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Beihefte der Francia Bd. 27 1993 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi- kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht- kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver- folgt werden.

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Beihefte der Francia

Bd. 27

1993

Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publi-kationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich ver-folgt werden.

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EDGAR WOLFRU M

DAS BIL D DE R »DÜSTERE N FRANZOSENZEIT «

Alltagsnot, Meinungsklim a un d Demokratisierungspoliti k in de r französische n Besatzungszon e nac h 194 5

»Wenn man heute in Deutschland herumreist«, so faßte im Jahre 1947 Emmanuel Mou-nier - Herausgeber der französischen Zeitschrift »Esprit « - di e Stimmungslage der Nach-kriegsdeutschen zusammen, »is t der vorherrschende Eindruck der, daß die Unannehm-lichkeiten de r Besatzun g di e Geiste r s o seh r verdunkeln , da ß all e andere n Problem e dahinter zurückstehen. Das geht so weit, daß manche Leute sagen >in Friedenszeiten< -wenn sie von der Periode 1939 bis 1945 sprechen.« Die Deutschen glaubten, wie Mounier irritiert feststellen mußte, in der schlechtesten aller möglichen Welten zu leben, wogegen sich sogar di e Zeit de s Weltkrieges un d de r NS-Diktatu r verklärte .

Diese Sätz e stehe n i n eine m weithi n vergessene n zeitgeschichtliche n Dokument , das eine n Blic k hinte r di e Kulisse n öffentliche r Verlautbarunge n i m besetzte n Deutschland wagte : Um di e Jahreswende 1946/4 7 führte de r eben wiedererstanden e »Esprit« - 193 2 von eine r Grupp e junge r Franzose n gegründe t un d 194 1 im Vichy-Frankreich verboten - ein e Umfrage i n der französischen, zu m Teil aber auc h in de r amerikanischen un d britische n Besatzungszon e durch , mi t de m Ziel , ganz allgemei n und ohn e ei n griffbereite s Fragenraste r di e »deutsch e Meinung « z u ermitteln 1. Di e Deutschen konnte n sic h über al l das äußern , wa s ihnen au f de n Nägeln brannte . I n den Worten Mouniers : »Absichtlic h un d systematisc h habe n wi r un s jed e vorgefer -tigte Meinung versagt: wir wollen weder anklagen noch die Hand reichen, weder de n guten Deutsche n suche n noc h Strich e de s Pangermanismu s abermal s nachziehen.« 2

Sämtliche Stellungnahme n sollte n niedergeschriebe n un d konnte n anony m abgege -ben werden. So entstand ei n facettenreiches Kompendiu m deutsche r Lebensgefühle , Stimmungen, Erwartungen , Hoffnunge n un d Ängste ; eine bunte Palette von Privat -berichten un d gan z persönlichen Briefen ; ein e Fülle von reumütige n Eingeständnis -sen übe r Verstrickungen i n de r NS-Zeit , di e unvermittel t nebe n Bekenntnisse n vo n Unbelehrbaren standen , bi s hi n z u sarkastische n Auslassunge n übe r di e Politi k de r Besatzungsmächte.

Die französisch e Militärregierun g wurd e vo n de m Vorhaben unterrichtet , unter -stützte es materiell, nahm abe r keinerlei Einfluß au f di e Verwertung de r Ergebnisse 3. Der Enquête sah das Gouvernemen t Militaire indes mi t große r Spannun g entgegen .

1 »Esprit« , Sonderhef t V I 1947 . In deutsche r Übersetzung , nac h de r i m folgende n zitier t wird , erschie n die Umfrag e unte r de m Titel : Anthologi e de r deutsche n Meinung . Deutsch e Antworte n au f ein e französische Umfrage , Konstan z 1948 . Das eingang s erwähnt e Zita t finde t sich au f S . 143.

2 Ebda. , S . 11. 3 Ebda. , S . 7.

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88 Edgar Wolf rum

Denn kein e andere Besatzungsmach t wa r derar t au f Status , Prestige und Außenwir -kung bedacht wie die französische. Da s spiegel t sich besonders darin , daß ein ganze r Stab vo n Offiziere n ständi g i n de r Zon e dami t beschäftig t war , de n feinste n Änderungen de s deutschen Nachkriegsbewußtseins au f die Spur zu kommen und das Bild z u analysieren , da s die Besatzungsmacht i n den Augen de r Bevölkerung abgab . Sämtliche Monatsberichte de r französischen Ländergouverneur e beganne n nicht von ungefähr mi t de r Beschreibun g de s »état d'esprit « der deutsche n Bevölkerung 4.

Die Bewußtseinslage de r Deutschen nac h dem Untergang de s »Dritte n Reiches « is t nur schwe r systematisc h i n den Grif f z u bekommen; 5 abe r die französischen Quelle n lassen es doch zu, das Auf und Ab des Stimmungsbarometers de r Zusammenbruchsge -sellschaft nachzuzeichnen . Di e brei t gestreuten , all e Schichte n einbeziehende n Stim -mungsberichte de r »Esprit«-Umfrage , unterfütter t mi t Analysen de r Militärregierung , geben Aufschlu ß darüber , wi e de r Umbruc h nac h Krie g un d NS-Diktatu r vo n de r deutschen Bevölkerung erfahren un d verarbeite t wurde. Und si e sind von unschätzba -rem Wer t fü r ei n tiefere s un d differenziertere s Verständni s fü r da s konfliktreich e Kapitel de s deutschen Neuanfang s i n de r französischen Zon e nach 1945 .

Denn gerad e u m di e Wertun g de r französische n Besatzungszei t is t sei t einige n Jahren de r Forschungsstrei t hefti g entbrannt . E s stehe n sic h nahez u unversöhnlic h zwei konträr e Interpretatione n gegenüber . Fü r di e ein e Richtun g gib t e s keine n Zweifel: »Di e Besatzungspraxis de r Franzosen war in vielen Bereichen schlimmer al s in de n übrige n Zonen« , laute t etw a da s ers t einig e Jahre zurückliegende , lapidare , dafür ums o eindeutiger e Urtei l von Rol f Steininger 6. Getriebe n vo n eine r »unbarm -herzigen Sicherheits - un d Reparationspolitik« 7 hätte n di e Franzose n a n ihre m Zie l einer maximale n wirtschaftliche n Nutzun g de r Zon e bi s 194 8 kein e Abstrich e

4 Nac h de n besetzte n Länder n geordnet e Monatsbericht e de r Délégations Supérieur s in de n Archives de l'Occupation Français e e n Allemagne e t e n Autriche , Colmar , künftig AoFAA zitiert. Di e Sammelbe -richte: Synthèse des rapports d e MM. les Délègues Supérieur s ... i n den Beständen AoFAA, Conseille r Politique (=Cons . Pol.) 19 6 C HI un d 19 7 C H I .

5 Versuch e daz u be i Christop h KLESSMANN , Di e doppelt e Staat s gründung. Deutsch e Geschicht e 1945-1955, Göttingen 4 1986 , S . 53 ff. Seh r instrukti v is t de r Beitra g vo n Jose f FOSCHEPOTH , Zu r deutschen Reaktio n au f Niederlag e un d Besatzung , in : Ludol f HERBS T (Hg.) , Westdeutschlan d 1945-1955. Unterwerfung , Kontrolle , Integration , Münche n 1986 , S . 151-165. Daneben : Günte r J . TRITTEL, Di e westliche n Besatzungsmächt e un d de r Kamp f gege n de n Mange l 1945-1949 , in : Au s Politik un d Zeitgeschicht e B 22 (1986), S. 18-29. Wichtige Hinweis e auc h i n dem Sammelband : Marti n BROSZAT, Klaus-Dietma r HENKE , Han s WOLLE R (Hg.) , Vo n Stalingra d zu r Währungsreform . Zu r Sozialgeschichte de s Umbruch s i n Deutschland , Münche n 1988 . Schließlich : Christop h KLESSMANN , Untergänge - Übergänge . Gesellschaftliche Brüch e und Kontinuitätslinien vor und nach 1945 , in: DERS . (Hg.), Nich t nu r Hitler s Krieg . De r Zweit e Weltkrieg un d di e Deutschen , Düsseldor f 1989 , S. 83-97. Sämtliche genannt e Autore n spare n allerding s di e französische Besatzungszon e aus .

6 Rol f STEINIGNER , Deutsch e Geschicht e 1945-1961 . Darstellung und Dokumente i n zwei Bänden, Bd. 1, Frankfurt/M. 1983 , S. 70.

7 Hans-Pete r SCHWARZ , Vo m Reic h zu r Bundesrepublik . Deutschlan d i m Widerstrei t de r außenpoliti -schen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945-1949 , Stuttgart2 1980 , im einleitende n bibliographischen Essay . Ähnlich bei: Theodor ESCHENBURG , Jahre der Besatzung 1945-1949 , Stuttgar t 1983, au f de n da s Charakteristiku m »Ausbeutungskolonie « zurückgeht , S . 90. I n neuere n Gesamtdar -stellungen zu r Vor - un d Frühgeschicht e de r Bundesrepubli k bleib t di e französisch e Zon e entwede r nahezu unerwähnt , s o be i Wolfgang BENZ , Von de r Besatzungsherrschaf t zu r Bundesrepublik . Statio -nen einer Staats gründung, 1946-1949 , Frankfurt/M. 1984 , oder die französische Besatzungspoliti k wir d nur seh r negativ geschildert , s o bei Rudolf MORSEY , Di e Bundesrepublik Deutschland . Entstehun g un d Entwicklung bi s 1969 , München 1987 , S.4 un d S . 11.

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Das Bil d de r »düsteren Franzosenzeit « 89

gemacht. Gegenübe r diese m Hauptziel , s o resümier t Klaus-Dietma r Henke , seie n Maßnahmen de r Militärregierun g i n andere n Bereichen , etw a de r Kulturpolitik , lediglich al s »accessoire«8 z u klassifizieren . Henk e warn t deshal b auc h beständi g davor, be i der Analys e de r Haupttendenze n französische r Besatzungspoliti k nich t den »Verlockunge n und Gefahren de s milden Blicks« 9 zu erliegen. Diese Kriti k ziel t auf ein e Reih e neuere r Untersuchungen , di e sich durc h eine n Perspektive n Wechsel auszeichnen: Si e stelle n einig e liebgeworden e These n au f de n Kopf , gelange n z u einer in vielen Zügen »positiven« Sich t französischer Besatzungspoliti k un d destillie-ren ein e Anzah l konstruktive r Neuansätz e heraus , di e vo n Anfan g a n soga r au f höchster Regierungseben e geplan t un d vo n dor t au f de n We g geschick t worde n seien10.

Derart unterschiedliche , ja diametral entgegengesetzte Interpretationen resultiere n zum einen natürlich au s der häufig gan z bewußten Überspitzung de r jeweils eigene n Gedankenführung. Bedeutsame r sind allerdings die methodischen Prämissen und das für di e Argumentation herangezog e Quellenmaterial . Der Stab über die französisch e Besatzungspolitik is t i n de r Ta t schnel l gebrochen , wen n ma n al s Meßlatt e di e Nachkriegspolitik de r Amerikaner unterlegt . S o werden all e Eigenentwicklungen i n der französische n Zon e al s Abweichunge n vo m letztlic h erfolgreiche n amerikani -schen Weg und damit al s retardierende Element e kurzerhan d weggewischt . Vielver -sprechende besatzungspolitisch e Strategien , di e Alternativen z u sonstigen Entwick -lungen i n de n Westzone n aufleuchte n lassen , abe r letzte n Ende s aufgrun d gan z verschiedener Einflüss e »vergeblich « ware n un d sei t 1947/4 8 zurückgenomme n wurden ode r dem Anpassungsdruck au s der Bizone zum Opfer fielen , gerate n somi t gar nich t ers t in s Blickfeld .

Das tiefsitzend e negativ e Verdik t gegenübe r besatzungspolitische n Aktivitäte n Frankreichs beruh t zude m au f Äußerunge n vo n Zeitzeuge n un d Darstellunge n i n den Aktenbestände n de r deutschen Verwaltunge n un d der amerikanische n Militär -behörden11. Da ß di e Amerikane r inde s de r »verspätete n Siegermacht « Frankreic h mit äußerste r Reserv e gegenüberstanden , is t noc h mild e ausgedrückt . Schließlic h

8 Klaus-Dietma r HENKE , Politi k de r Widersprüche. Zu r Chrakteristi k de r französischen Militärregie -rung in Deutschland nac h dem Zweiten Weltkrieg, in: Klaus SCHARF , Han s Jürgen SCHRÖDE R (Hg.) , Die Deutschlandpoliti k Frankreich s un d die französische Zon e 1945-1949 , Wiesbaden 1979 , S. 68.

9 Klaus-Dietma r HENK E i n eine m Diskussionsbeitrag , in : Institu t Français de Stuttgar t (Hg.) , Di e französische Deutschlandpoliti k zwische n 194 5 und 1949 , Tübingen 1987 , S. 54.

10 Ei n Überblick übe r di e neuen »revisionistischen « Forschunge n bei : Edgar WOLFRUM , Französisch e Besatzungspolitik i n Deutschlan d nac h 1945 . Neuere Forschunge n übe r di e »vergessen e Zone« , in : Neue Politisch e Literatu r 3 5 (1990) S . 50-62. I n die gleiche Richtun g geh t ei n von der Volkswagen-Stiftung geförderte s Forschungsprojek t übe r die französische Besatzungszone , das soeben am Histori-schen Seminar der Universität Freiburg abgeschlosse n wurde, und in dem der Verfasser diese s Beitrag s Mitarbeiter war . Vgl. die kurze Projektdarstellun g in : VfZ 3 6 (1987) , S . 707f. I n de r nächste n Zei t werden di e Erträg e des Projekt s - dre i Dissertationen , ein e Monographi e un d ei n Quellenban d -veröffentlicht.

11 Klaus-Dietma r HENKE , de r sich fast ausschließlic h au f solche Archivalien stütze n mußte , kam zu dem Schluß, au s diesen Quellen , »i n denen sic h der Negativabdruck de r Besatzungspolitik rech t deutlic h wiederfindet, lasse n sich durchaus Hintergründ e un d Motive de r Politik de r Franzosen i n ihrer Zon e erschließen«. DERS. , Aspekt e französische r Besatzungspoliti k i n Deutschland nac h de m 2 . Weltkrieg, in: Miscellanea . Festschrif t fü r Helmu t Krausnick , hg . v. Wolfgang BENZ , Stuttgar t 1980 , S. 169-191, hier S . 170.

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waren di e Franzosen au f de r Konferenz vo n Jalta nur durc h eine n »ac t of courtesy« , so di e Wort e eine s amerikanische n Diplomaten 12, i n de n Krei s de r künftige n Besatzungsmächte aufgenomme n worden . Un d da ß au f de r andere n Seit e deutsch e Verwaltungen nich t selte n ih r Versage n vo r de n sic h auftürmende n Probleme n de r Besatzungszeit z u kaschiere n suchte n un d unpopulär e Entscheidunge n zu r eigene n Entlastung vo r de r Wahlbevölkerung einfac h au f da s Konto de r unliebsamen Besat -zungsmacht buchten , is t hinlänglich bekannt 13.

