Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

350

Transcript of Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Page 1: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems
Page 2: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Hans-Wemer Fuchs Bildung und Wissenschaft seit der Wende

Page 3: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Hans-Wemer Fuchs

Bildung und Wissenschaft seit derWende Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1997

Page 4: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Gedruckt mit Unterstützung durch die Universität der Bundeswehr Hamburg.

ISBN 978-3-8100-1811-3 ISBN 978-3-663-09417-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-09417-3

© 1997 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1997

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi­kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Page 5: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Inhalt

1. 1.1 1.2 1.3 1.4

2.

2.1

2.1.1 2.1.2

2.1.3 2.1.4

2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.1.8 2.1.9

2.2

2.2.1 2.2.2

2.2.3

2.2.4

Abkürzungsverzeichnis. ............. ...... .... ....... ...................... 9

Einführung ........................................................................ . Zum Thema ........................................................................ . Definition und Abgrenzung grundlegender Begriffe .......... . Zum Aufbau der Untersuchung .......................................... . Vorgehensweise und Forschungsstand ............................... .

Transformationsprozesse im Bildungs- und Wissenschaftssystem der DDR 1989/90 .......................... . Forderungen zur Erneuerung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems ......................................... . Das Bildungssystem bis zur 'Wende' ................................. . Allgemeine Forderungen zu Veränderungen im Bildungs-und Wissenschaftssystem ................................................... . Forderungen zur Reform der Vorschulerziehung ............... . Forderungen zur Reform des allgemeinbildenden Schulwesens ....................................................................... . Forderungen zur Reform der beruflichen Bildung ............. . Forderungen zur Reform des Hochschulwesens ................. . Forderungen zur Reform des Forschungssektors ................ . Forderungen zur Reform der Weiterbildung ...................... . Zu den Forderungen und Vorschlägen für eine Reform des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems ................... . Stellungnahmen und Forderungen westdeutscher Akteure zur Reform des Bildungs- und Wissenschaftssystems ........ . Allgemeine Stellungnahmen und Forderungen ................... . Stellungnahmen und Forderungen zur Umgestaltung des Vorschulbereiches und des allgemeinbildenden Schulwesens ....................................................................... . Stellungnahmen und Forderungen zur Umgestaltung der beruflichen Bildung ............................................................ . Stellungnahmen und Forderungen zur Umgestaltung des Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungssektors .......... .

17 17 19 26 28

33

33 33

38 42

44 52 53 54 56

57

61 61

63

69

71

5

Page 6: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

2.2.5

2.2.6

2.3

2.3.1

2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.4

3.

3.1

3.1.1

3.1.2

3.2 3.2.1

3.2.2 3.2.3

3.3 3.3.1 3.3.2

3.3.3. 3.3.3.1 3.3.3.2 3.3.3.3 3.3.3.4 3.3.3.5

6

Stellungnahmen und Forderungen zur Umgestaltung der Weiterbildung...................................................................... 75 Zu den Stellungnahmen und Forderungen westdeutscher Akteure zu einer Umgestaltung des Bildungssystems derDDR.............................................................................. 77 Die Umgestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems in den Jahren 1989/90.............................. 81 Allgemeine bildungspolitische Entwicklung und deutsch-deutsche Kooperation.......................................................... 81 Veränderungen im Bereich der Vorschulerziehung............. 91 Die Umgestaltung des allgemeinbildenden Schulwesens.... 92 Veränderungen in der beruflichen Bildung......................... 109 Umbrüche im Hochschulwesen........................................... 114 Veränderungen in Wissenschaft und Forschung................. 120 Neue Ansätze in der Weiterbildung.................................... 122 Die bildungsrechtlichen Regelungen des Einigungsvertrages.............................................................. 124

Die Transformation von Bildung und Wissenschaft seit 1990 - die neuen Länder im Vergleich............................. 131 Rechtliche und administrative Vorbereitungen zur Umgestaltung des Bildungs- und Wissenschaftssystems nach der Vereinigung.......................................................... 131 Der Aufbau der Länderbildungsverwaltungen und die Gemeinsame Einrichtung der Länder.................................. 132 Der Einigungsvertrag und die Problematik weitergeltenden Rechts für Bildung und Wissenschaft....... 136 Veränderungen in der vorschulischen Erziehung................ 139 Die Rechtsentwicklung im Bereich der Vorschulerziehung.............................................................. 139 Strukturelle Veränderungen im Vorschulbereich.. ... .. . . . . . .. .. 141 Die Neuformulierung der Aufgaben von Vorschuleinrichtungen..... ... .. ... .. .. .. .... ... ... ..... .. .. ... . .. .. .. .. . .. . . . 144 Die Neugestaltung des allgemeinbildenden Schulwesens... 146 Die Entwicklung der Länderschulgesetzgebung.................. 148 Allgemeine Bildungs- und Erziehungsziele und der Auftrag der Schule in den neuen Bundesländern................. 160 Zur strukturellen Neugestaltung des Schulwesens............... 165 Die Primarstufe................................................................... 165 Schulhorte und Ganztagsbetreuung.... .... .... .......... .. ... ... ....... 166 Die Neuregelung des Überganges in die Sekundarstufe...... 169 Die Neuordnung der Sekundarstufe 1.. .. ... .. .. ......... ... .. .. . ... .. . 173 Die Neustrukturierung der gymnasialen Oberstufe............. 183

Page 7: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

3.3.3.6 3.3.3.7 3.3.3.8

3.3.4

3.3.5

3.4 3.4.1 3.4.2

3.4.3 3.5 3.5.1 3.5.2

3.5.3 3.5.4

3.5.5

3.5.5.1 3.5.5.2 3.6

3.7 3.7.1 3.7.2

3.7.3

4.

4.1

4.2

4.2.1 4.2.2

4.2.3

Möglichkeiten besonderer Profilierung von Schulen.......... 185 Schulen in freier Trägerschaft............................................. 188 Die Folgen des strukturellen Umbaus und die Veränderung der Rahmenbedingungen.. .... ... .. .. .. . .. .. . . .... .. .. . 192 Die inhaltliche Neugestaltung des Unterrichts und die Einführung neuer Fächer..................................................... 199 Die Neugestaltung der inneren Verhältnisse im Schulwesen.......................................................................... 210 Die Neuordnung des beruflichen Bildungswesens.............. 218 Der Übergang zum westdeutschen Berufsbildungsrecht..... 218 Strukturelle und inhaltliche Veränderungen in der praktischen Berufsausbildung............................................. 219 Die Neuordnung der schulischen Berufsausbildung............ 230 Die Erneuerung des Hochschul- und Forschungssektors. ... . 236 Die Entwicklung neuen Hochschulrechts............................ 237 Die strukturelle und organisatorische Hochschulerneuerung. .. .. ... ....... .. ... .. ............ .. ... .... .. .. .. ... .. .. .. 239 Die personelle Erneuerung.................................................. 249 Die Unterstützung der Erneuerung von Hochschulen und Forschung durch Sonderprogramme des Bundes und der Länder................................................................................. 261 Veränderungen im Studienangebot und in der Gestaltung der Studiengänge................................................................. 263 Allgemeine Veränderungen................................................. 263 Die Neugestaltung der Lehrerausbildung............................ 264 Transformationsprozesse im außeruniversitären Wissenschafts- und Forschungssektor..... .. .. .. .. .. ... ..... .. .. .. . .. . 267 Veränderungen in der Weiterbildung.................................. 274 Die Anpassung des Weiterbildungsrechts........................... 275 Der strukturelle und organisatorische Umbau des W eiterbildungssektors...... .... .. .. ... .. ........... ... ..... .. . .. ..... .. .. .. ... 278 Inhaltliche Veränderungen in der Angebotsstruktur....... .. ... 281

Die Entwicklung von Bildung und Wissenschaft im Land Berlin. .. .. ... .... .... ..... ...... ...... .. ......... .. .. .. ... .. ... .. .. ...... .. .. 283 Rechtsangleichung und Angebotsreduzierung im Elementarbereich und der außerschulischen Betreuung...... 283 Der Umbau des allgemeinbildenden Schulwesens in Ost-Berlin.................................................................................. 285 Die Angleichung des Schulrechts. .. ..... ........ ... ... ...... ....... ... .. 285 Die strukturelle und organisatorische Umgestaltung der Ost-Berliner Schulen........................................................... 287 Innere Veränderungen im Schulwesen................................ 293

7

Page 8: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

4.3 Anpassungsprozesse in der beruflichen Bildung................. 296 4.4 Die Zusammenführung des Hochschul- und

Forschungssektors... .......... .. ... .... .. ... ... . ............ ... .. .... ... ... .. .. . 299 4.5 Die Neuordnung der außeruniversitären Forschung............ 306 4.6 Zur Umgestaltung der Weiterbildung in Ost-Berlin............ 307

5. Fazit und Ausblick............................................................ 311

Literaturverzeichnis.......................................................... 323

8

Page 9: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Abkürzungsverzeichnis

a.a.O. ABL ABM Abs. Abschn. AdL

AdW

AEVO AFG AfNS AG aktual. AL Anl. Anm. APW

Art. Aufl. AufnV AO BA BAföG BB BB 10 BbGSchulG BbGWBG

BBiG Bearb. Ber. BerBiFG BerlHG betr.

am angegebenen Ort Amtsblatt Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Absatz Abschnitt Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demo­kratischen Republik Ausbilder-Eignungsverordnung Arbeitsförderungsgesetz Amt für Nationale Sicherheit Arbeitsgemeinschaft aktualisiert( e) Alternative Liste Anlage Anmerkung Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik Artikel Auflage Aufnahmeverordnung Ausbildungsordnung Bildungswesen Aktuell Bundesausbildungsförderungsgesetz Brandenburg Berufsbefähigender Lehrgang (Klasse 10) Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg Gesetz zur Regelung und Förderung der Weiterbildung im Land Brandenburg Berufsbildungsgesetz Bearbeiter(in) Berichtigung Berufsbildungsförderungsgesetz Berliner Hochschulgesetz betrifftibetreffend

9

Page 10: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

BetrVerfG BFD BGBI. BGJ BIBB BLBS BLK

BMBF

BMBW BMFT BMJFFG

BT-Drs. BTSV BVJ bzw. CDJ CDU csu DA DAAD DBD DDR DEAE

desgl. DFD DFG DFP DGB DGBV d.h. DHV DIHT DIN DIPF

DL DLZ DM

10

Betriebsverfassungsgesetz Bund Freier Demokraten Bundesgesetzblatt Berufsgrundbildungsjahr Bundesinstitut für Berufsbildung Bundesverband der Lehrer an beruflichen Schulen Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, For­schung und Technologie Bundesministerium fürBildung und Wissenschaft Bundesministerium für Forschung und Technologie Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Bundestags-Drucksache Bund Technischer Sportverbände Berufsvorbereitungsjahr beziehungsweise Christlich-Demokratische Jugend Christlich Demokratische Union (Deutschlands) Christlich-Soziale Union Demokratischer Aufbruch Deutscher Akademischer Austauschdienst Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Demokratische Republik Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Er­wachsenenbildung desgleichen Demokratische Frauenpartei Deutschlands Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Forumpartei Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Gesellschaft für Bildungsverwaltung das heißt Deutscher Hochschulverband Deutscher Industrie- und Handelstag Deutsche Industrie-Norm Deutsches Institut für internationale pädagogische For­schung Deutscher Lehrerverband Deutsche Lehrerzeitung Deutsche Mark

Page 11: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

dpa DPhV DSU DUZ DVV EDV EG EKD EKiBB EOS ErgGBerlHG etc. EU ev./evang. e.V. EV f. F.A.Z. FDJ FDP ff. FH FhG FN FR FU FuE FusG GBI. geä. gern. GEL

GEW GG ggf. GGG GOST/GOSt. GS GST

. Deutsche Presseagentur Deutscher Philologenverband Deutsche Soziale Union Deutsche Universitäts-Zeitung Deutscher Volkshochschul-Verband Elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft Evangelische Kirche in Deutschland Evangelische Kirche in Berlin-Erandenburg Erweiterte Polytechnische Oberschule Gesetz zur Ergänzung des Berliner Hochschulgesetzes et cetera Europäische Union evangelisch eingetragener Verein Einigungsvertrag folgende (Seite) Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei folgende (Seiten) Fachhochschule Fraunhofer-Gesellschaft Fußnote Frankfurter Rundschau Freie Universität (Berlin) Forschung und Entwicklung Fusionsgesetz Gesetzblatt geändert gemäß Gemeinsame Einrichtung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für Aufgaben in Bildung und Wissen­schaft Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule Gymnasiale Oberstufe Grundschule Gesellschaft für Sport und Technik

11

Page 12: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

GUE GVBl./GVOBl. H. HEG HEP Hervorh. HortG HPersÜG HRG hrsg. Hrsg. HS HSP HUB HVD HwO I.

i.d.F. i.d.R. i.e.S. IG IGBBiG

IGHwO

IGW

IM insb. JArbSchG jur. KAI-AdW

KAie.V.

Kap. kath./kathol. KAW KBE

KitaG/KiTaG

12

Gewerkschaft Unterricht und Erziehung Gesetz- und Verordnungsblatt Heft Hochschulerneuerungsgesetz Hochschulerneuerungsprogramm Hervorhebung Hortgesetz Hochschulpersonal-Übernahmegesetz Hochschulrahmengesetz herausgegeben Herausgeber Hochschule Hochschulsonderprogramm Humboldt-Universität zu Berlin Humanistischer Verband Deutschland Handwerksordnung Im

in der Fassung in der Regel im engeren Sinne Industriegewerkschaft Gesetz über die Inkraftsetzung des Berufsbildungsge­setzes Gesetz über die Inkraftsetzung des Gesetzes des Hand­werks (Handwerksordnung) Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Uni­versität Erlangen-Nürnberg Inoffizieller Mitarbeiter insbesondere Jugendarbeitsschutzgesetz juris Koordinierungs- und Abwicklungsstelle für die Institu­te und Einrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften Koordinierungs- und Aufbauinitiative für die For­schung in den neuen Ländern und Berlin Kapitel katholisch Konzertierte Aktion Weiterbildung Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachse­nenbildung Kindertagesstättengesetz

Page 13: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

KJHG KM KMK KTKBG

KV LDP(D) LER lfd. LHG LKonfO LPG LSA MBJS MB I. MBW MDC MfB MfS MfV Mio. Mittbl./MittBl. MK ML MLG MPG MPI Mrd. MV/M-V m.w.A. m.w.N. ND NDPD Nr. NRW NVA o.ä. o.J. o.O. Orig. osz

Kinder- und Jugendhilfegesetz Kultusministerium Kultusministerkonferenz Gesetz über die Beteiligung an den Kosten der Be­treuung von Kindern in städtischen Tagesstätten und in Tagespflege Kommunalverfassung Liberal-Demokratische Partei (Deutschlands) Lebensgestaltung-Ethik-Religion laufend(e) Landeshochschulgesetz Lehrerkonferenzenordnung Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Land Sachsen-Anhalt Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Ministerialblatt Ministerium für Bildung und Wissenschaft Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin MinisteriumfürBildung Ministerium für Staatssicherheit Ministerium für Volksbildung Million( en) Mitteilungsblatt Ministerium für Kultus Marxismus-Leninismus Marxistisch-Leninistisches Grundlagenstudium Max-Planck -Gesellschaft Max-Planck-lnstitut Milliarde(n) Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Angaben mit weiteren Nachweisen Neues Deutschland Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nummer Nordrhein-Westfalen Nationale Volksarmee oder ähnliche(s) ohne Jahr ohne Ort Original Oberstufenzentrum

13

Page 14: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

oz PBG-VwV

PDS PH PLIB PO POS PQO QUEM RAA RdErl. RdSchr. Ref. RGW s. Sächs. SäKitaG

SächsFrTrSchulG

SBZ SC.

SchulG SchuKO SchulVerfG SED SGB SGVBI. SHG SMK SN sog. SPD SRG ST Staatsmin. sz Tab. TH THA

14

Ordnungszahl Verwaltungsvorschrift zur Regelung des Verfahrens für die personelle Besetzung der zukünftigen Gymna­sien im Freistaat Sachsen Partei des Demokratischen Sozialismus Pädagogische Hochschule Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg Prüfungsordnung Polytechnische Oberschule Personalqualifizierung in Ostdeutschland Qualifikations-Entwicklungs-Management Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen Runderlaß Rundschreiben Referat Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe siehe Sächsiche(s) Gesetz zur Förderung von Tageseinrichtungen im Frei­staat Sachsen Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft des Frei­staats Sachsen Sowjetische Besatzungszone scientiae Schulgesetz Schulkonferenzenordnung Schulverfassungsgesetz Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialgesetzbuch Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt Sächsisches Hochschulgesetz Sächsisches (Staats-)Ministerium für Kultus Sachsen sogenannte(r) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schulreformgesetz Sachsen-Anhalt Staatsministerium Süddeutsche Zeitung Tabelle Technische Hochschule Treuhandanstalt

Page 15: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ThEBG ThürHG ThürSchiTG ThürSchulG ThürSchulO TOP TN TU u. u.a. u.a. u.ä. UdSSR ÜBS UFV unveröff. usw. u.v.m. V.

VBE VBiG VDR vgl. VHS VL vo Vorl. VThürMitVO V uM WBG WIP WRK WTZ WZB z.B. ZIB zit. ZK z.T. zvs

Thüringer Erwachsenenbildungsgesetz Thüringer Hochschulgesetz Thüringer Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft Thüringer Schulgesetz Thüringer Schulordnung Tagesordnungspunkt Thüringen Technische Universität und und andere unter anderem und ähnliche(s) Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Überbetriebliche Berufsbildungsstätte Unabhängiger Frauenverband unveröffentlicht und so weiter und vieles mehr von/vom Verband Bildung und Erziehung Vorläufiges Bildungsgesetz Verband Deutscher Realschullehrer vergleiche Volkshochschule Vereinigte Linke Verordnung Vorläufige( s) Vorläufige Thüringer Mitwirkungsverordnung Verfügungen und Mitteilungen Weiterbildungsgesetz Wissenschaftler-Integrationsprogramm Westdeutsche Rektorenkonferenz Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung zum Beispiel Zentralinstitut für Berufsbildung zitiert Zentralkomitee zum Teil Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen

15

Page 16: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

1. Einführung

1.1 Zum Thema

In den Jahren 1989 und 1990 vollzogen sich in Europa Umbrüche mit welt­weiten Folgen. Die friedlichen Revolutionen in den mittelosteuropäischen Staaten, die Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation und des sowjeti­schen Macht- und Einflußbereiches, der Zerfall der Sowjetunion und nicht zuletzt die Wiedererlangung der deutschen Einheit sind Teile eines Prozesses, der in historischer Perspektive mit dem Ersten Weltkrieg einsetzte und erst durch die genannten Ereignisse einen vorläufigen Abschluß fand 1. Die histo­rischen Veränderungen erfordern eine Neuorientierung in einer Welt, in der Politik und politisches Denken seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges von der Bipolarität antagonistischer Machtblöcke dominiert wurden und unter dem Signum Ost-West-Konflikt nahezu alle anderen politischen, ökonomi­schen und gesellschaftlichen Entwicklungen überlagerten.

