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DATEN - SICHERHEIT Verteidigungsstrategien gegen Netzattacken TRAUM - FABRIK Gestern in Hollywood, heute Wirklichkeit: intelligente Maschinen BEYOND MAINSTREAM AUSGABE 2014 COO INSIGHTS INDUSTRIE 4.0 BMW-Vorstand HARALD KRÜGER über Potenziale der Vernetzung PLUS alle Fakten zur digitalen Produktion der Zukunft

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DATEN­SICHERHEITVerteidigungsstrategien gegen Netzattacken

TRAUM­ FABRIK Gestern in Hollywood, heute Wirklichkeit: intelligente Maschinen

3D-DRUCK

Lukrative

Geschäfte in

dynamischen

Nischen

BEYOND MAINSTREAM AUSGABE 2014

COO INSIGHTS

INDUSTRIE 4.0BMW­Vorstand HARALD KRÜGER

über Potenziale der Vernetzung

PLUS alle Fakten zur digitalen Produktion der Zukunft

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0THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

WAS MACHT EINEN COO UND SEIN UNTERNEHMEN

IN DER INDUSTRIE 4.0 ERFOLGREICH?

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AUS GESPRÄCHEN MIT VORSTÄNDEN und Verbänden wis­sen wir, dass Unternehmen mit Hochdruck an der horizontalen Inte gration ihrer Geschäftsprozesse arbeiten. Erst im nächsten Schritt erfolgt die vertikale Integration bis hinunter zu den Maschinen. Industrie 4.0 als umfassende Vernetzung der Pro­zesse in Produktion, Logistik und Service ist faktisch in jedem größeren produzierenden Unternehmen in Europa ein Thema – dennoch werden die Chancen noch nicht durchgängig heraus­gearbeitet und aufgegriffen.

Wir haben es mit einem Innovationstreiber zu tun. Es kommt jetzt auf Kreativität im Management an – und die Fähigkeit, vernetzt zu denken und zu handeln. Das Tempo der Veränderung ist nicht überall gleich hoch, doch nehmen wir in allen Branchen einen positiven Druck auf die Unternehmen wahr. Weil sie weiter zu den Besten gehören wollen, steigt die Nachfrage nach Mög­lich keiten der Geschäftsmodellinnovation.

Hier hat der COO die Chance, eine entschlossene Füh­rungsrolle einzunehmen. Führung bedeutet, die Dringlichkeit klarzumachen, eine digitale Vision zu vertreten, die Komplexität zu überschauen und eine Roadmap zu entwickeln, die seinem Unternehmen Orientierung und Fokussierung erlaubt. Top­manager brauchen den Mut zum Aufbruch. Denn es gibt mentale Schranken und institutionelle Hürden: Mitarbeiter, die um Arbeit und Einfluss bangen; Kunden, die das Potenzial noch nicht erkennen; im Einsatz bewährte Anlagen und eingeschwungene Prozesse. Neue KPIs bestimmen, einen Business Case für die digitalen Innovationen entwickeln, Verbündete in der Netzwerk­ökonomie finden: Darauf kommt es an. Industrie 4.0 ist eine riesige Chance für die Wettbewerbsfähigkeit der Produktion "Made in Europe". Die Zukunft hat schon begonnen.

DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG auf wettbewerbsintensiven Märkten liegt in kundenindividuellen Produkten, Globalisierung der Wertschöpfung, kürzeren Produktlebenszyklen, Qualität, Flexi­ bilität und Time­to­Market. Industrie 4.0 macht all das möglich.

Wir alle merken, dass die bestehenden Modelle und Stan­dardabläufe Einschränkungen bedeuten. Die Fokussierung auf Kennzahlen und strenge Reporting­Verfahren sorgen dafür, dass wir uns auf die Grenze zwischen gestern und heute konzentrieren – und das Morgen vernachlässigen. Tempo und Komplexität der Veränderungen lassen jedoch Anforderungen an unsere Innova­tionsfähigkeit steigen.

Industrie­4.0­Tools ebnen den Weg zu besserer Prozesskon­trolle, erhöhen Qualität und Flexibilität, bei gleichzeitiger Kosten­reduzierung. Um diesen Weg zu beschreiten, wird es entschei­dend darauf ankommen, die Stärke unserer gut ausgebildeten Mitarbeiter zu nutzen. Wir müssen Kompetenzen entwickeln, um neue Techniken und Technologien umzusetzen. Multidisziplinari­tät und die Fähigkeit, spontan spezialisierte Ressourcen einzu­binden, sind erforderlich, um künftig agil und effizient zu sein.

Das Universum der Stabilität liegt schon lange hinter uns. Unter Umständen reicht aber Industrie 4.0 nicht aus, um ein insta­biles Geschäftsklima wettzumachen. Es bedarf auch eines neuen Führungsstils. Eine strategische Vision und taktisches Geschick, flexibles Agieren in modularen Organisationen sowie Beziehungs­intelligenz: das macht einen erfolgreichen COO aus und wird in der Industrie 4.0 über Sein oder Nichtsein entscheiden. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind dafür eine gute Schule, denn viele von ihnen agieren mit ihrem Pragmatismus schon heute höchst erfolgreich in volatilen, unsicheren Märkten. Wer eine ehr­geizige Karriere in Führungspositionen plant, sollte deshalb unbe­dingt einige Jahre als COO in einem KMU verbringen.

JEAN-CAMILLE URING ist COO und Mitglied des Vorstands der französischen FIVES CINETIC (Industrial Engineering) und Präsident des Europäischen Verbands der Werkzeugmaschinenindustrie (CECIMO).

THOMAS RINN ist Senior Partner und Global Head of Operations Strategy bei Roland Berger Strategy Consultants.

"TAKTISCHES GESCHICK!" JEAN-CAMILLE URING

Q&A

"MUT ZUR FÜHRUNG!"THOMAS RINN

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INHALT

THINK ACT // COO INSIGHTS // AUSGABE 2014

MENSCH ODER

MASCHINE?

WER DIE PRODUKTION

DER ZUKUNFT

DIRIGIERT.

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24 "Schlanker, schneller, stabiler"

8 Radikal verzahnt

STATEMENTSWas ist dran an "4.0"? Stimmen aus Politik und Wirtschaft

TITELIndustrie 4.0: Wie volldigitale Produktion die Wertschöpfung revolutioniert.

BILDERREISETraumfabrik: Hollywood als 4.0-Pionier

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8

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INTERVIEWWie Digitalisierung die Autofertigung verändert: Gespräch mit Harald Krüger, Produktionsvorstand bei BMW

KENNZAHLENDie Vermessung der vierten industriellen Revolution

3D-DRUCKWo die wirklich interessanten Geschäftsmodelle entstehen.

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AUFBRUCH OSTVor dem Kraftakt: China will zum Hightech-Lieferanten aufsteigen.

NETZKRIMINALITÄTWie sich Unternehmen gegen Attacken aus dem Cyberspace wappnen können.

INTERVIEWAirbus-Technikchef Jean Botti über neue Sicherheitsanforderungen

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40

43

INDUSTRIE 4.0*

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34Wie gedruckt

40Die unsichtbare Gefahr

43 "Mehr Angriffsfläche"

COO WERKSTATTChancen durch Digitalisierung: Projekte und Publikationen

LETZTE ANTWORTENEinsichten und Ausblicke von Zukunftsforscher Andreas Neef

SERVICEImpressumDigitales Angebot

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50

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19Von wegen Science-Fiction

SELBST IST DIE FABRIK

INDUSTRIELLE REVOLUTION IN VIER ETAPPEN

1.0Ende des 18. Jahrhunderts: In England treibt erst mals eine DAMPFMASCHINE einen Webstuhl an – der Beginn mechanischer Pro-duktion.

Ende des 19. Jahrhunderts: Die ELEKTRIFI-ZIERUNG ermöglicht arbeitsteilige Massen-fertigung am Fließband, zunächst in ameri-kanischen Schlachthöfen, später in der Auto- industrie. Die Qualität steigt, die Preise sinken.

2.0

Vor 50 Jahren: Mit Hilfe von Mikroelektronik und IT, besonders der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS), schreitet die AUTOMA- TISIERUNG der Produktion voran. Maschi-nen übernehmen immer komplexere Aufgaben von Menschen und erhöhen die Produktivität.

3.0

Heute: Im Mittelpunkt der DIGITALISIE-RUNG der Produktion stehen vernetzte cy-ber-physische Systeme (CPS): Werkstücke, Werkzeuge, Produktionsanlagen oder Logis-tikkomponenten mit eingebetteter Software kommunizieren miteinander. Intelligente Produkte kennen ihren Herstellungsprozess und künftigen Einsatz. Kundenindividuelle Massenfertigung zu wirtschaftlichen Kondi-tionen hält Einzug ("Segment of One"). Und: Wertschöpfung endet nicht länger am Werks-tor. Neue Dienstleistungen und Geschäfts- modelle werden möglich, wo vernetzte, in- telligente Produkte auch nach dem Verkauf noch Kontakt zum Hersteller halten können. Produzenten bieten Kunden wert haltige Zu-satzdienste an: Nicht eine Turbine wird ver-kauft, sondern Schubkraft, das schließt z.B. vorausschauende Wartung ein. Vertrauen in eine sichere technologische Infrastruktur lässt deregulierte, wettbewerbs starke Märkte entstehen.

4.0

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Das Internet der Dinge ist eine gigantische,

umwälzende Entwicklung.David Cameron, britischer Premierminister

UNTERNEHMEN UND LÄNDER, DIE JETZT HANDELN, DAMIT SICH DIE VER HEISSUN GEN ERFÜLLEN, WERDEN IM 21. JAHRHUN DERT PROSPERIEREN. ALL JENE, DIE SICH DEN INKREMENTELLEN WANDEL AUF DIE FAHNEN GESCHRIE- BEN HABEN, ABER AUF SMART MANU - FAC TURING VERZICHTEN, WERDEN RASCH INS HINTERTREFFEN GERATEN.

Sujeet Chand, Chief Technology Officer, Rockwell Automation

WIE ALLE REVOLUTIONEN BEDEU TET INDUSTRIE 4.0 EINE UMVERTEILUNG DES VERMÖGENS.Tom Comstock, Vice President of DELMIA Strategy & User Experience, Dassault Systèmes

NUR WENIGE WERDEN AUF DER GRÜNEN WIESE EINE INDUSTRIE-4.0-FABRIK BAUEN. EINES DER SCHLÜSSELTHEMEN WIRD DAHER AUCH SEIN, BESTEHENDE FAB RI KEN KOSTEN GÜNS-TIG NACHZURÜSTEN.Dr. Thomas Kaufmann, Vice President Corporate Supply Chain, Factory Integration, Infineon Technologies

(… UND WIE GEHT'S WEITER?)

WAS ISTDRAN

AN"4.0"?

STATE-

MENTS

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Virtuelle Fabrik, echter WertArnold Stokking, Director Industrial Innovation, Forschungsorganisation TNO, Niederlande

Es darf nicht dazu kommen, dass Google künftig Produkte wie Autos oder Fernseher herstellt und europäischen Unternehmen die Rolle der Zulieferer bleibt.Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft

Service in der Industrie 4.0 heißt nicht länger zu reparie- ren, sondern das Versprechen, Fehler zu vermeiden.Dr. Jochen Schlick, Leiter Zukunftsfeld Cyber-Physische Systeme, Wittenstein

Wir brauchen nicht nur wissenschaftliche

Exzellenz, nicht nur individuelle Detail-

lösungen, sondern Ideen, mit denen wir

Geld verdienen können.Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Detlef Zühlke,

wissenschaftlicher Direktor, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz

WIR BRAUCHEN EINE KULTUR DES AUFBRUCHS WIE IN AMERIKA.

Eberhard Veit, Vorstandsvorsitzender, Festo

INDUSTRIE 4.0IST WIE EIN INTERNATIO - NALES RENNEN. DAS TEAM DEUTSCHLAND HAT SICH FORMIERT, ABER WER ALS ERSTER LOSLÄUFT, MUSS NICHT DER GEWINNER SEIN.Prof. Dr. Dieter Wegener, Head of Advanced Technologies and Standards, Siemens

WENN JEDER UND ALLES VER- NETZT UND KOMPLEXITÄT GRATIS IST, WENN INNOVATIONEN SPOTT- BILLIG SIND UND AUS JEDER ECKE KOMMEN KÖNNEN, DANN VERÄNDERT SICH DIE ARBEITSWELT.Thomas Friedman, Autor und Journalist, New York Times

STATEMENTS

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RADIKAL VERZAHNTProdukte und Prozesse, Daten und Dienstleis­tungen, Verfahren und Fabriken: INDUSTRIE 4.0 bedeutet permanente Kommunikation auf allen Ebenen. Das revolutioniert die Wertschöpfung. Und schafft Raum für neue Geschäftsmodelle.

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INDUSTRIE

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önnte der Begriff "Industrie 4.0" so erfolg­reich und so relevant werden wie "Web 2.0"? Professor Willem Jonker aus den Nie derlanden hat diese Frage auf gewor­fen. Im Auftrag der EU forscht der Mathe­matiker und Informatiker am European In­stitute of Innovation and Technology (EIT) zur Informatisierung der Wirtschaft, zur in telligenten Verzahnung von Forschung und Wirtschaft – und darü ber, wie Europa durch eine bessere Wachs tums­ und Inno­va tionspolitik seine Wettbewerbsfähig ­ keit steigern kann. Seine Bot schaft: Indus­trie 4.0 gilt vielen (noch) als Modewort, aber wie Web 2.0 steht es für die enorme Wucht, mit der die Digitalisierung den in­dustriellen Alltag erobert und Geschäfts­beziehungen von Produzenten, Zulie ferern und Kunden umkrempelt. Eine Wucht, wel­che die Wettbewerbsfähigkeit von Unter­nehmen und Volkswirtschaften auf ein neues Niveau heben kann.

Der weltweite Wettbewerb um Wert­schöp fung nimmt zu – und das auf Märk­ten, die immer komplexer und unberech­en barer werden. Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell permanent infrage stel­len. Anforderungen an Variantenreichtum und Schnelligkeit steigen, oft ohne siche­re Prognosen zu möglichen Absatzmen­gen. Das erhöht den Zwang zur Flexibilität beim Produktportfolio, bei Kunden und Liefer an ten, Prozesstechnologien, IT­Sys­temen und Standorten. Solch vielfältigen Kräften halten am besten dezentrale Or­ganisationen mit autonom operierenden Einheiten stand.

Anders herum: Wettbewerb in volatilen, oft ungewissen, überaus komplexen und häu­fig mehrdeutigen Märkten ("VUCA World") verändert sich durch Industrie 4.0 grund­sätzlich, weil sich Wertschöpfungsketten verkürzen. Die Vorteile für Unternehmen liegen auf der Hand. Dazu gehören unter anderem (siehe auch Seite 17):

SCHNELLIGKEIT: Vor­ und Durchlauf­zei ten ("Lead Times") werden kürzer, so­wohl von der Produktentwicklung bis zum Markteintritt, als auch zwischen Auftrags­annahme und Produktauslieferung. Zu­dem sinken die Ausfallzeiten. Fern über­wachung und vorausschauende Wartung von Maschinen und Industrie anlagen un­terbinden kostspieligen Stillstand.

FLEXIBILITÄT: Digitalisierung und Ver­netzung plus virtuelle Werkzeugpla nung machen kundenindividuelle Massenferti­gung und Kleinstserien zu rentablen Prei­sen ("Losgröße 1") möglich.

Unter dem Strich werden Ressourcen effizienter eingesetzt, Maschinen und Men schen arbeiten produktiver.

DIE KOSTEN SINKEN, DIE MARGE STEIGT

Der Reifenhersteller Pirelli hat den Einstieg in die verzahnte Fertigung be reits vollzo­gen. Reifenproduk tion be deutet Maßar­beit in großen Stück zahlen. Gregorio Bor­go, General Manager Oper a tions, nennt die Innovationskultur der Italiener "offen und crossfunktional", weil Industrie 4.0 von allen Seiten im Un ter nehmen voran­getrieben werde: "Die Fa b riken der Pirel­li­Gruppe sind in ihren Funk tionen und Prozessen sowie in der Ma schi nen pflege zunehmend digitalisiert", so Borgo. Je hochklassiger das Auto, desto hö her die Ansprüche an die Reifen. "In un serem Produktionsumfeld brauchen wir eine balancierte Organisation", sagt Borgo. Diese Balance herzustellen und zu be­wahren sei einerseits ein Auftrag an die IT. Dafür stünden Themen wie die Inte gra tion von Fertigungsmanagementsys te men und Produktionsmaschinen, elektronisches

Kanban, automatische Quali täts kontrolle durch Funketiketten und Data Mining. "Andererseits konzentrieren wir uns auf die Entwicklung vielfältiger Fähigkeiten unserer Mitarbeiter, damit sie immer neue Prozesse und Technologien be herr­schen", so der Manager Operations.