Kurz: U m ei n differenziertere s Bil d de r Besatzungszei t z u zeichne n is t e s unab -dingbar nötig , französische , deutsch e un d - sowei t sinnvol l - Quelle n de r andere n Besatzungsmächte gegenseiti g z u beleuchten . Di e heutig e Forschun g tu t gu t daran , die spezifisc h deutsch , abe r auc h amerikanisc h geprägt e Perspektiv e vo n eine r konzeptionslosen, ausbeuterischen , schikanöse n un d heuchlerische n französische n Besatzungspolitik, di e zudem - gemesse n an der Dominanz de r Vereinigten Staaten -auf lang e Sich t völli g bedeutungslo s gewese n sei , z u verlassen . Auc h verschüttet e Entwicklungen könne n e s Wert sein , wieder de r Vergessenheit entrisse n z u werden .

Für ein e Neueinschätzun g französische r Besatzungspoliti k nac h 194 5 genüg t freilich nich t de r Blic k »vo n oben« , au s de r Vogelperspektive , un d de r Verweis au f hehre besatzungspolitisch e Absichten , wi e si e etw a i n de n frühe n Direktive n de s Comité Interministériel in Paris wortreich bekundet wurden14. Auf diese r abstrakte n Ebene dar f nich t Hal t gemach t werden . I m Gegenteil : Wen n ma n sic h di e Thes e einer zwar ambivalenten , abe r dennoch i n vielen Zügen »positiven « Besatzungspoli -tik z u eige n macht , mu ß ein e Antwor t darau f gefunde n werden , waru m sic h i m kollektiven Gedächtni s de r Mensche n fas t einhelli g di e »düster e Franzosenzeit « einbrannte. Es geht also im weitesten Sinne um die Frage, wie die Umbruchszeit vo n der deutsche n Gesellschaf t erfahre n un d verarbeite t wurde . E s geh t u m di e wir -kungsgeschichtliche Aufhellun g de r Besatzungspolitik . Wi e wa r e s möglich , da ß 1949 un d späte r kau m jeman d meh r etwa s vo n eine r französische n Demokratisie -rungspolitik wisse n wollt e ? Mit welchen Probleme n hatt e di e - i n den Auge n viele r Deutschen - »drittklassige « Siegermach t Frankreic h z u kämpfen ?

Besatzungspolitik wa r imme r auc h ei n Vermittlungsproblem, vo r allem , wen n e s um s o abstrakt e Sachverhalt e wi e »Demokratisierung « ging . Ängste , Vorurteile , Meinungen un d Strömungen , di e sic h änder n ode r verfestige n konnten , spielte n dabei eine erhebliche Rolle . Von großer Bedeutung waren di e im wahrsten Sinn e des Wortes existentielle n alltägliche n Nöte , di e viele s vergleichsweis e »wenige r wich -tige« in den Hintergrun d drängten . Außerde m dar f nich t vergessen werden , da ß di e Sicht de r Zeitgenosse n begrenz t war : We r wußte , o b un d wi e i n de r französische n Militärverwaltung übe r di e Ziele de r Besatzungspoliti k gerunge n wurde ?

Im folgende n solle n di e kollektive n Alltagserfahrunge n un d di e Bewußtseinslag e

12 Zita t nach : Walte r LIPGENS , Bedingunge n un d Etappe n de r Außenpoliti k d e Gaulle s 1944-1946 , in : VfZ 2 1 (1973 ) S . 52-102, hier S . 58.

13 Raine r HUDEMANN , Wirkunge n französische r Besatzungspolitik : Forschungsproblem e un d Ansätz e zu eine r Bilanz , in : HERBS T (Hg.) , Westdeutschland (wi e Anm. 5) S. 172.

14 Dies e Tendenz findet sic h häufiger be i Rainer HUDEMANN , besonder s prägnant etwa in seinem Beitrag : Kulturpolitik un d Deutschlandpolitik . Früh e Direktive n fü r di e französisch e Besatzun g i n Deutsch -land, in : Fran z KNIPPING , Jacque s LE RIDE R (Hg.), Frankreich s Kulturpoliti k i n Deutschlan d 1945-1950, Tübingen, S . 15-31.

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der deutschen Bevölkerung in der französischen Zon e mit den wichtigsten konstruk -tiven Ansätzen während de r Besatzungszeit , di e man sei t Öffnung de r französische n Archive15 aufdeckte, gemeinsa m beleuchte t werden. Das zielt auf eine mittlere Eben e zwischen de m besatzungspolitische n Syste m un d de r Erfahrungswirklichkei t de s Einzelnen, als o auf ein e Verklammerung vo n Mikro - und Makroebene , von Alltags -und Strukturgeschichte . Diese r methodisch e Zugrif f liefer t eine n Schlüsse l dafür , warum da s »Konstruktive « de r »Franzosenzeit « fas t durchwe g i n Vergessenhei t geraten konnt e un d nu r ei n ausgesproche n negative s Bil d diese r Jahre hafte n blieb , das sic h bi s i n di e Gegenwar t fortsetzte .

1945: Erwartunge n un d Ängst e -Rekonstruktionsabsichten un d Aufbruchstimmun g

Die Erfahrungen, di e die Menschen bi s zum Somme r 194 5 mit de n Besatzungstrup -pen mache n mußten , ließe n fü r di e Zunkunf t weni g gute s erwarten . Nich t nu r di e französischen Truppe n hinterließe n ein e Spu r vo n Willkürakte n un d Greueltaten , was i m übrige n vo n de r Arme e drastisc h geahnde t wurde 16. Abe r i m Vergleich z u Briten un d Amerikaner n sahe n viel e Deutsch e de n herannahende n Franzose n mi t ganz andere n Gefühle n entgegen . Fü r di e eine n ware n si e di e Erbfeinde , di e gewi ß mit besonder s schlimme n Racheorgie n wüte n würde n - dies e Ängst e hämmert e di e NS-Propaganda de n Südwestdeutschen bi s zur letzten Minute ein 17. Für di e andere n aber ware n di e Franzose n i n erste r Lini e ga r nich t s o fremde Nachbarn , mi t dene n man sic h i n eine r Mischun g vo n vordergründige r Verachtun g un d Neid , de m abe r eigentlich Bewunderun g zugrund e lag , menta l un d kulturel l irgendwi e verbunde n fühlte. Diese r Teil de r Deutschen , de r viele s a n Frankreich schätzte , knüpft e a n di e französische Besatzungsmach t besonder s groß e Hoffnungen , di e dan n allerding s auch i n besonder s bitter e Enttäuschun g umschlage n konnte , wi e da s Beispie l eine r jungen Freiburgeri n zeigt . »Wi r haben« , s o schrie b sie , »Euc h mi t Freud e erwartet , haben jahrelang und monatelang vorher Eure Radiosendungen gehör t - mi t Kopfhö -rern und vol l Angst, erwisch t z u werden (... ) Ih r habt Eure Chance gehabt , denn z u vielen Deutsche n kam t Ih r al s Befreier . Viel e bewunderte n Eure r Land , Eur e Demokratie! - Si e sehnten sic h verzweifel t danach . Dan n sei d Ih r gekomme n ... , -und wa s is t jetzt ? (... ) Eur e schwarze n Truppe n habe n Fraue n ganze r Dörfe r vergewaltigt. Da s is t wahr! Eur e Offizier e habe n nicht s dagege n getan , haben selbs t noch di e Befehl e gegebe n ode r selbs t a n diese n Scheußlichkeite n teilgenommen .

15 Edga r WOLFRUM , Da s französisch e Besatzungsarchi v i n Colmar . Quell e neue r Einsichte n i n di e deutsche Nachkriegsgeschicht e 1945-55 , in : Geschicht e i n Wissenschaf t un d Unterrich t 4 0 (1989) , S. 84-90.

16 Einzelnachweis e i n de n Bestände n AoFAA , Bad e 110 2 und 110 2 bis. 17 Vgl . etw a de n Aufru f de s Gauleiter s un d Reichsstatthalter s i n Baden , Rober t Wagner , in : »De r

Alemanne. Kampfblat t de r Nationalsozialiste n Oberbadens « vo m 28.3.1945 : »Der Fein d steh t a n de n Grenzen unsere s Gaues . I n diese m fü r un s all e schicksalhafte n Augenblic k wolle n wi r un s dara n erinnern, daß der Feind de r gleiche ist, der schon unseren Vätern das Leben nicht gegönn t und schwe r gemacht hat . Un d wi r wolle n un s dara n erinnern , da ß diese r Fein d i n de n vergangene n Jahre n de s gegenwärtigen Kriege s unzählig e Mal e erklär t hat , nich t nu r unse r Reich , sonder n unse r Vol k vernichten z u wollen ...« .

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Könnt Ih r Euer Angesich t noc h fre i erhebe n ? (...) Ic h glaube, Ihr habt Eur e Chanc e versäumt! Ih r hab t Eur e Bewundere r zertreten , Ih r hab t Euc h beschmutzt . Eur e Besatzungsarmee könne n wi r nicht meh r achten , - bleib t uns aber der Glaube a n das Volk dahinter ? An die Menschen? Schick t nac h Deutschlan d gut e Menschen! Schick t Eure Besten, aber keine Pharisäer.« Die fast schon verbitterte Frau hatte die Franzosen als Befreier erwarte t und gekommen ware n Eroberer . Si e schließt ihren leidenschaftli -chen Brie f mi t einem letzte n Funke n Hoffnung : »Denk t imme r daran , da ß Tausende Deutscher niemal s Nazi s ware n (...) , da ß Tausende Euc h bewunderte n un d sich jetz t verzweifelt wehre n - Euc h noc h z u achten , Euc h nich t z u hassen.« 18

Ähnliche Eindrück e schilder t de r Koblenze r Juris t Gerhar d Nadoln y au s de r Pfalz, di e zuerst von den Amerikanern besetz t worden war . Der damals al s Landrat eingesetzte Sozialdemokra t stellt e ein e düster e Prognos e auf : »Al s di e Ablösun g durch di e französischen Truppe n i n Aussich t stand , konnt e ic h in de m mir unter -stellten Bezir k ein e ausgesprochen e Sympathi e fü r Frankreic h feststellen . Di e fran -zösische Besatzungsarme e ha t sic h abe r inzwische n dies e ursprünglic h vorhande n gewesene Zuneigun g s o gründlic h verscherzt , da ß da s gegenwärtig e Mißtraue n i n dieser Generatio n kau m z u beseitige n sei n dürfte.« 19 Tatsächlic h verspielt e di e französische Besatzungsmach t i n den ersten Wochen und Monaten eine n großen Teil des entgegengebrachten Vertrauens und damit ein Pfund, mi t dem sie hätte wucher n können. Enorm e Wohnraumbeschlagnahmungen , ausufernd e Requisitione n un d an Plünderung grenzend e Nahrungsmittelentnahmen , abe r auc h arrogante s Auftrete n vieler Offizier e un d di e Sucht , pompös e Truppenparade n z u zelebrieren , zerstört e jedes Verhältnis zwische n Deutsche n un d Franzosen . Was sollte man von Befreier n halten, di e für männlich e Ziviliste n i n jedem noc h s o kleinen Or t ein e Grußpflich t gegenüber Offiziere n anordnete n un d Stadtverwaltungen zwangen , de r Besatzungs-macht ein e List e vo n Bürger n vorzulegen , di e mi t ihre m Lebe n fü r Ruh e un d Ordnung hafteten? 20

Gegen Spätsomme r 194 5 entkrampfte sic h di e angespannte Lag e allerding s zuse -hends. Unmittelba r nac h de r Besetzun g hatte n di e Franzose n ein e »Betäubung « (torpeur) der Deutsche n beobachtet 21, au s de r si e nu n langsa m erwachten . Di e Ablösung de r Kampftruppen durc h ein e zivile Besatzungsverwaltung stellt e zumin -dest ein gewisses Maß an »Rechtssicherheit« her . Allenthalben zeigt e sich auf lokaler Ebene eine Art Aufbruchstimmung be i den Deutschen, die häufig von französische n Offizieren unterstütz t wurde . Antifaschistisch e Ausschüss e un d Wiederaufbauver -einigungen, von den Franzosen - ander s al s von Amerikanern un d Briten - offiziel l

18 Anthologie , S . 143ff. Zu r Situatio n i n Freibur g be i Kriegsende : Werne r KÖHLER , Freibur g i . Br . 1945-1949. Politisches Lebe n un d Erfahrungen i n der Nachkriegszeit, Freibur g i . Br. 1987.

19 Anthologie , S . 153. Zur Besetzung de s späteren Rheinland-Pfalz : Franz-Josep h HEYE N (Hg.) , Rhein -land-Pfalz entsteht . Beiträg e z u de n Anfänge n de s Lande s Rheinland-Pfal z i n Koblen z 1945-1951 , Boppard 1984.

20 Vgl . Wochenbericht e de r Besatzungstruppe n (hie r au s Baden ) AqFAA , Bad e 1102 . Zu r frühe n Besatzungszeit unte r Genera l de Lattre de Tassigny siehe: Frank Roy WILLIS, The French in German y 1945-1949, Stanford/Cal . 1962 , S . 71 ff. Anordnunge n de r Besatzungsmach t sin d abgedruck t bei : Manfred BOSCH , De r Neubeginn . Au s deutsche r Nachkriegszeit . Südbade n 1945-1950 , Konstan z 1988, S . 9-53; und bei Peter BROMME R (Bearb.) , Quellen zur Geschichte von Rheinland-Pfalz währen d der französische n Besatzung . Mär z 194 5 bis August 1949 , Mainz 1985 , S.24ff., 57 , 115, 135 .

21 KÖHLER , Freibur g (wi e Anm . 18 ) S . 100.

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gefördert22, entstande n i n große r Zah l un d widmete n sic h de n schwierige n Aufga -ben, da s allgemein e Chao s abzubauen . Außerde m konnt e ma n a n überraschen d vielen Orte n ein e Bereitschaft de r Deutschen zu r Selbstreinigun g un d Auseinander -setzung mi t de r NS-Dikatu r wahrnehmen 23 - nich t zuletz t dies e Erfahrun g ermu -tigte da s Gouvernemen t Militaire, den We g eine r eigenständigen , vo n de n Anglo -amerikanern abweichende n Entnazifizierungspraxi s einzuschlagen .

Die größte Rückwirkung au f eine n Stimmungsumschwung zugunste n de r franzö -sischen Besatzungsmacht gin g jedoch von einer Rundreise aus , welche der provisori-sche französische Regierungschef , Genera l d e Gaulle , im Oktobe r 194 5 antrat . Au f seinen Statione n durc h di e gesamt e Besatzungszon e fan d d e Gaull e zu r große n Überraschung de r Deutsche n versöhnliche , j a ermunternd e Worte , sprac h vo n Zusammenarbeit zu m Wohle beide r Völker sowi e vom materielle n un d moralische n Wiederaufbau24. Di e Vorstellunge n de s Regierungschef s stieße n nich t nu r be i de r deutschen Seit e au f Resonanz , sonder n stärkte n innerhal b de r Militärregierun g i n Baden-Baden denjenigen de n Rücken, die besatzungspolitisch ein e Rekonstruktions-politik i m französisc h besetzte n Tei l Deutschlands verfolge n wollten 25.

