Bernhard Rang, Repräsentation & Selbstgegebenheit. Die Aporie der Phänomenologie der Wahrnehmung...

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1. Husserls Kritik der Bild/Zeichen-Theorie und die Zweigleisigkeit des Intentionalitätsbegrills 1.1. An einer bisher wenig beachteten Stelle der "Logischen Untersuchungen" räumt Husserl ein, daß sein Begriff von Intentionalität zweideutig ist. Im engeren Sinn sind nur solche Akte des Bewußtseins Intentionen, die auf mög- liche Erfüllungen verweisen. Aber, so heißt es weiter, Erfüllungen seien ja auch Akte und ebendeshalb auch Intentionen, d. h. auf Gegenstände gerichtet.7 Diese Unterscheidung zwischen einem "engeren" und einem "weiteren" Begriff von Intentionalität, die Husserl an der angeführten Stelle zu einer bloß termi- nologischen Frage herabzusetzen bemüht ist, kann jedoch nicht darüber hin- wegtäuschen, daß beide Begriffe aus sehr unterschiedlichen Problemstellungen 379 Zur Aporie der Selbstgegebenheit bei Husserl auch sonst Abbildtheorie und Zeichentheorie auf eine Stufe stellt, ist demnach kein Zufall. Wie der Lockesche Grundsatz zeigt und die weitere Entwicklung der empiristischen Erkenntnistheorie nach Berkeley und Hume bestätigt, erfolgt die Verdrängung der spätscholastischen Abbildtheorie durch die der neuen Naturwissenschaft scheinbar angemessenere Zeichentheorie auf dem Boden des cartesianischen Idealismus. 4 Zwar ersetzt dieser, wie sich schon in der Dioptrik Descartes' abzeichnet 5 , die Ähnlichkeit als Prinzip der Abbildung (similitudo) durch eine Isomorphie-Relation rein struktureller Art, behält aber gleichwohl das Prinzip der spätscholastischen Wahrnehmungstheorie, daß die Dinge nur mittels besonderer Stellvertreter im Bewußtsein (species intentionales sen- sibiles) erkennbar seien, wie selbstverständlich bei. Es ist deshalb kein Ana- chronismus, wenn Husserl explizit nur die Bildtheorie der Wahrnehmung widerlegt. Die Zeichentheorie ist nämlich mit widerlegt, solange in dieser Widerlegung nur von solchen Wesenszügen des Bildbewußtseins Gebrauch gemacht wird, die auch für das Zeichenbewußtsein gelten, also z. B. nicht vom Prinzip der Ähnlichkeit. 6 Im folgenden spreche ich daher öfters von der Bild/ Zeichen-Theorie des Bewußtseins. Husserls Kritik dieser Theorie speist sich jedoch aus verschiedenen Problem- bereichen und wird nicht zuletzt deshalb durch eine gegenläufige Tendenz teil- weise wieder paralysiert, die zu einer Erneuerung der kritisierten Theorie in modifizierter Form und damit in eine Aporie der Wahrnehmungsphänomenologie führt. Ich beschränke mich im folgenden darauf, dies an den frühen Schriften Husserls, vor allem an den Logischen Untersuchungen zu zeigen, und ziehe spätere Schriften nur in dem Maße heran, in dem sie die Problemstellung der frühen Schriften an dem einen oder anderen Punkt deutlicher hervortreten lassen. Der Begriff der Selbstgegebenheit wird daher auch nur als theoretischer Grundbegriff der deskriptiven Phänomenologie der Wahrnehmung und nicht als methodisches Prinzip der transzendentalen wie deskriptiven Phänomeno- logie des Bewußtseins überhaupt zur Sprache kommen. Repräsentation und Selbstgegebenheit Die Aporie der Phänomenologie der Wahrnehmung in den Frühschriften Husserls* Der Begriff einer die Sachen selbst originär gebenden Anschauung gilt mit Recht als Grundbegriff der Phänomenologie Husserls. Als methodologisches Grundprinzip zieht er die Forderung nach sich, die nur auf dem Boden der cartesianischen Erkenntnistheorie mögliche ontologische Frage nach der Exi- stenz der im vorstellenden Bewußtsein durch Ideen repräsentierten, d. h. durch sie stellvertretend gegebenen Sachenwelt (qua "Außenwelt") aus dem Aufbau der konstitutiven Phänomenologie auszuschalten, bezüglich dieser Frage me- thodisch epoche zu üben. Daß er sich zugleich als theoretischer Grundbegriff der Wahrnehmungsphänomenologie etabliert, ist nur eine Folge dieses methodi- schen Ansatzes. Durch ihn stellt sich die Phänomenologie die Aufgabe, den den verschiedenen Formen des Gegenstandsbewußtseins immanenten Sinn ohne Vorentscheidung für eine bestimmte Ontologie zu explizieren. Das Er- gebnis dieser Explikation ist, daß der Gedanke der Repräsentation und damit der Grundbegriff der cartesianischen Ontologie ein Explikat nur der sym- bolisch vermittelten Bewußtseinsformen ist, während es der Sinn von Wahr- nehmung gerade ist, symbolisch Repräsentierbares unmittelbar selbst, das heißt, nicht durch Repräsentation vermittelt zu geben. Mit dieser entschiedenen Abkehr vom erkenntnistheoretischen Cartesianis- mus verband sich für Husserl die Aufgabe einer phänomenologischen Kritik der Repräsentationstheorien der sinnlichen Wahrnehmung, die im Gefolge der Sinnesphysiologie Helmholtz'l und der empirischen Psychologie Brentanos und seiner Schule die Erkenntnistheorie im ausgehenden 19. Jahrhundert weit- gehend beherrscht haben. Ihnen gegenüber gilt es, wie Husserl in der zweiten der Logischen Untersuchungen hervorhebt, "das schon von Locke eingeführte Vorurteil" zu bekämpfen, daß der unmittelbare Inhalt des Wahrnehmungs- bewußtseins "als Repräsentant, als Zeichen oder Bild des nicht Bewußten fungiert"2. In der Tat übernimmt Locke die cartesianische Ontologie in einer semiotischen Interpretation, die die realistischen Spielarten der empiristischen Erkenntnistheorien bis Helmholtz und Brentano bestimmt. Lockes ontologi- scher Grundsatz lautet: " ... since the things the mind contemplates are none of them, besides itself, present of the understanding it is necessary that some- thing else, as a sign or representation of the thing it considers, should be present to it: and these are ideas."3 Daß Husserl an der zitierten Stelle und BERNHARD RANG

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Bernhard Rang, "Repräsentation und Selbstgegebenheit. Die Aporie der Phänomenologie der Wahrnehmung in den Frühschriften Husserls" (aus der FS Werner Marx, 1976)

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1. Husserls Kritik der Bild/Zeichen-Theorie und die Zweigleisigkeitdes Intentionalitätsbegrills

1.1. An einer bisher wenig beachteten Stelle der "Logischen Untersuchungen"räumt Husserl ein, daß sein Begriff von Intentionalität zweideutig ist. Imengeren Sinn sind nur solche Akte des Bewußtseins Intentionen, die auf mög­liche Erfüllungen verweisen. Aber, so heißt es weiter, Erfüllungen seien jaauch Akte und ebendeshalb auch Intentionen, d. h. auf Gegenstände gerichtet.7Diese Unterscheidung zwischen einem "engeren" und einem "weiteren" Begriffvon Intentionalität, die Husserl an der angeführten Stelle zu einer bloß termi­nologischen Frage herabzusetzen bemüht ist, kann jedoch nicht darüber hin­wegtäuschen, daß beide Begriffe aus sehr unterschiedlichen Problemstellungen

379Zur Aporie der Selbstgegebenheit bei Husserl

auch sonst Abbildtheorie und Zeichentheorie auf eine Stufe stellt, ist demnachkein Zufall. Wie der Lockesche Grundsatz zeigt und die weitere Entwicklungder empiristischen Erkenntnistheorie nach Berkeley und Hume bestätigt, erfolgtdie Verdrängung der spätscholastischen Abbildtheorie durch die der neuenNaturwissenschaft scheinbar angemessenere Zeichentheorie auf dem Boden descartesianischen Idealismus.4 Zwar ersetzt dieser, wie sich schon in der DioptrikDescartes' abzeichnet5, die Ähnlichkeit als Prinzip der Abbildung (similitudo)durch eine Isomorphie-Relation rein struktureller Art, behält aber gleichwohldas Prinzip der spätscholastischen Wahrnehmungstheorie, daß die Dinge nurmittels besonderer Stellvertreter im Bewußtsein (species intentionales sen­sibiles) erkennbar seien, wie selbstverständlich bei. Es ist deshalb kein Ana­chronismus, wenn Husserl explizit nur die Bildtheorie der Wahrnehmungwiderlegt. Die Zeichentheorie ist nämlich mit widerlegt, solange in dieserWiderlegung nur von solchen Wesenszügen des Bildbewußtseins Gebrauchgemacht wird, die auch für das Zeichenbewußtsein gelten, also z. B. nicht vomPrinzip der Ähnlichkeit.6 Im folgenden spreche ich daher öfters von der Bild/Zeichen-Theorie des Bewußtseins.

Husserls Kritik dieser Theorie speist sich jedoch aus verschiedenen Problem­bereichen und wird nicht zuletzt deshalb durch eine gegenläufige Tendenz teil­weise wieder paralysiert, die zu einer Erneuerung der kritisierten Theorie inmodifizierter Form und damit in eine Aporie der Wahrnehmungsphänomenologieführt. Ich beschränke mich im folgenden darauf, dies an den frühen SchriftenHusserls, vor allem an den Logischen Untersuchungen zu zeigen, und ziehespätere Schriften nur in dem Maße heran, in dem sie die Problemstellung derfrühen Schriften an dem einen oder anderen Punkt deutlicher hervortretenlassen. Der Begriff der Selbstgegebenheit wird daher auch nur als theoretischerGrundbegriff der deskriptiven Phänomenologie der Wahrnehmung und nichtals methodisches Prinzip der transzendentalen wie deskriptiven Phänomeno­logie des Bewußtseins überhaupt zur Sprache kommen.