Zum IT­Equipment der nächsten Gene­ration zählt Pirelli seine modularen Ferti­gungsroboter (MIRS), die es dem Unter­neh men ermöglichen, 14 Phasen der tra ­ditionellen Reifenproduktion auf drei zu verringern. Die MIRS­Roboter in den eu ro ­päischen und US­amerikanischen Pirelli­ Fabriken produzieren unterbrechungsfrei: Keine halb fertigen Produkte müssen zu­geführt werden, keine Zwischenlagerung ist nötig, weniger Energie wird eingesetzt. Die durchschnittliche Fertigungszeit vom Rohmaterial bis zum Endprodukt ist hal­biert worden. Integrierte Software steuert den Prozess: von der Bewegung der Ro­boter über Wiederauffüllung von Rohma­terial, Auswahl der Reifengröße und Vul­kanisierung bis hin zur Qualitätskontrolle. Der Mini Cooper S war eines der ersten Au tos, das so bestückt wurde, zuletzt kam der neue Bentley hinzu. Pirellis Produkti­vität ist markant gestiegen.

Ähnliche Erfolge durch die Einführung von Industrie 4.0 feiert der US­Motor­radhersteller Harley Davidson. In dessen Werk in York, Pennsylvania, 100 Meilen nörd lich von Washington, werden die Mo­delle "1200 Custom" oder "Street Bob" gefertigt. Individuelle Wunschmaschinen können Kunden online mit dem "Bike Buil­der" entwerfen und über einen Händler be stellen. Nicht mehr 21 Tage, sondern erst sechs Stunden vor Produktionsbeginn werden die Daten abgerufen. Das gibt Kun den maximale Flexibilität. Bis kurz vor Schluss können sie Änderungen an ihrem Motorrad vornehmen. Harley Davidson hat mit dieser Produktionsstrategie seine Vor­ und Durchlaufzeiten signifikant verkürzt. In der automatisierten Fertigungsstraße arbeiten Mensch und Maschine eng Hand in (Roboter­)Hand zusammen: Modellent­wicklung in 3D, digitale Planung und Über­

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DIE NEUE WELT DER (MEHR-)WERTSCHÖPFUNGVOM LIEFERANTEN ZUM PARTNER*: WIE SICH DIE ROLLEN IN DER INDUSTRIE WANDELN.

1980Komponenten- OutsourcingKLASSISCHE ROLLEN ­ VERTEILUNG: Liefer anten steuern Einzel teile zur Produktion bei.

2020Integriertes Liefer netzwerkDIE ZUKUNFT HAT BEGONNEN:OEMs werden "lean", Zulieferer sind für kom plexe Systeme und Prozesse mitverantwortlich.

Entwurf & Planung

Forschung & Entwicklung

Prototypenbau & Industrialisierung

Produktion von Komponenten

System­ integration

Verkauf & Service

BEISPIEL AUTO INDUSTRIEVom Rohmetall zum Schiebedach

KOMPONENTEN­FERTIGUNG Metallbearbeitung Zulieferer: Brinks Metaal Kunde: Power­Packer

SUBMONTAGE Hydraulik Zulieferer: Power­Packer Kunde: Edscha

SYSTEMINTEGRATION Komplettes Schiebedachsystem Zulieferer: Edscha Kunde: BMW

*

2000Auslagerung von Teilen der WertschöpfungROLLENWANDEL: Die Lieferkette wird komplexer. OEMs geben wichtige Produktionsschritte an Spezialisten ab.

Wertschöpfungskette

Outsourcing

1980 2000 2020

Quellen: Brainport Industries, Roland Berger

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wachung, auf Bildschirmen visualisierte Ar beitsanweisungen. Die Kosten sinken, die Marge steigt.

Solch erfolgreiche Beispiele sind es, die das Konzept der Industrie 4.0 rasant Fahrt aufnehmen lassen, ob als "Advan­ced Manufacturing" (USA und Großbri­tannien), "Usines du futur" (Frank reich), "Made dif ferent – Factories of the Future" (Belgien) oder als "Smart Industries" (Nie derlande). Der frühere SAP­Chef Henning Kagermann, einer der Erfinder des ur sprüng lich deutschen Begriffs In­dustrie 4.0, hofft auf eine Führungsrolle Deutschlands. Bundeskanzlerin Angela Merkel, so heißt es, legt Wert darauf, dass Industrie 4.0 auch in englischspra­chigen Publikationen mit der deutschen Endung "ie" geschrieben wird – als Mar­kenartikel, "Made in Germany". Es geht um nichts we niger als globale Innova­tions­ und Markt führerschaft.

Kagermann, inzwischen Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissen­schaften Acatech, ist auch im Ausland ein gefragter Gesprächspartner. "Zuerst ka­men die Chinesen, um die Automatisie­rung voranzutreiben", erzählt er, "dann die Niederländer, die wissen wollten, wie man viele unterschiedliche Akteure an einen Tisch bekommt; schließlich Amerikaner und Briten, die ihren Industrieanteil erhö­hen möchten." Kagermann versteht das große Interesse: "Die Vision von der Indus­trie 4.0 ist einfach, aber zwingend."

NEUE BALANCE ZWISCHEN MENSCH UND MASCHINE

Industrie 4.0 klingt nach dem neuesten Re lease einer Produktionssoftware und ist doch so viel mehr als ein simples Up­date. Denn sie schafft ein neues, radikal ver zahntes System in der Produktion. Menschen, Maschinen und Ressourcen kommunizieren unmittelbar miteinander. Intelligente Produkte kennen ihren Her­stellungsprozess und künftigen Einsatz. So unterstützen sie aktiv Fertigung und Do kumentation. Grundlage dieser Vision

vernetzter Produktion sind cyber­physi­sche Systeme (CPS): Werkstücke, Werk­zeu ge, Produktionsanlagen oder Logistik­ Komponenten, die mit eingebetteter Software über das Internet in Kontakt stehen. Sie erfassen und be ein flussen ihre Umwelt, bilden dezentrale Netzwerke und optimieren sich eigen stän dig. Ein virtuelles Abbild der realen Welt wird mithilfe hochaktueller Daten – in Echtzeit oder nahezu in Echtzeit erhoben und aus­gewertet – laufend aktualisiert, während der Mensch sich über multimodale Schnittstellen und "Augmented Reality"­ Anwendungen mit dem Produktions­ system verbindet, um es zu steuern. CPS ermöglichen die nächste Stufe der De­zentralität – der Objekte in der Fabrik, der Maschinen, der Organisation. Mit ihren Schnittstellen zu Smart Mobility, Smart Lo gistics und Smart Grid ist die intelli­gente Fabrik ein wichtiger Bestandteil künf ti ger Infrastrukturen. Wenn zwei oder mehr Unternehmen über solche Informa­tions flüs se verbunden sind, entsteht in der Netzwerkökonomie ein neues Zusam­men spiel der Akteure. Schon ist die Rede von der nächsten Stufe von "Coopetition", von kooperativem Wettbewerb bei maxi­maler Arbeitsteilung.

Schöne neue Welt? Noch nicht über­all. Denn dafür müssten sich die Unter­neh men von den klassischen Steuerungs­instrumenten der Produktion trennen. Dazu zählt Microsofts "Excel", die meist­ver breitete Software im Manufacturing Execution System (MES) und bislang fest etabliert in der Produktions­und Ressour­cenplanung sowie in der Prozessdaten­aus wertung. Je nach Investitionsbereit­schaft der Unternehmen, so rechnen viele Industrieexperten, werde sich dieses Bild bis 2030 deutlich ändern. Industrie 4.0 ist eine dynamische Evolution. Doch wenn am Ende eines evolutionären Weges revo­lutionäre Veränderungen locken, dann gilt es schon heute, als Pionier erste mutige Schritte zu wagen.

Gleichwohl fragen sich viele zögerli­che Unternehmen: Welche 4.0­ Technolo­

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Globale ProduktionsstättenIm Zentrum von "4.0" steht ein Netzwerk globaler Produktionsstätten. Die enge

Interaktion mit Partnerunternehmen führt zu einer Steigerung der Profitabilität, weil

sich zum Beispiel Abstimmungen verkürzen, und erlaubt eine stetige Optimierung

und Anpassung der Fertigungsprozesse.

Mächtige MaschinenführerAugmented Reality: Diese Technologie

bietet Menschen, die Maschinen bedienen, eine virtuell verbesserte Sicht auf die

Produktion, was zum Beispiel schnellere Wartungs­ und Reparaturarbeiten

ermöglicht. Mithilfe von Smartphones, Tablets und Datenbrillen werden sie zu

"Augmented Operators".

Soziale MaschinenSoziale Maschinen sind wissensbasierte,

sensorunterstützte und räumlich verteilte Einheiten autonomer Produktions­systeme. Sie teilen neu gewonnene Infor­

mationen mit anderen Maschinen. Zusätzli­che Konfiguration ist nicht nötig.

Intelligente ProdukteIntelligente Produkte sind jederzeit identi­

fizierbar und lokalisierbar. Jede Information über den Verlauf der Produktion wird

im Produkt gespeichert, etwa auf RFID­Chips. Intelligente Produkte steuern

ihren Produktionsprozess selbst.

Virtuelle ProduktionEin digitales Abbild der realen Fabrik verknüpft alle Menschen, Maschinen und Materialien und visualisiert die ablaufenden Prozesse. In

dieser virtuellen Produktion lassen sich Daten analysieren und zukünftige Zustände

simulieren, um die Produktion zu optimieren.

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EINE INTELLIGENTE FABRIK IST

WIE EIN SOZIALES NETZWERK

Menschen, Maschinen und Materialien

kommunizieren und interagieren in Echtzeit.

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passt zu seinem grundsätzlichen Credo, das lautet: Die Industrie muss weg von der Vorstellung, heute schon wissen zu wollen, welche Sensoren eine Maschine in fünf Jahren braucht. Stattdessen müsse man eine Plattform schaffen, auf der sich zu­kunftsfähige Lösungen entwickeln lassen. "Betriebswirtschaftliche Ertragsrechnun­gen führen bei Einzelprojekten oft in die Irre, wenn Investitionen den unmittelbaren Gewinn bei Kosten oder Effizienz über stei­gen", sagt Häuser. Weitblickende Mana­ger würden darauf zählen, dass Datenver­knüpfungen in der weiteren Entwicklung der Prozesse auch an unerwarteten Stel­len Vorteile einbringen.

Viel Sensorik hilft viel? So sieht der Bosch­Manager das ausdrücklich nicht. Unternehmen bräuchten aber eine Vision vollständiger Datentransparenz, die über die Projektrechnung hinausreicht. Senso­ren jedenfalls kosteten nur noch im Cent­ Bereich, auch Lesegeräte seien billig. Häuser ist sich sicher: "Die Wucht der In­dustrie 4.0 wird über die günstigen Lösun­gen kommen."

TREND ZUM "RETROFITTING"

Zurzeit erkennen Beobachter einen star­ken Trend zum "Retrofitting". Unterneh­men rüsten ältere Anlagen nach, ohne gleich eine komplett neue 4.0­Produkti­on zu finanzieren. So schützen sie frühere In vestitionen mit langen Abschreibungs­fristen. Schon deshalb ist Industrie 4.0 kein radikaler Umsturz: Technologien und Umsetzungsmöglichkeiten sickern ganz all mäh lich in die Wirtschaft ein.

Die ABB Group, ein global agierender Hersteller von Energie­und Automatisie­rungstechnik, erwartet, dass die klassi­sche Automatisierungspyramide im Kern erhalten bleibt. Sie werde nur überlagert von einem 4.0­Netzwerk mit definierten Zugangspunkten zur Produktion. An die­sen Kommunikationsknoten werden Le­se rechte erteilt, etwa zur Datenanalyse und Fehlersuche. Schreibrechte im Leit­system gestatten es Servicetechnikern,

gien sind überhaupt schon marktfähig? Jochen Schlick hält dies für die falsche Fragestellung: "Industrie 4.0 ist keine neue Technologie, aber sie bedeutet das Ende der Ineffizienz", sagt der Leiter des Zukunftsfeldes Cyber­Physische Systeme bei der Wittenstein AG. Der Ingenieur stieß vom Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) zu einem der weltweit führenden Hersteller mecha­tronischer Antriebstechnik. Schlicks Argu­men tation: Basistechnologien des Inter­nets der Dinge gebe es schon lange, wozu er Auto­ID, eingebettete Systeme, breit­bandige kabellose Netzwerke, digitale Steu erung und Kommunikation rechnet. Aber nun entstünden durch Industrie 4.0 vielversprechende Anwendungsfälle, weil Informationen aus der dinglichen Welt effi zient erfasst und effektiv digital wei­ter ver arbeitet werden können. Oder an­ders: Bis her getrennte Informationsquel­len wer den kompatibel.

Kompatibilität herzustellen hört sich ein fach an, doch aus seiner Beobachtung scheitern viele Unternehmer genau daran. Schlick empfiehlt deshalb nach "Medien­brüchen im industriellen Alltag" zu suchen: Stellen, an denen die Ineffizienz quasi mit Händen zu greifen ist – wie noch vor eini­ger Zeit in Wittensteins Intralogistik oder Produktionsplanung, zwei Bereiche, in de­nen Industriemeister feinste Details noch auf Papier bearbeiteten.

INEFFIZIENZ WAR FRÜHER

Das Unternehmen fertigt Produkte, die in Flugzeugturbinen, Erdölplattformen oder Herzschrittmachern zum Einsatz kom men. Mangelnde Synchronisation der Trans­portprozesse von Werkstücken mit der Produktion bedeutete Verschwendung von Zeit und Ressourcen. Fehlende digitale Abbildung der Produktionsplanung hieß, dass der Geschäftsführung gerade nicht jederzeit auftrags­, linien­ oder maschi­nenbezogene Daten zur Verfügung stan­den. Inzwischen hat Wittenstein die Brü­che im Daten­ und Kommunikationsstrom

beseitigt: mit QR­Codes, intelligenten Werkstückträgern, Tablet­PCs, digitalen Plantafeln. Als größte Heraus for der ung stellte sich heraus, die Altsysteme zu in­tegrieren. Das ist Wittenstein gelungen. Möglich wurde der Erfolg auch durch ein Netzwerk von 22 externen Partnern – die für Mechanik, Software oder Cloud­ An bin­dung verantwortlich waren.

Schlick argumentiert nüchtern, denkt gleichwohl offensiv. Nicht anders als bis­her gehe es darum, Pro duktion überall und allerorten zu optimieren. Selbst die Ziele der Unternehmen sei en immer noch die gleichen: Liefertreue, niedrigere Kosten, höhere Qualität. Methodisch hätten bisher Paradigmen der "Lean Production" dabei ge holfen. Trotz dem seien die theoretisch möglichen Leis tungen der Prozesskette oft nicht erreicht wor den. Diese Ineffizienzen zu beseitigen, darin stecke das Potenzial einer umfassen den Digitalisierung der Wert schöpfung. Industrie 4.0 bedeute, das Ziel einer maxi mal effizienten und res­sourcenschonenden Produktion auf neu­em Wege zu erreichen: nicht durch mehr Automatisie r ung oder bessere Komponen­ten, sondern durch weniger Schnittstellen im Datenstrom.

Der Informationsfluss, der die Waren­bewegung begleitet, bietet laut Schlick "Handlungsempfehlungen für informierte Entscheider", so wie das Navigationssys­tem für Autofahrer. Als Anwender müsse man nicht jede Facette eines solchen As­sistenzsystems verstehen. Keineswegs ausgeschlossen also, dass das Wissen zur Interpretation der Daten die Kernkom­petenzen der Anwender in einzelnen Fäl­len übersteigt: eine neue Marktlücke für Dienstleister zur unterstützenden Steue­rung betrieblicher Prozesse.

Die Frage, welche Dienstleistungen das konkret sind, hält Bernd Häuser, Lei­ter des Zentralbereichs Fertigungskoordi­nation bei Bosch, für lediglich perspekti­visch relevant – er setzt auf das Hier und Jetzt. Bei Häuser laufen die Fäden von 50 Pilotprojekten der Bosch­Gruppe zusam­men. Seine Antwort auf die Servicefrage

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zentrale Kalibrierungs­und Instandhal­tungsdienste anzubieten, und zwar im laufenden Betrieb. Die Anlage erkennt ihren eigenen Status, meldet und analy­siert drohende Schäden und ordert Er­satzteile. So werden kostspielige Auszei­ten vermieden. ABB bietet, wie viele andere Unternehmen, solche Hard­ und Softwarekom po nen ten für Ferndiagnose und voraus schau ende Wartung schon an.

Auch die Weidmüller Interface GmbH & Co. KG gehört zu den Systemlieferanten der Industrie 4.0, als Hersteller von Steu­erungs­ und Verbindungstechnik sowie Mess­ und Monitoringsystemen. Letztere sorgen zum Beispiel dafür, dass eine Spritz gussmaschine ihren Öldruck und Betriebstemperaturen direkt ins Internet übertragen kann. Maschinenführer sehen die Echtzeitdaten im Browser auf dem Tab let oder Smartphone und können diese gezielt nutzen – zur Visualisierung, Diagno­se, Früherkennung von Anomalien –, damit die Maschinen reibungslos arbeiten. Mar­kus Köster, Ingenieur in Weidmüllers Tech­nologieentwicklung, sieht es nüchtern: "Das Monitoring ist möglich, aber die au­tomatische Nachjustierung wird nicht so nachgefragt – noch nicht", wie er betont.