Als eifrigster Befürworte r eine r solchen Politik entpuppte sic h der Generalverwal -ter für di e französische Zone , Emile Laffon 26. Kurz , nachdem d e Gaull e seine Reis e beendet hatt e un d wiede r nac h Pari s gefloge n war , übersandt e Laffo n seine n untergebenen Landesgouverneure n dezidiert e Anweisungen , i n dene n e r de Gaulle s »paroles d'apaisement et de compréhension«, für di e er höchstes Lob fand, interpre -tierte27. Natürlich waren die Reden des Generals schillernd und zweideutig gewesen . Man konnt e si e auc h s o verstehen , da ß di e besetzte n Gebiet e au s de m »Corp s germanique« herausgebrochen un d z u treue n Trabante n Frankreich s werde n soll -ten28. Doch diese r Aspekt kümmerte Laffo n nicht ; e r legte sich de Gaulles Worte fü r seine eigene n hochfliegende n besatzungspolitische n Absichte n zurecht . Di e Politi k des Zwanges und der Unterwerfung, s o faßte er die neue Marschroute zusammen, sei

22 Daz u ausführliche r Edga r WOLFRUM , Französisch e Besatzungspolitik un d deutsche Sozialdemokratie . Politische Neuansätz e i n de r »vergessene n Zone « bi s zu r Bildun g de s Südweststaates , 1945-1952 , Düsseldorf 199 1 (Beiträg e zu r Geschicht e de s Parlamentarismu s un d de r politische n Parteien , 95 ) S.36ff.

23 Daz u Reinhar d GROHNERT , Di e Entnazifizierun g i n Baden 1945-1949 . Konzeptionen un d Praxi s de r »Epuration« am Beispiel eines Landes de r Französischen Besatzungszone , Stuttgar t 199 1 (Veröffentli -chungen de r Kommissio n fü r geschichtlich e Landeskund e i n Bade n Wurtemberg, 123).

24 Vgl . La revue de la zone française No. 1 , 1.11.1945. Deutsch e Zeitungsbericht e etw a im »Südkurier« , 6.10.1945 un d i n de n »Freiburge r Nachrichten« , 9.10.1945 .

25 Ei n zusammenfassende r Überblic k übe r de n komplizierte n Aufba u de r Militärregierung , di e 194 7 umstrukturiert wurde : L'organisation de l'adminstration français e e n Allmagne, 11.4.1948 , AoFAA , CGAAA C . 265 0 D.16 . Ein e einfacher e Schautafe l auc h be i HENKE , Politi k de r Widersprüch e (wi e Anm. 8) S . 58 ff.

26 Laffo n (1907-1958 ) wa r vo n Beru f Jurist . 194 3 stie ß e r i n Londo n z u d e Gaull e un d wa r dor t Mitarbeiter de s Sozialiste n André Philip. E r beschäftigt e sic h mi t Planunge n zu r künftige n Verwal -tungsstruktur Frankreich s un d entwar f da s erst e Projek t eine s »programme commun « des französi -schen Widerstands. Dazu: Claire ANDRIEU, Le programme commun de la résistance. Des idées dans la guerre, Pari s 1985, S. 37-42.

27 Laffon »Instruction s faisante suit e au voyage du Chef d u Gouvernement Provisoir e de la République«, 25.10.1945, AoFAA, Cabine t Laffo n C . 13.

28 S o interpretiert e Carlo SCHMID, de r von d e Gaull e empfangen wurde , di e Ausführunge n de s Franzosen, Vgl . DERS. , Erinnerungen , Ber n usw . 1979 , S.227 .

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nun z u Ende ; a n ihr e Stell e hab e ein e »politique d'humanité « zu treten . Freilic h erfordere ein e solche »politique nouvelle« , die zu eine r moralischen un d materielle n Erneuerung Deutschland s führe n soll e »nécessairement un e épuratio n rigoureuse « und darau f hätte n di e Offizier e i n nächste r Zukunf t verstärk t ih r Augenmer k z u richten. Unbelastet e Deutsche , au f di e man be i einem bal d beabsichtigte n Übergan g zur indirekte n Verwaltun g sowi e be i de r Wiederzulassun g vo n Parteien , Gewerk -schaften un d Verbänden unbeding t angewiese n sei , sollten von de n Militärbehörde n gezielt geförder t werden . Auc h was die wichtigen wirtschafts - un d sozialpolitische n Aspekte anlangte , s o stan d ein e »reconstruction« und ein e »rénovation allemande « im Vordergrund , di e abe r gleichfall s nu r übe r ein e streng e Entnazifizierun g z u gewährleisten sei 29.

Keinen Zweifel konnte es für all e Franzosen geben , daß das deutsche ökonomisch e Potential zu m Wiederaufba u Frankreich s herangezoge n werde n mußte . Doc h ein e Kuh, di e man langfristi g melke n wollte , konnte ma n nich t au s kurzfristigem Profit -interesse schlachten . Deshal b durfte n di e Export e nac h Frankreic h nich t de n Cha -rakter vo n Plünderunge n annehmen , sonder n i m Gegenteil , si e sollte n mi t harte r Währung bezahlt werden, um der Zone den unerläßlichen Impor t von Nahrungsmit -teln z u ermöglichen . Schließlic h wußt e Laffon , da ß e s psychologisc h wichti g war , den besetzte n Länder n wiede r eine n »espoir d'un e renaissanc e économique « zu geben30. I n di e gleich e Kerb e schlu g Ende Oktobe r 194 5 der Directeur de l'Econo-mie in Baden-Baden . Auc h e r wie s au f de n enge n Zusammenhan g zwische n eine r durchgreifenden Besserun g de r äußere n Lebensbedingunge n un d eine m Erfol g de r intendierten Demokratisierungspoliti k hin . Sollt e ein e ökonomische , materiell e Gesundung i n de r Zon e ausblieben , s o sagt e e r ei n besatzungspolitische s Scheiter n voraus31.

Der Überschwang , mi t de m Laffo n sein e Instruktione n verfaßte , hin g dami t zusammen, da ß sic h de r Generalverwalte r durc h d e Gaulle s Auftritt e i n seine n eigenen besatzungspoltische n Ansichte n bestätig t sah . Bereit s sei n erste s Rund -schreiben vom 20. August 194 5 an die ihm unterstellten Spitzenbeamte n atmet e übe r weite Strecken den Geis t einer Rekonstruktions- und Verständigungspolitik un d wa r eine deutliche Absage a n Hegemonialgelüste un d ein e pure Ausbeutun g de r Zone 32. Der ers t 38-jährige , ebens o brillant e wie ehrgeizige Jurist Laffo n erschein t i n diese n frühen Anweisunge n al s ein von hohen Idealen getragener Mensch, der sich gern und oft au f di e Traditione n de r französische n Revolutio n berief . Geradez u erfüll t vo n einem Missionsgedanken , de r Frankreic h al s Vorreite r fü r politisch e un d sozial e Reformen sehe n wollte , leuchte t be i Laffo n al s Perspektiv e di e Aufnahm e eine s demokratisch erneuerte n Deutschlan d i n di e europäisch e Staatengemeinschaf t auf . Dazu wa r ein e lang e Besatzun g un d ein e Umerziehun g de r Deutsche n vonnöte n -mit andere n Worten : De r Schlüsse l fü r eine n dauerhafte n Friede n un d fü r di e Sicherheit Frankreich s la g i n de r Demokratisierun g un d Integratio n Deutschlands .

29 Wi e Anm . 27. 30 Ebda . 31 Not e pour Monsieur le Directeu r Généra l de l'Economie et de s Finances, 31.10.1945, AoFAA ,

CCFA/Eco. e t Fin. C. 199 . 32 Laffo n »Principes de notre actio n e n Allemage occupée«, 20.8.1945, AoFAA, CCFA , Cabinet Laffon

C.13.

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»Alle Beamt e de r Militärregierung« , s o spornt e de r Administrateur General sein e Untergebenen an , »müssen deshalb von dem Gefüh l durchdrunge n sein , daß sie hier ein große s Werk vollbringen , da s von grundlegende r Bedeutun g is t fü r di e Zukunf t dieser Provinzen , di e si e nach un d nac h wieder z u eine m Lebe n führen , un d fü r di e Zukunft de s neue n Frankreich , da s sic h hie r bewähre n muß . Unser e Hauptaufgab e ist di e Durchsetzun g de r französische n Interessen ; wi r müsse n ein e Politi k haben , die un s etwa s einbringt . Abe r wi r müsse n diese m Lan d auc h helfen , au s seine n Trümmern wiede r etwa s aufzubauen . Wi r habe n ih m scho n Brücken , Eisenbahnli -nien un d de n Anfan g eine r wirtschaftliche n Ordnun g wiedergegeben . Diese s Wer k muß unermüdlic h weiterverfolg t werden , den n da s Gedeihe n diese r Provinzen träg t zu unsere m eigene n bei.« 33 Ein e Rekonstruktionspoliti k konnt e abe r nu r gelingen , wenn di e Deutsche n mitarbeitete n un d sic h nich t versagten , un d deshal b ermahnt e Laffon di e Offiziere , sic h gegenübe r de r Bevölkerun g korrek t z u verhalten . »Wi r sind beauftragt« , schrie b er , »mehrer e Jahr e hie r z u bleiben , un d e s is t unse r natürliches Interesse , nich t durc h Ungerechtigkeite n un d unnöti g überzogen e For -derungen ein e Vereinigung de r Gemüte r gege n unsere n Einflu ß hervorzurufen . Wi r werden di e deutsche Mitarbei t benötigen , wi r müsse n vermeiden , di e Deutschen z u verletzen, wa s ein e begründet e Streng e keinesweg s ausschließt . (... ) De r gegenwär -tige Zustand«, s o beendete de r Generalverwalte r sein e mitreißenden Ausführungen , »bietet un s groß e Möglichkeiten . Wen n unser e Repräsentante n au f de r Höh e ihre s Auftrages sind , wenn sic h unsere Verwaltung bewährt , dan n werde n wi r fü r Frank -reich eine n dauerhafte n Sie g errungen haben.« 34

Das wa r ei n optimistische s Projek t fü r di e Zukunft , da s sein e Wirkun g nich t verfehlte. Di e französische n Beamte n jedenfall s scheine n sic h Laffon s vo n hohe m Pathos getragene n Anweisunge n z u Herze n genomme n z u haben . I n viele n Berei -chen verbessert e sic h da s Verhältnis zwische n de n Deutsche n un d de r Besatzungs -macht. Mi t de r Zulassun g vo n Gewerkschafte n un d de r politische n Parteien , vo r allem jedoch mi t eine r in den Kommune n spürbare n Wiederaufbaupolitik35 konnte n die Franzose n gerad e be i de n aktivste n un d auf b au willigsten deutsche n Kräfte n Terrain gutmache n un d Glaubwürdigkei t zurückgewinnen . Nac h de m zeitgenössi -schen Eindruc k eine s deutsche n Politiker s i n de r französische n Zon e ha t e s »i m Herbst 194 5 eine kurze Zei t gegeben , da nach Ausführungen französische r Politike r begründete Aussich t bestand , da ß Frankreich sein e Nachkriegspolitik vo n Versailles nicht wiederholen würde. In jener Zeit entstand sponta n in den französisch besetzte n Gebieten eine ehrliche Sympathie für Frankreich , bzw. sie wurde wieder geweckt.« 36

33 Ebda . 34 Ebda . 35 De r Oberbürgermeiste r de r schwe r zerstörte n Stad t Freibur g verabschiedet e Colonel Monteux, de r

für de n Stadtkrei s zuständi g war , a m 30.9.1946 mi t de n Worten: Ic h dar f nu n abe r be i diesem Anla ß meinen Dank zum Ausdruck bringen , daß Sie, Herr Oberst , von der ersten Stunde unserer Begegnun g an ei n wohlwollende r un d treue r Mitarbeite r au f de m Weg e de s Wiederaufbaus gewese n sind . Nich t ein einziges Mal , daß de r Ton de s Siegers z u triumphieren versuchte ; kei n Wort de r Erbitterung , kei n Wort de s Hasse s ode r Vorwurfs ka m au s Ihre m Munde , kau m ei n Hinweis , wi e schwe r e s Ihnen al s Franzose falle n müss e (... ) nich t nu r di e Interesse n Frankreichs , sonder n auc h di e Interesse n eine r durch den Krieg so schwer getroffenen deutsche n Stad t wahrzunehmen«. Stadtarchi v Freiburg C . 5/1.

36 Anthologie , S.296 . Carl o Schmid , damal s führende r Politike r i n Südwürttemberg-HohenzoUer n schrieb am 6.12.1945 a n seinen Freund Gerhar d Heller : »Ic h kann die französische Militärregierun g i n

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Diese offene Situatio n beinhaltet e nicht zuletz t die Bereitschaft z u einem tiefgreifen -den Neuanfang . Gena u darau f baut e di e eigenständige Entnazifizierungspraxis , di e seinerzeit in der fanzösischen Zon e viel Rückhalt fand , bevo r die Stimmung in einem Ausmaße z u kippe n begann , di e sämtliche Zukunftsplän e vo n 194 5 zur Makulatu r werden ließen .

Der Königswe g al s Sackgasse: Die französisch e Entnazifizierun g

Über de n Charakter de r Entnazifizierung i n der französischen Zon e gehe n mittler -weile die Forschungsmeinungen besonder s wei t auseinander . Während vo r wenigen Jahren noc h geglaub t wurde , da ß di e ohnehi n alle n moralische n Prätentione n abholden Franzose n im Gegensatz zu den Amerikanern eine r politischen Säuberun g keine groß e Bedeutun g beigemesse n hätten 37, un d man in den französischen Maß -nahmen soga r nur einen »großangelegte(n ) Bluff« z u erkennen vermochte38, gelangt e jüngst ein e Arbeit , di e erstmal s au f französische n Quelle n basiert , z u eine m gan z anderen Befund 39. Nebe n de m hohen Stellenwert , de n die Entnazifizierung fü r das Gouvernement Militaire hatte, wir d nu n auc h sichtbar , da ß de r bemerkenswert e Eigenweg i n de r politischen Säuberun g bi s 194 7 letztlich a n besatzungspolitische n Srukturproblemen scheiterte , ebens o a n zonenübergreifende n Sachzwängen , nich t zuletzt abe r a n de n wachsende n Gegenkräften , di e sic h au f deutsche r Seit e z u formieren begannen .

Das bislan g gängig e Bil d eine r Besatzungsmacht , di e einer Entnazifizierun g kei -nerlei Prioritä t eingeräum t habe , mu ß grundlegen d korrigier t werden . Vielmeh r wartete de r rührig e Generalverwalte r Laffo n i n seine n erste n Amtshandlunge n i m Herbst 194 5 mi t eine r genuine n französische n Entnazifizierungskonzeptio n auf40. Verstan d ma n di e Entnazifizierun g nich t al s »Déprussianisation«, als »Ent -preußung«, wi e e s viel e renomiert e französisch e Deutschlandexperte n i n eine m Rückgriff au f völkerpsychologisch e Lehre n tate n un d wi e e s noch i n eine r regie -rungsamtlichen Parise r Richtlini e vo m Jul i 194 5 geheiße n hatte 41, sonder n - wi e Laffon - al s einen politisch notwendige n un d für eine n demokratische n Neubegin n unerläßlichen Austausc h belastete r Eliten , dan n mußt e ma n de n Blic k au f di e sozioökonomische Fundierun g de s NS-Systems richten .

unserer Zone nur loben. Im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten sin d ihre Vertreter durchaus bereit , mit un s zusamme n konstruktiv e Arbei t z u leisten. « Archi v de r soziale n Demokrati e (AsD) , Bonn , Nachlaß Carl o Schmi d 599 . Daz u auch : Hellmut h AUERBACH , Di e politische n Anfäng e Carl o Schmids. Kooperatio n un d Konfrontation mi t der französischen Besatzungsmacht , in : VfZ 36 (1988) S. 595-648.

