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h 1358 BERWFS FI b PÄDAG O G I SCH E BEITRÄGE ‘B HEFT 7 c il HEINRICH ABEL PADAGO GI s c H - DI DA KTI s c H E PROBLEME BEI VERLANGERTER VOLLSCHULPFLICHT cw GEORG WESTERMANN VERLAG BRAUNSCHWEIG

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BERWFS FI b PÄDAG O G I SCH E

BEITRÄGE ‘B H E F T 7

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il H E I N R I C H A B E L

PADAGO GI s c H - DI DA KTI s c H E PROBLEME BEI

VERLANGERTER VOLLSCHULPFLICHT

cw G E O R G W E S T E R M A N N V E R L A G B R A U N S C H W E I G

B E R U F S P Ä D A G O G I S C H E B E I T R A G E D E R B E R U F S P A D A G O G I S C H E N Z E I T S C H R I F T (BPZ)

H E F T 7

A U S D E M I N H A L T

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

I. Aufgaben für das 9. (10.) Schuljnhr . . . . . . . . . . 2

II. Grundzüge und Bewertung der modernen Arbeits- w e l t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

III. Kind und Jugendlicher in der industriellen Gesell- d a f t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

9 IV. Eine Besinnung über die Schule und ihre Arheit . . V. Aufbaustufen einer Erziehung zur Arbeit und zum

B e r u f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

VI. Elementare technische Erziehung im Kindheitsalter 1 4

VIL Vorbereitung für den Eintritt in die Berufswelt . . . 18

VIII. Einige Vorschlage zur Diskussion . . . . . , . . . . . 23

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

D r . p h i l . If E I A‘R 1C H A B E 1. - GeltorPn a m 19. Juni 1908 i r r Bud Rehhirrg. Kegirning.rheiirk I lnnnoivr Abitur. Bvriif.proiir im Onu- und IlolzgPru-rhe. Stiidiiinr ont Rrrufiqpädngogisrhen Iiisiiiui und a n der Univur.itirt KUl,i - B<,rii~=\rhiil<lieri~t in 0, iproda am Harz, I lnnnoivr und Rraunsrhivrig - Siiidri.rcndr~r Miiurhrrirr nn <Irr Hochirhiilv f u r Iriier- nalinnule 1’ridagoei.rhr For.rhriiig i i i FronC;liirt/df. (Uja tprwrl i i ir ipn ziim

nr r i r f iuwhrr l ) Svit 1955 I1o:rrit / ( i r B,.nirsi<.hiilpüdnrogik a m Borrifs- pudoKogisrlitw Ins i i t i i t in FrnriAfirrl di. - SrhriJilriirr der BPZ mit 1Y52

Ilerstelluog : Georg Wraierrniiiu, Brauoschwcig i958

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.............. .--..-II .-.-._- .......

PÄDAG O G I SCH - D I DAKTI SC H E P R O B L E M E B E I

VER LANGE RTE R VOLLSCHULP FLI CHT

E i n B e i t r a g z u r D i s k u s s i o n

u m d a s 9. u n d 10. S c h u l j a h r

H E I N H I C H A B E L

D i e Diskussion um das 9. (io.) Schuljahr ist gekennzeichnet durch eine fast ver- wirrende Fülle von Standpunkten. Die in der populären wie in der pädagogischen Ebene verwendeten Argumente gründen sich oft mehr auf Teilwahrheitcn und spezielle Interessen, als auf solide, d. h. durch Forschung und Versuch fundierte Sachverhalte. Weite Kreise der Volksschule z. B. betrachten das 9. Schuljahr selbst- verständlich als das ,,ihrige" (,,Wir brauchen ein 9. Volksschuljahr"). Ihnen gegen- über melden Vertreter der Berufsschullehrerschaft, die sich bisher nur zögernd mit dieser Frage beschaftigt hat, ,ihren Anspruch" an, wobei das Gesprich zuweilen auf das Niveau schulegoistischer Zankereien herabgezogen wird. Stellungnahmen nus der Wirtschaft, besonders von seiten der Kammern, befürworten ein neuntes Schuljahr nur mit der Einschränkung, daß es keine Vorgriffe auf die Berufsaus- bildung enthnlte und ctwa zu einer Verkürzung der Lehrzeit führe. Es ist cine offene Frage, ob solche Uberlegungen dem pidagogischen Auftrag gegenüber der Jugend gerecht werden können. Entgegen der von scandes- und wirtschaftspolitischen Interessen her geführten Dis- kussion soll hier unter piidagogischcrn, speziell didaktischem Aspekt versucht werden, die mit verlangerter Vollschulpflidit entstehenden bzw. deutlicher hervor- tretenden Probleme sichtbar zu machen und einige Vorschlage zu ihrer Lösung zu entwickeln. Unter Didaktik, die allgemein als die Wissenschaft und die Lehre vom Lehren und Lerncn überhaupt bestimmt wird, soll hier konkreter verstanden werden die Lehre von den Grundlagen und Inhalten eines Bildungsraumes und von den si& daraus ergebenden Konsequenzen für das methodische Vorgehen und für die organisato- risdie Gestaltung eben dieses Raumes. Damit ist die Gliederung unseres Beitrages zur Diskussion um ein 9. (10.) Vollschuljahr gegeben.

1

I . A u f g a b e n f ü r d a s 9. (10.) S c h u l j a h r

W i r orientieren uns zunächst a n den Aufgaben, die bisher dem 9. (10.) Voll- Schuljahr von bedeutenden Pädagogen, in amtlichen Verlautbarungen und durch qualifizierte Gremien gestellt worden sind:

Jm Jahre 1929 veranstaltete die Gesellschaft f ü r soziale Reform (1) eine Diskussion über die Verlängerung der Schulpflicht, a n der sich neben anderen auch Georg Kerschensteiner und Eduard Spranger mi t ausführlichen Gu t - achten beteiligten.

Ausgehend von der schweren Erziehungsnot, in der der Nachwuchs stecke, forder te Georg KERSCHENSTEINER eine verstärkte Erziehungsfürsorge. E r be- kannte jedoch, daB er ,,in hohem G r a d e bedenklich einer allgemeinen iind grundsätzlichen Verlängerung der Werktagsscliulpflicht" gegenüberstehe, da die Umgestaltung der bisherigen Unrerrichtsschule in eine Erziehungs- und Arbeitsschule, um die e r sich schon bei Einführung des achten Schuljahres in Bayern nach der Jahrhundertwende bemüht hatte, bisher nicht gelungen sei. Da aber die Entwicklung nach einer Verlängerung dränge, hielt er die Rus- dehnung der Berufsschulpflicht auf vier Jahre (je 12 Wochenstunden in den beiden ersten, je 8 Wochenstunden in den beiden letzten Jahren) fü r Lehr- linge in qualifizierten Ausbildungsstätten fü r ,die pädagogisch wirksamste, die wirtschaltlich fruchtbarste, die sozial erträglichste, und die finanziell billigste Erweiterung der Schulpflicht". F ü r diese Regelung befürchtete er jedoch ,,wesentliche Hindernisse" beim Unternehmertum. N u r fü r diejenigen, die keine wirksame Lehre durchlaufen könnten, befürwortete e r eine Aus- dehnung der Vollschulpflicht bis zum 16. Lebensjahre, aber bei entscheidender Anderung der Arbeitsweise der Schule. Worin er diesen Wandel zur lelens- nahen Schule sah, das h a t e r noch kurz vor seinem Tode in drastischer Form ausgedrückt:

,Solange nicbt die Scbulgärten, Werkstätten, Laboratorien, Musikräume, Theater- utna' Zeichensäle, Niibstuben, Kiicben- und andere Hairswirtscl~a~seinricl~tungen wenigstens die Hälpe aller scbulbankbesetzten Klassenrärtrne überfliissig macben, solange die Schulmeister noch flammende Proteste erheben gegen das Eindringen v o n besonderen Fachlehrkrä/Zen aus dem Handwerk, dem Gartenbau, der Kunst, der Hauswirtschapsführung, solange wird alles Gerede iiber die Lebensnähe der Elementarscbulen und auch das Gerede Über die Bildungswirkung dieser Schul- gattung wenig mehr sein als eine dilettantenhafte Selbstberauschung." (2)

2

Erwähnenswert ist sein Hinweis, , ,daß nicht bloß charakterrnäßig, sondern vor allem auch ausbildungsniäßig junge Leute über i 8 Jahre zum Lehrling weniger geeignet seien als 14- bis 16jährige".

Edua rd SPRANGER forderte damals, sich von der ,,langweiligen Alternative zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung" ebenso wie von der Orientie- rung a n dem ,,bestehenden Organisationskörper" z u lösen und gegen das Ende der Volksschulzeit eine Obergangsstufe v o n der phantasiebewegten Kindlichkeit in die anders geordnete Wirklichkeit d e r Arbeitswelt zu schaffen. E r sprach sich aus fü r eine ,,klug geleitete beruflich Erwecktmgs- phase", fü r ein 9. Schuljahr als Zwischenglied zwischen der allgemeinen Kräfteweckung in der Volksschule und dem wirklichkeitsnahen, spezialisierten Arbeiten in der Berufsschule.

Diesen Gedanken nahm Bruno CONRADSEN (3) auf und konkretisierte ihn im Entwurf eines fachlich undifferenzicrten Berufsgrundschuljahres, ein Ge- danke, der seit Ostern 1958 a n einigen Berufsschulen in Nordrhein-Westfalen als Versuch realisiert wird.

D ie 1933 abgerissene Diskussion wurde Anfang der 50er Jahre mit zwei bedeutsamen Publikationen wieder aufgenommen.

Friedrich SCHNEIDER (4) stellte die Motive f ü r die Forderung nach einem 9. Schuljahr zusammen (der Vierzehnjzhrige bedarf noch der Erziehung, er ist noch nicht berufsreif, sein Leistungswissen weist Lücken auf , verlängerte Schulzeit bedeutet Erhöhung der Bildung und der wirtschaftlichen Leistungs- fahigkeit); e r gab einen Oberblick über die Entwicklung ini Ausland und scellte dem a n die Volksschule anzugliedernden neunten Jahre folgende Auf- gaben: Steigerung und Befestigung des Leistungswissens, sittliche, staats- bürgerliche und religiöse Erziehung, Unters tützung bei der Berufsfindung ,,auf Grund der Ubersicht über die wichtigsten Berufsrichtungen und der Kenntnis d e r eigenen Fähigkeiten", was durch die Einführung eines Berufs- schultages erleichtert werden könnte.

Das ,,GUTACHTEN ZUR BERUFSAUSBILDUNG DER DEUTSCHEN JUGEND" (5), das von einem Sachverständigenausschuß unter Vorsitz von Johannes RIEDEL erarbeitet und 1952 vom damaligen Präsidenten der Ständigen Konferenz der Kultusminister als Grundlage fü r die öffentliche Diskussion heraus- gegeben wurde, weist dem neunten Schuljahre folgende Aufgaben zu:

1. AbschluB der Grundbildung ohne Erweiterung des Lehrzieles der Volksschule, 2. planniißige Vorbereitung und Uberleitung zum Beruf, ,,ohne der Berufsaus-

bildung in der Fercigkeitsschulung" vorzugreifen.

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D i e Ausgestaltung eines solchen ,,Uberleitungsjahres" hielt der Ausschuß ,,nur bei engstem Zusammenwirken von Volks- und Berufsscfiule" fü r möglich.

Einem Antrage des Baden-Württembergischen Landtages nachkommend, emp- fahl der DEUTSCHE AUSSCHUSS FUR DAS ERZIEHUNGS- UND BILDUNGSWESEN unter dem 9. Miirz 1957 in einem Gutachten, allgemein ein 9. Volksschuljahr in S tad t und Land einzuführen und mi t der Einrichtung eines zunächst fakul ta t iven 10. Volksschuljahres z u beginnen. Zuni Inha l t dieser beiden Jahre wi rd gesagt, d a ß sie sich durd i ihre Akzente und ihre Atmosphäre deutlich von den vorhergehenden Schuljahren vor allem dadurch unter- scheiden niüßten, d a ß sie in ihren Gehalten und Lebensformen .der Welt der modernen Arbeit" näherrücken, ohne jedoch ,an Kraf t zu behütender Menschenbildung einzubüßen". Empfohlen wi rd zu erproben, wieweit Lehr- kräfte und Einrichtungen von Berufsschulen einbezogen und wieweit die Bildungsarbeit der Industrie in der werkseigenen Lehrlingsausbildung mi t ihrem materiellen Bestand und ihren Erfahrungen nutzbar gemacht werden könnten (6).

Die ZENTRALSTELLE ZUR ERFORSCHUNG DER BERUFSERZIEHUNG (7) beschäf- tigte sich 1956 eingehend mi t den Problemen, die durch den Obergang von der Schule in den Betrieb aufgeworfen werden. H i e r bestand Obereinstim- mung darüber , d a ß die heutige allgemeinbildende Schule ,eine Einführung in die Arbeits- und Lebenswelt niclit in wünschenswertem Maße" leisten Itann, aber auch darüber , , ,dan die heutige Ausbildung innerhalb der Betriebe neben der Ausbildung zur Arbeitswelt diejenige zur Lebenswelt fast völlig in den Hintergrund treten" lasse. Die aus dieser Einsicht formulierte Fordc- rung nach einem Uberbriickungsraum zwischen der Schulentlassung und dem Beginn der speziellen Berufsausbildung, in dem z u r pflichtgemäfien Erfüllung der Arbeit wie zu einer sinngerechten Gestaltung des berufsfreien Lebens- raumes vorbereitet wird, fand Zustimmung im Grundsätzlichen. Ober seine Dauer , seine Zuordnung und seinen konkreten Inha l t konnte keine Ein- mütigkeit erreicht werden. D e r unter dem 13. Juli 1957 vom SENATOR FUR VOLKSBILDUNG IN BERLIN herausgegebene ,,Bildungsplan für die Oberschule praktischen Zweiges" (S), ir, dem mehrj ihr ige Erfahrungen mi t dem neunten Schuljahr ausgewertet wurden, legt für diese Bildungsstiitte ,,der vorwiegend dem praktischen Leben zugewnndten Schüler" folgende Aufgaben fest:

In einem dreijährigen, auf die sechsjährige Grundschule aufbauenden Lehr- gang ist d ie Entfal tung der Persönlichkeit im Rahmen der Gemeinschaff zu fördern und sind jene grundlegenden Einsichten, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die zum Eintr i t t in das praktische Berufsleben und zur Weitcr-

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bildung in der Berufs- und Berufsfachschule befähigen. Die Stundentafel der neunten Klasse sieht 28 Stunden Kernunterricht und vier verbindliche Kurs- stunden vor, für die 16 versdiiedene Titel angegeben sind. Der Kernunter- richt gliedert sich in:

14 Stunden Kul tur - und Gemeinschaftskunde, Erkundung der Berufs- u'nd Arbeitswelt,

4 ,, Zeitgeschichte und Fremdsprache, 8 ,, Wcrken/Hauswerk, bildnerisches Gestalten und Musik, 2 ,, Leibesübung.

Die vom HESSISCHEN KULTUSMINISTER 1956!57 vorgelegten Bildungsplane sagen über das 9. Volksschuljahr aus, d a ß es die Aufgaben der allgemeinen Menschenbildung und der politischen Bildung mit einer gewissen berufsvor- bereitenden technischen Grundbi ldung zu vereinbaren habe, ohne jedoch fadiliche Ausbildung oder berufliche Spezialisierung zu betreiben. Die Stun- dentafel sieht vor:

i o Stunden allgemeine Menschenbildung,

i 2 ., technische Grundbi ldung,

Es heißt zum Schluß, d a ß die Volksschule zur Zeit die Aufgaben des 9. Schul- jahres nicht erfüllen könne und auf die Zusammenarbeit mit der Berufsschule angewiesen sei. ,,Vor allem die Aufgaben der technischen Grundbi ldung werden zu einem Teil von Lehrern aus den berufsbildenden Schulen über- nommen werden müssen. Dami t kann das 9. Schuljahr zu einem Bindeglied zwischen der Volksschule und der Berufsschule werden." (9)

Unser Uberblick über die als repräsentativ anzusehende Auswahl von Stim- men zum 9. (10.) Vollschuljahr aus den letzten 30 Jahren l äß t erkennen, d a ß die Erz iehung der Heranwachsenden in diesem Ze i t raum auf die m o - derne Arbe i t swe l t mit ausgerichtet w e r d e n soll. Das wird zwar in unter- schiedlicher Intensität betont: von einer Hi l fe bei der Berufswahl (Berufs- findungsjahr), von einer ,,beruflichen Erweckungsphase", bis zur Forderung einer technischen Grundbi ldung.

Solch eine Aufgabenstellung bedeutet ein N o v u m fü r ein noch vorwiegend in der neuhumanistischen Tradition stehendes Bildungsdenken, das wir heute noch sehr betont im Raum der Volksschule feststellen können. Die obige Forderung zwingt zunächst zu einer Besinnung über die heutige Arbeitswelt und über die Situation des Kindes und des Jugendlichen in der gegenwärtigen Gesellschaft.

6 politische Bildung,

4 Englisch bzw. Obungsstunden in Deutsch und Rechnen.

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I l . G r u n d z ü g e u n d B e w e r t u n g d e r m o d e r n e n A r b e i t s i v e l t

Nach H a n s FREYER (10) ist das gegenwärtige Zeitalter dadurch charakteri- siert, d a ß durch die Technik alle Sachen machbar, die Arbeit organisierbar und die Menschen zivilisierbar geworden sind. E r sieht das Vorhaben als etwas völlig Ncues - und großenteils noch ZukunR - an, ,die Erde ins- gesamt aus dem Geist der Maschine zu konstruieren". Parallel dazu ha t Georges FRIEDMANN (11) aus einem breiten internationalen Erfahrungs- bereich heraus die moderne ,,Maschinenwelt" geschildert in Gegenüberstel- lung zur ,,natürlichen Melt" von einst, die auch heute noch im Bauern- und Handwerker tum, aber auch hier nur in Restbezügen anzutreffen ist. Von anderen Grundlagen ausgehend, aber zu gleichen Ergebnissen kommend, h a t David RIESMAN (12), der hier mit den vorgenannten Autoren stellvertretend für eine lange Reihe anderer noch genannt werden soll, a m Beispiel des ainerikanischcn Sozialcharakters Wandlungen aufgewiesen und Lebensweisen in einer Welt deutlich gemacht, in der die Rationalisierung de r Arbeit wie des Vergnügens und der Erholung parallel laufen. Entscheidend für die Beurteilung der von der Sozialwissenschaft sichtbar gemachten Vorgänge ist f ü r unseren Zusammenhang, daß Technik und Oko- nomik nicht im Sinn einer einseitigen Kultur- und GesellschaRskritik nu r als das ,,Wider-Menschliche schlechthin", sondern auch als unverlierbare Taten des menschlichen Geistes, als integrative Bereiche unserer Kultur erkannt werden. Um mit Theodor LITT (13) zu sprechen: Der heutige Mensch m u ß fähig werden, den Widerspruch zu sehen und zu bestehen, d a ß die Bemühung um die ,,Sache", d. h. hier konkret um die in der Arbeitswelt gestellten Auf- gaben, ihn gleichzeitig als Mensch bildet und doch auch in seinem Menschsein bedroht. N u r von dieser - keineswegs allgemein akzeptierten - Basis der ambivalenten Beurteilung der heutigen Arbeitswelt kann der Pädagoge kon- s t rukt iv a n die oben aufgewiesene Aufgabe einer Erziehung des Nachwuchses für die von der Technik und a k o n o m i k bestimmte Arbeitswelt herangehen. Dabei sind drei Tatbestände im besonderen zu berücksichtigen: 1. Die Maschinenwelt wi rd gekennzeichnet durch eine steigende Dynamik auf G r u n d des nicht aufzuhaltenden technischen Fortschrittes und eng dami t verbunden durch eine zunehmende Mobili tät im sozialen Bereich (lebhafte Fluktuat ion der ArbeitskräRe, Ansteigen des Berufswechsels) (14). Jede Arbeitskraft, gleich welcher Leistungsstufe, muß sich a n immer wieder neue Arbeitsinhalte und Formen anpassen. Das erforder t geistige Beweglichkeit, soziale Kontaktfähigkei t und wache Verantwortungsbereitschafl, d. h. Fähig- keiten, die in hohem Maße erziehungsbedingt sind.

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2. Die heutige Arbeitswelt ist von der vorindustriellen Welt des Bauern, Handwerke r s und Händlers , in der es nur einige Dutzende von Berufen und nur eine Leistungs- und damit Ausbildungsstufe gab, unterschieden durch eine Ausweitung des Berufsfeldes in der horizontalen Ebene (rund 20 O00 Berufsbezeichnungen mit über 500 Ausbildungsberufen allein iin gewerb- lichen Raum) und gleichfalls in vertikaler Hinsicht. A n die Stelle des ein Arbeitsstück entwerfenden und allein ausführenden Handwerke r s von einst werden heute fü r die Produkt ion viele Leistungsstufen benötigt: Vom Hilfs- und Facharbeiter über den Techniker und Ingenieur zum Betriebsorganisator und Wissenschaftler im Labor. Dami t w i rd es immer schwieriger, das Feld der Ausbildungsberufe zu überschauen und ihre Inhal te kennenzulernen. 3. Besonders bemerkenswert ist eine zunehmende Abwälzung von körper- licher Schwerstarbeit auf Maschinen und neuerdings eine beginnende Ab- IGsung einfacher Repetetivarbeiten z. B. am Fließband durch Automaten. Nachgewiesen ist gcnerell der T rend von der ungelernten z u r gelernten Arbeit, die aber in ganz verschiedenen Leistungsanforderungen auf t r i t t (15).