Woran das liegt? "Oft will der Mensch einfach die Kontrolle über die Abläufe be­halten", lautet Britta Hilts Erfahrung. Hilt ist Geschäftsführerin der IS Predict GmbH in Saarbrücken, ein junges 20­köpfiges Un­ternehmen der Scheer­Gruppe, das sich auf "Predictive Analytics" spezialisiert hat. Mit seinen Konzepten zur voraus schau­enden Maschinensteuerung ist die Firma einer der vielen neuen Player auf einem wachsenden Markt. Zugleich sieht Hilt aber auch eine der höchsten Hürden, die einer flächendeckenden Etablierung von Indust­rie 4.0 entgegenstehen. In etwa der Hälfte der Unternehmen gebe es trotz Messun­gen an den Maschinen und Anlagen keine für Mehrwertdienste brauchbaren Daten: Informationen werden entweder nicht oft genug erhoben, nicht ge spei chert oder sie sind nicht konvertierbar. Oft bleibe daher nur das Ausdrucken – Old School also.

Fieberhaft wird deshalb in Europa, aber auch außerhalb, an einer einheitlichen Datenstruktur und gemeinsamen Stan­dards gearbeitet, um den Maschinendia­log im großen Stil zu erleichtern. In der deutschen "Plattform Industrie 4.0", ei­nem Zusammenschluss von Verbänden, Unternehmen und Forschung, entsteht eine "Normierungsroadmap". In den USA beschäftigt sich die "Smart Manufactu­ring Leadership Coalition" mit dem Thema. Neue Standards eröffnen neue Märkte.

An dieser Normierung hängt der Erfolg von Industrie 4.0. Ist erst einmal ein offe­nes System geschaffen, kann jeder Entre­preneur am Spiel teilnehmen. Dann dürfte Metcalfs Gesetz greifen. Demnach wächst der Nutzen eines Kommunikationssystems proportional zum Quadrat der Anzahl sei­ner Teilnehmer. Je stärker Unternehmen also ihre Produktion vernetzen, desto stär­ker steigt der Wert des gesamten Wert­schöpfungsnetzwerks – und die Wettbe­werbsfähigkeit des einzelnen Teilnehmers. Schon 2020 könnten 50 Milliarden in tel­ligente Objekte miteinander kommu ni zie­ren, zehnmal so viele wie heute. Ur sprüng­lich eine interessengeleitete Prognose des Netzwerkausrüsters Cisco, gilt diese Zahl mittlerweile als plausibel.

HOHES TEMPO, NEUE SPIELREGELN

Das ungebremste Tempo des Zuwachses verändert die Spielregeln. "Wir müssen sehr schnell die Standards beherrschen", sagt Professor Wolfgang Wahlster, Chef des Technologie­Think­Tanks DFKI und Berater der Bundeskanzlerin. "Das ist ein echtes Machtspiel." Europa, Deutschland insbesondere, sieht er gut gerüstet, auch wenn es oft heißt, die Softwareriesen aus Amerika könnten im Vorteil sein, wenn die Wertschöpfung künftig derjenige kontrol­liert, der die Daten beherrscht. Doch wem gehören die Daten? Wie separiert man sie für ein tragfähiges Geschäftsmodell, Si cherheitsfragen (siehe dazu Seite 40) ganz außen vor?

Großbritannien Seit 2011 sind 312 Millionen Euro in die

"Advanced Manufacturing Supply Chain"­Initiative geflossen, im Frühjahr 2014 hat das "Department

for Business Innovation and Skills" einen zusätzlichen Fonds über 127 Millionen Euro

aufgesetzt, mit dem Forschung und Entwicklung im Automobil­ und Luftfahrtsektor

gefördert werden.

FrankreichPräsident François Hollande kündigt

3,7 Milliarden Euro für "La Nouvelle France Industrielle" an. In 34 staatlichen Aktionsplänen

werden ausgewählte Industrieprojekte vorangetrieben, darunter auch die Fabrik der

Zukunft ("Usines du futur"): 35.000 Produktions­ robotern in Frankreich stehen 65.000 in Italien

gegenüber – und 150.000 in Deutschland.

DeutschlandAls Teil des Aktionsplans der Bundesregierung

zur "Hightech­Strategie 2020" fließen 200 Millionen Euro in die "Plattform Industrie 4.0", die

Expertise aus der Forschung und den Spitzen­ verbänden des Maschinenbaus sowie der ITK­

und Elektroindustrie bündelt.

EuropaBis 2020 investiert die Europäische Kommission

1,15 Milliarden Euro in die Private­Public­ Partnership­Initiative "Fabriken der Zukunft".

Vor allem im Mittelstand soll die technologische Basis der Industrie gestärkt werden: anpassungs­

fähige Maschinen, innovative Werkstoffe, moderne IT für die Produktion.

USADie Obama­Administration hat allein 2013

rund 1,6 Milliarden Euro für Projekte im Umfeld der Produktionsforschung bereitgestellt. Der "Smart Manufacturing Leadership Coalition"

(SMLC), einer bundesweiten Interessen­ gemeinschaft mit mehr als 30 Firmenmitgliedern,

wurden 500 Millionen Euro zur intelligenten Fabrikvernetzung in Aussicht gestellt.

ChinaPeking will bis 2017 rund 1,2 Billionen Euro

für die Modernisierung und Transformation seiner Industrie investieren. Nicht alles davon wird

Industrie­4.0­relevant sein. Aus "Made in China" soll "Created in China" werden.

WELTWEITERWETTBEWERB

Was Regierungen sich den Wettlauf um die

Produktion der Zukunft kosten lassen.

Quellen u.a.: EU, GTAI, db research, Roland Berger

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GOOGLE KAUFT ROBOTIK-FIRMEN EN GROS

Der US­Autohersteller Ford setzt in seinem Werk in Michigan eine Software von Sie­mens ein. Sie dient der virtuellen Naviga­tion durch die Produktion und soll die in­ter nationale Zusammenarbeit der Ford­ Werke verbessern. Die Infrastruktur von Google Earth hilft dabei, in 3D bis auf die Ebene einzelner Arbeitsplätze durch die Produktion in aller Welt zu wandern. Der Kunde profitiert in jedem Fall. Bleibt die Frage, wer in diesem Wettlauf das besse­re Ende für sich hat: Siemens als indust­rienaher Lieferant, der sich längst auch als Digitalisierer sieht und bereits 17.500 Software­Ingenieure beschäftigt? Oder doch der neue Riese Google, der nur dar­auf lauert, das Geschäft mit den Unter­neh mensdaten zu übernehmen?

Googles mächtigste Informations sam­melstelle ist das Betriebssystem Android, das weltweit auf 80% aller Smartphones und auf 60% aller Tablets läuft. Konnekti­vität bedeutet eben auch, dass sich so­wohl Nutzer als auch Anbieter konkurrie­render Systeme gegen etablierte Stand­ards irgendwann nicht mehr wehren kön nen. Und Google ist rastlos. Zum Bei­spiel mit seinem Projekt "Tango". Ent­wick ler arbeiten daran, Smartphones und Tablets ein menschliches Verständnis drei­dimensionaler Räume und Bewegungen einzupflanzen. Daran beteiligt sind Uni­versitäten, Forschungseinrichtungen und industrielle Partner aus neun Ländern weltweit – darunter Bosch, Infineon, die ETH Zürich, die George Washington Uni­versity und die Open Robotics Foundation. Hard­ und Software in den Prototypen zeich net Bewegungen auf und erstellt ein Modell der Umgebung in 3D. Auch hier ist Android die Datenplattform. Sensoren er­lauben mehr als 250.000 Messungen pro Sekunde, Position und Orientierung des Geräts werden in Echtzeit aktualisiert. Im Moment zielt "Tango" auf Konsumenten­anwendungen. Aber das Potenzial für die Industrie liegt auf der Hand: intelligentere

Navigation, fahrerlose Autos, Drohnen­steu erung, Augmented­Reality­Apps, Steuerung von Werkstücken und Maschi­nen. Das Projekt hat bisher kaum Auf­merk samkeit in Publikums­ und Wirt­schafts medien gefunden. Sobald sich das ändert, wird sich die Unruhe verstärken, die sich in der produzierenden Industrie breitmacht, seit Google allein 2013 acht Robotikfirmen aufgekauft und den And­roid­Erfinder Andy Rubin beauftragt hat, eine Sparte zur Roboterentwicklung auf­zubauen. Sie soll schnell wachsen.

Bisher schützt den europäischen Ma­schinen­ und Anlagenbau die Zergliede­rung der heutigen Industrie­IT. Dass US­ Softwareunternehmen bald die Welt der Industrie erobern könnten, glaubt auch Bernd Häuser von Bosch. Die langen Le­benszyklen von Produktionsanlagen hät­ten viele IT­Riesen davon abgehalten, die­sen Markt für interessant zu halten. Aber diese Zurückhaltung weiche nun. Häuser: "Wir als Maschinenbauer haben die Be­drohung lange unterschätzt."

EUROPA BIETET DEN USA DIE IT-STIRN

Inzwischen sind Europas Unternehmen hell wach. Als Marktführer bei eingebette­ten Systemen besinnen sie sich auf ihre Stärken, z.B. die Kompetenz in der Senso­rentechnik. Deutschland kann Unterneh­men wie Continental und Sick, Infineon und SAP vorzeigen. In den Niederlanden, wo es viele hochentwickelte Industriezulie­ferer gibt, profiliert sich NXP Semiconduc­tors, ehemals Philips. Die Schweiz hat ei­nen Maschinen­ und Anlagenbau von Weltruf, in Norditalien arbeiten Forscher und Unternehmen am Technologietransfer. Frankreich holt gerade mit voller Kraft zwei bis drei Jahre Rückstand auf. Vielfalt zähle, nicht Größe, führt Merkel­Berater Wahlster ins Feld: "Intel ist riesig, aber die sind nicht in den Markt gekommen." Auch beim Big Data Mining hat Europa einiges zu bieten: "Hana"­Datenbanken von SAP, "Terracot­ta" von der Software AG oder das in Berlin

entstandene Analysetool "Stratosphere", das erst im April als Projekt in das Apache­ Incubator­Programm aufgenommen wur de. "Wir haben Vorsprung in der Techno lo gie, die Amerikaner sind besser in Ver net zung und bei Geschäftsmodellinno vationen", sagt Wahlster, neben Kagermann der zwei­te Wortschöpfer von Industrie 4.0, "wir wer den uns mit ihnen verständigen."

Bei Endress+Hauser, einem Schweizer Mess­und Regeltechniker, heißt es, die ho rizontale digitale Integration – Messge­räte und Kommunikationssysteme zur Da tenerfassung und zum Datentransfer – könnten Unternehmen heute schon be­zahlen. Sie wären damit in der Lage, au­to matisch Auftrag, Lagerung, Lieferung, Bestand zu steuern. Auch die vertikale Integration sei realistisch. Dabei werden Ebenen der Automatisierungspyramide so vernetzt, dass eine Verbindung zwischen Enterprise Resource Planning (ERP) und Produktionsprozess entsteht. Von einem durchgehenden digitalen Engineering kön ne aber noch keine Rede sein: "4.0 als um fassendes Fertigungspaket kann man noch nicht kaufen", heißt es bei En­ dress+Hauser, aber man will wie Witten­stein durch Vernetzung dorthin.

Nicht warten, starten: Zu einem ra­schen Einstieg in die Industrie 4.0 rät Martin Marx den produzierenden Unter­nehmen. Er ist Vertriebsleiter der westfä­lischen Harting Technologiegruppe, die mit Steckern, Kabeln und elektromechani­schen Steckverbindungen 500 Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaftet – und die sich künftig als digitaler Sys tem lie­ferant einen Namen machen will. "Wir fan gen klein an, es geht um Vertrauen, um erste Netzwerke und darum, Kunden den Nutzen von 4.0 in kleinen Schritten dar zulegen", sagt Marx. Ein Nachfrage­markt müsse sich sukzessive entwickeln. Harting ist einer von mehr als 30 industri­ellen Partnern im gemeinnützigen Verein "Smart Factory KL e.V.", einer herstel ler­unabhängigen Plattform, die aus ge reif te Informationstechnologien in die Fabrik­automation zu integrieren sucht.

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4 STARKE ARGUMENTEVORTEILE DER INDUSTRIE 4.0

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Die Unternehmen im Netzwerk demon­strie ren zum Beispiel mit Testmodulen, wie selbst Konkurrenten einheitliche Schnitt­stellen nutzen können, um gemeinsam ar­beitsteilig zu produzieren. Diese Module erkennen ihren Nachbarn, sodass sie je­der zeit getauscht oder ausgewechselt werden können. "2013 war unsere Anlage technisch schon einen Schritt weiter", er­zählt Professor Detlef Zühlke, Spiritus Rec­tor und Vorstandsvorsitzender der Techno­lo gie­Initiative: "Inzwischen geht es uns aber weniger um das technisch Machbare, als vielmehr um handfeste Geschäftsmo­delle." Zühlke berichtet von ersten nam­haften Kaufinteressenten: einem Kompo­nentenhersteller aus dem Flugzeugbau, einem Autohersteller, einem Unternehmen aus dem Bereich Anlagenmonitoring.

ES GIBT HANDFESTE GESCHÄFTSMODELLE

Geschäftsmodelle rund um Industrie 4.0 etablieren sich überall – zum Beispiel bei Bosch im saarländischen Homburg. Dort werden seit Juni 2014 hydraulische Schei­benventile für Traktoren gefertigt, 2.200 Varianten in kleinen Stückzahlen. Der Kun­de sendet seine Aufträge direkt zur Ferti­gungsanlage, die sich selbstständig kon­figuriert, Teile sucht und laufend Daten zum Fertigungsstatus auswertet. "Die In ves tition in die neue Produktionslinie rechnet sich in kurzer Zeit", sagt Bosch­ Mana ger Häuser. Zum einen steige die Pro duktivität der Ma schinen, weil sie nicht mehr umgerüstet werden müssten. Zum anderen auch die der Mitarbeiter, weil sie keine einzelnen Aufträge mehr eingeben müssten.

Eine verkürzte Wertschöpfungskette hat inzwischen auch der Getränkeabfüller KHS GmbH aus Dortmund umgesetzt, der mit seiner prämierten digitalen Technolo­gie Innoprint Zigtausende PET­Flaschen parallel direkt und rundum ohne Etiketten bedrucken kann. Das schafft maximale Flexibilität, verkürzt die Time­to­Market und ermöglicht kleinste Losgrößen. Die

Tinte wird beim Flaschenrecycling wieder entfernt. Das alles spart Zeit, Geld und Tonnen von Müll.

Mit der Digitalisierung der Geschäfts­prozesse hat jetzt auch eine besondere Spielart der individuellen Massenferti­gung Einzug gehalten: die Lohnfertigung. Wie bei der 247 TailorSteel GmbH, einem internetbasierten Beschaffungsportal für Lohn arbeiten rund um industrielle Bleche und Rohre. Das Unternehmen ist vor Jah­ren aus den Niederlanden nach Deutsch­land expandiert. Zwischen Reißbrett und CAD sind alle Arbeitsabläufe auf die indi­viduellen Anforderungen der Kunden op ti­miert. Angebote werden innerhalb von Mi nu ten per Mausklick generiert, die Pro­dukte hätten "höchste Qualität auf jeder­zeit replizierbarem Niveau", wie das Unter­nehmen sagt. Technisch ist das glaub­ wür dig, die Herstellung der Werkstücke verrichten Laserschneider von Trumpf. So sichern sich Unternehmen wie 247 Tai lor­Steel durch Digitalisierung eine zufriedene Kundschaft.

KUNDEN LASSEN UNTER-NEHMEN KEINE WAHL

Haben unsere hochentwickelten Volkswirt­schaften bei Industrie 4.0 die Wahl? Nein, argumentiert Professor Thomas Bauern­hansl. Denn nicht Technologien trieben Modularisierung und Flexibilisierung vor­an, sondern Kunden und Märkte. Bauern­hansl ist Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb IFF der Univer­sität Stuttgart sowie Chef des Fraunho­fer­Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Seine Logik geht so: Heute steht ein hoher Industrieanteil, ver­einfacht gesagt, für große Fortschritte und eine hohe Dynamik. Das Produktivitäts­wachstum habe in der deutschen Industrie zwischen 2000 und 2010 bei 30% gele­gen, doppelt so hoch wie das bei Dienst­leistungen. 2010 seien fast 90% der Aus­gaben für Forschung und Entwicklung auf die Industrie entfallen. Für Bauernhansl ist es deshalb nur konsequent, dass die EU

den Anteil der Industrie an der Brutto­wertschöpfung bis 2020 von 16 auf 20% erhöhen will.