37 Vgl . Justus FÜRSTENAU , Entnazifizierung . Ei n Kapitel deutsche r Nachkriegspolitik , Neuwied , Berli n 1969, S . 134.

38 Klaus-Dietma r HENKE , Politisch e Säuberun g unte r französische r Besatzung . Di e Entnazifizierung i n Württemberg-Hohenzollern, Stuttgar t 1981 , S. 12.

39 GROHNERT , Entnazifizierun g i n Baden (wi e Anm. 23). 40 Di e zentral e Anweisun g vo n Laffon : Principes de notre action.. . (wie Anm.32); sowi e da s Rund -

schreiben vo n Laffon a n seine Landesgouverneur e vo m 25.10.1945 im selben Bestand . 41 Vgl . GROHNERT, Entnazifizierun g i n Baden (wi e Anm. 23) S . 57ff.

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Laffon lehnt e eine n schematische n Rundumschla g mi t automatische r Entlassun g aller großen un d kleine n Nazi s - da s war di e gängige Praxis in der US-Zone 42 - ab ; statt all e übe r eine n Kam m z u scheren , sollt e differenzier t werden . Vo r alle m abe r wollte de r Administrateur Généra l die politisch e Säuberun g i n deutsch e Händ e legen. In einem zweistufigen Verfahren wurde n lokal e Untersuchungsausschüsse mi t ortsansässigen Mitglieder n un d Reinigungskommissione n au f Ländereben e einge -setzt. Dabe i stützte n sic h di e Franzose n au f jen e Kräfte , di e erwiesenermaße n de m Nationalsozialismus ablehnen d gegenübe r gestande n ode r unte r ih m z u leide n hatten: politisch, rassisch und religiös Verfolgte, Gewerkschafter , Sozialdemokraten , Kommunisten un d ehemalig e Zentrumsangehörig e au s Widerstand , Verweigerun g und »innere r Emigration« 43.

Die Hauptsäul e de s französische n Modell s bildet e di e direkt e Beteiligun g de r Deutschen a n der Entnazifizierung. Di e Besatzungsmacht grif f dabe i auf di e zahlrei-chen lokalen Selbstreinigungsinitiativen zurück , di e sich bald nach der französische n Besetzung herausgebilde t hatten 44. Von dieser »auto-épuration« erhoffte sic h Laffo n einen optimale n Wirkungsgra d de r Säuberung . Einerseit s sollt e durc h di e Unter -scheidung zwischen »einfachen « Parteigenosse n und den überzeugten un d belastete n Nationalsozialisten i n Führungspositione n de r NS-Diktatu r ei n undifferenzierte s Vorgehen, ein e Ausuferung de r Säuberung vermieden werden . Un d au f de r andere n Seite wollt e di e französisch e Militärregierung , inde m si e di e Deutsche n i n di e Verantwortung einband , ein e möglichs t gerecht e un d effizient e Verfahrensweis e gewährleisten. Wenn das Echo au f diese s Programm innerhal b de r deutschen Bevöl -kerung gan z überwiegen d positi v ausfiel 45, s o war die s kei n Zufall .

Es verdien t i n de r Ta t festgehalte n z u werden , da ß gerad e i m Vergleic h zu m amerikanischen Säuberungsverfahre n da s französisch e vo m Ansat z he r di e weitau s besseren Möglichkeite n eine r wirkliche n »auto-épuration«, also eine r notwendige n Auseinandersetzung mi t de r eigene n Vergangenheit , bot . Di e immanente n Schwä -chen und Gefahre n diese s Systems, die schließlich z u einem völligen Stimmungsum -schwung bei den Deutschen führten , sollte n ers t im Laufe de s kritischen Jahres 194 7 zutage trete n un d eine r überau s feindselige n Polemi k Tür un d Tor öffnen .

Das Kernproble m de r Entnazifizierun g i n de r französische n Zon e la g darin , da ß die Franzosen - wi e i n andere n Politikbereiche n auc h - a n ihrem besatzungspoliti -schen Axio m eine r weitestgehende n Dezentralisierun g fas t krampfhaf t festhielten , obwohl ei n einheitliche r Verlauf de r politischen Säuberun g nicht s dringliche r erfor -dert hätt e al s ein e zentrale , koordinierend e Entscheidungsinstanz 46. Laffo n belie ß den Ländergouverneure n be i de r Umsetzun g seine r Vorschläg e groß e Freiräume . Von ihre m Geschick , abe r auc h von ihre m Willen sowi e de r deutsche n Eigeninitia -

42 Dazu : Lut z NIETHAMMER , Di e Mitläuferfabrik . Entnazifizierun g a m Beispie l Bayerns , Bonn , Berli n 1982; un d Hans WOLLER , Gesellschaf t un d Politik in der amerikanischen Besatzungszone . Die Region Ansbach un d Fürth , Münche n 1986 , S. 116ff.

43 Wi e Anm. 40 . 44 Beispiel e be i GROHNERT , Entnazifizierun g i n Bade n (wi e Anm. 23 ) S . 33 ff . 45 Ebda. , S . 87. 46 Z u diese m Grundproble m französische r Politik : Raine r HUDEMANN , Zentralismu s un d Dezentralisie -

rung in der französischen Deutschland - un d Besatzungspoliti k 1945-1947 , in: Winfried BECKE R (Hg.) , Die Kapitulatio n vo n 194 5 und de r Neubegin n i n Deutschland , Köl n 1987 , S. 167-181.

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tive hing ein Erfolg de r Entnazifizierun g ab . Die Folge , nämlich eine n von Lan d z u Land vollkomme n unterschiedliche n Verlau f de r Säuberung , hätt e ma n vorhersehe n können47. Doc h dami t nich t genug . Weitere Problem e wucherten au f de r Eben e de r entscheidungstragenden Instanzen , dere n Kompetenze n nich t gena u gegeneinande r abgegrenzt waren . Währen d di e lokale n Untersuchungsausschüss e i m Große n un d Ganzen gute , sorgfältig e Arbei t leisteten , beganne n sic h i n de n Amtsstube n de r übergeordneten Reinigungskommissione n di e Akte n z u häufen . Hie r mißachtet e man nich t selte n di e Vorschläg e de r Ausschüsse . Wurd e dan n da s Ergebni s de r Überprüfung etw a i n For m eine s anderslautende n Vorschlag s wiederu m vo n de r Landesmilitärregierung nich t akzeptiert , s o bedeutet e die s ein e zusätzlich e Modifi -kation de s Verfahrens . Di e fü r de n weitere n Fortgan g katastrophal e Konsequen z war, da ß sic h ein e enorm e Diskrepan z zwische n tatsächliche r Belastun g de r z u entnazifizierenden Persone n un d de m schließlic h verhängte n Strafma ß auftat . Zusätzlich sorgt e die fehlende Koordinatio n de r Ausschüsse untereinander rasc h fü r weiteren Zündstoff: ähnlic h gelagtert e Fälle wurden i n den verschiedenen Gegende n der französischen Zon e gan z unterschiedlich bewertet 48. E s war nur noch eine Frage der Zeit , wan n de r aufgestaut e Unmu t sic h entlade n würde .

Die Ungedul d de r Landesgouverneur e bracht e schließlic h da s Fa ß zu m Überlau -fen. Wei l di e Militärregierunge n au f Ländereben e Ergebniss e sehe n un d vorweise n wollten, gabe n di e Ausschüss e de m Dränge n nach , zoge n anscheinen d wenige r »gewichtige« Fäll e vo r un d stellte n di e schwereren , zeitraubendere n zurück , allei n um da s Verfahre n fü r di e Minder - un d Nichtbelastete n s o star k wi e möglic h z u beschleunigen. »Währen d e s hier jedoch , unte r de m Eindruc k de r zurückliegende n Ereignisse, z u relati v harte n Urteile n kam , entginge n di e internierte n schwere r Belasteten of t eine r Verurteilun g aufgrun d de s größere n zeitliche n Abstande s un d immer offenkundige r werdende r Mänge l un d Widersprüche de s Verfahrens.« 49

Hatte noc h 1945/4 6 i n große n Teile n de r Bevölkerun g Einigkei t darübe r geherrscht, da ß ein e politisch e Säuberun g fü r de n Neubegin n notwendi g sei , un d waren deshal b Parteien und Gewerkschafte n berei t gewesen , in den Untersuchungs -ausschüssen mitzuarbeiten , s o began n sic h sei t de m Herbs t 194 6 da s Blat t z u wenden. Di e Haltun g de r Bevölkerun g schwenkt e deutlic h au f ein e kollektiv e Vergebung de r Nazisünde n ein . Di e Gründ e de r steigende n Aversione n lage n i n groben Fehlurteilen . - »S o geh t e s nicht!« , lautet e di e typisch e Schlagzeil e eine r Zeitung, womi t di e sei t Wochen »wi e Steinhagel« herunterprasselnde n Säuberungs -urteile angepranger t wurden 50. Mi t Rech t kritisiert e di e Öffentlichkei t ein e Vielzahl schwerer Fehlentscheidunge n gegenübe r »kleine n Nazis« , di e sic h nich t durc h Protektion oder aus Gründen der Unabkömmlichkeit au s der Affäre ziehe n konnten . Aus den Schwierigkeiten , i n der sich die Entnazifizierung befand , entstan d Bitterni s und ma n sucht e nac h einfache n Schuldzuweisungen . I n eine m anonyme n Brie f au s

47 Deshal b konnt e i n de r erste n Phas e de r Entnazifizierun g da s vo r alle m vo n Carl o Schmi d initiiert e südwürttembergische Entnazifizierungsmodell , da s überregiona l vie l Beachtun g fand , greifen . Dazu : HENKE, Politisch e Säuberun g (wi e Anm . 38 ) un d WOLFRUM , Französisch e Besatzungspoliti k un d deutsche Sozialdemokrati e (wi e Anm . 22) S . 20 3 ff .

48 GROHNERT , Entnazifizierun g i n Bade n (wi e Anm. 23 ) S . 144ff. 49 BOSCH , De r Neubegin n (wi e Anm . 20 ) S . 305 . 50 »Südkurier« , 10.1.1947 .

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Baden-Baden wir d de r Stimmungsumschwun g beschrieben : »Da s psychologisch e Problem des Nationalsozialismus kan n man nicht mit Fragebogen, Paragraphen und Anordnungen lösen . Bis in das Jahr 194 6 hinein war die Säuberung, wie sie von der amerikanischen Behörd e betriebe n wurde , seh r i n Verruf geraten . Ma n warf ihne n (den Amerikanern , d . Vf.) bornierte Schematik , mangelnde s Verständnis fü r Einzel -fälle und die systematische Zerstörun g de r Grundlagen fü r ein e neue Ordnun g vor. (...) I n der britischen Zon e wa r die Lage ähnlic h (...) . I n bezug au f die Säuberung war di e französische Zon e ein e erfreulich e Ausnahme . Trotz de r schlechten Ernäh -rungslage wurd e si e bevorzugt : un d zwa r wege n de r Menschlichkei t un d de r Umgehung schematische r Methode n be i der Entnazifizierung. Freilic h hatt e diese s Verfahren de n Nachteil , da ß es zu unregelmäßigen un d parteiischen Urteile n kam. Der gleich e Fal l wurd e a n verschiedene n Orte n verschiede n beurteilt . Ma n legt e diese Unregelmäßigkeiten , j e nach de m Fall de r Verhandlung, de n örtlichen Kom -missionen, de n Besatzungsbehörde n ode r de n deutsche n Parteie n zu r Last ; jede r klagte jeden an , und die Denunziationen nahme n kei n Ende.« 51

Statt sic h daru m z u bemühen , di e Mißstände de r disparate n Urteilspraxi s mög -lichst abzustellen, schobe n sic h die politischen Vertreter die Schuld an der bisherigen Misere gegenseitig , besonder s gern e abe r de r Militärregierun g i n di e Schuh e un d gaben i m Vorfeld de r 1946/4 7 stattfindenden Kommunal - un d Land tags wählen de r aufgebrachten Stimmun g i n der Bevölkerung nach 52. E s setzt e ein e Fluch t au s der Verantwortung ein . Bei den »Normalbürgern« entstan d de r Eindruck, al s seien die Alliierten a n di e Stell e Hitler s getreten , un d sämtlich e Initiative n wurde n au f sie abgewälzt. Die Einsicht, daß eine politische Säuberung notwendig sei , wich bald der Vorstellung, e s handl e sic h allei n u m ei n Dikta t de r Siegermacht . Glaubte n viel e Deutsche i n der französischen Zon e nac h 194 5 das erste Opfe r de r Nationalsoziali -sten gewese n z u sein , s o sahe n si e sich nu n wiederum al s Opfe r de r Siegermach t Frankreich. Di e Unfähigkeit , de n politische n Zusammenhan g vo n NS-Regime , Krieg, Niederlag e un d Besatzun g z u sehen , wa r frappierend 53. Di e Härte n de r französischen Besatzungspoliti k tate n ei n übriges, um auch die Entnazifizierung al s ungerecht un d Schikane de r Franzosen z u empfinden .

Im Lauf e da s Jahres 194 6 war die Stimmung i n der französischen Zon e i n eine m bisher nich t gekannte n Ausma ß gege n di e Besatzungsmach t umgeschlagen , di e es nicht geschaff t hatte , einigermaße n erträglich e materiell e Lebensbedingunge n z u gewährleisten.

Am niederschmetterndste n wa r die Lage auf dem Ernährungssektor. De r tägliche Kalorienbedarf eine s Mensche n beträg t j e nach Alter , Geschlech t un d Arbeitsbela -stung zwische n 250 0 und 3000 Kalorien , da s Existenzminimum lieg t be i etwa 1500 Kalorien. Dies e Normalratione n sin d währen d de r Besatzungszei t nirgend s i n der französischen Zon e erreich t worden , vielmeh r unterschritte n si e in de r Rege l da s Existenzminimum. Mitt e 194 6 standen i n de r amerikanische n Zon e 1330 , in de r

51 Anthologie , S.42f . 52 Dazu : WOLFRUM , Französisch e Besatzungspoliti k un d deutsch e Sozialdemokrati e (wi e Anm . 22)

S.213. 53 Beispiel e in: Anthologie, S . 25ff.: »Nihilismu s und Katastrophenstimmung«; S . 33ff.: »Abseitsstehen ,

Mangel an politischem Interesse , Flucht aus der Verantwortung«; S . 41 ff.: »Di e Krise der Entnazifizie-rung«.