Repräsentation und Selbstgegebenheit

Die Aporie der Phänomenologie der Wahrnehmungin den Frühschriften Husserls*

Der Begriff einer die Sachen selbst originär gebenden Anschauung gilt mitRecht als Grundbegriff der Phänomenologie Husserls. Als methodologischesGrundprinzip zieht er die Forderung nach sich, die nur auf dem Boden dercartesianischen Erkenntnistheorie mögliche ontologische Frage nach der Exi­stenz der im vorstellenden Bewußtsein durch Ideen repräsentierten, d. h. durchsie stellvertretend gegebenen Sachenwelt (qua "Außenwelt") aus dem Aufbauder konstitutiven Phänomenologie auszuschalten, bezüglich dieser Frage me­thodisch epoche zu üben. Daß er sich zugleich als theoretischer Grundbegriff derWahrnehmungsphänomenologie etabliert, ist nur eine Folge dieses methodi­schen Ansatzes. Durch ihn stellt sich die Phänomenologie die Aufgabe, denden verschiedenen Formen des Gegenstandsbewußtseins immanenten Sinnohne Vorentscheidung für eine bestimmte Ontologie zu explizieren. Das Er­gebnis dieser Explikation ist, daß der Gedanke der Repräsentation und damitder Grundbegriff der cartesianischen Ontologie ein Explikat nur der sym­bolisch vermittelten Bewußtseinsformen ist, während es der Sinn von Wahr­nehmung gerade ist, symbolisch Repräsentierbares unmittelbar selbst, dasheißt, nicht durch Repräsentation vermittelt zu geben.

Mit dieser entschiedenen Abkehr vom erkenntnistheoretischen Cartesianis­mus verband sich für Husserl die Aufgabe einer phänomenologischen Kritikder Repräsentationstheorien der sinnlichen Wahrnehmung, die im Gefolge derSinnesphysiologie Helmholtz'l und der empirischen Psychologie Brentanos undseiner Schule die Erkenntnistheorie im ausgehenden 19. Jahrhundert weit­gehend beherrscht haben. Ihnen gegenüber gilt es, wie Husserl in der zweitender Logischen Untersuchungen hervorhebt, "das schon von Locke eingeführteVorurteil" zu bekämpfen, daß der unmittelbare Inhalt des Wahrnehmungs­bewußtseins "als Repräsentant, als Zeichen oder Bild des nicht Bewußtenfungiert"2. In der Tat übernimmt Locke die cartesianische Ontologie in einersemiotischen Interpretation, die die realistischen Spielarten der empiristischenErkenntnistheorien bis Helmholtz und Brentano bestimmt. Lockes ontologi­scher Grundsatz lautet: "... since the things the mind contemplates are noneof them, besides itself, present of the understanding it is necessary that some­thing else, as a sign or representation of the thing it considers, should bepresent to it: and these are ideas."3 Daß Husserl an der zitierten Stelle und

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hervorgegangen sind, die Thema und methodischen Sinn der Phänomenologiemaßgeblich bestimmt und speziell Husserls Kritik des Repräsentationalismusentscheidend beeinflußt haben.

Es fällt auf, daß Husserl in den Logischen Untersuchungen überall dort, woer von der Irrelevanz der Existenz des Intendierten für das Wesen des inten­tionalen Erlebnisses spricht, seine These - die Vorform des Prinzips der tran­szendentalen epoche _ mit Beispielen belegt, die offensichtlich dem Problem­komplex der sogenannten gegenstandslosen Vorstellungen entstammen, derdurch die Rezeption der Logik Bolzanos im Psychologismus der Brentano­Schule eine große Rolle gespielt hat. In sich widersprüchliche Sprachbildungenwie "rundes Viereck"8, mythologische Vorstellungen - Husserl nennt in frühenArbeiten Wörter wie "Jupiter"9, "Gott"10, "Cerberus"l1 als Beispiele mythologi­scher "Fiktionen" _ und schließlich durch willkürliche Kombinationen ein­facher Wahrnehmungselemente gebildete Phantasieprodukte wie "goldenerBerg" u. dgl. scheinen, da die durch sie vorgestellten Gegenstände und Per­sonen nicht existieren, "gegenstandslos" zu sein und daher dem Wesen derVorstellung zu widersprechen, intentional auf Gegenstände bezogen zu sein.12

Für die Phänomenologie des intentionalen Erlebnisses besteht daher, nacheinem frühen Manuskript aus dem Jahr 1894, die Aufgabe, die "scheinbarkontradictorischen Aussagen: ,Jede Vorstellung stellt einen Gegenstand vor'und ,Nicht jeder Vorstellung entspricht ein Gegenstand' (7u) versöhne~".l3

Husserl sieht, in Dbereinstimmung mit Twardowski, daß dIe Vertreter emerTheorie der gegenstandslosen Vorstellungen von der unhaltbaren Annahmeausgehen, nur Existierendes - der Begriff "Existenz" bleibt bei i~nen wieübrigens auch in Husserls Replik unexpliziert - könne Gegenstand emer Vor­

'stellung sein.14 Der Gegenstandsbezug ist keine objektive Relation, der dieExistenz beider Relata wesentlich ist: "Für das Bewußtsein ist das Gegebeneein wesentlich Gleiches, ob der vorgestellte Gegenstand existiert, ob er fingiertund vielleicht gar widersinnig ist."15 Die scheinbare Paradoxie löst sich alsoauf in die zwei Sätze: "Jede Vorstellung stellt etwas vor" und "Nicht allesVorgestellte existiert", zwei Sätze, die sich in keiner Weise widersprechen.16

Noch bevor Husserl sich durch die Konfrontation mit dem Problem der ge­genstandslosen Vorstellungen veranlaßt sah, das W~sen ~er. Intentionalität alsVermögen des Bewußtseins zu bestimmen, auch NlchtexIst:erendes vo:stellenzu können, hatte er im zweiten Abschnitt der Psychologischen .Studlen zurelementaren Logik diesen Ansatz eigentlich schon überholt. DIe Annahmenämlich, jede Vorstellung stelle etwas vor, dessen Existenz prinzipiell p~o­blematisch wenn auch für die Phänomenologie des vorstellenden Bewußtsemsgleichgülti~ bleibt, erhebt den Gedanken der Repräsentation zum ~rinzip fürdas Bewußtsein überhaupt, gleichgültig ob dessen Vorstellungen SIch als b:­griffiiche Meinungen oder als Wahrnehmungen realisieren, und steht damItganz auf dem Boden der Cartesischen Zweisubstanzenlehre. Vorstellungen ­die seit Wolff übliche Verdeutschung von "ideae" - erheben nach Descartes

generell, einschließlich der Ideen der Sinnesinformation (ideae adventiciae),den Anspruch, Vollzug eines "cogitare" und Repräsentation des "cogitatum"in einem zu sein, so daß jede Idee "materialiter, pro operatione intellectus",und "objective, pro re per istam operationem repraesentata", betrachtet werdenkann,17 Diese Husserl durch Brentano vermittelte ontologische Homogenitätder Klasse der Vorstellungen (innerhalb der psychischen Phänomene) ist in denPsychologischen Studien Gegenstand seiner Kritik.1B Nur die durch Bilder oderZeichen angeregten "uneigentlichen" Vorstellungen erheben von sich her denAnspruch, etwas zu "repräsentieren", d. h., etwas, das nicht anschaulich prä­sent ist, durch etwas anderes, das anschaulich präsent ist, zu "intendieren" .19Intentionalität ist hiernach symbolisch vermittelte Repräsentation von etwas(als etwas) durch etwas, hat somit die formale Struktur von Vergegenwärti­gung. Damit ist (1) klar, daß Repräsentation als komplementären Begriff eineBewußtseinsform fordert, die die formale Struktur von Gegenwärtigkeit hat:Nur auf dem Boden von und im Hinblick auf ein unmittelbares Gegenwärtigenist ein Vergegenwärtigen sinnvoll und möglich. Diesen komplementären Begriffnennt Husserl "Anschauung" und zeichnet damit eine Bewußtseinsform aus,auf die jede intentionale notwendig bezogen sein muß. Es entfällt (2) nunnatürlich die Möglichkeit, der Anschauung selber Intentionalität zuzuschreiben.Nur auf dem Boden der Standardinterpretation der Intentionalität als Bewußt­sein von etwas (als etwas) - ohne jenes "durch", von dem oben die Rede war- wäre dies zulässig. Mit anderen Worten, Anschauung und angeschauter Ge­genstand müssen per definitionem koinzidieren. Intentionaler Gegenstand istnunmehr die Anschauung selbst als Gegenstand einer repräsentativ vermittel­ten Intention. Demgemäß spricht Husserl in den Frühschriften häufig von "in­tendierter Anschauung" .20

Eine Gegenüberstellung der beiden möglichen Bedeutungen der von Husserlformelhaft gebrauchten Wendung "bloß intentionaliintendiert" zeigt den Be­deutungswandel im Begriff der Intentionalität sehr deutlich an: Während inner­halb des Problemkreises der gegenstandslosen Vorstellungen etwas "bloß in­tendiert" heißt, wenn es fiktiv oder in sich widersprüchlich ist, d. h. wenn esnicht existiert, nennt Husserl in den Psychologischen Studien etwas "bloß in­tendiert", wenn es nur repräsentiert ist, d. h. nicht anschaulich präsent ist.21

Auf der Ebene der propositionalen Vorstellungen, der Aussagen, bedeutet dies,daß aufgrund des erstgenannten Intentionalitätsbegriffs eine "bloße Meinung"eine Meinung ist, die falsch ist, während nach dem anderen Begriff von Inten­tionalität eine "bloße Meinung" eine Meinung ist, die sich noch nicht durchsinnliche Anschauung oder Beobachtung als wahr ausgewiesen hat, es mithinbei einer "bloßen" Meinung grundsätzlich offen bleibt, ob sie wahr oderfalsch ist.