1990 nahm der durch die Teilung in Deutschland besonders deutlich her­vorgetretene Ost-West-Konflikt ein Ende, kam der Zweite Weltkrieg zu ei­nem auch formalen Abschluß. Im Zuge der Vereinigung beider deutscher Staaten und der in diesem Zusammenhang geschlossenen völkerrechtlichen Verträge wurde die Nachkriegsordnung obsolet. Die ehemaligen Siegermäch­te bestätigten der vergrößerten 'neuen' Bundesrepublik Deutschland ihre völ­kerrechtliche Souveränität, und mit der Republik Polen wurden noch offene, insbesondere territoriale Fragen rechtlich verbindlich geregelt. So konnten die äußeren Aspekte der Vereinigung im Jahr 1990 unerwartet zügig und kon­fliktfrei gelöst werden. Nach dem formalen deutsch-deutschen Zusammen­schluß galt und gilt es, die im Binnenverhältnis der beiden Teilgesellschaften bestehenden Problemlagen zu bewältigen - ein Prozeß von unbestimmter Dauer, den die politische Rhetorik in die Formel von der Schaffung der inne­ren Einheit kleidete. Hierbei, so wurde schnell deutlich, hatte und hat insbe­sondere die ostdeutsche Teilgesellschaft außerordentliche Veränderungs- und Anpassungsleistungen zu erbringen, die sowohl die politischen und sozioöko­nomischen Strukturen und Institutionen als auch den Normen- und Werteka­non bis hin zu alltäglichen Lebensvollzügen betreffen. Sie sind das Resultat der Ereignisse der Jahre 1989 und 1990, die in der DDR Transformationsprozes­se von zunächst unabsehbarer Reichweite auslösten. Der Wunsch nach Ver­einigung beider deutscher Staaten, bei Kundgebungen um die Jahreswende

Zur Bewertung des historischen Epochenverständnisses vgl. Tenfelde 1991 sowie die dort angegebene Literatur.

17

Page 17: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

1989/90 zunächst vereinzelt, dann aber immer nachhaltiger zu vernehmen ("Wir sind ein Volk"), wurde schließlich nach der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 zum offiziellen Programm der DDR-Regierung. Regierungs­vertreter aus Bonn und Ost-Berlin nahmen bereits unmittelbar nach der Volkskammerwahl Verhandlungen über den Staatsvertrag zur Schaffung ei­ner Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion auf, der das Ende der DDR als eines eigenständigen Staates einleitete. Der nur kurze Zeit später abgeschlos­sene Einigungsvertrag enthielt Vorgaben zur Transformation derjenigen Be­reiche, die nicht bereits durch den Vollzug des Vertrages über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion den in Westdeutschland herrschenden Bedin­gungen angeglichen wurden. Die Angleichung sollte im wesentlichen durch die Übertragung der in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen Struk­turen und Institutionen auf die DDR bzw. die neuen Bundesländer und Ost­Berlin erfolgen. Dies entsprach durchaus auch den ostdeutschen Erwartungen, erhofften sich Regierung und Regierte in der DDR von einem möglichst ver­zuglosen und vollständigen Institutionentransfer doch die schnellstmögliche Angleichung der materiellen Lebensverhältnisse an das westdeutsche Niveau.

Der Institutionentransfer betraf alle Felder staatlichen Handelns, damit auch Bildung und Wissenschaft. Ihnen widmet sich die vorliegende Untersu­chung. Ihr Gegenstand ist die Transformation des Bildungs- und Wissen­schaftssystems der DDR in den Jahren 1989/90 sowie der neuen Bundeslän­der und Berlins seit Oktober 1990. Das einheitliche sczialistische Bildungs­system der DDR gehörte zu denjenigen staatlichen Handlungsfeldern, deren umfassende Erneuerung bereits die sich seit Sommer 1989 auch öffentlich Gehör verschaffende Protestbewegung als besonders dringlich anmahnte. Die aus dem politischen Umbruch des Herbstes 1989 resultierenden und bis zum Oktober 1990 erfolgten personellen, strukturellen, rechtlichen und sonstigen Veränderungen betrafen alle Ebenen von den Ministerien und Verwaltungen bis hin zu einzelnen Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen. Parallel hierzu erfaßten die Verhandlungen zur deutschen Einheit dieses Politikfeld. Der seit der Vereinigung erfolgte Umbau des Bildungs- und Wissenschaftssystems in den neuen Bundesländern und Berlin führte mit wenigen Ausnahmen zu ei­nem radikalen Bruch mit den bis dahin in der DDR vorhandenen rechtlichen, strukturellen, institutionellen und inhaltlichen Bedingungen von Bildung und Wissenschaft. Diese Veränderungsprozesse, ihre Voraussetzungen, ihr Ver­lauf und ihre Folgen sind Gegenstand der Studie.

18

Page 18: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

1.2 Definition und Abgrenzung grundlegender Begriffe

Vor einer näheren Einführung in den Untersuchungsgegenstand, die leitenden Forschungsfragen, die beabsichtigte Vorgehensweise und den Forschungs­stand sind zunächst einige zentrale Begriffe zu definieren und abzugrenzen. Es sind dies Bildung, Bildungspolitik, Bildungswesen/Bildungssystem und Transformation sowie einige Begriffe aus der politikwissenschaftlichen Ter­minologie.

Bildung ist ein in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen anzu­treffender Begriff, der in einer allgemeinen Definition als "Vorgang der Ent­faltung der Individualität eines Menschen und seiner geistigen Formung in Auseinandersetzung mit den Gegenständen der Kultur und Umwelt"2 gekenn­zeichnet werden kann. Der Bildungsbegriff bezieht sich dabei sowohl auf den Vorgang selbst als auch auf dessen Resultate. Die Aneignung kognitiver und psychomotorischer Bildungsgüter und -inhalte, d.h. von Kenntnissen, Fähig­keiten und Fertigkeiten, ist ein Ziel von Bildung. Hinzu tritt die Hervorbrin­gung ethischer, musisch-ästhetischer und politisch-weltanschaulicher Dispo­sitionen, Verhaltensmerkmale, Einstellungen und Haltungen. In diesem all­gemeinen Verständnis können unter Bildung auch Erziehungs- und Ausbil­dungsbemühungen verstanden werden, soweit sie den genannten Zielen die­nen. Somit kann Bildung als Oberbegriff angesehen werden, dem sich die en­ger gefaßten Termini Ausbildung und Erziehung zuordnen lassen. Der Begriff Ausbildung kennzeichnet den eher auf ökonomische Verwertungsinteressen gerichteten Teil von Bildung im Sinne eines Einübens bestimmbarer Aufga­ben. Erziehung ist die intentionale, zweckgerichtete Auseinandersetzung zwi­schen Erziehungssubjekt (Educator/Erzieher) und Erziehungsobjekt (Educan­dus/Zögling), die das Ziel verfolgt, vorgegebenen Normen gemäße Verhal­tensdispositionen (Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen) hervorzubrin­gen. Bildung kann im Rahmen geplanter oder nicht geplanter Lehr- bzw. Lernvorgänge erfolgen. Gegenstand der Untersuchung sind insbesondere die intentionalen, von Institutionen durchgeführten und verantworteten, meist in­haltlich vorstrukturierten, ziel- und ergebnisorientierten Bildungsprozesse und deren Rahmenbedingungen.

Bildungspolitik verfolgt den Zweck, Bildung in Strukturen, Inhalte und Institutionen umzusetzen bzw. die Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Hier verbinden sich sachliche mit ideellen (ideologischen) Zielen, die in die Teil­bereiche von Bildung (Ausbildung, Erziehung, Unterricht, Training usw.) einfließen. Die über bildungspolitische Entscheidungen zu verwirklichenden Ziele von Bildung (und Erziehung) bedürfen der Definition. Dabei, so kann angenommen werden, drücken die Zieldefinitionen "den Willen der Herr-

2 Reuter 1987, S. 29.

19

Page 19: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

sehenden darüber aus, welche W erthaltungen, Informationen, Themen usw. der nachwachsenden Generation weitergegeben werden sollen"3•

Unter Bildungswesen kann schließlich das Ergebnis 'geronnener' Bil­dungspolitik verstanden werden. In einem politisch und/oder geographisch definierten Raum bezeichnet Bildungswesen die Summe der Strukturen, Insti­tutionen und Organisationen sowie der rechtlichen und sonstigen Regelungen, die in ihrem Gesamt als Folge bildungspolitischer Entscheidungen und Handlungen vorfindbar sind. Ein Bildungssystem hat für eine Gesellschaft bestimmbare grundlegende Funktionen zu erfüllen. Strukturfunktionalistisch betrachtet können diese in ihrem Kern als allen Gesellschaften gleich ange­nommen werden. Verschieden sein kann jedoch die jeweilige Definition kon­kreter Strukturen, Institutionen, Ziele und Inhalte, über die die grundlegenden Funktionen eines Bildungssystems für den Erhalt oder die Veränderung einer Gesellschaft gesichert werden sollen. Strukturen, Ziele und Inhalte institutio­nalisierter Bildung richten sich nach den Vorstellungen derjenigen Akteure, die hierfür die Definitionsmacht besitzen; dies sind in der Regel politische Parteien, Parlamente, Regierungen und diesen nachgeordnete Organe4• Bil­dung als solche kann zunächst als wertneutral betrachtet werden; eine Wer­tung erfährt Bildung immer erst anband der Beurteilung der Bildungsziele und -inhalte, mit Hilfe derer bei Individuen kurzfristige oder dauerhafte Ver­änderungen ihrer Einstellungen, Verhaltensdispositionen und Kompetenzen bewirkt werden (sollen). Die Inhalte von Bildung sind einem ständigen Wan­del - Konjunkturen - unterworfen. Eine der zentralen Aufgaben der Bildungs­politik wie auch der Erziehungs- und Sozialwissenschaften besteht in der De­finition des für die zu Bildenden jeweils gültigen Bildungskanons: "Im histo­rischen Wandel der Bildungsgüter wird der verdeckte Legitimationszusam­menhang zwischen den jeweiligen gesellschaftlichen Ansprüchen und ihrer pädagogischen Bestimmung sichtbar"5. Dies bedeutet, daß Bildung hinsicht­lich ihrer Ziele und Inhalte, ihrer Institutionen und Strukturen in Abhängigkeit von Zeit, Ort und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (politischen, sozia­len, ökonomischen, historischen, rechtlichen usw.) zu sehen ist.

Die Begriffe Transformation6 bzw. Systemtransformation haben Eingang auch in erziehungs- und sozialwissenschaftliche Untersuchungen gefunden. Als mittlerweile weit verbreitete Termini kennzeichnen sie die Wandlungs­prozesse in der DDR und den neuen Bundesländern. Transformation und die mit diesem Begriff verbundenen Theorieansätze dienen nicht nur zur Benen-

4

20

Mickel 1985, S. 91. Vgl. Edding 1985, S. 40. Reuter 1987, S. 30. Grundlegend zum Transformationsbegriff vgl. Baläz/Bobach 1992; Bude 1995; Hradil1995; Geißler 1991; Giesen/Leggewie (Hrsg.) 1991; Krüger/Kühnel! Tho­mas (Hrsg.) 1995; Landua 1992; Lehmbruch 1993; Mayntz 1994a; Pollack 1991; Pollack 1992; Reißig 1992; Reißig 1994; Thomas (Hrsg.) 1992; Zapf 1994a.

Page 20: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

nung und Interpretation der Veränderungen, die infolge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten eintraten. In einem weiteren Zusammenhang werden die im Anschluß an die Auflösung der mittelosteuropäischen sozialistischen Staatengemeinschaft beobachtbaren Vorgänge insgesamt transformationstheo­retisch eingeordnet und untersucht7.

Neben Transformation, im Wortsinne als Umwandlung, Umformung oder Umgestaltung zu verstehen, werden insbesondere die Termini Transition, Reform und Revolution zur Kennzeichnung der genannten Vorgänge in Ost­deutschland und Osteuropa verwandt. Mit dem insbesondere in der angel­sächsischen Literatur häufig vorzufindenden Begriff transition (Übergang) werden Entwicklungen in eher allgemeiner, den Gesamtvorgang in seiner zeitlich-räumlichen Dimension beschreibenden Makro-Perspektive gefaßt. Zudem "fällt bei dem Transitionsbegriff die durchgängige semantische Ein­engung auf Demokratisierung negativ ins Gewicht"8• Zwar können die Verän­derungen- gerade in der DDR und den neuen Bundesländern- als Übergang von dem bis 1989 vorherrschenden sozialistischen System politischer, sozia­ler, ökonomischer und sonstiger Ordnungsvorstellungen zu einer neuen Ord­nung im Sinne westlicher Demokratieprinzipien verstanden werden. Transiti­on kennzeichnet jedoch weniger treffend als Transformation die den Prozes­sen innewohnende Intentionalität der Akteure, welche die Umwandlung und Umgestaltung bewirken9.

Die Beschreibung der Veränderungen als Reform trifft am ehesten auf die Anfangsphase des Umbruchs in der DDR vom Herbst 1989 bis zur Volks­kammerwahl im März 1990 zu. Die weitergehenden, von den politischen Ak­teuren intendierten und realisierten Veränderungen und deren Folgen vermag der Begriff jedoch nicht angemessen abzubilden. Eine Reform kann definiert werden als "eine lediglich Teile der rechtlich-politischen oder sozialen Ver­hältnisse betreffende(n) Änderung, die stets von oben ausgeht und ohne Durchbrechung der geltenden legalen Ordnung erfolgt"10. Die in der DDR 1989 einsetzenden Veränderungsprozesse gingen zum einen weitgehend von

10

Vgl. z.B. Thomas (Hrsg.) 1992. Sandschneider 1995, S. 37. Weiter urteilt Sandschneider: "Wer die Irrungen und Wirrungen normativer Demokratietheorie sieht, sollte vorsichtig sein, den Transformationsbegriff voreilig und unnötigerweise auf 'Transition' im aus­schließlichen Sinne eines Systemwandels in Richtung auf Demokratie zu veren­gen. Demokratie, in welcher Variante auch immer, mag ein Ergebnis von Trans­formationsprozessen sein. Dies ist allerdings keineswegs zwangsläufig gegeben"; a.a.O., S. 52 (Hervorh. i. Orig.). Dieser Gedanke ist insbesondere bei der Be­trachtung der Veränderungen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu be­rücksichtigen. Vgl. Reißig 1994, S. 7ff.; Reißig 1993, S. 3. Petscher 1985a, S. 402 (Hervorh. H.-W.P.); vgl. auch Petscher 1985b, S. 870.

21

Page 21: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

unten aus, zum anderen hatten sie nur anfänglich eine Reform zum Ziel, unter der auch eine Verbesserung des Bestehenden verstanden werden kann11 .

Verschiedene Autoren thematisieren die Frage, inwieweit auf die Vor­gänge in der DDR der Jahre 1989/90 der Terminus Revolution zutreffend an­gewandt werden könne12. Die häufige Verwendung dieses Begriffes in der Literatur, oftmals mit Zusätzen versehen (friedliche Revolution, Herbstrevo­lution, Oktober-/Novemberrevolution, deutsche/demokratische/nachholende Revolution usw.), zeigt, daß der Begriff weithin als zur Kennzeichnung der beschriebenen Ereignisse angemessen angesehen wird. Mit der Verwendung des Revolutionsbegriffes wird versucht, die in der DDR beobachteten Prozes­se als in Ablauf und Dynamik verschieden von denen anderer Staaten zu kennzeichnen- so z.B. bei Sigrid Meuschel: "Warum brach in der DDR eine Revolution aus, im Gegensatz zu dem langsamen und bedachtsamen Trans­formationsprozeß, der beispielsweise in Polen und Ungarn( ... ) bereits früher eingesetzt hatte?"13. Eine Revolution kann definiert werden als "grundle­gende Umgestaltung der politischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen und Wertestruktur"14 einer politischen und sozialen Ordnung. Im weiteren be­schreibt der Begriff "den tiefgreifenden politischen und/oder sozialen W an­del, der durch eine 'von unten kommende Bewegung' ausgelöst wird. Dabei ist die Durchbrechung der überkommenen Legalitätsordnung wichtiger als die mehr oder minder große Anwendung von Gewalt"15. Der Revolutionsbegriff scheint insoweit akzeptabel, als er zur Kennzeichnung der Entwicklungen verwandt wird, die zur Beseitigung des SED-Regimes führten, wenngleich sich bereits die Vorgänge des Herbstes 1989 in vielem von dem unterschie­den, was in historischer oder politikwissenschaftlicher Perspektive üblicher­weise als Revolution definiert wird16. Weniger zutreffend ist der Begriff, wenn er auch auf die weiteren, sich seit der Jahreswende 1989/90 anschlie­ßenden politisch-gesellschaftlichen Veränderungen in der DDR bezogen wird. Revolution sollte daher primär in solchen historischen Kontexten Verwen-

II

12

13

14

15

16

22

Diesbezügliche Intentionen waren bei einigen Bürgergruppen festzustellen, die in der Anfangsphase der auch als 'friedliche Revolution' bezeichneten Vorgänge in der DDR zwischen Mitte und Ende 1989 noch einen gewissen Einfluß hatten, diesen jedoch im Gang der Ereignisse schnell verloren; zu dieser Entwicklung vgl. Rucht 1995. Der weitere Gang der Entwicklungen führte zunächst zur Ab­schaffung grundlegender Ordnungsmerkmale des Staates DDR zugunsten einer neuen politischen, sozialen und ökonomischen Ordnung, schließlich zur voll­ständigen Aufgabe der Eigenstaatlichkeit. Vgl. z.B. Hübner 1992, S. 63f., Meuschel 1990; Opp 1991, S. 302; Wilke 1991, S. 107f., und, besonders pointiert, Bierling 1991, S. 68ff. Meuschel1990, S. 558. Hübner 1992, S. 64. Petscher 1985a, S. 401 (Hervorh. i. Orig.). Vgl. hierzu z.B. Zimmermann 1987, S. 464f.

Page 22: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

dung finden, für die der Begriffursprünglich verwandt wurde17• Zudem haften dem Revolutionsbegriff durch dessen häufigen Gebrauch gerade im Zusam­menhang mit den Ereignissen des Herbstes 1989 eher oberflächliche, journa­listisch-feuilletonistische Konnotationen an.

Transformation, ergänzt um die Synonyme Umbruch, Umbau und Um­gestaltung, erscheint als der zur Benennung der vielfältigen Wandlungspro­zesse in der DDR und den neuen Bundesländern am ehesten zutreffende Be­griff. Unter Transformation soll eine Form sozialen Wandels verstanden wer­den, die "durch eine Intentionalität von gesellschaftlichen Akteuren, durch ei­nen Prozeß mehr oder minder bewußter Änderung wesentlicher Ord­nungsstrukturen und -muster sowie durch einen über verschiedene Medien gesteuerten Umwandlungs- (Umwälzungs-) prozeß von sozialen Systemen gekennzeichnet"18 ist.