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russischen 108 3 und i n de r britische n 105 0 Kalorien zu r Verfügung, dagege n ware n es i n de r französische n offiziel l 900 , in Wirklichkeit soga r noc h beträchtlic h weni -ger54. Da ß di e französisch e Zon e a m schlechteste n versorg t war , la g nebe n de r weltweiten Ernährungskris e a m End e de s Zweite n Weltkriege s vo r alle m a n de n französischen Entnahme n - da s ökonomisc h a m Boden liegend e Frankreich konnt e selbst nu r 5 0 bi s 6 0 Prozen t seine s Normalbedarf s au s de r eigene n Produktio n decken un d versuchte , di e fü r Lebensmittelimport e notwendige n Devise n durc h möglichst hoh e Entnahme n au s de r Zon e gerin g z u halten 55.

Wenn sic h da s Elen d mi t de r Befreiun g vo m Nationalsozialismu s verband , dan n hatten Demokratisierungsabsichte n weni g Chancen . Sei t Janua r 194 6 deutete n di e Monatsberichte de r französische n Militärregierun g di e drohend e Katastroph e an . Sprach man anfangs beschwichtigen d lediglic h von eine r sich ausbreitenden Beunru -higung unte r de n Deutschen , s o hie ß e s i m Jul i 194 6 schon , da ß di e notleidende n Menschen durchwe g di e Franzose n fü r ihr e Zwangslag e verantwortlic h machten 56. Zwar bemüht e sic h di e Besatzungsmacht , de m entgegenzusteuer n - abe r ohn e Erfolg. Währen d da s Gouvernemen t Militaire etwa mi t eine m Plaka t »Daru m hungern wir « de r Bevölkerun g klarzumache n versuchte , da ß di e Lag e au s eigene m Verschulden s o schlim m geworde n sei 57, ware n viel e Deutsch e felsenfes t davo n überzeugt, daß die Franzosen sie mit klarem Kalkül verhungern lassen wollten58. Die Leute von »Esprit« beschrieben die Einstellung der Bevölkerung so: »Die Deutsche n haben eine n Hang , sic h i m Unglüc k genaus o al s einzigarti g hinzustelle n wi e i n de r Macht: i n eine m Gefüh l bittere n Stolzes. « Soga r i n ihre m Lei d schiene n sic h di e Deutschen selbs t einmali g z u sei n un d würde n vergessen , da ß auc h i n andere n europäischen Länder n Menschen hungerten. Manchmal habe es den Anschein, als ob Deutschland, wen n e s scho n nich t di e erst e unte r de n mächtige n Natione n sei n könne, wenigstens in bezug auf seine Armut a n der Spitze stehen möchte59. Eine Ar t »romantische Hybris « hab e zahlreich e Nachkriegsdeutsch e i n dies e hochmütig e Erniedrigung getrieben 60.

Steine de s Anstoße s zwische n de r deutsche n Bevölkerun g un d de r Besatzungs -macht waren insbesondere die Versorgungsansprüche de s überaus zahlreichen Besat -zungspersonals, da s häufi g noc h sein e Familienangehörige n i n di e Zon e hatt e nachziehen lassen , wodurc h sic h i m übrige n auc h di e Wohnraumsituatio n ver -schärfte. Diese s Proble m wurd e i m französische n Hauptquartie r i n Baden-Bade n schon frü h erkann t un d ein e Studi e zu m Abba u de s überflüssige n Personal s folgt e der anderen. Aber alle Lösungsversuche scheiterten bis Ende 194 7 an den verschiede-nen Interesse n sowi e a m Kompetenzgerange l innerhal b de r Besatzungsdienststel -len61.

54 Tabelle n zu r Ernährungslag e be i Karl-Hein z ROTHENBERGER , Di e Hunge r jähre nac h de m Zweite n Weltkrieg. Ernährungs - un d Landwirtschaf t i n Rheinland-Pfal z 1945-1950 , Boppard 1980 , S . 244 ff.

55 Daz u z . B . der Bestan d AoFAA , Bad e 000 5 (Agriculture). 56 Synthes e de s rapports... vom Februa r bi s Juli 1946 , AoFAA, CCFA , Cons . Pol . 19 7 C HI -1/0 . 57 Vgl . KÖHLER , Freibur g (wi e Anm . 18 ) S . 100 . 58 Ebda . 59 Anthologie , S . 148. 60 Ebda. , S . 39. 61 Studie n i m Bestand: AoFAA , CCFA , Cab . Laffo n C . 16 .

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Die psychologischen Folgen bei den Deutschen waren verheerend. »I n der franzö -sischen Zon e herrsch t kein e Ordnung« , hie ß e s i n eine m namenlose n Brie f au s Mainz, »da s Vol k wir d ausgeplündert , belogen , bestohle n un d di e Besatzun g friß t alles weg un d schwelg t i m Überfluß« 62. Tatsächlic h ware n infolg e de r Ernährungs -krise di e Arbeite r teilweis e s o schwach , da ß si e eine r geregelte n Arbei t nich t meh r nachkommen konnten ; manch e brache n a n ihre m Arbeitsplat z ohnmächti g zusam -men. Andere wiederum versuchten , durc h häufige Hamsterfahrte n au f da s Land, ih r Überleben z u sichern , wa s z u erhebliche n Produktionsausfälle n i n de r Industri e führte63. Auc h Felddiebstähl e kame n täglic h vo r un d di e Kriminalstatisti k wie s i n den Sparte n »einfach e Diebstähle « un d »Plünderungen « drastisc h nac h oben 64. I m badischen Innenministeriu m läutete n i m Frühjahr 194 7 die Alarmglocken angesicht s eines durchschnittliche n Satzes vo n knap p übe r 80 0 Kalorie n fü r de n Normalver -braucher. »Di e Stimmun g de r Bevölkerun g is t i m Hinblic k au f di e nich t ausrei -chende Ernährun g seh r gedrück t un d gespannt« , schrie b de r ansonste n fü r sein e Zurückhaltung bekannt e Innenministe r Nordmann un d wies besorgt darauf hin , daß die Polize i wede r star k noc h bewaffne t genu g sei , um di e öffentlich e Ordnun g un d Sicherheit z u garantieren 65.

Pamphlete ginge n um , un d di e Aggressione n gegenübe r de n Franzose n nahme n zu. I n eine m Schreibe n au s Binge n konnt e ma n folgende n zynische n Kommenta r lesen: Da s rheinisch e Volk »gedenk t mi t Bewunderun g de r hohe n Gönnerhaftigkei t Frankreichs, de r wi r di e Ausgab e vo n 5 0 Gram m Fet t i m letzte n Vierteljah r z u danken haben. Es denkt, daß die Gründlichkei t de r Franzosen nich t ehe r wieder de r Schlamperei weicht , bi s aus den Wäscheschränken de r rheinische n Bürge r da s letzt e Laken requirier t ist« 66. Nicht zuletz t brodelt e di e Gerüchteküche un d di e Phantasi e schoß vollend s in s Kraut . I n Rheinland-Pfal z macht e ein e Schauergeschicht e di e Runde, da ß a m 1 . Januar 194 7 ei n Geheimartike l de s Potsdame r Abkommen s i n Kraft getrete n sei , wonach da s deutsche Volk dem Hungertod preisgegebe n werde 67. Die Irrtümer , Fehlleistunge n un d Mißgriff e de r französische n Besatzungsmach t wurden bal d mi t de n Bestialitäte n de r Nazi s au f ein e Stuf e gestellt . »Unterscheide t sich di e heutig e Militärdiktatu r wesentlic h vo n de m autoritäre n Syste m Hitlers? « hörte ma n imme r häufige r un d laute r fragen 68.

Die sic h ständi g zuspitzend e alltäglich e Krisensituatio n verzahnt e sic h mi t de r überbordenden Polemi k gegenübe r de r in s Schlinger n geratene n politische n Säube -rung, und di e materielle Notlag e beschleunigt e eine n Einstellungswande l gegenübe r der Vergangenheit . Fü r di e »Normaldeutschen « überwo g di e täglich e Sorg e um s eigene Durchkommen. Wenige nur gestande n sic h ein, daß ihre Leiden ers t am End e der Kett e vo n Terro r un d No t standen , di e vo n Deutsche n übe r ander e gebrach t

62 Anthologie , S . 58. 63 Z.B . der Bestand AoFAA, Bade 5404. Beispiele auch bei Margit UNSER , De r badisch e Gewerkschaft s -

bund. Zu r Geschicht e de s Wiederaufbaus de r Gewerkschaftsbewegun g im französisch besetzte n Süd -baden, Marbur g 1989 , S. 104 ff.

64 Etwa : Lageberich t de r Kriminalpolizeistell e Lahr , Januar 1946 , Staats A Freiburg, Landratsam t Lah r VI 1/73 .

65 Nordman n a n Landesmilitärregierung , 25.5.1947 , AoFAA, Bad e 210 9 A2. 66 Anthologie , S , 108. 67 Ebda. , S . 48. 68 Ebda. , S . 106.

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worden waren . De r Zusammenhan g zwische n Ursach e un d Wirkun g wurd e gelöst . Die Last , jede n Ta g auf s neu e sei n Überlebe n sicher n z u müssen , verhindert e ein e offene un d ehrlich e Auseinandersetzun g mi t de n zurückliegende n Jahren . Ma n lit t Hunger, fror , hatt e unzureichend e Kleidun g un d i n jede m Winke l de s Lande s standen Besatzungstruppe n - wa r da s nich t Straf e genug? 69 Di e Militärregierun g sah sich bal d z u eine m Abbruc h de r eigenständige n Entnazifizierun g i n de r franzö -sischen Zon e gezwungen . I m Mär z 194 7 entschie d sic h da s Gouvernemen t Mili-taire, mit Rücksich t au f di e anderen Alliierten , da s in de r US-Zon e üblich e Spruch -kammersystem auc h i n ihre m Besatzungsgebie t einzuführen . De r politisch e Cha -rakter de r Entnazifizierun g ka m mi t diese r Übernahm e eine s judiziäre n Verfahren s abhanden. Si e glit t nu n de n Deutsche n un d Franzose n gleichermaße n au s de n Händen70.

Nach de n hoffnungsvolle n Initiative n un d de m ernsthafte n Engagemen t vo n 1945/46 konnt e angesicht s de r Unbeständigkei t de r Entnazifizierungspoliti k tief e Verbitterung nich t ausbleiben . Kau m ei n Deutsche r wa r meh r bereit , sic h i n de n gerichtsähnlichen Kammer n hervorzutun . Schließlic h mußt e soga r zu m Zwangs -mittel de r Dienstverpflichtun g gegriffe n werden , u m di e Prozedur wenigsten s halb -wegs übe r di e Bühn e z u bringen 71. I n de n Auge n de r deutsche n Bevölkerun g hatt e sich di e Entnazifizierun g z u eine m »große n Schwindel« 72 un d z u eine r »Entnazifi -zierungskomödie«73 entwickelt . Di e Prozess e führte n zu m Tei l z u groteske n Ergebnissen, den n e s wurde n nich t nu r früher e Fehlurteil e i m Revisionsverfahre n zugunsten de r Betroffene n korrigiert , sonder n di e Kammern ließe n auc h gegenübe r den vormal s zurückgestellte n schwerbelastete n Persone n Mild e walten 74.

Die meiste n Deutsche n zeigte n sic h End e 194 8 überzeugt , da ß di e politisch e Säuberung ihre n Sin n verlore n hatte . Unison o wurd e de r Ru f nac h eine m Schluß -strich laut . Da s verunglückt e Unterfange n sollt e s o rasc h wi e möglic h beende t werden. Di e frühen , durchau s positive n Ansätz e de r Entnazifizierun g i n de r fran -zösischen Zon e ware n vo r diese m prägende n Eindruc k längs t vergessen .

Die »Zei t de r schöne n Not « ode r Das Dilemm a de r französische n Kulturpoliti k

Urteile übe r da s Paradebeispie l gelungene r französische r Besatzungspoliti k - di e Kulturpolitik - müsse n i m Licht e neuere r Forschunge n ebenfall s zwiespälti g ausfal -len. An dieser Stelle soll es nicht um den Streit darüber gehen , ob nun die kulturelle n Initiativen lediglic h zu r Verschleierun g de r rigide n wirtschaftliche n Ausbeutun g gedient haben 75, ode r o b di e französisch e Kulturpoliti k nebe n de r Sicherheits - un d

69 Ebda. , S . 91 ff . 70 Vgl . GROHNERT , Entnazifizierun g i n Bade n (wi e Anm. 23) S . 183 ff . 71 Vgl . WOLFRUM , Französisch e Besatzungspoliti k un d deutsch e Sozialdemokrati e (wi e Anm. 22) S . 214. 72 S o Ott o Künzel , ehemalige r Säuberungskommissa r i n Württemberg-Hohenzollern , au f de r SPD -

Landesvorstandssitzung, 5.8.1948 , Protokoll : AsD , Bestan d Baden-Württember g 37 . 73 S o geäußer t au f eine r Versammlung i n Zel l i . Wiesental, 18.9.1948 , AoFAA, Bad e 2151. 74 Vgl . GROHNERT , Entnazifizierun g i n Bade n (wi e Anm. 23 ) S . 20 5 ff . 75 S o die Interpretatio n be i HENKE , Politi k de r Widersprüche (wi e Anm. 8).

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der wirtschaftlichen Nutzungspoliti k sic h als die dritte Komponent e in einem scho n früh entworfene n Baupla n fü r di e Besatzungspolitik präsentiert 76. Jérôme Vaillan t hat mi t Recht zu r Vorsicht gegenübe r solc h idealtypische n Modelle n - hier : hehre s Instrument de r Völkerverständigung , dort : Vehike l skrupellose r Machtpoliti k -gemahnt: »Mi t gewisse r Wahrscheinlichkei t is t anzunehmen , da ß die Vorstellung von Kulturpoliti k al s Kompensatio n fü r de n wirtschaftlichen Aderla ß de r Besat -zungszone ehe r ein e nachträglich e Erklärun g al s ein integraler Bestandtei l de r von Frankreich a b 1944/45 bewußt verfolgten Ziel e darstellt . Gleichzeiti g sin d abe r auc h Zweifel a n der These erlaubt , di e Kulturpolitik se i von Anfang a n als dritte Säul e eines einheitliche n Vorhaben s verstande n worden.« 77

Die Kulturpoliti k wurd e vo n de n Franzose n imme r i n eine m untrennbare n Zusammenhang mit der Umerziehung der Deutschen gesehen , mithin instrumentali -siert, während sic h etwa die Briten auf das Prinzip der Nichteinmischung zurückzo -gen. Allerdings ware n viel e übergeordnet e Direktive n phrasenhaf t un d deutbar wie die sibyllische n Bücher , s o daß sie breiten Rau m fü r eigenmächtig e Auslegunge n boten und durch si e so gut wie all e Maßnahmen im positiven wie im negativen Sin n begründet un d gerechtfertigt werde n konnten . Den Ausschlag ga b der individuelle, häufig aufopfernd e Einsat z einzelne r Personen. Für eine genauere Analyse empfiehl t sich daher , da s komplexe Gebild e »Kulturpolitik « z u strukturieren un d zwar nac h einer vertikale n Eben e - wi e sah der Organisationsaufbau au s und wie kamen die oben erlassene n Anweisunge n vo r Ort an? -, eine r horizontale n Eben e - welch e Beamten agierte n w o un d mi t welche n Zielsetzungen ? - un d schließlic h eine r zeitlichen Ebene - in welcher Art von Fließbewegung veränderte sich die Kulturpoli -tik? Fü r eine Wertung gan z zentra l sin d abe r insbesonder e di e Fragen, wi e Kultur von den Deutschen rezipier t wurde, ob ein Zusammenhang zwischen Alltag und Art des Kulturgenusse s besteht , un d wie sich di e Einstellungen gegenübe r kulturelle n Aktivitäten wandelten ; ander s gewendet : au f welche n Erwartungshorizon t un d welche Widerstände die französische Kulturpoliti k traf . Hierauf sol l das Augenmer k gelegt werden .

