzten Krieg s jähren feststellen , da ß dieser Dinosaurie r schie r an seinem Eigengewicht z u Grund e ging : Trotz 1 Meter breiter Kette n entfaltet e di e Maus eine n Oberflächendruck , de r de n 200-Tonnen -Koloß im Boden versinken ließ.

Der französischen Aufklärun g bliebe n solche Probleme verständlicherweise ver-borgen. Man wußte in Paris offenbar lediglich , daß es einen Superpanzer des Profes-sor Porsche gab, un d daß der Führer diesem Projekt hohe Priorität zugewiesen hatte. Diesen Panzer wollte man unbedingt für Frankreich haben, in Unkenntnis der Ein-zelheiten, die diese angebliche Superwaffe umgaben. Mit dem Panzerprojekt AMX-50 suchte man dem deutschen Trend zum Superpanzer nachzueifern .

Das Interesse der französischen Behörde n galt besonders den Erbauern der über-schweren Motoren fü r di e Panther- und Tiger-Panzer , der Firma Maybach, weil in diesem Bereich in Frankreich die Schwächen auf der Hand lagen. Mit den nötigen ge-heimdienstlichen Vorkehrungen wurde das Team von Karl-Wilhelm Maybach68, ins-gesamt 70 Deutsche, als »Gruppe M« von Friedrichshafen schließlic h ins Zentrum der französische n Panzerentwicklung , AM X i n Vernon, verbracht . Ein e deutsch e Firmenchronik bemerkt knapp:

»Im Herbst 194 6 konnte Dr. Maybach, um seinen Betrieb in Friedrichshafen vo r der vollkommenen Demontag e zu retten, mit einem Stab von Konstruktions- un d Versuchsingenieuren nac h Frankreic h gehen , um dor t fü r di e franz . Arme e eine n Panzermotor mi t 1000 PS in den Ausführungen einma l als Benzin-Einspritzmoto r und einmal als Dieselmotor zu bauen«69.

1000 PS waren eine ungewöhnlich hohe Leistung für Panzermotore n - ausländi -sche Vergleichsmuster gabe n seinerzeit maximal 500 bis 600 PS ab. Der 50 Tonnen schwere Panzer AMX-50, für de n der Motor bestimm t war , »war stark beeinfluß t von den deutschen Panther- und Tiger-Panzern. Im besonderen war beabsichtigt, die Beweglichkeit de s Panther mi t jener Art von Bewaffnung z u kombinieren, die bei Kriegsende für den Tiger geprüft wurde«70.

68 Karl-Wilhel m Maybach, der Sohn des Daimler-Partners Wilhelm Maybach, genoß bei den Franzo-sen einen solchen Respekt , daß sie ihn als »Professor« titulierten . Maybach war aber in akademi-scher Hinsicht ein einfacher Ingenieur , der später den Dr.-Ing. ehrenhalber bekam, und der nie ein Lehramt bekleidet hat. Vgl. BOSSUAT [1993] (wie Anm. 8) S. 602. Zur Geschichte der heute in der Motoren- und Turbinen-Union (MTU) aufgegangenen Firm a vgl. etw a die Festschrift MT U Mün-chen 1984 (wie Anm . 35 ) bes. S . 141 , sowie : Gustav BURR, Maybach-Luftschiffmotoren vo n 1990 bis 1928, in : Deutsche Gesellschaf t fü r Luft - un d Raumfahr t e.V. , Beiträge zur Geschicht e de r Luft -fahrtindustrie am Bodensee (DGLR-Bericht 87-03).

69 BURR , ibid., S. 16 . 70 R.M . OGORKIEWICZ, Design and Development of Fighting Vehicles, London 1967 , S . 45 . Dor t auch

weitere Einzelheiten über »technische Übernahmen« von deutschen Entwürfen, etwa bei der Turm-konstruktion (S . 76) , de r Gestaltung des Laufwerkes (S . 101 ) sowie der ungewöhnlichen Auslegung des Getriebes (S. 129).

Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 15 7

Vermutlich ha t man be i AMX bald festgestellt , da ß der Hitlersche Superpanze r Maus tatsächlich ein e solche war. Der überschwere Panzer AMX-5 0 ging nicht in Serie. Panzerkanonen von seinem Kaliber 120 mm wurden erst dreißig Jahre später bei modernen Tanks üblich. - Übe r ein leichteres Zwischenmuster entstan d späte r der erfolgreiche französisch e Standardpanze r AMX-30, mit einem Gewicht von 30 statt 50 Tonnen. Französische Hoffnungen, mi t den Deutschen dieses Fahrzeug ge-meinsam produziere n z u könne n (195 7 ga b e s immerhi n ein e gemeinsam e Aus -schreibung) zerschlugen sich. Die Deutschen zogen es vor, mit dem Leopard I ein ei-genes Modell herzustellen.

Die Gruppe »M« arbeitete bei AMX eine Zeit lang an schweren Panzermotore n weiter. Von dem Maybach-Team wird hernach nicht mehr berichtet . Offenkundi g handelte es sich um einen Flop. Maybach übernahm wieder die Leitung seiner Moto-renfirma in Friedrichshafen. Persönlich war er in Frankreich kein Unbekannter ge-wesen: als junger Ingenieur hatte Maybach 1907 ein Jahr an einer Société d'études in Paris verbracht.

2. Fieseler V-llArsenal 5.501

In der traditionellen Rivalität der Teilstreitkräfte betrie b neben der Armee die fran-zösische Marine ihr eigenes Rekrutierungsprogramm für deutsche Rüstungsfachleu -te. Sie war besonders an den deutschen Entwicklungen von ferngesteuerten Flugkör -pern zur Schiffsbekämpfung interessier t und gerie t eher zufällig an die Flugbombe V-l. In Hechingen in der französischen Zon e wurde eine Stelle »Marine Française, Groupe Aéronavale« eröffnet, di e bald zu dem unauffälligeren Name n »Apparate -bau« wechselte71. Hauptaufgabe dieser Einrichtung war die Sammlung von Materia-lien über und bald auch der Nachbau von Flugkörpern der Muster Fritz X (gelegent-lich auc h nac h de m Gefechtskopf , de r vormalige n Panzersprengbomb e S D 1400 , FX-1400 benannt) sowie Henschel Hs 293. Beide Flugkörper sollten der Zerstörung von Kriegschiffen au s der Luft dienen , ihre Entwicklung war im Dritten Reich er-heblich fortgeschritten gewesen . Die Firma »Apparatebau« beschäftigt e i m April 1946 400 Deutsche, die monatlich 20 Flugkörper FX-1400 und zwei bis drei Hs 293 für Frankreic h fertigte n - i n entschiedenem Gegensat z z u den Bestimmungen de s Potsdamer Abkommens, welche jede Waffenfertigung i n Deutschland untersagten . Technischer Direktor des Unternehmens wurde Dr. Max Kramer, der 1937 als Mit-arbeiter de r Deutschen Versuchsanstal t fü r Luftfahr t i n Berlin-Adlershof di e Ent -wicklung des Fritz angereg t hatte , und der von 194 3 bis Kriegsende bei der Ruhr -stahl A G fü r da s Projek t verantwortlic h gewese n war 72. Betriebsleite r wurd e de r vormalige Major Erns t Hetzel , im Kriege für de n Einsatz solcher Flugkörper ver -antwortlich. Kramers Kontrak t lie f im September 194 6 aus. Da er mit dem fran -zösischen Fortsetzungsangebot nicht zufrieden war , verhandelte Dr. Kramer auch

71 Di e Darstellung in diesem Absatz folgt eine m amerikanischen Geheimdienstbericht , »Frenc h gui-ded missile research at Hechingen«, War Department, Intelligence Division (WDGS), Intelligence Review, November 46-2 Jan 1947, Washington, D.C, S. 60-62. Der Verf. schuldet Burghard Ciesla Dank für den Verweis auf diese Quelle.