Die Reorganisation der Wertschöp­fung verspricht große volkswirtschaftliche Potenziale. Allerdings sind die Vorausset­zungen in Europa höchst unterschiedlich. 35.000 Produktionsrobotern in Frankreich stehen 65.000 in Italien gegenüber und 150.000 in Deutschland. Das hat die fran­zösische Regierung aufgelistet, die ankün­digt, in die "Fabrik der Zukunft" zu inves­tieren. Die Frage ist, ob die Industrie die damit verbundene Gelegenheit ergreifen wird. Jean­ Camille Uring, COO von Fives Cinetic und Präsident im Verband der Europä ischen Werkzeugindustrie (siehe auch Seite 3), spricht von einer Zweitei­lung der französischen Wirtschaft.

Als Fives­ Manager weiß er, was es heißt, Maschinen und Anlagen für die welt­weit größten Industriegruppen zu konzipie­ren und zu liefern, in Branchen von Alumi­nium und Automobil bis Luftfahrt und Logistik. Als Regierungsberater hat er die Vision der "Usines du futur" mit entworfen: Organisation und Finanzen, Pläne für ein­zelne Industrien. Uring weiß um die gerin­ge Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mitt­lerer Unternehmen in Frankreich, neue Maschinen allein seien noch nicht die Lö­sung für globale Märkte.

So wird Europa seine Stärken aus­bauen müssen. Deutschland gilt vielen als Spitzenreiter bei der Digitalisierung der Wirtschaft, aber das ist immer nur eine Momentaufnahme. Für Selbstzufrieden­heit ist im kompetitiven Umfeld von Indus­trie 4.0 keine Zeit.

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Herr Krüger, manchen gilt Industrie 4.0 als Modewort. Wie definieren Sie bei BMW den Begriff? Die Verbindung der di­gitalen Welt mit der realen Welt – vernetz­te intelligente Produktion, vernetzte Sys­teme. So haben wir es bis dato definiert. Klingt nach einer Mainstream-Defini- tion. Was ist für Sie das Besondere an die sem Thema? Für uns bei der BMW Group ist es ganz fundamental, dass im­mer der Mensch im Mittelpunkt des Pro­

duktionssystems steht und dass Indust­rie 4.0 eine Unterstützung des Menschen ist. Es wird ihn nicht ablösen. Das ist an­ders als bei früheren Entwicklungen wie "Computer Integrated Manufacturing", die in Vorstellungen einer menschenleeren Fa­brik mün deten. Ich bin davon überzeugt, dass der Mensch mit seinen Fähigkeiten und Kompetenzen der zentrale Erfolgsfak­tor bleiben wird. Er wird ergänzt durch In­dustrie 4.0, indem ihm bestimmte Dinge

HARALD KRÜGER, Produktionsvorstand der BMW Group, über Verheißungen von Industrie 4.0, mögliche

Verschiebungen in der Wertschöpfungskette und die zukünftige Interaktion zwischen Mensch und Maschine

INTERVIEW: Jochen Gleisberg, Philipp Grosse Kleimann und Thomas Reinhold

FOTOS: Thomas Dashuber

"SCHLANKER, SCHNELLER, STABILER"

ergonomisch leichter gemacht werden, ein Prozess robuster wird, mit Informationen, die es bisher so nicht gab. Wir reden also nicht über reine Automatisierung.Bedeutet das Evolution oder Revolu tion in der Produktion? Es ist für mich keine Re volution mit dem großen digitalen Sprung, als ob nicht mehr gelten würde, was in der Gegenwart gilt. Was sich deut­lich verändern wird: Wir brauchen auch bei BMW Menschen, die ein hohes Inter­

IM US­WERK IN SPARTANBURG, SOUTH CAROLINA, SETZT BMW IN DER TÜRMONTAGE KOLLABORATIVE ROBOTER EIN. SIE UNTERSTÜTZEN DEN MITARBEITER –

PUNKTGENAU, SCHNELL UND BELIEBIG OFT WIEDERHOLBAR.

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gen: In ter aktion zwischen Mensch und Maschine. Wir hatten hier auch For­schungspartner mit an Bord. Unser Mitar­beiter wird nicht ersetzt, der Roboter hilft aber, den Prozess noch weiter zu stabilisie­ren und damit qualitativ noch sicherer zu werden. Diese ergonomische Hilfe bedeu­tet Nachhaltigkeit im Produktionssystem. Solche Elemente probieren wir auch an anderen Stellen aus. Das bringt Fortschrit­te bei Effizienz und Qualität – ermöglicht durch Vernetzung. Das ist die Chance von Industrie 4.0: eine noch bessere Vernet­zung im Sinne des Gesamtoptimums. Wie wird sich durch Industrie 4.0 das Ver hältnis zu Zulieferern verändern? Werden sich Wertschöpfungsanteile ver-schieben? Als OEM werden wir uns immer auf die Fahrzeugmontage, auf das Auto an sich fokussieren. Es kann aber sein, dass wir uns noch stärker an vormontierten Mo­dulen orientieren, die vernetzt in digitalen Prozessen angeliefert werden. Das geht bis zur Montagesimulation, wenn wir etwa den einen Teil des digitalen Türeneinbaus erarbeiten und der Lieferant einen ande­ren. Das gesamte Entwicklungs­ und Pro­duktionssystem lässt sich simulieren,

esse an Systemwissen haben. Wir werden stärker systemorientiert und integriert den ken, ein Gesamtsystem betrachten und nicht nur einzelne Arbeits­ und Pro­zess schritte. Um bei der Tragweite zu bleiben: Halten Sie Industrie 4.0 für über- oder unter-schätzt? Ich glaube, dass jedes Unter neh­men seine Potenziale darin suchen muss. Industrie 4.0 ist nicht das Allheilmittel, aber eine nächste Chance, Dinge vernetz­ter anzugehen, mit mehr Zuverlässigkeit in schlanken Prozessen, höherer Produktivi­tät und Qualität. Aber dies allein wird nicht helfen, die Wettbewerbsfähigkeit der In­dustrie nach oben zu treiben.Zuletzt ist BMW für seine Produktivi -täts fortschritte gelobt worden. Welche Notwendigkeit gibt es überhaupt für Sie, sich der Welt der Industrie 4.0 zu öffnen? In der Vernetzung des gesamten Wert stroms vom Rohmaterial bis zum End­produkt eines Fahrzeugs liegen noch unge­nutzte Chancen. Die BMW Group ist ein Unternehmen, das sich immer wieder durch Innovationen auszeichnet, zum Bei­spiel in der Nutzung von Kohlefaser für den elektrisch angetriebenen i3 oder den i8.

"Für uns bei der BMW Group

ist es fundamental, dass der Mensch im Mittelpunkt

des Produktions­ systems steht."

Wenn Sie Innovationen in Produkten vor­antreiben wollen, dann müssen Sie auch Innovationen in den Prozessen vorantrei­ben. Industrie 4.0 verspricht uns, innovati­ver, vielleicht schneller zu machen, bei­spielsweise durch weniger Versuche mit Hardware. Es läuft heute schon auf mehr digitale Abbildung hinaus: im Prototypen­bau, in der Produkt­ und Prozessentwick­lung. Zeit ist ein ganz wichtiger Faktor in der Wettbewerbsfähigkeit.Kürzere Time-to-Market, also die Vor- laufzeit von der Entwicklung bis zur Pla tzierung eines Produkts am Markt, gilt als ein wesentliches Versprechen von Industrie 4.0. Deswegen sind wir da­ran interessiert. Wir haben mit kleinen Pilotprojekten angefangen, zum Beispiel in unserem US­Werk in Spartanburg, South Carolina. Dort sind unsere kol labo­rativen Roboter in der Türmontage im Ein­satz und unterstützen den Mitarbeiter – punktgenau, schnell und beliebig oft wiederholbar. Die Bewegungen des Men­schen und des Roboters sind optimal aufeinander abgestimmt, damit es keine Kollisionen gibt. Das nenne ich intelligente Vernetzung, das ist Produktion von mor­

INTERVIEW

HARALD KRÜGER

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297,3Spartanburg

USA GB D A RSA CN

176,0Oxford

3,0Goodwood

247,3München

295,5Regensburg

342,6Dingolfing

186,7Leipzig

125,6Graz

65,6Rosslyn

126,9Dadong

88,0Tiexi

DIE GRÖSSTEN PRODUKTIONS-STÄTTEN DER BMW GROUPGlobal Footprint: Die elf größten BMW­Standorte aus vier Kontinenten sind in den USA, Deutschland, Großbritannien, Österreich, Südafrika und China beheimatet (Fahrzeugfertigung in Tausend pro Jahr). In Oxford schlägt das Herz des "Mini".

auch über internationale Standorte hin­weg. Wir können es gemeinsam mit den Lieferanten schlanker, schneller und stabi­ler machen. Das Zusammenspiel wird sich nochmals optimieren. Ich glaube aber nicht, dass sich dadurch unmittelbar Wert­schöpfungsschritte verändern.Lässt nicht die zunehmende Vernetzung die Bedeutung der Zulieferer eher wach-sen? Wir haben schon heute den über­wiegenden Teil der Wertschöpfung in der Hand der Zulieferer. Automobilproduktion – gerade im Premiumsegment – funktio­niert nur in einem sauberen Zusammen­spiel von Zulieferern und Her stellern. Es gibt natürlich alle Ketten und Arten von Zulieferern. Es gibt Lieferanten, die ein ganzes System beisteuern, inklusive Ent­wicklung. Die entwickeln eine Türverklei­dung und erproben sie auch. Genauso gibt es Komponentenhersteller oder Teile­lieferanten. Wir werden in der vernetzten Produktion noch stärker mit den Sys­temlieferanten zusammenarbeiten, weil die frühe Phase der Produktentwicklung wichtig ist. Wir wollen die Integration so früh wie möglich, um Schnittstellen abzu­stimmen, um frühzeitig Teile gemeinsam für eine schlanke und schnelle Fertigung zu optimieren. So wird die Vernetzung stei­gen. Industrie 4.0 wird aber nicht grund­sätzlich die Bedeutung der Zulieferer än­dern. Sie ist heute schon hoch.An welchen konkreten Projekten for-schen Sie und mit welcher Zielsetzung? Es sind Projekte in der Softwarevernet­zung. Bei der BMW Group arbeiten wir mit Projektteams, ohne große Organisation. Wir verfolgen mit Industrie 4.0 drei Ziele: erstens Projekte in der Forschung und Vorentwicklung. Die kollaborativen Robo­ter in Spartanburg stammen ursprünglich aus der Vorentwicklung der Produktion. Uns geht es um den neuen Leichtbau, um eine andere Art von Auto matisierung, neue Materialverbindungen, einfacheres Klip­sen, simplere Ferti gungs konzepte für kür­zere Produktionszeiten. Zweitens entwi­ckeln wir Ideen im Tagesgeschäft der Serie weiter. Wir prüfen gerade für künfti­

11 4aus

Quelle: BMW Group

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ge Baureihen und Produkte, wie wir diese Elemente einsetzen können: intelligente Vernetzung, um unser Potenzial bei Qua­lität, Kosten und Einmalaufwand zu nut­zen. Drittens arbeiten wir mit Elemen ten von Industrie 4.0, wenn es um die Pla­nung von neuen Produktprojekten oder neuen Produktionsstrukturen geht. Das müssen Sie uns bitte genauer erklä-ren! Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir bau­en gerade unser internationales Produkti­onsnetzwerk aus, etwa ein neues Werk in Brasilien und eines in Mexiko. Das Werk in Spartanburg wird ebenfalls deutlich erwei­tert. Es entstehen neue Produktionsstruk­turen, in denen wir online die Simulation von Durchlaufzeiten und Prozessen auf ein höheres Niveau bringen. Wir überführen den Anteil einer klassischen technischen Planung früher und intensiver in eine digi­tale, vernetzte Planung mit den Lieferan­ten. Wenn wir etwa eine Lackiererei bauen, dann beauftragen wir einen großen Anla­genhersteller, der uns ein ganzes Gewerk liefert. Für BMW als Produzent ist wichtig, wie die Durchlaufzeiten sind, welche Ab­kühlzeiten wir haben, welche Stabilität in der Perlenkette der Produktion. Ein weite­res Beispiel sind die Montageprozesse. Die Vorteile des kollaborierenden Roboters werden wir nutzen, um die Produktivität unserer Fahrzeugmontage auch an ande­ren Standorten zu steigern. Zahlt es sich aus? Wenn man Spartan­burg als Beispiel nimmt: ja, definitiv! Die Mitarbeiter in der Fertigung sind begeis­tert. Wir evalu ieren jetzt die Potenziale, wir lernen. Industrie 4.0 ist ja eine perma­nente Weiterentwicklung. Wir stehen erst am Anfang, aber die ersten Signale sind eindeutig positiv. Ihre Mitarbeiter sind sicher begeistert, wenn ein Roboter ihnen die Tür hebt. Ist denn der Betriebswirt in Ihnen auch be-geistert? Ja, Effizienz und Produktivität sind immer wichtig für mich. Der erste Punkt ist die hohe Zuverlässigkeit dieser Robotertechnologie. Denn Störung in der Produktion begeistert mich gar nicht. Wenn Sie alle 60 Sekunden ein Fahrzeug

produzieren, dann bedeutet jede Sekunde Stillstand einen Verlust. Das Zweite ist: Alles lässt sich viel schneller umsetzen und integrieren. Wir brauchen weniger gro­ße Aufbauten, keinen Käfig für die Sicher­heit. Unsere neuen Roboter sind klein und flexibel. Integrations­ und Wechselzeiten sind kürzer, damit kann auch der Einsatz in einer neuen Produktion schneller erfolgen. Es gibt schon einige Aspekte, die mich an dieser Technologie begeistern. Wie taxieren Sie das Gesamtpotenzial von Industrie 4.0? Ich rechne nicht mit einem digitalen Sprung von 20 bis 30% mehr Produktivität. Aber ich freue mich über tägliche, kleine Produktivitätsfort­schritte. Nur 5% wären schon viel, wenn

auf den Markt bringen, schnell Produkti­onskapazitäten erweitern, wenn der Markt dies fordert. Weniger Aufwand durch digi­tale Vernetzung und Verbesserungen an den Schnittstellen von Lieferant, System­lieferant und OEM bedeuten Zeitgewinn – ein echter Wettbewerbsvorteil. Denn es kann heißen, dass Sie eine Innovation schneller auf den Markt bringen als ande­re: Effizienzgewinn an Zeit. Und das dritte Argument hat zu tun mit Qualität und Zu­verlässigkeit. Kundenindividuelle Massenfertigung, noch eine Verheißung von Industrie 4.0, dürfte nichts sein, was Sie erst lernen müssen. Von jedem Auto gibt es theore-tisch mehr Varianten, als BMW je ver-kauft. Ja, die Variantenanzahl ist schon sehr hoch. Unsere Flexibilität wird durch Industrie 4.0 aber nochmals gefördert. Den 3er zum Beispiel bauen wir in Südafri­ka, in China, in München, in Regensburg. Und wenn ich an vier Standorten relativ schnell eine neue Technologie integrieren kann, und zwar global vernetzt und zuver­lässig, dann birgt das ein erhebliches Po­tenzial. Die Simulation betrifft nicht nur die Produktion, auch die Logistik, alle Waren­ströme und Lieferkonzepte. Dann können Sie relativ schnell sehen, ob eine zusätzli­che Variante in einer Türverkleidung auch neue logistische Prozesse nötig macht oder ein größeres Lager. Jetzt sind wir wie­der beim systemorientierten Denken. Das wird durch Industrie 4.0 viel stärker abge­fragt. Es erfordert umfassend kompetente Mitarbeiter, die Spaß an der Vernetzung von Technologie und IT haben. IT ist ein wichtiges Stichwort: Beherrscht sie in der Industrie 4.0 mehr und mehr die Produktion? Sie erhöht die Bedeu­tung von IT, aber nicht grundsätzlich, nein. Wir haben heute schon viele Mitar­beiter, die an der Schnittstelle zwischen IT und klassischer Produktionsplanung arbeiten. Das betrachtet die BMW Group seit jeher als Kernkompetenz. Kauft BMW gegebenenfalls IT-Spezia-listen auf? Unser IT­Know­how werden wir immer mit erster Priorität intern entwi­

"Drei gute Argumente für Industrie 4.0:

demografischer Wandel,

Zeitgewinn, Qualität"

Sie das auf zwei Millionen Fahrzeuge im Jahr umlegen. Wir bauen ungefähr 8.000 Autos täglich. Unsere Verantwortung ist tagtägliche Effizienz.Wo sehen Sie als Produktionsvorstand weitere positive Aspekte bei der Einfüh-rung von Industrie 4.0? Es gibt drei gute Argumente für Industrie 4.0. Da ist erstens der demografische Wandel in Deutsch­land. Bei BMW nimmt die Anzahl der Mit­arbeiter, die über 50 sind, stetig zu. Eine optimale ergonomische Entlastung bedeu­tet einen Effizienzgewinn durch eine ge­sundere Belegschaft. Zweitens: Geschwin­digkeit. Heute wollen wir schnell Produkte