Unzweifelhaft ka m es in den Jahren 1945-194 8 z u eine r erstaunliche n Blüt e des kulturellen Leben s in der französischen Besatzungszone : Volkshochschulen wurde n in große r Zah l eröffnet , vielerort s entstande n erst e Institut s Français, scharenweise waren Theatergruppen unterwegs , Wanderausstellungen zoge n durc h die entlegend-sten Winke l de r Zone , Verlag e schösse n wi e Pilz e au s de m Boden 78. Lo b und Anerkennung der Zeitgenossen mischten sic h jedoch mit Unverständnis, ja mit einer stillen Entrüstung und gewissen Absche u gegenübe r dem bunten Treiben angesicht s der Trümmer, unte r dene n noc h Tausende vo n Toten lagen , angesicht s de r Not und des Elends, angesichts der Ungewißheit übe r das Schicksal von Angehörigen79. Auc h die französisch e Militärregierun g fragt e sic h bal d besorgt , o b die Ausuferung de s

76 S o HUDEMANN, Kulturpoliti k un d Deutschlandpolitik (wi e Anm. 14). 77 Jérôme VAILLANT , Einführung i n di e kulturelle n Aspekt e de r französische n Deutschlandpoliti k

zwischen 194 5 und 1949, in: Institut Français de Stuttgart (Hg.) , Die französische Deutschlandpoliti k zwischen 194 5 und 1949, Tübingen 1987 , S. 65. Sieh e auch DERS . (Hg.) , Französische Kulturpoliti k in Deutschland 1945-1949 . Berichte und Dokumente, Konstan z 1984.

78 Beispiel e bei VAILLANT (Hg.), Französische Kulturpoliti k (wi e Anm. 77). 79 Vgl . KÖHLER , Freibur g (wi e Anm. 18) S. 70 ff.

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Kulturbetriebes, be i dem meh r Mass e stat t Klass e gebote n wurde , sic h nich t letzte n Endes gerad e kontraprodukti v auswirkte 80.

In de n kleinere n Landstädten , di e ebenfall s mi t eine r »propagande culturell e française« überzogen wurden , wa r da s Ech o häufi g zwiespältig . Übe r ein e fü r deutsche Ohre n ungewöhnlich e Musikveranstaltun g vermerkt e de r französisch e Monatsbericht: »L a musique de jazz n' a enthousiasm é qu'un e parti e des spectateur s et d'avantage le s spectateurs françai s qu e allemands« 81. Der of t missionarisch e Eife r der Franzose n konnt e leich t i n eine n Kulturimperialismu s umschlagen , un d di e manchmal herablassende , pharisäerhaft e Haltun g provoziert e Ablehnun g be i de r Bevölkerung, di e zudem durc h allgegenwärtig e Mangelerscheinunge n vie l zu beein -trächtigt war , al s da ß si e de m Kulturimpor t au s Frankreic h wesentliche , übe r de n Tag hinausreichende positiv e Seite n hätt e abgewinne n können .

Jede de r Besatzungsmächt e i m Nachkriegsdeutschlan d wuchert e mi t de m Pfund , über das sie reichhaltig verfügte. Be i den Franzosen war das ihre Zivilisation und ihr e Kultur - si e galt (und gilt ) als eine wesentliche Komponent e französische r nationale r Identität. Zahlreich e Deutsch e ware n dafü r empfänglich . Tübinge n etw a erreicht e nach 194 5 ei n besonder s hohe s kulturelle s Niveau , un d de r maßgeblic h dafü r verantwortliche Carl o Schmi d wollt e durc h ein e »offensiv e Präsentatio n eine s Kul -turlebens« di e bedrückend e Nachkriegssituatio n bewältigen 82. Doc h »Spiel e stat t Brot« konnte auf die Dauer keine Alternative sein. Aus der Sicht der »kleinen Leute « stellte sic h di e »Zei t de r schöne n Not « al s Heuchele i dar : »Di e französisch e Kulturpropaganda bleib t wirkungslos , wei l 9 5 Prozen t de r deutsche n Bevölkerun g proletarisiert sin d und ihre Einstellung gegenübe r Frankreich davon abhängt , wie sie ernährt werden , o b si e Schuhe un d Kleide r erhalten , un d nich t davon , o b gelegent -lich französische Professore n ode r Künstle r nach Deutschland komme n und vor de n Residuen eine s bürgerliche n Publikums , da s politisc h ohn e Gewich t ist , Vorträg e halten. Die geistige Aufnahmefähigkeit de s deutschen Volkes gerade für ausländisch e kulturelle Problem e is t außerordentlic h groß , abe r solang e au s eine m Land e wi e Südwürttemberg ebensovie l Fleisc h fü r di e Bedürfniss e de r Besatzungsarme e gelie -fert werde n muß , wi e di e eigen e Bevölkerun g verzehre n darf , bleib t jede r Versuc h noch s o geschickte r Kulturpropagand a einflußlos.« 83

Anders al s Nahrungsmittel ware n Kulturerzeugniss e jegliche r Art bezugscheinfre i und gege n seh r geringe s Entgel t z u haben . I n de r Kultu r sahe n viel e Deutsch e insofern auc h weniger eine n Bestandtei l gesellschaftliche n Neuaufbau s al s ein Stüc k wohlfeile Fluchtmöglichkei t au s de r Miser e un d de r Alltagsnot . Wenigsten s fü r einige Zeit konnt e ma n de r ständige n Sorg e ums Überlebe n scheinba r entgehe n un d konnte di e grauen , dürftige n un d eintönige n Verhältnisse , a n di e ma n sic h hatt e gewöhnen müssen , stundenweis e übertünchen . S o gesehen wa r de r trist e Allta g di e Voraussetzung fü r di e kulturelle Blüte in der französischen Zon e und zugleic h dafü r verantwortlich, da ß Kultu r nu r al s bloße s Ersatzproduk t fü r materiell e Güte r

80 Rapport mensue l pou r Bade, Oktober 1946 , AoFAA, Bad e H . 1103-1104 . 81 AoFAA , Bad e AC/C. 457 4 p.3 (o . Datum, End e 1946) . 82 Zitier t nac h Edga r LERSCH , Rückbesinnun g au f Bewährte s - Auseinandersetzun g mi t de r Moderne .

Das Kulturlebe n i n Tübingen 1945-1948 , in: KNIPPING , LE RIDE R (Hg.), Kulturpolitik (wi e Anm. 14 ) S. 277-289.

83 Anthologie , S . 150f .

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betrachtet wurde 84. Al s ein e begründet e Hoffnun g au f Besserun g de r Notlag e auc h im Lauf e de r Jahre nich t aufkomme n konnte , sic h di e Situation vielmeh r mi t jede m Winter zuspitzte , kame n di e kulturellen Initiative n i n de n Geruch , schnöd e Ablen -kungsmanöver z u sein . Mit de r Währungsreform, i n deren Zuge sich die wirklichen , lange vermißte n materielle n un d private n Grundbedürfniss e entfalteten , un d de r verbesserten Lebenssituatio n fan d da s überhitzt e Kulturklim a i n de r französische n Zone ei n jähes , ei n schlagartiges , abe r unte r de n ebe n genannte n Voraussetzunge n kein unerwartetes Ende . Kultur war s o lange gefragt , al s es neben dem Hunger nac h Brot auch Hunger nach Geistigem gab . Dies war gerade bei der jüngeren Generatio n der Fall , di e di e Abschottung durc h da s NS-Regim e al s besonder s bedrücken d un d frustrierend empfand 85. Abe r Kultu r stillt e auch das Trost- und Erbauungsbedürfni s in schlechte r Zeit . Nac h de r Währungsrefor m wurd e da s Gel d i n lan g entbehrt e Waren und zu r Hebung de s Lebensstandards investiert . Die Freizeit verbrachte ma n nicht i n schöngeistige n Volkshochschulseminaren , i n Bibliotheke n ode r Theatern , sondern nutzt e si e »produktiv« fü r da s eigene berufliche Fortkommen . Zu r gleiche n Zeit schwächt e sic h di e Orientierun g au f di e französisch e Kultur , di e i n de n zurückliegenden Jahre n bi s zu m Überdru ß konsumier t worde n war , merklic h ab 86

zugunsten eine r Hinwendung z u angelsächsische n Kulturprodukten , di e - wi e dan n am eigene n Leib e erfahrba r - Wohlstan d un d Fortschrit t nich t nu r versprachen , sondern auc h brachten .

Im Schatte n de s Demontagealltags : Wirtschaftliche Neuordnungsansätz e

Bereits hinte r de n französische n Überlegunge n zu r Entnazifizierun g un d Rééduca-tion stand di e Kardinalfrage , wi e Frankreic h i n Zukunf t ein e dauerhaft e Sicherhei t vor seinem östlichen Nachbarn finde n könne . Sicherheit vor dem deutschen »Milita -rismus« un d »Nationalismus « ode r vor den »unruhige n Deutschen « gan z allgemein , konnte nich t dadurc h gewonne n werden , da ß ma n di e Deutsche n darniederhiel t -das wär e au f di e Daue r ga r nich t möglic h gewesen . Sicherhei t wa r nu r z u erlange n durch ein e demokratisch e Neuordnungspolitik . Deshal b stellte n di e Franzose n de n Deutschen i n de n Länder n ihre r Zon e ausgedehnt e Handlungsspielräum e fü r ein e Reformpolitik zu r Verfügung , di e au f wichtige n Felder n weite r reichte n al s i n de r Bizone87.

Eines diese r Felde r ware n di e Mitbestimmungsrecht e fü r Arbeitnehmer . Da s bislang viel zu wenig beachtete badische Betriebsrätegesetz vo n 194 8 galt Zeitgenos-

84 Dazu : BOSCH , De r Neubegin n (wi e Anm.20) S.258ff . 85 I n diese n Zusammenhan g gehör t de r auc h langfristi g erfolgreich e Jugendaustausch . 86 Sieh e Georges CUER , De r Französischunterrich t un d di e französische Sprachenpoliti k i n Deutschlan d

nach 1945 , in : Knipping , Le Ride r (Hg.), Kulturpoliti k (wi e Anm . 14 ) S . 57-83; sowi e Jérôme VAILLANT, Bildungspolitik un d öffentlich e Meinung , in : Ebda. , S . 147f .

87 Daz u ausführlich : WOLFRUM , Französisch e Besatzungspoliti k un d deutsch e Sozialdemokrati e (wi e Anm. 22 ) S . 203 ff.

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sen als das arbeitnehmerfreundlichste i m Nachkriegsdeutschland88 un d e s fand nich t von ungefäh r auc h international e Beachtung : I n Hollan d wurd e e s zu r Grundlag e der parlamentarische n Beratunge n übe r ei n ähnliche s Gesetz 89. Da s Schicksa l de s badischen Betriebsrätegesetze s un d di e widrigen Umständ e seine r Entstehun g kön -nen beispielhaf t erklären , warum vo n derartige n konstruktive n Ansätze n i m kollek -tiven Gedächtni s de r Mensche n weni g ode r nicht s hafte n blieb .

Obwohl di e Entstehun g de s Gesetze s zeitlic h mi t de m Ausbruc h de s Kalte n Krieges und dem parteipolitischen Zerwürfni s innerhal b der Gewerkschaften zusam -menfiel, war das Ergebnis höchs t bemerkenswert . De r Kompromiß , z u dem sic h die Beteiligten unterschiedliche r parteipolitische r Couleu r hatte n durchringe n können , sah ein e Zweiteilun g de r Mitbestimmun g vor . Au f de m Fel d de r betriebliche n Mitbestimmung konnte n di e Betriebsrät e i n soziale n un d personelle n Frage n ei n volles Mitbestimmungsrech t fü r sic h i n Anspruc h nehmen , ebens o i n wirtschaftli -chen Belangen , sofer n di e Arbeitnehme r davo n unmittelba r betroffe n waren . Au f allen andere n Gebiete n stande n de m Betriebsra t Informations-, Beratungs- un d Vorschlagsrechte zu . Doc h da s unbestritten e Kernstüc k wa r di e überbetrieblich e Mitbestimmung übe r Produktionsar t un d -umfang . Si e sollte in Fachkommissione n der einzelnen Industriezweig e stattfinden , di e gemeinhin al s Bausteine fü r ein e neu e wirtschaftsdemokratische Ordnun g betrachte t wurde n un d di e paritätisc h au s Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetz t sei n sollten. Kam in den zustän -digen Fachkommissionen ein e Einigung nich t zustande , entschieden Arbeitsgericht e und Schlichtungsorgane 90.

Das Fachkommissionsgeset z berührt e jedoc h ökonomisch e Bereiche , be i dene n die Militärregierung bishe r da s Sage n hatte . Mi t Spannun g wurd e deshal b erwartet , wie di e Franzose n au f di e Gretchenfrage , o b si e di e Bestimmunge n genehmige n sollten, reagiere n würden . Au f deutsche r Seit e ahnt e ma n weni g Gutes . Tatsächlic h ging i m Dezembe r 194 8 da s Genehmigungsschreibe n be i de r badische n Regierun g ein, i n de m ei n gehörige s Ma ß a n Skepsi s gegenübe r de m weitreichende n Geset z durchschimmerte. Un d wa s gemeinhi n befürchte t worde n war , tra t auc h ein : Di e Artikel z u de n überbetriebliche n Mitbestimmungsrechte n wurde n nich t freigege -ben91. Vordergründig betrachte t konnte n sic h die Kritiker de r französischen Militär -

88 Abgedruck t in : Badische s Gesetz - un d Verordnungsblatt . Regierungsblat t de r Landesregierun g fü r Baden Nr . 42 , 15.12.1948 . Ei n direkte r Vergleic h mi t Betriebsrätegesetze n andere r westdeutsche r Länder: Le problème de la cogestion dan s le Land Bade , 7.5.1951, AoFAA, Bade 2408 A 1. Das Kon -trollratsgesetz Nr . 22 vom 10.4.194 6 über die Betriebsräte ging auf eine französische Initiativ e zurück . Vgl. HUDEMANN , Wirkunge n französische r Besatzungspoliti k (wi e Anm . 13) S . 177. Di e Gesetz e i n den beide n andere n Länder n de r französische n Zon e fiele n gegenübe r de m badische n merklic h ab ; dazu Alai n LATTARD , Gewerkschafte n un d Arbeitgebe r i n Rheinland-Pfal z 1945-1949 , Main z 1988 , S. 287ff., Wolfgan g HECKER , De r Gewerkschaftsbun d Südwürttemberg-HohenzoUern . Zu r Gewerk -schaftsbewegung i n de r französische n Besatzungszon e 1945-1949 , Marburg 1988 , S. 171 ff .