72 Angabe n zu Kramer zusätzlich aus: Theodor BENECK E u.a., Flugkörper und Lenkraketen, Koblenz 1987,S.98f.

158 Ulrich Albrecht

mit amerikanischen un d sowjetischen Dienststelle n und gin g anschließend i n die USA73.

Ende April 1946 wurden die Arbeiten in Hechingen plötzlich gestoppt »und alle Unterlagen, Maschinen, Apparate, Dokumente und soga r die Baracken eingepack t und nach Frankreich abtransportiert, sehr auch zur Überraschung der französischen Verantwortlichen i n Hechingen .. . Die Fertigungsausrüstungen ginge n nach Brest, die Entwicklungsunterlagen a n das Arsenal in Châtillon bei Paris, und die Prüfein -richtungen nach LeLuc am Mittelmeer«74.

Die Direction Techniqu e et Industriell e d e l'Aviation (DTIA), der das Arsena l unterstand, entschie d sic h im Herbs t 1946 , eine Arbeitsgruppe vo n siebe n Man n weitere Raketenprojekte (damal s sprach man auch in Frankreich amtlich von »Son-dergeräten«) konzipiere n z u lassen . Diese al s »E5« bekannt e Grupp e wurde vo n Emile Stauff geleitet , Direktor des Arsenal, dessen Name mit der erfolgreichen Ent -wicklung kleinerer taktischer Rakete n in Frankreich verbunden bleibe n wird. Im Frühjahr 194 7 entschied die DTIA, den Empfehlungen de r Stauff-Gruppe folgend , daß drei Projekte weiter entwickelt werden sollten: die V-l, unter der Bezeichnung Projekt 5.501 , die Fritz-X-Rakete, nunmehr AA-10 benannt (AA = air-air) und ein Geschoß zur Panzerbekämpfung, di e SS-10 (SS = sol-sol). Die SS-10 stellte die Wei-terentwicklung einer deutschen Panzerabwehrrakete aus dem Dritten Reich dar, das Projekt X7 mit dem Code-Namen Rotkäppchen.

Das ambitiöse Projekt, die V-l nachzubauen , wurde dem Arsenal de l'Aéronau-tique in Châtillon-sous-Bagneux, einem südliche n Voror t vo n Paris , übertragen . Das Arsenal war 1936 im Zuge der Nationalisierung der Flugzeugindustrie ins Le-ben gerufe n worden , u m besonder s i m experimentelle n Flugzeugba u innovativ e Impulse zu geben. Das Unternehmen wechselte verschiedentlich die Bezeichnung (z.B. Nor d Aviation , durc h verschieden e Versuchsflugzeug e bekann t geworden ) und is t heut e unte r de m Name n Aérospatiale Missile s als Raketenfirma weltbe -kannt.

In Frankreich gab es für das Pulstriebwerk der V-l, das sogenannte Schmidt-Ar -gus-Rohr, eine technische Parallele, den sogenannten Athodyd , der im Arsenal auf der Grundlage älterer Vorarbeiten im Kriege entwickelt worden war75. Das mag die französische Entscheidun g für de n Bau der V-l begünstig t haben. Auch dürfte ein e Rolle gespielt haben, »daß die französischen Ingenieur e über eine große Menge an Informationen über (die Startrampen) verfügten. Dicke Mappen mit Konstruktion-daten waren in Deutschland gefunde n worden , und eine Anzahl von V-1-Startram-

73 Di e Befragung Kramers in den USA bilde t offenkundig di e Grundlage für den angeführten Berich t über den »Apparatebau« de r französischen Marin e in Hechingen, der in der Präzision der Angaben (etwa z u de n beteiligte n Firmen ) sic h deutlic h vo n andere n nachrichtendienstliche n Mitteilunge n unterscheidet. Auc h wir d au f Äußerunge n Kramer s in dem amerikanische n Dokumen t ausdrück -lich Bezug genommen . Krame r zufolge (ibid. , S . 62) waren die deutschen Ingenieur e und Wissen -schaftler generel l mit ihren französischen Arbeitgeber n unzufrieden un d strebten eine Tätigkeit be i einer anderen Siegermacht an . Das Projek t H s 29 3 wurde i n der Folge i n Argentinien fortgeführt , worüber die Berliner Dissertation von Ruth STANLEY (wie Anm. 47) informiert.

74 »Frenc h guided missile research at Hechingen« (wi e Anm. 71) S. 61f. 75 Vo n GERSDORFF , GRASMAN N (wi e Anm. 38) verweisen auf eine ältere Veröffentlichung vo n Marco-

net sowie praktische Versuche von Caravodine, ibid., S. 222.

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältnis (1945-1960) 15 9

pen war in Frankreich installiert worden, in den Départements Pas-de-Calais, Som-me, Seine-Maritime und La Manche«76.

Im August 194 6 begann man im Arsenal mit den Arbeiten an der 5.501 und war rasch erfolgreich . Ei n Prototyp , au f eine m Trägerflugzeug montiert , began n i m Januar 1947 eine erste Testserie, die bis zum April 1949 dauern sollte.

Knapp vier Jahre nach Kriegsende, im April 1949, erfolgten in einer zweiten Test-serie im algerischen Colomb-Béchar die ersten Eigenstarts der französischen Kopi e der V-l vom Boden aus. Die Tests wurden mindestens bis 1951 fortgesetzt. Die fran-zösischen Behörden bemerkten augenscheinlich während der Versuche, daß die Hit-lersche Vergeltungswaff e ihr e Bezeichnun g nich t verdient e und sprache n hernac h bescheiden von einem »ferngesteuerten pilotenlose n Zielflugkörper«. Dieser erhielt die Bezeichnung CT 20.

Diese Funktionsbestimmung i m Nachhinein wirk t wenig überzeugend. Fü r ein bloßes Übungsgerät hätte man kaum die Ressourcen des hochspezialisierten Arsenals eingesetzt (zur Zieldarstellung dienten damals üblicherweise ausgemusterte Flugzeuge der Luftstreitkräfte, di e mit einer Fernsteuerung versehen wurden). Auch wären die verbesserten ortsfesten Startrampen für einen Zielflugkörper ei n unsinniger Aufwan d gewesen. Schließlich werden solche Zieldrohnen nich t jahrelang aufwendig getestet . Es spricht viel dafür, daß die DTIA, zunächst auch geblendet von dem raschen Erfolg des Projektes 5.501 (zumindest im Vergleich mit dem Versuch, die V-2 nachzubauen) erst im Verfahren begriff, daß sie auf einen Flop gesetzt hatte. Schon wegen der gerin-gen Fluggeschwindigkeit von 460 Kilometern pro Stunde hatte die V-l bei Beginn der fünfziger Jahr e als Waffensystem kein e Chance mehr. Im März 1950 wurde entschie-den, Projekt 5.501 in kleiner Serie zu produzieren. Viellain berichtet, daß die ersten an die Streitkräfte ausgelieferten Flugkörper CT 20 noch zum Teil aus in Deutschland er-beuteten Bauteilen bestanden77.