111. K i n d u n d J u g e n d l i c h e r i n d e r i n d u s t r i e l l e n G e s e 1 1 s c h a f t

Wenn auch - nach einer Bemerkung Erich WENIGERS - d i e Jugendpsycho- logie fü r didaktische Dberlegungen ,,nicht die konstituierende Bedeutung (hat), die man ihr allgemein zuschreiben mödite'' (16), so erscheinen uns doch einige Hinweise auf neuere Forschungsergebnisse der Jugendkunde von be- sonderem Interesse f ü r unseren Zusammenhang. Fr i tz S T ~ C K R A T H (17) ist der geistigen Entwicklung des Kindes in der technischen Wirklichkeit nach- gegangen und h a t gefunden, d a ß das Kind probierend, durch Variat ion seines Tuns in den technischen R a u m einzudringen versucht, wahrend die heute 'noch in den Schulen betriebene Natur lehre im W i d e r s p r u h dazu nicht a m Funktionieren der Apparaturen, sondern a n den Gesetzlichkeiten, a n den Grundstoffen und Grundkräf ten der N a t u r ausgerichtet ist. Schon das K i n d drangt z u r Herrschaft über das Ding, es will etwas ,,machenu, was Stückrath als Vorform des technischen Tuns ansieht; es geht funkt ional denkend a n die Gegebenheiten der technisch artikulierten Wirklichkeit heran; es will wissen, wie z .B. das Feuerzeug zusammengesetzt ist und nach welcher technischen Regel, nicht nach welchem physikalischen Gesetz, die F lamme entfacht wer- den kann. Stückrath kommt zii dem Ergebnis, daB das Technisdie ein ent- scheidender und charakteristischer Bereich einer elementaren Bildung ist. Er

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häl t technische Bildung fü r ein dringliches Anliegen der Schule, um neben der Beglückung des Menschen durch die Technik der Gefah r einer ,technischen Versklavung" z u begegnen; e r sieht im neuhumanistischen Bildungsbegriff die Hauptursache dafür , dai3 der ,Mittelpunktstellung der Technik" bisher von den Pädagogen noch nicht Rechnung getragen worden ist. D i e traditionelle, vornehmlich psychologisch bestimmte Jugendkunde ha t den Sinn der Pubertät neben der allmählichen Harmonisierung der Gestalt in der geistig-seelischen Reifung des Heranwachsenden gesehen. Ergänzend ist von der Jugendsoziologie die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen und hier besonders der beruflicheii Welt im Jugendalter untersucht worden. D e r vielfach schon f rüh angebahnte Schritt aus der sozialen Rolle des Kindes in die des jungen Menschen ist nach He lmut SCHELSKY (18) ein Obergang zwi- schen ,,zwei sozialen Verhaltenshorizonten", ein Obergang von der die ganze Person erfassenden Int iniwel t der Familie z u r versachlichten, den Menschen jeweils nur teilhaft (funktional) ansprechenden Welt der ,,sekundären Sy- steme'' (Freyer). Diese ,zweite soziale Menschwerdung" als Einpassung in die moderne Gesellschaí? ist wesentlich abhängig vom Finden und Heimisch- werden in einem Beruf, der die Brücke z u r Arbeitswelt darstellt. H i e r voll- zieht sich der entscheidende soziale FormierungsprozeB, dem von der t ra- ditionellen Schulpädagogik nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. W i r haben es heute mit Heranwachsenden zu tun, deren Icindheit um ein bis zwei Jahre f rüher zu Ende ist, deren Jugendzeit nicht mehr wie einst bei der Jugend des H o h e n MeiBner vom ,,Nur-jungsein-wollen", sondern vielmehr v o n einem Anpassungswillen a n die Welt der Erwachsenen be- st immt wird . Das ä d e r t sich vornehmlich in dem erstaunlich starken Drängen zu qualifizierten Formen beruflicher Ausbildung, das zeigt sich in der ge- änderten Einstellung z u r Schule, die - im Widerspruch zu den herrschenden Leitbildern der Pädagogik - unter deni Gesichtspunkt der beruflichen Vor- bereitung von den El tern ausgesucht und v o n ihren Besuchern absolviert wird. D e r fü r rund zwei Dr i t te l der Angehörigen eines Jahrganges beim 14. Lebens- jahre liegende Einschnitt (Ende der ,,Kinder"-Schule, Eintr i t t in d ie Arbeits- welt) entspricht weder deni Entwicklungsgang des Heranwachsenden noch den sozialen Gegebenheiten. Wilhelni ROESSLER (19) h a t auf die Gefahr des ,,Auseinanderdriftensu von Schule und aufierschulischer Welt bei den Jugend- lichen hingewiesen, wenn ihr eigentliches Erfahrungs- und Leistungsinteresse in der Schule nicht zur Entfal tung gelangen kann. Zu den vielen Stereotypen, die unser Denken beherrschen, gehört die immer wiederholte These, dai3 der Vierzehnjährige noch nicht berufsreif sei. Diese These ist richtig, wenn darunter die unvermittelte Eingliederung des Volks-

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schulentlassenen in das rationalisierte, vom Tempo bestiinnite und a n vielen Gefahren reiche moderne Betriebsleben gedacht wird. Sie ist bedenklich, wenn mi t ihr e in Fernhalten des Jugendlichen von ,,Dingen der Nützlich- keit", d. h. eines so verstandenen Berufes (Wilhelm von H u m b o l d t sprach vom ,,öden Geschäft"), zugunsteii sog. reiner Menschlichkeit angestrebt wird. D i e ,,Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft fü r Jugendkunde" (20), deren Forschungen sich auf einen Zei t raum von sechs Jahren erstrecken, h a t un- langst eine Oberprüfung der These von der mangelnden Berufsreife der Vierzehnjälirigen angeregt. Sie fand den höchsten Prozentsatz a n guten bis vorwiegend guten Berufsbewährungen bei Jugendlichen, die im Alter von 1 4 (O) bis 14 (11) Jahren mit der Berufsbildung begonnen hat ten. Sie warn t vor einer Dramatisierung der psychischen, sozialen und somatischen Situation der Gegenwartsjugend, regt aber im Blick auf den hohen Prozentsatz (20 o i o ) ungünstig verlaufender Berufsentwicklungen echte Reformen an, d a unter erzieherischem Aspekt die Situation weder im GroBbetrieb noch iin H a n d - werk als befriedigend angesehen werden könne. Diese Ergebnisse sind beachtenswert. Sie werden aber kaum zutreffend aus dem Gesamt der Darlegungen heraus interpretiert werden, wenn sie zur Legitimierung der heutigen Praxis in der Berufserziehung ,ausgenutzt" wer- den sollten. W i r verstehen sie dahingehend, d a ß fü r den werktatigen Nacli- wuchs schon mit dem 14. Lebensjahre die Begegnung mit der Berufswclt lier- beizuführen ist, eine Begegnung jedoch unter pädxgogischem Aspekt, d. h. durch schrittweises Heran führen a n die Inhalte, den Arbeitsstil und die Lebensgewohnheiten im Berufsleben. Durch eine seiner Entwicklungsstufe gemäße Werktät igkei t w i rd der Jugendliche sein Leistungsfeld erkennen und erproben können.

I V . E i n e B e s i n n u n g i i b e r d i e S c h u l e u n d i h r e A r b e i t

Wir haben oben das Heranführen des Nachwuchses a n die Arbeitswelt als ein N o v u m fü r die Volksschule bezeichnet. Wenn wir vorwegnehmend be- merken, daí3 fast alle ihre Versuclie z u r Bewältigung dieser Aufgabe in jüngster Zeit praktisch gescheitert sind, d a n n ist eine Vergewisscrung über ihren S tandor t und ihren Arbeitsstil hier angebracht. Ihrem Ursprung nach waren alle Schulen von der Lese-, Schreib- und Rechenschule bis z u r Latein- schule Einrichtungen fü r bestimmte lebenspraktische Zwecke. Sie w i r e n in der vorindustriellen Gesellschaft vornehmlich Unterrichtsanstalten. D ie Er- ziehung der Kinder und Jugendlichen oblag der Familie und den gesellschaft- lichen Korporat ionen, sie vollzog sich im Umfeld des jeweiligen Standes.

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Die Entwicklung des - typisch deutschen - Bildungsbegriffes vom aus- gehenden 18. Jahrhundert a n führ te im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer mehr zu der Vorstellung, d a 6 Schule und Bildung identisch seien und mit den Bedürfnissen des praktischen Lebens unmittelbar nichts gemein hätten. Noch in unserem Jahrhundert h a t Hermann NOHL (21) die Schule als einen ,,zweckfreieii O r t " bestimmt, a n dem der junge Mensch ,,das höhere geistige Leben erfährt und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des Alltags die freie KraR des Geistes entfaltet". H i e r w i rd verkannt , daß, wie Georg Iierschensteiner es forinuliert hat , der Weg zum gebildeten Menschen über den ausgebildeten, über den ,,brauch- baren" Menschen geht. H i e r wird auch übersehen, dail Hauptbestandtcile aller schulischen Arbeit, angefangen von der Vermitt lung des Lesens, Schrei- bens und Rcchnens bis zur Vermitt lung vielfältiger Kenntnisse und Fertig- keiten in den verschiedensten Fächern, nur Voraussetzungen f ü r das schafft, was unter ,,Bildung" verstanden und erhofft werden kann. Der moderne Begriff ,,der Kulturtechniken" u n d der seit H u g o GAUDIG eingebürgerte Terminus ,,Technik der geistigen Arbeit" weisen auf den ,,Ausbildungs"- Charakter soldien Tuns hin. Erich WENIGER (72) spricht vom ,propädeu- tischen Charakter" z. B. beim Erlernen einer F re indsp rahe und macht auf die Notwendigkei t aufmerksam, dieser Arbeit einen pädagogischen Sinn zu geben durch eine ,,bildende Gestaltung des Unterrichts"; e r muB einen ,,geistigen Hintergrund" haben, damit die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten auch 211 rechtem Gebrauch kommen können. Wenn der Einiibung elementarer ,,Kulturtechniken" und der Vermitt lung grundlegender Kenntnisse z. B. in den Realfächern ein Bildungswert zii- gesprochen wird, dann ist es nicht einzusehen, warum dem Erwerb von H a n d - fertigkeiten iin Umgang mit verschiedenen Werkstoffen, Werkzeugen und Maschinen, dem Erarbeiten von technischem und ökonomischem Wissen als Mittel zur sp i te ren Teilhabe a m wirtschaftlichen Leben und als Grundlage zum Verstehen der modernen Berufsgesellscliafi nicht auch ein Bildungswert zugesprochen werden soll, vorausgesetzt, dafi diese Bemühungen unter den gleichen Bedingungen und Zielstellungen vor sich gehen. Das aber führ t zu einer weiteren Oberlegung. Vom Neuhumanismus her ist es zu einer Ar t fixen Vorstellung t ro tz des in unserem Jahrhundert geprägten ,dynamischen" Bildungsbegriffes geworden, d a ß der Heranwachsende zunachst ein bestimmtes MaB an ,,allgemeiner Bildung" zu erwerben habe und d a ß daran sich die berufliche Ausbildung anzuschließen habe. Die hessischen Bildungsplzne z. B. sprechen von einer ,,abgeschlossenen Stufe der Allgemeinbildung" (in ersten Entwürfen war sogar voni ,,mündigen ?vIenschen<' als Bildungcziel der Volksschule die Rede),

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z u der die V o l k s s d d e ihre Zöglinge z u führen habe. Vergessen oder nicht aufgenommen ist die Feststellung Kerschensteiners, daß das Streben nach Bildung als einem umfassenden Verstandnis von Leben und Welt eine An- gelegenheit erst des späten Jugendalters, wahrend das Streben nach Aus- bildung besonders machtig im frühen Jugendalter ist. Kennzeichnend für diese Lage ist eine Bemerkung Fri tz BLÄTTNERS (23), daB die deutsche Bil- dungstheorie die jeder Schule aufgegebenen vier Erziehungsaufgaben (er ncnnt sie die humanistische, die realistische, d ie politische und die religiöse Bildung) allein auf die erste reduziert und dami t den Zustand verschuldet habe, , ,dan die Schule nicht weiB, was sie ist und was sie soll". Uin als ,,Reifer" handeln und im Leben bestehen zu können, müsse man, so schreibt Blattner über die realistische Aufgabe, viele Fertigkeiten der H a n d , der Sprache, des Denkens und des Benehmens gelernt haben, und z w a r vornelini- lidi im Hande ln selbst, auch wenn die Zweiheit von Mittel und Ziel zunächst nidit bewufst werde. Das Sich-Festklammern am Begriff der ,,allgemeinen Bildung" wie a n einen rocher d e bronce h a t vor allem der Volksschule bisher den Weg versperrt 7u einer Bildung, die sich nicht mehr im Widersprucfi sieht zur Technik und Oltonomik und sich nicht mehr absetzt von ,,Ausbildungen", z u einer Er - ziehung, die den Menschen von heute in den Mit te lpunkt stellt und ihn auf alle berechtigten und notwendigen Forderungen der Lebenspraxis vorzu- bereiten sucht. H i e r hilft kein Klagen, sondern nur ein Überpriifen des fü r d ie Volksschuloberstufe in eine Sackgasse geführten Weges und das Beher- zigen des von H e r m a n n Noh1 (24) sicherlich nur schweren Herzens nieder- geschriebenen, von Eduard Spranger schon 1917 in seiner Schrift über ,Be- zabung und Studium'' vertretenen Gedankens: ,,Allgemei~tbildirttg im alten Sinne gibt es nicht mehr. W i r sind alle Spezialisten id unserem Wissen und miissen es sein. Die Erzcirgnisse der Technik sind uns heirtc so selLst-~erst~ndlicl,e W m d e r geworden, a i e die der A'atur, man benritzt sie, aber vcrsteht sie nicht.. . M a s aber geblieben i s t und immer Lleiben wird, ist das un- wrtilgbare Streben der Seele ndch ihrer Vollkommenheit in allen thrcn KriPcn, >lach einer cirltrirn animi, rrntf der spontnne rrnd in ctnrterndcr Spontaneit,it sicl? erhaltende Prozefl des Sichbildens."

Die Hereinnahme von Technik und Okonomik in den Erziehungs- und Bil- dungsauftrag der Schule, was wir bei COMENIUS ebenso wie bei PESTALOZZI icweils fü r die Gegebenheiten ihrer Zeit als Selbstverständlichkeit finden, kann nur aus einer Gesamtschau heraus in Angriff genommen werden, nicht nber allein von der Ebene der traditionellen Volksschule her. Der gesamte Vorgang der Grundlegung, Vorbereitung und Durchführung einer Erziehung zur Arbeit und zum Beruf muß unter dem Aspekt eines opt imalen kind- und

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jugendgemäßen Ablaufes durchdacht werden als eine Teilaufgabe der Er- ziehung, die nicht neben den anderen Aufgaben steht, sondern innig mi t ihnen verschränkt ist. H i e r betrachten wir diese Teilaufgabe isoliert und aus- schlieí3lich in ihrem Bezug auf die auszudehnende Schulpflicht. D ie deutsche Pädagogik h a t die Gesamtaufgabe einer Erziehung des Nach- wuchses f ü r die Arbeitswelt bisher kaum behandelt, sondern sie h a t sich nur mit Teilbereichen und auch hier wiederum von bestehenden Gegebenheiten ausgehend beschäftigt (25). Wi r haben eine ausgedehnte berufspädagogische Literatur, die fast ausschließlich das berufsbildende Schulwesen im Blickfeld hat. Im Entstehen is t eine Arbeitspädagogik, die mit Schwerpunkt den Fragen der betrieblichen Ausbildung und Fortbildung nachgeht (26). Dac Gesamt der Erziehung des Nachmudises in Schule, Betrieb und Jugendsozial- raum z u durchdenken, zu ordnen und in sinnvollen Zusammenhang zu bringen, steht als geistige Leistung noch aus. Diese Lücke in unserer Theorie bedeutet f ü r die Praxis ein Uberwuchern des Ressortdenkens, ein Erziehen nebeneinanderher und ein Nicht-voneinander-wissen zum Schaden der ,,Be- troffenen''. Wenn z . B. der Deutsche Ausschuß fü r Erziehung und Bildung die Verlängc- rung der Volksschule bis zum 16. Lebensjahre empfiehlt, aber nicht gleich- zeitig deutlich sagt, wie die immer größer werdenden Anforderungen a n die berufliche Erziehung nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehr- pflicht, d ie eine gewisse Barriere setzt, erfüllt werden sollen und können, dann verkennt er die Bedeutung der Berufserziehung im Jugendalter für den einzelnen wie für d ie Gesellschaft. Es ist beunruhigend, wenn man glauben sollte, die bisher im 15. und 16. Lebensjahre erfüllten Ausbildungc- Lind Erziehungsaufgaben zugunsten einer erweiterten sog. Allgemeinbildung ,,nach hinten" abschieben oder gar reduzieren zu können. Alle noch so be- rechtigten Argumente f ü r eine intensivere politische, fü r eine musisch-gesellige Bildung und Erziehung dürfen nicht dazu verleiten, den beruflichen Qual i - fizierungsprozeß als zentralen Vorgang im Jugendalter einzuengen (27). D e r ßeruf , hier nicht im eng spezialisierten Sinne, sondern als breites Fundament fü r die ak t ive Teilnahme ani Arbeitsleben verstanden, wird auch in Zukunfl, nuch in der von Jean FOURASTIE (28) vorausgesagten ,,tertiären Gesellschaft", die ,den Druck des Mangels und folglich den Zwang zur Arbeit kenncri wird", die entscheidende Grundlage für die Behauptung des Menschen, ,der wichtigste Faktor der Lebensweise" sein. Nach René HUBERT (vgl. Anmer- kung 26) ist in der industriellen Gesellschaft keine wirkliche Vermensch- lichung ohne Verberuflichung und diese nicht ohne ernsthaft vorbereitete Ausbildung denkbar.

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V . A u f b a u s t u f e n e i n e r E r z i e h u n g z u r A r b e i t u n d z u m B e r u f

Erwin WEXBERG (29) h a t sich schon vor 25 Jahren gegen das Mißverständnis gewandt, daB Erziehung zur Arbeit gleichzusetzen sei mit einer Erziehung zum Geldverdienen (wir fügen hinzu: einem Dr i l l zu spezialisierter Berufs- ausübung). Nach ihm h a t die Arbeitspädagogik die Aufgabe, Freude und Glauben a n die eigene Leistung zu wecken, genauer, dem Heranwachsenden auf jeder Entwicklungsstufe da5 Erlebnis der ihm möglichen Leistungsfahig- keit zu vermitteln. Dami t ist ausgesprochen, d a ß die Erziehung z u r Arbeits- welt nicht erst nach Verlassen der sog. allgenleinbildenden Schule zu beginnen hat , wie H u m b o l d t meinte und es heute noch als Dogma verkündet wi rd , sondern von Anfang der Schulzeit an planmäßig betrieben werden inun. Es handelt sich dabei nicht um eine spezielle berufspädagogische, sondern um eine grundlegende piidagogische Aufgabe, den Erziehungs- und Bildungsgang auf das Verstehen der durch Technik und Okonomik bestimmten Arbeitswelt hin auszurichten; mit anderen Worten, diese Bereiche als wichtiges Mittel zur Förderung des geistigen und charakterlichen Wachstumsvorganges aus- 7,usdiöpfen und sdvi t tweise die akt ive Teilhabe xn Arbeitsleben durch ein allmähliches Zuwachsen auf den Beruf vorzubereiten, der in1 Jugendalter dann mehr und mehr z u r Basis der gesamten Erziehung wird. Die Inangriff nahme solcher Planung wi rd heute gehindert durch das Ressort- denken von den Kultusministerien bis z u den Schulen, und in1 theoretischen Kaum durch d ie unglückliche Gegenüberstellung von ,,allgemeiner" und ,be- ruflicher" Bildung, obwohl es doch nur eine Bildung geben kann, gleich von welchen Ausgangspunkten sie angeregt wird. Die in Pädagogenkreisen immer noch nicht überwundene Geringschätzung werktätiger Arbeit, das Nicht- erkennen der in ihr liegenden Bildungsgehalte, das Verkennen der ,,denken- den H a n d " spielen hier eine nicht z u unterschätzende Rolle (30). Wenn man schon den Begriff ,,abgeschlossene Bildung" - t ro tz seines Widerspruches i n sich - verwenden will, d a n n sollte es unter Bezugnahme auf das Ende der Schulpflicht, d. h. beute der Berufsschulpflicht, geschehen. Die Gesamtaufgabe einer Erziehung zur Arbeit und Zuni Beruf gliedern wir unter sachlichem und jugendkundlichem Aspekt in vier Stufen auf. Jede S tufe ha t ihre besonderen Inhal te und Gewichte, ihren eigenen Sinn und ihre eigene Atmosphäre:

1 . Die Stute der elementaren technischen Erziehung im Kindheitsalter.

1. Die Stufe der zielgerichteten Vorbereitung für den Eintr i t t in die Berufs- welt.

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3 . Die Stufe der beruflichen Ausbildung im Betrieb und in der begleitenden Berufsschule als Regelform.