Der Ende 1989 in der DDR einsetzende Transformationsprozeß stellt sich für die meisten der betroffenen Menschen als ein Bündel von in Breite und Tiefe nahezu alle Lebensbereiche erfassenden und verändernden Vorgängen von noch nicht absehbarer Dauer dar. Die Formel von der 'Angleichung der Lebensverhältnisse' der ostdeutschen Bevölkerung an die sozialen Standards der westdeutschen Bundesländer gibt das nach der staatsrechtlichen Vereini­gung beider deutscher Staaten politisch gesetzte Ziel des Transformationspro­zesses wieder19. Den Menschen in den neuen Bundesländern soll die gleich­berechtigte Teilhabe nicht nur an politischen Mitgestaltungsmöglichkeiten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern ebenso an sozialstaatliehen Lei­stungen und Konsummöglichkeiten im Rahmen der grundgesetzlich verfaßten Ordnung ermöglicht werden. Die hierzu erforderliche und bereits zur Jah­resmitte 1990 eingeleitete Transformation der überkommenen Rechts-, Wirt­schafts- und Sozialordnung betraf und betrifft nach wie vor die ostdeutsche Teilgesellschaft in allen relevanten Daseinsaspekten, seien diese materieller oder mentaler Natur. Die Umstellung der politischen Grundordnung durch den Wechsel von der Einparteienherrschaft der SED zu Parteien- und Mei­nungspluralismus erforderte von den Betroffenen eine ebenso grundlegende Verhaltensanpassung wie die makroökonomische Neuordnung, die im we­sentlichen über einen Austausch der Zentralverwaltungswirtschaft gegen eine durch Sozialleistungen abgefederte Marktwirtschaft und die Rückkehr zum Privateigentum erfolgte. Aus dem vollständigen Umbau des politischen und ökonomischen Institutionengefüges und der weitreichenden Veränderung des Rechtssystems resultiert für die Betroffenen ein erheblicher Anpassungsdruck

17

18

19

"Der heutige Revolutionsbegriff orientiert sich primär an der nachträglich inter­pretierten Französischen Revolution von 1789 (bis 1830) und an der Oktoberre­volution von 1917"; Petscher 1985a, S. 401 (Hervorh. i. Orig.). Reißig 1994, S. 7. Vgl. Bude 1995, S. 63f.

23

Page 23: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

in bezugauf Meinungen, Orientierungen, Werte, Normen und Handlungsmu­steL

Gegenstand der Studie sind die Transformation der rechtlichen Grundla­gen, des strukturellen Aufbaus und der inhaltlichen Ausgestaltung des Bil­dungs- und Wissenschaftssystems der DDR in einer historisch-politisch au­ßergewöhnlichen Situation, des weiteren die daran beteiligten Akteure, ihre Absichten und die Folgen ihres Handelns. Politische und rechtliche Entschei­dungen, ihr Zustandekommen und ihre Auswirkungen in veränderten Struktu­ren, Institutionen und Inhalten von Bildung und Wissenschaft spielen dabei eine zentrale Rolle. Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung bildungs- und wissenschaftspolitischer Entscheidungen sollen ebenso erkennbar werden wie deren Abhängigkeit von den politisch-ideologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, welche die Gestaltung des Bildungs- und Wissen­schaftssystems nachhaltig beeinflussen. So betrachtet läßt sich die Untersu­chung nicht einer wissenschaftlichen Disziplin allein zuordnen. Sowohl erzie­hungs-, politik- und sozialwissenschaftliche als auch rechtliche, historische und ökonomische Aspekte fließen in die Analyse ein.

Veränderungen in Bildung und Wissenschaft gehen in der Regel politi­sche Entscheidungen voraus. Die Handlungen bildungs- und wissenschafts­politischer Akteure und deren Wirkungen auf Recht, Politik und Administra­tion sind für die Ausgestaltung eines Bildungs- und Wissenschaftssystems von erheblicher Bedeutung. Daher sind an dieser Stelle einige Hinweise auf den politikwissenschaftlichen Zugang zum Thema angebracht. In politikwis­senschaftlicher Terminologie wäre die Studie als Prozeßanalyse in den Poli­tikfeldern Bildung und Wissenschaft im Rahmen einer Policy-Studie zu be­zeichnen; Wechselwirkungen der genannten Politikfelder mit anderen Politik­bereichen werden in der Untersuchung berücksichtigt. Die Transformations­prozesse können als Veränderungen im Bildungs- und Wissenschaftssystem eines Staates oder Bundeslandes verstanden werden, die wesentlich auf dem Handeln politischer Akteure und, daraus folgend, auf politischen Entschei­dungen basieren. Diese bildungspolitischen Entscheidungen sind Teil eines Politikprozeß oder Policy-Prozeß20 genannten Kreislaufes, der vereinfacht wie folgt verläuft: Politisch relevante Akteure äußern die Absicht, bestehende Strukturen, Inhalte, Abläufe o.ä. zu verändern. Das zu Verändernde ist so zu

20

24

Die englische Sprache unterscheidet den deutschen Begriff Politik in die Termini polity, politics und policy, die eine in der deutschen Sprache so nicht mögliche Differenzierung der verschiedenen Aspekte von Politik erlauben. Die vorliegende Arbeit setzt sich mit den als policy bezeichneten Politikprozessen auseinander, die als "inhaltliche Dimension von Politik" (Jann 1985a, S. 64) bezeichnet wer­den können. Policy-Forschung untersucht u.a. staatliche Aktivitäten, die Behand­lung gesellschaftlicher Problemstellungen im Politikprozeß sowie die Instrumen­te, die zur Problembearbeitung und ggf. Problemlösung bereitgestellt sind. Zu den Begriffen polity, politics und policy vgl. Jann 1985a, S. 64ff.; Jann 1985b, S. 702,S. 704,S. 800.

Page 24: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

formulieren, daß es zum Gegenstand politischer Entscheidungsfindung ge­macht werden kann. Einer solchen Entscheidung z.B. in Form einer Rechts­vorschrift folgt die praktische Umsetzung des Beschlossenen, die in Bildung und Wissenschaft in der Neueinführung, Abschaffung oder Veränderung ei­nes Faches in allgemeinbildenden Schulen, der Neuformulierung von Be­rufsbildern oder der Veränderung von Studieninhalten bestehen kann. Im nächsten Schritt wird der neue Zustand begutachtet und bewertet. Der Bewer­tung können sowohl die Maßstäbe objektiver Notwendigkeiten als auch sub­jektive (Wert-) Vorstellungen zugrunde liegen und ggf. zu der Forderung nach erneuter Veränderung führen. Die Phasen des Politikprozesses werden als Politiliformulierung, Politikimplementation, Politikevaluation und Politi­knovellierung (oder -reformulierung) bezeichnet21 • Politiliformulierung be­zieht sich nicht nur auf die Frage nach den Inhalten von Politik (was?). Gleichzeitig soll analysiert werden, wer an der konkreten Ausformulierung politisch umzusetzender Vorstellungen beteiligt ist (Akteure). Auch bei der Untersuchung der Politikimplementation geht es zunächst darum, nachzu­vollziehen, wer an politischen Entscheidungen teilhat. Zudem wird hier da­nach gefragt, wie Entscheidungen in konkretes Handeln umgesetzt werden (können). Durch Politikevaluation sollen Antworten gefunden werden u.a. auf folgende Fragen: Was sind die Folgen politischer Entscheidungen und der diesen nachfolgenden Handlungen? Wurden die Ziele erreicht? Das Ergebnis der Evaluation führt ggf. zur Notwendigkeit einer Neu- oder Reformulierung bisheriger Politik, somit zur Politiknovellierung. Damit schließt sich der Kreis, der Policy-Prozeß beginnt von neuem22•

Gerade die bildungspolitische Diskussion wird von einer Vielzahl unter­schiedlicher Ziel- und Wertvorstellungen geprägt. Ökonomische Verwer­tungsinteressen, fiskalische Zwänge, politisch-ideologische oder ethisch­moralische Motive können sich mit den Interessen der unmittelbar oder mit­telbar von bildungspolitischen Entscheidungen Betroffenen überschneiden. Von Bedeutung ist daher, auch administrative, ökonomische, soziale und pädagogische Aspekte zu berücksichtigen, soweit sie sich auf den Kreislauf von Formulierung, Implementation, Evaluation und Novellierung bildungs­und wissenschaftspolitischer Gegenstände auswirken. In der Untersuchung wird der dargestellte analytische Zugang genutzt; sie folgt einer ex-post­Perspektive. Policy-Fragen an den Untersuchungsgegenstand sind u.a.: Wer war an der Formulierung welcher (bildungs)politischen Ziele und an den Ent­scheidungen beteiligt? Weiche Ziele konnten erreicht, welche Interessen durchgesetzt werden? Wer bewertete in welcher Art und Weise die Folgen bildungs- und wissenschaftspolitischer Entscheidungen, und welche Auswir-

21

22 Vgl. Windhoff-Heritier 1987, S. 64ff. Im Detail zu Policy-Forschung vgl. Jann 1981; Jann 1985a; Jann 1985b; Löb1er 1990; Sturm 1986; Windhoff-Heritier 1987.

25

Page 25: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

kungen hatte dies auf die Reformulierung und Novellierung dieser Entschei­dungen?

1.3 Zum Aufbau der Untersuchung

Die mit der 'Wende' im Herbst 1989 einsetzenden und bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten andauernden Veränderungsprozesse im Bil­dungs- und Wissenschaftssytem der DDR werden anband folgender, den Gang der Untersuchung strukturierender Leitfragen analysiert: Weiche politi­schen, gesellschaftlichen, und sonstigen Akteure bewirkten vom Herbst 1989 bis zum Oktober 1990 Veränderungen im Bildungs- und Wissenschaftssystem der DDR? Welche Veränderungen wurden gefordert, welche Forderungen verwirklicht? In welchem Maße konnten Akteure ihre Vorstellungen umset­zen? Inwieweit beeinflußten relevante westdeutsche Akteure bereits vor dem 3. Oktober 1990 den Umbau des DDR-Bildungs- und Wissenschaftssystems? Die Untersuchung der realen Veränderungsprozesse im Bildungs- und Wis­senschaftssystem der DDR bis zum Oktober 1990 erfolgt vor dem Hinter­grund der allgemeinen politischen, rechtlichen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen.

Die Transformation von Bildung und Wissenschaft in den fünf neuen Bundesländern und Berlin seit Oktober 1990 wird anband folgender Leitfra­gen untersucht: Weiche rechtliche, strukturelle, organisatorische, institutionel­le, personelle und inhaltliche Neugestaltung erfuhren Bildung und Wissen­schaft in den neuen Bundesländern und Berlin? Wie gestaltete sich Bildungs­politik in den neuen Ländern und Berlin in Auseinandersetzung der maßgeb­lichen Akteure (ostdeutsche - westdeutsche; staatliche - nichtstaatliche )? Welche Zielvorstellungen hatten die beteiligten Akteure? Welche zukünftig zu lösenden Probleme sind erkennbar? Die Fragestellungen verdeutlichen, daß die Studie weniger auf pädagogisch-theoretische Aspekte im engeren Sinne abhebt, wiewohl auch diese im Kontext der Untersuchung berücksich­tigt werden. Die (Nach-)Wirkungen der DDR-Pädagogik einerseits und die Folgen der Übertragung neuer pädagogischer Ansätze auf das Bildungswesen der neuen Bundesländer andererseits stellen eigene umfangreiche Forschungs­felder dar, die gesonderter Untersuchungen bedürfen23• Vielmehr soll das

23

26

V gl. hierzu z.B. Fuhrmann 1992, die diesbezügliche Forschungsdesiderate hin­sichtlich der Schulentwicklung in der DDR anmeldet. Mittlerweile liegen erste Veröffentlichungen zu den Themenkomplexen 'Pädagogik in der DDR' und 'Pädagogik im Transformationsprozeß' vor; vgl. z.B. Cloer/Wemstedt (Hrsg.) 1994; Geißler/Wiegmann 1996; Hoffmann/Neumann (Hrsg.) 1994; Hoffmann/

Page 26: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Hauptaugenmerk auf der bildungspolitisch-empirischen Erhellung der Prozes­se struktureller, institutioneller und inhaltlicher Umgestaltung des Bildungs­und Wissenschaftssystems, ihrer Rahmenbedingungen und Ergebnisse sowie der Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Akteuren liegen.

Im Zusammenhang mit den Leidragen stehen folgende thesenartig for­mulierten Aussagen, die den Aufbau der Untersuchung strukturieren: 1. Auf den sich im Herbst 1989 vollziehenden Zusammenbruch des SED­

Regimes folgten bis zum Oktober 1990 nachhaltige Veränderungen in relevanten Bereichen des Bildungs- und Wissenschaftssystems. Am Ver­lauf der 1989 und 1990 beobachtbaren Transformationsprozesse hatten westdeutsche Akteure seit Anfang 1990 nicht unerheblichen Anteil. Sie erhoben nicht nur Forderungen zum Umbau des Bildungs- und Wissen­schaftssystems, sondern begannen bereits in dieser Phase, dessen Umge­staltung aktiv zu beeinflussen. In Kapitel 2 werden die Transformationsprozesse im Bildungs- und Wis­

senschaftssystem in der Phase vom Sommer 1989 bis zur Selbstauflösung der DDR durch den Beitritt der neuen Bundesländer zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 behandelt. Drei Aspekte finden hier be­sondere Beachtung. An erster Stelle sind dies die in der DDR geführten Dis­kussionen um die Erneuerung von Bildung, Wissenschaft und Forschung. Die Positionen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, seien dies Regierung, Parteien, Bürger- und Protestgruppen, Kirchen, Zentraler Runder Tisch und andere, werden nachgezeichnet und auf ihre Wirkung hinsichtlich der fakti­schen Veränderungen untersucht. Die anschließenden Ausführungen setzen sich mit dem seit Anfang des Jahres 1990 erkennbaren, stetig zunehmenden Einfluß westdeutscher Akteure und ihrer Forderungen in bezug auf bildungs­politische Veränderungen in der DDR sowie der Umgestaltung von Bildung und Wissenschaft im genannten Zeitraum auseinander. Hierauf folgt die Analyse der Veränderungen im Bildungsrecht und in der Bildungsadministra­tion, der strukturellen und inhaltlichen Umsteuerung des Bildungswesens und deren personeller Konsequenzen, der in Wissenschaft und Forschung einset­zenden Transformation sowie der bildungspolitischen Vorgaben der Verträge zur deutschen Einheit. Die Wiedereinführung von Ländern auf dem Territori­um der DDR und die Zuweisung der Kulturhoheit an diese waren richtungge­bende politische Entscheidungen für die Neugestaltung von Bildung und Wis­senschaft; sie werden daher ebenso berücksichtigt wie die die Vorbereitungen zur Konstituierung der Kultus-, Bildungs- und Wissenschaftsadministrationen auf Länderebene. 2. Die Neugestaltung von Bildung und Wissenschaft in den neuen Bundes­

ländern und Ost-Berlin vollzog sich - vergleichbar den Transformations­prozessen in anderen Politikbereichen - weitgehend in Form eines Trans-

Neumann (Hrsg.) 1995; Hoffmann/Neumann (Hrsg.) 1996; Hohlfeld 1992; Kell (Hrsg.) 1994; Schneider 1995.

27

Page 27: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

fers von in Westdeutschland bereits vorhandenen Rechtsvorschriften, Institutionen und Organisationen, Strukturen und Inhalten oder als An­passung an diese. Ein partieller Personaltransfer, der sich insbesondere in den Administrationen und im Hochschulbereich auswirkte, verstärkte die­se Tendenz. Die bis 1990 in Ostdeutschland vorfindliehen Strukturen und Inhalte sind im Zuge der bildungs- und wissenschaftspolitischen Neuge­staltung mittlerweile weitgehend verschwunden.

Die Transformationsprozesse in Bildung und Wissenschaft in den neuen Län­dern und im wiedervereinigten Berlin werden in den Kapiteln 3 und 4 behan­delt. Orientiert an den Bildungsbereichen Vorschulerziehung, allgemeinbil­dendes Schulwesen, berufliche Bildung, Hochschulen, außeruniversitäre For­schung und Weiterbildung wird die Neugestaltung unter Zugrundelegung ei­ner komparatistischen Perspektive untersucht. Eine weitere Analyseebene re­sultiert aus der getrennten Betrachtung rechtlicher, struktureller, organisatori­scher, personeller und- in ausgewählten Feldern- inhaltlicher Veränderungen in Bildung und Wissenschaft. Bei der Untersuchung des Wissenschafts- und des Forschungssektors liegt ein besonderer Schwerpunkt auf deren personel­ler Erneuerung.

Die Studie schließt mit einer vorläufigen Bilanz des Transformationspro­zesses und der Betrachtung einiger in der Untersuchung behandelter Aspekte im Hinblick auf verbliebene oder neue Probleme, zukünftige Entwicklungen, die Handlungsspielräume der beteiligten Akteure und weiteren Reformbedarf (Kap. 5).

1.4 Vorgehensweise und Forschungsstand

Die Breite des Themas bedingt den Umfang des zu verarbeitenden Materials; hieraus wie auch aus der eher idiographischen Herangehensweise an den Un­tersuchungsgegenstand resultiert die Informationsdichte des Textes. Wiewohl dies gewisse Auswahl- und Präsentationsprobleme mit sich bringt, schien die Bearbeitung des Themas in der gewählten Form lohnender als die isolierte Betrachtung nur eines Bildungs- oder Wissenschaftsbereiches oder eines Bundeslandes.

Renate Mayntz formuliert in bezug auf die Transformation der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) die These, daß diese unter einer system­rationalen Zielvorstellung gestanden habe: Ihr Ziel sei es gewesen, die auße­runiversitäre Forschung nach westdeutschen Maßstäben umzustrukturieren, ohne die als bewahrenswert eingeschätzten Potentiale im Verlauf des Trans­formationsprozesses zu zerstören. Unter Zugrundelegung dieser Zielvorstel­lung sei es am Ende des Transformationsprozesses möglich abzuschätzen, ob

28

Page 28: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

das angestrebte Ziel erreicht worden sei oder nicht; "diese Möglichkeit ist ei­ne entscheidende Voraussetzung dafür, eine derartige Frage überhaupt empi­risch anzugehen, ohne sich auf das unwegsame Gelände einer eigenmächtigen Definition dessen, was denn im positiven Sinne als Problemlösung gelten kann, zu begeben"24• Allgemeiner formuliert läßt sich die auf einen Teil der außeruniversitären Forschung bezogene Prämisse auf die anderen Bereiche des Bildungs- und Wissenschaftssystems übertragen. Sie bildet so eine Aus­gangsposition für die nachfolgende Untersuchung, deren Ziel, um nochmals mit Mayntz zu sprechen, der "Versuch, ein Stück Wirklichkeit zu verste­hen "25 , ist.

Im Untersuchungszeitraum26 sind die beobachteten Transformationspro­zesse erst zu einem vorläufigen Abschluß gekommen, und angesichts der vor­gefundenen Problemlagen sind weitergehende Veränderungen in Bildung und Wissenschaft der ostdeutschen Länder wahrscheinlich27. Nicht unbegründet dürfte aber die Vermutung sein, daß sich diese Entwicklungen - vergleichbar denen in den westdeutschen Ländern - eher im Rahmen kontinuierlicher Entwicklungs- und Anpassungsprozesse bewegen werden. Die grundlegenden rechtlichen, strukturellen, personellen und auch inhaltlichen W eichenstellun­gen sind mittlerweile in allen Ländern erfolgt.