INTERVIEW

HARALD KRÜGER

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Sind Strukturen zum Beispiel in Süd-afrika so anders als in Regensburg? Ja, in Südafrika sind ja die Stückzahlen der lokalen Lieferanten in der Regel geringer als in der europäischen Industrie, wo uns mehrere große OEMs beliefern. Das be­deutet oft Prozesse, die deutlich weniger automatisiert sind. Hier kommen be­triebswirtschaftliche Überlegungen ins Spiel: In Südafrika haben wir im vergan­genen Jahr über 60.000 Autos gefertigt. Nun kann es sein, dass sich eine Techno­logie zwar für 300.000 Einheiten rechnet, aber nicht für diese Stückzahl. Das sind die gleichen Rechnungen wie früher bei der Automatisierung, wo wir überlegt ha­ben, wie sich Roboter relativ zu Volumen und Arbeitskosten rechnen.Was ist ihre Vision einer digitalisierten Produktion? Wir haben noch den kolla-borativen Roboter aus Spartanburg im Kopf, letztlich vor allem eine ergono-mische Hilfe … als ein Anwendungsbei­spiel. Weil wir noch am Anfang stehen. Ok, verstanden. Aber reden wir auch über reine Maschine-zu-Maschine- Kom-munikation, wo der Mensch nicht mehr gefragt ist, außer um mit seinem Tablet zu überwachen, was da passiert? Wir könnten auch über die Kommunikation Fahrzeug­zu­Maschine sprechen. Wir ha­ben bei der BMW Group sehr viel Aus­

ckeln und die geeigneten Absolventen und Forscher an den Universitäten rekru­tieren. Der Anteil der Mitarbeiter mit Soft­ware­Know­how steigt tendenziell. Das liegt an der stärkeren Elektrifizierung der Autos. Außerdem führt die Internationali­sierung zu viel mehr Vernetzung. Wenn Sie einen Fahrzeugtyp an mehreren Stand­orten bauen, dann muss das global abge­deckt sein, zum Beispiel in der Logistik bei den Stücklistensystemen. Die Produk­tionsplanung ist schließlich auch deutlich globaler geworden. Wer treibt das Thema bei BMW voran? Der Finanzvorstand, der hofft, Kosten zu drücken? Der IT-Vorstand, der seine Be-deutung wachsen sieht? Oder Sie als Produktionsvorstand? Ich glaube, das wird jeder von uns in seinem Ressort trei­ben und auch wir gemeinsam als Unter­nehmen. Ein Beispiel: Der Leiter der tech­nischen Montageplanung bei der BMW Group war vorher in der Produktion zustän­dig für die IT. Er war derjenige, der Infra­struktur und insbesondere Anwendungs­software zur Verfügung gestellt hat. Jetzt ist er derjenige, der die technische Planung für die Montage verantwortet. Das hilft ihm, seine Ziele zu erreichen, die ich ihm für Herstellkosten, proportionale Ferti­gungskosten, Einmalaufwand oder Investi­tion setze. Er kennt zwei Blickwinkel. Es ist

nicht so selten, dass Kollegen bei BMW auf solche Art die Perspektive wechseln. Ein Ressort oder eine Funktion alleine kann das Potenzial nicht heben. Deswegen ist es so wichtig, dass die Menschen mit­einander gut arbeiten. Es sind Menschen, die Vernetzung vorantreiben – und ohne diese Neugierde auf etwas Neues wäre zum Beispiel auch die CFK­Karosserie, also die aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff, nicht entstanden. Das Anforderungsprofil Ihrer Mann-schaft verändert sich. Was ändert sich für Sie persönlich? Wie gehen Sie mit neuen Aufgaben um? Eine Anforderung an mich ist, dass ich mich mit dem Thema intensiver beschäftige, um die Potenziale von Industrie 4.0 besser zu verstehen, denn ich muss sie in neuen Produkt­ oder Strukturprojekten realisieren oder als Ziel­vorgaben mitgeben. Dabei muss ich Chan­cen und Risiken abwägen. Ich frage mich außerdem, wo wir vielleicht eine andere Zusammenarbeit mit Universitäten oder Lieferanten eingehen und was dies für das Geschäftsmodell von BMW bedeutet. Schließlich beschäftigt mich täglich die Inter nationalisierung des BMW Group­ Netzwerks. Es wird mir nichts nutzen, eine perfekte Musterfabrik in Deutschland zu haben, wenn wir Alternativen an anderen Standorten unberücksichtigt lassen.

Daumen hoch für "4.0": Harald Krüger sieht

"eindeutig positive Signale".

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tausch zwischen dem Fahrzeug, das durch die Produktion läuft, und den Maschinen. All die Qualitäts­, Prozess­ und Umge­bungsdaten, die dort generiert und ge­winnbringend genutzt werden. Unser Fahr­zeug weiß, was es für eines werden soll, welche Farbe, welche Sonderausstattung. Es kann sein, dass Sie später als bisher in der Produktion noch Varianten erzeugen können. Wir müssen einfach offen sein. Und wie geht's dann Ihrer Einschätzung nach weiter mit der Industrie 4.0? Es ist

noch zu früh, um ganz genau zu sagen, wohin sich das bei BMW entwickelt. Das hängt von so vielen Faktoren ab. Wie ent­wickelt sich die Technologie? Zu welchen Preisen? Welche Prozesse können Sie abbilden, welche nicht? Denken Sie nur an die Haptik und Optik im Auto, wie wirkt sei­ne Wertigkeit? Wie dem auch sei: Indu s trie 4.0 wird in der Fertigung eines kom plexen Fahrzeugs nicht dazu führen, dass wir mit dem Tablet am Rande nur noch au to ma­tische Vorgänge kontrollieren.

Wen sehen Sie im Vorteil beim internatio-nalen Wettrennen um die vernetzte Pro-duktion: Europa oder die USA? In beiden Märkten gibt es Chancen. Die USA haben im Bereich der Anwendungs­IT viele innova­tive Entwicklungen. In Europa, nicht nur in Deutschland, haben wir einen beispiellosen Mittelstand, viele innovative kleinere Fir­men. Wir kennen Lieferanten und Universi­täten, die sich mit Produktionslogistik oder Produktionssoftware intensiv beschäftigen. Vernetzung ist heute in Europa noch stärker

INTERVIEW

HARALD KRÜGER

2013198

2004157

FABRIKENWELTWEITES NETZWERK DER WERTSCHÖPFUNGZAHL DER PRODUKTIONS STANDORTE

DEUTSCHLAND REST DER WELT

ABSATZMEHR KÄUFER IN SCHWEL LEN­MÄRK TEN

PREMIUM FÜR ALLEVolles Programm: Modelle wie i3, Mini Countryman und BMW X6 sprechen neue Käuferschichten an.

MODELLEDIE NEUE VIELFALT IM PRODUKTSORTIMENT

BMW 23

Rolls­ Royce4

Mini7 2013

34

BMW 14

Rolls­ Royce1Mini

2

2004

17

2013 1,97 Mio.2004 1,21 Mio.

DIE LOGIK DES BMW-ERFOLGSGLOBALE FERTIGUNG, MEHR MODELLE, BREITERER ABSATZ

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GRO

UPQuelle:

BMW Group

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31THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

INTERVIEW

HARALD KRÜGER

ausgeprägt. Ich meine die von Forschung, Vorentwicklung, Produktion und Industrie – nicht um Dienst leis tungen zu entwickeln, sondern reale Industrieprodukte. Ich schlie­ße aber nicht aus, dass sich das in den USA ähnlich gut entwickeln könnte.Welche Rolle spielen solche Erwägungen für BMW als ein globales Unternehmen, das nur historisch seinen Sitz in Mün-chen hat? Uns treibt die Strategie einer global ausgewogenen Absatzverteilung. Produktion folgt dem Markt. Wir müssen also in allen Märkten eine erfolgreiche Pro­duktion haben. Dazu gehören Mitarbeiter, die die richtigen Kompetenzen besitzen, und Partner und Lieferanten, die im Netz­werk mit uns agieren. Vor 20 Jahren, als wir Spartanburg auf­ und ausgebaut haben, sind uns viele Lieferanten gefolgt, um ihre erste Dependance in Amerika zu eröffnen. Die Internationalisierung der Märkte führt zu einer Internationalisierung der Lieferan­tenstruktur. Wir bemühen uns in den USA genauso wie in Deutschland oder China um ein Optimum an Qualität, Effizienz und Geschwindigkeit. Den kollaborativen Ro­boter – als Beispiel – haben wir in Spartan­burg als Erstes eingesetzt. Zuvor hatten wir ihn in Deutschland in der Forschung und Vorentwicklung. So wird sich das auch im Netzwerk entwickeln. Steht die Wiege solcher Themen heute noch in der Zentrale? Natürlich haben wir

in Deutschland viele gute Fachkräfte. Aber wir sind in der Forschung global aufge­stellt. Wir haben seit mehr als zehn Jah ren ein Technology Office für Entwicklung und Produktion in Kalifornien. Wir ha ben auch eines in Japan. Von dort und anderen Stel­len im weltweiten Netzwerk kriegen wir Impulse, auch für Trendscouting oder für Produktionsumfänge. Innovation findet heute nicht nur an einem Standort statt.Wo sehen Sie Ihre internationalen Wett-bewerber bei Industrie 4.0.? Ich glaube, dass hier Europa führend ist. Das sagt mir meine Einschätzung von Deutschland und den europäischen Netzen. Dabei sollten wir nicht nur auf die OEMs schauen, son­dern auch auf das ausgeprägte europäi­sche Lieferantennetzwerk. Stichwort industrielle Kompetenz. Kann es insbesondere Deutschland gelingen, durch intelligente Technologien einen größeren Anteil an der Wertschöpfung zu erhalten? Ich glaube, dass Deutsch­land eine Chance hat, eine führende Rolle mit Industrie 4.0 zu spielen. Die Argumen­te haben wir genannt. Es gibt außerdem eine starke Anlagenindustrie. Deutschland beschäftigt sich intensiv mit dem Thema. Die BMW Group hat sich unter anderem auch über acatech an den Umsetzungsem­pfehlungen Industrie 4.0 für die Bundesre­gierung beteiligt. Wir dürfen aber auch nicht globale Entwicklungen unterschät­

zen. Es geht im Wettbewerb der Standorte auch um Geschwindigkeit. Das klingt alles sehr harmonisch. Wo bleibt denn da der Wettbewerb? BMW muss sich doch auch behaupten und nicht nur vernetzen! Den Wettbewerb ha­ben Sie immer, jeden Tag aufs Neue. Wenn wir eine Chance sehen, in der Industrie 4.0 einen spezifischen Wettbewerbsvorteil zu gewinnen, dann werden wir diese Chance auch nutzen. Es gibt aber eine zweite Ebe­ne, die in der Vernetzung liegt. Wenn Sie die Chance im Standard sehen, dann brauchen Sie einen Konsens. Deshalb wird es beide Dimensionen geben.Wo stehen Sie im Moment im Vergleich zu anderen Unternehmen? Ich glaube, dass wir als BMW Group nicht so schlecht unterwegs sind, aber die Transparenz des Marktes entsteht ja erst. Gegenwärtig hat das Thema Industrie 4.0 in den Unterneh­men eine ganz unterschiedliche Relevanz, von "ganz wichtig" bis zu "für uns ändert sich gar nichts". Siemens sieht sich selber bei Industrie 3.8. Was gilt für Sie? Wir geben dem kei­ne Namen. Das würde auch dem Gedan­ken einer permanenten Verbesserung widersprechen. Für uns ist es ein wichti­ges Thema, mit dem wir uns intensiv be­schäftigen. Wir stehen erst am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung. Aber das ist auch das Spannende.

Im Gespräch mit BMW­Vorstand Harald Krüger: Roland Berger Partner Jochen Gleisberg (l.) und Philipp Grosse Kleimann

HARALD KRÜGER1965 in Freiburg geboren, Studium in Braun­schweig und Aachen, Abschluss 1991 an der RWTH als Dipl.­Ing. Maschinenbau.

1992 Eintritt in die BMW AG als Trainee Techni­sche Planung/Produktion. 1993 Projektingenieur im Werksaufbau Spartanburg (USA), seit 1997 verschiedene Leitungsfunktionen in München und Großbritannien.

Am 1. Dezember 2008 zum Vorstandsmitglied avanciert, zunächst zuständig für "Personal­ und Sozialwesen", dann für die Marken MINI, BMW Motorrad, Rolls­Royce sowie Aftersales. Seit 1. April 2013 im Vorstand verantwortlich für die Produktion der BMW Group.

Wer bei BMW in relativ jungen Jahren das Produk­ tionsressort führt, galt bisher als Kandidat für höhere Aufgaben. Es war auch Norbert Reithofers letztes Ressort, bevor er 2006 Konzernchef wurde.

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| WETTLAUF DER REGIONEN |

Startnachteil für EuropaAnteile am weltweiten ITK-Markt

(2013)2

USA 27,1%

EU 21,3%

BRIC 18,7%

Die vierte industrielle Revolution beginnt, ihr Potenzial zu entfalten. Was ist für Unternehmen und Volkswirtschaften drin und wer wird zu den Gewinnern zählen?

| DIGITALES UNIVERSUM |

62% des weltweiten

Datenaufkommens werden im Jahr 2020 aus

China und Indien stammen. 3

Jährliches Wachstum bis 2020: knapp 6%

| WACHSTUMSMOTOR |

Industrie 4.0 überflügelt Weltwirtschaft

1

Jährliches Wachstum bis 2020: 2,5%

GLOBALES BIP:82 Billionen USD

GLOBALE INDUSTRIE 4.0: 13,1 Billionen USD

KENNZAHLEN

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52%

45%

34%

| MARKTANALYSE |

| RESSOURCENSCHONUNG|

30 MRD. USD LASSEN SICH IN DEN KOMMENDEN

15 JAHREN SPAREN, WENN ES GELINGT, DURCH EINSATZ VON

INDUSTRIE-4.0-TECHNOLOGIEN DEN VERBRAUCH VON FLUGBENZIN

UM 1% ZU SENKEN.5

| PRODUKTIVITÄTSSTEIGERUNG |

78 Mrd. EUR an zusätzlicher Bruttowertschöpfung

(oder 23% mehr Produktivität) sind in sechs deutschen Branchen bis 2025 möglich. Vor allem Maschinen-

und Anlagenbau, Elektrotechnik und Chemie, aber auch ITK, Auto-

industrie und Landwirtschaft sollen von Industrie 4.0 profitieren.

4

| CEO AGENDA |

Im Topmanagement angekommenUmfrage: "Wer beschäftigt sich in

Ihrem Unternehmen mit Industrie 4.0?"6

Noch überwiegt das AngebotUmfrage: "Wie intensiv setzen Sie

sich mit Industrie 4.0 auseinander?"7

| GOVERNANCE |

41% DER UNTERNEHMEN HABEN

NOCH KEINEN GESAMT-VERANTWORT LICHEN FÜR

DAS THEMA INDUSTRIE 4.0 BENANNT.

6

ProduktionGeschäfts- führungIT

Maschinenbauer Anlagenbetreiber

GAR NICHTSPORADISCHINTENSIV

15%

4%

31%

17%

26%

54%

QUELLEN1 Wikibon; Roland Berger 2 Bitkom/EITO ICT Market Report 2014/15

3 IDC Study "Digital Universe", 2012 4 Bitkom/Fraunhofer IAO, "Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland", 2014 5 GE Report

"Industrial Internet", 2012 6 Experton, Anwenderstudie "Industrie 4.0" unter dt. ITK-Entscheidungsträgern, 2014 7 IDC, "Industrie 4.0 in Deutschland",

Befragung dt. Manufacturing-Unternehmen >100 MA, 2014

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Additive Manufacturing, besser bekannt als 3D-DRUCK, beflügelt die Fantasie wie kein anderes Fertigungsverfahren. Die interessantesten Geschäfts modelle ent stehen nicht in der Massen produk- tion, sondern in dynamischen Nischen.

2013 war der Hype groß, in den Medien und an den Börsen in New York oder Frank furt. Seitdem sind die Erwartungen an die Hersteller von 3D-Druckern verhal-ten seriös geworden, Aktienkurse bewe-gen sich bestenfalls seitwärts. Zwar spre-chen Prognosen davon, dass sich der Markt innerhalb der kommenden zehn Jahre vervierfacht – auf 8 Milliarden Euro Umsatz mit Anlagen, Materialien und der Herstellung von Bauteilen. Das bedeutet rasantes Wachs tum auf schmalem Grund: 3D- Druckmaschinen repräsentieren we-niger als 1,5% des Werkzeugmaschinen-markts. Doch selbst wenn die optimisti-schen Vorhersagen eintreffen, werden die Maschinen mittel- bis langfristig keine bestehenden Fer tigungstechnologien nachhaltig ersetzen.

Es ist nicht der Massenmarkt für Me-tall- oder Kunststoffteile, der vielverspre-chend ist. 3D-Druck – Fertigungstechniker sprechen von generativer oder additiver Fertigung (Additive Manufacturing) – bietet

Ctrl.P

signifikante Vorteile für Klein(st)serien und erschließt neue Geschäftsmodelle.