4. Die Stufe der Qualifizierung im AnschluB an den LelirabsdiluR durch selbstverantwortliches Einarbeiten a n wechselnden Arbeitsplätzen in Ver- bindung mit Fortbildungsinaßnalimen (Gesellenwandern, Fachkurse u. a.) nach dcin auch heute noch gültigen Prinzip, dafi die eigentliche Lehre erst nach der Lehre beginne.

Die Ausdehnung der Vollschulpflicht um ein bis zwei Jahre zwingt zu einem Nachdenken über dcii Gesamtaufbau unserer Erziehung nicht nur iin Jugcnd- alter, sondern auch schon in der Kindheit, wenn nian Stückwerk vermeiden und endlich zu einer konstruktiven Lösung für eine dem industriellen Zeit- alter g e m ä h Schule und Berufserziehung kommen will. I n dieser Arbeit hier soll das Augenmerk jedoch a u r au f die beiden erstgenannten Stufen gelenkt werden, durch deren Gestaltung das Fundament fü r die drit te und die von ihr nicht zu trennende vierte Stufe der beruflichen Ausbildung und Qual i - íizierung gelegt wird. D ie bisher nur von Berufspsdagogen aus Betrieben und aus der Berufsschule um diese beiden letzten Stufen geführte Diskussion setzte stillschweigend eine acht bzw. neun Jahre dauernde sog. allgemeinbildende Schule voraus. Erst in jüngster Zeit haben sich auch aus Wirtschaftskreisen Stimmen gemeldet, die eine Ausdehnung des Blickfeldes auf die der speziellen Gerufsausbildung vorhergehende Zeit fordern. Wir können hier nicht näher darauf eingehen und verweisen auf die in den letzten Jahrgängen der BPZ geführte Diskussion zu dieser Frage (31).

l’I. E I e ni e n t a r e t e r h ni s c h e E r z i e h I I n g

i nr. Ki I I d Ir e i t s a l t e r

Die deutsche Volksschule ist in1 18. Jahrhundert entwickelt und im 19. Jahr - hundert verwirklicht worden als eine Elementarschule, als eine in sich ge- schlossene Schule der Kindheit. I h r e gestaltenden K r a & waren nach Wilhelm FLITNER erstens das elementare Bedürfnis nach Lesen, Rechnen und Schreiben als den Pforten des Zuganges zum Geistes- und Kulturleben, zweitens die katechetische Laienschulung als geistliches Motiv, drittens die Muttersprachen- schule der Aufklärung mi t rationalen und realistischen Tendenzen und vier- tens im 19. Jahrhunder t die s ta rk von der Roman t ik her bestimmte Geistes- Lildung \-olkstümlidi-inusischer Prägung. Die so konzipierte Schule der Kindhei t ist im 20. Jahrhundert unter dop- peltem Aspekt in eine Krise geraten: zunächst dadurch, daB ¡in Gegenlauf

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zur psycho-physischen Entwicklung ihrer Schüler, die heute um rund zwei Jahre f rüher als zur Zeit der Jahrhundertwende in den pubertären P rozeß eintreten, versucht wi rd , ihre Reichweite über die eben erst generell durch- gesetzten acht Schuljahre hinaus auszudehnen; zum anderen dadurch, daB ihre Konzept ion einer volkstümlichen Bildung gerade durch die Bestrebun- gen zur zeitlichen Ausdehnung in einen immer offeneren Widerspruch zum geistigen Grundgerüst und zu den Lebensformen der industriellen Berufs- gesellschaft gerät.

Paul HEIMANN (32), Professor a n der Pädagogischen Hochschule in Berlin, kommt in einem tiefschürfenden Aufsatz zu der Einsicht, d a ß der heutigen Volksschule ihre eigene Bilduiigstheorie im Wege stehe, um den aktuellen ßildungsanforderungen der Gegenwart gerecht zu werden. E r schreibt:

.,Man muß schon übergeordnete Gesichtspunkte wiihien, um ZU neuen Scliwerpunkt- bìldungen und Akzentuicrringen des Unrerrichtslebens z:d kommen, die es gestatten, auch scliitlmißig bisher nicht legitime Bilrtrrngsgcgenstände in dieser Schule tu beheimaten."

Konkre t forder t er die Erziehung zu einem angepaßten Arbeitsverhalten in Verbindung mi t einer Erziehung zu einem humanen Sozialverhalten und zu einem sinnvollen Kulturverhal ten für die von der Volksschule betreuten 60-80 Prozent des Nachwuchses, d ie als ,,unbegabt" anzusprechen ,,un- sinnig und untragbar" sei.

Andere Industrieländer, die nicht eine anachronistisch gewordene Bildungs- theorie als Klo tz am Bein tragen, sind unbekümmert a n die neuen Aufgaben herangegangen. Wi r denken hierbei keineswegs nur a n die Sowjetunion, in der man neuerdings die polytechnische Erziehung zuni Kernbereich der Bil- dung von der Anfangsschule (7.-l l . Lebensjahr) a n werden Iiißt, sondern ebenso a n die Vereinigten Staaten und a n unsere westlichen Nachbarländer , die durchweg auf eine Schule der Kindhei t bis zuni 12. Lebensjahre ein differenziertes Sekundarschulwesen im Blick auf die Gliederungen des Berufs- lebens aufsetzen und ohne viel Theorie zuniichst die Bildungswerte werk- tätiger Arbeit in der Schule lebendig werden lassen (33).

Für deutsche Ohren wirk t es ungewöhnlich, wenn fü r die Schule der Kindhei t schon eine elementare technische Erziehung geforder t wird. Die von M a r t h a ENGELBERT (34) an der Hochschule fü r Internat ionale Pädagogische For- schung entwickelte technische Elementarerziehung fü r das 1 .-s. Schuljahr ist ein im Ansatz zielstrebiger, im Aufbau sicher noch problembehafteter Vor- schlag zur Lösung dieser Aufgabe. E r ist aufgebaut auf den beiden folgenden p2dagogischen Gruiidgedaiiken:

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a ) Die Erziehung fü r die moderne technische Arbeitswelt muß deren Vor- stufen, den werkgestaltenden Umgang mi t der N a t u r und das verfeinerte handwerkliche Gestalten, entwicklungstypisch durchschreiten, um zum technisch-ökonomischen Arbeiten und Denken zu kommen, d. h. zum U m - gang mi t dem Werkstoff nach geistiger Planung.

b) Die Pädagogik muß bemüht sein, auf den ursprünglichen Weg der Welt- bemächtigung zurückzufinden, d. h. vom praktischen Zugreifen zum Be- grifí voranschreiten. M. Engelbert beruft sich dabei auf die von Oswa ld Kroh vertretene These von den rund 80 O/o der Menschen mit geschickten Händen , die ohne viel Theorie mit den Dingen erstaunlidi sicher umzu- gehen lernen.

I n ihrem Leitfaden entwickelt sie die Grundlinien der praktisch-technischen Arbeit, die sie als ,gebundene Arbeit a m Werkstoff mit kontrollierter Genauigkeit" definiert, im Einklang mit der kindlich-ganzheitlichen Erlebnis- weise, wobei in der Unter- und Mittelstufe der Volksschule dieses Bemühen ausscliließlich 31s e in Mit te l zu geistigem Wachstum und charakterlicher Er - ziehung gesehen und erst in der Oberstufe dnmit ein Heranrücken a n beruf- liche Zusammenhänge verbunden wird. Das Kind braucht neben dem Schreib- platz auch einen Werkplatz , um durch d e n Umgang mi t bestimmt geglie- derten Werkstoffen Grundcrfahrungen, wie z. B. das Oberwinden von Be- arbeitungswiderständen, das Erlernen elementarer Techniken und Konstruk- tionen im Durchschreiten entwicklungstypischer Arbeitsreihen gewinnen zu können. An die Stelle des Kinderwerkplatzes t r i t t in der 7. und 8. Klasse die Werkstat t in einfacher Form fü r Arbeiten in H o l z und Metall. Technische Elenientarerziehung erschöpft sich nach Mar tha Engelbert aber nicht in der Arbeit im Werkraum und in besonderen Unterrichtsstunden, sondern sie erfolgt in der Hauptsache in Arbeitsformen, die in vielen Unterrichtsfichern, z B. in einer werkgestaltenden Raum- und Natur lehre , in Erscheinung treten Können. Nach unserer Erfahrung h a t dieser Vorschlag unter der Volksschullehrer- schafl bisher n u r geringe Beachtung, mehr a n Ablehnung als a n Zustimmung erfahren und noch nicht zu Versuchen auf breiterer Ebene geführt. D ie Ur- sache d a f ü r sehen wir weniger in den fehlenden Einrichtungen (Werkplätze und Werkstätten), auch nicht in dem Mangel a n entsprechend ausgebildeten Lehrkräften - all das ließe sich bei gutem Willen bald beheben -, sondern in erster Linie in dem noch vorherrschenden Bildungsdenken, dem dieser Aufgabenbereich völlig f remd ist. Abgesehen von schüchternen Vorstößen Finzelner sind uns ernsthafte Bemühungen pädagogisch verantwortlicher Stellen in dieser Richtung nicht bekannt geworden, wohl aber Bestrebungen z . B. i n den Waldorf-Schulen (vgl. Li teraturangaben Seite 46), die Aufgaben

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einer Erziehung für die Arbeitswelt praktisch anzugehen. Diese dringende Aufgabe wird nu r durch breit angelegte Versuche, die von wissenschaftlicher Forschung begleitet sein sollten, einer Lösung zugeführt werden können. In diesem Zusammenhang ist aoch eine Bemerkung zu r sog. Werkarbei t erforderlich, in der sich, wie bereits angedeutet wurde, die angestrebte Er- ziehungsaufgabe keineswegs erschöpfen kann. Seit über 100 Jahren pocht dieser Gedanke zunächst in der Form des Handfertigkeitsunterrichtes immer wieder vergeblich an die Türen der Volksschule (35), da - wie K e r s h e n - Steiner 1911 zornig schrieb - nur der deutsche Schulmeister jedem Gewerbe den Eintr i t t in seinen Tempel ,,Allgemeinbildung" verwehre. Wenn dennoch heute in den meisten Lehrplänen ,,Werken" zu finden ist und in sehr beschei- denem Umfange auch betrieben wird, d a n n ha t dieses T u n eine andere Wurzel und verfolgt andere als die obigen Ziele. ,Das Werken", so schreibt Theodor PRALLE (36), ,,ist vorwiegend musisch ausgerichtet." I h m geht es nidit um ,,sachliche Richtigkeit", sondern um die ,Pflege der Gestaltungs- kräfte", deshalb ist es ,heute in der Praxis von der Kunsterziehung nicht mehr zu trennen" (37). Die Diskussion um das Fach ,Werken" in der jüngsten Zeit gibt in bedrük- kender Weise dem von Fritz Blättner und Paul He imann aufgewiesenen Dilemma Ausdruck, in dem unsere Schule sich befindet. Gunter OTTO stellt in einem beachtenswerten Aufsatz ,Werkerziehung in technischer Wirklich- heit" (vgl. Anmerkung 34) der Theorie der technischen Elementarerziehung die Konzept ion von der ,musischen Durchdringung des Schulganzen, der Erfüllung von Schule und Unterricht mit musischem Geist" gegenüber. E r forder t eine Werkerziehung als zentrale Aufgabe fü r die Volksschule. Sie soll die ,Kategorien des Technischen" mit aufnehmen, sich jedoch vorwiegend mit bildnerischen, gestalterischen Aufgaben beschäftigen und letztlich einer ,,Konsumentenerziehung" dienen. Otto geht es genau wie Pral le oder Egon KORNMANN (38) um ein gestalterisch bestimmtes Werken zur ,,Pflege der musischen Phantasie" im Gegensatz zum technischen Werken, das ,,der intel- lelrtuellen Erkenntnis" diene. Deutlicher kann die Sackgasse nicht gezeigt werden, in die die Volksschule mit ihrer Theorie von der volkstümlich- musischen Bildung geraten ist. Keineswegs soll hier die Berechtigung zur Pflege der gestalterischen Kräfie bestritten werden. Es ist jedoch graue Theorie, wenn man wie Pralle z. B. glaubt, auf diesem Wege die Berufsfindung ,,wesentlich erleichtern'' zu können. Bildnerisches Gestalten und technische Erziehung stehen im gleichen Verhältnis wie bildende Kunst und Technik, zwischen denen Verbindungs- linien hinüber und herüber laufen. Wenn für den bildenden Künst ler die Beherrschung der grundlegenden handwerklichen Methoden und technischen

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Verfahren ebenso eine Selbstverständlichkeit ist wie die Beherrschung der Grundregeln der Sprache fü r den Schriftsteller, d a n n wird das in der Schule zumeist übersehen und einem dilettantischen Arbeiten der Weg freigegeben, was ZU den bekannten Einsprüchen des Deutschen Industrie- und Handels- tages und des Handwerkskarnmertages gegen d ie ,,Bastelei" in der Volks- schuloberstufe geführt hat. Mi t den] Obergang zur Reifezeit wande l t sich auch das Werkinteresse, neben das freie Gestalten h a t zunehmend das sach- gerechte und unfallsichere Lösen gebundener Werkaufgaben zu treten, nach denen die Schüler vom io. Lebensjahr an, wie Pra l le e r w s h n t und Ludwig Pa l la t schon 1930 wuBte, besonders verlangen.

1 ' I I . V o r b e r e i t u n g f i ì r d e n E i n t r i t t i n d i e R e r u f s XL' e 1 t

Die Hauptkennzeichen des Jugendalters sind nach Eduard SPRANGER die Entdeckung des Ich, die allmähliche Entstehung eines Lebensplanes und das Hineinwachsen in die einzelnen Lebensgebiete. D ie neue jugendkundlidie Forschung h a t die zentrale Bedeutung des beruflichen Formierungsprozesses, das Hinüberwachsen vom Spielen des Kindes zur ernsten Arbeit, durch die allein der junge Mensch sein Begabungs- und Leistungsfeld entdecken kann, hervorgehoben. Die Bremer Verfassung z. B. weist in 5 26 der Schule ,die Erziehung zum Arbeitswillen und die Ausrüstung des jungen Menschen f ü r den Eintr i t t in das Berufsleben" zu. Ahnliche Formulierungen sind in ande- rcn Verfassungen und Schulgesetzen enthalten. Das Schulgesetz für Berlin vom 5. 8. 1952 z. B. bestimmt in 5 22: ,.lm Unterricht derjenigen Schiler, die in einen praktischen Beruf iilergehen, wird inr neunten Schullahr neben der allgemeinen Menschenbildung die Aufgabe der Berufsfindung besonders betont.R

Das Berliner BerufsausbildungsSesetz vom Jahre 1951 hebt in 5 5, Abs. 3 hervor, dai3 die Berufsberatung durch Zusammenarbeit mit der Schulbehörde ini 9. Schuljahr bei der Berufsfindung mitwirken soll. Als Aufgabe der Berufs- findung wurde angesehen, deni Schüler z u helfen, daí3 e r seinen Beruf finde. I n einem dafür entwickelten Leitprograrnm wurden genannt: Vorbereitung und Durchführung von Besichtigungen, Auswertung der Besichtigungen und Erarbeiten von Berufsbildern, als AbschluDarbeit die Ausarbeitung eines eigenen Berufsbildes. Gleichzeitig wurde empfolilen, jede praktische Betäti- gung - ,,Werken" - aus dem neunten Schuljahr auszuschalten, d a hierfür weder die Werkstät ten der Schulen ausreichen noch die fachlich vorgebildeten

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Lehrkräfte vorhanden seien. Die Richtigkeit dieses Weges wurde u. a. damit begründet, d a ß er von seiten des Handwerks und der Wirtschaft gebilligt werde. Empfohlen wurde weiter, das gegenseitige Kennenlernen zwischen den Handwerksmeistern und den zukünftigen Lehrlingen anzustreben (39). Demgegenüber wurde auf einer Tagung der Oberschule praktischen Zweiges wenige Jahre später über die ,gewiß bedeutungsvolle Versuchszeit" fest- gestellt, d a ß die Oberschule Praktischen Zweiges (OPZ) ,,keine Berufsfindung betreiben kann und als allgemeinbildende Schule auch gar nicht s o l l . . . Das Auswalzen unzähliger Berufsbilder, die sogar schon eine Auswahl darstellen, ist ebenso sinnlos wie zeitraubend, dazu außerordentlich ermüdend für die Schüler" (40). Der Berichterstatter über diese Tagung ver t ra t die Auffassung, d a ß die Berufsfindung ein viel zu anspruchsvoller Begriff für das Vorhaben der OPZ sei und für den Volksschullehrer eine ,,ungewöhnliche Uberforde- rung" bedeute. Ein anderer Weg ist unter dem Stichwort ,Erkundung der heimatlichen Arbeitswelt" von Hamburger Pädagogen vorgeschlagen und versucht worden (41). Ausgehend von dem ,,Verlust der Anschaulichkeit" will man dem viel- fältig-arbeitsteiligen Prozeß in der heimatlichen Wirtschaft nachgehen und an die Stelle der ,,nicht mehr möglichen Anschauung der Berufe" die Anschauung des ,,Werkes", d. h. einer Fabrik, eines wirtsdnftlichen Unternehmens, treten lassen. Die Schüler sollen erkunden, was alles z. B. zu einer Maschinenfabrik oder Bäckerei gehört, und zwar durch gut vorbereitete und später aus- zuwertende Besichtigungen, zu denen nach Möglichkeit Betriebspraktika f ü r die Jungen und Mädchen des 9. bzw. 10. Schuljahres bis zu 4 Wochen Dauer hinzukommen sollen. Die Hamburger Versuche haben eine sehr unterschiedliche Beurteilung er- fahren. Allein auf diesem Wege wird man der gestellten Aufgabe nicht ge- recht werden können, wie nunmehr im einzelnen nachzuweisen sein wird. Das für diese Stufe noch zu lösende didaktische Problem besteht darin, aus dem Bereich der Technik und Okonomik solche Inhalte und Arbeitsvorhaben auszuwählen, die für den Pubeszenten (13./14.-15./16. Lebensjahr) faßbar und ,,madibar" sind. H i e r fordert der arbcitspädagogische Grundsatz Be- achtung, d a ß die Anscl7auung, d. h. das Erfassen der Dinge und ihrer Funk- t ion, H a n d in H a n d gehen mua mit dem Selbstrrrn, mit Versuchen, das Funktionieren eigenhändig herbeizuführen, mit praktischen Arbeiten, die für den Lernenden sinnvoll sind und sein Selbstgefühl durch sichtbare Leistungen steigern. Die Aufgabe des Obens, um dadurch zu einer Sicherheit in der Aus- übung erlernter Handgriff e und Techniken, zu einem Herabsetzen des Kraft- aufwandes und schließlich zu einer Verkürzung de r Arbeitszeit (Tempo- Schulung) zu kommen, bleibt hier völlig im Hintergrund; sie gehört in die

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nächste Stufe der Ausbildung ini erwähl ten Beruf. I n der Vorstufe stehen die Orientierung, ein vielfaches Probieren, ein Lernen auf sachgerechtem Wege im Vordergrund. Mi t der Festigung des Berufswunsches und möglichst auch der Erprobung ini Einführungslehrgang findet sie ihren AbschluB. Die erstrebte Anschauung von der Arbeits- und Berufswelt ist auf verschie- denen Wegen zu gewinnen, die sich gegenseitig ergänzen: Im Unterricht ver- schiedener Fächer, in der Werkstat t , im Ubungskontor oder im Schulversuchs- gar ten, durch Besichtigung v o n Betrieben, durch Besuch berufskundlicher Ausstellungen, durch die Auswertung von berufskundlichem Anschauungs- material (Schriften, Filmen u. a.). Entscheidend ist jedoch, daB die Anschau- ung nicht im Vordergründigen sich erschöpft, sondern geistig fundier t wird durch eine planmäßige Einführung in technisch-ökonomische Objektivationen, in d ie Maschinenwelt mi t ihrer Arbeitsteilung und Kooperation. Dieses Be- mühen muB begleitet werden durch das Erlernen der technischen Sprache (technische Grundbegriffe, Formeln, Symbole) und entsprechender Darstel- lungsweisen (Graphiken, Prinzipskizzcn, einfache technische Zeichnungen), mit anderen Worten, durch das planmiiflige Erlernen eines ,,technisch-öko- nomischen Alphabetes" und einer entsprechenden ,,Syntax" in Parallele zum Erlernen der Elementaria im R a u m der Sprache oder der Musik. D ie Vielgestaltigkeit der Berufswelt zwing t in dieser Stufe - ähnlich wie beim Gymnasium - sehr bald zu einem differenzierten Vorgehen nach den groBen Arbeitsraumen: D e m kaufmännisch-verwaltungsmäfligen, dem ge- werblich-technischen, dem liauswirtschafklich-pflegerischen und dem landwir t - schaftlichen Raum. Erfahrungsgemaß fallen die Grundentscheidungen fü r einen dieser Räume beim Heranwachsenden relativ f rüh. D ie a m Abschluß dieser Phase stehende spezielle Berufswahl verliert ihre heutige Problematik, wenn sie um ein bis zwei Jahre hinausgeschoben und in einem organisatorisch wie lehrplanm&g ,,dur&lassig" gestalteten Erziehungsgang planmaflig vor- bereitet worden ist (42). Als Ansatzpunkt zur institutionellen Ordnung dieser Stufe bietet sich neben der zur differenzierten Hauptschule umzugestaltenden Volksschuloberstuie das Berufsfachschulwesen an. Besondere Beachtung verdienen hier im gewerb- lichen Raum die neuen Formen der breiter fundierten Berufsfach- und Berufs- grundschulen in Nordrhein-Westfalen sowie die im betrieblichen und im Jugendsozialraum entstandenen Ausbildungs- und Erziehungseinrichtungen, deren Bildungsgrundlage jedoch erweitert und deren Arbeitsstil modifiziert werden muB. Solche berufsbezogenen Einrichtungen sollten all denen offen stehen, die bereits eine fundierte Berufswahl getroffen haben. Sie legen das Fundament nicht nur f ü r die speziellen Berufsausbildungen, sondern gleich- zeitig fü r einen Aufstieg über die Berufsaufbauschule (43).