Heinz-Hermann Krüger und Winfried Marotzki vertraten 1994 die Auf­fassung, daß "die Analyse der vielfältigen Transformationsprozesse im Hoch­schul-, Bildungs-, Erziehungs- und Sozialwesen in den neuen Bundesländern seit der deutsch-deutschen Vereinigung mit ihren Auswirkungen auf die von diesem Umstrukturierungsprozeß Betroffenen" eine "zentrale Aufgabe der aktuellen erziehungswissenschaftliehen Forschung"28 darstelle. Mit dieser

24

25

26

27

28

Mayntz 1994b, S. 21. Mayntz 1994b, S. 24. Dieser Versuch "zwingt zu einem gewissen theoretischen Eklektizismus, und er verführt( ... ) zum idiographischen Vorgehen des Histori­kers. Dabei verändert sich zwangsläufig das in der Sozialforschung sonst übliche Verhältnis von Daten und theoretischer Interpretation: bei der Rekonstruktion ei­nes komplexen Realvorganges ist ( ... ) die Trennlinie zwischen Daten und Inter­pretation fließend - die Rekonstruktion des Vorganges ist nicht nur 'Material', sondern immer auch schon ein Stück Erklärung"; a.a.O. Der Zeitraum von 1990 bis 1994, d.h. die erste Legislaturperiode der ostdeut­schen Länderparlamente, steht im Mittelpunkt des zweiten Abschnitts der Unter­suchung. In dieser Phase wurden die grundlegenden politischen und rechtlichen Entscheidungen für die weitere Umgestaltung von Bildung und Wissenschaft in den neuen Ländern und dem wiedervereinigten Berlin getroffen. Gleiches gilt für die wichtigen strukturellen, personellen und inhaltlichen Aspekte des Transfor­mationsprozesses. Insofern weitere relevante Veränderungen identifizierbar wa­ren waren (wie z.B. bei der Schulgesetzgebung in Brandenburg und Mecklen­burg-Vorpommern), wurden diese auch über den genannten Zeitraum hinaus bis 1996 berücksichtigt. Die Analyse noch andauernder Prozesse birgt allerdings gewisse Risiken; vgl. Dudek!fenorth (Hrsg.) 1993, S. 301. Krüger/Marotzki (Hrsg.) 1994, S. 9.

29

Page 29: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Studie soll zu der geforderten Analyse beigetragen werden; ihr Thema ist die Transformation eines sozialistischen in ein demokratisch-pluralistisches Sy­stem in den genannten Bereichen.

Bislang liegen nur wenige Monographien und Sammelbände vor, die die Ende 1989 einsetzenden Transformationsprozesse in den Politikfeldern Bil­dung und Wissenschaft umfassend analysieren und die verfügbaren Primär­quellen ergänzen. Neben Untersuchungen, die sich aufgrund ihres Erschei­nungsdatums nur dem Beginn der Transformationsphase widmen konnten29,

seien als Herausgeber exemplarisch das Bundesinstitut für Berufsbildung, die Projektgruppe Hochschulforschung in Berlin-Karlshorst und das ebenfalls in Berlin ansässige Wissenschaftszentrum (WZB) genannt, die fortlaufend Er­gebnisse ihrer Forschungen publizieren30. Bei der Sichtung der vorliegenden Literatur war allerdings auffällig, daß durchweg nur ein Teilaspekt des Bil­dungswesens (z.B. berufliche Bildung- s.o.) oder aber die bildungspolitische Entwicklung in lediglich einem der Bundesländer untersucht wird. Studien, die den Ansatz verfolgen, den Transformationsprozeß grundlegend zu analy­sieren, zudem die Entwicklungen in allen fünf neuen Ländern und Berlin vergleichend zu betrachten und dabei die zentralen Bereiche des Bildungs­und Wissenschaftssystems zu erfassen, sind bislang31 nicht verfügbar.

Die Untersuchung der Transformationsprozesse seit 1989 basiert wesent­lich auf Primärquellen aus beiden deutschen Staaten. Neben Rechtsvorschrif­ten und den Veröffentlichungen von Regierungen und Bildungsministerien standen Dokumente anderer Akteure wie Parteien, politischen Gruppen, des Zentralen Runden Tisches sowie der Bildungsberatungsorganisationen und Koordinierungsgremien (KMK, BLK, Wissenschaftsrat usw.) zur Verfügung. In Ergänzung zu diesen Quellen und dem vorhandenen Datenmaterial stützt sich die Untersuchung auf die laufende Auswertung erziehungs-, politik- und sozialwissenschaftlicher Fachzeitschriften32• Besuche vor Ort verhalfen zu

29

30

31

32

30

Vgl. z.B. Röhrs/Pehnke (Hrsg.) 1994; Schramm (Hrsg.) 1993; Fischer 1992; Schmidt/Schaarschmidt/Peter (Hrsg.) 1991; Riedelet al. 1994. Hilfreich waren auch einige Quelleneditionen, für die die genannte Einschränkung allerdings auch gilt; vgl. Allweiler et al. (Hrsg.) 1992; Fuchs/Petermann (Hrsg.) 1991 oder die 1989/90 von der APW veröffentlichten Hefte der Reihe 'Bildungswesen Ak­tuell'. Weiterführend konzipiert ist die vom Verfasser zusammen mit Lutz R. Reuter herausgegebene Dokumentation 'Bildungspolitik seit der Wende', die den Zeitraum von 1989 bis 1994 erfaßt; vgl. Fuchs/Reuter (Hrsg.) 1995. Vgl. z.B. Degen (Hrsg.) 1993; Seyfried!Wordelmann (Hrsg.) 1992; Buck-Bechler et al. 1993a und 1993b; Buck-Bechler/Jahn (Bearb.) 1992; Meyer, H. 1993; Meske 1993a; Meske 1993b. Stand: Ende 1996. Auch die ost- und westdeutsche Tagespresse begleitete die Transformationspro­zesse in Bildung und Wissenschaft mit einigem Interesse. Ihre Berichterstattung floß, soweit verwertbar, ebenfalls in die Untersuchung ein. Angemerkt sei in die­sem Zusammenhang, daß eine der in bezugauf das Thema informativsten Publi­kationen, die vom Pädagogischen Zentrum Berlin herausgegebenen 'Informati-

Page 30: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

weiterem Informationsgewinn. In der Nachfolgeeinrichtung des letzten DDR­Bildungsministeriums und in den aufgesuchten Kultus- und Bildungsministe­rien der neuen Länder konnten z.T. unveröffentlichte Dokumente ausgewertet werden; Mitarbeiter der Administrationen standen für qualitative Interviews zur Verfügung. Ertragreich waren Recherchen im Pädagogischen Zentrum Berlin sowie in der Forschungsstelle Berlin des Deutschen Instituts für inter­nationale pädagogische Forschung und der dieser zugeordneten Bibliothek für bildungsgeschichtliche Forschung. In vielen Gesprächen, u.a. mit Hochschul­lehrern und Wissenschaftlern aus der DDR, ehemaligen Angehörigen der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften sowie einem der stellvertreten­den Bildungsminister der DDR-Übergangsregierung, Herrn Volker Abend, konnten zusätzliche Hintergrundinformationen gewonnen werden.

onen zur DDR-Pädagogik' (seit 1990 'Informationen zum Bildungswesen der neuen Bundesländer'), aufgrundder Intervention der KMK bzw. einiger Bundes­länder mit Heft 1/1991 eingestellt werden mußte.

31

Page 31: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

2. Transformationsprozesse im Bildungs- und Wissenschaftssystem der DDR 1989/90

2.1 Forderungen zur Erneuerung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems

2.1.1 Das Bildungssystem bis zur 'Wende'

Der Neuaufbau des Bildungswesens nach dem Zweiten Weltkrieg war noch von einer intensiven öffentlichen Diskussion begleitet. Doch schon Ende der vierziger Jahre begann die Umgestaltung von Bildung und Wissenschaft im Sinne der marxistisch-leninistischen Ideologie. Dies schränkte die öffentliche Debatte um ihre weitere Gestaltung ein, und mit der Verabschiedung des Ge­setzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem der DDR bestand aus Sicht der Volksbildungsverwaltung überhaupt kein grundlegender Dis­kussionsbedarf mehr. Seither war die Volksbildung "für eine öffentliche Dis­kussion tabu"1. Dennoch gab es auch weiterhin Kritik am Bildungswesen und seinen Elementen, insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren; sie blieb jedoch weitestgehend auf den nichtöffentlichen Raum beschränkt. Eine Ausnahme bildeten hier die evangelischen Kirchen insoweit, als sie unter ih­rem Dach Interessengruppen eine kritische Auseinandersetzung auch mit bil­dungspolitischen Themen ermöglichten. Daneben gab es Schriftsteller, die Kritik am Bildungssystem zu einem Aspekt ihrer Arbeit machten und bereits vor dem Herbst 1989 Defizite und Fehlentwicklungen in Bildung und Erzie­hung aufzeigten2• Eine kritische wissenschaftliche Begleitung der bildungs­politischen und pädagogischen Entwicklung war seitens der Volksbildungs­administration unerwünscht. Zwar gab es Untersuchungen zu Fragen von Bil­dung und Jugend, die z.B. das Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung durchführte. Die Jugendforscher, die in ihren Untersuchungen auf Probleme wie die in den achtziger Jahren stark abnehmende Identifikation vieler Ju­gendlicher mit dem SED-Sozialismus hinwiesen, durften ihre Forschungser­gebnisse aber häufig nicht veröffentlichen. Gleiches widerfuhr Hochschul-

Peter 1991, S. 124. Allgemein zur Entwicklung des Bildungswesens in der SBZ/DDR vgl. z.B. Anweiler 1988; Anweiler et al. (Hrsg.) 1992; Bundesmini­sterium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.) 1990; Cloer/Wernstedt (Hrsg.) 1994; Das Bildungswesen der Deutschen Demokratischen Republik 1989; Fuchs/Petermann (Hrsg.) 1991; Waterkamp 1985; Waterkamp 1987. Vgl. z.B. Loest 1988; Gegängelt, entmündigt, entmutigt, in: F.A.Z. v. 2.11.1989.

33

Page 32: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

oder Akademiewissenschaftlern, wenn sie zu Problemen wie der unzurei­chenden Leistungsdifferenzierung in den Schulen Stellung nehmen wollten.

Soweit die Auseinandersetzung mit bildungspolitischen Themen möglich war, standen weniger strukturelle Aspekte als vielmehr normative und inhalt­liche Fragen von Bildung und Erziehung im Mittelpunkt. Die ideologische Überfrachtung des gesamten Bildungswesens von der Vorschulerziehung bis zur Weiterbildung war ein solcher Kritikpunkt Die starke Betonung mathe­matisch-naturwissenschaftlicher Fächer in den Schulen bei Vernachlässigung musischer und künstlerisch-kreativer Anteile, die als mangelhaft empfundene Qualität der Abiturvorbereitung und die Einführung des Wehrunterrichts in der POS im Jahr 1978 gehörten ebenso zu den Diskussionsthemen wie die Behinderungen, denen religiös gebundene oder politisch nicht angepaßte Kinder und Jugendliche beim Zugang zu weiterführenden Bildungseinrich­tungen ausgesetzt waren3. Diese Diskussionen mündeten schließlich in erste Vorschläge zu einer Reform des einheitlichen sozialistischen Bildungssy­stems, mit denen die politische Opposition in der zweiten Hälfte des Jahres 1989 an die Öffentlichkeit trat. Doch nicht nur die im kirchlichen Raum wir­kenden Gruppen, auch die Kirchen selbst artikulierten ihre Vorstellungen zur Gestaltung des Bildungswesens, die in einigen Punkten von der Linie abwi­chen, die die Volksbildungsverwaltung verfolgte. So hatte die Kommission für kirchliche Arbeit mit Kindern und Konfirmanden des Bundes der Evange­lischen Kirchen seit 1986 Schulbuchanalysen in ideologisch besonders anfäl­ligen Fächern wie Heimatkunde, Geschichte, Staatsbürgerkunde und Deut­sche Literatur durchgeführt. Die Kirchen versuchten, Konfliktverhältnisse zwischen den in den Schulen vermittelten ideologischen Grundsätzen und den Vorstellungen einer von christlichen Grundsätzen geprägten Erziehung auf­zudecken. Die Ergebnisse der Analysen waren aber auch auf andere Bereiche des Bildungswesens übertragbar, in denen die gleichen Mechanismen wirk­sam wurden. So besagten die Untersuchungsergebnisse, daß der Unterricht im Fach Staatsbürgerkunde zu einem einfachen Schwarz-Weiß-Denken führte. Inhalte waren gemäß der Lehrplanvorgaben so zu vermitteln, daß es nur Kommunisten und 'fortschrittliche Kräfte' auf der einen und Irregeleitete oder Falschdenkende auf der anderen Seite gab. Der Geschichtsunterricht, so die Analyse, diene wesentlich dazu, die marxistisch-leninistische Geschichtsin­terpretation als einzig richtige zu legitimieren4• Zudem verhindere der "apriori antifaschistische Charakter der DDR"5 die notwendige Auseinandersetzung mit der je individuellen nationalsozialistischen Vergangenheit. Daneben gab es weitere Kritik der Kirchen am Bildungssystem, die sich in Forderungen nach Friedenserziehung statt W ehrunterricht, nach der Entfernung von Freund-Feind-Schemata aus den Unterrichtsinhalten oder nach Beseitigung

4

34

Vgl. Peter 1991, S. 124, der weitere Kritikpunkte anführt. Vgl. Schwerin, E. 1990a, S. 73. Hofmannffiedtke 1990, S. 156.

Page 33: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

der Haß-Erziehung manifestierte. Die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen mahnte 1988 einen innergesellschaftlichen Dialog an, bei dem neben anderen auch bildungspolitische Aspekte zur Sprache kommen sollten6. Die Kritik der Kirchen und der unter ihrem Dach arbeitenden Gruppen am Bil­dungssystem floß Ende der achtziger Jahre in der Ökumenischen Versamm­lung der in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen verbundenen Ein­zelkireben und christlichen Gruppen zusammen. Im April 1989, im Vorfeld des IX. Pädagogischen Kongresses, veröffentlichte die Ökumenische Ver­sammlung ein Papier, das auch zum Bildungswesen Stellung bezog. Es kriti­sierte die Zwänge, denen sich Kinder und Jugendliche bei der Frage der Mitgliedschaft in Pionierorganisation und FDJ, beim Wehrunterricht und bei der Teilnahme an der Jugendweihe ausgesetzt sahen. Diese seien Teil der ideologischen Erziehung und führten zu konformem und opportunistischem Verhalten. Die ökumenische Versammlung mahnte Toleranz im Umgang mit Jugendlichen an, die sich nicht zur bedingungslosen Anpassung an das vorge­gebene Werte- und Normengefüge bereit fanden. Gleichzeitig sprach sie sich für ein zu Mündigkeit und Verantwortungsbewußtsein erziehendes Bildungs­system aus. Die Kirchen forderten immer wieder Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer religiösen oder politischen Überzeugung ein7. Mit diesen und anderen Stellungnahmen lieferten Kir­chenvertreter und andere bildungspolitisch Interessierte Beiträge zum IX. Pädagogischen Kongreß. Immerhin fand mit der Forderung, die Subjektposi­tion des Schülers zu stärken, ein Aspekt Beachtung in den Debatten des Kon­gresses, den auch Kirchenvertreter und bildungspolitische Oppositionsgrup­pen thematisierten8. Die Ökumenische Versammlung und die Angehörigen kirchennaher Gruppen waren indes nicht die einzigen, die sich im Vorfeld des Pädagogischen Kongresses darum bemühten, ihren Vorstellungen Gehör zu verschaffen. Der IX. Pädagogische Kongreß verlief jedoch in der gewohnten Form unter der straffen Regie des Volksbildungsministeriums; Margot Ho­necker beanspruchte wie üblich breiten Raum zur Präsentation der aus ihrer Sicht erfolgreichen Entwicklung des einheitlichen sozialistischen Bildungs­systems9.

Viele der im Bildungswesen Tätigen, Pädagogen, Wissenschaftler und auch manche Angehörigen der Bildungs- und Wissenschaftsadministration hatten mit dem Kongreß Hoffnungen verbunden, daß Mängel offengelegt, kri-

Vgl. Synode des Kirchenbundes: Aufruf zum breiten Dialog, in: Rein (Hrsg.) 1989, S. 202ff. Dort heißt es: "Die Synode hält Gespräche über Bildungswesen, Wehrdienst und den Umgang staatlicher Stellen mit dem Bürger für nicht mehr aufschiebbar"; a.a.O., S. 202. V gl. Ökumenische Versammlung: Mehr Gerechtigkeit in der DDR - unsere Auf­gabe, unsere Erwartungen, in: Rein (Hrsg.) 1989, S. 205ff., hier S. 207; S. 208; s. 210. Vgl. Hofmann, H.-G. 1990, S. 9. Vgl. Honecker 1989.

35

Page 34: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

tische Fragen diskutiert und die eine oder andere Veränderung eingeleitet würden, zumal das Volksbildungsministerium im Vorfeld des Kongresses bei Betroffenen und Interessierten um Mitarbeit geworben hatte. Erfahrungen und Vorschläge für Verbesserungen im Bildungssystem sollten an das Ministeri­um übersandt und im Laufe des Kongresses diskutiert werden10. Die Bereit­schaft hierzu war groß, und Wissenschaftler, Lehrerkollegien, Studentengrup­pen, Eltern und bildungspolitisch interessierte Einzelpersonen reichten Anre­gungen und Kritik ein. Eine von Heike Kaack vorgenommene Auswertung dieser Eingaben zeigt, daß die Absender Reformbedarf insbesondere in fünf Feldern sahen:

in grundlegenden Aspekten wie der Entideologisierung des Bildungswe­sens und der Aufhebung des faktischen Zwanges zur Teilnahme an vor­militärischer Ausbildung als Voraussetzung für die Zulassung zu weiter­führenden Bildungsgängen; in der Veränderung der Bildungs- und Erziehungsgrundsätze hin zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Kinder und Jugendlichen im Bildungswe­sen und der Stärkung ihrer Subjektposition im Bildungsprozeß; in einer Stärkung elterlicher Mitentscheidungs- und Mitgestaltungsrechte bezüglich der Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder; in einer verstärkten Differenzierung der Bildungsgänge, einer Erweite­rung musisch-ästhetischer Inhalte und der Einführung neuer Fächer und Unterrichtsmethoden, sowie in strukturellen Fragen, die die Organisation von Ausbildungsprozessen oder die Einführung der Fünf-Tage-Unterrichtswoche betrafen11 •

Diese Forderungen blieben jedoch weitgehend unberücksichtigt12. Damit ver­gab das Volksbildungsministerium auch diese Chance, in einem entsprechen­den Rahmen Dialog- und Reformbereitschaft zu demonstrieren.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1989 traten Oppositions- und Bürger­rechtsgruppen, neue und wiedergegründete Parteien, kirchliche und staatliche Organisationen, aber auch betroffene und interessierte Einzelpersonen mit ih­ren Vorstellungen zu einer allgemeinen Reform des politisch-gesellschaft­lichen Systems der DDR an die Öffentlichkeit. Nahezu alle veröffentlichten Manifeste, Flugblätter und Programme enthielten auch Vorschläge zur Ver­änderung des Erziehungs- und Bildungssystems. Der allumfassende Erzie­hungsanspruch von Staat und SED stellte ein Kernelement der sozialistischen

10

11

12

36

Vgl. Kaack 1991, S. 1132. Vgl. Kaack 1991, S. 1133. Auf eine gewisse Art und Weise wurden sie dennoch 'verwertet'. Eingaben, die das Volksbildungsministerium als Provokation auffaßte, leitete es 'zur weiteren Veranlassung' dem MfS zu. Im November 1989 fanden sich zudem in den Akten des vormaligen Staatssekretärs im MfV, H. Lorenz, ca. 250 unbeantwortete Schreiben, obwohl das Volksbildungsministerium zugesichert hatte, alle Einga­ben zu beantworten. Dies entsprach etwa 40 % aller an den Kongreß gerichteten Vorschläge; vgl. Geburek/Lange 1990, S. 1894ff.; Kaack 1991, S. 1132f.