89 Berich t de s Ministerialrat s Fran z Rappenecker , 19.6.1950 , AdO, Bad e 240 8 A 1. 90 Z u de n Konflikte n währen d de r Entstehungszei t vgl . WOLFRUM , Französisch e Besatzungspoliti k un d

deutsche Sozialdemokrati e (wi e Anm . 22) S . 240 ff. Da s Mitbestimmungsrech t i n wirtschaftliche n Angelegenheiten ersteckt e sich auf : 1 . die Einführun g neue r Arbeitsmethoden , 2 . die Festlegung vo n Kalkulationsgrundlagen, 3 . die Änderung de s Betriebsumfangs mi t de r Folg e eine r Arbeitseinschrän -kung, 4 . di e Betriebsstillegung , 5 . di e Verhinderun g konzernmäßiger , monopolistische r Bindunge n und eine r Rüstungsindustrie , 6 . schließlic h di e Zusammenlegung vo n Betriebe n (wi e Anm. 88).

91 Genehmigungsschreibe n vo m 8.12.1941 , StaatsA Freibur g A 2/104 Nr . 519 7 cab/DEF.

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regierung bestätig t sehen , paßt e diese s Verhalten doc h gan z i n da s Bil d eine r allei n auf wirtschaftliche r Ausbeutun g bedachte n Besatzungsmacht . Abe r solc h einfach e Schuldzuweisungen ginge n a n de r Wirklichkeit vorbei .

Die Zeitgenossen konnte n nämlich nicht sehen , daß die Franzosen au s interalliier -ter Rücksichtnahm e di e Notbremse zogen . I n eine r geheime n Sitzun g teilt e Koeni g seinen Wirtschafts - un d Finanzexperte n mit , de r amerikanisch e Militärgouverneu r Clay hab e hefti g gege n da s badisch e Betriebs - und Fachkommissionengeset z prote -stiert. Auch die Briten seien vorstellig geworden. Clay , dem schon die innerbetriebli-che Mitbestimmun g i n Bade n vie l z u wei t ging , mahnt e seine n französische n Kollegen z u alliierte r Solidaritä t un d erinnert e ih n a n di e Übereinkunf t au f de r Londoner Konferenz , wonac h ei n Betriebsrätegesetz au f Landesebene nich t Präjudi -zierungen fü r künftig e Bundesbestimmunge n schaffe n dürfe 92.

Die alliierte n Vorbehalt e ließe n di e Franzose n zurückweichen . Französisch e Arbeitsoffiziere i n Baden loteten zwar eifrig Möglichkeiten aus , wie das Gesetz doc h noch genehmigt werden könnte , aber alle Bemühungen waren vergeblich93. Als einer der wenige n Deutsche n hatt e de r badisch e Gewerkschaftsvorsitzend e Reibe l Infor -mationen darüber , daß dem Gouvernemen t Militaire die Hände gebunden waren . E r hatte i n eine m vertrauliche n Gespräc h mi t François-Poncet die wahre n Hinter -gründe des französischen Veto s erfahren94 und wußte, warum das »vorbildliche« un d »beste Betriebsrätegesetz« 95 i m Nachkriegsdeutschlan d au f Ei s geleg t wurde . »Le Pays de Bad e es t placé à Pavantgarde d u progrés social«, urteilt e da s französisch e Landeskommissariat noc h in einem Rückblick au s dem Jahre 1951; 96 und au s diesen Worten sprac h de r Stol z übe r sozial e Errungenschafte n i n de r französische n Zone , aber zugleic h auc h di e Enttäuschun g darüber , da ß davo n mi t de m Anschlu ß de r französischen a n die Bizone wenig übriggebliebe n war . Diese s Bil d vo n eine r sozia l vorbildlichen un d fortschrittliche n Besatzungszei t stimmt e jedoc h nich t mi t de m überein, da s sic h di e Menschen au s ihre n Erfahrunge n herau s gemach t hatten .

Denn al s de r Berich t i m Jahre 195 1 geschrieben wurde , konnte n sic h nich t meh r viele Deutsch e a n de n parlamentarische n un d gewerkschaftliche n Strei t übe r da s Betriebsrätegesetz un d di e bereitgestellte n Handlungsspielräum e de r Franzose n erinnern. Di e Jahr e 1947/4 8 stande n fü r di e »Normalbürger « unte r eine m gan z anderen Vorzeiche n un d nu r diese s entfaltet e Prägekraft : E s wa r di e Zei t de s Demontagealltags.

Fortschrittliche Mitbestimmungsrechte , wi e si e die französischen Arbeitsoffizier e nicht zuletz t al s Gewäh r fü r ein e politisch e Stabilitä t i n de r Zon e einforderten , mochten zwa r fü r Gewerkschaftsfunktionär e un d Politike r wichti g gewese n sein , und i n den Führungsetagen vo n Parteien und Verbänden schätzt e man die demokra -tischen Neuordnungsvorstellunge n weite r Teil e de r Militärregierung . Abe r fü r de n »normalen« Zeitgenosse n hatt e die s nicht s mi t seine r täglic h erfahrbare n Wirklich -

92 Protokol l de r Sitzun g Koenig s mi t seine n Gouverneuren , Wirtschafts - un d Finanzexperten , 29.12.1948, AoFAA , Bad e 240 8 AI) . I m gleiche n Bestan d auc h de r Telegrammwechse l zwische n amerikanischen un d französische n Wirtschaftsabteilungen .

93 Dokumentatio n de r zahlreiche n Initiative n in : Ebda . 94 Protokol l de r Unterredun g zwische n Reibe l un d François-Poncet, 3.2.1949, in : Ebda . 95 S o Reibe l i n eine m Schreibe n vo m 14.4.195 0 a n Rolland vo n de r Delegatio n d u Travail, in: Ebda . 96 Le problème de la cogestion... , (wie Anm. 88).

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keit zu tun ; hie r bliebe n di e Franzosen angesicht s ihre r Demontagewu t das , was si e in de n Auge n viele r imme r scho n waren : de r »Erbfeind« . De r Besatzungsmach t schlage ein ausgesprochener Ha ß entgegen , hieß e s in einem Stimmungsbericht . De r Bericht zitierte einige ständig wiederkehrende Redewendunge n unte r den Arbeitern : »Man ha t un s frühe r beloge n un d belüg t un s heut e noch. « - »All e schöne n Wort e von Völkerverständigun g werde n daz u benutzt , u m un s auszurauben. « - »Wi r pfeifen au f die Demokratie dieser Art«97. »Gilt denn Demokratie nur für di e Sieger?« lautete ein e Frage, di e man imme r drängende r aufwarf 98. Di e Demontage n wurden , das mach t diese s Meinungsklim a deutlich , zu r ernsthafte n Belastun g fü r di e jung e und noc h kontrolliert e Demokratie .

Tatsächlich übertra f di e nunmeh r scho n dritt e Demontag e welle 1947/4 8 di e schlimmsten Erwartunge n au f deutsche r Seite . »E s geh t nu n wirklic h u m Sei n ode r Nichtsein, u m unser e nackt e Lebensexistenz« , rie f Kar l Gengier , de r Präsiden t de s südwürttembergischen Landtages , i n da s vollbesetzt e Haus 99. I n eine r Bilan z übe r drei Jahr e französisch e Wirtschaftspoliti k i m besiegte n Deutschlan d schrie b de r britische Generalkonsu l i n Baden-Baden : »Wi r glauben , da ß di e Franzose n versu -chen, ihr e i m Krie g erlittene n Verlust e s o schnel l wi e möglic h au s ihre r Zon e z u ersetzen. Unse r einzige r Kommenta r daz u ist , da ß de r Versuch , au s eine m Gebie t dieser Größ e un d diese r Ressource n auc h nu r entfern t da s herauszuholen , wa s di e Franzosen währen d de r deutsche n Besatzun g ihre s Lande s verlore n z u habe n behaupten, vo m juristische n Standpunk t z u rechtfertige n sei n mag , au s ökonomi -scher Perpektiv e abe r nu r zu r völlige n Verwüstung de r französische n Zon e führe n kann.«100 Di e Kriti k tra f gena u in s Zentru m de s französischen Dilemmas . De m au f Ausgleich der eigenen immensen Schäden abgestellten Interess e Frankreichs kam di e kleinste, bevölkerungs - un d industrieärmst e de r vie r Zonen nu r seh r beding t entge -gen, vo r alle m dann , wen n ma n da s Saargebie t mi t seine r Sonderstellun g auße r Betracht ließ . Die durchaus berechtigte n Wiedergutmachungsforderungen de r Fran -zosen i n For m vo n Requirierungen , Demontage n un d Exportprogramme n mußte n so zwangsläufi g de n Charakte r eine s »industrielle n Kannibalismus« 101 annehmen .

Einige Vergleichszahlen spreche n fü r sich : Insgesam t hatt e di e französische Zon e etwa ein e doppel t s o groß e Demontagelas t z u trage n wi e di e Bizone . Während di e Amerikaner scho n im März 194 6 über eine n Demontagestopp verfügten , sollt e nac h französischen Pläne n vom Herbs t 194 7 in Württemberg-Hohenzollern übe r hunder t und i n Bade n 6 2 Firme n demontier t werden 102. Bade n la g - nac h de n beide n

97 Schreibe n de s Landrates vo n Tübingen a n Innenminister Renner , 23.7.1948 , in: AsD, Nachlaß Carl o Schmid 1106 . Ähnlich e Stellungnahme n au s Bade n be i UNSER , Gewerkschaftsbun d (wi e Anm . 63) S. 10 4 ff.

98 Anthologie , S . 26. 99 Verhandlunge n de s Landtages vo n Württemberg-Hohenzollern, Protokol l vo m 7.11.1947 , S . 10. Der

Sprecher de r französische n Militärregierun g hatt e a m 24.10.194 7 di e Demontagelist e bekanntgege -ben; si e befinde t sich in : AsD , Nachla ß Carl o Schmi d 1106 . Ebens o in : »Schwäbische s Tagblatt « 11.11.1947.

100 Zita t nac h HENKE , Politi k de r Widersprüche (wi e Anm. 8 ) S. 82. 101 S o Werner ABELSHAUSE R im Nachwor t de r Neuauflag e de s Buche s vo n Mathia s MANZ , Stagnatio n

und Aufschwun g i n de r französischen Besatzungszon e 1945-1948 , Ostfildern 1985 , S. 106. 102 Die s teilt e ei n französische r Spreche r de m südwürttembergische n Wirtschaftsministe r Wildermut h

mit. Schreibe n Wildermuths a n Schmid , 25.10.1947 , in : AsD , Nachlaß Carl o Schmi d 1106 .

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vorangegangenen Demontagewelle n - nu r wenig unter dem für die sowjetische Zon e geschätzten Demontageniveau 103.

Das deutsch e und das internationale Ech o auf die französischen Demontageplän e war ein einziger empörte r Aufschrei . Die Franzosen würde n di e »vergessene Zone « regelrecht aussaugen , schrie b di e »Süddeutsch e Zeitung» 104. Di e »Rhein-Neckar -Zeitung« sprac h von einer völligen Vernichtung ganze r Industriezweige , di e 137000 Menschen allei n i n Württemberg-Hohenzollern ihr e Arbei t koste n werde , un d die Zeitung rechnet e im einzelnen vor , wieviel stärke r die französisch besetzte n Lände r im Vergleich zu r Bizone vo n den Demontagen i n Mitleidenschaft gezoge n worde n sei105. Di e »Stuttgarte r Zeitung « schließlic h konstatiert e ein e »i n erschreckende m Maße voranschreitende Verarmung de r französischen Zone« 106 , und der nordwürt -tembergische Wirtschaftsministe r Vei t rie f i n eine r Red e vo r de m Landta g vo n Württemberg-Baden zu m passiven Widerstan d gege n di e französische Besatzungs -macht auf 107.

Einen de r bedrückendste n Bericht e übe r di e Auswirkunge n de r Demontage n stammt vo m britischen Labour-Abgeordneten Richar d Crossman , de r im Augus t 1948 in Württemberg-Hohenzollern unterweg s war . »Selten hab e ich mich s o elend gefühlt, wi e letzte Woche, als ich mit dem Auto durc h Hohenzoller n fuhr« , schrie b er und berichtete dan n weite r übe r die Situation in einigen Gemeinden , di e von den Maschinenentnahmen besonder s betroffe n waren : »Jed e Maschin e hatt e di e rot e Demontagenummer aufgemalt , soga r de r Aufzug , di e Entlüftungsanlage , de r Küchenherd und ein Schraubstock. Jeden Tag können nun die französichen Soldate n kommen, un d die Arbeiter werde n de n Befehl erhalten , ihr e eigene n Maschine n zu demontieren. Wen n si e sich weigern , komme n si e vor ein Kriegsgericht . Mülhei m hat 150 0 Einwohner , da s Lan d is t s o schlecht , da ß nu r 15 0 Einwohne r noc h Ackerland haben . All e übrige n arbeite n i n de m Uhrenwerk. I n Großheim , eine m kleinen Or t a m Holberg , arbeite n 50 0 von den 110 0 Einwohnern i n dre i kleine n Fabriken, di e Uhrenteil e herstellen . Di e meiste n Maschine n sin d alt , abe r di e Holzarbeiter mache n scho n di e Verpackungskisten, i n denen si e fortgeschafft wer -den, Got t wei ß wohin , den n si e können nu r als Schrott verwende t werden . Al s wir im Dorf waren , füllte sic h die Dorfstraße langsa m mit Männern, Frauen und Kindern in Sonntagskleidern. Es wurde scho n dunkel , und wir konnten ihr e Gesichte r kau m sehen, abe r ich habe selte n so viel Haß gefühlt. (... ) Diese neue Demontagewelle ist der Höhepunk t eine r systematische n Entblößun g de s Landes , di e kau m i n de r russischen Zon e übertroffe n wird.« 108

Zu de n Demontagen kam , daß die Bevölkerung i n der Nachkriegszeit mi t gan z anderen, i m volle n Sinn e de s Wortes existenzielle n Sorge n konfrontier t war , vor denen ein e abstrakt e Demokratisierungspolitik , wi e sie mit dem Betriebsrätegeset z

103 BOSCH , De r Neubegin n (wi e Anm . 20) S . 137. 104 »Süddeutsch e Zeitung« , 22.11.1947 . 105 »Rhein-Neckar-Zeitung« , 20.11.1947 . 106 »Stuttgarte r Zeitung« , 22.11.1947 . 107 Red e vo m 10.12.1947 , in : AsD, Nachlaß Carl o Schmi d 1106 . - Auc h di e US-Kommentare ware n

äußerst beißend ; si e sind gesammel t in : AoFAA, HcRFA/CCF A C . 43 Pol. III J-4. 108 De r Artike l erschie n i n mehrere n englische n Zeitungen , z.B . a m 28.8.194 8 i m »Telegraf« . Di e

Übersetzung in : AsD, Nachlaß Carl o Schmi d 1107.