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Welche Förderungsmoglichkeiten aucli fü r die begabungsschwächsten Jugend- lichen offenstehen, ist z. B. in den mi t besten Erfolgen arbeitenden Anlern- jJhren i ü r Hilfs- und Förderschüler in Stut tgar t und Mannheim erwiesen worden (44). H i e r werden im 9. Schuljahr zwei Dri t te l und mehr der Zeit Für praktisches Anlernen in Werkstätten beansprucht, wodurch auch der intellektuell schwache Schüler z u beachtlichen, vorwiegend manuell bestimm- ten Leistungen und damit zu einem Selbstwertgefühl geführt werden kann, Grundsätzlich sollte die fü r praktisches Arbeiten aufgewendete Zeit vom 11. Lebensjahre a n nicht unter i ? Stunden liegen, sie kann in den verschie- denen Schulzweigen je nach der Begabungsstruktur der Schüler in den ge- nannten Grenzen variabel gehalten werden. Dabei ist eine Aufstockung der Wochenstunden mit in Betracht zu ziehen. D ie Berufsfachschulen arbeiten 36 b z a . 40 Stunden in der Woclie, was bei ausgedehnter Werkstat tarbei t und obligatorischer Leibeserziehung fü r 14- bis lójährige Jugendliche durchaus ver t re tbar ist. Gemeinhin wird bei der praktischen Arbeit im gewerblich-technischen Raum x i fachlich gerichtete Werkstätten entweder f ü r H o l z - oder Metallarbeiten gedacht. I n dieser Denkrichtung steht auch der von Mar tha Engelbert vor- geschlagene ,, Jugendwerkhof" als dr i t te Stufe in ihrem Aufbauplan an- schließend a n den Kinderwerkplatz und a n die Einfachwerkstatt fü r das 7.%. Schuljalir. Wi r halten ihren Vorschlag einer Summation zahlreicher Werkstatten nach den Hauptberufsrichtungen f ü r nicht glücklich. Bessere Lösungen sehen wir bei der Berufsgrundschule Hibernia (45) und auf dem ¡ri der Kreisberufsschule Wolfenbüttel (46) entwickelten neuen Wege einer hfehrzweckwerkstatt, in der die Schüler vom handwerklichen T u n zum technisch-mxchinellen Arbeiten mit verschiedencn Werkstoffen geführt werden. Sehr beacbtenswerte Feststellungen und Hinweise zu unseter Fragestellung hat der Psychologe der Plidugogiscben Hochscl~rde Hannover, Professor Dr. J A I D E ver- offentlicht. (47) Er gebt von der Uberzeugung aus, daß ,,fir viele zinserer Volks- 5cbuìabgunger der ,Schritt ins Leben' zu f r ü h erfolgt, d a ß er obendrein nicht griind- lieb g e n u g vorbeieitet rind nicht gerade behutsam gelenkt und fortgefiihrt wird". Nach seiner .4nsicht geboren rund 30 O/u der Volksschulabgänger z u den sog. ,,klaren Fäl/en", die durcb ibre Begilbungshàbe und ihre Begabungsrichtung eindeutig auf bestimmte Berufsgruppen verwiesen werden. Fur diese Gruppe bi l t er es am besten, wenn s ie mit dem 14.115. Lebenslahre in eine Berufsausbildung eintritt. Eine weitere Gruppe, die er ebenfalls auf rund 3 O Q l o schätzt (mehr Knaben als Mädchen), bedarf nocb weiterer Hilfen in einem 9 . Schullahre, das neben der Forde- >:ing der personlichen Reifung auch besonders der beruflichen Orientierung ge- widmet sein sollte. W i e diese Hilfen aussehen könneia, versucht er vornehmlich an aiitsfÜhr/¿ch dargelegten aushtdiscbeti Beispielen klartuvtachen.

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Es verbleibt dann eine letzte Gruppe v o n rund 4 O 0 / o , zu denen er vornehmlich diejenigen Schüler reche t , die das Ziel der 8. Klasse nicht erreicht haben. Diesen wnreif und schwierig wirkenden SdJiilern wird nach Ansicht laides weder mit einer erweiterten Volksschulzeit noch mit einer voreiligen Arbeitsaufnahme gedient werden können. Fiir sie schlägt er ein ,,Mittleres" vor, ,,ein Tagesheim, daß ihnen Geborgenheit und ruhige Weiterentwicklung schenkt und in dem sie vorwiegend z u pr~zktiscber Tätigkeit herangezogen werden". Als vorbildlich dafiir sieht er die österreicl~iscbe Einrichtung ,,Jugend a m Werk" m d das ,iVcrkjahr" in Ziirich an. Nach seinen Erfahrungen treten in der bier miteinander verbundenen vorberuf- liclxn Erprobung und beruflichen Grundscbulung knrtm noch Disziplinscbwierig- keiten a u f , d . k . bei solcl~en Jugendlichen, die ,in der theoretischen Volksschularbeit kaum z u bändigen" sind.

Die Entwicklung der Berufsausbildung in unserem Jahrhundert ist gekenn- zeichnet durch das Aufkommen und die Ausbreitung systematisch aufgebauter Grundstufen, die der Eingliederung des Lehrlings in das Betriebsgeschehen vorgeschaltet werden. Das von den Kammern immer sehr betonte Ausbil- dungsprinzip: ,Durch Anschauen lernen und Erlerntes praktisch üben und anwenden" ist durch überlegenere Methoden längst durchbrochen worden. D e r viel verwendete Begriff ,G~unduusbildung", die neuerdings zunehmend auch im H a n d w e r k gefordert wird, ist mehrdeutig. E r h a t in seiner engsten Fassung die Ausbildung in Grundfertigkeiten und Kenntnissen fü r einen anerkannten Lehrberuf als Inhal t , in erweiterter Form (Braunschweiger Plan) fü r eine G r u p p e verwandter Lehrberufe und in breitester Fassung auch fü r einen gröBeren Berufsraum (z. B. Handels-, Haushaltungs-, Berufsgrund- schule). Diese drei Inhal te gehören in die hier geforderte zweite Stufe der Erziehung z u r Arbeit und zum Beruf. Sie sind nacheinander zu durchlaufen. D ie bisherige Arbeit mua jedoch pr imär unter pädagogischem Aspekt gesehen werden, sie ist aus der traditionellen Enge der Ausbildung herauszuheben, auf einem geistigen Hin te rg rund als wichtige Bildungshilfe aufzubauen und mi t dem Bemühen um eine politische, eine musisch-gesellige und religiöse Erziehung und Bildung zu verbinden. A m AbschluB dieser zweiten Stufe werden Jungen und Mädchen stehen, die körperlich kräftiger, manuell, intellektuell und moralisch besser fü r die Anforderungen der rationalisierten Arbeit vorbereitet sind als die heute 14- bis 15jalirigen Lehrlinge und Jung- arbeiter. (Vcrgleiche dazu die besorgniserregenden Feststellungen in der vom DGB - Haupt- abtcilung Jugend herausgegebenen Denkschrift ,Der Gesundheitszustand der deutschen Jugend" von Dr. Walter Meis und Regierungsrat Ekkehard Sand und die vom Max-Planck-Institut für Arbeitspsychologie in Dortmund erhobene Fordc- rung, daß auf Grund des derzeitigen Leistungsverhaltens der Jugendlichen die Erwerbstätigkeit von Jugendlihen unter 16 Jahren nicht zugelassen werden sollte.)

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VIZI. E i n i g e V o r s c h l ä g e z u r D i s k u s s i o n

1. Wir haben in der Bundesrepublik eine Vollschulpflicht von 8 bzw. 9 Jahren mit anschließender Teilzeitschulpflicht bis zum vollendeten 18. Lebens- jahre, die nach den gesetzlichen Bestimmungen in der Regel mit drei Berufsschuljahren bei 8, vereinzelt 12 Wochenstunden erfüll t wird. Eine Ausdehnung der Schulpflicht, die für eine befriedigende Lösung der wach- senden Anforderungen a n die Schule erforderlich ist, kann einmal du r& eine Verlängerung der Vollschulpflicht, die in den meisten Vorschlägen enthalten ist, zum anderen durch eine Erweiterung der Teilzeitschulpflicht, f ü r die sich Georg Kerschensteiner 1929 einsetzte, erreicht werden. Wi r befürworten, beide Wege zu verfolgen, da im Blick auf die sehr unter- schiedlichen Gegebenheiten schematische Regelungen mehr Nachteile als Vorteile in sich bergen. Leitend sollte der Grundsatz sein, d a ß zunächst kein Jugendlicher vor Erreichen des 15. Lebensjahres, nach einer Obergangczeit vor Abschluß des i 6. Lebensjahres als Arbeitskraft, als Erwerbstätiger in der Arbeitswelt eingesetzt wird. Bis zu den angegebenen Lebensabschnitten inuß er als Schüler, als ausbildungs- und erziehungsbedürftiger Jugendlicher an- gesehen werden, gleich o b er eine öffentliche Schule oder eine als Ersatz- schule anerkannte Ausbildung und Erziehung in Werkschulen bzw. ähn- lichen Einrichtungen durchläuft. Diese Praxis wird im Ausland in zuneh- mendem Maße angewandt . In der Bundesrepublik ist mit der Anerkennung der Berufsgrundschule Hibernia als Ersatzschule durch das Land N o r d - rhein-Westfalen ein erstes Muster dafür geschaffen worden. Ein solches Vorgehen gibt die Möglichkeit, zahlreiche in der Wirtschaft entstandene Einrichtungen der Ausbildung und Erziehung des Nachwuchses fü r eine baldige Durchsetzung der erhobenen Forderungen auszunutzen und auf - geschlossene Betriebe, Organisationen und Verwaltungen zur Mitarbeit anzuregen. Voraussetzung für die Anerkennung solcher Einrichtungen niuß jedoch sein, d a ß sie frei gehalten werden von wirtschaffsegoistischer Blick- richtung, daB sie von öffentlicher Seite aufgestcllten Richtlinien entsprechen und staatlicher Aufsicht unterliegen. Eine wesentliche Hi l fe kann hier durch die Bundesgesetzgebung im Bereich des Jugendarbeitsschutzes ge- leistet werden, wie das bei der Durchsetzung des 8. Schuljahres zu Anfang unseres Jahrhunderts auch der Fall war .

2. Die Schwäche vieler Uberlegungen zur Schulreform liegt darin, d a ß m a n sich an bestehende Institutionen wie Volksschule, Berufsschule, betriebliche Ausbildung bindet, oder - wie z. B. bei den Versuchen zu einem diffe- renzierenden Mittelbau - den sdion im Artikel 146 der Weimarer Ver-

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fassung verankerten Grundsatz , die ,Mannigfaltigkeit der Lebensberufe", d. h. eben die Erziehung z u r Arbeit und zum Beruf, in der Erziehungs- Planung nicht berücksichtigt. M i t einer schematischen Verlängerung der Volksschule uni ein bis zwei Jahre wird man kauni zu einer konstruktiven Lösung gelangen. Demgegenüber wird hier vorgeschlagen, von der Aus- gestaltung eines Zwischenraumes zwischen der bisherigen Volkssdwle und Berufsschule einzuwirken einmal auf die Reform der in eine differenzierte Haupts&ule umzuwandelnden Oberstufe der Volksschule (init Einbezug auch der Mittelschule) und zum anderen auf eine generelle Verbesserung der Berufserziehung. Walter SCHULTZE (48), Professor a n der Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung, h a t in seiner sehr gründlichen Untersuchung ,Der Mittelbau in1 Rahmen einer Neugestaltung unseres Schulwesens" die in dieser Richtung verlaufende Entwicklung im ausländischen Schulwesen dargestellt und recht deutlich gemacht, daB wir eine tragfähige Planung nicht von der Volksschule, sondern ,nur aus wirklich übergreifenden Zu- snmmenhängen" entwickeln können. H i e r liegt das Zentralproblem unserer Bildungsorgnnisation. H i e r kann nur die vorurteilsfreie Zusammenarbeit von Schulpiidagogen der Volks- und Berufsschule mit Vertretern aus dein betrieblichen - und dem Jugendsozialrauni zu Erfolgen führen. N o t - wendig vor allem aber ist es einzusehen, daB Planung weniger durch Kom- missionen, sondern vor allem durch Versuche mit begleitender Forsdumg vorbereitet werden muB.

3. Ein Umbau unseres Erziehungswesens im Vorfeld der Arbeitswelt fü r die 13- bis 16jährigen Jugendlichen verlangt zunächst Schulen mit Werkstätten und Übungskontoren in Parallele z u d e n Einrichtungen, die m m fü r die Mädchenerziehung seit fünfzig Jahren zu schaffen bemüht ist. E r forder t fü r diese Aufgaben aufgeschlossene und besonders vorbereitete Lehrer und Erzieher. I n der jüngsten Diskussion um die Neuordnung der Lehrer- ausbildung ha t dieser Gesichtspunkt gar keine Rolle gespielt. Es besteht kein Zweifel, dai3 der Volksschullehrer bisheriger Prägung und auch der von der Universität ausgebildete Lehrer der Zukunft fü r diesen Aufgaben- bereich der Erziehung z u r Arbeitswelt nicht vorbereitet ist. Das gilt ebenso für den Berufsschullehrer. Neben ihnen werden deshalb in der zweiten Stufe anders vorgebildete Kräf te benötigt werden, die selbst in der Arbeits- welt gestanden haben. Sie werden eine qualifizierte technische, ökono- mische, sozialpflegerische oder landwirtschaftliche Ausbildung nachzu- weisen haben, die mi t einer pädagogischen Ausbildung verbunden werden muB. Diese Frage bedarf gründlicher Oberlegungen, d a unter pädagogi- schem Aspekt die Qualifizierung der z . B. in den Lehrwerkstätten der

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Großbetriebe beschäftigten Ausbilder noch durchweg als unzureichend angesehen werden muB. I m Ausland, z. B. in Ho l l and und Frankreich, werden qualifizierte Facharbeiter mi t einjähriger pädagogischer Aus- bildung im Anschluß a n weiterführende allgemeine und fachtheoretische Kurse als Lehrkräfte in Schulwerkstätten eingesetzt. Dieser Hinweis be- deutet keine Empfehlung, sondern soll nur auf die bei uns noch gar nicht diskutierte Aufgabe, die auch für die Berufsschule noch offen ist, hin- weisen. *

Sicher werden diese Vorschläge vielen Widerständen begegnen, da ein Heraus- winden aus liebgewordenen Vorstellungen immer mi t Schwierigkeiten ver- bunden ist. Vertreter der Wirtschaft, die an opt imaler Ausbildung und Erziehung ihres Nachwuchses und nicht a n billigen jungen Arbeitskräften interessiert sind, müßten diesen ausdrücklich auf ihre Mitwirkung abgestellten Vorschlag als Diskussionsgrundlage akzeptieren können. Schwierigkeiten sehen wir von der Seite der im traditionellen Bildungsdenken befangenen Theoretiker und Prakt iker , die nur zu leicht verkennen, d a ß ,,ihre" Bildung von der Mehrzahl der Schüler nicht zum Lebensinhalt gewählt wird, sowie von seiten jener Eltern, die a n ein möglichst frühes Mitverdienen ihrer Kinder denken. All diese Interessen, ob sie als berechtigt angesehen werden oder nicht, dürfen ein sachliches Durchdenken der Aufgabe jedoch nicht beein- trichtigen. Mit dein Spiel der Interessengruppen fertig zu werden, ist das Geschäft des Politikers, dem deshalb auch als dem Gestalter der Gesetze das letzte W o r t und daniit die Entscheidung gehört. D ie fällige Reform des Schulwesens z u r Erziehung unseres Nachwuchses ist eine politische Aufgabe von hoher Bedeutung und Dringlichkeit. Möge sie zum Besten der Jugend gelöst werden und nicht a n den Kosten scheitern!

A I I ?n e r k u n 6 e n :

(1) ,Das neunte Schuljahr", 8 Gutachten, Jena 1929. (2) Kerschensteiner, G.: ,,Theorie der Bildungsorganisation", Leipzig 1933, S. 231.

SEITE 2

SEITE 3 (3) ,Volksschule - Berufsschule, die Fragc des fehlenden Zwischengliedes" in:

,,Blätter f ü r Berufserziehung", 6. Jg., Hefl 7, 1930. Conradsen, B.: ,,Der Jugendliche im Vorraum der Arbeitswelt" in: ,,Die Be- rufsbildende Schule", Heft 8/9, 1958.

(4) ,Das neunte Schuljahr", Stuttgart 1952. (5) Ershienen im W. Bertelsmann Verlag, KG., Bielefeld 1952.

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SEITE 4 ( 6 ) Das Gutaditen ist in einer Reihe pidagogischer Zeitschriffen veröffentlicht

worden. Wir beziehen uns hier auf ,,Die Bayerische Schule", Nr. 18/1957 und weisen hin auf unsere Stellungnahme zum Gutachten in BPZ, Heft 1211957 ,,Um ein 9. und 10. Vollschuljahr", Seite 215 ff.

(7) ,Probleme des überganges von der Schule in den Betrieb", Bielefeld 1957. (8) Sonderdruck a m dem Amtsblatt für Berlin Nr. 51, erschienen im Kulturbuch-

Verlag, Berlin 1957.

SEITE 5 (9) Zitiert nach ,,Schulrecht" - Hessen, Lose-Blatt-Sammlung, Luchterhand-

Verlag, Berlin.

SEITE 6 (10) ,,Theorie des gegenwärtigen Zeitalters", Stuttgart 1956. ( I l ) ,Zukunft der Arbeit", Köln 1953. (12) ,,Die einsame Masse", Darmstadt 1956. (13) ,,Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt."

Beilage zur Wochenzeitung ,Das Parlament", 23. hlirz 1955. (14) Vgl. Abel, H. : ,,Berufswechscl und Berufsvcrbundenheit", Braunschweig 1957.

Die Untersuchung ergab einen Berufswechsel im Gesamtraum der Berufe von 40 O / o , bei den gewerblich tätigen Arbeitnehmern von 56 O / o , d. li., jeder zweite mannliclie Arbeitnehmer in der gewcrbliclien Wirtschafl übte 1953 keinen Dauer-Lebensberuf mehr aus, sondern hatte seine berufliche Titigkeit ein oder mehrere Male gewechselt. Von 1949-1951 hat die Tendenz zum Wechseln des Berufes besonders bei den jüngeren Jahrgängen zugenommen.

SEITE 7 (15) Vgl. dazu: Popitz, H. u. a.: ,,Technik und Induscriearbeit", Tübingen 1957.

Beliler, Ph.: ,Einwirkung der Mechanisierung, Rationalisierung und Auto- matisierung auf den Bedarf und die berufliche Ausbildung der Arbeitskräfte." Bonn 1957. Hilf, H. H.: ,,Arbeitswissenschaftt", München 1957.

(16) Weniger, E.: ,Die Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplanes", Wein- heim, BergstraBe, o. J.

(17) ,Die geistige Entwicklung des Kindes in der technischen Wirklichkeit" in Westermanns Ptdagogische Beiträge Nr. 5/56. Der Aufsatz von Stickrarh hat eine Diskussion mit Beitragen von Carl Schietzel, Hans Mothes und Gottfried Rahn eingeleitet, die in den Heften 6/1956 sowie 2 und 12/1957 der Zeitschrift ,,Westermanns Piidagogische Bei- träge" abgedruckt sind. Die von Mothes erhobenen Einwände gegen die von Stüdcrath betonte Bedeutung der technisch artikulierten Wirklichkeit für das Kind werden von Rahn widerlegt, der deutsche und schweizeriscfie Forschungs- ergebnisse dazu auswertet. Wenn Rahn dem ,Optimismus Stückraths" auch

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einige ,,Dämpfer" aufsetzt, so kommt er im Endergebnis praktisch doch zu den gleichen pädagogischen Forderungen: ,Hier wie überall zeigt die pädagogische Aufgabe eine antinomische Struktur:

i . Um im großen Wettbewerb der Völker konkurrenzfihig zu bleiben, bedarf es einer zielbewuBten naturwissenschaftlich-technischen Bildungsarbeit in unseren Volksschulen. Schictzel weist hierfür Stufen des technischen Unter- richts auf, die nach beiden Seiten hin weiter verfolgt werden sollten, zurück ins Basteln und Spielen der Volksschulunterstufe und vorwarts über Messen und Experimcnticren zum Berechnen der technischen Hochsdiulen. Mit einer solchen Stufenfolge könnte die unfruchtbare und bildungspolitisch bedenk- liche Einengung des technischen Bildungsauftrages der Volksschuloberstufe auf das ,,volkstümliche Denken" überwunden und ersetzt werden durch ein Vorgehen, welches jeder Alters- und Begabungsstufe das gibt, was ihr zu- kommt, ohne die Möglichkeit des weiteren Aufstieges grundsätzlich aus- zuschließen.