Page 35: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Ordnung dar, und das Bildungs- und Wissenschaftssystem war auf dessen op­timale Umsetzung hin konzipiert. Die grundlegende Umgestaltung des ein­heitlichen sozialistischen Bildungssystems war daher für fast alle Akteure ein essentieller Bestandteil der geforderten Gesellschaftsreform. Als Teil der ge­forderten gesellschaftlichen Erneuerung sollte die Bildungs- und Erziehungs­reform vom Konsens aller Beteiligten und Betroffenen getragen und nicht mehr von oben verordnet sein. Viele der seit Herbst 1989 veröffentlichten Anregungen und Vorschläge bauten auf den von Kirchenorganisationen wie der Ökumenischen Versammlung und kirchennahen Gruppen bereits vor 1989 erarbeiteten Ansätzen auf13.

Nachdem die Menschen in der DDR ihre Furcht vor dem scheinbar all­mächtigen Staat und seinen Repräsentanten überwunden hatten, entwickelte sich in kurzer Zeit eine überaus vielfaltige und bunte politische Landschaft. Bereits Anfan§ 1990 existierte eine beinahe unübersehbare Zahl von Parteien und Gruppen1 . Ebenso zahlreich waren die Ideen und Initiativen zur Umge­staltung des Bildungssystems15 ; und aufgrund der zeitweilig unklaren Geset­zes- und Verordnungslage begann bereits Ende 1989 das Experimentieren mit

13

14

15

Vgl. Hofmann, H.-G. 1990, S. 9. Am 28. Februar 1990 waren im Register der Parteien der DDR 35 Parteien und politische Organisationen eingetragen; vgl. Spittmann!Helwig (Hrsg.) 1990, S. 71. Neben den Parteien wurden im Februar 1990 zwölf Frauenbewegungen, 16 Bürgerbewegungen, 52 Jugendorganisationen, sechs Gewerkschaften, 42 Berufs­organisationen und 24 sonstige Vereinigungen gezählt, die jeweils über eigene politische Programme verfügten; vgl. Winkler (Hrsg.) 1990, S. 71. Beiträge von Einzelpersonen oder nichtorganisierten Gruppen fanden sich häufig in Zeitschriften. Neben etablierten Blättern wie der Deutschen Lehrerzeitung wa­ren dies insbesondere neue Titel wie 'ad hoc', ein vom Konsultations- und In­formationszentrum an der APW seit Januar 1990 herausgegebenes Informations­medium, in dem Wissenschaftler, Lehrer, Schüler, Eltern sowie andere Betroffe­ne und Interessierte zu Wort kamen. Da die Redaktion von ad hoc Vorschläge auswerten konnte, die die APW aus der gesamten DDR erhielt, dürften die dort abgedruckten Beiträge einen Querschnitt der wesentlichen Reformforderungen auch 'von unten' darstellen; vgl. statt vieler ad hoc. H. 1/90, S. 7f.; ad hoc. H. 2/90, S. 6. Andere neubegründete Schriften wie 'Metamorphose' hatten ihren Fokus auf Schulen in freier Trägerschaft, insbesondere Waldorfschulen. Die APW selbst sammelte und veröffentlichte Diskussionsbeiträge zur Reform des Bildungswesens. Bis zum 31.12.1989 erhielt das Ministerium für Bildung rund 8.000 Zusendungen von Gruppen und Einzelpersonen; vgl. HofmanniSoder 1991, S. 10. Eine Auswahl der Programme der wichtigsten Parteien und politi­schen Gruppen enthielten die Hefte Nr. 8 und 14 der von der APW 1990 heraus­gegebenen Reihe 'Bildungswesen Aktuell' (BA). Die APW veröffentlichte auch eigene Vorschläge und Materialien, die die Breite der Diskussion widerspiegel­ten; vgl. z.B. APW 1990a; APW (Hrsg.) 1990b. Eine Auswahl an Dokumenten ist wiedergegeben in Fuchs/Reuter (Hrsg.) 1995; vgl. insb. S. 82ff.

37

Page 36: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

neuen Unterrichtsmodellen und -inhalten bis hin zur Ebene einzelner Schulen und Klassen16.

2.1.2 Allgemeine Forderungen zu Veränderungen im Bildungs- und Wissenschaftssystem

In einem am 1. Oktober 1989 veröffentlichten Problemkatalog unterbreitete das Neue Forum Vorschläge zur Reform des Bildungswesens. Kultur und geistiges Leben sollten von den Menschen selbsttätig und von staatlichen Weisungen unabhängig entwickelt werden können. Der "Aufbruch der Volksbildung aus Disziplin und Langeweile" und die "Veränderung der Zu­lassungs- und Auswahlprinzipien in Erziehung, Wissenschaft und Kultur"17

waren noch allgemein gehaltene Forderungen. Konkretere Vorschläge zur Er­neuerung des Bildungswesens legte das Neue Forum in einem zweiten Pro­blemkatalogEnde November 1989 vor; hierin ging es um die Entmilitarisie­rung des Bildungswesens, die Schaffung von Differenzierungsmöglichkeiten in der schulischen Ausbildung je nach Begabung, Neigung und Interessen der Schüler, die Trennung von Schule und politischen Organisationen und die Zulassung von Schulversuchen; neue Unterrichtsmethoden sollten mehr Frei­räume im Unterricht eröffnen18• Zum Zwecke einer grundlegenden Erneue­rung des Schulwesens wollte die LDPD die "Befreiung der Schule aus politi­schen und ideologischen Zwängen" verwirklicht sehen und damit eine "ideologiefreie Bildung und Erziehung"19 erreichen. Ähnlich äußerten sich Demokratie Jetzt und weitere Oppositionsgruppen sowie die anderen Parteien des Demokratischen Blocks20, die sich zum Jahresende 1989 aus ihrer Ab-

16

17 18

19

20

38

Für die noch 1989 aufgehobene Verbindlichkeit verschiedener Lehrpläne wurden lediglich 'Vorschläge' und 'Diskussionsangebote' zur weiteren Gestaltung des Unterrichts unterbreitet, so z.B. in Staatsbürgerkunde und Geschichte, und den Lehrern die eigenverantwortliche Gestaltung des Unterrichts übertragen; vgl. DLZ. Nr. 45/89, Nr. 47/89. Dies führte einerseits zu großer Unsicherheit bei vielen betroffenen Lehrern, andererseits aber auch zur Nutzung neuer Freiräume; vgl. GEW (Hrsg.) 1990, S. 20ff. Wir sind das Volk 1990 (Teil1), S. 40; S. 41. V gl. Initiativgruppe Pädagogik des Neuen Forum: Erste Positionen zur Erneue­rung des Bildungswesens, in: BA 8/1990, S. 33-35. Bildungspolitik ist Zukunftspolitik: Standpunkt der LDP zum Bildungspro­gramm, in: BA 811990, S. 30. Vgl. z.B. die Position der DBD: "Der Hegemonieanspruch einer Partei ist auf allen Ebenen des Bildungswesens auszuschließen", in: Hohe Bildung für alle Kinder: Was steht hinter den "Programmatischen Leitsätzen" der DBD zu Schu­le, Lehre und Studium, in: BA 8/1990, S. 6; vgl. auch Musiolek!Wuttke 1991, S. 167ff.

Page 37: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

hängigkeit von der SED zu lösen begannen und mit ersten eigenen Ideen zur Umgestaltung des Bildungswesens hervortraten21 .

Eine allgemeine Reform des Bildungswesens sollte nach den Vorstellun-gen der Kritiker insbesondere folgende Aspekte berücksichtigen:

die Sicherung von Chancengleichheit im Sinne eines freien Zuganges zu allen Bildungswegen unabhängig von religiösen, weltanschaulichen oder sonstigen Orientierungen; die Erziehung zu Mündigkeit und Individualität; die Reduzierung bürokratischer Bevormundung und dirigistischer Ein­griffe in das Bildungswesen; eine veränderte gesellschaftskundliehe Bildung in allen Bereichen des Bildungssystems; erweiterte Mitspracherechte für Schüler, Auszubildende, Studenten, El­tern und alle in den Bildungsinstitutionen Lehrenden, und die Gewährleistung des Grundrechts der Eltern, allein über die Erzie­hung, Ausbildung und weltanschauliche Orientierung ihrer Kinder zu bestimmen22. ·

Neben diesen allgemeinen Forderungen gab es eine Vielzahl von Detailvor­schlägen, die häufig mit der politischen Orientierung der jeweiligen Akteure, und, bereits in dieser Phase erkennbar, mit programmatischen Vorstellungen der westdeutschen Pendants korrespondierten. So wollte die Grüne Partei der DDR Friedens- und Umwelterziehung als Bestandteil jeglicher Bildungs- und Erziehungsarbeit verankert wissen; FDP, LDPD, NDPD und BFD setzten sich für die Förderung Hochbegabter, die Zulassung freier Bildungsträger und die grundsätzlich freie Wahl der Bildungsstätte ein. Nach einer Phase der Sprachlosigkeit beteiligte sich auch die SEDIPDS um die Jahreswende 1989/90 wieder an der bildungspolitischen Debatte. Der weiterhin kostenfreie Zugang zu allen Bildungseinrichtungen und die Verhinderung von Doppel-

21

22

Vgl. Programmatische Erklärungen von verschiedenen Parteien und gesellschaft­lichen Gremien zu Bildungsfragen in der DDR, in: BA 8/1990 (Teil 1) und BA 1411990 (Teil2); Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991. V gl. die Vorstellungen der Parteien und institutionalisierten Oppositionsgruppen zur Bildungspolitik in: Musiolek/Wuttke 1991, S. 167ff.; Programmatische Er­klärungen von verschiedenen Parteien und gesellschaftlichen Gremien zu Bil­dungsfragen in der DDR, in: BA 811990 und BA 1411990. J. Hofmann und H. Soder (1991) haben die "außerhalb institutionalisierter Strukturen entstandenen bildungskonzeptionellen Vorstellungen" (Untersuchungstitel) inhaltsanalytisch untersucht. Hier zeigte sich, daß bei den in dieser Analyse im Mittelpunkt ste­henden Beiträgen von Einzelpersonen und bildungspolitischen Initiativgruppen die Forderung nach Chancengleichheit im Sinne des Zugangs zu allen Bildungs­möglichkeiten, unabhängig von Herkunft, Elternhaus, Weltanschauung und reli­giösem Bekenntnis, die der vorgefundenen Bildungsrealität nicht entsprach, und die Herauslösung der politischen Organisationen aus dem Schulwesen die zentra­len Elemente ihrer Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen darstellten; vgl. a.a.O., S. 73.

39

Page 38: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

züngigkeit und Heuchelei im Bildungs- und Erziehungswesen waren die in ih­rem Programmentwurf von 1990 ausgewiesenen Reformziele. Die SPD der DDR verlangte staatliche Garantien dafür, daß jeder sein Recht auf Bildung wahrnehmen könne, und dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) war die Verankerung von Vorstellungen wie der Gleichberechtigung der Geschlechter in den Erziehungs- und Bildungsplänen bedeutsam. Die Wählbarkeit der Di­rektoren von Bildungseinrichtungen durch die Kollektive war eine Forderung der Vereinigten Linken (VL)23.

Nicht nur die alten und neuen Parteien und die Oppositionsgruppen mel­deten sich mit Vorschlägen und Diskussionsangeboten zu Wort, auch das Volksbildungsministerium und die ihm nachgeordneten Institutionen traten seit Ende November 1989 mit eigenen Vorstellungen an die Öffentlichkeit. Mit Veröffentlichungen und Beiträgen in Fachzeitschriften versuchten Bil­dungspolitiker und Wissenschaftler der APW und der den Ministerien zuge­ordneten Forschungsinstitute auf die Diskussion Einfluß zu nehmen24. Große Beachtung fanden die Thesen zur Bildungsreform25 , die bereits im Dezember 1989 auszugweise als Thesen zur Schulreform in der Deutschen Lehrerzei­tung26 veröffentlicht worden waren und schließlich im März 1990 mehrfach verändert als "Diskussionsangebot"27 des Ministeriums für Bildung der Öf­fentlichkeit vorgelegt wurden. Zentrale Forderungen der politischen Parteien und Oppositionsgruppen fanden Eingang in dieses Papier. Die Thesen kon­statierten die Krise, in der sich das Bildungssystem befand und die durch "eine weithin verfehlte Bildungspolitik der zurückliegenden Jahrzehnte"28 bedingt wäre. Im übrigen enthielt das Thesenpapier Vorschläge zu Erneue­rung und Veränderung aller Bereiche des Bildungssystems vom Vorschulbe­reich bis zur Weiterbildung, insbesondere:

23

24

25

26

27

28

40

zur Verbindung von Bildungsreform und Gesellschaftsreform; zur Sicherung von Pluralität in allen Bereichen des Bildungssystems und zur Entideologisierung insbesondere der gesellschaftskundlieh-politi­schen Bildung; zur strukturellen Trennung von Bildungsinstitutionen und Partei(en) bzw. deren Jugendorganisationen, sowie

Vgl. Musiolek/Wuttke 1991, S. 179; zu den Forderungen im Einzelnen vgl. a.a.O., S. 172 (Grüne Partei); S. 171 (FDP); S. 174 (NDPD, BFD); S. 175 (PDS); S. 176 (SPD); S. 179 (UFV). Vgl. z.B. Gesellschaftliche Realität braucht neues Bildungskonzept, in: ND v. 4.11.1989; In der DDR bahnt sich eine Schulreform an, in: Der Tagesspiegel v. 25.1.1990. Ministerium für Bildung, März 1990; in einer erweiterten Fassung veröffentlicht in: BA 10/1990. V gl. Thesen zur Schulreform. Diskussionsangebot von Wissenschaftlern der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, in: DLZ. Nr. 51/1989. Thesen zur Bildungsreform, in: BA 10/1990, S. 5. A.a.O., S.4.

Page 39: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

zur Entscheidung über die Bildungswegzugänge nach Leistung, Eignung und Neigung29•

So sehr sich die Autoren einerseits bemühten, konsensfähige Aspekte der bil­dungspolitischen Diskussion des Herbstes 1989 aufzunehmen, so wenig wa­ren sie andererseits bereit, zu einer radikalen Bildungsreform anzuregen und das bisherige Bildungssystem grundsätzlich in Frage zu stellen. So stellten die Thesen beispielsweise den strukturellen Aufbau des Bildungssystems nicht zur Diskussion. Ebenso wenig waren die Autoren willens oder in der Lage, zu ihrer eigenen Vergangenheit und Mitverantwortung für die von ihnen nun massiv kritisierten Fehlentwicklungen Stellung zu nehmen; dementsprechen­de, teilweise harsche Kritik an den Thesen war die Folge30•

Ein anderes Dokument von überregionaler Bedeutung war das Positions­papier des Zentralen Runden Tisches zu Bildung, Erziehung, Jugend31 • Nach der 15. Sitzung am 5. März 1990 als Teil des Sitzungsprotokolles erarbeitet, faßte es zentrale Reformforderungen der am Zentralen Runden Tisch verei­nigten Parteien und Gruppen zusammen. Zur Verwirklichung von Chancen­gleichheit sollten gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen und das Recht auf lebenslange Bildung für alle Menschen gesichert werden. Des weiteren sollten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, um für jedes Kind ein Recht "auf soziale Geborgenheit und emotionale Zuwendung von Geburt an"32 zu sichern. Die Gewährleistung politischer, sozialer und weiterer Grundrechte für Kinder sollte in einer zukünftigen Verfassung verankert wer­den. Daneben enthielt das Positionspapier Forderungen:

29 30

31

32

zur Weiterführung einer staatlich finanzierten zehnjährigen Regelschule; Schulen in freier Trägerschaft sollten möglich und den staatlichen Schu­len finanziell gleichgestellt sein; zur Sicherung einer staatlich finanzierten Berufsausbildung; zu Mitspracherechten in allen Bildungsbereichen für Lernende, Lehrende, Eltern, Wissenschaftler usw.; zur Öffnung der Bildungsstätten in ihr unmittelbares soziales Umfeld hinein und die Etablierung von Freizeit-, Betreuungs- und Weiterbil­dungsmöglichkeiten in diesen Einrichtungen; zur gesetzlichen Verankerung eines Rechts auf berufliche Bildung, das auch eine Hoch- oder Fachschulausbildung umfassen sollte, und

Vgl. a.a.O., passim. Vgl., eher gemäßigt, Blankenburg 1990, oder, im Ton schärfer, HofmanniSoder 1990; HofmanniSoder 1991, S. 179ff. Auszug aus dem Originalprotokoll an die Volkskammer vom 5.3.1990, in: ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1190. A.a.O., S. 1.

41

Page 40: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

zur Loslösung der Jugendweihe von den Bildungseinrichtungen und ihrer Durchführung nur noch in freier Trägerschafe3.

Die Verwirklichung dieser Forderungen wäre, so das Positionspapier, jedoch erst nach einer Analyse der bisherigen Bildungssituation und ihrer Folgen möglich. Darauf aufbauend müsse dann "endlich eine tiefgreifende Bildungs­reform beginnen"34. Die Aussagen trugen deutliche Züge eines Kompromiß­papiers; sie spiegelten das Meinungsspektrum der bildungspolitischen Re­formdiskussion am Zentralen Runden Tisch jedoch nicht vollständig wider. Hans Joachim Meyer, der spätere Bildungsminister des Kabinetts de Mai­ziere, verfaßte eine Erklärung der katholischen Laienbewegung der DDR zum Tagesordnungspunkt 'Bildung' für die Sitzung des Zentralen Runden Tisches am 5. März 1990, das in wesentlichen Ansätzen von dem Positionspapier abwich. Las sich das Positionspapier in seinen Kernaussagen eher wie ein Forderungskatalog an einen (zukünftigen) Gesetzgeber, so basierte die Argu­mentation Meyers auf dem Erziehungsprimat als erstem Recht und erster Pflicht der Eltern. Hierauf aufbauend entwickelte er weitere Grundsätze für eine Reform des Bildungswesens35. Zwar finden sich auch einige der in dieser Erklärung formulierten Vorschläge im Positionspapier wieder, sie basieren aber auf einem anderen gesellschaftspolitischen und bildungstheoretischen Zugang.