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beabsichtigt war , nur schwer vermittel t werde n konnt e un d im Grunde au f wenig Interesse stieß . Vor dem Hintergrund de r katastrophalen Ernährungs - un d Versor-gungslage tauchte n häufige r Anschuldigunge n gegenübe r Gewerkschaftsfunktionä -ren auf , dene n vorgeworfe n wurde , si e seien »Marionette n de r Militärregierung« , weil sie es nicht schafften, di e materiellen Lebensbedingunge n de s »kleinen Mannes « zu verbessern 109. Tatsächlic h hatte n di e Gewerkschaftsführe r au f de m Gebiet de r täglichen Existenzsicherun g all e Händ e vol l z u tun . Eduard Spindler , de r Vorsit-zende des Metallarbeiterverbandes in Baden, brachte dies gegen Ende des Jahres 194 6 auf de n Nenner : »Di e Gewerkschafte n habe n heut e gan z ander e Aufgabe n wi e früher. Währen d wi r uns frühe r u m die Ernährung, Bekleidun g un d Versorgung mit Schuhwerk nich t z u kümmern brauchten , sin d dies e Aufgabe n heut e Brennpunkt e unserer Betätigung.« 110 Die Furcht vor Anwürfen eine r »Komplizenschaft « mi t der Besatzungsmacht steckt e viele n Gewerkschaftsführer n s o tief i n den Knochen, daß sie soga r französisch e Vorstöße , wonac h einig e Betrieb e i m Zuge de r Entnazifizie -rung vergesellschafte t werde n sollten , fas t erschrocke n ablehnten 111.

Drohende spontane Massenbewegungen und Streiks, die die Besatzungsmacht nur unter Androhun g schwerste r Sanktione n unterbinde n konnte 112, zeigte n den n auc h nach Anla ß un d Zielsetzun g hauptsächlic h ernährungspolitische n Charakter . Zu r Durchsetzung politische r Forderunge n erschiene n Streik s kau m meh r au f de r Tagesordnung. Zude m hatte n di e Gewerkschafte n mi t eine m hungerbedingte n Sozialverhalten, das sich in einer desintegrierende n un d demoralisierenden Wirkun g auf größer e sozial e Gruppe n äußerte , z u kämpfen . Di e Notsituation bildet e den Rahmen jegliche r Aktivitä t un d die individuelle Bekämpfun g de s Hungers bean -spruchte Vorrang vor allem anderen . Folge war ein Rückzug auf die Familie und auf hergebrachte Autoritäten sowie , in einer Art täglichen Nahkampfes, di e Ausnützun g aller Möglichkeiten , etwa s z u essen herbeizuschaffen .

Für viel e Familie n wa r di e Lag e s o hoffnungslos , wei l e s nich t nu r kau m Nahrungsmittel gab , sondern auc h das Geld ausging . Auf der einen Seit e verteuert e sich di e Lebenshaltung , di e Umsatz- , Lohn - un d Genußmittelsteuer n wurde n erhöht; au f de r andere n Seit e abe r blie b de r vo n de n Nationalsozialiste n 193 6 verhängte Lohnstop p i n Kraft. Ein e im Frühjahr 194 6 im Auftrag de r Militärregie-rung angefertigt e Budgetstudi e zweie r repräsentative n Familie n verdeutlicht e de n Ernst der Situation. Durch das Mißverhältnis zwischen dem wöchentlichen Einkom -men un d de n Ausgabe n ware n di e Arbeite r gezwungen , a n »ihr e angesparte n Sparpfennige« z u gehen , wie es in der Studie hieß , di e mit dem Satz schloß : »Di e Situation is t jedoch so , daß die Ersparnisse zu m großen Teil aufgebrauch t sin d und sich dadurc h langsa m ei n ernstes soziale s Proble m entwickelt.« 113

Diese bedrückenden , fü r jederman n sichtbare n un d täglic h a m eigene n Leib e

109 Vgl . UNSER , Gewerkschaftsbun d (wi e Anm. 63) S . 110. 110 Ebda. , S . 110. 111 Vgl . WOLFRUM , Französisch e Besatzungspoliti k un d deutsch e Sozialdemokrati e (wi e Anm. 22)

S.224. 112 Ebda. , S . 226 und 244ff. 113 De n Zahlenangeben de r Studie lage n di e Lebenshaltungskosten vo m Monat Mär z 194 6 zugrunde.

Vgl. Servic e d e Statistiques..., Untersuchun g übe r Verdiens t un d Ausgaben i n Arbeiterfamilien i n Freiburg, 15 . Mai 1946, in: AoFAA, Bad e 581 9 A.

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Das Bil d der »düsteren Franzosenzeit « 111

spürbaren Alltagsnöt e während de r französischen Besatzungszei t mündete n oftmal s in Verzweiflung un d Resignation. Die folgende Stimmun g eine s Arbeiters dürft e die Regel und nicht die Ausnahme gewesen sein: »Warum denn so viel arbeiten, wenn es doch keinen Zweck, wenn Deutschland doc h keine Chance , keine Zukunft ha t ? Die Sieger tun alles, um uns jede Chance zu rauben. Wir arbeiten nur für die anderen.«114

Freilich mangelt e e s au f französische r Seit e nich t a n Stimmen , di e au f ein e Verbesserung der Lebenssituation in der Zone drangen, weil ihnen klar war, daß man mit leeren Mägen nur schwerlich eine Demokratie errichten konnte. Zugleich stieße n jedoch di e Überlegungen z u wirtschaftlichen Strukturveränderunge n i n den Reihen der Besatzungsmach t nich t nu r au f positiv e Resonanz . Offene r Widerstan d ka m insbesondere aus den Dienststellen, die für Reparationen verantwortlic h zeichneten . Sie gabe n de r ökonomische n Ausnutzun g de r Zone de n Vorrang un d nich t eine r Demokratisierungspolitik115.

Im Grund e herrscht e ei n Konzepte-Pluralismus ohn e eindeutig e Richtung . Die französischen Landesgouverneur e erblickte n i n einer fortschrittliche n Sozialgesetz -gebung di e best e Gewäh r fü r ein e politisch e Stabilitä t de r ihne n anvertraute n Provinzen, und sie wuchsen im Laufe de r Jahre allesamt in die Rolle von »Landesvä -tern« hinein . Au s sozialpolitische n Unterlassungen , s o fürchtete n sie , könnte n radikale Element e de r Arbeiterbewegung Profi t schlagen . Ihne n mußt e da s Wasser abgegraben werden , un d deshal b mahnte n di e Gouverneur e imme r wiede r ein e beschleunigte Ausarbeitun g von Betriebsrätegesetzen, abe r etw a auch von Bodenre-formgesetzen an 116. Vo n eine r »Dominan z de s Reparationsdenkens« 117 ware n si e nicht geleitet , den n di e Demontage n bedrohte n gan z offensichtlic h de n soziale n Frieden un d die mühsam genu g hergestellt e Zusammenarbei t zwische n deutsche r und französische r Verwaltung . Vo n den Gouverneure n kame n nich t umsons t di e lautesten innerfranzösische n Protest e gege n die Demontagelisten.

Oberbefehlshaber Koeni g andererseit s instrumentalisierte die drohende ökonomi -sche Ausbeutun g fü r ein e Durchsetzun g föderalistische r Axiome . Wen n di e süd -westdeutschen Staaten , s o äußert e sic h Koeni g gegenübe r de m südwürttembergi -schen Kabinet t 1947 , nich t au f ein e föderalistisch e Gestaltun g de s künftige n Deutschland hinwirke n würden , s o habe »Frankeic h begreiflicherweis e kei n beson -deres Interess e daran , da ß bestimmt e Industriebetrieb e (... ) i n Tübinge n ode r Ravensburg ehe r erhalte n bleibe n al s z.B. im Ruhrgebiet ode r in Hamburg«118. Die Délègues Supérieurs konnten sic h mit diesem zynischen Statemen t des französische n Oberbefehlshabers ebensoweni g anfreunde n wi e di e Arbeitsoffiziere , dene n a n demokratischen Neuordnungsvorstellunge n vie l meh r gelege n wa r al s a n eine m wirtschaftlichen Ausverkau f de r Zone. Ähnliche s hatt e fü r Emil e Laffo n gegolten , bei de m Wiederaufbau, demokratisch e Strukturreforme n un d ökonomisch e Nut -zung ein Paket bildeten. Aber der einstige Generalverwalter hatte sich auf vielfältigen

114 Anthologie , S . 26 f. 115 Vgl . GROHNERT, Entnazifizierun g i n Baden (wi e Anm. 23) S. 119. 116 Vgl . WOLFRUM , Französisch e Besatzungspoliti k un d deutsch e Sozialdemokrati e (wi e Anm. 22)

S. 261 ff. 117 Werne r ABELSHAUSER , Wirtschaf t un d Besatzungspolitik i n der Französischen Besatzungszone , in:

SCHARF, SCHRÖDE R (Hg.) , Die Deutschlandpoliti k (wi e Anm. 8) S . 113 . 118 Protokol l de r Besprechung vom 2.12.1947, AsD , Nachla ß Carl o Schmi d 1103 .

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Druck i m Novembe r 194 7 resigniert au s de r Besatzungsverwaltun g zurückgezo -§ e n ' 1 9 -

Längst nich t alle s a n de r Nachkriegsmiser e gin g indesse n au f da s französisch e Schuldkonto. Der Besatzungsmacht wurden auc h Wirkungen zur Last gelegt , die aus der deutsche n Wirtschafts - un d Finanzpoliti k de s »Dritte n Reiches « resultierten , sich jedoch ers t nach dem Zusammenbruch entfalteten 120. Beides : die besatzungsin -terne Diskussio n übe r ein e Rekonstruktionspolitik , wi e auc h di e Hypotheken au s der NS-Zei t konnt e allerding s von den meisten Zeitgenosse n nich t deutlic h gesehe n werden. Jede n Tag sichtba r hingege n ware n di e Härte n de r »Franzosenzeit« . Di e positiven Ansätz e französische r Besatzungspoliti k verschwande n somi t fü r de n »normalen« Deutsche n fas t vollständi g hinte r de m Dickicht offensichtliche r »Aus -plünderungspolitik«. Di e materiell e No t wa r schlimme r al s bishe r un d di e Hoff -nungsaussichten, da ß es besser würde , ware n rar . Teile der Militärregierung forder -ten ein e Demokratisierungspoliti k zu r Umgestaltun g de r deutsche n Gesellschaft , während ander e Teil e a n eine r Ausbeutungspoliti k festhielten . Zwa r tra t beide s immer gleichzeiti g auf , abe r nur das eine, das Negative und Offensichtlichere , blie b im Gedächtni s de r meisten Mensche n haften , wohingege n da s andere, die positiven Ansätze, zu Unrecht zwar , aber verständlicherweise vergessen oder gar nicht erkann t wurden.

Eine amerikanisch e Umfrag e vo m Oktobe r 194 7 sprach bereit s Bände . »O f th e four Allies« , so stand dor t zu lesen, »the Germans mos t truste d th e United State s to treat German y fairl y (63%) ; 45 per cent placed muc h trust in the British; onl y four per cent in th e French , an d non e i n th e Russians« 121. I n de r französische n Zon e verstärkte sic h mi t dem Zusammenwachsen de r britische n un d de r amerikanische n Zone da s hoffungslos e Gefüh l de r Isolation , un d zeitgenössisch e Kommentatore n aus de m Vereinigten Wirtschaftsgebie t bezeichnete n di e französische Zon e mi t Fug und Rech t al s die »Zone mit den seidenen Vorhang«122. Man müsse, so beschrieb es ein französische r Besatzungsoffizie r einma l seh r anschaulich , di e einzelnen Lände r Deutschlands voneinande r abschließe n wi e di e Schotte n eine s Hochseeschiffes , damit nich t de r ganze Rau m überflute t werde , wen n di e Wasser de s Nationalismu s jemals eindrängen 123. Doch ein e Anfang 194 7 von der Besatzungsmacht i n Württem-berg-Hohenzollern gestartet e Meinungsumfrag e übe r föderalistisch e Einstellunge n unter de n Deutschen ka m zu niederschmetternde n Ergebnissen . I n alle n Schichte n nahmen di e Franzose n ein e Springflu t de s Nationalismu s wah r un d sahe n ihr e

119 Hintergründ e zu m Ausscheide n Laffon s be i WOLFRUM , Französisch e Besatzungspoliti k un d deut -sche Sozialdemokrati e (wi e Anm. 22) S. 234. Dazu auc h Alai n LATTARD , Zielkonflikt e französische r Besatzungspolitik i n Deutschland. De r Streit Laffo n - Koeni g 1945-1947 , in: VfZ 39 (1991) S . 1-35.

120 Raine r HUDEMANN , Sozialpoliti k i m deutsche n Südweste n zwische n Traditio n un d Neuordnun g 1945-1953. Sozialversicherun g un d Kriegsopferversorgun g im Rahmen französische r Besatzungspo -litik, Main z 1988 , S.31ff .

121 Ann a J. and Richard L . MERRIT (Ed.) , Public Opinion in Occupied Germany . The OMGUS Survey s 1945-1949, Urbana etc . 1970, S. 180.

122 »Di e Zeit« , 18.12.1947 . 123 Dara n erinner t sich de r Innenminister vo n Württemberg-Hohenzollern, Vikto r Renner . Vgl. DERS. ,

Entstehung un d Aufba u de s Landes Baden-Württemberg , in : Jahrbuch de s öffentlichen Recht s de r Gegenwart N F 7 (1958) S.201.

Page 28: Beihefte der Francia - perspectivia.net...1 »Esprit«, Sonderheft VI 1947. In deutscher Übersetzung, nach der im folgenden zitiert wird, erschien die Umfrage unter dem Titel: Anthologie

Das Bil d de r »düstere n Franzosenzeit « 113

deutschlandpolitischen Fell e davonschwimmen124. Di e französische Besatzungspoli -tik wirkt e sic h vollkomme n kontraprodukti v au s un d führt e dazu , da ß sic h di e Südwestdeutschen al s Deutsche zweite r Klass e fühlten .

Gewiß ga b es in den anderen Zonen zeitweis e ein ähnliches Meinungsklima. Abe r in de r französischen Zon e war un d blie b di e Gesamtsituatio n besonder s prekä r un d dies färbte entscheiden d au f di e kollektiven Einstellungsmuste r de r Menschen ab . In der »Esprit«-Umfrag e hatt e ei n Deutscher de n Franzosen eine n Spruc h de s griechi -schen Orakel s in s Stammbuc h geschrieben : »Jammer t i m Lei d de r Besiegte , s o is t auch de r Siege r verloren.« 125 Auc h de r französisch e Landesgouverneu r vo n Baden , Pierre Pêne, sah im Somme r 194 8 ganz deutlich , da ß di e Farben de s Bildes übe r di e Besatzungszeit geronne n waren. »Selbs t wenn nur ei n Franzose hierbliebe«, so sagte er resigniert vor deutschen Repräsentanten de s öffentlichen Lebens , »würde er für al l Ihr heutige s Elen d verantwortlic h gemach t werden.« 126

124 AoFAA , Wurtemberg-Hohenzoller n f ) C . 2561. 125 Anthologie , S . 154. 126 Zitier t nac h HUDEMANN , Sozialpoliti k (wi e Anm. 120) S. 557.