2. Damit aber die fremddienliche Organisation des Anorganischen in der Technik nicht die Menschen in einen alles zerstörenden Konkurrenzkampf oder gar in ein abenceucrliches Spiel mit dem Leben auf unserer Erde treibc, bedarf es einer ,,Erziehung zum menschlichen Standhalten in der Technik" (Karl Heymann). Sprache, Musik, bildende Kunst, Naturerleben und religiöse Erlicbung erhalten untcr diesem Gesichtspunkt cine uralt-neue Bedeutung. Auch für Litt sind Kunst und Sprache dic heute noch be- deutungsvollen Medien des mensdilichen Umgangs mit seincsgleichen und mit der Natur. Mahnend sagte er: ,,. . . wenn die Entwicklung der gesell- schnftlich-wirtschaftlichen Zustande nur zu sehr darnach angetan ist, dem Unigang seine Rechte zu verkürzen, dann gehört die Erziehung zu den Kräften, die sich in allererster Linie aufgerufen fühlen müssen, der hier drohenden Verkümmerung zu wehren."

SEITE 8 (18) Schelsky, H.: ,,Die skeptische Generation", Düsseldorf 1957. (19) Roessler, W.: ,,Jugend im Erziehungsfeld", Düsseldorf 1956.

SEITE 9 (20) ,,Jugendliche in der Berufsbewährung", berichtet von Hagen, Thomae, u. a.,

Stuttgart 1958.

SEITE 10 (21) in: Nohl-Pallat ,,Handbuch der Pädagogik", Langensalza 1933. (22) a. a. O., Seite 88/89.

SEITE 11 (23) Blättner, F.: ,,Pädagogik der Berufsschule", Heidelberg 1958, Seite 89. (24) Nohl, H.: ,Erziehergestalten", Göttingen 1958, Seite 76.

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SEITE 12 (25) Uns ist, abgesehen von den Arbeiten Georg Kerschensteiners und Rudolf

Steinen, keine so umfassende deutsche Erörterung der Arbcits- und Berufs- erzichung belianiic, wie sic der französische Philosoph und Padagoge Ren6 Hubert in scincni ,,Gruiidriß der allgcmciiien Pidagogik" (Meisenheiin!Glaii 1956) gegeben hat. Wir rcsüiniercn sciiie im vierten Teil des Buches zu unserer Fragcstellung entwickelten Gedanken: ,,l. Zunichst mu13 die Berufserziehung auf alle Individuen ohne Ausnahme aus- gedehnt werden, denn es gibt keine soziale Funktion, wie bescheiden oder gehoben sic auch sein mag, die nicht erfordert, daB das Individuum angemessen auf sic vorbereitet werde. Es gibt keinen Beruf, für den technische Befahigung angeboren oder erdacht sein könnte. Es ist auffillig, daß in allen entwickcltcn Zivilisationen die höchsten und die niedersten Bcrufe auf der sozialen Stufenleiter keine Berufslehre erfordern. Zweifellos ist dies cinc der ticfstcn Ursachen für die moralische Unausgewogen- hcit der Völker von Iicute. Was dic Hmdarbeiter oline Spezialisierung anbetrifft, so sind sic die Sklaven der niodernen Industrie, ,,gut für alles und tauglich zu nichts", denn sie sind vollstZndig von den wirtschaftlichen Schwmkungen abhdngig, von Beschifti- gung zu Bescliiftigung, von Fabrik zu Fabrik, von Gcgend zu Gegend hin- und hergeworfen, und inimcr von deni rasenden Gespenst der Arbeitslosigkeit bedroht. i h r Beruf ist f ü r sie nur vorübergehender Broterwerb ohne Hoffnung, oline Freude. Und da sic nichts anderes haben, sind sic kaum Menschen. So gibt es keine wirkliche Vermenschlichung ohne Vcrberuflichung und keine Verheruflichuiig ohne crnsthaft vorbereitete Ausbildung. 2. Da sic sidi auf alle erstredit, darf die berufliche Ausbildung, besonders im Anfang, nicht zu stark spezialisiert werden. Dic Spezialisierung muß, wie jede Erziehung, progressiv sein und synthetisch bleiben. I n der Ausbildung für die gehobcnercn Stellungcn erlangt sic diesen Charakter dadurch, dag sic dic freie Bildung überbaut. Noch mehr aber ist dies der Fall bei dcr Erziehung für die bescheideneren handarbeitenden Berufe, in denen die hlcchaiiisierung cinc extreme Arbcits- teilung zur Folge hat und in denen selbst der hödistqualifiziertc Arheitcr Gefahr Liuft, ein Gefangener gerade seiner Qualifikation zu werden. 3. Daraus cntstclit die Verpflichtung, energisch jedc Bcrufsausbildung z u r ü c k zuweisen, dic rein niedimisdie Dressur ist, mehr aber noch jede Berufsaus- bildung, die sich auf das beschrinkt, was man ,,die bcschleunigtc Ausbildung" nennt. 4. Die Bcriifserziehung mufi also auf allen Stufen in Etappen vorgehen. Schon der Elementarunterridit - der in erster Linie aktiv ist - Iclirt das Kind, sich fortschreitend seiner Hdnde und scincr Sinne zu bedienen und entwidrelt dabei Sinnenschärfe und motorische Geschicklichkeit mittels verschiedener Arbeiten (Karton, Ton, Stoff, Holz, Leder, weiche Metalle wie Zinn, Kupfer,

h

WeiíSbledi, schlicßlidi Eiscn und GuBeisen) ohne irgendeinen Gedanken an technische Spezialisicrung. Es folgt darauf eine Phase der Vorbereitung, die einen Ubergang zwischen dcm allgemeinen manuellcn und dem technischen Unterricht im eigentlichen Sinne bildet und in dcsscn Verlauf der Jugcndlidie scinc Neigungen wachsen und seine Möglidikeiten deutlicher hervortreten fühlt. Dicsc Vorbereitung bezieht sich in der Hauptsache auf die Gcsamtheit der Arbeiten mit Holz und Metall, die in Vcrbindung niiteinandcr bctricben werden. Auf die Vorbercitungszeit folgt die berufliche Ausbildung, wahrend der die Bclierrsdiuiig einer liandwerklidien Titigkeit, ctwa Schreinerei, Mechanik, Sdimicdckunst usw., angestrebt wird. Schließlich erfolgt im Rahmen dicser vollstindigen handwerklichen Betiitigung die technisdic Spczialisicrung, durdi die sich dcr einzelne Arbeiter an seine künftige bestimmte Aufgabe anpaßt, ohne daß er dabei aber das Gefühl für das Ganzc, zu dem er gchört, verliert, und ohne d a 8 er unfihig wird, sich bei Bedarf schnell wicder an andere besondere Aufgaben anzupassen. So ist er in der Lage, höhere Aufgabenbcreiche zu crlangen, für die eine Anschauung von der konkrctcn Ganzheit notwendig ist. 5. Damit die Berufscrzieliuiig cine menschliche Erzicliung durdi den Beruf bleibt, ist cs erforderlich, daß sie sich n i h t ausschließlich auf der technischen Ebcne hil t . Sie mug zu einem Intercssenzentrum für cine menschliche Bildung werdcn. Die Entwicklung der modernen Wirtschaft ist durch die Bemühung gekennzeichnet, die mcnschlichc Arbeit wissensdiaftlich zu organisieren. Aber diese Organisation erfolgt in dcn vcrschicdciistcn Graden, und sie kann durdi dic aktive Teilnahmc aller Elemente, die am Arbcitsprozeß beteiligt sind, verwirklicht werden. Dic Berufscrziehung niuB errcichen, daß der Arbeitende sich wirklich vorbereitet fühlt und wünscht mitzuarbcitcn. 6 . \Venn sie den ßcruf idealisiert, niuß die Bcrufserziehung auch schließlidi die Bmdc zwisdieii Arbcit und MuBe neu knüpfen, die dcr industrielle Matc- riLilismus zcrrisscn hat. Dic Erziehung, dic dem Beruf seine Würde wicdcrgibt, gibt auch dem Mcnsdicn seine \Vürdc wicder. Wenn der Beruf dem Menschen hilft, seine Geistigkeit zu belcbcn, so ist das ganz natürlich, daB er auch außcr- halb seines Berufes geistige ßctitigung sucht. Die Berufscrzichiiiig bcreitct ihn darauf vor, indem sic ihm die iiotwciidigc wcdisclscitigc Durchdringung zwischen der freien und der tcchnischen Bildung aufzeigt. Auf dicse Weise ist sic cine Erzichurig zur Muße cbcnsosclir wie zur Arbeit."

(26) Vgl. Bolt, R.: .,Pl.~nm.iíSigcs Anlernen industrieller Arbeiter", München 1957. Hilf, H . H.: ,,Arbeitswisscnsdiaft", Mundien 1957. Krausc, E.: ,,Industrielle Berufsausbildung", Stuttgart 1955. Lang, H.: .,Dic Erziehung zur industriellen Arbeit", Düsseldorf 1954. M o m , hl.: ,,Dac Lcrnen in dcr Bcrufscrzicliung", Wiesbaden 1957. Riedcl, J.: ,,Arbcitspidagogik im Betrieb", Essen 1955. Sammclbcricht in ,,Archiv f ü r Bcrufsbildung", Nr. 2!1955.

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(27) Es bedeutet eine Oberschiitzung der Schule und ihrer Möglichkeiten, wenn z. B. Otto Engelmayer in ,Die Deutsche Schule", Heft 7/1956, Seite 295, schreibt: ,,Allgemeine Menschenbildung und Eigenständigkeit sind wirksamer Widerpart gegen die Uniformierung und seelenlose Rationalisierung des Lebens im tedinischen Zeitalter." Wir bezweifeln, daß man von einer solch negativen, schablonisierenden Beurteilung unserer Zeit zu einer ,lebensnahen" Erziehung kommen kann.

(28) Fourasti;, J.: ,Die große Hoffnung des XX. Jahrhunderts", Köln 1954, S. 311.

SEITE 13 (29) Wexberg, E.: ,,Arbeit und Gemeinschaft", Leipzig 1932. (30) Vgl. Barth, E.: ,Bildungsgelialte werktitiger Arbeit", Hamburger Dissertation

1955. Auszüge erscheinen als BPZ-Beiheft Nr. 8, Braunschweig 1959.

SEITE 14 (31) Vgl. dazu BPZ Nr. 5/1955: ,Grundausbildung"; Nr. 7/8, 1956: ,,Berufser-

Ziehung in Bewegung"; Nr. 1/1957: ,,Automatisierung und Berufserziehung"; Nr. 819, 1957: ,,Diskussion im Querschnitt"; Nr. 1/1958: ,,Auf neuen Wegen in der Berufserziehung" ; Nr. 1011958 : ,,Berufserziehung im Handwerk". Ferner die Beihefte zur BPZ: Nr. 1. Lippert, E.: ,,Berufscrziehung von Mor- gen'', 1954. Nr. 2. Sdiwarzlose, A.: ,,Berufserziehung in der industriellen Gesellschaft", 1955.

SEITE 15 (32) Heiniann, P.: ,,Zur Bildungssituation der Volksschuloberstufe in der Kultur

und Gesellschaft der Gegenwart". In: ,,Die Deutsdie Schule", Heft 211957, Seite 49 ff.

(33) Vgl. Abel, H.: ,,Berufserziehung in der Sowjetunion", in BPZ-Hefte Nr. 4/6, 1957. ,,Bildung und Erziehung in der Sowjetunion", in BPZ-Heft Nr. 718, 1958. ,,Berufserziehung und Schulreform in Frankreich", in BPZ-Heft Nr. 6/1958. In einem Bericht (Embargo-Zitting 1954-1955, 2233), den die Stindige Kom- mission für Unterricht, Kunst rind \Vissenschaft dem nietlcrllindisc/~en Reichs- rag erstattete, heißt es u. a.:

a) Untcrricht und künftiger Beruf Obgleich in der Nota-Riittcn gesagt wird: ,Bei einer zielbewußten Anlage des Untcrrichtswesens wird immer darauf geachtet werden müssen, dai3 die Schüler später in der Gesellschaft einen Beruf haben werden", hat Minister Rutten sowie aus der Fortsetzung der Nota und aus spiteren Auslassungen hervorgeht, keinen Zweifel daran gelassen, daB der zukünftige Geruf sicher- lich als erste und einzige Richtlinie betrachtet werden darf. Die Unterzeidi- neten teilen diese Meinung und sdiließen sich auch der durch die Ständige Kommission wiedergegebenen Ansicht an, wobei sie zufügen wollen, daß die Forderung der Eltern mehr und mehr in die Waagschale gelegt werden müssen.

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h

b) Unterricht und Technik Mit dem, was verschiedene Mitglieder nach Anhören der Stelle in der Nota- Rutten über den Einflug der Technik auf den Charakter unserer Kultur be- mcrkcn, können die Unterzeichneten von Herzen übereinstimmen. Sie sind audi der Meinung, daß die Schule dadurch, daß sie mehr die sozialen und kulturellen Aspekte unseres Zusanimcnlebens beherzigt, den jungen Mensdi mehr lehren niuß, die Probleme nicht nur von der tcclinischen oder der organi- satorischen Seite zu betrachten.

c) Handfertigkeiten und bcstimmte technische Schulring Die Unterzeichneten lassen aufser Betracht, ob Minister Rutten in der hier- über erwihnten Passage seiner Nota nur an die Schüler gcdacht lint, die nadi dem Erfüllen ihrer Schulpflicht keinen weiteren Unterricht erhalten; sie sind mit den hfitglicdern, die übcr diesen Paragraph sprechen, einer Mcinung, daß für die Schüler, die keinen weiteren Unterridit empfangen, das Erwerben von Handfertigkeiten wahrend der verpflichteten Sdiulzcit von großem Belang ist. Die Handfertigkeit ist jedoch auch für die ganze Schuljugend von Bcdeu- tung. Dicse hleiiiung ist nicht in erstcr Linie wegen des Umfangcs der Technik in unserem Zusammenleben entstanden, sondern auf Grund des Wertes, den das Verrichten von Handarbeit für die Formung des jungen Menschen hat; sie bringt die Möglidikcit zum Selbstausdruck, und im Verband mit der prak- tischen Bedeutung für spiter auch auBerhalb der Berufssphare ist sie für das Leben wichtig. An die Ausbilduqg der Handarbeit (zu der auch die Iiaus- hilterische Bildung für Midchen gehört) muß darum in allcn Schultypen besondere Aufmerksamkeit gegeben werden. Inwieweit auf die eine oder andere Weise eine Verbindung mit dem Gewerbeunterricht für Jungen sowohl als für Mädchen gefunden werden könnte, mug noch naher untersucht werden. In dem Lehrplan von den später zu bcsprechcnden Schulen für den unteren allgemeinen weiterführenden Unterricht wird ein Minimumprogramm für den Unterricht in der Handfcrtigkeit vorkommen müsscn. i n diesem Schultypus kann der Unterricht in der Handfertigkeit, so wie es die Nota-Rutten vor- sclilägt, auch dazu beitragen, über die Eignung von Schülern f ü r bestimmte Berufsgruppcn Aufklirung zu geben. Eine technische Schulung auf einem mehr spezialisierten Gebiet wird für viele schwach Begabte eine Möglichkeit bieten, eine anstiindige Position in einem Betrieb zu bekommen. Hierzu werden be- stimmte Schultypen entstehen müssen.

c) Erhöhung der Schulpflicl7t Das ausgeglidicne Heranwachsen dcs Kindes fordert, daß es so lange wie möglich Gelegenheit bekommt, in einem günstigen pidagogischen Milieu zu einer guten psychischen und physischen Entwicklung zu kommen. Die Wünsche nach Verlingerung der Schulpflicht und Erhöhung des Alters, da Arbeit in dcni Sinne des Arbcitsgesetzes vcrrichtet werden darf, entstehen auch haupt-

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sichlich aus der Erkenntnis, daß der Jugend auf ihrem Wege zum Erwachsenen Zeit für diese Entwicklung nötig ist. Von bcsondcrem Wert ist dabei. daß ohne dabei die intellektuelle und fachtechnische Ausbildung zu kürzen, mehr Aufmerksamkeit für die Entwidcliing von Ausdrudcsmöglichkeiten der so- zialen Bildung und der körperlichen Erziehung geschenkt wird. Ein anderes wichtiges Argument für die Verlingerung der Schulpflicht liegt darin beschlossen, daß das Interesse für die Berufsausbildung stimuliert wird, was besonders die Fähigkeit des Facharbeiters erhöhen wird und damit auch von Bedeutung sein wird für den Stand unseres Wirtsdiaftslebcns. Eine längere und größere weiterführende Aufmerksamkeit von Seiten des Unterrichtes wird im besonderen für weniger Begabte - damit meistens auch den sozial Sdiwicheren - von groBer Bedeutung sein. Wir möchten jedoch darauf aufmerksam machen, da6 die Löcung der Probleme, welche eine all- gcmeiiie Sdiulpflichtverlängcrung mit sich bringt, vor allen Dingen fur die Gruppe der scliw.ichbegabtcii Schüler nicht einfach ist. Die Frage entsteht, ob die Lclirpflicht\,erl9n~erung bedcutet, dai3 der Schüler einen vollstaiidigen Tngesuntcrricht zu folgen lint oder ob mit einem Teil- Unterricht Genüge genommen werden kann. Da f ü r eine richtige Entfaltung des Kindes ein so lange wie möglicher Aufenthalt in einem günstigen päd- agogischen hlilieu erforderlich ist, und da aul3erdem das Arbeitsgesctz bereits für einen Teil der Jugend gewisse Arbeit für 14j3hrige verbietet - ein Verbot, das, wie erwartet werden kann, in absehbarer Zeit für alle 14jilirigen erweitert wird -, achten es die Uiiterzeichneteii f ü r nötig, daß bei einer Verlin, oerung der Schulpflicht von einem Jahr diese auf das Empfangen von einem voll- scdndigen Ganztagsunterricht BezuS h'iben muß. SchulpfliditverlSngerung von einem Jahr, welche nur auf Tciluntcrricht Bezug nehmen sollte, hatte außer- dmi für Sdiwadibegabte wenig Sinn. Bei den hier nadifolgenden Vorschlägen in bezug der Struktur des weiter- führenden Unterrichtes sind sie von dem Gedanken ausgegangen, daß die Schulpflicht innerhalb absehbarer Zeit um ein Jahr und spiter um zwei Jahre verlingert wird, wilirend cine Verpflichtung zum Teilunterricht und weiterer Bildung ebenfalls erwogen wird. Wie sic sich die Verwirklichung denken, wird i i i den Paragraphen ,Teilunterridit und weitere Formung" und in dem Kapitel ,.Vcrn~irklichung der Pline" niher aiiseinandergesetzt. Guter Unterricht ist eine wirkungsvollere Kapitals~iilage, als n i m frühcr gemeint hac. I n demselben Maße, wie Betrige größer werden, welche man f ü r den Landbau und Industrie, Handel und Verkehr und soziale Einrich- tungen Jusgibt, wird auch die Sorge für die Bildung derjenigeii, die diesc Kapitalien verwalten - hierbei habcn alle Menschen von oben bis unten ihren Anteil -, zunehmcn müssen. Audi soll auf diesc Weise die Möglichkeit zum Schulversuch vergrößert wer- den und dabei die Gelegenhcir geboten werden, im beshrinkten MaRe Erfali- rungen mit neuen Schultypen zu sammeln, die sich innerhalb des groBziigig bestellten Untcrrichtsplanes entwickeln können.

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Die Berufserziehung darf - wegen des groBen psychologischen, pädagogischen und sozialcn Wertes des Lernens und Ausüben eines Fadies - niemals fehlen, weder in dem Fall, da nian nur wenig weit gehen kann (auch bei den außer- gewöhnlichem Grundunterricht ist Fachausbildung von groBer Bedeutung), noch wenn der Schüler über cine sehr gute allgemeine Anlage verfügt. Es ist also an einen langsamen Obergang gedacht, wobei im allgcmcinen Ober- gangs formen nötig sein werden, bei denen cine gewisse Oricnticrung für eine Einführung in den später folgenden Berufsuntcrricht gegeben werden. Auch wird der Ubergmg von der höhercn Berufserzieliung zur Ausbildung in der Univcrsitit unter bestimmten Bcdingungen möglich sein müssen.

(34) Engclbert, M. : ,,Stoff und Forni, Lcitfaden der technischen Elcmcntarcrzie- hung", Frmkfurt 1951, vgl. dazu BPZ-Heft 8/1954 (Tcchnisclie Elementar- crzichung) und ,,Die Deutsche Schule", Hcft 6/1957 (Technisdic Elementar- erziehung im Gesamtaufbau von Erzichung und Bildung). Kritische Stellung- nahmen liegen u. a. vor von Carl Schietzcl in ,,Westermanns Pidagogische Bcitrigc", HeR 211955, und von Günter Otto in der gleichen Zeitschrift, Hcft 911955, sowic von Johannes Riedcl in ,,Archiv für Berufsbildung", Nr. 111955.