1.2. Husserls Kritik der Bild/Zeichen-Theorie des Bewußtseins durchläuftzwei Stufen, die den beiden Konzeptionen von Intentionalität genau ent­sprechen. Nebeneinander findet man beide Stufen in der Beilage zu § 11 und

.Im

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§ 20 der fünften der Logischen Untersuchungen. Während deren erster Ab­schnitt die fortgeschrittenste Form der Husserlschen Kritik wiedergibt, ist derzweite Abschnitt als Vorform dieser Kritik im Zusammenhang mit dem Pro­blem der gegenstandslosen Vorstellungen anzusprechen.

a) In seiner ersten Auseinandersetzung mit Twardowski kritisiert Husserldie "falsche Verdoppelung" der Welt, die sich aus der Annahme ergibt, derintentionale Gegenstand sei ein dem Bewußtsein immanentes Bild des wirk­lichen, dem Bewußtsein transzendenten Gegenstandes.22 Diese Annahme isteine "theoretische Fiction"23, die nur zu dem Zweck gemacht wird, das Pro­blem der gegenstandslosen Vorstellungen zu lösen: Jede Vorstellung habe, sowird postuliert, einen intentionalen Gegenstand, aber nicht jeder intentionaleGegenstand - z. B. der durch das Wort "Cerberus" genannte - sei Bild eineswirklichen. Diese Annahme verkennt das Wesen eines Bildes ebenso wie dasWesen des Gegenstandsbezuges: "Die Bilder sollen die vorgestellten Gegen­stände sein, von denen es wahrhaft heißt: Jede Vorstellung stellt einen Gegen­stand vor. Die entsprechenden Dinge sollen andererseits die vorgestellten Ge­genstände sein, von denen es abermals gültig heißt: Nicht jeder Vorstellungentspricht ein Gegenstand. Aber wie, ist in dem Sinne der oben erörterten,scheinbar oder wirklich kontradictorischen Sätze nicht gelegen, daß jeweilsder sei be Gegenstand, der vorgestellt ist, existiert bzw. nicht existiert?Dasselbe Berlin, das ich vorstelle, existiert auch, und dasselbe würde nichtmehr existieren, bräche ein Strafgericht ein, wie bei Sodom und Gomorrha.Derselbe Centauer Cheiron, von dem ich jetzt spreche, ... existiert nicht."24Der schlichte Hinweis auf die Selbigkeit des vorgestellten und des wirklichenGegenstandes reicht hin, um die Deutung des intentionalen Gegenstandes alseines bewußtseinsimmanenten "geistigen Abbildes" und die damit verknüpfteBehauptung von der Äquivozität des Terms "vorgestellter Gegenstand"25 adabsurdum zu führen. Denn niemals kann ein Bild dasselbe sein wie das vonihm Abgebildete, da kein Bild sich selbst abbildet. Es ist nur eine andereWendung desselben Arguments, wenn Husserl sagt: "... der immanente (in­tentionale) Gegenstand kann kein anderer sein als der Gegenstand seI b s t."26In nahezu wörtlicher Ubereinstimmung wiederholt Husserl diese Argumen­tation in den Logischen Untersuchungen.27

b) Während das eben geschilderte Argument ohne eine Phänomenologie derWahrnehmung, ja ohne den bescheidensten Begriff von ihr auskommt, setztHusserls zweiter, wesentlich tiefer dringender Anlauf, die Bild/Zeichen-Theoriezu widerlegen, den Begriff der Intentionalität als anschauungsbezogene und an­schauungsvermittelte Repräsentation und damit die deskriptiv-phänomenolo­gische Analytik der Wahrnehmung als Selbstgebung voraus. Denn der Bild/Zeichen-Theorie des Bewußtseins soll nun nachgewiesen werden, daß sie amProblem der Wahrnehmung scheitert. Zu prüfen ist, ob es deskriptiv gerecht­fertigt ist, "hinsichtlich einer schlichten Wahrnehmung ernstlich von einem ihreinwohnenden ,Wahrnehmungsbild' zu sprechen, ,mittels' dessen sie sich auf

die ,Sache selbst' beziehe" .28 Es wird hierbei also das Ergebnis des obigenArguments (a), daß man in der Vorstellung, ob nun mit oder ohne Vermittlungeines Bildes, immer die Sache selbst meint, bereits als gültig unterstellt undgefragt, ob in der Wahrnehmung die Sache selbst nur gemeint oder auchgegeben ist.

Daß dies das eigentliche Beweisziel der Kritik der Repräsentationstheorie ist,die Husserl im 1. Abschnitt der erwähnten Beilage vorführt, wird dadurch ver­dunkelt, daß Husserl in manchen Formulierungen die Bild/Zeichen-Theorieauf die Annahme festzulegen scheint, im Bewußtsein sei ein Bild/Zeichen deswirklich Seienden, ohne als Bild/Zeichen ver s t a n den zu sein, das heißt,ohne auf das wirklich Seiende als dessen Bild/Zeichen intentional bezogen zuwerden.29 Gegen diese Annahme wiederholt Husserl scheinbar nur den unter(a) referierten Einwand, "daß diese Auffassung den wichtigsten Punkt völligübersieht, nämlich daß wir im bildlichen Vorstellen auf Grund des erschei­nenden ,Bildobjekts' das ab g e b i 1d e t e Objekt (das ,Bildsujet') me i _ne n ".30 Sollte Husserl mit diesem Einwand nur sagen wollen, der Repräsen­tationalismus übersehe die Verweisungsstruktur eines symbolisch oder ikonischvermittelten Bewußtseins, dann ginge seine Kritik weitgehend ins Leere: Schonfür den Standpunkt Lockes ist fraglich, ob er bestreiten will, daß wir aufgrundder erscheinenden Ideen nicht immer die nichterscheinenden Ideate, die Dinge,meinen.3l Spätere Theorien dieser Art, wie z. B. die Abbildtheorie NicolaiHartmanns, erkennen in der Tatsache, daß wir im Bild das Abgebildete _ dieSache selbst - meinen, sogar das grundlegende Prinzip der Erkenntnistheorie.32Dem eigentlichen Sinn der Husserlschen Uberlegungen in der erwähnten Bei­lage wird man nur gerecht, wenn man sie nicht als Konstatierung dieser Tat­sache, sondern als Explikation der Bedingungen ihrer Möglichkeit versteht. Da­her richtet Husserl an die Vertreter der kritisierten Theorie im Anschluß anseinen Einwand die Frage: "Woran liegt es also, daß wir über das im Bewußt­sein allein gegebene Bild hinauskommen, und es als Bild auf ein gewissesbewußtseinsfremdes Objekt zu beziehen vermögen?" Nicht die Tatsache derintentionalen Gegenstandsbezogenheit des Bewußtseins, sondern die Bedingun­gen, unter denen allein dieser Gegenstandsbezug durch ein wie immer näher zubestimmendes "Bild" vermittelt sein kann, sind das, was nach Husserl derRepräsentationalismus übersieht.

In Husserls Analyse schälen sich drei solcher Bedingungen heraus. Da einBild etwas darstellt, was es selber nicht ist, kann es (1) als Bild nur verstandenwerden durch ein aus der bloßen Sinneswahrnehmung unableitbares Wissenum den Unterschied von Sein und Dargestelltsein, durch ein "eigenartiges",von der Wahrnehmung sich abhebendes "intentionales Bewußtsein"33, das"einem primären und wahrnehmungsmäßig ihm erscheinenden Objekt durchseine '" imaginative Apperzeption erst die ,Geltung' oder ,Bedeutung' einesBildes verleiht".34 Schon die Tatsache, daß die Bildfunktion eines Bildes aufihm nicht mit abgebildet ist, beweist die Irreduktibilität des Bildbewußtseins

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auf das Wahrnehmungsbewußtsein. Außerdem sind Bilder, insofern sie Arte­fakte sind, ihrem Herstellungs- und Verwendungssinn nach relativ zur Lebens­praxis des Menschen35: "Das Gemälde ist nur Bild für ein bildkonstituierendesBewußtsein."36 Husserl gebraucht hierfür auch die Wendung, "Bildlichkeit" seikein "reales Prädikat" wie z. B. "rot" oder "kugelförmig"37, d. h. keine Natur­eigenschaft. Demnach kann etwas nur dann ein Bild sei n, wenn es auch alssolches g e w u ß t wird, eine These, die natürlich nicht psychologisch mißver­standen werden darf. ObwoW also Wahrnehmung keine hinreichende Be­dingung für ein Bildverständnis ist, so doch eine notwendige, und zwar indoppeltem Sinne. Einmal bleibt, da ein Bild nicht nur etwas abbildet, sondernauch an ihm selber etwas ist, das Bildverständnis (2) in einer den Bildsinnvermittelnden Wahrnehmung des "Bildobjekts" notwendig "fundiert",38 Aufder anderen Seite gehört zum Sinn eines Bildes/Zeichens (3) die prinzipielle,wenn auch faktisch oft nicht mehr realisierbare Zugänglichkeit des Abgebilde­ten/Bezeichneten durch unmittelbare Wahrnehmung. So kann beispielsweiseeine Wolkenbildung bestimmter Art als Zeichen für "Regen" nur gelten, wenneine unmittelbare, nicht zeichenvermittelte Erfahrung von Regen vorhergegan­gen ist, und man im lebenspraktischen Verhalten selbstverständlich von derstillschweigenden Annahme ausgeht. daß sie jederzeit wieder gemacht werdenkann. Auch dann, wenn der direkte Zugang zum Repräsentat abgeschnitten ist,bleibt er für den Sinn der Repräsentation konstitutiv. Das Porträt einer histo­rischen Person verweist implizit auf die unmittelbare, wenn auch einer ver­gangenen Epoche angehörende Begegnung des Malers mit seinem Modell, ohne,die es nicht hätte entstehen können, und außerdem auf die ideelle Möglichkeiteiner solchen Begegnung auch für den heutigen Betrachter, wenn er zu jenerZeit gelebt hätte. Stets verweist ein Bild oder ein Zeichen seinem eigenenSinn nach "auf mögliche und in neuen Akten sich vollziehende Erkenntnis­zusammenhänge, in welchen die bildliehe Intention sich erfüllen und somit dieSynthesis zwischen Bild und vergegenwärtigter Sache sich realisieren würde" ,39