Die beiden Projekte fü r Kleinrakete n geriete n jedoch zu großen Erfolgen . Kei n geringerer als Eugen Sänger entwickelte den Panzerabwehrflugkörper SS-10 , der in großer Zahl gefertigt wurde, und der den Grundstock für die späteren erfolgreiche n deutsch-französischen Muste r Milan und Hot abgab 78. Hartmut E . Sänger stell t in einer biografischen Skizze über seinen Vater allerdings dessen Beitrag zur Konstruk-tion der SS-10 sehr hintan (»Daneben beriet Eugen Sänger die Direction technique et industrielle du Ministère de l'Armement und die Société MATRA bei der Entwick-lung der französischen Panzerabwehrrakete SS-10«)79. Sänger jr. stellt den Zweck des Frankreich-Aufenthaltes von Eugen Sänger ganz anders dar:

»Diese Einladung sollte damals Sänger die Möglichkeit bieten, seine konsequen-ten Arbeite n z u seine m Lebensziel , eine r bemannte n Weltraumforschung , weiter -führen zu können«80.

76 VIELLAI N (wie Anm . 9 ) S . 18 . 77 Ibid . 78 Ibid . 79 Hartmu t E. SÄNGER, Eugen Sänger: Seine Tätigkeit auf dem Antriebsgebiet in Frankreich, in: Deut-

sche Gesellschaft fü r Luft- und Raumfahrt e.V. , Die Tätigkeit deutscher Luftfahrtingenieure un d -Wissenschaftler im Ausland nach 1945, S. 192.

80 Ibid. , S. 189.

160 Ulrich Albrecht

Kaum glaubhaft, daß der die Verhandlungen führende Majo r Pariot im Ministère de PAir im Sommer 1946 Sänger »die Möglichkeit bieten« wollte, »bemannte Welt-raumforschung« weiterzuführen . De r Major dürft e ehe r an den militärisch nutz -baren Arbeiten Sängers interessiert gewesen sein. Im Juli 1946 wechselte Sänger ans Arsenal. Neben de r SS-10 wirkte e r an der Konzipierun g vo n Hochgeschwindig -keitsflugzeugen mit (Gerfaut und Griffon), die den neuartigen Staustrahlantrieb nut-zen sollten. Sänger hatte an ähnlichen Kampfflugzeugentwürfen i m Kriege gearbei-tet und war so beim Experimentaljägerbau i m Arsenal durchaus am richtigen Platz.

In Frankreich lernte Sänger beim Arsenal seine Frau kennen, die Mathematikerin Irene Bredt, die er 1946 in Paris heiratete. Sänger Jr. berichtet von einem »echten und später oft auch herzlichen Kontakt zu den französischen Stellen« und beschreibt »ei-ne rückhaltlose Zusammenarbeit, die dazu beitragen konnte die alte 'Erbfeindschaft ' abzubauen. Und im nachhinein war diese Zeit für da s Ehepaar Sänger ihr vielleicht schönster Lebensabschnitt«81.

Der AA-10 Nachbau de r Fritz war f bei m Truppenversuch zunächs t ein e Reihe von Problemen auf, vor allem wegen der als Treibstoff dienende n giftigen Salpeter -säure. Beim Folgemuster 5103 ging das Arsenal zu Festtreibstoffen über , und dieses Baumuster diente unter der militärischen Bezeichnung AA-20 den Jägern der fran -zösischen Luftwaffe i n Tausenden von Exemplaren als Standardwaffe.

3. Der Coleopter/Coléoptère Der französische Wunsch , in der Militärtechnik trot z alle r aus der Besatzungszei t resultierenden Beschränkungen zügig eine Spitzenposition einzunehmen, führte zu -nächst z u eine r Faszination auc h fü r Nebengebiet e wi e die Senkrechtstarttechnik , bevor die durchschlagende Bedeutung der Kernwaffenrüstung umgesetz t wurde. So entstanden in Frankreich in deutsch-französischer Kooperatio n technologische Pio-nierleistungen, die einzigartig blieben - wei l niemand ihnen folgte. Der Coléoptère gibt hierfür ein Musterbeispiel (Abb. 2).

Die technische Kernidee des Projektes, welche viel an französischem Technikver -ständnis reflektiert , wa r einfach . De r Flüge l eine s Flugzeuges dien t konventionel l nur de m Auftrieb , de r Moto r nu r de m Antrieb . Was würde eintreten , wenn ma n durch geeignete konstruktive Maßnahmen beide Funktionen miteinander verbinden würde und etwa einen Flügel vorsah, der auch dem Antrieb diente, indem man ihn etwa als Mantel eines Triebwerkes konzipierte? Und würde man im Atomzeitalte r aufgrund de r hohe n Schubleistun g mi t de m Senkrechtstar t nich t unabhängi g vo n den von Düsenflugzeugen benötigten langen Start- und Landebahnen werden, die so leicht zerstörbar waren?

Der Coléoptère versprach ein e solch e Verbindung . De r Deutsch-Österreiche r Helmut Gra f Zborowski , welcher i m Krieg e für di e Triebwerke de r Flugbombe n Hs 293 und Fritz sowie den Motor des Raketenjägers Me 163 bei BMW zuständig gewesen war, und de r wegen seiner Zugehörigkeit zu r Waffen-SS nac h Kriegsend e zunächst internier t worde n war , wurde 194 7 eingeladen, i n Frankreich weite r z u wirken. Von 1947 bis 1950 arbeitete von Zborowski bei der SEPR und machte sich dann mi t seine n Idee n übe r Senkrechtstarte r i n Frankreic h selbständig . Be i de r 81 Ibid . (Die Sänger-Zitate wurden grammatikalisch nicht bearbeitet).

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960 )

Abb. 1 Ferdinan d Porsche s überschwerer Panze r »Maus «

Abb. 2 De r senkrech t startende Ringflügler Coléoptère der SNECM A

Ulrich Albrech t

Abb. 3 Breguet s Entwurf »Taon« als Beitrag zur Ausschreibung der NATO für einen Standard-Jagdbombe r

Abb. 4 Militärische s Transportflugzeug »Noratlas «

Rüstungsfragen im deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960 )

Abb. 5 Transportflugzeu g »Transall «

Abb. 6 Schulflugzeu g »Magister «

Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 16 1

SNECMA arbeiteten in der Oestrich-Gruppe unter Dipl.-Ing. Gerhard Eggers eini-ge Deutsche a n Senkrechtstartversionen de s ATAR. Sie dürften di e Franzosen auf Zborowski aufmerksam gemach t haben.

Grundidee des Konzeptes von Zborowski war es, neben einem Düsentriebwerk , welches herkömmlic h i m Rumpf seine s Flugzeuge s untergebrach t war , zusätzlic h den Zwischenraum zwischen Rumpf und Ringflügel als Staustrahlrohr auszubilden . Mit diese m Doppeltriebwer k würd e da s Flugzeu g übe r de n nötige n Schubüber -schuß verfügen, um im transsonischen Bereich als Jäger operieren zu können. Beim Arsenal suchte Eugen Sänger in vergleichbarer Weise konventionell startende Hoch-leistungsjäger zu konzipieren.

Zborowski nah m ein e Reih e deutsche r Fachleut e mit , darunte r de n al s Hoch -schullehrer a n de r T U Berli n späte r rech t bekann t gewordene n Heinric h Herte l (Ende des Krieges war bei den Heinkelwerken an senkrecht startenden Ringflügler n gearbeitet worden). Im Jahre 1950 eröffnete di e Gruppe in Frankreich das »Bureau Technique Zborowski«. 195 1 verkaufte Zborowsk i sein e Ringflügelpatente a n die SNECMA. Da s BT Z blie b selbständig , während di e Eggers-Gruppe di e Realisie-rung de s Ringflüglers be i der SNECMA übernahm . Herte l gin g anschließend zu r SNCASE, und zwar zum Zweigwerk Marignane bei Toulouse82. Ob Hertel dort eine Gruppe leitete, und womit er sich beschäftigte, wird nicht berichtet.