Sie leiten sich aus drei disruptiven Pfaden ab, die Einfluss auf Fertigungsin-dustrie und B2B- bzw. B2C-Geschäftsmo-delle haben werden: schnelle und kosten-günstige Fertigung individueller Produkte; dazu neue Geometrien, Werkstoffe und Verfahren; schließlich eine Dezentralisie-rung der Produktion.

DIGITALE GESTALTUNG (FAST) OHNE GRENZEN

Gegenüber konventionellen Verfahren bietet Additive Manufacturing eine Reihe von Vorteilen: Die direkte Umsetzung der CAD-Daten in ein Bauteil führt zu extrem kurzen Prozessketten. Die Dezentralisie-rung der Produktion ist mit re lativ gerin-gerem Investitionsaufwand möglich.

Die Bauteilkosten sind unabhängig von der Losgröße, was die Fertigung hoch-spezialisierter Kleinserien und Prototypen

begünstigt. Gleichzeitig sind die Kosten nicht von der geometrischen Komplexität abhängig, sondern werden nur durch das Bauteilgewicht bestimmt. Beinahe unbe-grenzte digitale Gestaltungsmöglichkeiten erlauben neue Geometrien in hochfesten Werkstoffen, die mit konventionellen Ver-fahren bisher nicht zu fertigen sind. So werden neue Bauteilfunktionen realisiert, die die Lebenszykluskosten weiter reduzie-ren. Neue Reparaturstrategien für wertvol-le Bauteile sparen Zeit und Geld. Zudem steigt die Ressourceneffizienz: Bei der Pro-duktion wird nur genauso viel Rohmaterial verbraucht, wie es dem Endgewicht des Bauteils entspricht.

Dennoch haben wir es bei der additi-ven Fertigung nicht nur mit Vorteilen zu tun. Wenn die Kosten unabhängig von der Losgröße sind, bedeutet das Fluch und Segen zugleich.

Würden Bauteile, die heute in mittle-ren und großen Serien gefertigt werden, eins zu eins im 3D-Druck hergestellt, lägen

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die Kosten um den Faktor 10 bis 50 höher. Selbst wenn diese Kosten bald deutlich fallen werden, lässt sich der Nachteil nicht ausgleichen. Der Grund: Beim 3D-Druck treten keine Skaleneffekte auf. Das erste und das einhunderttausendste Bauteil kos ten dasselbe.

Für die Kleinserie oder den Prototy-penbau sind die Hebelverhältnisse an-ders: Das Verfahren kann über Nacht be-lastbare Prototypen bereitstellen, ohne dass komplexe Werkzeuge beschafft wer-den müssen. Die Folge sind um Monate kürzere Entwicklungs- und Testzyklen in kom plexen industriellen Entwicklungs-programmen. Für hochgradig individu-alisierte Produkte wie Zahnkronen, medi-zini sche Im plantate oder auch Design er-schmuck ist das Verfahren bereits etabliert und wettbewerbsfähig.

Wo keine Werkzeuge nötig sind, wird industrielle Fertigung "on demand" mög-lich, bei Bedarf auch ausgelagert an Part-ner. Die 3D-Drucker für metallische Bau-

Anwendungsfall Medizintechnik: Das Modell zeigt, wie exakt das 3D-Implantat auf das Loch im Schädel passt - ein Musterbeispiel für hochgradige Individualisierung.

3D-DRUCK

THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0FO

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Beim Additive Manufacturing werden dreidimensio-nale Bauteile schichtweise (additiv) aufgebaut, oft heißt es: "gedruckt". Plastik, Keramik, Glas, Sand oder Metalle werden auf Basis der 3D-Daten des Bauteils verarbeitet, die der Entwickler in einer CAD- Umgebung erzeugt. Prozesse zwischen Entwurf und Fertigung werden flexibler, effizienter, günstiger – ein Paradebeispiel für die digitale Transformation in der Industrie 4.0.

Airbus zum Beispiel verbaut im A350 XWB bioni sche Klammern ("Cabin Brackets") aus Titanpulver 1 : 30% leichter als ihre Vorläufer, mit 90% weniger Ab fall an Rohmaterial. So sinken Herstellungs- und Betriebskosten.

General Electric "druckt" Einspritzdüsen aus Ko-balt- Chrom für Flugzeugturbinen 2 .

Auch im Rennsport zählt jedes Gramm: Das teil-weise hohle Achsschenkelgelenk von EOS 3 aus Aluminiumpulver ist um 35% leichter und 20% ver-windungssteifer.

teile kosten zwischen 400 und 1,5 Milli o-nen Euro – je nach Anspruch an Qualität, Bauraum und Leistung ("Build Rate"). Pro-fessionelle Systeme für Kunststoff starten bei einigen zehntausend Euro und gehen bis hoch in den sechsstelligen Bereich. Die Qualität dieser professionellen Systeme ist dem "Home-Printer" für einige hundert Euro deutlich überlegen. Im B2B-Bereich ist eine hochspezialisierte Infrastruktur an Dienstleistern entstanden, die sowohl die Bauteiloptimierung vornimmt als auch die eigentliche Fertigung. Internetplattformen wie Shapeways oder Materialise bedienen auch den B2C- Bereich.

Der Einsatz von Additive Manufactu-ring wird insbesondere dann wirtschaftlich interessant, wenn sich Produktkosten über den gesamten Lebenszyklus hinweg sen-ken lassen. Das können geringere Repara-turkosten sein. Siemens zum Beispiel fräst

verschlissene Gasturbinenbrenner ab und baut sie additiv wieder auf. Flugzeuge oder Sport- und Rennfahrzeuge profitieren von geringerem Treibstoffverbrauch durch ge-ringeres Gewicht oder eine effizientere Ver-brennung. Und General Electric hat Ein-spritzdüsen für den Einsatz im Flugzeug weiterentwickelt.

KURZE ZYKLEN FÜR KREATIVE IDEEN

Kunden rechnen Fertigungskosten gegen den wesentlich größeren Hebel der Treib-stoffersparnis im Produktlebenszyklus. Es ist nicht verwunderlich, dass alle gro-ßen Luftfahrtkonzerne an Komponenten aus dem 3D-Druck arbeiten, darunter ef-

fiziente Turbinen mit neuen Strömungsei-genschaften und optimierter Verbren-nung. Erste Serien werden 2015 erwartet.

Auch die Entwicklungsabteilungen wer den ihren Arbeitsstil der neuen Tech-nologie anpassen müssen. Entwicklungs-zeitpläne schrumpfen von Monaten auf Tage. Kreative Ideen können in kurzen Zy-klen umgesetzt werden. Software als un-terstützendes Werkzeug in Entwicklung und Fertigung sowie als Teil des Produkts gewinnt noch mehr an Bedeutung. Füh-rende deutsche Fertigungsunternehmen schauen sich daher an, wie Software- giganten ihr Vorgehen bei der Entwicklung kreativ und agil steuern und Komplexität der Prozesse verringern: empirisch, in- krementell, iterativ ("Scrum").

Neue Entwicklungen sind denkbar: komplexe Großstrukturen (Flugzeugflügel), Materialkombinationen (Metall/Kunst-stoff) oder die Kombination von Additive Manufacturing mit spanenden Maschinen (Drehen, Fräsen, Bohren). In der Produkti-on bedeutet dies den nächsten Schritt der digitalen Transformation. Doch als in-dustrialisierte Nischentechnologie wird Additive Manufacturing traditionelle Ver-fahren nicht verdrängen.

LEICHTER, SCHNELLER, GÜNSTIGER

3D-DRUCK

THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

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AUFBRUCHOST

China will zu einem globalen Hightech-Lieferanten aufsteigen. Dafür treiben Regierung und Unternehmen die Umsetzung von Industrie-4.0-Konzepten voran. Ein ehrgeiziger Plan. Das Land

muss noch entscheidende Hürden meistern.

KRAFTAKTVOR DEM

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der eigens einen Plan für intelligente Pro-duktion beinhaltete. Der Begriff Industrie 4.0 taucht darin zwar nicht explizit auf und zur ursprünglichen Definition von intelli-genter Produktion gehörte auch nicht die Kombination von Produktion und Internet. Doch die entwickelten Konzepte und Maß-nahmen zur intelligenten Produktion stim-men inzwischen weitgehend mit Ansätzen der Industrie 4.0 überein.

Nach dem Regierungsplan 2012 soll der Industrieumsatz Chinas mit durch-schnittlichen jährlichen Wachstumsraten von mehr als 25% steigen – was bedeutet, dass 2015 erstmals die Umsatz grenze 1 Billion Yuan erreicht werden soll. Für das Jahr 2020 wird dann ein Volumen von über 3 Billionen Yuan erwartet. Der Bereich der intelligenten Produktion soll dabei einer der Wachstumstreiber sein.

Bei realistischer Analyse des chine si-schen Industriestandorts zeigt sich gleich-wohl, dass Anspruch und Wirklichkeit noch auseinanderliegen. Aus makroökonomi-scher Perspektive sticht hervor, dass die verarbeitende Industrie trotz aller politi-schen und unternehmerischen An stren-gun gen der vergangenen Jahre beim Auf-bau und der Umsetzung techno logi schen Know-hows den Wettbewerbern in den westlichen Industriestaaten deutlich hin-terherhinkt.

Die meisten Hersteller in China konkur-rieren nach wie vor nur bei Produkten mit geringer Wert schöpfung, die niedrige Ge-winne abwerfen. So liegt beispielsweise der chinesische Marktanteil von High- End- und Spezialsensoren, intelligenten Instru-menten, automatischen sowie digitalen Regelungssystemen und Produkten der Robotik unter 5%. Die meisten Unterneh-men sind davon entfernt, sich als System-löser auf dem globalen Markt zu be -haupten. Die Innovationsfähigkeit ist im Ver gleich zur westlichen Konkurrenz allen-falls mäßig ausgeprägt.

Aus mikroökonomischer Sicht be-finden sich die meisten Unternehmen in China noch in einer Übergangsphase zwi-schen Industrie 2.0 (Fertigung ohne jede

Die Hannover Messe 2011 setzte ein Aufbruchsignal. Mit großem Interesse nahmen chinesische Unternehmen, Regierungsvertre-

ter und Industrieverbände neue Ansätze intelligenter Produktion in Augenschein: von führenden deutschen Unternehmen entwickelte Prototypen der Industrie 4.0.

Aus der Neugier wurde schnell eine Vision. Chinesische Branchenexperten berichten, dass Industrie 4.0 seitdem als Chance begriffen wird, die heimische Industrie in der Breite auf ein neues techni-sches Niveau zu heben – hin zu digitalen, intelligenten, internetbasierten Geschäfts-modellen und Produktionsverfahren.

DER MENSCH TRITT IN DEN HINTERGRUND

Dafür muss das Land allerdings einen großen technischen Sprung nach vorne machen. Für die heimischen Experten übersetzt sich die Zeitenwende so: Die Produktion werde sich vom bewährten Modell "Der Mensch analysiert und ent-scheidet – die Maschine fertigt" zum Orga-nisationsprinzip "Die Maschine analysiert, entscheidet – und fertigt" verschieben.

Der Mensch, so das chinesische Kal-kül, tritt bei der intelligenten Pro duk tion sehr deutlich in den Hintergrund. Damit folgt das Land einer eigenen Inter preta-tion von Industrie 4.0. In Europa gehen Experten hingegen davon aus, dass auch in der neuen Welt digitaler und vernetzter Produktion Facharbeiter unerlässlich sein werden. Entsprechend hat auf dem alten Kontinent bereits eine Debatte über Bildungs- und Qualifizierungsnot wendig-keiten für Industrie-4.0-Unternehmen begonnen. Es wird sich zeigen, wer die Ent wicklungen besser antizipiert.

So oder so: Chinesische Industrieun-ternehmen können sich breitester staat-licher Unterstützung sicher sein. Bereits 2012 veröffentlichte das chinesische Mi-nisterium für Industrie und Informations-technologie den "12. Fünfjahresplan für das High-End Equipment Manufacturing",

Nut zung digitaler Technologie) und Indus-trie 3.0 (Fertigung mit digitalen Basis-tech no logien). Deutlich wird der Kompe-tenzrückstand auch an der mangelnden internen Informationstransparenz oder der unvollständigen Konzeption von Infor-mationssystemen. Substanzielle Refor-men des Geschäftsprozessmanagements sind immer noch lückenhaft. Dazu ge-hören die fehlende Übereinstimmung zwi-schen Standards und tatsächlichen Pro-zessen sowie die starke Abhängigkeit einiger industrieller Abläufe von indivi-duellen Ver haltensweisen. Selbst in Un-terneh men, die den Übergang zu Infor-mations technologien mit umfassender Ver netzung vollständig abgeschlossen haben, ist das Datenmanagement noch wenig befriedigend. Etliche chinesische Unternehmen versäumen es bisher, bei-spielsweise Data Mining als Hebel für eine intelligente Produktion einzusetzen.

EINE 4.0-BASIS IN DREI SCHRITTEN

Um in den Unternehmen rasch eine solide Basis für den Ausbau in Richtung Indus trie 4.0 zu schaffen, empfiehlt Roland Berger Strategy Consultants eine Roadmap mit drei Schritten:

Die erste Aufgabe besteht darin, die industrielle Basis und die Kapazitäten in Forschung und Entwicklung zu optimie-ren, Qualitätskontrollen auszubauen und die Mitarbeiterfortbildung zu forcieren. Gleichzeitig müssen die Glaubwürdigkeit und das Markenbewusstsein für die eigenen Produkte erhöht werden. Wenn die Unternehmen den technologischen Abstand zu westlichen Konkurrenten ver-ringern wollen, müssen sie eine neue Agi-lität entwickeln – mit dem Ziel, durch Produkt- und Prozessinnovationen über-proportional zu wachsen.

Zweitens müssen führende Hersteller ermutigt werden, die Entwicklung von Industrie 4.0 vor allem in Sektoren zu prü-fen, in denen sie international wettbe-werbsfähig sind – etwa bei Komponenten

AUFBRUCHOST

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39THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

und Anlagen zur Energieerzeugung, -über-tragung und -verteilung. Die Marktaus-sichten sind auch im Bergbau oder bei landwirtschaftlichen Maschinen vielver-sprechend.

Herzstück der Industrie 4.0 ist und bleibt jedoch die verarbeitende Industrie. Sie treibt die Entwicklung zu einer umfas-senden Digitalisierung der Produktion. Weltweit führende Unternehmen nutzen das Konzept Industrie 4.0 bereits für Fern-diagnosen, vorausschauende Instand-haltung und andere intelligente Prozesse, Produkte und Dienstleistungen, die auf dem chinesischen Markt an Boden gewin-nen. Dies sollte ein Orientierungsmaßstab für die heimischen Firmen sein.

Chinesische Unternehmen, die kon-sequent und mutig auf Industrie 4.0 setzen, feiern erste Erfolge. Dazu gehört die auf digitale Überwachungstechnik spezialisierte Daquan Group, die mit fern gesteuerten Transformatoren von sich reden macht. Oder die Shengyang Machine Tool Group, die 2014 die Mas-senproduktion einer neuen Generation intelligenter und Cloud-basierter Werk-zeugmaschinen gestartet hat.

Drittens sollten Regierungen, Ver-bände, Hochschulen, Forschungseinrich-tungen und andere Stakeholder mehr marktorientierte Grundsätze befolgen. Dazu könnte gehören:

Die chinesische Regierung treibt die Entwicklung von Industriestandards voran. Flankierend setzt sie zum Beispiel steuerliche Anreize zur Modernisierung der Industrie, ohne dabei den Wettbe-werb zu verzerren.

Industrieverbände unterstützen Un- ternehmen durch Fortbildungen und för-dern den Austausch über die Umset zung von Industrie 4.0 zwischen den Branchen.

Hochschulen und Forschungseinrich-tungen arbeiten enger als bisher zusam-men, um zu neuen, intelligenten Indust-rie-4.0-Lösungen zu kommen.

Gefragt ist nichts weniger als ein kul-tureller Wandel der gesamten Industrie. China steht vor einem Kraftakt.

China beginnt, sich auf Industrie 4.0 einzustellen, Industrieländer in Europa sind oft schon weiter. Der Roland Berger "Industrie 4.0 Readiness Index" (auf der vertikalen Achse) zeigt ein differenziertes Bild. Einerseits haben wir den Entwicklungsgrad der Produktionspro-zesse und der Automation, den Ausbildungsstand der Mitarbeiter und die Innovationsintensität als "industrielle Exzellenz" gebündelt. Ande-rerseits wurden Wertschöpfung, Offenheit der Industrie, Innovations-netzwerke und Internetreife zusammengefasst. Aus der kombinierten Bewertung der einzelnen Punkte bestimmt sich die Position eines Landes im "RB 4.0 Readiness Index": von den Zögerlichen über die Traditionalisten und Leistungsbereiten bis zu den Spitzenreitern.

EUROPA IM 4.0-VERGLEICH

MITTEN IM KRAFTAKTVier Länder liegen vorne – China hält (noch) nicht mit.