Aufgrund dieser Bedingungen, die erfüllt sein müssen, wenn ein Bildver­ständnis (bzw. Zeichenverständnis) sich konstituiert, läßt sich die Kritiksystematisieren, die Husserl an der Bild/Zeichen-Theorie des Bewußtseins übt.Das Argument, daß eine radikal durchgeführte Repräsentationstheorie ent­weder sich selbst aufhebt oder sich in einen regressus ad infmitum verwickelt,geht von dem durch die Bedingung (2) festgelegten Zwei-Stufen-Modell derRepräsentation aus: "Setzt darnach die Auffassung als Bild schon ein demBewußtsein intentional gegebenes Objekt [das Bildobjekt als materiellerTräger des Bildsinns] voraus, so würde es offenbar auf einen unendlichenRegreß führen, dieses selbst und immer wieder durch ein Bild konstituiertsein zu lassen, also hinsichtlich einer schlichten Wahrnehmung ernstlich voneinem ihr einwohnenden ,Wahrnehmungsbild' zu sprechen, ,mittels' dessen siesich auf die ,Sache selbst' beziehe" .40 Diesem Argument, dem Husserl offenbarbesondere Bedeutung zumißt, da er es in den Ideen zu einer reinen Phäno-

menologie und phänomenologischen Philosophie I im Zusammenhang mit derunter (a) erörterten Frage nach dem Sinn und dem Recht der Unterscheidungzwischen intentionalem (immanentem) und wirklichem (transzendentem) Ob­jekt wieder aufnimmt und präzisiert41, könnte allerdings von seiten der kriti­sierten Theorie eingewandt werden, daß sie an der Basis der Repräsentationenmit dem gleichen Recht, mit dem Husserl den apperzeptiven Akt der tran­szendenten Wahrnehmung von der immanenten Wahrnehmung der hyletischenEmpfindungsmannigfaltigkeit unterscheidet, zwischen dem zeichenvermitteltenWahrnehmungsprozeß und dem unmittelbaren Erfassen des Zeichensubstratsdifferenziert, der unendliche Regreß, den Husserl ihr vorwirft, also nicht ein­tritt. Dafür verstößt sie jedoch offenkundig gegen die unter (3) genannte Be­dingung der prinzipiellen Wahrnehmbarkeit des Repräsentats.42 Denn sowohlLocke wie Brentano ordnen den Zeichen der Wahrnehmung als Signifikat einenur hypothetisch erschließbare Welt von Substanzen und Kräften an sich zu,die nie unmittelbar in ihrem eigenen Wesen, sondern immer nur mittelbar anihren Äußerungen im Bewußtsein erkannt werden kann: Die sinnlich wahr­nehmbaren Qualitäten schließen sich zu einem Komplex von Zeichen zusam­men, der unter dem Gesichtspunkt der Gleichförmigkeit des Naturverlaufs einhinter ihnen stehendes und sie verursachendes Reich des wahrhaft Seienden,eine Natur an sich, anzeigt.43 Zwar würden Locke und Brentano wohl zugeben,daß die unreflektierte Wahrnehmung von diesen Zusammenhängen nichtsweiß.44 Aber zu sagen, die unreflektierte Wahrnehmung sei ein System vonZeichen, ohne daß diese Zeichen von ihr sei b e r als Zeichen g e w u ß twerden, ist nach Husserl ein Verstoß gegen die unter (1) genannte Bedingung,daß zu einem Zeichen ein Zeichenbewußtsein gehört, das in der bloßen Wahr­nehmung nicht aufzufinden ist. Husserl bestreitet nicht, daß es für die Natur­wissenschaften unter Umständen sinnvoll sein kann, eine Semiotik der Wahr­nehmung - die "Sprache der Natur" von Galilei über Berkeley bis hin zuNicolai Hartmann - zu entwerfen (z. B. die Zuordnung der Farbqualitäteneines Spektrums zu elektromagnetischen Wellen bestimmter Länge).45 Aberer bestreitet der Konstruktion dieser Semiotik das Recht, sich selbst zu ontolo­gisieren, das, was erscheint, prinzipiell ,als Zeichen eines nicht erscheinendenwahrhaft Seienden zu deuten. In der vorwissenschaftlichen Lebenspraxis wiein der wissenschaftlichen Experimentierpraxis kann zwar sukzessiv nahezualles Erscheinende zum Anzeichen für das Dasein eines gegenwärtig nichtErscheinenden erklärt werden, niemals aber das Erscheinende als solches undim Ganzen, so daß die unmittelbare Wahrnehmung nicht nur des Anzeichens,sondern auch des sinnlich qualitativen Kontextes, in den es eingebettet bleibt,immer vorausgesetzt ist. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß nachHusserls Auffassung (a) das sinnlich Wahrgenommene, rein deskriptiv seinemeigenen Sinn nach genommen, von sich her nicht so über sich hinausweist wieein Zeichen, schon deshalb nicht, weil (b) jedes Zeichen auf den Bereich un­mittelbarer Wahrnehmung intentional vor- und zurückweist, so daß Wahr-

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2. Das Problem der Selbstgegebenheit und seine Aporie

Husserl hat es nun bekanntlich nicht bei der Explikation des der Wahr­nehmung ihrem eigenen Sinne nach innewohnenden Anspruchs auf Selbst­gebung der Dinge bewenden lassen, sondern auch behauptet, dieser Anspruchsei uneinlösbar, sei "bloße Prätention". Die Theorie der Horizontintentionali­tät, aus der Husserl diese Behauptung ableitet, gilt sogar als Husserls wesent­lichster und originellster Beitrag zu einer nicht-sensualistischen Wahrnehmungs­theorie. Schon in den Psychologischen Studien bestreitet Husserl aufgrund derperspektivischen Erscheinungsweise von Räumlichem, derzufolge jede faktischeäußere Wahrnehmung von Repräsentationen durchsetzt ist, daß wir vonäußeren Dingen eine eigentliche Anschauung haben.49 Fast dreißig Jahre spätereröffnet Husserl seine Vorlesungen zur transzendentalen Logik mit der Feststel­lung, die äußere Wahrnehmung sei "eine beständige Prätention, etwas zu leisten,was sie ihrem eigenen Wesen nach zu leisten außerstande ist" .50 Die Phänomeno­logie der Wahrnehmung ist demach nicht nur Explikation des der Wahrnehmungimmanenten Sinnes, sondern zugleich Kritik des falschen Bewußtseins derWahrnehmung von sich selbst. Das "Vermeinen" nimmt unter diesem Gesichts­punkt in den Psychologischen Studien die Bedeutung von "fälschlich glauben"an: Nicht alles, was wir "anzuschauen vermeinen, ist wirklich angeschaut" .51

nehmung, wenn anders sie zeichenhaft sein sollte, Zeichen ihrer selbst, d. h. einecontradictio in adiecto sein müßte, und daß daher (c) die Unmöglichkeit derZeichentheorie der Wahrnehmung darin besteht, daß sie das Wahrnehmungs­bewußtsein auf ein Zeichenbewußtsein zurückführen will, obwohl doch, wiedie deskriptive Analyse lehrt, gerade umgekehrt das Zeichenbewußtsein auf einfundierendes und kontrastierendes Wahrnehmungsbewußtsein zurückgeführtwerden muß.

Der Begriff der Selbstgegebenheit des Gemeinten in der Wahrnehmung istdamit eindeutig festgelegt. Von Selbstgebung ist überall dort zu sprechen, wodas anschaulich Gegebene sich mit dem gegenständlich Gemeinten "identisch""gibt", "nicht als sein bloßer Repräsentant, sondern als es selbst .. ."46 Klarernoch als in den Logischen Untersuchungen formuliert Husserl den relativen,auf die Möglichkeit bloß stellvertretender Gegebenheit durch Symbole be­zogenen und aus ihr allein sich bestimmenden Sinn von Selbstgegebenheit47 inden Ideen: "Zwischen Wahrnehmung einerseits und bildlich-symbolischer odersignitiv-symbolischer Vorstellung andererseits ist ein unüberbrückbarer We­sensunterschied.... In den unmittelbar anschauenden Akten schauen wir ein,Selbst' an; es bauen sich auf ihren Auffassungen nicht mittelbare Auffassun­gen in höherer Stufe, es ist also nichts bewußt, w 0 für das Angeschaute als,Zeichen' oder ,Bild' fungieren könnte. Und eben darum [I] oder in dieserHinsicht [I], heißt es unmittelbar angeschaut als ,selbst' ."48

387Zur Aporie der Selbstgegebenheit bei Husserl

Angesichts der Zweigesichtigkeit der phänomenologischen Reflexion auf dieAkte des Wahrnehmens als Explikation der intentionalen Sinnimplikate desWahrnehmungsbewußtseins und als Reduktion des Vermeinten als des bloßvermeintlich Gegebenen (die Sache selbst) auf das wirklich Gegebene erhebtsich die Frage, ob beide Momente der Reflexion bruchlos ineinander übergehenoder sich gegenseitig in ihrer Geltung beschränken oder gar aufheben. ImHinblick auf das vorliegende Problem von Selbstgegebenheit und Repräsen­tation wird gefragt werden müssen, ob die Argumente, die Husserl in derKritik der Repräsentationstheorie entwickelt hat, sich letztlich nicht gegen ihnselber kehren, wenn und sofern er in der Phänomenologie der Wahrnehmungaußer Sinnexplikation auch noch Sinnkritik in der angezeigten Richtung be­treibt. Es ist nicht ohne weiteres zu sehen, wie Husserls Kritik des Repräsen­tationalismus sich mit einer Theorie vereinbaren läßt, für die, wie es in dersechsten der Logischen Untersuchungen heißt, auch in der Wahrnehmung von"dem gemeinten - dem bezeichneten, abgebildeten, wahrgenommenen - Ge­genstand ein in der Erscheinung aktuell gegebener, aber nicht gemeinter In­halt" unterschieden werden muß,52 Wird die Begründung dieses Satzes nichtmit Argumenten geführt, die Husserl zuvor in der fünften Untersuchung in derKritik der Bildertheorie so scharf kritisiert hat? Dann wäre allerdings eineAporie der Wahrnehmungsphänomenologie unvermeidlich.