2.1.3 Forderungen zur Reform der Vorschulerziehung

Es kann nicht überraschen, daß die sozialistischen Erziehungsaufgaben des Vorschulbereiches36 in Frage gestellt wurden. Dies galt z.B. für die weltan­schauliche Einseitigkeit, die sich in Freund-Feind-Bildern und einer unreali­stischen Vermittlung des Lebens in der sozialistischen Gesellschaft nieder­schlug37. Auch die kognitive Überhöhung des Bildungsprogramms wurde kri­tisiert, da sie Verschulungstendenzen förderte38.

Vorschläge zur Reform der Kleinkindbetreuung fanden sich insbesondere in Programmen von Oppositions- und Bürgerrechtsgruppen. Daß Kinder "die Möglichkeit erhalten, ihre Interessen, Neigungen, Bedürfnisse und Empfin­dungen frei von zwanghaft einengender Normierung zu entwickeln"39, ver-

33

34 35 36

37 38 39

42

Vgl. a.a.O., S. lf. Die Forderung nach finanzieller Sicherung aller Bildungs- und Erziehungseinrichtungen durch den Staat brachten die meisten der vorgefunde­nen Positionspapiere explizit oder implizit zum Ausdruck. A.a.O., S. 2. Vgl. Meyer, H. J. 1990, S. 119f. Vgl. hierzu z.B. Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergar­ten 1985. Vgl. Fischer 1992, S. 109. Vgl. GEL 1991, Stichwort Kindergarten. Musiolek!Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 179.

Page 41: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

langten der Unabhängige Frauenverband, und, in der Formulierung ähnlich, die Deutsche Forum Partei (DFP). Sie wollte neben anderen Bildungseinrich­tungen auch Kindergärten von Bürokratie, Dirigismus und Formalismus in der Organisation und von Militarismus in den Inhalten und Umgangsformen be­freit sehen. Für eine allgemeine 'Demokratisierung' der Kindergärten trat die Vereinigte Linke ein, die daneben aber auch konkretere Vorstellungen zur Etablierung einer unabhängigen Interessenvertretung für Eltern, Kinder und im Vorschulbereich Tätige entwickelte, die auf verbindlichen Rechtsgrundla­gen basieren sollten. Das Neue Forum setzte sich dafür ein, Kinderbetreu­ungseinrichtungen nicht zu einem Teil des Sozialbereiches werden zu las­sen40.

Die LDPD forderte eine grundsätzliche Bildungsreform "vom Kindergar­ten bis zur Hochschule"41 . Nach ihren Vorstellungen sollte für Eltern die Möglichkeit bestehen, im Kindergartenbereich zwischen Einrichtungen mit unterschiedlichen pädagogischen Positionen wählen zu können. In ihren The­sen zur Bildungspolitik wies sie dem Kindergarten eine familienunterstützen­de Funktion zu. Ferner hob sie heraus, daß der Kindergarten vor allem soziale und erzieherische Aufgaben wie die Vermittlung von Werten und Einstellun­gen hätte und dessen Arbeit nicht in der Vorwegnahme schulischer Anforde­rungen bestehen dürfe42.

Wie die LDPD trat auch der Demokratische Aufbruch dafür ein, Eltern die Wahlmöglichkeit zwischen Kinderbetreuungseinrichtungen unterschied­licher pädagogischer Konzeptionen zu bieten. Der Staat bzw. die Kommunen sollten für ein ausreichendes Maß an Einrichtungen sorgen und diese finan­ziell unterstützen; Kindergärten sollten aber überwiegend in freier Träger­schaft geführt werden43.

Das Wahlprogramm der PDS zur Volkskarnrnerwahl enthielt im Ver­gleich mit den anderen Parteien und Gruppen ausführliche Aussagen zum Vorschulbereich; ganz offensichtlich wollte sie sich als Partei der sozialen Si­cherheit präsentieren. So forderte sie, für alle Kinder einen Platz in einer Kinderbetreuungseinrichtung bereitzuhalten. Krippen- und Kindergartenplät­ze sollten für die Eltern kostenfrei sein. Die Arbeitsplätze der Kindergärtne­rinnen und der Erzieherinnen in Kinderkrippen und Horten sollten gesichert werden44. Dieser Programmschwerpunkt der PDS war geschickt gewählt, denn die Aufrechterhaltung der flächendeckenden Versorgung mit Kinderbe­treuungseinrichtungen im Vorschulbereich entsprach einem verbreiteten

40

41 42

43

44

Vgl. Musiolek!Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 179 (UFV; VL); S. 170 (DFP); S. 178 (Neues Forum). LDP(D): Bildungspolitik ist Zukunftspolitik, in: BA 8/1990, S. 30. LDP(D): Thesen zur Bildungspolitik, in: BA 1411990, S. 49ff. V gl. Demokratischer Autbruch: Programm, in: BA 8/1990, S. 13ff. V gl. Wahlpositionen der PDS: Für gleiches Recht auf Bildung, in: BA 8/1990, S. 36ff.

43

Page 42: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Wunsch, während die sich im Jahr 1990 zunehmend verschlechternde öko­nomische Lage der DDR eine gegenteilige Entwicklung erwarten ließ.

2.1.4 Forderungen zur Reform des allgemeinbildenden Schulwesens

Die politischen und wissenschaftlichen Akteure entwickelten ihre bildungs­politischen Vorstellungen bis zur Volkskammerwahl in der Annahme, daß sich die DDR politisch und gesellschaftlich erneuerte, in ihrem Bestand aber zunächst nicht gefährdet war. Die Reformforderungen orientierten sich daher am bestehenden Bildungssystem. Die mit Abstand größte Zahl von Reform­vorschlägen wurde zum allgemeinbildenden Schulwesen unterbreitet. Die Kritik am allgemeinbildenden Schulwesen bezog sich auf:

den Mangel an Wahlmöglichkeiten im Unterrichtsangebot; den Vorrang des Russischunterrichts sowohl gegenüber Englisch und Französisch als auch gegenüber den alten Sprachen; die Struktur, die Dauer und den Inhalt der Abiturvorbereitung; die Reglementierung des Zuganges zu weiterführenden Bildungsgängen; die Unausgewogenheit von mathematisch-naturwissenschaftlichen und musisch-ästhetisch-künstlerischen Unterrichtsanteilen; die fehlenden didaktischen und methodischen Freiräume für die Lehrer, die unzeitgemäße Unterrichtsmethodik, und der Art der Leistungsbewertung und Zensurengebung.

Hinzu traten Aspekte der inneren Schulverfassung wie: die fehlenden Mitsprachemöglichkeiten für die in den Schulen Lehrenden und Lernenden; die Rolle der Pionierorganisation und der FDJ in den Schulen; die Notwendigkeit einer Änderung der Schulordnung sowie die Kontrolle der Lehrer durch die Volksbildungsorgane - das 'Pädago­gische Regime'45 .

Anfang November 1989 veröffentlichte das Volksbildungsministerium "Standpunkte und Fragen zur Erneuerung der Schule"46• Der Direktor für Forschung an der APW äußerte sich zu einer Vielzahl von Aspekten, die vom Niveau des Fremdsprachenunterrichts bis hin zur Subjektposition des Schü­lers reichten. Im Mittelpunkt dieses Diskussionsangebotes standen didakti­sche und erzieherische Fragen. Ihre Lösung wäre substantiell für die Reform des Volksbildungswesens, die - so die Autoren - ein "unverzichtbarer Be­standteil der tiefgreifenden Um9estaltung des Sozialismus( ... ) auf der Grund­lage der Verfassung der DDR"4 wäre.

45

46

47

44

Vgl. BA 10/1990, S. 4; Anweiler 1990c. ND v. 8.11.1989. A.a.O.

Page 43: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Viele Parteien und Oppositionsgruppen sprachen sich für die Erhaltung der strukturellen Einheitlichkeit, d.h. der einheitlichen zehnjährigen Regel­schule für alle Schüler aus. Sie forderten die Beibehaltung der Einheitsschule bei innerer Differenzierung und Flexibilisierung und einer zehnjährigen Schulpflicht; andere sprachen sich für eine integrierte Gesamtschule als staat­liche Regelschule und gegen die Einführung des dreigliedrigen Schulsystems der Bundesrepublik Deutschland aus48. Die PDS forderte die zehnjährige staatliche Regelschule in Form einer Gesamtschule mit innerer Differenzie­rung49. Ähnlich äußerte sich die SPD in einem Anfang 1990 veröffentlichten Diskussionspapier zu Reform und Ausbau des Bildun~swesens. An die Fest­stellung: "Die POS als Einheitsschule ist gescheitert" 0 schloß sich das Mo­dell einer auf einer vierjährigen eigenständigen Grundschule aufbauenden dif­ferenzierten Gesamtschule bis Klassenstufe 10 mit gymnasialer Oberstufe an. Ganztagsschulen sollten auf Wunsch der Eltern eingerichtet werden können. Die Forderung nach Beibehaltung der zehnjährigen Regelschule51 wurde auch in das Positionspapier des Zentralen Runden Tisches zu Bildung, Erziehung, Jugend aufgenommen. Zur Erfüllung der zehnjährigen Schulpflicht sollte es allerdings unterschiedliche Schulformen und pluralistische Strukturen mit staatlichen, konfessionellen und alternativen Schulträgern geben. Die SPD be­fürwortete die Gesamtschule als vorherrschenden Schultyp auch nach der Vereinigung, einige ihrer Volkskammerabgeordneten plädierten sogar für Ge­samtschulen von Klasse 1 bis 1252. Die in den Veröffentlichungen der APW53

zwischen Dezember 1989 und Juli 1990 präsentierten Organisationsmodelle gingen ebenfalls von der zehnjährigen, allerdings differenzierten Einheits­schule als Regelschule aus; nach Klasse 8 sollte ein vorgezogener Wechsel in

48

49

50

51

52

53

Vgl. Hohe Bildung für alle Kinder: Was steht hinter den "Programmatischen Leitsätzen" der DBD zu Schule, Lehre und Studium, in: BA 8/1990, S. 7; LDP(D): Thesen zur Bildungspolitik, in: BA 811990, S. 54; Fischer 1992, S. 107f. (Grüne Partei). Vgl. Wahlpositionen der PDS: Für gleiches Recht auf Bildung, in: BA 8/1990, S. 36; Wahlkampf auf dem Rücken der Kinder sollte für alle tabu sein, in: ND v. 8.2.1990; Gesamtdeutsche Chance für Demokratie in der Schule, in: ND v. 18.7.1990; Bei Landtagswahlen auch Votum über die Schulreform, in: ND v. 3.9.1990. SPD, AG für Bildungsfragen: Diskussionsbeiträge zum Thema: Reform und Ausbau des Bildungswesens, in: BA 811990, S. 42; vgl. S. 42ff. Vgl. BA 811990, S. 43. Vgl. ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1/90, S. 1; BA 8/1990, S. 43; DDR-SPD fa­vorisiert Gesamtschulen, in: Der Tagesspiegel v. 26.9.J990. Vgl. Thesen zur Schulreform, in: DLZ. Nr. 51/1989; Uberlegungen zum Konzept einer erneuerten allgemeinbildenden Schule in der DDR, in: BA 3/1990; Thesen zur Bildungsreform, in: BA 1 011990; Empfehlungen zur Erneuerung der zehn­jährigen allgemeinbildenden Schule - als Regelschule, in: BA 12/1990; Wie weiter mit den allgemeinbildenden Schulen in den neuen Ländern?, in: BA 2011990.

45

Page 44: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

die Berufsausbildung möglich sein54. Demgegenüber hatte sich die CDU be­reits im März 1990 für ein "reich gegliedertes, jedoch möglichst durchlässiges System von Schulen"55 bei gemeinsamer Schulbildung bis einschließlich Klasse 6 ausgesprochen.

Die Förderung besonders leistungsfähiger und begabter Kinder gehörte zu den Forderungen, die nahezu alle Gruppen grundsätzlich befürworteten und die meist im Zusammenhang mit der als ebenso notwendig erachteten be­sonderen Unterstützung lernschwacher und lernbehinderter Kinder zu finden war. Spezialschulen und -klassen sollten beibehalten werden. Darüber hinaus sollten alle Möglichkeiten einer Spezialisierung und Begabtenförderung ge­nutzt werden, z.B. durch eine möglichst frühe Aufnahme geeigneter Schüler in Spezialschulen, ggf. bereits ab dem 3. Schuljahr. Darüber wurden Vorstel­lungen entwickelt, Spezialschulen in Gymnasien mit besonderem Profil zu überführen 56•

Die umfassende Kritik der Parteien und Oppositionsgruppen am allge­meinbildenden Schulwesen unterstrich die Notwendigkeit einer grundlegen­den Neugestaltung der bisherigen Unterrichtskonzeption. Die ungenügende Differenzierung des Unterrichtsangebotes je nach individueller Leistung, Eig­nung und Neigung und die Uniformität in der Unterrichtsdurchführung galten vielen Kritikern als Ursache für mäßige Schülerleistungen und Noteninflati­on57. Die Demokratisierung der Schule und die Neugestaltung des schulischen Unterrichts waren die ausnahmslos von allen alten und neuen Parteien, Bür­gerrechts- und Oppositionsgruppen formulierten Forderungen zur Schulre­form. Im einzelnen ging es Ihnen um:

54

55

56

57

46

die Überprüfung aller Lehrpläne, Schulbücher und Unterrichtsmateriali­en; die inhaltliche Differenzierung der Bildungswege durch ein umfassendes Angebot an Pflichtwahl- und fakultativen Kursen; die Neufassung der Lehrpläne, insbesondere in den ideologisch belasteten Fächern Staatsbürgerkunde und Geschichte, aber auch in Heimatkun­de/Geographie und Deutsche Literatur; die strikte Trennung von Schule und Parteien und die Etablierung einer von Pluralität getragenen weltanschaulichen Bildung; die Reform des polytechnischen Unterrichts und des Fremdsprachenun­terrichts, die Abschaffung des Russischen als erster Pflichtfremdsprache

Entsprechende Vorschläge sind, mit jeweils leichten Detailvariationen, in beina­he allen bildungspolitischen Programmen zu finden; vgl. BA 8/1990; BA 1011990; BA 1411990; Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 167ff. CDU: Prograrnmentwurf, in: BA 1411990, S. 14; vgl. Fischer 1992, S. 107; In der Verantwortung für die Erziehung schrecken noch viele zurück, in: F.A.Z. v. 7.3.1990. Dies waren insbesondere Forderungen von NDPD, DBD und FDP; vgl. BA 10/1990, S. 23; Fischer 1992, S. 110; Hörner 1990, S. 38. Vgl. Hörner 1990, S. 15.

Page 45: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

und die Eröffnung von Wahlmöglichkeiten zwischen modernen und alten Sprachen; die Aufhebung verbindlicher Lehrpläne zugunsten flexibler Rahmenplä­ne; die Einführung neuer Fächer wie Umwelterziehung, Philosophie oder Ethik; die Neubewertung des Verhältnisses von mathematisch-naturwissen­schaftlichen und ästhetischen Bildungsanteilen im Bildungskanon, mit der eine verstärkte Berücksichtigung künstlerischer und musischer Antei­le einhergehen sollte; ein ausgewogenes Verhältnis von Allgemein- und Spezialbildung; differenzierte Lehr- und Lernmethoden; die Reform der Leistungsbewertung; neue Erziehungs- und Lernziele wie die Bejahung eines neuen, demokra­tischen Rechtsstaates, die Einübung von Mitbestimmung und Mitent­scheidung, Eigenständigkeit, Selbständigkeit, Verantwortungsbewußtsein sowie die Vermittlung humanistischer Werte, und die dauerhafte Verbannung jeglicher vormilitärischen Ausbildung aus den Schulen 58.

Lebhafte und kontroverse Diskussionen gab es um die Zukunft des poly­technischen Unterrichts59 . "Ein polytechnisches Prinzip als namensgebendes Moment einer allgemeinbildenden Schule ist abzulehnen"60 formulierte die LDPD in ihren Thesen zur Bildungspolitik. Neben der Eintönigkeit und päd­agogischen Unergiebigkeit beklagten Kritiker vor allem, daß die Praxis des polytechnischen Unterrichts nicht mit dessen theoretischer Konzeption über­einstimme und die Schüler in den Betrieben oftmals nur mit Hilfsarbeiten be­schäftigt würden61 . Zwar wurde der polytechnische Unterricht in seiner bis­herigen Form von einigen Akteuren grundsätzlich in Frage gestellt. Es gab aber auch den Vorschlag, ihn als Teil eines erneuerten Allgemeinbildungsan­satzes und mit einer neuen inhaltlichen Konzeption zu erhalten. Die be­rufspraktischen Anteile des bisherigen Konzepts sollten dann stärker als bis­her soziale und ökologische Arbeitsgebiete aufnehmen62. Die SPD schlug vor, den polytechnischen Unterricht in Form der Fächer Werken bis Klasse 7 und Arbeitslehre ab Klasse 8 überwiegend wahlobligatorisch anzubieten63• Die im Sommer 1990 veröffentlichten Positionen und Vorschläge zur Weiterentwick-

SR

59

60

61

62

63

Vgl. BA 8/1990; BA 10/1990; BA 1411990; Musiolek!Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 167ff.; HofmanniSoder 1991, S. 89ff. zu Parteien, Oppositions- und Bürger­rechtsgruppen; zu der aus dem Wissenschaftsbereich heraus geäußerten Kritik vgl. z.B. Drewe1ow 1989; Mehlhorn 1990. V gl. Fischer 1992, S. 111. LDP(D): Thesen zur Bildungspolitik, in: BA 1411990, S. 60. V gl. Fischer 1992, S. 111 f. V gl. ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1190, S. 6 (Zentraler Runder Tisch). V gl. BA 8/1990, S. 54.