Industrieanteil (% des BIP)

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2

3

4

5

2 3 4 5

RB Industry 4.0 Readiness Index

Germany

Belgium

Netherlands

UK

France

Denmark Ireland

Czech Republic

SlovakiaSlovenia

Hungary

Lithuania

China

Italy

Spain

Estonia

PortugalPoland

Croatia

Bulgaria

Austria

Sweden

Finland

LEISTUNGSBEREITE

ZÖGERLICHE

SPITZENREITER

TRADITIONALISTEN

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40 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

NETZ-

KRIMINALITÄT

Die unsicht-

bareGefahr

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Spätestens seitdem im Jahr 2010 der Stuxnet-Wurm ein Produk-tionsautomatisierungssystem in einer iranischen Nukleareinrich-

tung angriff, haben klassische Wert schöp-fungsketten ihre "Cyberunschuld" verlo ren – unsere Thesen dazu.

ANGRIFF AUF DIE UNTER- NEHMENSSICHERHEIT

Drei Entwicklungen haben die aktuelle De batte um Datensicherheit ausgelöst.

Erstens durchdringt die klassische IT immer stärker alle Geschäftsprozesse.

Treiber dieser Entwicklung sind die zuneh-mende Virtualisierung und Digitalisierung von Geschäftsprozessen, die elektroni-sche Interaktion in Netzwerken mit Liefe-ranten und Kunden sowie die Consume ri-za tion der IT, also die Orientierung an Nut zungsgewohnheiten aus der privaten Smartphone- und Tablet-Welt.

Zweitens ist das öffentliche Bewusst-sein für Schwachstellen gewachsen. In einer Studie von Roland Berger und SAP über Erfolgsfaktoren für Cloud-Dienste in Europa aus dem Jahr 2010 haben wir sol-che Probleme analysiert. Nach und nach werden sich Manager auch außerhalb der

IT-Community dieser Gefahren bewusst: durch die Enthüllungen von Edward Snowden, durch die Debatte um gestoh-lenes geistiges Eigentum im Rahmen von Industriespionage oder durch die Rolle des Internets in der Geopolitik, etwa wäh-rend der Ukraine-Krise oder im "Arabi-schen Frühling". So unterschiedlich diese Beispiele auch sind – rund um den Glo-bus haben Entscheider das Thema Da-tensicherheit auf ihre Agenda gesetzt.

Drittens haben sich zahlreiche inter-netbasierte digitale Geschäftsmodelle etabliert, etwa um das vernetzte Fahrzeug, E-Commerce, E-Health, E-Energy oder In-

Spektakuläre

Sicherheitslücken lassen

die tägliche Bedro-

hung aus dem Cyberspace

als neue Normalität

erscheinen. Die meisten

Fälle bleiben im Dunkeln.

Unternehmen können

sich schützen.

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dustrie 4.0. Während klassisches Sicher-heitsmanagement für kommerzielle IT als ausgereifte Disziplin gilt, werfen diese di gi-talen Geschäftsmodelle neue Fragen auf: Ist die Entwicklung eines vernetzten Fahr-zeugs hinreichend darauf ausgerichtet, dass unbefugter elektronischer Zugriff aus-geschlossen werden kann? Sorgen Her-steller von Flugzeugen, Kraftwerken oder Fertigungsstraßen ausreichend dafür, dass auch die Embedded-Software-Komponen-ten von Drittfirmen unbedenklich sind? Ist das wichtigste geistige Unternehmens-eigen tum sicher?

TOPMANAGEMENT MUSS REAGIEREN

Für neue digitale Geschäftsfelder fehlen oft noch klare Sicherheitsrichtlinien, Organi-sationsprinzipien und Managementtools.

Um ein hohes Maß an Sicherheit in der Or ga nisation zu institutionalisieren, müs-sen Unternehmen drei Schritte gehen. Zunächst müssen sie Transparenz über Be drohungen und Schwachstellen in der Wertschöpfungskette schaffen. Wir emp-fehlen, die Risiken aus zwei Perspektiven zu erfassen: zum einen entlang einer end- to-end-Prozessperspektive, zum anderen mit Blick auf alle wichtigen Aktiva des Unternehmens, darunter geistiges Eigen-tum, proprietäres Prozesswissen, physi-sche und digitale Produkte sowie deren wesentliche Komponenten.

Außerdem müssen Unternehmen auf Basis der Transparenzanalyse Handlungs-felder priorisieren. Hierbei geht es vor al-lem darum, schnelle erste Lösungen für dringliche "weiße Flecken" zu entwickeln. Dazu müssen Sicherheitssysteme definiert oder angepasst werden. Drittens müssen

umfassende und dauerhaft tragfähige Systeme, Prozesse und Verantwortlichkei-ten bestimmt werden. Dabei sind Manage-mentsysteme zur Datensicherheit für die noch nicht geschützten Bereiche und Akti-va aufzubauen oder anzupassen.

WENIGER STÖRFÄLLE, MEHR RENDITE

Ein Business Case für Sicherheit ist kom-plex. Einige der Bedrohungen sind zwar ver gleichsweise einfach zu quantifizieren, etwa wenn es um Produktionsausfälle geht. Bei anderen ist das deutlich schwie-riger, darunter – an oberster Stelle – der Verlust von Menschenleben, etwa durch Produktfehler. Aber auch Schäden an der Reputation oder dem Markenwert sind schwer zu fassen. Es gibt viele gesetzli-che und regulatorische Compliance-Anfor-derungen vor allem für Unternehmens-führer und Verwaltungsorgane. Deshalb ist eine gute Balance zwischen robuster quantitativer Analyse und qualitativem Managementurteil über Risiken und de-ren Auswirkungen notwendig. Ein Busi-ness Case für Investitionen in Datensich-erheit ist schwer zu berechnen, aber er zahlt sich aus. Die wahre Rendite ent-steht durch die Minimierung von relevan-ten Störfällen.

EINFACHE REGELN HELFEN

Es gibt einfache Regeln und Ratschläge für Unternehmen und ihre Mitarbeiter, die einen großen Unterschied in der Da ten sicherheit des Unternehmens be-deuten: Übersteuern Sie Ihre Regeln und Verfahren nicht. Lassen Sie eine ausgewogene Flexibilität zwischen den Bedürfnissen des operativen Geschäfts und Anforderungen an Datensicherheit zu. Schließlich muss Ihr Unternehmen auch bei möglichen Bedrohungen noch schnell und flexibel in seinen Märkten agieren können. Mehr Sicherheit darf nicht weniger Agilität bedeuten.

1Analysieren Sie, wo und wie sehr Sie

GEFAHREN ausgesetzt sind.

2Schaffen Sie ein BEWUSSTSEIN

für Sicherheit.

3Bauen Sie Sicherheitssysteme und Prozesse mit

klaren VERANT WORTLICHKEITEN auf.

4Überprüfen Sie die COMPLIANCE Ihres Unter-

nehmens, sowohl intern als auch in der Zusammenarbeit mit Ihren Lieferanten.

5Verändern Sie die DENKWEISE Ihrer Organi-

sation hin zu einer Philosophie, die Sicherheit schon ins Produktdesign integriert.

6Führen Sie durch VORBILD.

NETZ-

KRIMINALITÄT

CHECKLISTE DATENSICHERHEIT

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43THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

Monsieur Botti, Industrie 4.0 bedeutet immer mehr Schnittstellen nach außen. Das bringt Gefahren für die Sicherheit. Wie geht die Airbus Group damit um? Sicher heit ist ein über aus wichtiger, kri ti-scher Faktor, der für uns an erster Stelle steht. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir einge stehen, dass es die totale Sicher-heit nie geben wird. Weder unsere Produk-tion noch die unserer Wettbewerber wer-

den jemals zu 100% sicher sein. Jeder muss sich selbst überlegen, welchen Preis er da für zahlen will. Unsere Strategie be-steht darin, die Kron juwelen zu identifizie-ren und Priori täten zu setzen. So haben wir die Si tu ation bereits erheblich verbessert und das Risiko begrenzt. Wie gelingt es Ihnen, sich auf die Be dro-hungen einzustellen? Innerhalb des Un-ter nehmens führen harmonisierte Verfah-

INTERVIEW

JEAN BOTTI

"Die Angriffs-

flächeist

größer geworden"

ren, Methoden und Tools zu mehr Effizienz und Sicherheit in der Flugzeugentwicklung und -produktion. Aber auch der Daten aus-tausch mit unseren Dienstleistern im "Extended Enterprise" muss höchsten Sicher heits anforderungen genügen. Das heißt? Die ersten Fragen lauten: Wie wer den Daten ausgetauscht? Wie werden sie geschützt? Um diese Fragen zu be ant-worten, hat sich die Airbus Group 2008

JEAN BOTTI,

Technologievorstand

(CTO) der Airbus Group,

wappnet sich gegen

Sicherheitsbedrohungen

auch mit Hilfe der

Hackerszene.

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BUS

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44 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

"Wir arbeiten

mit ethischen Hackern

zusammen. Das ist äußerst

hilfreich."

zum Schulterschluss mit anderen füh r-enden Konzernen entschlossen, nament-lich Thales, Dassault und Saf ran. Getauft wur de das Gemeinschaftsprojekt auf den Namen "Boost AeroSpace". Worum ging es bei diesem Projekt? Haupt ziel war die Einrichtung eines siche-ren digitalen Knotenpunkts, an dem Da ten über Beschaffung und Engineering aus-getauscht werden können. Das be schleu-nigt die Einführung elektronischer Pro- zes se und Tools, vom OEM bis hin zu un -seren Zulieferern, bei denen es sich größ-tenteils um KMUs handelt. Auch wei tere Unternehmen wie Liebherr Aviation haben sich diesem Knotenpunkt ange schlos sen.Einer aktuellen Studie zufolge gibt es jede Woche über 120 erfolgreiche Cyber- angriffe auf Unternehmen. Wie hoch ist die Zahl bei der Airbus Group? Dazu äußern wir uns nicht. Aber kein gro ßes Un ternehmen wird ernsthaft behaup ten,

dass es von derartigen Bedrohungen bis-lang verschont geblieben ist – außer, sie wurden nicht erkannt. Und wie schützen Sie sich davor? Vor einem Jahr haben wir einen Ausschuss für Computer- und Netzsicherheit einge rich-tet. Er soll unter meiner Leitung unsere In teressen – d.h. unsere Informationen und Produkte – so gut wie möglich schüt-zen. In diesem Gremium sind alle wichti-gen Stakeholder vertreten. Daneben gibt es die Beauftragten für Datensicherheit bei "Airbus Defense and Space". Bislang war das ein reines IT-Thema. Inzwischen geht es aber weit darüber hinaus und zählt zu den acht wichtigsten Zielen unseres Unternehmens für 2014. Wir haben ein klar definiertes Budget für den Be reich Sicherheit eingestellt.Wie viel geben Sie jedes Jahr für Sicher-heit aus? Glauben Sie mir, es ist ein statt licher Betrag. Und er ist absolut not-wendig. Die Airbus Group ist ein europäisches Unternehmen mit vielen Stakeholdern. Wie gehen Sie das Sicherheitsproblem auf internationaler Ebene an? Offen ge-sagt, ist es kaum möglich, es jedem recht zu machen. In den USA braucht man sich nur mit einer Regierung auseinander-zusetzen. In Europa ist die Sache etwas komplizierter: Da gibt es Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien. Und jede Regierung hat ihre eigene Agen-da. Folglich fehlt eine einheitliche Struktur für den Schutz unserer Daten. Wir müs-sen ständig auf unterschiedliche Anfor de-r ungen verschiedener Länder reagieren. Glauben Sie, dass Datensicherheit eher durch Regulierung oder durch konkrete Bedrohungen gefördert wird? Beide Faktoren treiben sie voran. Wir können na-türlich die Wünsche unserer Regierungen nicht ignorieren. Behörden formulieren ganz spezielle Anforderungen – insbeson-dere Frankreich beim Thema Verteidigung. Wir müssen sensible Antworten auf ihre Fragen finden. Gleichzeitig müssen wir tag-ein, tagaus mit konkreten Bedrohungen fertig werden. Die Regulierung macht das

Ganze noch komplizierter. Aber wir haben eine klare Strategie. Die Verknüpfung zwi-schen IT und Prozesssicherheit einerseits und Produktsicherheit andererseits ist für uns von entscheidender Bedeutung. Verändert das die Rolle Ihrer Zulieferer? Wir setzen auf enge Beziehungen. Alle Zu-lieferer von Software für Verkehrsflugzeuge verwenden inzwischen eine digitale Signa-tur und sind Teil unseres "Aircraft Security Management System", ganz gleich ob sie nur eine winzige Softwarekomponente oder ein anderes Bauteil für die Ausstat-tung unserer Flugzeuge liefern. Gibt es Unterschiede bei Ihren Liefer-anten in Sachen Sicherheitsbewusst-sein? Nicht alle Zulieferer sind wie Safran oder Rolls-Royce. Manchen fehlt das Geld, um eine lückenlose Sicherheit ihrer eigenen Systeme zu garantieren. Deshalb helfen wir KMU, sich selbst zu schützen, da dies letztlich in unserem eigenen In-ter esse liegt. Hacker suchen immer nach Schwachstellen. "BoostAeroSpace" bie-tet KMUs ein Maß an Sicherheit, das für uns im 4.0-Kontext unerlässlich ist.Ist die Bedrohung in den letzten Jahren gefährlicher oder einfach nur komplex-er geworden? Sie ist sowohl komplexer als auch bedrohlicher geworden, da die Hacker immer intelligenter, raffinierter und fort schrittlicher werden. Die Angriffs-fläche ist größer geworden und erfordert einen anderen Ansatz als früher.Wer bedroht Sie denn am meisten? Sie lesen doch auch Zeitung. Manche Unter-nehmen werden leichter Opfer von Pro-dukt piraterie und Cyberangriffen als an-dere. Bislang gab es immer wieder recht simple Angriffe von geringem Umfang. In zwischen sind die Bedrohungen von riesigem Ausmaß. Wir sprechen hier von einer fortgeschrittenen, andauernden Bedrohung von außen. Oft sind die An-griffe koordiniert, versteckt und kommen aus unterschiedlichen Richtungen. Daher kann ich das nur schwer präzisieren. Es muss für Sie ein Schock gewesen sein, als der deutsche Sicherheits be-rater Hugo Teso demonstriert hat, wie

INTERVIEW

JEAN BOTTI

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45THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

EIN CTO IM STRESSTEST

DER

SICHERHEITS-

ARCHITEKTJEAN BOTTI, geboren 1957, Master und

PhD in Maschinenbau, Toulouse/Paris, MBA in Michigan; Chief Technical Officer

der Airbus Group und Mitglied des Executive Committee seit 2006. Botti

arbeitete zuvor bei Renault, General Motors und dem Autozulieferer

Delphi in den USA und Frankreich.

DAS

NETZWERKDIE AIRBUS GROUP ist an mehr

als 170 Standorten weltweit aktiv, mit rund 140.000 Mitarbeitern und

Knotenpunkten für die Maschinen­wartung auf fünf Kontinenten.

Airbus beschäftigt 35.000 Zulieferer allein auf seinen Heimatmärkten;

das Volumen externer Lieferab kommen von fast 40 Milliarden Euro ent ­

spricht zwei Dritteln der Airbus­Erlöse.