SI:ITI: 17 (35) Karl Friedrich (Pseudonym f ü r Biedcrmann) veröffentlichte 1852 in Leipzig

die Schrift ,,Die Erziehung zur Arbeit, eine Forderung des Lcbens an die Schulc". 1882 fand in derselben Stadt ein ,,Kongrcß f ü r Haiidfcrtigkeitsunter- richr und HausfleiB" statt, der aber ebenso wie die neuen AnstöBe durch die Arbeitsschulbcwegung zu Anfang unseres Jahrhunderts ohne Nachwirkung blieb.

(36) Pralle, Th.: ,,werken und gestalten", Essen 1957. (37) Die hcssischcn Bildungspline vcrknüpfcn ,,technische Elcnicntnrerziehung" und

,,musische Erziehung" und fordcrn die Lösung dicscr Aufgaben durch den Kunstcrzicher. Den ,,Erwcrb der grundlegenden Techniken" glaubt m m ,,durch spielerischen Umgang mit den Werkstoffen" erreichen zu können, d. h. unter Verzicht auf systcmatische Lehrgänge, die doch den Kern allen Arbeitens in der Schule bilden.

(38) Kornmnnn, E.: ,,Vom Bildungswcrt des Zeichnens und Werkens", iii: ,,Wester- manns Pidagogische BeitrSge", Nr. 911956, Seite 426 ff.

Kornmmn schreibt: ,,Der Drang zur bildnerischcn Formung beschrinkt sich beim k i n d nicht auf darstellendes Zcichnen und Malen, er SuBert sich ebenso im Bauen und Schmücken. Darum sollte auch das Werkcn ein angemessenes Feld in der Schule finden. Und zwar cin Wcrken aus derselben H.iltung und mit denselben Aii- sitzen zu bildnerischer Gestaltung, wie sie das echte kindliche Zeichnen und Malen zeigt. Also nicht ein technisch bestimmtes, sondern ein gestalterisdi bestimmtcs Werkcn. Auch das technisch bestimmte Werken k m n natürlich sinnvollc Aufgaben in der Schularbeit finden (Z.B. im Bau tcdinischer Mo-

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delle). Aber es dient der intellektuellen Erkenntnis, nicht der Pflege der musischen Phantasie. Ein Zweig dieses gestaltenden Werkens kann darstellend sein, z. B. das Schnitzen von Tierfigurcn, der Linolschnitt oder Stenipeldruck. Ein anderer Zweig aber sollte in Papier, Holz, Textilien, Ton- und Metallarbeit zweierlei vermitteln: Für den Heranwachsenden das, was nian ,Sinnenpflege' genannt hat, eine Bildung des Auges für die Qualitaten der Werkstoffe, eine lebendige Anschauung der Hölzer, der keramischen Stoffe oder der Textilien, ihre Struktur- und Farbwerte. Allgemein aber sollte die Werkarbeit das Auge bilden für die eigentliche Formung der Dinge unserer Umwelt, beginnend beim Hausrat bis zur Architektur. So kann das eigene, auf Gestaltung hingeführte Bemühen des Schülers, eine Schale XIS Ton, ein einfaches Geri t aus Holz selbst wirklich zu formen, ihm das Auge fürs Leben öffnen. Im Schulleben wird solches gestaltende Werken fruchtbare Anlisse finden in der Gestaltung der Feste, im Zubehör des Tlicaterspiels, in der ,Gebrauclisgr~phik' für vieler- lei Anlässe in Schule und Familie. Pidagogisch ist f ü r die Werkarbeit im Kindesalter zu bedenken, daß sie nicht am MaBstab des zünftigen Handwer- kers zu messen ist, so wenig wie das Zeichnen an der Bildwelt des Erwach- senen. So ist das Werkmaterial nicht zu beurteilen nach der Wirklichkeit der Erwachsenenwelt, sondern dcr kindlichen Welt." Wobei nur zu fragen bleibt, wie weit die Kindheit gerechnet wird? Shelsky hat sehr drastisch davor gewarnt, das 9. und 10. Schuljahr als ,verlängerten Kindergarten" zu konzipieren und zu organisieren.

SEITE 19 (39) Vgl. dazu: Hellmuth Kirchhoff: ,Berufswahl und neuntes Schuljahr in Berlin".

DGB-Informationen über das berufliche Bildungswesen Ni.. 41/1952, S . 312 ff. (40) Opitz, F.: ,Um Weg und Ziel unserer Arbeit in der OPZ". Berliner Lehrer-

Zeitung Nr. 1 und 2/1956. (41) Vgl. Wagner, O.: ,,Erkundung der Berufs- und Arbeitswelt als Unterrimts-

vorhaben im 8.-10. Schuljahr", in: ,,Gegcnwartskunde", Heft 2/195S, S. 49 ff. Banaschewski - Guthmann - Roth: ,,Zur Erneuerung der Volksschulober- stufe", in: ,,Die Deutsche Schule", Heft 2i1957, Seite 65 ff.

SEITE 20 (42) Vorschläge und Versuche f i r die Gestaltung eines Ohrgatrgsratlmes zwischen

Schule und Arbeitswelt: A. Im Auftrage des Kultusministers des Landes Nordrhein-Westfalen erar-

beitete im Jahre 1956157 ein Gutachterausschuß Richtlinien für ein 9. Schul- jahr, das ,,weder eine direkte Fortführung der Volksschule no& eine Vor- wegnahme der Berufsscliule" bedeuten sollte. Folgende Gliederung des Unterrichtes wurde vorgeschlagen: I. Kernunterricht Am Kernunterricht nehmen alle Schüler teil. Er gliedert sich in:

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h

Religionslehre oder weltanschauliche Unterweisung, Lebcnskunde, Berufs- kundc, Leibesübungen. In der Lcbenskunde liegt das Sdiwergewicht im Sozialen, in der Berufs- kundc im Wirtschaftlichen, ohne daß cine strenge Trennung der Bereiche im einzelnen immer möglich oder erwünscht wire. II. Katc,.sxnterricht Zu unterscheiden sind A. für alle Schüler verbindliche und B. freiwillige Unterrichtsveranstaltungen.

A. Verbindltche Unterrichtsveranstaltungen:

i. Hierzu gehören je nach Leistungsstand a) festigender und vertiefcnder Unterricht, in dem die in der Volks-

schule erarbeiteten Kenntnisse und Fertigkeiten geübt werden. Oder

b) Nachhol- und Ubungsunterricht für diejenigen Schüler, wclche die Grundfertigkeitcn nicht in genügendem MaBe beherrschen.

2. Hinführcn zu verantwortlicher Mitarbeit in den verschiedenen Arbeits- bcreichen a) Werkctt, b) Verwalten, c) Pflegen.

B. Freiwillige Untcrrichtsveranstaltungen: Arbeitsgenicinschaften, z. B. solche musischcr, frenidspradilichcr oder naturkuiidlich-tcclinischcr Art, in denen jedoch auf keinen Fall Teile beruflichcr Ausbilduns vorweggenommen werden sollcn. Daneben is t ein niöglidist brciter Kaum für Gescllungen zu schaffcn.

III . Sonderversnjtaltirngcn Am Anfang des Schuljahres sollte eine über langerc Zeit sich erstrcckendc Gemeinscli~Asvcranscaltung stehen (Wanderung, Aufenthalt im Sdiulland- heim odcr in der Jugcndhcrbergc, Zeltlager usw.). Entsprechend den ört- lichen und personellen Gegebenheiten werden vorbereitete Besichtigungen von Wirtschafksbetrieben, Verwaltungen und sonstigen Institutionen durdi- geführt, die systeniatisdi anzulegen und in den gesamten Untcrricht eiii- zuordncn sind. Besondere Vcranstaltungen, die in Verbindung mit dem Arbcits.imt durchzuführen sind, dienen der Berufsaufklirung. Lehrkorper Der Untcrricht soll nach Möglichltcit durch Lchrer, dic für verschiedene Schularten vorgebildet sind (z. B. Volksschullehrer, Berufssdiullehrer, Stu- dienrite) und durch Laieiilehrcr erteilt werden. Bemerkungen 1. An die Stelle des 9. Schuljahres können andere weiterführcndc Schuleii

treten, wenn die Voraussetzung erfüllt ist, daß der Kernunterricht, wie er im 9. Schuljahr durchgefiihrt werden soll, auch in diesen Systemen erteilt wird.

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2. Bei der besonderen finanziellen und schulischen Situation im Lande Nord- rhein-Westfalen (Wiederaufbau der Schulen, Schichtunterricht, Lehrer- mangel) wie audi aus grundsätzlichen, erziehungswissenschaftlich begrün- deten Erwägungen kann ein obligatorisdies 9. Schuljahr seinen sinnvollen Einbau in unser Unterrichts- und Erziehungswesen erst finden, wenn für die bestehenden Schulen hieraus keine Nachteile entstehen. Bis dahin empfiehlt der Ausschufl als Ubergangslösung zunächst die Einrichtung von Versudisschulen auf freiwilliger Grundlage ab Ostern 1958.

B. Das Bayerisd~e Beri~fsförderiingswerk e. V . hat einen drtailliertcn Vorschlag für die Gestaltung des Werkunterrichtes in einem 9. und 10. Vollschuljahr erarbeitet, das mit Schwerpunkt auf die gc~erblicli-industriclle Arbeitswelt vorbereiten soll. Für den Werkunterricht sind 15 Wochenstunden vor- gesehen, davon 5 Stunden fü r ìVcrkstattunterweisungen und 10 Stunden fur Ubungsarbciten. Die Pläne sind veröffentlicht i n der BPZ, Hefte 1211957, Seite 228 fi., und 111958, Seite 13 ff.

C . Die Arbeitsgemcinscliafi ,,Mensch wid Arbeit" (Stuttgart-W, Reinsburg- strage 107) hat sehr ausführliche Vorsdilige für die Neugestaltung des Uberganges von der Schule in das Berufsleben durch ein 9.Vollschuljahr .ils Berufsfinduiigsjalir (Teil I für Jungen, Teil II für Mädchen) erarbeitet, auf die hier empfehlend hingewiesen wird. Die Stundentafel sieht 11 Wo- chenstunden vor, die von Volkssdiullclirern, und 24 Wochenstunden (dar- unter 9 Stunden Werkarbeit), die von Bcrufssdiullehrern zu erteilen sind. 1 Wochenstunde ist für den Berufsberater vorgesehen.

D. In ßrartnschweig ist mehrere Jahre lang ein Versuch durchgeführt worden, wie man Mäddien für soziafpflegerisdie Berufe vorbereiten kann. Wir bringen hier die Unterriditsübersidit des einjährigen Vorbereitungskurses: Die Schülerinnen arbeiten von 8 Uhr bis 12.30 Uhr in verschiedenen Grup- pen, eingeführt durch theoretische Unterweisung, geführt durch den Tages- und Jahreslauf innerhalb einer sozialpidagogischen Einrichtung, Gruppen- Wechsel nach 6 Wochen.

1. Harrsdienst: Mit der Betonung auf Hauspflege. Ein Vorniittag wöclientli~ti ini Wedisel Kochen und Baken.

2. Wüsd?edienst: Das Behandeln von Haus- und Leibwische voni Einweichen bis zum Einriumen i n den Schr.irik. (Mit der Heim&-isdie haben die Schülerinnen nichts zu tun!)

3. Kinderdienst: Einführung in die Kinderarbeit, Einsatz in der Krippe, im Kindergarten und zeitweise bei Schulkindern.

4. Veruwltungshilfe: Einkaufcn und Abrcdinen, Ausfüllen von Zahlkartcn und Postanwei- sungen, Bedienen des Telefons. In Haus- und Wiischedienst eingeführt und beaufsichtigt werden die Schülcrinnen durch die Leiterin der Vor- schülerinnenklassc, einer Jugendleiterin mit Unterrichtsbcfiihigung, in den anderen Gruppen durch die jcweiligcn Abteilungslcitcrinnen. Den Ab- sdiluß der praktisdien Arbeit bildet eine Auswertung und NachLcsprc- chung derselben.

Nach einer Mittagspause von 2 Stunden beginnt der theoretische Unterricht: i . Harts~e.rrtschapskunde:

Nalirungsmittclkunde, Hausarbeit und Hauspflege unter Zugrundc- legung der Arbcitsblätter f ü r Hauswirtschaffskunde. Frankfurter Mc- thodik, Iierausgcgcbcn von Geissler und Wissing, Verlag Beltz, 1952.

2. Deutsch: Bekanntmachung mit der Literatur des 19. und 20. Jalirliundcrts (Lck- türe, Aufsatz und Vortrag), Sprachlehre.

Vermittlung von Kenntnissen über die Entwicklung des deutschen Volkcs in der Neuzeit; dem Alter der Schülerinnen angemessene Einführung in die politischen, wirtsdiafllidicn und sozialen Vcrhiiltnisse der Gegenwart.

3 . Geschichte und Staatsbiirgerkunde:

4. Gesundheitslehre: Siiuglings- und Iileinkinderpflcge; Krankenpflcge. Der Unterricht wird von der Ikimärzt in und einer Cauglingsschwcster erteilt.

Stopfen, Flickcn, híasdiinenilien (nach den Richtlinien, die der Auf- nahmeprüfung im Kindcrgirtncriiinenscminar zugrunde gelegt werden).

5. Handnrbeit und Wer&untcrricht:

6 . Miisisd~e F a c h : Singen, Rhythmik, Gymnastik, Laienspiel, sowcit für die Entfaltung der Schülcrinnen notwendig und zur Fest- und Feiergestaltung des Hauses dienlich .

Praktische Arbeit: in sechswöchcntlidieni Wediscl 1. Hausdienst 2. Wischedienst 3. Kinderdienst 4. Vcrndtungshilfe 6 Vormittagc je 3Iii Stundcn = 21 Stunden Theoretischer Unterricht: 6 Vormittagc je 1 Stunde = 6 Stundcn 3 Nachmittagc je 2'ír Stunden = 12'/z Stunden

inigesnmt 39'/2 Stundcn

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E. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) hat mit ihren über vierzig ein- bzw. zweijährigen kaufminnisken Tugesschlen einen speziellen Schul- t i p für die Gestaltung des ,,Uberbrüdrungsraumcs" entwickelt. Wir bringen Auszüge aus einem Merkblatt der Frankfurter Schule. Die einjahrige ,,Kaufminnische Tagcsschule" dient ihrcr Bestimmung gemiß in erster Linie der Bcrufsfindung und Berufsvorbereitung für jene jungen hlenschen, die sich kaufminnischen oder Verwaltiingsberufen widmen wollen. Aber auch der junge Handwerker kann hier die fur scincn Beruf uncrlißlidien kaufmannischen Grundkenntnisse erwerben. Wer sich in unserer Tagessdiule cine Grundlage für seinen zukünffigcn Beruf erwirbt, hat einmal bessere Aussichten, beim Suchen eincr Lehrstelle mit anderen Bewerbern erfolgreich in Wettbewerb treten zu können und steht zum ~ n d e r e n seinen tiglidien Bcrufsaufgaben in der Lehre aufgeschlossener und gefestigter gegcnüber. Besondcrs dem Volksschülcr erschließen sich dadurch wesentliche Vorteile. Es ist Grundsatz unserer Schule, die Schüler theoretisch und praktisch in verliiltnismißig kurzer Zeit vor allem auf die kaufminnischc Lehre vor- zubereiten - ein Wissen, d'is auch in jedem anderen Beruf verwertet wer- den kann. Bctriebsbesichtigungeii und Studienfahrten gehören zum fcsten Bestandteil unseres Unterrichtes. Den Schülern soll dadurch ein Uberblick über typisdie Handelsunternclimen, Industriebetriebe und Verkehrsanlagcn unserer hei- misdicn Wirtschaft vermittelt werden. Gleichzeitig sollen sic mit der betricb- lichen Atmosph.ire vertr.iut gemacht werdcn.

Die Uiirerrichtsf;icher und Stundenverteiluiig: Deutsch (5 Stunden wochcntliLih) Wortlehre / Satzlehre / Rechtschreibung / Zeichensetzung. Kaufminnisches Rechnen (1 Stunden wöchentlidi) Wiederholung der Grundrechnungsarten mit Redienvorteilen i Schlußrech- nung / Kettensatz / Misdiungsrcchnung / Vcrtcilungsrechnung / Prozent- rechnung / Gcscllscha~srecliriu~i~ ,' Zins- und Diskontrechnung / Staffel- rechnung / Terminrechiiung / Deviscnrcchnung / Effektenrcchniing / Kal- kulationen. Buchführung (3 Stunden wöchentlich) Einführung mit gesetrlichcn Bestimmungcri ,' Mindestbuchführung / Groß- handelsbuchführung nach Kontenralinien / Diirchschreibcbu~führung / Industriebuchfiihrung nach Konrenrnlimen. Betriebswirtsdiaflslchrc mit Schriflvrrkelir (1 Stunden wöchentlich) Hnndelskunde unter Zugrundelegung des Handelsgesetzbuches / Betriebs- organisation / Znhlungsvcrkchr / Wechsel- und Schcdcrccht / Volkswirt- schaftslehre / Arbeitsrecht / Sozialrecht. Abfasen kJufminnischer Briefe, die sich mit allen wichtigen Sroffgebieten des kaufminnischen Aufgabcn- bereiclies beschafligen.

3s

Wirlscl~apsgeogrnphre (2 Stunden wöchentlich) Vermittlung der landsdinfllichcn und wirtschaftlichen Zusammenhänge in- nerhalb Deutschlands / Die wirtschnftlichcn Verbindungen Deutschlands zu den wichtigsten europäischen und überseeischen LPndern / Die Hcrkuiifts- Idndcr der wichtigsten Handclsproduktc. S~naisbiirgerkundc (1 Stunde wöcheutlich) Staatsiehrc / Familie / Schule / Beruf / Gcmeindc / Kreis / Linder. Rel tg io?~ (1 Stunde wöchentlich) Schön- irnd Plnkatschriff ( i Stunde wöchentlich) K u rz sc / i r~ f f (5 Stun d cn wöchcn tl i&) Erlernen der Zcichcn, Kürzel und Regeln der Deutschen Einheitskurz- schrift / PlnnmSíiigc Steigerung der SchrcibSeschwindigkeit für die Praxis durch Schrcibübungen und Diktate. Afascl7incsc~~reilcn ( 5 Stunden wöchentlidi) Erlernung und Behcrrschung dcs Zclinfingersystcms / Blindschrcibcn / Forni- gcrechtc Briefgestaltung / Mnschiiieiikundc / Erreichen einer für die Praxis ausrcichcndcn Ansmlnggeschwindigkeit. Kontorarbeiten (3 Stundcn wödiciitlich) im Rahmen der an allen DAG-Tagcsshulcn eingeführten Sclieinfirmen- arbeit.

(43) Als Bcispiel für die gewerbìic/ie Berufsfrrchsc/mle nerren T y p s sci hier die Schule in Krefeld gcnnnnt. Sic l in t zur Zeit 4 Abteilungen: Allgemeines Metcillgcwcrbe, Elcktrogewcrbc, Baugewerbe und Textilgcwerbc mit je zwei Kl'issen, einer Unterstufe und einer Oberstufe. Iiisgcsnmt hnr: dir Schule, die von dem Direktor der Gcwcrblichen Berufsschule mitvcrwaltct wird und im Gcbiude der Bcrufssdiulc untcrgcbracht ist, 6 Klassen. Bau- und Tcxtilgcwcrbc sind in den allgemeinen und den naturwissenschnftlichen F4chern zusnmmengefaßt, wihrcnd sic in den werkkundlichen Fichern getrennt unter- richtet werden. Für das Metall- und das 1:lcktrogcwerbe sind jc cinc Uiitcr- und cine Oberstufc eingcrichtct.

STUNDENTAFEL DER METALL- U N D ELEKTROABTEILUNG I. Allgemeine Ficficr u.-Stufe Religion 1 Dcutsch (Sprachcrziehung und Sdirifikunde) 4 Sdiriftverkehr 1 Wirtschaftskunde 1 Biirgerkunde 1 Geschichte 1 Englisch (wahlfrei) 2 Sport 2

13

O.-Stufe i Wocheiistd. 4 1,

1 >>

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1 n

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2 ,>

1 3 Wochenstd.

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II. Naturwissenschaftliche Ficher U.-Stufe O.-Stufe Math cma tik (Redin en, A I gebra, Geometri e) Physik 1 2 I,

Chcmic 1 1 n

5 5 Wochcnstd.

7 8 Wochcnstd. I I I . Wcrkkundc I:.ichkundc, Fadrechnen, Fachzeichnen 9 9 Wochenstd. Werkarbeit 12 12 ,,

21 21 n

zusammen 12 42 Wochenstd. Stkülerauslesc Alljährlich vor Ostern findet eine Aufnahmeprüfung statt. Die Arbeitsämter weisen in ihren Beratungen auf die Schule hin, und die Rektoren der Volks- schulen, die teilweise bei den Aufnahmeprüfungen mitwirken, empfehlen sie. Die Prüfungen erstrecken sich auf Aufsatz, Diktat, Rechnen und Tcstfragcn. In keinem Jahr konnten bislier alle Sdiüler, die dic. Aufn.ihnieprüfung be- ~tandei i Iiabcii, aufgenornnien wcrden, da aus raumlichcn und personellen ( 7 Iiunden ." SchulabscliluJ und Beredjtigungen Die Abschlußprüfung ani Ende der zweijdlirigcn Schulzeit erstreckt sich im Schriftlidicn auf Deutsch (Aufsatz und Diktat), Mathematik, Fachkunde, Faci- rechnen und Facfizeichrien. Eine mündliche Prüfung dient der -4brundung der Noten. Außerdem wird eine praktische Prüfung abgelegt. Nach bestandener Prüfung erhalt der Schuler ein Abschluíbeugnis und einen sogenannten Be- rcchtiguiigsschein.