47

Page 46: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

lung des polytechnischen Unterrichts der Arbeitsgruppe Polytechnische Bil­dung und Erziehung des Ministeriums für Bildung nahmen eine große Zahl von Vorschlägen zur Verbesserung der polytechnischen Unterrichtsanteile in POS und EOS auf. Die Arbeitsgruppe schlug vor, ab dem Schuljahr 1990/91 vom Schulgartenunterricht der ersten Klassen bis zur wissenschaftlich-prak­tischen Arbeit im Rahmen der Abiturvorbereitung alle wesentlichen Inhalte einschließlich der Unterrichtsmethodik zu überarbeiten und auf die zukünftig veränderten Rahmenbedingungen umzustellen. Daß polytechnischer Unter­richt als Bestandteil des allgemeinbildenden Schulwesens von Klasse 1 bis 12 grundsätzlich erhalten bleiben sollte, wurde aber ebenso wenig in Frage ge­stellt wie dessen strukturelle Verankerung in Schule und Wirtschaft. Die bis­lang von den Betrieben unterhaltenen polytechnischen Einrichtungen sollte nun allerdings der Staat finanzieren, um Wettbewerbsnachteile in der heran­nahenden Marktwirtschaft zu vermeiden64•

Auch Gedanken zur Betreuung behinderter Schüler fanden Eingang in die Reformprogramme. Die Integration insbesondere körperlich behinderter Kinder und Jugendlicher in das allgemeinbildende Schulsystem - soweit möglich und sinnvoll - fand weithin Zustimmung. Besondere Einrichtungen sollte es weiterhin für schwer verhaltensgestörte Kinder geben. Vorschläge zur gemeinsamen Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Kinder nahm auch der Zentrale Runde Tisch in sein Positionspapier au:f5•

Ein großes Problem stellte die Leistungsbeurteilung dar, da Lehrer und Schulen nach ihrer Notengebung bzw. nach dem erreichten Notendurchschnitt der Klasse bzw. der Schule beurteilt wurden. Der administrative Druck zur Manipulierung der Notendurchschnitte hatte zu einer Inflation guter und sehr guter Zensuren geführt, die nach allgemeiner Vorstellung beendet werden sollte. Ebenso sollte geprüft werden, ob die Abschaffung der Notengebung in den ersten beiden Schuljahren möglich wäre66•

Es gab auch Reformvorschläge, die den besonderen Interessen ihrer Adressaten entsprachen und über die kein weitergehender Konsens bestand. Ein solcher Vorschlag war die (Wieder-) Einführung eines schulgebundenen religionskundliehen oder Religionsunterrichts. So wurde in der Erklärung der katholischen Laienbewegung der DDR zum Tagesordnungspunkt Bildung bei der Sitzung des Zentralen Runden Tisches am 5. März 1990 darauf verwie­sen, daß bereits die Verfassung der DDR von 1949 das Recht der Kirchen, in den Räumen der Schule Religionsunterricht zu erteilen, gewährleistet habe.

64

65

66

48

Vgl. Positionen und Vorschläge zur Weiterentwicklung des polytechnischen Unterrichts 1990; Fragen zur Weiterentwicklung des polytechnischen Unterrichts 1990; Standpunkte und Vorschläge zur weiteren Umsetzung der Lehrpläne für den polytechnischen Unterricht der Klassen 7 bis 12 1990. Vgl. Hörner 1990, S. 37; Fischer 1992, S. 110; ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1/90, s. 2. Dies waren Vorschläge von NDPD und Demokratischer Aufbruch; vgl. Fischer 1992, s. 112f.

Page 47: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Eine solche Regelung sollte auch in einerneuen DDR-Verfassung wieder ent­halten sein67• Aussagen zum Religionsunterricht waren in dieser Form bei Parteien und Oppositionsgruppen zunächst nicht vorzufinden. Soweit in Posi­tionspapieren oder Programmentwürfen auf diese Frage Bezug genommen wurde, geschah dies eher im Sinne der Forderung, im Zusammenhang mit ethischen oder sozialen Fragestellungen auch religionskundliehe Aspekte zu behandeln68.

Auch die inneren Verhältnisse im Schulwesen waren Gegenstand von Re­formvorschlägen. Viele bildungspolitische Veröffentlichungen enthielten For­derungen nach erweiterten Mitsprache- und Mitbestimmungsrechten für Schüler, Eltern und Lehrer in unabhängigen Interessenvertretungen oder nach einer grundlegenden Neufassung der Schulordnung69. Der Demokratische Aufbruch setzte sich für demokratische Mitbestimmung durch Schülerräte und Schulzeitungen sowie ein elterliches Vetorecht bei organisatorischen und konzeptionellen Veränderungen in Schulen ein; die Deutsche Forumpartei wollte ganz allgemein eine demokratische Schule, in der das Einüben demo­kratischer Verhaltensweisen möglich sein sollte70•

Die Stärkung des Elternrechts in der Erziehung und bei der Bestimmung des Bildungsweges der Kinder fand sich im größten Teil der seit dem Herbst 1989 veröffentlichten Positionspapiere und politischen Programme 71 • Die beiden Unionsparteien der DDR, CDU und DSU, machten sich für die Ver­wirklichung einer Forderung besonders stark, die nach ihrer Ansicht einer verfassungsmäßigen Verankerung bedurfte: "Das Grundrecht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen"72 und die Betonung der Priorität elter-

67

68

69

70

71

72

Vgl. Meyer, H. J. 1990, S. 120. Die DDR-CDU sprach sich in ihrem Programmentwurf zur Volkskammerwahl dafür aus, daß, "etwa im Rahmen eines Faches 'Menschen- und Sozialkunde'" (BA 14/1990, S. 15) auch Kenntnisse über die Weltreligionen vermittelt werden sollten. Die DSU formulierte in ihrem Grundsatzprogramm: "Die Schule soll den Fragen nach dem Sinn des Lebens nicht ausweichen und den jungen Menschen helfen, einen Standpunkt zu Religion und Ethik zu finden"; BA 14/1990, S. 22. Vgl. hierzu das Grundsatzprogramm der westdeutschen CDU vom Oktober 1978: "Die Schule soll dem jungen Menschen helfen, einen religiösen und ethischen Standpunkt zu finden. Sie darf seinen Fragen nach dem Sinn des Lebens nicht ausweichen"; Grundsatzprogramm der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Beschlossen auf dem 26. Bundesparteitag. Ludwigshafen, 23.-25. Oktober 1978, S. 17. Vgl. ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1/90, S. 2 (Zentraler Runder Tisch); BA 8/1990, S. 6 (DBD), S. 14f. (Demokratischer Aufbruch), S. 31 (LDPD); S. 34 (Neues Forum); S. 46 (SPD); BA 1411990, S. 15 (CDU), S. 37 (Grüne Partei); als Beispiel für Ansätze jüngerer Wissenschaftler der APW vgl. Hofmann!Tiedt­ke 1990, insb. S. 157ff. Vgl. Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 169f. Vgl. z.B. BA 8/1990, S. 31 (LDPD), S. 38 (PDS), S. 44ff. (SPD); BA 10/90, S. 12; BA 14/1990, S. 9f. (CDU); ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1/90, S. 2. DSU: Grundsatzprogramm, in: BA 1411990, S. 23.

49

Page 48: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

licher Erziehungsverantwortung vor jedem staatlichen Erziehungsanspruch führten zu Forderungen nach mehr Mitbestimmungsrechten für Eltern und Elternvertretungen in den Bildungseinrichtungen und einer gesetzlichen Ver­ankerung dieser Rechte 73•

Eine Forderung vieler Akteure war die Verlängerung der Abiturbildung. Die EOS galt als hochselektiv und der nur zweijährige Ausbildungsgang bis zur Hochschulreife allgemein als zu kurz74• Dies hatte auch das Volksbil­dungsministerium erkannt; in einem bereits am 8. November 1989 veröffent­lichten Diskussionsangebot wurde die Bewältigung der in der Abiturbildung aufgetretenen Probleme als unaufschiebbar bezeichnet. Nun sollte mit einer grundlegenden Erneuerung des Konzeptes die Leistungsfähigkeit der Hoch­schulvorbereitung erhöht werden, denn diese "kann sich nicht in der mehr oder weniger linearen Fortführung der lüklassigen polytechnischen Ober­schule erschöpfen'a5. Als Möglichkeit zur Verbesserung der Abiturbildung wurde in vielen Vorschläge die (Wieder-)Einführung der vierjährigen Ab­iturstufe ab Klasse 9 genannt; die SPD schlug die Einführung eines 13. Schul­jahres vor76•

In der bildungspolitischen Reformdiskusssionen tauchte auch der Wunsch nach Zulassung von Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft auf77 . Niemand bestritt ernsthaft, daß auch nichtstaatliche Schulen in einem überwiegend staatlich verantworteten Schulwesen ihren Platz hätten. In der Debatte um das Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft, das der Arbeit dieser Bildungs­einrichtungen ein rechtliches Fundament verleihen sollte, betonte der Vorsit­zende des Bildungsausschusses der Volkskammer, Konrad Eimer (SPD), daß Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft zwar ein wichtiges Element eines Schulwesens seien, daß staatlichen Schulen aber immer Vorrang einzuräumen sei und nichtstaatliche Bildungseinrichtungen daher nur in begrenztem Um­fang zuzulassen wären. Bei einem zu großen Angebot an nichtstaatlichen Schulen in einer Region könnten, so befürchtete Eimer, "Eltern sich schon wieder gezwungen sehen, ihre Kinder auf Schulen zu schicken, deren W eltan­schauung sie nicht teilen"78.

Das Monopol der staatlichen Jugendorganisationen war ein weiterer, wenig kontroverser Kritikpunkt "Null Bock auf FDJ?"79 fragte der Demo­kratische Aufbruch Jugendliche in einem Flugblatt vom Oktober 1989. Mit dieser Frage verbanden sich Forderungen nach Abschaffung des faktischen

73

74

75

76

77

78

79

50

Vgl. CDU: Umkehr in die Zukunft, in: BA 14/1990, S. 9. Vgl. Hörner 1990, S. 18. Standpunkte und Fragen zur Erneuerung der Schule, in: ND v. 8.11.1989. Vgl. BA 8/1990, S. 32 (LDPD), S. 36 (PDS), S. 43ff. (SPD); BA 14/1990, S. 57 (LDPD). Dies z.B. bei der Grünen Partei, der LDPD, der CDU und dem Demokratischen Aufbruch; vgl. BA 1411990, S. 15; S. 41; S. 55; BA 8/1990, S. 14. Sie können lediglich das Salz in der Suppe sein, in: ND v. 1.8.1990. Demokratischer Aufbruch: Flugblatt der Jugend, in: Rein (Hrsg.) 1989, S. 45.

Page 49: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Zwanges zur Mitgliedschaft in Pionierorganisation und FDJ sowie der Mög­lichkeit zur Gründung neuer, eigenständiger Jugendverbände, nach Abschaf­fung des Wehrunterrichts und der vormilitärischen Ausbildung und nach der Trennung von Bildung und ideologischer Indoktrination80. Die FDJ selbst war in dieser Phase nicht in der Lage, ihre Stellung als alleinige Vertreterirr der Jugend zur Disposition zu stellen. Ein Forderungskatalog, den das Sekretariat des Zentralrates der FDJ Anfang November 1989 veröffentlichte, enthielt all­gemein gehaltene Forderungen nach Mitbestimmungsmöglichkeiten der FDJ und der Pionierorganisation in allen Fragen, die Schüler betrafen, sowie nach Einbindung des FDJ-Sekretärs in den Pädagogischen Rat81 • Eine grundsätzli­che Diskussion der Rolle der FDJ im Bildungswesen und ihres Monopolan­spruches war aus ihrer Sicht offenbar nicht erforderlich. Die PDS plädierte in ihrem Programm zur Volkskammerwahl noch immer für die Beibehaltung ei­ner einheitlichen Kinderorganisation82. Andere Akteure verlangten hingegen dezidiert, die Tätigkeit der Kinder- und Jugendorganisationen in den Bil­dungseinrichtungen zu beenden83 und auch die Jugendweihe aus der Schule herauszulösen84•

Vorschläge zur Reform der Ausbildung und der Tätigkeit von Lehrern konzentrierten sich auf den Wunsch, die Lehrenden aus ihrer bisherigen Fremdbestimmung zu befreien: "Der Lehrerberuf soll aus seiner bisherigen Rolle als Erfüllungsgehilfe einer Kommandopädagogik heraustreten können und der Lehrer zum selbstbestimmten Partner im Lernprozeß werden"85 . Der Beruf des Lehrers und des Erziehers sollten von parteipolitischen Erwägun­gen frei sein. Nicht mehr die Zugehörigkeit zu einer Partei, sondern aus­schließlich fachliche und ethische Kriterien sollten die Auswahl des Lehrper­sonals bestimmen. Inhalt und Struktur der pädagogischen Ausbildung für Lehrer und Erzieher sollten neu geschaffen, Bevormundung, Diffamierung und Einschränkung der Entscheidungskompetenz bei Pädagogen nicht mehr zugelassen werden86. Eher berufsständisch argumentierte die Gewerkschaft

80

81

82

83

84

85

86

Vgl. a.a.O., S. 45f. Der Demokratische Aufbruch forderte in seinem Programm: "Die Bildungs- und Erziehungsarbeit in allen Einrichtungen muß unabhängig sein von jeglicher Ideologisierung. Das bedeutet: Organisationen, Parteien, Kir­chen und Militär sind räumlich und inhaltlich von der Schule zu trennen"; Pro­gramm des Demokratischen Aufbruchs vom 17.12.1989, in: BA 8/l990, S. 14. Vgl. Junge Welt v. 8.1l.l989, zit. nach: Anweiler 1990c, S. 14. Vgl. Fischer 1992, S. 114. Dies waren insbesondere Bündnis 90, die CDU und die dieser nahestehende Christlich-Demokratische Jugend (CDJ); vgl. BA 8/l990, S. 5; BA 14/1990, S. 4. SPD, CDU, Christlich-Demokratische Jugend (CDJ), Zentraler Runder Tisch; vgl. BA 8/1990, S. 5, S. 41; BA 1411990, S. 15; ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1/90, s. 2. SPD: Reform und Ausbau des Bildungswesens, in: BA 8/l990, S. 47. Vgl. BA 8/l990, S. 36 (PDS); BA 14/l990, S. 6 (Bündnis 90), S. 15 (CDU), S. 70 (LDPD); Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 172 (Grüne Partei).

51

Page 50: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Unterricht und Erziehung (GUE), die soziale Sicherheit und gewerkschaftli­che Rechte für ihre Klientel in den Vordergrund stellte87.

Andere Reformvorschläge bezogen sich auf das Niveau der Lehrerausbil­dung. So setzte sich die LDPD für die Verlagerung der Unterstufen- und Be­rufsschullehrerausbildung von Fachschulen an Universitäten und pädagogi­sche Hochschulen ein. Verschiedene Akteure äußerten die Forderung nach Schaffung neuer Berufsbilder wie dem des Schulpsychologen oder des Frei­zeitpädagogen 88.

2.1.5 Forderungen zur Reform der beruflichen Bildung

Bereits zu Beginn der Umbruchphase hatte sich das Staatssekretariat für Be­rufsbildung zur Reform der beruflichen Bildung geäußert. Es empfahl, das Fach Staatsbürgerkunde aus der Stundentafel der Berufsschulen zu entfernen und eine leistungsgerechte Notengebung einzuführen89. Einige politische Parteien unterbreiteten weitergehende Vorschläge. So sollten die Prinzipien der bisherigen Berufs- und Bedarfslenkung eingestellt und darüber hinaus ge­prüft werden, ob jeder Jugendliche dazu verpflichtet werden könne, eine Be­rufsausbildung zu absolvieren90. Praxisnähe und die Berücksichtigung indivi­dueller Interessen sollten wieder Kennzeichen der Berufsbildung sein und die freie Berufswahl als Grundrechtjedes Bürgers verankert werden. Verschiede­ne Akteure betonten die gemeinsame Verantwortung von Staat und Wirtschaft für die Berufsausbildung. Die Betriebe sollten ihren Nachwuchs wieder ei­genständig gewinnen und Facharbeiter ausbildungsadäquat einsetzen können. Bereits um die Jahreswende 1989/90 wurde die Einrichtung geeigneter For­men beruflicher Fort- und Weiterbildung im Hinblick auf die Einführung der sozialen Marktwirtschaft gewünscht. Neben den Forderungen nach Verände­rung der beruflichen Bildung gab es aber auch den Wunsch, bestimmte Ele­mente zu erhalten; die SPD und das Ministerium für Bildung sprachen sich beispielsweise für die Beibehaltung der Berufsausbildung mit Abitur aus91 •

Positionen zur Reform der Fachschulbildung blieben eher marginal. Die Arbeitsgruppe Bildung, Erziehung, Jugend des Zentralen Runden Tisches forderte, daß bis zur Verabschiedung neuer gesetzlicher Grundlagen der Planstellenbestand in Hoch- und Fachschulen nicht reduziert werden dürfe. Ferner sei es notwendig, "eine ausgewogene Konzeption zur Umstrukturie-

87

88

89

90

91

52

Vgl. BA 8/1990, S. 24. Vgl. BA 1411990, S. 66; Fischer 1992, S. 118. Vgl. Hörner 1990, S. 22. Eine Forderung der NDPD; vgl. Fischer 1992, S. 115. Vgl. BA 8/1990, S. 55 (SPD); BA 1011990, S. 23 (MfB); BA 14/1990, S. 24 (DSU); S. 64 (LDPD); Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 168.

Page 51: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

rung des gesamten Hoch- und Fachschulwesens"92 unter Einbeziehung der Gewerkschaften auszuarbeiten. Ausführlichere Aussagen zu den Fachschulen fanden sich bei der LDPD, die eine neue Gliederung und neue Aufgaben für die Fachschulen vorschlug, z.B. in den Bereichen Weiterbildung und Um­schulung oder in der Meisterausbildung; die Ausbildung pädagogischen Per­sonals wie Unterstufen- oder Berufsschullehrern sollte hingegen an Universi­täten oder Pädagogische Hochschulen verlegt werden. In den Thesen zur Bil­dungsreform schlug das Ministerium für Bildung die grundsätzliche Beibehal­tung der Fachschulen, jedoch mit stärkerer inhaltlicher Differenzierung und Profilierung, und die Möglichkeit des Übergangs von Fachschulabsolventen an Hochschulen vor93 •

2.1.6 Forderungen zur Reform des Hochschulwesens

Die Vorschläge zur Reform der Universitäten und Hochschulen schlossen sowohl die äußeren Rahmenbedingungen der Lehr- und Forschungstätigkeit als auch die Strukturen sowie Aspekte der inneren Hochschulverfassung ein. Eine der wichtigsten Forderungen war die nach Wiederherstellung der Hoch­schulautonomie, die die Freiheit der Lehre, der Forschung und des Studiums sowie die Rechte der Hochschulen auf Selbstverwaltung und Mitbestimmung in Gremien einschließen sollte. Der Zugang zu universitärer Bildung sollte grundsätzlich frei und nur von Leistung und Eignung abhängig sein; Stu­dienort und Fachrichtung sollten frei gewählt werden können94• Mit der Ein­stellung des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums bereits im Win­tersemester 1989/90 erfüllte sich schon zu Beginn der Umbruchphase eine der grundlegenden Forderungen der Oppositionskräfte, sie tauchte daher in deren Positionspapieren kaum noch auf. Vor allem sollten die Geisteswissenschaf­ten entideologisiert und die gesellschaftswissenschaftliche Forschung neu ge­staltet werden: "Die Gesellschaftswissenschaften müssen den Händen einer vom Leben widerlegten Ideologie entrissen werden"95 . Die CDU trat für die gesetzliche Verankerung der Hochschulautonomie, die Trennung von Hoch­schule und Partei(organisation), die Wiederherstellung der Ordinariate und die Schaffung von eigenverantwortlich durch diese zu nutzenden Handlungs­spielräumen ein96. Einige Reformvorschläge kehrten nicht nur in den Positi­onspapieren der politischen Parteien und Oppositionsgruppen, sondern auch

92

93

94

95

96

ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1/90, S. 4. Vgl. BA 10/1990, S. 28ff.; BA 14/1990, S. 65f.; Hochschulreform in der DDR, in: Der Tagesspiegel v. 28.1.1990. Vgl. z.B. BA 8/1990, S. 37 (PDS), S. 56 (SPD); BA 10/1990, S. 33 (MfB); BA 14/1990, S. 16 (CDU); ad hoc. H. 5/90, Sonderbeilage 1190, S. 1; Fischer 1992, S. 117; Hörner 1990, S. 28. DSU: Grundsatzprogramm, in: BA 14/1990, S. 24. Vgl. Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 168.