Die Coléoptère-Gruppe betrat weitgehend technische s Neuland . Über die Son-derform Ringflüge l ga b es nur wenige aerodynamische Arbeiten, und über das Ver-halten einer solchen Konfiguration im Vertikalflug war fast nichts bekannt. Das Pro-blem der Transition vom strahlgestützten Steigflug hin zum Flügelauftrieb würde er-kennbar große Probleme aufwerfen, besonder s bei der Stabilisierung und Steuerung. Trotz dieser erheblichen Hindernisse, die dieses Projekt ungleich schwieriger mach-ten als etwa den Entwurf eine s neuen Düsenjägers entlan g konventioneller Techno-logielinien, entschlossen sic h die französischen Instanzen , voll auf dies e vermeint-liche künftige Trumpfkarte z u setzen. Die Flugzeugfirma Nor d Aviation, als Nach-folgerin des Arsenal mit verschiedenen experimentellen Hochgeschwindigkeitsflug -zeugen damals in Frankreich dominant, erhielt den Auftrag, die Zelle des Coléoptère zu entwickeln, während SNECMA für den Antrieb zuständig blieb.

1957 wurde ei n Versuchsträger i n vereinfachter For m geteste t un d i m gleiche n Jahre im Triumph auf dem Pariser Aérosalon vorgeführt. I m April 1959 startete der erste Coléoptère zum Jungfernflug.

Der neuartige Ringflügler führte auc h zu einer förmlichen französisch-deutsche n Zusammenarbeit au f Regierungsebene . Di e Bundesregierun g interessiert e sic h fü r die Senkrechtstarttechnik und trug im Rahmen eines Entwicklungsvertrages zu den Kosten bei. Manche Details, wie zum Beispiel die Fesselanlage für die Erprobung des ersten Versuchsträgers und besonders die von M.G. Ernst entwickelte Steueranlage, tauchen dann später bei den vom Bundesministerium de r Verteidigung geförderte n deutschen Senkrechtstartern wieder auf .

Im neunten Testflug stürzt e der Coléoptère ab. Beim Versuch, die Transition in den Horizontalflug z u erproben, kam es zu Instabilitäten um alle drei Achsen, die Sinkgeschwindigkeit nah m laufen d zu . I n 5 0 Meter Höh e betätigt e de r Pilo t de n

82 BOSSUA T [1993] (wie Anm. 8) S. 602. Bossuat gibt den Namen jedoch irrtümlich mit »Herbei« an.

162 Ulrich Albrech t

Schleudersitz. Amtlich handelte es sich bei der Absturzursache um einen Pilotenfeh -ler. Intern wurde der Fehler später gefunden: bei m Sinkflug rückwärt s wandert e de r Auftriebsschwerpunkt vo m Bereic h 1 0 bis 1 5 Prozent de r Flügeltiefe (vo n vorn ge -messen) auf etwa die gleiche Marge vom Flügelende gerechnet - wa s sich steuerungs-technisch i n keine m Fal l beherrsche n ließ . Auc h wurde n Rezirkulationsprozess e beim Flug in Bodennähe festgestellt - da s Düsentriebwerk saugt e die eigenen Abga -se an und verlo r rasc h a n Schub . Das Projek t erwie s sic h gegenübe r de m Stan d de r Technik al s überambitionier t un d lie ß sic h i m Rahme n eine r normale n Waffenent -wicklung nich t zu r Reif e führen . De r Mange l a n Forschungsvorlau f erwie s sic h al s zu groß .

Die Bundesregierung zo g sich nach de m Abstur z au s dem Projek t zurück , gege n heftige französisch e Proteste , und leistet e eine Abschlußzahlung i n nicht bekannte r Höhe. Danach entschlossen sich die französischen Behörden , die Arbeiten am Colé-optère einzustellen. Das deutsche Team bei der SNECMA löst e sich auf. Ein Teil der Deutschen wechselt e z u de r Firm a Focke-Wul f i n Bremen, di e bald mi t Entwürfe n zu neuen Senkrechtstartern Aufsehe n erregte .

Deutsch-französische Kooperatio n nach 1955 Mit de r Wiedererlangung de r (begrenzten ) Souveränitä t un d de m Aufba u de r Bun -deswehr eröffnete n sic h de r deutsche n Beschaffungspoliti k groß e Entscheidungs -spielräume für di e Rüstungszusammenarbeit mi t dem Ausland. Verständlicherweis e erhoffte ma n sich in Frankreich eine besondere Zuwendung der Deutschen, denn ei-ne ähnlic h eng e rüstungstechnische Zusammenarbei t wi e zwische n Fachleute n bei -der Lände r ha t e s mi t andere n mögliche n Partner n wi e de n Amerikaner n un d de n Briten in der Nachkriegszeit nich t gegeben 83.

Die List e de r französische n Offerte n fü r di e Erstausstattun g de r Bundesweh r bleibt beeindruckend . I n de r deutsche n Literatu r wir d si e nicht wahrgenommen . Vom 22. bis zum 27 . November 195 4 erfolgte ein e speziell für di e künftige Bundes -wehr arrangiert e Waffenschau i n Mailly. Die neu erstandene französische Rüstungs -industrie zeigt e i n größte r Offenhei t all e ihr e Trümpfe : di e neue n leichte n Panze r AMX-13, vo n dere n Motore n e s in kau m verhüllte r Anspielun g au f di e Maybach -Gruppe hieß: »Fabriqués avec le concours de spécialistes allemands et dont les carac-téristiques sont encore tenues secrètes à l'égard des Anglais et des Américains«84. Die Armée de l'Air offerierte ihr e modernsten Düsenjäger , da s Muster Dassault Mystère IV und soga r Frankreichs ersten Überschalljäger, di e Dassault Supe r Mystère (deren Prototyp bal d danach , i m Mär z 1955 , erstmals flog) . Be i Transportflugzeuge n (e s wurden verschiedene Muster vorgeflogen) sowi e bei anderem Fluggerät wurden de n Deutschen vergleichbar e Avance n gemacht . Be i einem Besuc h vo n Bundesverteidi -gungsminister Theodo r Blan k i m Juni 195 5 wurde übe r ein e weitgehend e Zusam -menarbeit i n der Waffenentwicklun g gesprochen : e s ging um U-Boote , Geschütze , Radaranlagen, Antrieb e un d Schützenpanzer . Auc h wurd e de r wechselseitig e Aus -tausch von technischem Fachpersonal erörtert 85.

83 Darau f geh t besonders BOSSUA T [1994] (wie Anm. 8 ) S. 166f. ein . 84 Zit . nach BOSSUA T [1993] (wie Anm. 8 ) S. 604. 85 Ibid. , S. 605; BOSSUAT [1994] (wie Anm. 8) S. 168.

Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 16 3

Im wesentlichen kame n dies e französischen Erwartunge n au f ein e weitreichend e Rüstungskooperation mi t de n Deutschen , au f de r Grundlag e de r positive n Erfah -rungen mi t den Rüstungsexperten au s der Erbmasse des Dritten Reiches , nicht zu m Tragen. Politisc h is t i n Deutschlan d de r Ministerwechse l z u Franz-Jose f Strau ß z u berücksichtigen. Der verstand umfassender al s Blank die Abhängigkeiten der jungen Bundesrepublik gegenübe r Amerika . Auc h besa ß Strau ß de n Nerv , de n Franzose n zu eröffnen , da ß di e vo n ihre r neuerstandene n Rüstungsindustri e fabrizierte n Rü -stungsgüter i m Leistungsvermöge n noc h nich t amerikanische n Vergleichsmuster n entsprachen. A m gravierendste n dürft e di e Regierungsübernahm e durc h d e Gaull e 1958 gewirkt haben - diese r beendete erst einmal die in den Endjahren de r IV. Repu-blik angebahnt e Politi k eine r enge n rüstungswirtschaftliche n Kooperatio n mi t de n Deutschen86.