2.1. Ein Ausgleich zwischen der Kritik der Repräsentationstheorie derWahrnehmung und der Kritik des Bewußtseins der Wahrnehmung von sichselbst scheint möglich, wenn man beachtet, daß Husserls Begriff der Selbst­gegebenheit im Dbergang von der Sinnexplikation zur Sinnkritik eine andereBedeutung annimmt. Während die Prätention auf Selbstdarstellung53 aus derDifferenz zur Fremddarstellung durch stellvertretende Symbole verstandenwird, unterlegt Husserl der Kritik dieser Prätention, d. h. dem Nachweis ihrer"bloßen" Prätentionalität, einen Sinn von Selbstdarstellung, der sich aus derDifferenz zwischen einer vollständigen und einer unvollständigen Darstellungdes Gemeinten durch Teile, Momente und Aspekte herleitet: "Der Gegenstandist nicht wirklich gegeben, er ist nämlich nicht voll und ganz als derjenigegegeben, welcher er selbst ist."54 Nicht die unmittelbare Anwesenheit durchsinnliche Wahrnehmung im Unterschied zur vermittelten, uneigentlichen imrepräsentativen Symbol legt nun fest, was Selbstgegebenheit besagt, sonderndie Aspektivität der Wahrnehmung, die auf ein An-sich-sein bezogen ist, dasden Dberschuß des Gemeinten an Sinnmomenten über das jeweils Gegebenebezeichnet. Da dieser Dberschuß im Prozeß der immer vollständiger werden­den Wahrnehmung schrittweise abgebaut werden kann, läßt sich eine so ver­standene Selbstgegebenheit partiell realisieren, während Selbstgegebenheit inder ursprünglichen Bedeutung entweder realisiert ist oder nicht. Es scheintalso die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung mit ihrer Aspektivität durchausvereinbar zu sein: der Gegenstand selbst ist in der Wahrnehmung gegeben55,auch wenn das, was jeweils von ihm gegeben ist, nur ein spezieller Aspekt

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des ganzen Gegenstandes ist, mithin nicht alles, was mit dem ganzen gemeintist, zu wirklicher Darstellung gelangt, d. h. nicht alles Gemeinte im Gegebenenrepräsentiert ist.56

Dieser Ausweg führt allerdings in ein Dilemma der Begründung: entwederist "Selbstgegebenheit" der Terminus für die sinnliche Anwesenheit des Ge­meinten, dann kann der Anspruch der Wahrnehmung auf Selbstgegebenheitmit phänomenologischen Mitteln nicht als unerfüllbar erwiesen werden; oderder Terminus bezeichnet die vollständige Darstellung des Gemeinten - un­abhängig von der Frage, ob diese Darstellung adäquat ist oder nicht -, dannkann die Analyse der Aspektivität den Anspruch auf Selbstgegebenheit zwarals unerfüllbar zurückweisen, aber es bleibt fraglich, ob die Wahrnehmungüberhaupt diesen Anspruch erhebt. Man kann jedenfalls nicht, wie Husserl dastut, den Anspruch auf Selbstgegebenheit und seine Kritik mit jeweils verschie­denen Begriffen von Selbstgegebenheit begründen. Da die Analytik des sym­bolisch vermittelten Bewußtseins, die Husserl in den Logischen Untersuchun­gen im zweiten und dritten Kapitel des ersten Abschnitts der sechsten Unter­suchung durchführt, nur zeigt, daß Wahrnehmung den Gegenstand seI b s t ,nicht aber, daß sie ihn voll s t ä n d i g zu geben prätendiert, kann der modi­fizierte Sinn von Selbstgegebenheit im Unterschied zum ursprünglichen Sinnnicht aus dieser Analytik57 allein gerechtfertigt werden.

Die Frage nach seiner Rechtfertigung verweist, mit einem Begriff des spätenHusserl, auf die Typizität des Lebensweltlichen im Horizont der Sprache. Inden Logischen Untersuchungen ist diese späte Lehre Husserls in der Apper­zeptionstheorie der Wahrnehmung vorgebildet. Die Subsumption des in derWahrnehmung Gegebenen unter einen Typos, der genetischen Urform des em­pirischen Allgemeinbegriffs, thematisieren die Logischen Untersuchungen alsApperzeption von etwas "als" etwas: Das in der Wahrnehmung Gegebene, dieEmpfindungsqualitäten als ganzheitliche Struktur, wird im Vollzug des Wahr­nehmens apperzipiert (gedeutet, interpretiert) als Erscheinung eines Gegen­standes von bekannter Art, z. B. als Haus oder als Baum. Diese Apperzeptionvon etwas als etwas und nur sie allein legt fest, was im "Meinen" des Gegen­standes über das selbst Gegebene hinaus jeweils noch "mitgemeint" seinkann,58 "Selbstgebung" und "Mitmeinung" sind im Bezugssystem des Apper­zeptionsmodells komplementäre Begriffe, die den lebenspraktischen Bedeu­tungsgehalt eines Wortes in zwei disjunkte Teilklassen zerlegen und daher nurauf dem Hintergrund der sprachlichen Vor-Auslegung der Welt inhaltlich be­stimmbar sind: Das Mitgemeinte ist das Gemeinte abzüglich des Selbstgegebenen.Beim Anblick der Fassade eines Hauses können in einer bestimmten Wahrneh­mungssituation die Innenräume mit gemeint sein, weil man schon weiß, daß einHaus über solche Räume verfügt, und weil man selbstverständlich unterstellt,daß das vor Augen Liegende keine Attrappe, sondern ein wirkliches Haus ist.Durch Erfahrung erworbenes Wissen und gewisse Annahmen über die Nor­malität der Situation bestimmen also den Bedeutungsgehalt einer Wahrneh-

mung im Medium der Sprache. Andererseits kann aus der Tatsache daß dasvom Ding nicht Gesehene mitgemeint sein kann, nicht, wie Hus;erl anzu­nehmen scheint, gefolgert werden, daß das Ding als ganzes antizipativ alsselbst gegeben prätendi7rt ist: Es leuchtet wohl ein, daß die WahrnehmungSelbstgebung des GemeInten In der ursprünglichen Bedeutung des Terminusprätendiert: statt eines Grundrisses oder gar statt eines bloßen Schriftsymbols,des Graphems "Haus", sieht man in der aktuellen Wahrnehmung das Haus"selbst". Ferner meinen wir in einer bestimmten Situation, z. B. in einemGespräch über den Kauf des Hauses an Ort und Stelle, mit dem Wort "Haus"zweifellos mehr als. in notwendig perspektivengebundener Sicht von unseremStandort aus jeweils von ihm zu sehen ist. Daraus folgt aber doch gewiß nicht,daß das jeweils nur Mitgemeinte auch als selbst gegeben (gesehen) prätendiertist. Das müßte jedoch daraus folgen, wenn anders Husserls These, daß dieWahrnehmung ihren Gegenstand voll und ganz ("selbst" im modifizierten~inn) zu geben beanspruche und eben deshalb etwas beanspruche, was sieIhrem Wesen nach zu leisten außerstande sei, aus der Apperzeptivität derperspektivischen Wahrnehmung deskriptiv gerechtfertigt sein soll.59

2.2. Wären die bisher erörterten Schwierigkeiten einer konsistenten Inter­p.ret~tion d~r ~usserlschen!heorie in der Frühphase seiner Phänomenolögie dieeInZigen, die eInem Ausgleich der Phänomenologie der Wahrnehmung mit derdi~ Kritik des.~epräsentationalismusleitenden Idee der Selbstgebung im Wegestunden, so konnte man wohl kaum von einer Aporie seiner Lehre sprechen.Auch wenn fraglich bleibt, ob (1) der Anspruch auf Selbstgegebenheit im modi­fizierten Sinn ein phänomenologisch richtiges Explikat der unreflektierten innatürlich~r Einstellung aktuell vollzogenen Wahrnehmung von Dingen ist, ~ndob (2) MItmeinung und prätendierte Selbstgebung einfach gleichgesetzt werdendürfen, so ist doch die Bestimmung der Wahrnehmung als strikte Selbst­gegebenheit des Gemeinten im ursprünglichen Sinn, d. h. im Unterschied zurund im Hinblick auf symbolische Vermittlung des Gemeinten durch kontext­spezifische Repräsentanten, damit durchaus vereinbar, solange man sich nurdarüber im klaren ist, daß Husserl den Terminus "Selbstgegebenheit" äquivokgebraucht.

. Sucht man nach Gründen dafür, daß Husserl die Selbstgebung der Dinge,Ihre "Präsentation"60, in der Wahrnehmung doch wieder als eine Form derRepräsentation begreift61, so stößt man wiederum auf das Problem der Per­sp~ktivität. An i~ sch~itert bereits der Versuch, diese Form der Repräsen­t~tIon .~on der .BIld/~elchen-Repräsentation abzugrenzen, um so wenigstensdie KritIk der BIld/Zeichen-Theorie der Wahrnehmung gegen den eigenen An­s~tz zu retten. Das wäre gelungen, wenn sich die der Wahrnehmung eigentüm­lIche Form der Repräsentation von der Zeichenrepräsentation dadurch unter­schiede, daß sie nicht als Repräsentation eines Seienden durch ein anderesSeiendes, sondern gleichsam als Repräsentation eines Seienden durch sich selbstverstanden werden müßte. Doch der Ausweg, den Husserl in den Psycholo-