GcwerLlidJe BerujsfaciJsdmle und Fachsc¡mlreije Nadi minisrcriellem ErlaD ist das Bildungsgut der Berufsaufbauschule zur Ilrlanguiig der Fachschulreife, falls sie als Abendschule aufgezogen ist, über 7 Scniestcr zu verteilen. Dem Absolventen der BF wird empfohlen, in das 5. Scniestcr einzutreten. Dic restlichen 3 Semester lassen sich verhiltnismifiig Icicht bcwaltigen. Ihm wird auch angeraten, sich zuerst in seinem Beruf cin- /deben und frühestcns ¡ni 2. Lehrjahr mit deni Besuch der Berufsaufbauschule LU bcginiien. Der Schiilcr der BF kommt also cinfacher und meist auch schncllcr ,um Zicl als die ubrigen Lehrlinge. Auf Grund jahrelanger Erfahrung kann gesagt werden, dai3 die Gew. BF eine sehr gecignctc Lösung im Rahmen der berufsbildenden Einrichtungen darstellt. Der Zeitverlust von cincni, höchstens zwei Jahren zugunsten einer gründ- lidien Ausbildung wird aufgcwogcn durch die erzieherischen Einwirkiings- niöglidikeitcn in deni für den Jugendlichen so kritischen Alter. Die Diszi- plinschwierigkeiten sind erstaunlich gering. Wir Lehrer der Gew. BF führen cs darauf zurück, da6 wir mitten in die Interessensphiire des Jugendlichen vorstoßcn und ihm das bieten, wonach der technisch interessierte Junge lechzt, cincn Einblick in dic Wunder der Tednik.

jeweils nur 3 Unterxufen gebildet werden konnten.

.

c

Ahnliche Schulen mit einer Schulzeit von 1-3 Jahren bestehen in 9 nord- rhein-westfilischen Stadten. Vgl. dazu: BPZ, HcR 12/1957, Seitc 223 ff.

SEITE 21 (11) I . Förderungslekrgang ,Metall" in Mannheim für Entlaßschüler dcr Hilis-

und Fördcrklasscn. 1. Der Förderungslehrgang ,,Metall" ist cinc bcrufsfördernde Maßnahme nadi

dcn gcmciiisnmen Richtlinien dcs Arbeits-, Innen-, Kultus- und Wircschafts- ministeriums B.iden-Württemberg für Jugendliche ohne Lehrstcilen odcr Arbeitsplitzc und wird als geeignet anerkannt zur Förderung aus Mitteln des Landcs.

2. Tr igcr der h.i.ii3nahme ist die Stadtverwaltung Mmnheini (Gewcrbe-

3. Dic Jugcndlihen werden vom Arbcitsarnr Mannheim ausScw.ihlt und

1. Die Gesamtkosren sind auf rund 14 000,- D M veranschlagt. 5. Die in Aussicht gcstelltc Fördcrung bcstcht in einer Bcihilfc für die laufen-

den Kosten des Lehrgangcs und bctrigt je Lchrgangsteilnehmcr und Lelir- gangsstunde 0,25 DM. Dic Bciliilfc wird als Zuschuß gcgebcii.

6 . An den Fördcrungslchrgingcn nehmen 35 Jugendliche teil, davon aus dem Personenkrcis der KricgsfolgchilfecnipfRnger 10, sonstigc Jugendlichc 25.

7. Shulgcld und Beitrage z u hlatcrialkosten werden nidit crhobcn. Dir Unterrichtserteilung erfolgt durch einen Gcwerbeobcrlchrcr (thcoretisher Unterricht) und durch zwei Werkstattlehrcr (praktischer Untcrridir - 1 Kfz- Mcistcr und i Schrnicdcmcistcr). An Arbcitsriumcn stehen zur Vcrfügung: 1 Wcrkstattraum mit 35 Schraubstöcken, 1 MJschincnr.iuiii, 1 Schmitdcrauni, dazu für dic Mitcagspmw ein ~\tifciitlialtsrniim, zugleich Lehr- und Filmsaal.

Sttindcntafcl : 12eligion i Stunde Dcutsh niic Schriflvcrkelir 2 Stunden Gemeinschaftskunde t Stiindc Werkstoff Ichrc Werkzeuglchrc Maschinciilchrc Naturlehre Geometrie Projektionslehrc und teclini5chc~ Zc i ih i en Freihandzeichnen Rechnen mit Prcisbilduiig

Werkstattunterricht Wochenstunden

schule III) .

eingcwicscn.

2 Stiilidcii

2 Stuiidcii

2 Stunden i0 Stunden 30 Stunden 40 Stunden

I I

1

~ _ _ _ _

41

Stoffplan Die Stoffplinc für den thcoretisdien wie auch für dcn praktischen Unterridit sind dem Bildungsstand und dem gcistigcii Auffassungsvcrniögcn der Schüler aiigcpnBt. Bei der Auswalil der Stoff- und Arbcitsgcbiete wurde vor allem auf einf.idie und grundlcgcnde praxisverbundenc Arbeitsvorgin;e cingcgan- gen. Deis Ziel des ~ördcrungslelirganges ist ,,Die Bcrufsfindung".

E rfab rim goz

Der erste Lclirgang bcgnnii 1955 zuiiidist nur mit tlieoretischcm Unterricht. Nacli Einrichtung cines Wcrkstattrauines sctzte ani 7. September dcr Wcrk- stattuntcrridit ein. Der Erfolg w'ir sehr crinutigciid. Schon vor Bccndigung deb Schuljahres konnten 25 Lclirg.ingstsiliiclimcr cinc Lclir- bzw. Anlcrnstellc oder cincn festen Arbcitsplatz in eincm mccall~~cr.irbcitcndcii Beruf erhalten.

Dcr zweite Lclirgang (Osrcrn 1956) uinfaíjtc 32 Schüler. Von dicscn kninen 22 aus Hilfs- und Fördcrklasscii, der Rcst warcn schwaclic Schüler der achten Volksicliulklnssc. 23 Tciliichnicr crliiclten ciiic Lchrsrcllc.

In dem dr;ttcn Lclirgang sind die Vcrlialtnissc ilinlidi. Ain Anf.ing waren CS

36 Tcilncliiiier, drei Monntc vor Lehrgangsendc sind es nur noch 24 Scliülcr. Grund: Die Einriditung des Lchrgaiiges und sein Zicl hat sich iierumgcspro- chen. Die \'on> Wcrkstattlclirer als Lr.iudibar hcrausgcstelltcn Jungen gclieri ab wic warme Scmnieln.

Fest steht heute schon: Für viele Lehrgangstcilnclimer waren nach Beendigung der Volksrchulpflichr die Aussichten auf Erlernung cines Berufes fast aus- sichtslos. Erst in1 Laufe des Lehrganges stelltcn sich Filiigkeitcn und Intcr- csscn f ü r einen Beruf ein und wurden zu gcwisscn Fertigkeiten wcitcrcnt- wickelt. Es zeigte sidi audi, dag Schüler mit theoretisch shwachcn Lcistungcn sich im Laufe des Lehrgangs handwcrklich sclir sut eiitwi8clten. (Auszüge aus einem Bericht von Obcrstudiendircktor I-Iciiny, Gcn~erl>cschulc I I I in hlannlicini)

I I . Dtts Anlerizjabr f i i r Midchen (Auszüge aus cincni Bericht von Frau Dircktorin Mann, Stuttgart) Das sogenannte Anlcrnjalir ist cinc sozialpidagogische Einrichtung der Stadt Stuttgart. Es crfadt Entladschülcr der Stutcgartcr Sondcrschulcn in ciiicni frciwilligen Jahr. Der 1;esuch dcs Anlcrnjahrcs i s t fur dic Stuttgartcr Sdiüler koitcnfrci; Aus- w:irtigc bcznlileii zur Zcit 60,- DhI Schulgcid für das Salir, doch wird dcr Betrag in der Rcgcl von der Fürsorge Übcrnommcn. Der Zweck dcs Anlcrnjnhres ist, nicht nur Spitcntwicklern Zcit LU geben zur körperlichen und gcistigcn Entwickiung, sondern:

i. Bcrufsfindung; beim Sdiüler dcn Punkt zu finden, an dcm er anspricht, den Ansatzpunkt f ü r cine wirtschaftliche Tirigiceit.

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2. Bcrufsvorbcreitung: in der differenzierten Arbeitswelt den richtigen Ar- beitsplatz zu finden und den Sdiüler Icistuiigsmaßig dicsem Platz zuzu- fülircn.

3. Berufsfihig zu machen, das soll hcißcii: aus einem Sondcrschüler eine Arbeitskraft zu machen.

Die Methode, mit der wir diese Ziele zu erreichen suchen: 1. Die Bcrufsfindung crfordcrt cin Erkennen der Fähigkeiten und Neigungen.

Daher die Brcitc der Unterrichtsgcbietc: Hnuswirtschaft mit Kochcn, Hauswerk, z. B. Rcinigung der Wohnung und Kleidung, Gesundheits- und Siuglingspflcgc - um den Lcbcns- und Gc- fühlsbercich der Frau zu crschlicficn und mögliclist Kriftc zu aktiviercn. In der Wcrk,irbcit wird mit den vcrschicdcnstcn h,latcrialien gcnrbcitct; mit Bast und Stroh, Papier, Kunststoffcn und Wachstuch, Textilien und Filz. Es werden die verschiedensten Handgriffe und Tccliiiiken geübt, um die Handgcsdiicklichkeit zu fördern und zu erltcnncn. I n den schwicrigcten Fallen bringt die Stunde der \Viinschcrfüllung Hinweise auf die Berufs- cignung. Gelegentlich dürfen die Schilcr für dic Ictzte Untcrrichtsstunde Lcrnwünsche außcrn. D a komnicn wohl musisdie Wünsche: Singcn, Flöten; aber auch: Stenografic, Anlegen einer Kartei. \Siciin klare Wünsche auf- springen, ist in der Regcl die Stelle gefunden, nn der EinsFitzkrifte er- schlossen werden können.

2. Dic Berufsvorbercitung mug zuniichst vom Spiel zur Beschiftigung führen. Um Arbcitsfreudigkcit zu wecken, müssen Stüdtc gcfertigt werden, nicht nur Tcilarbeiten. Die Arbeit niuß cinen Zwedc liaben, muß sich lohnen. Von der Besdiifiigung zur Arbeit führt dic Vermittlung einer Arbeits- und Maschinentcchnik, wie sic erforderlich ist als Grundlage für die Fertigung. Uastclarbeit ist sinnvoll zur ErschlicBung von Phantasie und Gestaltungs- kraft. Will man jcdodi die Fertigstellung ganzer Gegenstnndc erreichen, so darf dic Technik iiidit zu viel Kraft erfordern, nicht Sclbstzwcck sein. Das beste ist, wcnn dic Schüler bald ihren eigcnen Arbcitsrhythmus finden. Dazu ist vieles Uben notwendig. Doch hilft es - neben der Förderung der Gc- sdiicklichkcit und der Steigerung des Arbeitstempos - in crstcr Hinsicht zur Förderung der Konzcntrationsfihigkcit und der willentlichen Leistung. Meisterinnen des Wasche-, Damenschneider- und Putzmachcrhandwerks fiilircn cin in handwerksmiifiigc Fcrtigung. Diese crfordcrt gute Arbeit, das Verbleiben von 6 Arbcitsstunden an demsclbcn Gegenstand, die Fcrti- gung cines ganzen Stückcs. Dics ist uncrlißlich, denn nur dadurch erkennt der Schüler dic Vielseitigkeit handwerklicher Arbeit und Fordcrung cincr- seits und dic Grenzen scincr Lcistungsfahigkeit andcrcrscits - bcides Vor- nussctzungcn f ü r dcn Entscheid: Handwcrk oder nicht? Entscheidet er sich für die Industric, so lernt er durch die handwerkliche Fertigung der Teil- arbeit vom Ganzcn hcr gcschen auch dic Bedeutung pünktlicher Klcin- arbcit kennen.

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3. Das Berufsfihig-, Bcrufsreifmachen birgt eine zweifache Erziehungsauf- gabe: Aus dem Sonderschuler soll ein guter Arbeiter werden, der den Mut zur Arbeit hat und die Hemmungen überwindet, die den Sonderschuler belasten. Hier gilt es, Freude an der Leistung zu geben durch Beachten und Anerkennen jeder Bcniühung; den Willen zur Leistung zu wecken durch Anreize: Wettbewerbe, Bereiten kleiner Freuden. Und: Aus dem Conderschiiler soll ein guter hlitarbciter werden; erfolgt doch das Ausscheiden aus einem Betrieb selten auf Grund mangelnder Leistung, meist aber durdi Versagen gegenüber den Mitarbeitern. Zunächst niuB der aus der Sonderschule Kommende Icrneii, sich in der Gewerbe- schule einzuordnen oline aufzufallen. E r muB einen Leistungsrnaßstab ge- winnen und anerkennen und seine Arbeit neben der anderer sachlich werten. Um auf die Gruppenfertigkeit zu erziehen, wird bei der Gruppen- arbeit die Leistung der Gruppe gewertet. Hier entscheidet die Zusammen- arbeit und gegenseitige Hilfeleistung. In einer Wochenstunde arbeitet jede für die Mitschüler. Dadurch erhalt jedes die Gelegenheit, Freude zu be- reiten und an einer tragenden Gemeinschaft mitzubauen. Daher steht beim Anlernjahr im Vordergrund: das Erkennen wirtschaft- licher Begriffe und Werte, das Einführen in wirtschaftliches Denken und nicht das Rechnen, Lesen usw. - Sclbstverst5ndlich geht es um die Er- haltung und Förderung der Allgcnieinbildung - doch nicht als Selbst- zweck. Und ger'ide diese Akzentverschicbung, durch die hinter den Zahlen (z. B.) das reale Leben sichtbar wird, wirkt oft Überraschendes Interesse iind Verstindnis. Wie ist nun der Erfolg des Anlernjalircs? Können alle, die freiwillig das Anlernjalir besudien, der Erwerbstatigkeit zugeführt werden? Asoziale Elemente können sidi suf kcinem Arbeitsplatz einfügen und halten; sie werden nadi wiederholten Schwierigkeiten Zuni Sdiutze der Mitschülerinnen nach dem 1 . Halbjahr ausgescliiedcn (hödistens 1 Scliülcrin im Jahr). Wer das Anlernjahr voll durchliuft, konnte noch stets mit Hilfe des Arbeits- amtes einen Arbeitsplatz finden. Kranke mir seelischen Belastungen kbrincii jcdodi ini freien Lebeiisraum nicht bestehen, brauchen für ihre Privatperson die Geborgenheit einer Anstalt, auch wenn sie dort Arbeitskraft sind, und werden einer solchen zugeführt. Die Unterbringung in der \VirtschaR (als Durditdinitr der letzten 5 Jahre) war: In der Hauswirtschaft: ini Privntliaushalt, Heini, Krankenliaus, in der Grof3küclic, am Büfett 30 O / o

In der Industric: in Textil-, Bekleidungs-, Sdiuhfabriken, Verlags- ansralten, in der Kartonage, Groi3mischerei 45 QI0

I m Handwerk: WSschc-, Damenschncidcrei, Putzrnaclicn, 315

Friseuse, Blumenbinderin 20 010

I m Handel: als Verknufcrin und im Büro 5 O10

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Problemc des Anlcrnjahres sind: Was ist zu empfehlen: das Anleriijahr mit 36 Wochenstunden oder die Heimerziehung? Diese Frage dürfte durch das Elternhaus entschieden wer- den. Ist das Elternhaus intakt, so daß Schule und Elternhaus zusammen- arbeiten, kann vor allem der Jugcndlidie auch fernerhin seine Gcborgen- heit im Elternhaus bchaiten, so ist das Anlcrnjahr das Richtige. Andern- falls die Heinierziehung. Wozu ist den Jugendlichen zu raten: Handwerk oder Industrie? Allgemein dürftc gesagt wcrdcn, daß dic Anlcrnlingc immer eine Hilfs- kraft blcibcn. Dann finden sic bei der Industrie eine bcssere Bezahlung und bcssere Sozialeinrichtungcn. Welchc Lehrkraft gehört an das Anlcrnjahr? Das Anlernjahr sollte nicht die Unrerrichtsniethodc der Sonderschule wcitcrführen; es soll ja dcn Son- dcrscliülcr in das Lebcn der Erwachsenen und der Wirtschaft führen. Dies kann aber nur eine Gcwerbelehrerin, die die Konflikte kennt, die der Ein- tritt in den Bctricb aufwirft. Sclbstverstindlich mit cincr Fachkraft der Hauswirtschaft und mit Meisterinnen verschiedener Handwerkszwcigc.

Beidc Berichte sind cntnommcn aus: ,,Die Gestaltung der Heimerzichung angesichts des Strukturwandcls in der gcgenwartigen Arbeitswelt", in: ,,Neue Scliriftenreilie des allgemcinen Fürsorgccrzichungstages", Heft 13/1958.

(45) Berufcgrundschiiìe Hibernia Dic im Stickstoffwcrk der Bergwerksgcscllschaft Hibernia AG., Wanne-Eickel, betricbene Berufscrzichung glicdcrt sich in die drei Berciche einer prak- tischen, theoretischen und künstlerischen Schulung. Alle drei Erzichungsbercichc vcreincn sich zu einem lebcndigcn Zusammenwirken. Das Ziel ist, in dicscr Altersstufe noch den ganzen Mensclien zu crfasscn und ilim eine in die prak- tische Lebensbewdlirung fülircnde Bildung zu vermitteln. praktische Schulung Die praktidhe Schulung will den jungen Menschen den Weg vom schöpfe- rischcn Gestalten mit dcr Hand über den zunehmenden Gebrauch von Werk- zcug zum Arbeiten mit mechanischen und rnaschinellcn Hilfsmittcln führen. Nicht nur die Vermittlung spczicllcr Fertigkcitcn, sondern dic Entwicklung allcr im jungen Menschen ruhenden Veranlagungen ist ihre Aufg.ibe. Einc für alle Sdikler gleiche praktische Allgemeinbildung bildet darum ihrcii Anfang und rnuß jeder spiter notwendigen Spczialisierung voraiigclicn. Theoretiscl~e Schulung Dic ihcoretisclie Schulung wird in den bcidcn Sdiuljahren sowohl als all- gcnicinbildcnder wie auch als bcrufsbildcnder Unterricht gcgcbcn. Bci dicscm Unterricht hat nicht die Vcrrnittlung von Kenntnissen dcn Vor- rang, sondern das Einführen dcs jungen Menschcn in ein selbstindiges dcnkcrischcs Erfassen der Welt. Ist doch das sclbstindige Urtcilsvcrmögcn jedes cinzelucn hfenschen eine Forderung, die uns heute aus allen Bercichen dcs sozialen Lebens cntgcgcntritt. Je mchr wir im titigen Gcsdichen den

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Mensdieii in die Spezialisierung treiben, urn so starker rnul3ten wir ihn in seinem Bewuiitsein Universnlitit, Uberschau und Verständnis für das Ganze geben. Diese Fihigkciten eines sclbstindigen Urteils, in denen zugleidi die Möglichkeiten zur Verantmortungsfreude und zur bewuBten Lebensfreude begründet sind, können aber im jungen hfensdien erst mit seinem Durchgang durch die Pubertit gepflegt und entwickelt werden.

Kiitzstlerische SC/Jlllling Durch die mit der Arbeitsteilung verbundene Spezialisierung der einzelnen ArbcitsvorgQnge ist der arbeitende h.Icnsch streng an die Einhaltung von Maß und Norm gebunden; er arbeitet dann notwendig in einer relativ hohen inneren Unselbstindiglicit. Die in jedem Menschen veranlagten Fihigkeiten zur sdiöpferisdieii Eigenfertigkeit und zur praktischen Phantasie müssen darum besonders gepflegt werdcn, sollen sic nicht schon beim heranwachsenden Men- schen verküninicrn. Das gcscliieht durdi das Iíiinstlerisdie Tun. Dieses künstle- rische Schaffen erleben die Sdiüler im Schmieden und Treiben, ini Sdinitzcn und Plastizieren und im ersten Lclirjalir auch ini Zeichnen und Malen. Neben diesen bildnerischen Unterweisungen, die immer wieder epochenweise inncrlialb der praktischen Arbeitszeit gegeben werden, dient der künstle- risdien Bildung audi dJs Laienspiel, das Musizieren iind Singen und auch die Sprachcrzieliung, die von Zeit zu Zeit vor Beginn des Unterrichts mit den jungen htenschen gepflcgt wird.

Vom Beginn des Schuljahres 1958159 an sind die Einrichtungen des Stickstoff- werkes Hibernia durdi das Kultusministerium des Landes Nordrliein-West- falen als Ersatzschule anerkannt; die Anerkennung wurde für eine zweijihrige Berufso,rundsdiulc mit daran ansdilieí3ender ein- bzw. einundeinhalbjahriger Berufssdiiilc ausgesprochen. I n den ersten zwei Jahren ihrer beruflichen Aus- bildung sind darum nunniehr die Jugendlichen im Stickstoffwerk Hibernia Sdiüler; erst vom dritten Ausbildungsjalir an gelten sic als Lehrlinge.