Ein zweites , bal d Gegensätz e erzeugende s Momen t bestan d i n de r unterschied -lichen Orientierun g Deutschland s un d Frankreich s au f di e NATO. D e Gaull e be -trachtete die Nordatlantische Allianz , bis hin in die Niederungen de r Waffenbeschaf -fung, als nicht Frankreich dienlich. Die Bundesregierung versuchte andererseits, durch betonte NATO-Treue bei Rüstungsbeschaffungen de n inneren Zusammenhalt der Al-lianz zu festigen .

In de r Luftrüstun g stan d i n de r zweite n Hälft e de r fünfzige r Jahr e vo r alle m NATO-weit di e Beschaffun g eine s leichte n Jagdbomber s an , sowi e di e Entschei -dung, welche n Standardjäge r di e Bundesluftwaff e nac h ihre r Erstausstattun g mi t amerikanischen Hilfslieferunge n erwerbe n würde .

In beiden Fällen erwies sich die deutsche Seite in ihrer Entscheidung überfordert . Das Ausma ß de r industrielle n Möglichkeiten , mi t Dassaul t fü r da s Projek t Mirage III zu votieren , wurde simpe l i n Bonn nich t wahrgenommen . Da ß bundesdeutsch e Entscheidungen rüstungswirtschaftlich e Trend s setze n würden , wa r fü r Bon n ein e neue Erfahrung 87.

Bei de r Ausschreibun g eine s Standard-Jagdbomber s gin g di e NAT O erstmal s übernational vor . Es ging um ei n Großprojekt : di e Standardisierung de r Luftflotte n des Bündnisses i n einer Schlüsselkategori e de r Rüstung . Erstmal s erfolgt e ei n soge -nanntes NBM R (NAT O Basi c Militar y Requirement) , welche s »di e NATO-Be -fehlshaber, insbesondere SACEUR .. . zu erarbeiten« hatten 88.

Frankreich trat gleich mit drei Entwürfen an . Technologisch am eindrucksvollste n war der Entwurf de r alten Pionierfirma Bregue t geraten. Ihr Jabo Taon bestach durc h eine aerodynamisc h brillant e Linienführun g un d entsprechend e Flugleistunge n (Abb. 3) . Dassault hatt e sic h wenige r Müh e gegebe n un d offeriert e ein e adaptiert e Version (Étendard VI) eine s ansonste n fü r di e Aéronavale entwickelten leichte n Kampfflugzeuges. Weni g überzeugte auc h da s Modell Baroudeu r de r Sud Aviation : dieser Jabo sollte beispielsweise auf Kufen stat t auf Rädern landen .

86 Au s französischer Sich t dazu instruktiv BOSSUA T [1994] (wie Anm. 8 ) S. 172f . 87 Übe r die Rivalität zwischen der französischen Optio n (Mirage III) und de r US-Option (Supe r Tiger

oder F-10 4 Starfighter ) lieg t hinreichen d Literatu r vor , etw a be i BOSSUA T [1994 ] (wi e Anm . 8 ) S. 181f .

88 Han s Ott o SEYDEL , Hans-Georg KANNO , Die Rüstung, in: Karl CARSTENS , Dieter MAHNCK E (Hg.) , Westeuropäische Verteidigungskooperation , München , Wie n 1972 , S. 162f. Ministerialra t Dr . Han s Otto Seyde l und Dr . Hans-Georg Kann o ware n Angehörig e des Bundesministeriums de r Verteidi -gung, so daß die im folgenden nac h diesen zitierten Angaben al s amtlich gelten dürfen .

164 Ulrich Albrecht

Das Rennen machte ein Entwurf der italienischen Firma FIAT. In Italien (und an-derswo) war das erfolgreiche amerikanisch e Jagdflugzeug Nort h American F-86 in Lizenz nachgebaut worden. Die FIAT-Ingenieure hatten wenig mehr getan, als mit ihrem Entwurf G.91 ihren Nachbau an die NATO-Spezifikation z u adaptieren. Ver-ständlicherweise zeigte sich diese Adaption in der NATO-Erprobung den französi -schen Prototype n i m Alltagsgebrauch überlegen , s o da ß de r Zuschla g a n Italie n ging. In der Bundesrepublik, di e sich in NATO-Treue übte , wurden hernach 294 FIAT-Jabos gebaut . Die Italiener selbe r bestellten ein e geringere Anzahl für de n Eigenbedarf. Alle anderen NATO-Staate n truge n di e Entscheidung de r Brüssele r Zentrale nicht mit und versorgten sich anderweitig mit Jagdbombern.

So verblieben de r deutsch-französischen Rüstungskooperatio n i n der Technolo-giewende hin zu den sechziger Jahren in der Luftfahrttechnik lediglic h zweitrangige Technologielinien (zweitrangi g sowohl im Vergleich mi t militärischer Spitzentech -nologie bei militärischem Großgerät , wie auch im Vergleich zur Weltmarktkonkur -renz): Transportflugzeuge (Noratlas , Transall), Übungsflugzeuge (Magister ) und U-Boot-Bekämpfungsflugzeuge (Atiantique) .

1. Die Transportflugzeugprogramme

Die französische Konzeptio n der Nachkriegsära für ein modernes Militärtransport -flugzeug knüpft e direk t an amerikanische und deutsche Entwürfe an , symbolisiert durch de n Doppelleitwerkträger , de r da s Rumpfend e fü r de n Abwur f vo n Fall -schirmlasten freigab (i n Deutschland bei Kriegsende besonders das Muster Gothaer Waggonfabrik Go 242, in den USA die Muster C-82 und C-l 19 der Firma Fairchild). Als de r Nachba u de s s o konzipierte n Typ s Nor d Aviatio n Noratla s (Abb.4 ) i n Deutschland anstand , kehrten die deutschen Ingenieure gewissermaßen zu eigenen Konzepten zurück89.

Das Muste r Nor d N . 250 1 Noratlas , angetriebe n durc h zwe i Kolbenmotoren , folgte stu r de m andernort s i m Zweite n Weltkrie g geborene n Konzept . Technolo-gisch nachholend wurden zwische n 195 1 und 196 1 insgesamt 428 Einheiten gefer -tigt, davon 161 Stück in Deutschland. Technologisch blieb dieses Programm infolg e seiner Bindung an Konzeptionen des Zweiten Weltkrieges wenig aufregend. Die all-gemeineren Erträg e diese s Gemeinschaftsprojekte s (welche s eigentlic h lediglic h in einer Lizenznahm e i n de r Bundesrepublik bestand ) sin d vor alle m im außertech -nischen Bereic h z u suchen : de m Erwer b vo n Kooperationserfahrunge n zwische n deutschen und französischen Behörde n und Unternehmen.

Die Bildun g de r Europäische n Wirtschaftsgemeinschaf t 195 7 gab politisch de n Anlaß, weitaus enger e Formen auc h de r rüstungswirtschaftliche n Kooperatio n z u suchen. Die französische, di e deutsche und die italienische Regierung, die wichtig-sten Initiante n europäische r Integration , hatte n i m Rahmen de r Ausfertigun g de r Römischen Verträge eine n »Dreierausschuß « gebildet , de r industriepolitisc h di e Dynamik der europäischen Einigung umsetzen sollte . Die Kommission »Luft « de s Ausschusses ging Ende 1957 daran, die aus den drei Ländern eintreffenden Entwürf e

89 Übe r di e Verbindungen de s Noratlas-Konzeptes z u vorangehende n deutsche n Entwürfe n infor -miert die erwähnte Vorstudie (wie Anm. 17) S. 202f.

Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s (1945-1960) 16 5

für eine n moderne n Militärtransporte r z u bewerte n un d ein e gemeinschaftlich e Lösung auch für die Fertigung zu bilden.