388 Bemhard Rang Zur Aporie der Selbstgegebenheit bei Husserl 389

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gischen Studien und den nicht publizierten Vorarbeiten hierzu einschlägt, istnicht gangbar, da die dort für den Bereich der Wahrnehmung eingeführteRepräsentation eines Ganzen durch einen oder mehrere seiner Teile62 die pars­pro-toto-Struktur der Wahrnehmung nicht angemessen beschreibt. Eine ange­messene Beschreibung dieser Struktur muß nämlich berücksichtigen, daß dieWahrnehmung eines Dinges infolge ihrer Perspektivität nicht nur prinzipiellunvollständig und daher unabgeschlossen ist, sondern auch prinzipiell inadä­quat, weil auch die jeweils gegebenen Teile des ganzen Dinges nicht so er­scheinen wie sie "an sich" sind: Die Farbe des Dinges ist je nach den Lichtver­hältnissen verschieden "abgeschattet", seine Gestalt je nach dem Standort desBeobachters perspektivisch "verzerrt". Außerdem nötigte der Gedanke einerRepräsentation totius per partem dazu, einem Ding soviele Teile zuzuspre­chen, wie es Aspekte hat, d. h. unendlich viele. Welchen Sinn sollte es überdieshaben, das je verschiedene Aussehen eines Dinges als seine verschiedenen"Teile" zu bezeichnen? Wenn also auch Repräsentation eines Ganzen durchseine Teile nicht das geeignete Modell abgibt, um das Verhältnis der Erschei­nung eines Dinges zu diesem selbst deskriptiv zu erfassen63, so scheint dochder Gedanke einer Repräsentation des Dinges durch seine Perspektiven undAbschattungen unabweisbar. Was Husserl in dieser Auffassung bestärkt hat,war der Umstand, daß er die perspektivische Gegebenheit der räumlich er­scheinenden Dinge von vornherein aus der Idealität eines perspektivenlosenSeins an sich verstand.64 Was ein Ding im Gegensatz zu seiner Erscheinung ansich ist65, ergibt sich für Husserl im Zusammenhang des vorliegenden Problemsaus dem lebenspraktischen oder durch eine explizite Definition festgelegtenBedeutungsgehalt des entsprechenden Dingwortes, so daß Husserl in denLogischen Untersuchungen und noch in der Dingvorlesung von 1907 geradezueine Stück-für-Stück-Korrespondenz von phänomenalem Aktinhalt (die per­spektivistische Erscheinung des Dinges) und intentionalem Dinginhalt (dersignitiv vermeinte Gegenstand) konstruiert: "Notwendig müssen jedem Teil,überhaupt jeder Bestimmtheit des Gegenstandes, und zwar als des hic et nuncgemeinten, gewisse Momente oder Stücke des Aktes entsprechen. Worauf sichkein Meinen bezieht, das ist für die Vorstellung nicht vorhanden."66 Unterdiesem Gesichtspunkt geht natürlich, in eklatantem Widerspruch zur Apper­zeptionstheorie der Wahrnehmung, nach der die hyletischen, reellen Aktinhalteals Material sinngebender Akte der Konstitution des gegenständlichen Sinnslogisch vorhergehen, gerade umgekehrt die Konstitution des gegenständlichenSinns den erlebten Inhalten als Bedingung ihrer Bestimmtheit logisch vorher:Man muß beispielsweise schon w iss e n, daß die Oberfläche eines Würfels dieideale Einheit von sechs orthogonal aufeinander stehenden Quadraten ist, umüberhaupt se h e n zu können, daß z. B. bei Schrägsicht von oben drei dieserQuadrate in charakteristischer, durch die Gesetze der Perspektive bedingtenGestaltabwandlung erscheinen, und um sich aufgrund dessen klar machen zukönnen, daß die anderen drei Quadrate überhaupt nicht zu sehen sind und

daher nur "mitgemeint" sein können, d. h. von den erscheinenden Teilen desWürfels "signifikativ" repräsentiert werden. Ohne den bereits als konstituiertvorausgesetzten gegenständlichen Sinn könnte prinzipiell nicht der erlebteInhalt zum Inhalt des Gegenstandes in eine Stück für Stück rekonstruierbareBeziehung gesetzt werden, um so weniger, wenn man, wie Husserl es anfangsversucht hat, die Abschattung und Perspektivierung als Repräsentation durch"Ähnlichkeit" verstehen Will.67

Husserl hat jedoch nicht nur die Perspektive aus der Idealität des signifikativvorgemeinten gegenständlichen Sinns konstruiert, sondern auch die perspekti­vische Repräsentation nach Analogie der Zeichenrepräsentation begriffen. Mitdiesem Schritt verläßt Husserl die reine Deskription endgültig zugunsten einercartesianisierenden Ontologie des reinen Bewußtseins, für die Vorstellung undGegenstandsrepräsentation notwendig zusammenfallen müssen. Daß Husserldie von ihm so heftig bekämpfte zeichentheoretische Deutung der Wahrneh­mung wieder aufgreift, um dem Perspektivischen der Wahrnehmung gerecht zuwerden, geht eindeutig schon daraus hervor, daß Husserl die einem Dingzugehörige Mannigfaltigkeit von Perspektiven, sein jeweiliges Aussehen, mitder hyletischen Empfindungsmannigfaltigkeit gleichsetzt68, und außerdem da­von überzeugt ist, daß diese anschauliche Fülle auch "nach ihrem eigeneninhaltlichen Bestande und unter Abstraktion von ihrer repräsentierenden Funk­tion in den zugehörigen Akten betrachtet werden" kann.69 Das ist möglich, weilerst spezifische Akte der Sinngebung den Empfindungsqualitäten "den Charaktervon Repräsentanten der entsprechenden [!] gegenständlichen Momentegeben ..."79 Dieser Gedanke ist offensichtlich inspiriert von der Analytik desZeichenbewußtseins: wie ein materielles Zeichen unter Abstraktion von seinerZeichenfunktion als Naturobjekt betrachtet werden kann, so sollen nun auchdie Abschattungen unter Abstraktion von ihrer Abschattungsfunktion etwas anihnen selbst sein. Der Grund für Husserls Konstruktion der perspektivischenRepräsentation nach Analogie der Zeichenanalytik ist in den Logischen Unter­suchungen, anders als in den Ideen zu einer reinen Phänomenologie undphänomenologischen Philosophie I, weniger die cartesianische Interpretationdes Apperzeptionsmodells als vielmehr die in den Umkreis der Psychologismus­kritik gehörige Entgegensetzung von phänomenologischen und idealen Inhaltendes Bewußtseins71, die auch für Husserls Abschattungstheorie maßgebendgeworden ist. So ist z. B. die Idealität der Wahrnehmungsfarbe im Gegensatzzur Reellität der Empfindungsfarbe streng nach Analogie der idealen Bedeutungsprachlicher Ausdrücke zu verstehen72 . Einen weiteren Beleg für meine Thesesehe ich in dem bekannten Theorem Husserls, nach dem die EmpfindungenGegenständliches zur Erscheinung bringen, selbst aber im unreflektierten Voll­zug des Wahrnehmens nicht gegenständlich erscheinen, sondern erlebt werden.Die Nichtgegenständlichkeit ist sowohl der Perspektive im perspektivischenWahrnehmen wie dem Zeichen im Zeichenverstehen eigentümlich. Die Kon­zeption der Wahrnehmung als Apperzeption des Gegebenen, d. h. des reellen

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Aktinhalts, im Licht eines Sinnes fordert hingegen die thematische Gegebenheit,d. h. die Gegenständlichkeit des Apperzipierten: daß im Aktvollzug der Aktselber nicht gegenständlich bewußt ist, beweist natürlich nicht das Gegenteil.73

Daß seine Phänomenologie in ihrer Frühphase eine zeichentheoretischeDeutung der Wahrnehmung nahelegt, ist Husserl nicht entgangen. An einerStelle der Logischen Untersuchungen, im § 23 der 1. Untersuchung, räumtHusserl e contrario ein, daß einem wahrnehmenden Bewußtsein im Unter­schied zu einem bloß empfindenden die Empfindungen als "Zeichen für dieEigenschaften eines Gegenstandes, ihre Komplexion ... als Zeichen für denGegenstand selbst" "gelten".74 Er fügt hinzu, daß dadurch das Wahrnehmungs­bewußtsein noch nicht zu einem eigentlichen Zeichenbewußtsein werde, undzwar mit der Begründung, daß die als Zeichen fungierenden Empfindungen imVollzug des Wahrnehmens unthematisch bleiben. Dasselbe Argument wieder­holt Husserl in der Locke-Kritik der 2. Untersuchung.75 Damit glaubt er dieBild/Zeichen-Theorie der Wahrnehmung überwunden zu haben. Es ist jedochklar, daß dies Argument auf Husserl selbst zurückfällt. Denn das Theorem dernicht gegenständlichen Gegebenheit des Repräsentanten im lebendigen Vollzugder Repräsentation ist, wie gezeigt, von Husserl ja gerade am Zwei-Stufen­Modell der Zeichenrepräsentation entwickelt worden. Hinzu kommt, daßHusserl dem von ihm am Repräsentationalismus gerügten regressus adinfinitum selber zum Opfer fiele, wenn sich an der Basis des zweistufigenZeichenverstehens, der Dingwahrnehmung, die Differenz zwischen Zeichenund Bezeichnetem erneut auftun würde. Nach der Kritik der Zeichentheoriewird in der Wahrnehmung ein erlebter Inhalt apperzeptiv einfach als etwasverstanden und nicht, wie Husserl an der oben zitierten Stelle behauptet, alsZeichen für etwas davon Verschiedenes.

Die Aporie der Phänomenologie der Wahrnehmung, in die Husserl in seinenFrühschriften gerät, hat damit deutliche Konturen angenommen. Sie be­steht für die Logischen Untersuchungen kurz gesagt darin, daß die drei"Auffassungsformen"76, die Husserl hier kennt, Signifikation, Imagination undPerzeption, einerseits der Abgrenzung der Wahrnehmung als dem Bereich derSelbstgebung der Dinge von den symbolisch vermittelten Bewußtseinsweisendienen, andererseits aber der Wahrnehmung selbst inhärent sein sollen: signifi­kativ ist diese, sofern sie prinzipiell unvollständig, imaginativ, sofern sie prin­zipiell abgeschattet ist. Selbst das rein perzeptive Moment an ihr gewährt nochnicht die im Ideal endgültiger Erfüllung postulierte Identität von darstellendenund dargestellten Inhalten.77 Deshalb muß von der Wahrnehmung gesagtwerden, was von ihr der Kritik der Bild/Zeichen-Theorie gemäß auf keinenFall gesagt werden dürfte: daß wir auch in ihr, nicht anders als im Zeichen­bewußtsein, "bloß das eine anschaulich gegenwärtig ... haben und statt seinerdoch das andere ... meinen",78 Es ist daher nur konsequent, daß Husserl für dievon ihm in den Logischen Untersuchungen angestrebte "Phänomenologieund Theorie der Erkenntnis" (Untertitel des zweiten Bandes) den der Sache

Anmerkungen

nach an den Stand des Erkenntnisproblems bei Hume und Kant _ Erkenntnisals Zusammenspiel von Anschauung (impression, Wahrnehmung) und Begriff(idea, Zeichenrepräsentation) - anknüpfenden Ansatz der Logischen Unter­suchungen nicht fortgeführt, sondern zunächst wieder die Frage Descartes'nach der Wahrheit der Gewißheit des von den Ideen der Sinneswahrnehmungerhobenen Anspruchs, eine Außenwelt zu repräsentieren, zum Ausgangspunkteiner Erkenntnistheorie gemacht hat, die den methodischen Sinn der erkennt­nistheoretisch-phänomenologischen Reduktion in den fünf Vorlesungen DieIdee der Phänomenologie aus dem Jahre 1907 im wesentlichen bestimmt.