INTERVIEW

JEAN BOTTI

leicht man sich in das Kommunikations-system eines Flugzeugs hacken kann. Alles, was er dazu benötigte, waren ein Funksender und eine Software, die er bei Ebay erstanden hatte. Das war kein Schock. Was er gesagt hat, ist falsch. Aus mehreren Gründen. Er war zu keinem Zeit-punkt in der Lage, ein Flugzeug vollstän-dig unter seine Kontrolle zu bringen. Aber allein aufgrund der Tatsache, dass er ein intelligenter Hacker und ausgebildeter Pilot ist, war sein Szenario extrem glaub-würdig. Daher mussten wir reagieren.Und wie? Wir arbeiten seit mehr als zehn Jahren mit "ethischen Hackern" zusam-men. Das ist äußerst hilfreich. Das bei Airbus für die Sicherheit von Flugzeugen zuständige Team ist stets offen für Diskus-sionen über eventuelle Schwachstellen. Wir haben den Flugsicherheitsbehörden überzeugend bewiesen, dass alles in Ord-nung ist. Ich habe allen Grund, auf unsere Arbeit und unsere kompetenten Experten zu ver trauen. Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Die Bedrohungen verändern sich stän-dig. Wie erfahren Sie von neuen Sicher-heitslücken? Dazu nur ein Beispiel: Wir arbeiten mit technisch versierten jungen Menschen zusammen, die uns helfen, künftige Bedrohungen zu erkennen und vorwegzunehmen, statt einfach nur da-

rauf zu rea gieren. Aufgrund der langen Lebensdauer von Flugzeugen ist das be-sonders wichtig.Wie stellen Sie sicher, dass Sie immer ei nen Schritt voraus sind? Unsere Leute sind stark vernetzt, absolute Spezialisten und sie kennen die Hackerszene. Es ist ein kleines Universum. Viele Experten ar-beiten für uns. Die Hälfte ihrer Zeit arbei-ten sie an einem Produkt oder für eine Abteilung unseres Unternehmens. Die andere Hälfte verbringen sie mit dem Be-such wichtiger Veranstaltungen in den USA, Frankreich, Deutschland, Großbri-tannien und manchmal sogar in China. Das war eine wichtige Bedingung bei der Anwerbung. In der Regel suchen wir er-fahrene Spezialisten, nicht aber im Be-reich Daten sicherheit. Dort suchen wir nach jungen Menschen, da hier vor allem Kreativität gefragt ist.Stimmen Sie sich gegen kriminelle At-tac ken mit Wettbewerbern ab? Das ist nicht leicht. Wir ha ben versucht, einheit-liche Sicherheitsstandards zu vereinba-ren. Wir pflegen einen in ten si ven Aus-tausch mit unseren Wettbewerbern, vor allem im Bereich Flug zeug si cher heit. Airbus veranstaltet jedes Jahr ein "Air-craft Security User Panel", auf dem ver-schiedene Mitglieder der Branche zusam-menkommen. Auf diesem Forum werden künftige Bedrohungen, gängige Stan-dards, Erfahrungswerte, übliche Lö sun-gen diskutiert ... ganz ohne gegen die Konkurrenz zu mauern. Ferner nehmen wir an der US-Initiative "Aviation Informa-tion Sharing Working Group" teil, die den Ideen austausch zwischen Industrie und Regierungen zum Thema Datensicherheit fördern soll.Mit welchem Ergebnis? Wenn es ins Detail geht, halten sich viele Unternehmen bedeckt. Wir versuchen deshalb vorerst, unsere Probleme intern zu lösen. Mit Blick auf die Zukunft halte ich es für dringend erforderlich, dass wir alle noch enger zu-sammenarbeiten und uns gegenseitig zu unterstützen. Das müssen wir noch in un-serer Unternehmenskultur verankern.

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46 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

UNTERNEHMENSBEWERTUNG NACH DEM ROLAND BERGER REIFEMODELL ZUR INDUSTRIE 4.0 (generisches Schema)

INFRASTRUKTUR

PROZESSE

DATEN

ARBEITSMODELLE

Sensortechnologie

Flexibilität der Produktionsanlagen

Einsatz von Präzisionstechnologie

Produktionsdesign

Planung und Kontrolle

Logistik

Instandhaltung

Interne Datenintegration

Externe Schnittstellen

Flexible Belegschaft

Führungsmodelle

EBENE 1Industrie 3.0, rudimentär digital

EBENE 2Anlagen- und Systemreife ohne Prinzipien der Industrie 4.0

EBENE 3Industrie 4.0 implementiert

INDIKATORBAUSTEINE

Was müssen Unternehmen tun, um In­dus trie 4.0 anwenden zu können, damit sie Effizienz, Qualität und Geschwindig­keit stei gern? Wie können Manager das Potenzial ihres Unternehmens abrufen? Nach dem volkswirtschaftlichen Reife - in dex (Seite 39) bereitet Roland Berger Strategy Consultants nun eine Ana lyse für

Manager und Unternehmer vor. Die vier wichtigsten Bausteine sind Infrastruktur, Prozesse, Datenverkehr und Arbeits-modelle. Daraus leiten wir einen unter-nehmensindividuellen Reifeindex ab, der unterstreicht, dass alle Abteilungen des Unternehmens mitarbeiten müssen. Unsere Studie erscheint Anfang 2015.

| ROLAND BERGER INDEX |

IST IHR UNTERNEHMEN

REIF FÜR INDUSTRIE 4.0?

WERKSTATTCOO

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47THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

Engineering- und Umsatz-Footprint westeuropäischer

Unternehmen

Mastering 2020: Wie Light Footprint Management auf die Welt der Ungewissheit vorbereitet.

Mit der steigenden Präsenz westeuropäi-scher Unternehmen in aller Welt wird die Frage drängender, wie lokale Kunden be-dürfnisse optimal erfasst werden. Typische Fehler beim Markteintritt sind: 1. Produktentwicklung für Schwellen-länder ist zu komplex angelegt2. Tauglichkeit der Produkte für den Mas senmarkt wird zu wenig beachtet

| ENGINEERING |

Mehr Effizienz, bitte!

Unternehmen müssen heute komplexe

stra tegische Entscheidungen unter

bei spiel los unsicheren Vorzeichen

treffen. Dazu gehören beispielsweise

der Trend zur Digitalisierung, wach­

sende Unsicherheit über politische

Regu lierung, die Steuerung der

Schwellenmärkte oder die Notwen­

digkeit organisatorischer Agilität.

Charles Edouard Bouée, CEO von

Roland Berger Strategy Consultants,

empfiehlt eine Strategie, die sich

im Militär bewährt hat: Light Footprint

Management. Sie betont Beweglich­

keit, Schnelligkeit, Reaktionsfähig­

keit und die Effizienz der eingesetz ten

Mittel. Wer Veränderungen ignoriert,

dem droht das Kodak­Syndrom

ver passter Transformation. Die Studie

"Mastering 2020" zeigt die sieben

Prinzipien der Adaption anhand

von Champions wie Netflix (Inno­

vation), Haier (Reorganisation) oder

P&G (Zusammenarbeit). www. rbsc.eu/mastering2020

| STRATEGIE |

LERNEN VON NETFLIX

Wer sich nicht wandelt, geht unter. HP spaltet sein Geschäft, Ebay trennt sich von Paypal, Facebook von seinem Messenger: Das Techno­lo giemagazin "Wired" leitet daraus den Impe­ra tiv ab, eine Sache gut zu tun – und die richtig. Zwischen 1973 und 1983 fielen 350 Unterneh­men aus den "Fortune 1000". Zwischen 2003 und 2013 waren es 712. Die Halbwertzeit von Un ternehmen sinkt. Ob groß oder klein: Inves­toren honorieren Agilität, das Gebot der Stun­de. Industrie 4.0 schafft die Voraussetzungen.

| UNTERNEHMENSSTERBEN |

ENDE DER GIGANTEN?

77%ENGINEERING

41%UMSATZ

712

350

COO

WERKSTATT

1973–1983

3. Zwischen Umsatz in den Hei mat märk-ten (41%) und dem personellen Auf wand für die Entwicklung dort (77%) besteht ein MissverhältnisUnsere Studie "Engineering Efficiency 2014" skizziert eine Roadmap zu markt-näheren Technologien und kundenge-rechteren Produkten (erscheint Ende 2014).

2003–2013

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48 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

| KOSTENREDUKTION |

Unerwartete Hürden Was sind die typischen Schritte eines Kos tensenkungsprojekts? Was sind die Hürden? Was die Erfolgsfaktoren? Einsparungen von bis zu 30% sind möglich – mithilfe von Standardisie-rungen, Änderungen am Design, Nachverhandlungen bei den Zuliefe-rern oder schlankerer Produktion. Unser "Operations Efficiency Radar" ist anwendbar in allen Produkt- phasen inklusive der Se rien fer tigung. Die wichtigsten Hebel sind:

PRODUKTFUNKTIONSOPTIMIERUNG• Produktportfolio• FunktionsumfangSTANDARDISIERUNG• Vereinfachung des Designs• Standardisierung von Teilen• Angemessene Qualitätsanforderungen

EINKAUFROHSTOFFE• Kompetenzstärkung im Rohstoffeinkauf• DoppelquellenbeschaffungPREISVERHANDLUNGEN• Benchmarking von Produktkosten für Vertragsverhandlungen

PROZESSEMONTAGE• Prozessvereinfachung auf Basis eines Produkt-Redesigns

• Änderung der ProzesstechnologieFERTIGUNG• Änderung des Fertigungsprozesses• Materialumstellung• Prozessoptimierung

LIEFERKETTELOGISTIKOPTIMIERUNG• Vereinfachung von Logistik und Transport• Bestandsoptimierung beim Lieferanten und im eigenen Unternehmen

• Lokalisierung von Produktionsstandorten• Synergien zwischen verschiedenen Entwicklungs-/Produktionsstandorten

www.rbsc.eu/opsradar

Eine neue Studie von Roland Berger Frankreich bewertet im Auftrag von Google die ökonomischen und sozialen Potenziale der digitalen Transformation. Die Publikation entstand gemeinsam

mit Cap Digital, einem Branchenverband der Digitalwirtschaft. Sie basiert auf einer Umfrage unter mehr als 500 französischen

Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern. www.rbsc.eu/digitransformation

| DIGITALE TRANSFORMATION |

NEUE CHANCEN FÜR FRANKREICH

57% der Unternehmen zählen die digitale Transformation mittelfristig zu ihren strate- gischen Prioritäten, doch nur 36% verfügen über eine formalisierte digitale Strategie.

Paradoxerweise ist die digitale Reife bei den Verbrauchern größer als bei den Unter- nehmen: 59% der Franzosen kaufen online ein, wäh rend nur 11% der französischen Unterneh men online verkaufen.

Brachliegendes Wachstumspotenzial: Durch die Beschleunigung ihrer digitalen Transfor- mation könnten französische Unternehmen ihr Umsatzwachstum verdoppeln.

Die digital fortschrittlichsten Unternehmen wachsen sechsmal stärker als die Unter- nehmen mit der geringsten digitalen Reife.

Mitarbeiter in den digital fortschrittlichsten Unternehmen sind um 50% zufriedener mit ihrem Berufsleben als ihre Kollegen in den am schwächsten digitalisierten Unternehmen.

36%vs.

57%

59% vs.

11%

x2

x6

50%

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Online-Lerntechnologien verhelfen Unternehmen zu mehr Agilität sowie Lern- und Anpassungs fähig -

keit. Ihre wichtigsten Anwendungsfelder liegen aber nicht in der kostenlosen Vermassung von Lern an-

ge boten ("MOOCs"), sondern in der Personali sierung und Individualisierung von Bildung für das lebens-

lange Lernen. Auch in der Wert schöpfungskette von Corporate Learning verändern sich die Spielregeln:

Das Denken in Abteilungs-, Business-Unit- oder Unternehmensgrenzen wird überwunden.

www.rbsc.eu/corporatelearning

| WEITERBILDUNG |

CORPORATE LEARNING

IM UMBRUCH

Wenn selbst komplexe Produkte und

Dienst leistungen zu "Commodities"

degenerieren, steckt ein Unternehmen

in der "Commodity­ Falle". Dann sind

die Möglichkeiten zur Dif fer en zierung

eingeschränkt und der Wettbewerb

erfolgt primär über den Preis. Inno va­

tion, Qua lität und das Geschäftsmodell:

Dies sind die we sentlichen Hebel, um

sich aus der Com mo dity­Falle zu be­

freien. Die größte Dis kre panz zwischen

der Effektivität und der Anwendung

eines Hebels besteht bei der Neu ­

aus richtung des Geschäftsmodells

und bei Target Costing/Design­to­Cost.

Unsere Studie zeigt, wie sich neue

Wettbewerbsvorteile gewinnen lassen.

www.rbsc.eu/commoditytrap

Innovation zur Produktdifferenzierung

Produkte mit Dienstleistungen aufwerten

Produkt- und Lieferqualität verbessern

Geschäftsmodell strategisch neu ausrichten

Target Costing/Design-to-Cost stärken

Organisation flexibel gestalten

Marketing- und Vertriebstools anwenden

Auf spezielle Marktsegmente fokussieren

Unternehmensportfolio neu ausrichten

EFFEKTIVITÄT/NUTZUNGSGRAD

HEBEL

SEHR HOCH

Effektivität Nutzungsgrad

COO

WERKSTATT

SEHR NIEDRIG

TORQUEs"tiny, open online courses but

with definite restrictions, focusing on quality and effectiveness"

(sehr kleine offene Online-Kurse mit konkreten Beschränkungen, die großen

Wert auf Qualität und Effektivität legen)

SOOCs"selective open online courses"

(selektive offene Online-Kurse, Teilnehmer werden z.B. aufgrund ihrer Vorqualifikation oder

ihres Arbeitgebers ausgewählt)

SPOCs"small, private online courses"

(kleine private Online-Kurse)

MOOCs"massive open online courses"

(offene Online-Kurse für die Masse)

| WETTBEWERBSFÄHIGKEIT |

Wege aus der Commodity­Falle

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50 THINK ACT // COO INSIGHTSINDUSTRIE 4.0

LETZTE

ANTWORTEN

markt liegt darin die Chance, industrielle Wertschöpfung trotz des Fachkräfteman-gels langfristig in Europa zu halten.

INGENIEURSKUNST PLUS SOFTWARE-EXZELLENZ

In einem ausgereiften Szenario entstehen neuartige Berufsbilder und Ausbildungs-konzepte. Systemarchitekten sind die "Brains" der Industrie 4.0. Sie verbinden klassische Ingenieurskunst mit Soft-ware-Exzellenz und der Visionskraft eines Spieledesigners. Sie schaffen Rahmen-bedingungen und Regeln, in denen die Selbst organisation der Produktion stattfin-det. Kon figuratoren passen die Systeme mittels intelligenter Schnittstellen an loka-le Bedingungen an, ohne selbst die Kom-plexität der Abläufe durchdringen zu müs-sen. Sie sind die User der digitalen Fabrik, die Fehler erkennen und Parameter situa-tiv anpassen, ohne im klassischen Sinne zentrale Steuerungsmacht über den Ge-samtprozess zu besitzen. Continuity-Tech-niker verhindern Stillstände und halten Wertschöpfungsprozesse auch bei Stö-rungen am Laufen. Ihre Ad-hoc-Lösungen bauen auf vernetzte Risiken und minimie-ren die Gefahr von Kaska den effekten beim Ausfall von Produktionsstufen.

Vernetzung ist komplex, deshalb tref-fen in der Industrie 4.0 die Systeme ope-

Industrie 4.0 ist ein industrielles Öko-system, in dessen Kern intelligente Soft ware steht, die eine hocheffiziente und adaptive Produk tion mittels au to-

nom agierender cyber- physischer Systeme ermöglicht. Im Übergang zu diesem neuen Paradigma wandelt sich die Rolle des Menschen in der industriellen Wertschöp-fung. Selbst in hochautomatisierten Pro-duktionsprozessen werden heute an vielen Stellen Fachwissen, Erfahrung, menschli-che Urteilskraft und Augenmaß benötigt. In der Echtzeitlogik der hyperflexiblen Pro-duktionsstrukturen der Zukunft werden diese Fähigkeiten am "Point of Production" kaum noch Mehrwert entfalten.

Machen wir uns keine Illusionen: Wie jede Industrialisierungswelle wird auch Industrie 4.0 langfristig Arbeitsplätze ver-nichten. Es sind Erfahrungsberufe wie Facharbeiter oder Meister, die durch Ma-schinen ersetzt werden – und in aller Kon-sequenz auch das mittlere Management. Denn Expertenwissen, praktische Erfah-rung und operative Entscheidungsfähig-keit sind künftig in die Systemlogiken selbst eingebettet.

Durch Sensorik und lernende Soft-ware werden cyber-physische Systeme immer besser in der Lage sein, Situatio-nen wahr zunehmen, aus ihnen zu lernen und Prozesse selbstständig zu optimie-ren. Bei allen Risiken für den Arbeits-

Andreas Neef ist geschäftsführender Gesellschafter von "Z_punkt The Foresight Company". Der Manage-mentberater ist Autor der Studie "Connected Reality 2025 – Die nächste Welle der digitalen Transforma-tion". Download unter www.z-punkt.de

rative Entscheidungen zunehmend selbst. Bei Problemen eines Zulieferers werden Vorprodukte automatisch über eine Bran-chenplattform bei anderen Anbietern ge-or dert – und dort in Echtzeit Produk tions-prozesse in Gang gesetzt. Das wan delt industrielle Beziehungen. Wie die sozialen Netzwerke das gesellschaftliche Konzept von Freundschaft verändert haben, wer-den Beziehungen zwischen Unternehmen vielfältiger, loser und volatiler.

Gleichzeitig ist eine heute noch un-denk bare Offenheit bei der unternehmens-übergreifenden Kooperation und daten-technischen Integration der Prozesse not-wendig, um die Wertschöpfungspotenziale zu realisieren. Eine hohe räumliche Dichte und eine Vielfalt an Branchen, Kompeten-zen und Unternehmensgrößen sind günsti-ge Bedingungen für den Aufbau solch ei-nes hochflexiblen Produktionssystems.

In globaler Perspektive bilden sich neue Produktionscluster – nicht durch Branchen-homogenität, sondern durch Adaptionsfä-higkeit und komplementäre Kompetenzen in räumlicher Nähe. Europa ist gut aufge-stellt, doch in der Industrie 4.0 werden die Karten auf allen Ebenen neu gemischt.

MENSCH ODER MASCHINE – WER DIRIGIERT DIE PRODUKTION DER ZUKUNFT?

Ein Gastbeitrag von Andreas Neef

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Mies-van-der-Rohe-Str. 6 80807 München +49 89 9230-0

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Veröffentlicht im November 2014

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