Als Nachfolgemuste r z u de r scho n währen d de r Phas e de r Produktio n i n Deutschland veralteten Noratlas (auf dem Weltmarkt dominierte das Muster Hercu-les der US-Firma Lockhee d mi t Turboprop-Antrieb) wurde n a b 195 7 in den dre i Staaten Vorprojekt e fü r eine n sogenannte n »KampfZonentransporter « konzipiert . Am 10 . März 195 8 fand i m Bundesverteidigungsministerium ein e Besprechung z u den eingereichten deutsche n Entwürfe n statt . Im Dezember 195 8 erfolgte di e ent-scheidende Auswahlsitzun g de r trilaterale n Kommissio n »Luft« . Zwa r ware n di e Italiener an diesem Vorgang noch beteiligt, das Vorhaben entwickelte sich jedoch zu-nehmend zu einem kollaborativen Projekt zwischen Franzosen und Deutschen. Im Ergebnis wurd e gemeinsa m zwische n französische n un d deutsche n Instanze n da s Muster Transall (Transporter Allianz) konzipiert (Abb.5).

Der »Dreierausschuß « mitsam t seine r Kommissio n »Luft « hatt e nie die Bedeu-tung erlangt, die die drei Regierungen ihm zu geben beabsichtigten. Es handelte sich um eine im politischen Alltag rasch verbleichende Initiative, die das tastende Suchen der europäischen Regierungen nach neuen Formen der wirtschaftlichen Zusammen -arbeit widerspiegelt. Italien zog sich bald zurück. Fortan nahm das noch kurz zuvor mit soviel politischer Emphase begonnene Transall-Projekt eine n recht konventio-nellen Weg. Di e Verteidigungsminister Frankreichs und Deutschlands verständigten sich darauf, die am Noratlas-Bau beteiligten Firmen zu beauftragen, die verbleiben-den zwei Entwürfe zu einem gemeinsamen Projekt zusammenzuarbeiten .

Auch di e Industrie verhiel t sic h betont abwartend . Die Beteiligten waren deut -scherseits Messerschmitt-Bölkow-Bloh m (MBB ) un d VFW-Fokker , au f französi -scher Seite Aérospatiale, d.h. die vormalige Nord Aviation . Die Beteiligten einigten sich au f di e institutionel l schwächst e möglich e Lösun g fü r di e Ausführun g ihres gemeinsamen Projektes, die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft (dies e Koope-rationsform is t in Deutschland vor allem aus dem Tiefbau bekannt , wo Unterneh -men sich zum Bau von Großprojekten ad-hoc zusammenschließen, etwa der Erstel-lung einer Autobahn, um nach Beendigung eines solchen Projektes um so heftige r um einen Folgeauftrag zu konkurrieren, dann neue Koalitionen bildend). Am 28. Ja-nuar 195 9 wurde n in einer »Konferenz« der beteiligten Firmen (ein geringwertigerer Rahmen läßt sich nicht vorstellen) die wesentlichen Merkmale des angestrebten ge-meinsamen Transportflugzeuge s festgelegt . »Diese r Tag gilt al s Gründungstag de r Arbeitsgemeinschaft Transall« , heißt e s in einer industrienahen Chronik 90 - wobe i der gewählte Wortlaut (»gilt als ...«) die Brüchigkeit des Vorganges nur zu deutlich wiederspiegelt. Da s industrieseitig schwach e institutionelle Ech o bleib t um so be-merkenswerter, weil es den politischen Instanzen seinerzeit um nichts weniger ging als »die gemeinsame Entwicklung und Produktion eines militärischen Turboprop-90 Hors t WALTER , Dietma r PLATH , Transall . Enge l de r Lüfte , Stuttgart , 21988, S. 58. Aber auc h gege n

sozialwissenschaftliche Literatu r bleib t Reserv e angebracht . Di e zitierte n BENECKE , KRAFF T (wi e Anm. 1 ) schreiben i n ihre m Beitra g fü r di e »Dokumente « di e Industriesich t einfac h nac h (S . 110): »Bereits i m Jahre 195 9 gründete n MB B (Messerschmitt-Bölkow-Blohm) , Aérospatiale und VF W die Gruppe >Transall<.. . Di e Regierungsverträge fü r de n Serienba u folgte n ers t 1965. « Zwar is t di e Angabe de s Datum s übe r da s Regierungsabkomme n fü r de n Serienba u zutreffend . All e andere n vorherigen Schritt e de r beide n Regierunge n i n Sachen Transal l abe r z u übersehe n (ode r sollt e ma n sagen: zu unterschlagen?) zeug t denn aber doch von einer bemerkenswerten Blickverengung .

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Transporters«91. 196 0 unterzeichneten di e deutsch e un d di e französisch e Regie -rung einen internationalen Vertrag über die Entwicklung des Projektes Transall.

Das anhaltende französisch e Engagemen t etw a für diese s Gemeinschaftsprojek t drückt sic h darin aus , daß den unerfahrenen Deutsche n ga r die Funktion de s Pro-jektmanagements überlassen wurde (diese Rolle füllte VFW-Fokker in Bremen aus). Die Franzosen bewegten sich überaus diskret, um ihre Erfahrungen für das Gelingen des Projektes nutzbar zu machen. Nord Aviation fertigte anstelle des Projektmana -gers den erste n Prototy p de s Flugzeuges , die Ermüdungstest s fande n be i EAT in Toulouse statt, ohne daß davon viel Aufhebens gemach t wurde.

Ein größerer Erfolg blieb dem so entstehenden Muster Transall versagt. Lediglich die Luftstreitkräfte Frankreich s und der Bundesrepublik Deutschland erwarben die-ses Muster. Im Vergleich besonders zu amerikanischen Transportern blieb die Trans-all unterlegen. Nur de r Paria-Staa t Südafrik a ordert e neu n Flugzeuge , weil e r von Lieferungen de r amerikanische n Hercule s ausgeschlosse n blie b (ferne r erhiel t di e Türkei eine Anzahl Transall aus deutschen Beständen). Der Produktionslauf erreich -te bescheidene 169 Einheiten, das Gesamtvolumen des Projekts lag knapp unter vier Milliarden DM92. Das Projekt Transal l verkörpert, über die Noratlas hinaus , somit lediglich einen weiteren Schritt , unabhängig vom Weltmarkt z u einer Verstetigung der französisch-deutschen Rüstungszusammenarbei t z u kommen, mit beachtlichen Zugeständnissen auf französischer Seite.

Einzelne Autore n werte n da s Transall-Program m positiver . Christia n Muguet schreibt, daß dieses Projekt »als technischer und politischer Ausgangspunkt des Air-bus-Programms angesehe n werden« könne 93. In der zitierten industrienahe n deut -schen Monographie wir d festgehalten : »Mi t der Transal l C 16 0 wurde zum ersten Male i n de r Geschicht e de s Flugzeugbau s ei n Großflugzeu g gemeinsa m vo n de r Luftfahrtindustrie zweie r Staaten entwickelt, erprobt un d gebaut« 94. Dem ist nicht zu widersprechen, nur gab es in zügiger Folge bald ungleich wichtigere internatio-nale Luftfahrtprojekte, vo n der britisch-französischen Concord e bis hin zu Flugzeu-gen wie Jaguar , Alpha-Jet und Tornado.