393Zur Aporie der Selbstgegebenheit bei Husserl

* Stellenweise leicht veränderte Fassung eines Referates, das den InternationalenPhänomenologischen Studientagen 1974 in Berlin vorgelegen hat und auch in denKongreßakten erscheinen wird.

1. Heimholtz, Handbuch der physiologischen Optik, 21896, S. 586: "Insofern dieQualität unserer Empfindung uns von der Eigenthümlichkeit der äusseren Einwir­kung, durch welche sie erregt ist, eine Nachricht giebt, kann sie als ein Z eie h e nderselben gelten, aber nicht als ein Ab b i I d." In derselben Weise äußert sichBrentano, Psychologie vom empirischen Standpunkt, 1. Band, Leipzig 21924, S. 28.

2. Logische Untersuchungen, Zweiter Band: Untersuchungen zur Phänomenologieund Theorie der Erkenntnis, 1. Teil (im folgenden zitiert LU Il/l), Halle 21913,S. 161.

3. Essay Concerning Human Understanding, ed. Fraser, Oxford 1894, S. 461 f.4. Es ließe sich zeigen, daß der Idealismus Descartes' die stärkste Stütze des

Repräsentationalismus geworden ist. Die den neuzeitlichen Idealismus im ganzenkennzeichnende Subjektivierung dessen, was mit "Idee" angesprochen wird, bleibtnämlich bei Descartes an die Voraussetzung gebunden, das Vorgestellte eines Vor.stellens - das Gesehene eines Sehens oder das Gedachte eines Denkens im noemati.sehen Sinn des platonisch-aristotelischen Begriffs "idea" bzw. "eidos" _ sei ein nurVorgestelltes und des hai b nicht das Seiende selbst ("res"). Unter dieser An­nahme allein ist der methodische Zweifel Descartes' an der Existenz der Außenweltüberhaupt sinnvoll. Was, seiner inhaltlichen Bestimmtheit nach betrachtet nur"objedum qua cogitatum in der Struktur ego-cogito-cogitatum ist, k a n n al~ ;einesKorrelat eines ego cogito ein Seiendes, das nicht in seiner Korrelatfunktion hinsicht­lich eines vorstellenden Subjekts aufgehen soll, nicht selber sein, sondern allenfalls"repräsentieren". Diese Verbindung von "transzendentalem Realismus" und "empiri­schem Idealismus" (Kant, Kritik d.r.V., A 369) wurde schon von Berkeley undHume destruiert, konnte sich aber dennoch als scientistischer Repräsentationalismusweiterhin behaupten. Vgl. auch Wolfgang Röd, "Die Idee der transzendentalphiloso.phisehen Grundlegung in der Metaphysik des 17. und 18. Jahrhunderts", in: Philo.sophisches Jahrbuch (80. Jg.) 1972, S. 57-76.

5. Oeuvres VI, ed. Adam e. Tannery, p. 112 ff. 6. LU lI/I, S. 421 ff.7. ebd., S. 378 f.; vgl. auch LU Il/2, S. 63. 8. LU Il/l, S. 425.9. ebd., S. 373. 10. ebd., S. 425; Ms. orig. K I 56, S. 14 (Sommer 1894).11. Ms. orig. K I 56, S. 15.

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12. Vgl. Kasimir Twardowski, Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vor·stellungen. Eine psychologische Untersuchung, Wien 1894, S. 20 ff.

13. Ms. orig. K I 56, S. 11 (Sommer 1894); vgl. auch den Brief an Marty vorn7.1.1901 (R I Marty), in dem Husserl die Paradoxie der gegenstandslosen Vor·stellungen am schärfsten formuliert hat.

14. Dem gleichen Irrtum erliegt Russells Theorie der Pseudo-Namen. Das ganze"Problem" geht zurück auf Platon, Theaitetos 189: "Sokrates: Und wer vorstellt,der sollte nicht Etwas vorstellen? Theaitetos: Notwendig. Sokrates: Und wer Etwasvorstellt, nicht wirkliches? Theaitetos: Ich gebe es zu. Sokrates: Wer also vorstellt,was nicht ist. der stellt nichts vor? Theaitetos: So scheint es. Sokrates: Wer abernichts vorstellt, der wird gewiß überhaupt gar nicht vorstellen? Theaitetos: Offen­bar, wie wir sehen." (Platons Werke, ed. Schleiermacher, 11. Teil, 1. Band, Berlin1856, S. 191)

15. LU II/l, S. 373.16. In derselben Weise hatte schon Reinhold, Versuch einer neuen Theorie des

Vorstellungsvermögens. Darmstadt 1963 (repr. v. 1789), S. 233 f., das scheinbareParadox der gegenstandslosen Vorstellungen aufgelöst; ähnlich auch Wittgenstein,Philosophische Grammatik, ed. Rush Rhees, Frankfurt 1973, Nr. 90.

17. Oeuvres VII, ed. Adam e. Tannery, p. 8.18. Brentanos Klassifikation der psychischen Phänomene in Vorstellungen, Urteile

und Phänomene der Liebe und des Hasses (Psychologie vom empirischen Stand·punkt, 6. Kap.) knüpft direkt an Descartes' Klassifikation der modi cogitandi inideae, iudicia und voluntates sive affectus in der 3. Meditation an (Oeuvres VII,ed. Adam e. Tannery, p. 36).

19. "Psychologische Studien zur elementaren Logik", in: Philosophische Monats·he/te (Berlin) , 30 (1894), S. 174.

20. ebd. S. 171, S. 172 und S. 176; Ms. orig. K I 55 (1893) S. 24 sowieS. 8, wo der "intendierten Anschauung" auch terminologisch die "intendierendeVorstellung" korrespondiert; in den Logischen Untersuchungen wirkt diese Termi­nologie in der Gegenüberstellung einer "intendierenden Bedeutung" und einer "er­füllenden Bedeutung" (LU lI/I, S. 51 u.ö.) auf der Ebene der idealen species, einer"Seite der Intentionen" und einer "Seite der Erfüllungen" (LU 11/2, S. 63) auf derEbene der Akte unmittelbar nach. Husserls spätere Kennzeichnung der Intentionalitätals Streben nach Wahrheit in den Analysen zur passiven Synthesis ist demnacheine Wiederaufnahme des ursprünglichen Ansatzes der Psychologischen Studien,der nur vorübergehend, vor allem in den Ideen I, durch die cartesianische Be­stimmung der Intentionalität als "Bewußtsein von etwas" verdrängt worden ist. Ob·gleich in den Psychologischen Studien "Repräsentation" und "Intention" formellgleichbedeutend sind, ist doch der Akzent deutlich verschieden: Repräsentation alsDarstellung von etwas in und vermittels eines anschauungsleeren Symbols vertrittdas sachhaltige Moment, Intention das voluntative Moment im Erkenntnisprozeß:eine Anschauung wird "intendiert" heißt, sie wird "angestrebt", um die Repräsenta·tion als wahre oder falsche auszuweisen. In den Vorarbeiten zu den Psychologi­schen Studien ist das zweite Moment noch stärker betont als in diesen selbst, undzwar durch den an Herbarts Psychologie anschließenden erkenntnispsychologischenBegriff des Interesses, der von Husserl schon in den Psychologischen Studien einheit­lich durch den phänomenologisch-deskriptiven Begriff der Intention ersetzt wordenist (vgl. Ms. orig. K I 63).

21. Vgl. Psychologische Studien, S. 174, und LU 1l/2, S. 56, mit LU 1l/1, S. 425;ebenso Ms. orig. K I 55, S. 6: "bloße Repräsentation", "bloße Vorstellung", "un­eigentliche Vorstellung". Neben die beiden genannten Bedeutungen von "bloß inten­tional" tritt später noch eine dritte: die "räumlich-zeitliche Welt" ist vom Stand·

punkt der transzendentalen Phänomenologie "ihrem Sinne nach bloßes intentionalesSein ...", nämlich noematisches Korrelat des absoluten Bewußtseins (Ideen zu einerr~inen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Erstes Buch, Husser­hana Bd. 111. Den Haag 1950 - im folgenden zitiert Id I - S. 117). Zur ersten unddritten Bedeutung vgl. auch Hans Ulrich Hoche: Handlung, Bewußtsein und Leib.Vorstudien zu einer rein noematischen Phänomenologie, Freiburg-München 1973,S. 16 Anm. 3 und S. 47 f.

22. Ms. orig. K 156, S. 7. 23. ebd., S. 3. 24. ebd., S. 4.25. Twardowski, a.a.O., S. 4, 15, 18; obgleich Twardowski den immanenten Ge­

genstand als Bild des intentionalen deutet, ist Husserls nicht immer von Mißverständ­nissen freie Kritik schlüssig, zumal Twardowski das Problem der gegenstandslosenVorstellung so auflöst, daß dann doch wieder der intentionale Gegenstand zumimmanenten wird.

26. Ms. orig. K 156, S. 7; Hervorhebung von mir; die Wendung "der Gegenstandselbst" ist von Husserl während der Niederschrift verbessert worden in "der wahreGegenstand, wo immer der Vorstellung Wahrheit entspricht".

27. LU 1l/1, S. 424 f. 28. ebd., S. 423.29. Vgl. beispielsweise LU 11/1, S. 423: "Man darf darnach nicht so reden und

denken, als ob das sog. ,Bild' sich zum Bewußtsein ähnlich verhielte, wie das Bild zudem Zimmer, in dem es aufgestellt ist, und als ob mit der Substruktion eines Inein­ander zweier Objekte auch nur das Mindeste verständlich gemacht wäre."