*

* Die Arbeit in der Berufsgriindschule Hibernia gründet auf dem Gedmkengut der W'aldorf-P2dagogik. Vgl. dazu: Steincr, R.: ,,Drei Vortrigc über Vollíspadagogik", Dornach 1944. Koegel, F.: ,,Vorn Spiel durch die Schule zur Arbeit im praktischen Leben', in: ,hlcnsdienschule", Hefte 1-3/1957, Basel. ,,Die Wandlungen unserer Zeit und die neue Bildungsaufgabe." Herausgegeben vom Bund der Freien Waldorfsdiulen e . V., Stuttgart 1957. Dr. K. J. Fintclniann, der Begründer der Hibernid-Schule, hat über seine Arbeit geschrieben in der BPZ, Hefte 511956, 1 und 7/8, 1958, iii ,,Die Deutsche Berufs- und Fadisdiule", hTr. 2/1956 und Nr. 10/1957, in ,Offene Welt", N r . 5511958: ,,Warum brauchen wir ein 9. und lO.Schuljahr?" und in ,Die berufliche Erziehung", Bern, Februar 1958: ,,Künstlerisdi-handwerkliches Tun als Brücke vom Spiel des Kindes in cine technische Arbeitswelt".

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_. . __. . . . -

(16) Für die Bcrufserziehung der Jungarbciter ist in Wolfenbiittel mit Unter- stützung des Niedersichsischcn Kultusministeriums ein Versuch an der Kreis- berufsschule seit mehreren Jahren iin Gange, der noch nicht abgeschlossen ist, aber schon beachtlidie Ergebnisse erbracht hat. Nachfolgend eine kurze Uber- sicht von Gewerbeoberlehrer Wiernann, dem Leiter dcs Versuchs: Der Landkreis Wolfenbüttel als Sdiülereinzugsgebiet ist überwiegend land- wirtschaftlich orientiert. Die Beschiffigungsstruktur wird jedoch vorwiegend von den Industriezentren der Stadt Braunschweig, der Reichswerke Salzgittcr und auch dcs Volkswagenwcrkcs Wolfsburg bcstimmt. Anforderungskatalog:

Für die rund 100 Jungarbeitcr aus der gcwerblidien Wirtschaft ist folgender Anforderungskatalog erarbeitet worden:

Anfordcrungcn Anforderungcn Anforderungcn manueller Art intellektueller Art moralischer Art

1. Handgeschicklidikeit 1. Praktischc Intclli- 1. Gemeinschafts- (Grunderfahrungen im gcnz fahigkeit Umgang mit Werkstoffen, (Fähigkeit, sich im (Sittliches Ver- Werkzeugcn und techni- technischen Ge- halten, Vcrant- schen Verfahren) staltungsraum zu- wortungsbereit-

rechtzufinden) Schaft)

2. Fertigkeiten in einfachen 2. Technische Ele- 2. Arbcitsfreude Arbeitcn mit verschiedenen mcntarkenntnisse (Zuverlässigkeit, Werkstoffen Ordnungsliebe,

Arbeitsdisziplin) Räumlichkeiten der Einrichtung: Der hier gestellten Aufgabe entsprechend, müssen drei Grundräume gefordert werden: Klasse, Laboratorium, Werkstatt. Die Raume müssen einander so zugeordnet sein, dai3 ein korrespondierender Unterricht möglich ist. Leidcr fehlt in diesem Schulversuch das Laboratorium, besondere Einrichtungen in der Klasse helfen diesem Mangel ab. Größen: Klasse 70 m2, Werkstatt 70 m2, hlaschincnraum 35 m2, Werkzeug- ausgabe 12 mo, Schmiede 10 mz, Materialraum 40 m2. Einrichtungen der Werkstatt: Für Metall- und Holzbearbeitung sind je 12 Arbeitsplätze vorhanden, eben- falls alle notwendigen Gemeinschaftswerkzeuge. Die Maschinen sind vor- wiegend in Kleinausführung vorhanden: Krcissige mit Langlochbohrvor- riclitung, Bandsäge, Abrichthobelmaschine, Bandschleifmaschine, Tischfras- maschine, Drechslerbank, E.-Laubsige, Mcchanikerdrehbank, Hubsage, Doppel- schleifmaschine, zwei Tischbohrmaschinen, i Motor mit biegsamer Welle. Cdimiede: 1 E-Härteofen, 1 Schmicdeeinrichtung, 1 A- und 1 E-Schweißgerät. Elektroversuchseinrichtung: 1 fahrbarer Versuchstisch mit 14 auswechselbaren Versuchsplatten.

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Unterriditsplan: Die Jugendlichen besuchen wihrcnd dcr dreijahrigen Berufsschulpflichc i20 Tage zu je 8 Scunden die Berufsschule. Wahrend dieser Zeit durchlaufen sic einen planm5ßigcn Lehrgang in Holz, Metall und E-Tedinik. Der Plan gliedert sich vertikal in drei Abschnitte: Eiiiiülirungsstufe, Handwerkliche Stufc, Technisch-industrielle Stufe. Horizontal sieht der Plan folgcnden Aufbau vor: Das führende Fadi dcs gcsaniten Unterrichts ist die Werkarbeit. Von hicr werden die übrigen I%iier, \S'erkzciclinen, Werkrcchnen, Werkstotfkunde, Werkzeugkunde, Vi'erkphysik und Wcrkchemie entwickelt. Für die Jugendlichen siditbar gliedert sidi der vertikale Plan in cine etwa 3 3 Grundmodelle umfassende Serie, die er herzustellen h.it. Als Ansporn und um der Leistuiigsdiffcrenzierung zu begegnen, ist jedem Grundmodeil eine Anzahl von Walilmodelleii zugeordnet, die zumeist eine Steigerung der Schwierigkeiten des betreffenden Unterrichtcproblems oder eine Kombination von Schwierigkeiten der bereits fertiggestellten Werkstücke darstellen. Der Pian, der bisher den Umgang mit Holz, Metall und E-Tedinik vorsieht, soll nodi um die Bearbeitung moderner Kunststoffe erweitert werden. Unterrichtsziele der drei Stufen:

I. Einführungsstufe: 1. Einfuhrung in die Arbeitswelt. 2. Gewinnung einer gemeinsamen ,,Werksprache"

im werkkundlichen Redinen und Zeichnen. 3. Einführung in das wcrkkundliche Denken

(Verarbeitung des Buches ,Vor der Arbeit überlege" von E. Oberndörfer, KlettiStutt- gart).

1. Erwerb grundlegender Erfahrungen im Um- gang mit Werkstoffen, Werkzeugen und Werkverfahren.

I I . Handwerkliche Stufe:

Der Wert des Werkstückes wird allcin von seiner Brauchbarkeit oline strenge Berücksichtigung gcnau eingehaltener Md3e und eingehaltener Zeit bestimmt. Individuelle Abwandlung der vorgegebenen Modelle i s t gestattet. III. Technisch-industrielle

Stufe: 1. Kenntnisse über die Wirkungen naturwissen- schafilicher Gesetze in der Technik.

2. Erkenntnisse der Abhhgigkeiten in der indu- striellen Fertigung in Maß und Zeit (Aus- tauschbarkeit der Teile).

3. Filiigkeit zur Gruppcnnrbeic.

Die Leistungsmessung wird von dem Einhalten der geforderten Prizision und der Kooperationsfahigiteit bescinimt.

Uiiterridicsverfahren: Im hfittelpunkt des Unterrichtsverfahrens steht als Projekt das anzufertigende Werkscück. Die Werkarbeit hat folgenden Ablauf:

I. Zielsetzung (Arbeitsauftrag). II. Demonstration. (Das Grundmodell wird in der Werkstatt einmal von

III . Planung. ( I I I diescni fur den Jungen wichtigsten Abschnitt wird die

IV. Ausführung der Arbcic.

VI. Auswertung der Arbeit im Unterricht. Dcr Junge bckoirimt für die Werkarbeit einen Arbcitsbegleitbogen in die Hand, dcn er bei dcr P lmung selbst bearbeitet. Er cnthilc folgende Punkte:

I I . Planung. (Zwcck des Wcrkstückcs, Werkstoff liste, Arbeitsfoigc, Werk- z e u g ~ , möglidie Fehler, Unfallgcf'ahr. I n der technisch-industriellen Stufe kommt noch die Zeitplaiiung und die Kalkulation hinzu.)

dem Lehrer ausgeführt.)

Demonstration vcrarbcicct und die eigene Arbeit vorgedacht.)

V. Beurccilung der Arbeit durch die Klasse und den Lehrer.

I. Arbeitsauftrag (von der Tafel abzuschreiben).

III. Beurteilung (in Noten). Auswertung der Werkarbeit im Unterricht: Die Werkarbeit aktiviert den Sdiüler für den Unterricht, sie wird zum Motivationskcrn des Unterridits überhaupt. Die gewonnene Erfahrung ist Ausgangspunkt für den Uncerrichc. Ablauf des naturn.isseiischaftlicheii Unterrichts: 1. Erfahrungen in der Werkstatt (z. B. Weichlöten). 2. Herausarbeiten cines naturwisscnschaftlicheii Gcsetzcs (z. U. Wirmc-

Strömung). 3. Suchcn und Erkennen dicscs Gesctzes in anderen Anncnduiigsbereichen

(2. B. Konstruktion der Kippflügelfcnstcr). Dieser induktive Weg ist be- sonders durch die Erfahrung fruchtbar; cin abstrakt entwickeltes Gcsetz findet bei diesen Schülern kein Verstiiidnis. Die deduktive Anwendung dicscs herausgc~rbcitctcn Gcsetzcs niacht cs dcni Jungen möglich, natur- wissenschaftliche Gesetze auch in anderen Zus'imnienhiiigen isoliert wiedcr- zucrkeiiiicn. Dieser Unterricht ist deshalb für den Jungen ein Beitrag zur Entwirrung dcr tcchnischen Erscheinungswelt.

Einsatz von Maschinen: Sowcit es wegen dcr Uiifallgcfahr vertretbar ist, werden in der technisch- industriellen Stufe Maschinen eingesetzt, um den Jungen unter Anleitung dcs Lehrers Sichcrhcit im Umgang mit Maschinen zu geben. Er lernt dic Mascliine als Hclfer mit ihren außerordcntlichcn Möglichkciten der Kraffersparnis, Leiscungsstcigerung und Präzision kennen. Hinzu kommt der Einsatz der Jungen in einer größeren Scrienarbeit (z. PI. 1CO Nistkxsten für dic Forst),

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wo es besonders auf den maxinialen Einsatz der Maschine, fliegender Pro- duktion und Kooperationsfaliigkcit ankommt. Bei dieser Arbeit gewinnt auch der Unterricht im Schriftverkehr neuen Reiz: Hier werden Viierkzcug- und Wcrk,toffausgabekartcn au.;geschricben, Maschinenkarten gelesen, Bewegungsstudien betrieben, Akkordlöhne beredinet US%'.

Elektro-Technik: Nach dcn VDE-Vorschriften dürfen Laien keine Hanticrungcn an Srarkstrom- anlagen vornehmen. D a aber von einem Industriearbeiter mehr als nur ein ,,Schaltverstäiidnis" in der Elektrotechnik verlangt wird, wurde angelehnt an das Buch ,,Rund um die Steckdose, Elektro-Technik für Nichtelcktriker' (von Roller, Schmidt, Steinhoff, Europa-Lchrniittelverlag) eine Elektrotechnik des Haushalts im Gauplattenprinzip entwickelt. Ein fahrbarer Versuchswagen 15ßt das Einsetzen, Austauschcn und Konibinieren dcr Platten zu. Allc Geri tc sind mit Schuko-Steckdosen versehen, so dag der Junge die Schaltung selbst vornehmen kann. Eine E-Technik des Berriebes soll nodi cntwickclt werden. Mit dicscni Bericht konnte die ganzc Brcite des Schulversuchcs nicht geschildert werdcn. Es muí3tc bei diesem groben AbriD bleiben. Insbesondere ist hier nidits gesagt wordcn von der Uberwindung der starken Leistungsdifferenzierung und Fluktuation in den Klasscn. Ebenfalls ausgclassen wurden die Erfahrungen in der Viierkstattselbstrerwaltung und der auBcrsdiulisclien Jugendpflcgearbeit, dic mit dicscn Jugendlichen gemacht worden sind. (Auszug aus: ,,Die Gcstaltuiig der Heimcrziehung angesichts des Struktur- w.indels in der gegenmirtigen Arbeitswelt", Heft 1311958 der Sdiriftenreihe des Allgem. Fürsorgecrzicliungsta~es, Hannover, Seite 58 ff.)

(47) Jaide, \V.: ,Neue Wcgc in das Berufsleben." In: \Vestermanns Padagogisdie Bcitrige, Heft 4!1957, Scite 159/194.

SEITE 24 (48) Schultze, W.: ,,Der Mittelbau im Rahmen einer Neugestaltung unseres Schul-

wesens." In: ,Pidagogische Forschung und PSdagogische Praxis", hcraus- gegeben von der Hochschule für Intcrnxionalc Pidagogisdie Forschung, Heidelber, 0 1958. Helmut SCHELSKY 5ußert sich in seiner Soziologie der deutschen Jugend bei ,,bewufitcr Grenzüberschreitung der soziologischen Analyse" zur Einrichtung eines 9. und 10. Volkssdiiiljahres wie folgt: ,,Nun besteht wohl kein Zweifcl, da& diese Lösung immer noch besser ist als der bestehende Zustand der vollen Betriebs- und Berufsschleusung der Jugend- lichen mit 14/15 Jahren. Aber die Aufgabe des Ubcrganges des Jugendlichen in die moderne Arbeitswelt wire damit kaum gelöst (selbst nicht mit ciner vom Sdiulbetrieb her nie optimal zu leistenden ,,Berufsfindung" oder mir sonstigen berufsbetonten Lchrplinen). Es ist sehr deutlich, da13 man si& mit dieser Lösung den lcichtercn Ubergang des Jugendlichen in die Arbeitswelt

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allein vor seiner gröBeren seelisch-charakterlidien Reife verspricht, die er in zwei Jahren institutioneller Verliingerung der Kindheit erworben haben wird. Die ,,Selbstverständlichkeit" dieser Lösung beruht nicht zuletzt darin, da13 sie am Modell der Mittelschule und Höheren Schule abgelesen ist, und damit einen sozialen Gewinn der Volksschulschülerschafi darzustellen scheint. Die Aufgabe eines erzieherisch institutionalisierten Uberganges des Jugendlichen in die moderne Arbeitswelt ist mit dieser blo13en Verlängerung des kindlichen Lebens- raumes (Schule) meines Erachtens ungelöst in dem Weiterbestehen der schroffen Strukturtrennung von voller Schulsituation einerseits und voller betrieblicher Berufstätigkeit und Arbeit andererseits hingengeblieben. Ebenso entspricht sie kaum den Verhalrensbedürfnissen dieser Jugendjahrgänge, die auf praktische Tatigkeit und Berufseinschleusung zielen, und es gehört wenig Prophetengabe dazu, um vorauszusagen, da8 die um ein 9. oder 10. Schuljahr verlangerte Volksschule einer im prinzipiellen Konflikt zur Sdiulsituation befindlichen Schülerschaft gegenüberstehen wird. Diese unter berufs- und arbeitserzieherischen Gesiditspunkten zu gestaltende Ubergangsinstitution, die den Jugendlichen von der Schule in den Beruf führt, miifire auch wirklich in ihrer eigenen Sozial- und Arbeitsstruktur Ubergangs- charakter haben, d. h. zwar noch betriebsungebunden und der vollen Zweck- rationalität des modernen Wirtschaftslebens nicht ausgesetzt sein, den Jugcnd- lichen in einem beruflichen ,,Schonraum" (E. Lippert) allein unter i iusl i i ldunp und Lehrziele und pidagogisch geschulte Leitung stellen, sie mü13te aber ebensogut die Sozial- und Tatigkeitssrruktur der Schule liinrer sich lassen und quasibetriebliche Organisationsformen und quasiberufliche Arbeitsstrukturen annehmen, um so die Einführung des Jugendlichen in die betriebliche Voll- berufstätigkcit optimal zu ermöglichen. Eine solche berufseinfiihrendc Er- ziehungsinstitution wäre also weniger in einer Aufstodrung der Volksschule als in der Einführung allgemeiner beruflicher Grundausbildungsjalire in all- gemeinen Lehrwerkstitten mit Werkstattbetrieb und Berufsschuluntcrricht unter der gemeinsamen Leitung von Berufsschullehrern und Meistern, mit gekürzter, aber der Form nach gewerblicher Arbeitszeitregelung, Erziehungs- beihilfen in Form der ,,Lohnza!ilung", Einführung in das Versicherungs- und Tarifwesen durch praktische Hmdliabung usw. zu sehen. Eine solche zwischen Volksschule und betrieblicher Arbeit sowohl ihrer Organisationsform als auch ihrer berufserzieherischen Methodik nach eigenstsndig aufgebaute Instutition würde offensichtlich sowohl der Entwicklungsreife als auch den Verhaltcns- bedürfnissen und -normen der heutigen Schulabginger entsprechen, wie nus der Einstellung der Jugendlichen zur Berufsschule, zu den Experimenten des Jugendaufbauwerkes usw. zu entnehmen war. Nun wollen wir allerdings keineswegs die Gestaltung der Erziehungsinstitutionen deduzierend von den Verhaltenstendenzen der Jugend abhangig machen; aber es ist zu fragen, ob hier nicht die in der Anpassung der Jugend an die industrielle Arbeitswelt zutage tretenden Verhalcensbedürfnisse auf eine institutionelle Lösung eines Oberganges des Jugendlichen von der Schule in Arbeit und Beruf hinweisen,

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die auch unter erzieherischen Gesichtspunkten insbesondere einer Pidagogik, die die Erziehungskrafb der modernen Arbeit und Berufstätigkeit fruchtbar machen will, sich als sachlich beste erweisen könnte."

(,,Die skeptische Generation", Düsseldorf 1957, Seite 300/301)

DJZU nimmt Walter Sdidtze wie folgt Stellung: ,,Ein Blidr über die deutschen Grenzen IäBt uns schnell erkennen, daß derartige Institutionen nirgend bestehen. Vielmehr gehen alle Entwicklungen dahin, die letzten Jahrgänge der Volksschuloberstufe so umzuwandeln, dag sie diese Aufgabe erfüllen. Schelsky hat sein Bild offensichtlich den deutschen Verhält- nissen entnommen. Seine sicherlich richtige Beurteilung der gegebenen Situarion zeigt aber, wie dringend notwendig es ist, daß wir Pidagogen selbst uns um die Gestaltung eines 9. und 10. Schulj,ihres bemühen. Dabei ergibt sich sehr bald, daß wir gezwungen sind, die Struktur der Volksschuloberstufe radikal anders zu sehen. Wenn wir den Gedanken einer berufstypisch-allgemein- bildenden Erziehung für den Schüler der Volksschuloberstufe bis zum 16. Lebensjahr zu Ende denken und dabei gleichzeitig im Auge behalten, daß die erste Stufe der Berufsausbildung möglichst mit dem vollendeten 18. Lebens- jahr abgeschlossen sein sollte, kommen wir in der Volksschule nicht darum herum, nicht nur eine Berufsvorbildung, sondern auch eine Bcrufsgrund- ausbildung zu leisten. Diese Umstellung hat erhebliche Konsequenzen für die Lehrlingsausbildung. Es wird nicht leicht sein, die Lehrherren von dieser Lösung zu überzeugen. Deshalb n iuß rechtzeitig daran gedacht werden, alle an diesen Fragen interessierten Kreise zu einer Aussprache über die damit ver- bundenen Teilprobleme zusammenzutihren. Leider haben wir in Deutschland immer noch nicht begriffen, dag es darauf ankommt, die breite 'Offentlichkeit auf notwendige Reformen im Schulwesen nicht nur frühzeitig vorzubereiten, sondern sie gleichzeitig für eine aktive Mitwirkung zu gewinnen.

Ein für diese Zwecke gestaltetes 9. und 10. Schuljahr madn für die Schule Einrichtungen erforderlich, die sie wahrscheinlich mehr als Werkplatz denn als allgemeinbildende Schule erscheinen I iBt . Die Jugendlichen werden nicht nur in Küchen, Nähräumen, Werkstätten, im Garten und auf dem Acker aus- giebig Gelegenheit haben müssen, ihre Berufseignung und Berufsneigung im praktischen Tun zu erkennen und Grunderfahrungen ihres Berufsfeldes zu erwerben; die Volksschule wird auch Lehrer und Meister in ihre Kollegien aufnehmen müssen, die eine solche Ausbildung durchführen können. Wenn wir bisher diese Klassen von der Volksschuloberstufe her konzipiert haben, so nur deshalb, weil es sich um Einrichtungen im Zusammenhang mit einer verlängerten Pflichtschulzeit handelt. Eine brauchbare Lösung ist aber nur zu finden, wenn der Denkansatz gleichzeitig von der Berufsschule her erfolgt."

(,,Pidagogisdie Forschung und pädagogische Praxis", Seite 1721173)

VgI. auch Riedel, J.: ,Der Jugendliche im Vorraum der Arbeitswelt" in: ,,Die Berufsbildende Schule", Hefi 8/9, 1958.

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