2. Das Schulflugzeugprogramm CM. 170 Magister

Als noch weniger Zukunftsperspektiven eröffnen d erwie s sich der deutsche Nach-bau des Schulflugzeuges Potez-Ai r Foug a Magister . Die mittelständischen Firme n Potez und Ai r Fouga, nach Jahren der Untätigkei t i m Luftfahrtsektor infolg e ver -schiedener Nationalisierungsmaßnahmen in Frankreich, suchten mit diversen Leicht-flugzeugen sic h in einer Marktnische z u etablieren . Mi t dem Magister-Schulflug -

91 S o John W.R. TAYLOR (ed.), Jane's All the World's Aircraft, London 1970-71 , S. 124. 92 SEYDEL , KANN O (wi e Anm . 88 ) S . 201 . 93 Christia n MUGUET, Rüstungsindustrie un d Kooperationspolitik : Erfahrunge n un d Reichweit e de r

deutsch-französischen Zusammenarbeit , in : Lothar BROCK , Mathia s JOP P (Hg.) , Sicherheitspoliti -sche Zusammenarbeit und Kooperation der Rüstungswirtschaft i n Westeuropa, Baden-Baden 1986 , S. 134. Mit Blick auf folgende deutsch-französische Gemeinschaftsprogramm e schreib t Muguet zu-sammenfassend a n gleicher Stell e über die Kooperatio n beide r Länder : »Sie ist die umfangreichst e zwischen zwei westeuropäischen Staaten, wenn nicht sogar die bedeutendste Rüstungskooperatio n überhaupt« (S . 130).

94 WALTER , PLAT H (wie Anm . 90 ) S . 58 .

Rüstungsfragen i m deutsch-französischen Verhältni s ( 1945-1960) 16 7

zeug schie n die s zunächs t z u gelingen . Der Jungfernflug diese s vo n zwe i Turbo-méca-Leichtturbinen angetriebenen Muster s fan d i m Jul i 195 2 statt , da s erst e Serienmuster wurde im Frühjahr 195 6 ausgeliefert (Abb.6) . Drittrangige Produzen-ten, Flugzeughersteller in Finnland und Israel, erwarben neben der Bundesrepublik die Nachbaurechte an dem Trainer. Insgesamt wurden von diesem Muster zwischen 1952 und 196 3 mehr als eintausend Einheiten gefertigt, auch für den Export in afri -kanische Länder wie Algerien, Kongo, Marroko, Nigeria und Uganda. Von den kon-zipierten Weiterentwicklunge n de r Magiste r ka m kein e einzig e zu m Tragen , was sowohl für die industrielle Schwäche der Produzenten wie für das Ende der Nischen-situation spricht. Im deutsch-französischen Verhältni s ist die Affäre Magiste r allen-falls als Zwischenschritt beim Versuch zu werten, sich aufeinander zuzubewegen .

3. Das Projekt Breguet Atiantique Die Erwartung, daß die Bundesmarine al s Erstausstattung fü r di e U-Boot-Überwa -chung der Ost- und Nordsee das Muster Breguet 1050 Alizé erwerben würde, wo doch die gemeinsame Entwicklung eines Folgemodells, der Breguet Atiantique, vorbereitet wurde, gin g nich t i n Erfüllung . Au s i n französischer Sich t nich t nachvollziehbare n Gründen gin g seinerzei t de r deutsche Erstauftrag a n die britische Konkurrenzfirm a Fairey. Die lieferte zwei Dutzend Exemplare ihres U-Boot-Aufklärers Ganne t A.E.W. 3 (die Technologie der späten vierziger Jahre repräsentierend) an die Bundesmarine aus.

Unter der Federführung de s »NATO Armaments Committee« wurde eine inter-nationale Spezifikatio n erarbeite t (erneu t ei n sog . NATO Basi c Military Require -ment), um vor allem einem Leitziel zu dienen, dem Loskommen von amerikanischer Technologie. Diese wurde 195 8 veröffentlicht. 2 5 Entwürfe ginge n au f dies e Aus-schreibung hin ein. Breguet gewann das Rennen mit seinem Modell 1150.

Die fünf Regierunge n Belgiens, der Bundesrepublik, Frankreichs, der Niederlan-de sowie - kau m zu glauben - de r USA übernahmen hernach die Verantwortung für die Finanzierung und di e Überwachung diese s NATO-Programms. Späte r stieße n die Italiener hinzu.

Die Arbeitsteilung für die Erstellung des Flugzeuges erfolgte erneut ad-hoc, ohne klares Muster. Die niederländische Firma Fokker übernahm die Flügelmittelstücke sowie die rückwärtigen Teile der Triebwerkummantelungen. Di e deutschen Unter -nehmen Dornier und MBB erhielten die unteren Rumpfhälften sowi e das Heck mit-samt dem Seitenleitwerk (anders ausgedrückt: die weniger anspruchsvoll herstellba-ren Teile). Breguet bekam die Zuständigkeit für den Rumpf mit seiner anspruchsvol-len Elektronik. I n Spanie n wurden di e Fahrwerke hergestellt . Italienisch e Firme n bekamen di e Mittelstücke de r Triebwerksmäntel , di e Höhenleitwerk e sowi e Teile der Bugsektio n zugesprochen . I n Belgie n wurden divers e Zulieferungen gefertigt . Die französische Direction Technique des Constructions Aéronautique s leitete die Arbeiten, s o daß eine klare Führungsstruktur i n dem internationalen Konsortiu m gegeben war. Dies stellt einen deutlichen organisatorischen Fortschritt gegenüber et-wa den Arbeiten a m Transall-Projekt dar . Im Oktober 196 1 startete der Prototy p dieses Vielnationenprojektes erfolgreic h zu m Erstflug. 8 7 Einheiten wurden gefer -tigt, das Finanzvolumen belief sich auf 3,3 Milliarden FF95. Exporterfolge blieben der

95 SEYDEL , KANN O (wi e Anm . 88 ) S . 196 .

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Atlantique versagt - di e amerikanische Konkurren z erwie s sic h vor alle m aufgrun d ihrer Überlegenheit in der Elektronik al s unschlagbar.

Ergebnisse

Schrittweise ha t sic h die deutsch-französische rüstungswirtschaftlich e Kooperatio n im Berichtszeitraum entwickelt . Unmittelbar nach dem Kriege stand verständlicher -weise da s französisch e Bestrebe n i m Vordergrund , durc h rasche n Zugrif f au f di e vom Nationalsozialismu s hinterlassen e Technologiebeut e zumindes t teilweis e Rück -stände auszugleichen , di e in der Rüstungstechnologie i m Vergleich mi t den führen -den Militärmächte n zwangsweis e i n Frankreic h eingetrete n waren . E s wird zutref -fen, da ß di e französische n Behörde n be i diese n Versuche n nich t gerad e zimperlic h vorgegangen sind .

Im Rückblic k erweise n sic h die dominanten französische n Projekt e zu r Akquisi -tion vo n Rüstungsfortschritte n de s Dritte n Reiche s al s von beeindruckende r Weit -sicht geprägt . Die s gil t besonder s fü r di e Technologielinie n Düsentriebwerk e un d Raketen, aber auch für de n Hubschrauberbau .

Eine zumindes t indirekt e Anerkennun g de r Standard s de r deutsche n Team s er -folgte durc h die spätere Berufung vo n einer Anzahl von in Frankreich tätige n Fach -leuten au f Professure n i n der Bundesrepublik : di e wieder eingerichtete n Lehrstühl e für Luftfahrttechni k ginge n i n Berlin a n Heinrich Herte l (SNCAS E Marignane), in Aachen a n August-Wilhel m Quic k (SNECMA ) un d i n Stuttgar t a n Ulric h Hütte r (ebenfalls SNECMA) . Henrich Focke (SNCASE Argenteuil ) war kurzfristig Hoch -schullehrer i n Stuttgart . Euge n Sänge r (LRBA ) wurd e Ordinariu s i n Stuttgar t un d Berlin, Klaus Oswatitsch (ebenfall s LRBA ) war Professo r i n Aachen und Wien. Ein vergleichbarer akademischer »Ertrag « für deutsch e Hochschulen is t für kei n anderes Land z u verzeichnen , welche s nac h de m Krieg e deutsch e Rüstungsfachleut e be -schäftigte - sieh t man einmal von dem Sonderfall ab , daß eine erhebliche Anzahl von aus de r UdSS R heimkehrende n Deutsche n i n de r DD R besonder s i n de r Kern -physik, aber auch im Luftfahrtsektor akademisch e Würden errang .