30. LU 1l/1, S. 422.31. Vgl. den Ausdruck "the things the mind contemplates" im eingangs zitierten

ontologischen Grundsatz Lockes.32. Vgl. Nicolai Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis Berlin

51965, S. 44 ff. u. 106 ff. '33. LU 1l/1, S. 422.34. ebd., S. 423; vgl. auch LU II/2, S. 54: "Ebenso ist auch das Bild, etwa die

Büste aus Marmor, ein Ding wie irgendein anderes; erst die neue Auffassungsweisemacht es zum B i I d, es erscheint nun nicht bloß das Ding aus Marmor sondernes ist zugleich und aufgrund dieser Erscheinung eine Person bildlich gemeint:"

35. Daß der lebenspraktische Umgang mit Bildern und Symbolen das Modell ab­gibt für Husserls Repräsentationsbegriff und der auf ihm beruhenden Kritik derRepräsentationstheorie des Bewußtseins überhaupt, zeigt sich u. a. immer wieder imartefizielle.n, materiellen Charakter der Repräsentanten, die Husserls Begriffsbildungzugrundehegen: "Gemälde" (LU 1I/2, S. 423), "Büste aus Marmor" (LU 1I/2. S. 54),"Buchstaben eines Wortzeichens aus Holz, Eisen, Druckerschwärze ..." (LU 11/2,S. 89). Wie die moderne Semiotik seit Peirce und Morris setzt Hussel in der Phäno.menologie des Bild- und Zeichenbewußtseins also voraus, daß jede Repräsentationin einem materiellen Zeichensubstrat fundiert ist und eben deshalb auch in dersinnlichen Wahrnehmung. In dieser Voraussetzung liegen zugleich die Grenzen vonHusserls Konstitutionsanalyse des Bildbewußtseins. Ein Bild ist nach Husserl immerein. Abbild. D~ß ein. philoso~hischer Bild-Begriff sich von dieser Voraussetzung be.freIen kann, zeIgen dIe TheOrIen der transzendentalen Einbildungskraft im DeutschenIdealismus, vor allem auch der spekulative Bild-Begriff des späten Fichte. Theoriendieser Art sind auch nicht Gegenstand von Husserls Kritik, ebensowenig wie dierationalistische Metaphysik der re-präsentatio in der Form, die sie bei Leibniz an.genommen hat. Aufgrund derselben Voraussetzung vermag Husserls Bild-Begriffauch nicht den Sinn umgangssprachlicher Wendungen wie "Ich bin im Bilde" oder"Die Unfallstätte bot ein Bild des Grauens" etc. zu explizieren.

36. LU II/l, S. 423. 37. ebd., S. 422. 38. ebd., S. 425.39. ebd., S. 422 f. 40. ebd., S. 423. 41. Id I, S. 224 f.

394 Bernhard Rang Zur Aporie der Selbstgegebenheit bei Husserl 395

Page 10: Bernhard Rang, Repräsentation & Selbstgegebenheit. Die Aporie der Phänomenologie der Wahrnehmung in den Frühschriften Husserls (1976)

42. Dies ist der Leitgedanke der (indirekten) Kritik Husserls an der Wissen­schaftstheorieBrentanos in Id I, S. 122 ff. (§ 52).

43. Vgl. Psychologie vom empirischen Standpunkt, a.a.O., S. 28: "An und für sichtritt das, was wahrhaft ist, nicht in Erscheinung, und das, was erscheint, ist nichtwahrhaft."

44. Vgl. u. a. Essay, a.a.O., Book II, Chapter VIII, Nr. 25.45. Vgl. Id I, S. 90 f. u. S. 126 ff. 46. LU Il/2, S. 117.47. Anders Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger,

Berlin 1967, S. 56 f.48. Id I, S. 99; vgl. auch Formale und transzendentale Logik. Versuch einer Kritik

der logischen Vernunft, Halle 1929, S. 141.49. Psychologische Studien, a.a.O., S. 177.50. Analysen zur passiven Synthesis, Husserliana Bd. XI, Den Haag 1966, S. 3.51. Psychologische Studien, a.a.O., S. 169. 52. LU Il/2, S. 59.53. LU Il/2, S. 56 f., werden "Selbstgegebenheit", "Selbstdarstellung", "Selbst­

erscheinung" und "Selbstabschattung" synonym gebraucht; in den Vorlesungen Dingund Raum von 1907, Husserliana Bd. XVI, Den Haag 1973, S. 23, führt Husserlfür innere und äußere Wahrnehmung die Termini "selbststellende" und "darstellendeWahrnehmung" ein.

54. LU lI/2, S. 56.55. Selbstgegebenheit in ursprünglicher Bedeutung ist strenggenommen keine be­

sondere Weise der Gegebenheit: der Satz "Der Gegenstand ist selbst gegeben" istäquivalent mit dem Satz "Der Gegenstand selbst ist gegeben", so daß das qualifi­zierende "selbst" nicht prädikativ, sondern attributiv-akzentuierend gelesen werdenmuß. Das ist auch gegen Tugendhat, a.a.O., S. 56, zu betonen.

56. LU lI/2, S. 56 ff.57 Vgl. vor allem die phänomenologische Charakteristik von Signifikation, Imagi­

nation und Perzeption in § 14 der 6. Untersuchung, LU Il/2, S. 53-59.58. Vgl. LU lI/l, S. 380 ff. mit LU Il/2, S. 56 ff.59. Auf Husserls spätere Bestimmung der Apperzeption als Ad-perzeption kann

hier nicht eingegangen werden. Auch Aguirres klare und überzeugende Rekonstruk­tion der Husserlschen Wahrnehmungsphänomenologie anhand dieser Bestimmung(Antonio Aguirre, Genetische Phänomenologie und Reduktion. Zur Letztbegründungder Wissenschaft aus der radikalen Skepsis im Denken E. Husserls, Den Haag 1970,S. 120-193, insbesondere S. 153 ff.) bietet, so weit ich sehe, keine Antwort auf dieFrage nach dem deskriptiven Fundament der Husserlschen Prätentionalitätsthese imoben gekennzeichneten Sinn.

60. LU Il/2, S. 116: "Der intentionale Charakter der Wahrnehmung ist im Gegen­satz zum bloßen Vergegenwärtigen der Imagination, das Gegenwärtigen (Präsen­tieren) ."

61. LU II/2, S. 79, entsprechend dem Schema der Aktkonstitution von S. 94; vgl.auch die Einschränkung auf S. 116: "Aber das Präsentieren macht im Allgemeinennicht ein wahrhaft Gegenwärtigsein, sondern nur ein als gegenwärtig Erscheinen ..."

62. Repräsentationen, "bei welchen die repräsentierenden Inhalte ... zum Inten­dierten gehören" (Ms. orig. K I 14, S. 2), d. h. Repräsentationen "pars pro toto"(ebd., S. 5), d. h. Repräsentationen durch "Stücke" (Psychol. Studien, a.a.O., S. 170).

63. Vgl. auch die diesbezüglichen lJberlegungen George E. Moores in dem Aufsatz'"Some Judgments of Perception" von 1918, die ihn unabhängig von Husserl aufsprachanalytischem Wege fast genau zu der Position geführt haben, die Husserl inseinen Frühschriften bezüglich der Wahrnehmungsrepräsentation durch reelle Inhalteeingenommen hatte (George E. Moore, Eine Verteidigung des Common Sense, hrsg.u. übers. v. Harald Delius, Frankfurt 1969, S. 81-112).

64. Vgl. auch Analysen zur passiven Synthesis, a.a.O., S. 101 ff.; hierzu B. Rang,Kausalität und Motivation. Untersuchungen zum Verhältnis von Perspektivität undObjektivität in der Phänomenologie Edmund Husserls, Den Haag 1973, S. 139 ff.

65. Zu den verschiedenen Bedeutungsnuancen des Begriffs "An-sieh-sein" beiHusserl vgl. E. Tugendhat, a.a.O., S. 58 f. und B. Rang, a.a.O., S. 199 f. Anm.

66. LU II/2, S. 79; in der Dingvorlesung von 1907 unterscheidet Husserl vom"Inhalt der Erscheinung" den "Inhalt des Gegenstandes" (S. 17), der in der Er­scheinung "Stück für Stück zur Darstellung kommt" (S. 49). "Durch diese Kon­trastierung treten erst klar und evident reelle Momente der Wahrnehmung hervor,als da sind Empfindungen im Gegensatz zu den Eigenschaften des Gegenstandes ..."(S. 19).

67. LU Il/2, S. 117. 68. Vgl. LU Il/1, S. 382.69. LU Il/2, S. 85; vgl. Ding und Raum, a.a.O., S. 48.70. LU Il/2, S. 77.71. Vgl. z. B. die lJberschrift des 4. Kapitels der 1. Logischen Untersuchung.72. Die von Husserl behauptete Differenz zwischen "Empfindungsfarbe" und

"Wahrnehmungsfarbe" wird meist (Asemissen, Tugendhat u. a.) mißverstanden. Eshandelt sich hierbei, wie die Dingvorlesung von 1907, S. 42 ff., deutlicher erkennenläßt als die LU, einfach um die Differenz zwischen den Farben, die einem räum­lichen Gegenstand nach bestimmten, intersubjektiv eingespielten Kriterien (Normal­beleuchtung etc.) zugesprochen werden, und den Farben, die man in einer konkretenWahrnehmungssituation faktisch sieht. Man spräche also besser von einer idealisier­ten "Gegenstandsfarbe" (statt "Wahrnehmungsfarbe") im Unterschied zur faktischen"Wahrnehmungsfarbe" (statt "Empfindungsfarbe"), und muß dann allerdings, inlJbereinstimmung mit der seit Asemissens Abhandlung Strukturanalytische Problemeder Wahrnehmung in der Phänomenologie Husserls (Köln 1957) immer wiedervorgebrachten Kritik an Husserls These von der Unräumlichkeit der Abschattungen,zugestehen, daß die sog. "Empfindungsfarben" als Oberflächenfarben von Körpernnotwendig räumlich ausgedehnt - wenn auch nicht im idealisierten Raum derGeometrie - sind.

73. Vgl. LU Il/1, S. 385. 74. LU Il/l, S. 75. 75. ebd., S. 160 f.76. LU Il/2, S. 91 ff., insbes. S. 94. 77. ebd., S. 82 f. 78. LU Il/1, S. 422.

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