Es ga b daneben ein e Anzahl vo n technologisc h nich t weiterführenden Ansätzen , vor allem mit mittelständischen französische n Firmen . Dies früh begriffe n z u haben , bleibt vo r alle m de r französische n staatliche n Seit e vorbehalten. Ein e gewiss e Aus -nahme bilde t da s V-l-Projekt , desse n militärisch e Nutzlosigkei t ers t spä t erkann t wurde.

Die Projekt e de r unmittelbare n Nachkriegszei t leitete n i m Arkanu m de r Rü -stungstechniker ein e Kooperation ein , die in den sechziger Jahren die Grundlage fü r eine groß e Offenhei t au f französische r Seit e abgibt , be i den informierte n Elite n i m Rüstungssektor, fü r Gemeinschaftsprojekt e mi t den Deutschen z u votieren. Im we-sentlichen bleib t festzuhalten , da ß di e fünfzige r un d sechzige r Jahr e i m deutsch -französischen Verhältni s i n rüstungswirtschaftliche n Dinge n de n Versuc h eine r Annäherung symbolisieren, wobei auf französischer Seit e beklagt wird, daß die neue Bundesrepublik nu r zögerlic h und ausweichen d au f di e in französischer Sich t weit -gehenden Offerten Mitt e der fünfziger Jahr e reagiert .

Die NAT O mi t ihre n diverse n Ausschreibunge n wirk t i n französische r Sich t al s wirksamer Filter , u m i m anglo-amerikanische n Interess e di e deutsch-französisch e

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Rüstungskooperation nich t in s Krau t schieße n z u lassen . U m s o nachdrückliche r formiert sic h die Frage an die Deutschen, wie ernst si e die Partnerschaft mi t Frank -reich denn zu nehmen gedenken .

Spürbar is t auf jede r Stufe diese r Skizze , wie seh r di e grob konstruierte n These n der Unterfütterung durc h konkrete Forschung bedürfti g sind . Es bleibt bemerkens -wert festzuhalten , wi e dünn de r sozialwissenschaftlich e Forschungshintergrun d z u den hier vorgetragenen Positionen bleibt .

Nicht recherchierbar , i n eine Tabuzone verwiesen, bleib t in meiner Sicht die Kol -laboration französische r Experte n fü r di e Rüstungsanstrengungen de s Dritten Rei -ches während de r Besatzungszeit 96. Abe r auc h dies e Phase gehört , nich t nu r i n de n Erinnerungen de r Beteiligten , zu r Geschicht e de r deutsch-französische n Zusam -menarbeit in der Rüstung .

96 Einig e Informatione n finde n sic h i n US-amerikanische n Geheimdienstberichten . I m Herbs t 194 4 suchten di e Amerikaner vo n französische n Fachleuten , di e an deutschen Rüstungsprojekte n betei -ligt waren , z u erfahren , welch e kriegswichtige n Neuerunge n au f Seite n de r Deutsche n z u gewärti -gen seien . »Obwoh l insgesam t 4 8 Ziel e vo n de m Luftfahrt-Tea m i m Großrau m Pari s untersuch t wurden, ware n technisch e Informatione n vo n einige m Gehal t nu r i n wenige n Fälle n z u erhalten« , resümiert ei n solcher amerikanische r Berich t (Logan-Bericht , wi e Anm. 27 , S. 3). Als »Informatio -nen von Wert« bezeichnet dieser Bericht Blaupausen zu dem viermotorigen Bomberprojek t Heinke l He 274 sowie dem gleichfall s viermotorige n Transporter Focke-Wul f F w 300. »Nach der Besetzun g Frankreichs, al s di e französisch e Luftfahrtindustri e de r deutsche n Kapazitä t eingeglieder t wurde , setzte Tan k bei m RL M durch , da ß französisch e Fachleut e a n de m Projek t weiterarbeite n durften . Unter de r konstruktive n Oberleitun g Dipl.-Ing . Bansemir s .. . übernah m de r ganz e Stab mi t hoch -wertigen Fachkräfte n de s Parise r Konstruktionsbüro s de r SNCAS O di e konstruktiv e Ausarbei -tung der Fw 300. Nach zweijährige r Kleinarbei t war die Fw 300 baureif.« Hernac h »wurd e der glei-chen Entwicklungsgrupp e di e Aufgab e übertragen , eine n Langstreckenbombe r z u entwerfen , de r 10000 kg Bombenlast übe r ein e Strecke von 4800 km beförder n konnte . Die Entwicklungsarbeite n wurden vo n de r vo n Focke-Wul f kontrollierte n Grupp e Technique de Châtillon, einer Konstruk -tionsgemeinschaft vo n übe r 30 0 französische n Technikern , durchgeführt , di e i n Châtillon-sur-Bagneux, einem südlichen Vorort von Paris , untergebracht waren, « heiß t e s dazu i n einer deutsche n Luftfahrtgeschichte (Hein z J . NOWARRA , Di e deutsch e Luftrüstun g 1933-1945 , Koblen z 1986 , S. 10 5 u . 112) . Der Logan-Berich t heb t hervor , »da ß vo n de n französische n Ingenieure n verlang t wurde, anhan d minimale r Informatione n Strukturteil e un d Komponente n z u konstruieren « (ibid. , S. 3). Die Politik der Ausgrenzung französischer Fachleut e wurde von den Deutschen augenschein -lich besonders im Forschungsbereich angewendet . In dem modernen Windkanal in Chalais Meudo n etwa wurd e »di e französisch e Bedienungsmannschaf t bi s au f wenig e einfach e Hilfskräft e wegge -schickt, und selbs t dies e wurden fü r ein e Periode vo n zeh n Tage n ode r s o ausgeschlossen , wenn e s um besonder s geheim e Forschungsarbeite n ging « (Logan-Bericht , S . 16) . Ansonsten wurde n fran -zösische Ingenieure de n amerikanische n Unterlage n zufolg e fü r zweitrangig e Aufgabe n eingesetzt , wie de r Erstellun g eine r Flugzeugträger-Variant e de s Luftwaffen-Standardjäger s Me 109 un d de r Vergrößerung de r Durchmesse r de r Fahrwerk e (Caudron-Renault ) ode r di e Anpassung de s Nach -folgemusters F w 19 0 an ander e Motore n ode r Tragfläche n größere r Spannweit e (SNCASO) . Fü r den erste n Düsenbombe r de r Welt , di e Arad o 234 , wurden eine m weitere n amerikanische n Be -richt zufolg e vo n de r französische n Firm a H.I.P.A . i n Pari s Rude r un d Leitwerk e gefertig t (Fligh t Lieutenant R.S . Sproul e u.a. , Investigation of ga s turbine and jet propulsio n work i n Paris , 29 Aug.- 8 Sept . 1944 , Combined Intelligence Objective s Sub-Committee, G- 2 Division , SHAE F [Rear] APO 413 , S. 7). Hin und wieder waren französische Betrieb e augenscheinlich wichtige Liefe -ranten für hochwertig e Technologie des Dritten Reiches . VIELLAIN [(wie Anm. 9) S. 3] berichtet, daß die Pariser Firma La Précision Mécanique , vermutlich ohne den Bestimmungszweck z u kennen, be i Kriegsende Servomotoren fü r di e Vergeltungswaffe V- 2 fertigte .