53

Page 52: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

in Veröffentlichungen von Hochschulangehörigen, Wissenschaftlern und Stu­denten wieder; gefordert wurden:

der Verzicht auf standardisierte Lehrinhalte; die Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Auswahl der Studenten durch die Hochschulen; die Beseitigung von staatlichem oder parteigebundenem Dirigismus in den Hochschulen; die Orientierung an internationalen Maßstäben bei akademischen Ab­schlüssen; eine Neustrukturierung der Hochschullandschaft unter Berücksichtigung auch regionaler Erfordernisse, und die Befreiung der Bildungsforschung von allen administrativen und ideologischen Einschränkungen97 •

Fachkompetenz und persönliches Engagement sollten zukünftig die aus­schließlichen Kriterien bei der Berufung des Lehrpersonals sein. Von den Universitäten und Hochschulen wurde ein Angebot an Weiterbildungsmaß­nahmen für Hoch- und Fachschulabsolventen erwartet, das den aktuellen Er­fordernissen entsprach98, und aktuell war Anfang 1990 die "Umstellun~ der Hoch- und Fachschulbildung auf die Bedingungen der Marktwirtschaft"9 .

2.1.7 Forderungen zur Reform des Forschungssektors

Am 1. November 1989 trat das Präsidium der AdW mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, in der es mit einer bislang nicht gekannten Offenheit Miß­stände im Wissenschafts- und Forschungssektor, aber auch in der Gesell­schaft allgemein anprangerte. Das AdW-Präsidium forderte, bei der Beset­zung von Ämtern nicht mehr die Parteizugehörigkeit als vorrangiges Auslese­kriterium heranzuziehen, die Planung von Formalismus und Gängelei zu be­freien und eigenverantwortliches Arbeiten zuzulassen. Hinsichtlich des Wis­senschafts- und Forschungssektors sollten der Stellenwert der Grundlagenfor­schung erhöht, die Effizienz der Forschung allgemein verbessert und die Wis­senschaftszusammenarbeit auf internationaler Ebene gefördert werden. Alle Veränderungen sollten einer Erneuerung des Sozialismus in der DDR die­nen100

97

98

99

Vgl. z.B. BA 8/1990, S. 56 (SPD); BA 1011990, S. 31 (MfB); BA 14/1990, S. 66 (LDPD); Fischer 1992, S. 117. Vgl. Musio1ek!Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 169 (DBD), S. 182 (DFP). Musio1ek!Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 184 (LDPD, BFD).

HK> V gl. Die Erneuerung des Sozialismus in der DDR fördern wir mit aller Kraft, in: ND v. 1.11.1989.

54

Page 53: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die Möglichkeit zur freien wissenschaftlichen Betätigung mit all ihren Facetten war ein in nahezu allen Positionspapieren geäußerter Wunsch. Freie wissenschaftliche Betätigung sollte:

die Zulassung eigenständiger Forschungstätigkeit innerhalb und außer­halb der Universitäten; die freie Publikation von Forschungsergebnissen und die Intensivierung des Meinungsaustausches; die Ermöglichung freien Zuganges zu Bibliotheken und Archiven, und

- die Zulassung auch nichtstaatlicher Forschungsinstitutionen einschließen 101 •

Angesichts vorliegender Erfahrungen mit der DDR-Wissenschaftspolitik zählte auch die Beendigung jeglicher staatlichen oder ideologischen Bevor­mundung zu den Reformwünschen; Forscher dürften sich "niemals dem Dik­tat der Politik oder einer Ideologie beugen"102• Wissenschaft sollte zukünftig in Forschung und Lehre unabhängig und von Parteiinteressen und administra­tiver Bevormundung frei sein103 • Weiterhin sollten der freie Zugang zu inter­nationalen Wissenschafts- und Forschungsergebnissen, die verstärkte Nut­zung internationaler Kooperationsmöglichkeiten, der Austausch von Wissen­schaftlern und internationale Zusammenarbeit in eigener Verantwortung der jeweiligen Forschungsstätten ermöglicht werden104• Die DSU verlangte, daß die "freie Publikation der Ergebnisse in allen Fachzeitschriften der Welt ( ... ) eine Selbstverständlichkeit für eine Wissenschaft auf Weltniveau"105 werden müsse.

Die Freiheit der Wissenschaft sollte aber mit Verantwortungsbewußtsein für deren Ergebnisse einhergehen. Insbesondere Bürgerrechtsgruppen nahmen Aussagen zur Verantwortlichkeit des Forschers für die von ihm erbrachten Forschungsergebnisse in ihre Positionen auf. Die Bindung der Wissenschaft an ethische Normen galt als ebenso notwendig wie die Möglichkeit, ihre Ein­haltung durch eine kritische Öffentlichkeit überprüfen zu können. Freie wis­senschaftliche Betätigung sollte nicht von der moralischen Verantwortung für Forschungsergebnisse getrennt sein. Das Neue Forum trat "für einen verant­wortungsbewußten Umgang mit Wissenschaft und Technik bei Schonung der Umwelt und Beachtung der Auswirkungen auf den Menschen"106 ein.

101 Vgl. Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 18lff. 102 Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 185 (SPD). 103 V gl. Für Freiheit in der Forschung und in der Lehre. Diskussionsangebot der

Partei des Demokratischen Sozialismus zu einer Reform der Wissenschaft in: ND V. 22.2.1990.

104 Vgl. Musio1ek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S. 181 (CDU), S. 182 (DFP). 105 A.a.O., S. 183. 106 A.a.O., S. 186.

55

Page 54: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

2.1.8 Forderungen zur Reform der Weiterbildung

Vorschläge zur Erneuerung der Weiterbildung unterbreiteten sowohl die Ar­beitsgruppe Volkshochschulen beim Ministerium für Bildung als auch eine Initiative Volkshochschulen, die sich aus im Volkshochschulbereich Tätigen zusammensetzte107. Die bisher überwiegend auf die Vermittlung formaler Qualifikationen und auf abfragbares Faktenwissen bezogene inhaltliche Kon­zeption sollte gemäß der dort unterbreiteten Diskussionsangebote eine stärke­re Ausrichtung an Persönlichkeitsbildung und Teilnehmerorientierung erhal­ten108. Andere Vorschläge stellten die Befähigung eines mündigen Bürgers, politische, ökonomische und historische Zusammenhänge zu verstehen und einzuordnen, als Ziel einer zeitgemäßen Erwachsenenbildung heraus. Berufli­che und nichtberufliche Weiterbildung sollten getrennt werden und Weiter­bildung weniger als bisher an beruflichen Verwertungsinteressen orientiert sein109.

Der Wunsch nach Sicherung einer angemessenen Zahl von Volkshoch­schulen und anderen Erwachsenenbildungseinrichtungen und die Betonung des Rechts jedes Menschen auf lebenslange Bildung waren häufig vorfindbare Forderungen, die im Zusammenhang mit einer Erneuerung der Erwachse­nenbildung gestellt wurden. Darüber hinaus gab es aber auch konkretere Vorstellungen für eine inhaltliche Neugestaltung dieses Bildungbereiches. Das Unterrichtsangebot sollte um mehr allgemein- und persönlichkeitsbilden­de Kurse, aber auch um kompensatorische und qualifikatorische Angebote erweitert werden - insbesondere hinsichtlich der zu erwartenden ökonomi­schen und sozialen Veränderungen. Hierzu wurden die Vermittlung von Qua­lifikationen für einen sich verändernden Arbeitsmarkt, Unterrichte zur sozia­len Marktwirtschaft oder Kurse in wichtigen EG-Sprachen gerechnet. Das Vordringen moderner Technologien in alle Lebensbereiche stellte eine Ent­wicklung dar, die die Teilnahme aller Menschen an allgemeiner wie an beruf­licher Weiterbildung erforderte110. Im Vergleich zu den Vorstellungen, die um die Jahreswende 1989/90 zu Reformen in den anderen Bildungsbereichen formuliert wurden, blieb die Diskussion im Weiterbildungsbereich eher rand­ständig111.

107 V gl. Grundpositionen zur Erneuerung der Volkshochschulen, in: DLZ. Nr. 13/1990; Lebenslange Bildung für alle sichern, in: DLZ. Nr. 32/1990.

108 Vgl. a.a.O. 109 Dies war eine Forderung der SPD; vgl. Hörner 1990, S. 36; Fischer 1992, S. 119. 110 Vgl. BA 1011990, S. 24f.; BA 14/1990, S. 58; Musiolek/Wuttke (Hrsg.) 1991, S.

171f. (FDP). !II Vgl. Fischer 1992, S. 119.

56

Page 55: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

2.1.9 Zu den Forderungen und Vorschlägenfür eine Reform des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems

Die zwischen dem Herbst 1989 und dem Frühjahr 1990 erhobenen Forderun­gen zu einer Reform des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems bele­gen die außerordentliche Breite der Diskussion hinsichtlich der beteiligten Akteure, aber auch hinsichtlich der Themenvielfalt Seit dem Herbst 1989 konnten Parteien und politische Gruppen, die Bürgerrechtsbewegung, Wis­senschaftler aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Angehörige der Bildungsverwaltung, die Kirchen und viele unmittelbar Betroffene - Lehrer, Erzieher Eltern und Schüler, Lehrlinge und Ausbilder, Studenten und Hoch­schulangehörige - offen und öffentlich jene Diskussion um die Erneuerung des Bildungswesens führen, die sie sich wenige Monate zuvor im Rahmen des IX. Pädagogischen Kongresses erhofft hatten. Die Forderungen nach Verän­derung sparten keinen der im Zusammenhang mit Bildung und Erziehung dis­kutierbaren Aspekte aus. Gegenstände der Kritik waren die allgemeine kultu­rell-erzieherische Funktion des Staates, die Strukturen des einheitlichen so­zialistischen Bildungssystems von der Vorschulerziehung bis zur Weiterbil­dung sowie rechtliche, organisatorische und inhaltliche Fragen. Umfang und Tiefe der Auseinandersetzung mit den einzelnen Bildungsbereichen waren aber sehr unterschiedlich. Im Mittelpunkt der Diskussion stand das allge­meinbildende Schulwesen. Aspekte des Hochschulwesens und Fragen der Vorschulerziehung fanden ebenfalls eine relativ breite öffentliche Resonanz in der Reformdiskussion. Von eher nachrangiger Bedeutung schienen hinge­gen die berufliche Bildung, die Fachschulen und die Weiterbildung. Mit vie­len Vorschlägen war die Forderung nach einer Neuordnung der rechtlichen Grundlagen verbunden.

Die Auswertung der Veröffentlichungen verdeutlicht, daß für die Mehr­zahl der Akteure inhaltliche Fragen, d.h. die innere Reform der Bildungsein­richtungen, Erziehungsfragen und Bildungsinhalte im Vordergrund standen. Strukturelle Veränderungen schienen zweitrangig, wenn auch in einigen Be­reichen wie der Abiturbildung, der Weiterbildung oder hinsichtlich der Zulas­sung nichtstaatlicher Bildungseinrichtungen weitgehender Konsens über die Notwendigkeit auch struktureller Reformen herrschte. Bis zur Volkskammer­wahl im März 1990 forderte nur die CDU die Einführung eines gegliederten Schulwesens. Nahezu allen Akteuren gemein war die Forderung, den allum­fassenden erzieherischen, lenkenden und kontrollierenden Einfluß von Staat und SED in den Bildungseinrichtungen zurückzudrängen; dies schloß staat­lich gelenkte Erziehungs- und Sozialisationsagenturen wie die Kinder- und Jugendorganisationen und die Jugendweihe ein. Ganz allgemein stand hinter diesen Forderungen der Wunsch nach Gewährung von Freiheitsrechten im Bildungswesen. Von der Wiedererlangung des elterlichen Erziehungsprimats über die Möglichkeit einer nur rationalen Kriterien unterworfenen Steuerung

57

Page 56: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

des Zuganges zu Bildungsgängen bis hin zu Mitentscheidungs- und Mitgestal­tungsrechten für Schüler, Lehrlinge, Studenten, Eltern und die im Bildungs­wesen Tätigen ging es in fast allen V arschlägen darum, den von institutiona­lisierter Bildung und Erziehung Betroffenen Einflußmöglichkeiten einzuräu­men. Häufig war mit diesen Forderungen die Aufforderung an den Staat ver­bunden, alle Bildungs- und Erziehungsangebote finanziell abzusichern.

Im Vorschulbereich sollten die bereits hier einsetzende sozialistische Er­ziehung eingestellt und anstelle formalisierter Lernprogramme neue Entfal­tungsmöglichkeiten durch freies Spiel und Kommunikation geschaffen wer­den. Strukturell wurde die Entstaatlichung der Trägerschaft zugunsten der Kommunen und freier Träger (Trägerpluralismus) angestrebt. Die Analyse der Reformdiskurse zeigt indes, daß viele Akteure dazu neigten, staatlichen Institutionen umfassende Gewährleistungspflichten aufzuerlegen, die Frage der Finanzierung dieser Leistungen jedoch zu vernachlässigen. Durch Siche­rung eines flächendeckenden Angebotes an Kinderbetreuungseinrichtungen, im allgemeinbildenden Schulwesen, in der beruflichen Bildung und im Hoch­schulhereich sollte der Staat ein unentgeltliches Angebot an Bildungsmög­lichkeiten für alle bieten112•

In der Schulreformdebatte ging es vornehmlich um erzieherische, me­thodische und didaktische Aspekte der Unterrichtsgestaltung und um die Ge­währleistung von Mitentscheidungsmöglichkeiten. Strukturelle Veränderun­gen sollten hingegen auf die Abiturbildung und auf die inhaltliche Differen­zierung in den allgemeinbildenden Schulen beschränkt bleiben. Die Forde­rung nach Einführung des unterrichtsfreien Samstages fand zeitweilig ein an­gesichts ihrer im Vergleich zu anderen Fragen eher nachrangigen Relevanz erstaunlich breites öffentliches Echo.

Bei vielen Themen der ostdeutschen Akteure war um die Jahreswende 1989/90 ein hohes Maß an Übereinstimmung mit den Vorstellungen ihrer westdeutschen Pendants zu erkennen. Um einige Beispiele zu erwähnen: Die Grüne Partei forderte Umwelterziehung in den Schulen ein, die FDP die In­tensivierung der bereits bestehenden Begabtenförderung, die SPD die Einfüh­rung von Gesamtschulen und die CDU ein gegliedertes Schulwesen. Einig waren sie sich aber nahezu alle Gruppen in der Forderung, zukünftig die Ju­gendorganisationen von den schulischen und beruflichen Bildungseinrichtun­gen fernzuhalten und die Jugendweihe als schulische Veranstaltung fallenzu­lassen. Viele Vorschläge lassen sich in der Formel 'weniger Ideologie - mehr

112 Etatismus und Versorgungsmentalität waren Folge des vierzigjährigen staatlichen Bemühens, die Bürger, wenn auch auf z.T. niedrigem materiellen Niveau, von jeglichem sozialen und materiellen Lebensrisiko freizustellen. Daß diese Form der Sozialpolitik faktisch einer Entmündigung des Individuums gleichkam (vgl. Henrich 1989) und überdies wesentlich zum 1989 unmittelbar bevorstehenden Staatsbankrott der DDR beitrug, fand in solchen Vorstellungen offenbar wenig Berücksichtigung. Nicht übersehen sollte man allerdings, daß solche Vorstellun­gen der deutschen Sozialstaatstradition entsprechen.

58

Page 57: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Leistung' zusammenfassen. Solche Forderungen fanden sich in Programmen und Positionspapieren politischer Parteien, seltener hingegen bei Oppositions­und Bürgerrechtsgruppen.

Die Fachschulbildung spielte keine wichtige Rolle in der Reformdiskus­sion; nur wenige Akteure äußerten sich zu Reformen im Fachschulwesen. In­sofern fällt der Vorschlag der LDPD nach Integration der Unterstufen- und Berufsschullehrerausbildung in Universitäten und Pädagogische Hochschulen auf. Diese alte Forderung nach einer Ausbildung aller Lehrer auf Hochschul­niveau wurde nach der Vereinigung verwirklicht und hatte erhebliche Aus­wirkungen auf die Fachschullandschaft, da ein nicht unerheblicher Teil der Fachschulkapazitäten der Lehrerausbildung diente.

Die Zurückdrängung des staatlichen Einflusses im Hochschulwesen und das Wiederanknüpfen an universitäre Traditionen, für die der Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre stand, waren die Kernforderungen für eine Reform des Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungssektors. Damit stan­den auch in diesem Bildungsbereich inhaltliche und innere Aspekte im Vor­dergrund der Reformdiskussion. Der Wunsch nach einer von der FDJ unab­hängigen Interessenvertretung entwickelte sich in der Studentenschaft hinge­gen eher zaghaft. Auch die Forderung nach einer strukturellen Veränderung der sehr ungleich über die Bezirke verteilten Hochschulstandorte tauchte in dieser Phase nur vereinzelt auf. Vor allem überrascht, daß die Ablösung von Angehörigen des Lehrkörpers, welche die Linie der SED besonders offensiv vertreten oder in Ideologiefächern (Wissenschaftlicher Kommunismus, Mar­xistisch-Leninistische Philosophie) gelehrt hatten, kaum eine Rolle spielte.

Der Weiterbildungsbereich stand nicht im Mittelpunkt der Kritik. Auf­grund der geringen Zahl vorgefundener Äußerungen ist eine Generalisierung der Vorschläge nicht zulässig; eine Reformdiskussion wie in den anderen Bil­dungsbereichen fand nicht statt. Immerhin ließen sich gewisse Tendenzen er­kennen. Auch hier rangierten Vorschläge zur inhaltlichen Neugestaltung und zur methodisch-didaktischen Verbesserung der Angebote (z.B. Teilnehmero­rientierung) vor solchen nach struktureller Neugestaltung. Damit verbunden war der Wunsch, eine politische Bildung zu ermöglichen, die nicht mehr ein­seitig ideologisch determiniert sein sollte. Einige Akteure forderten auch eine klarere Trennung der Angebote mit unmittelbarer beruflicher Verwertungso­rientierung von eher persönlichkeitsbildenden Programmen.

Die Diskussionen im Herbst/Winter 1989/90 verdeutlichten das Bedürf­nis nach einer kritischen Analyse des bestehenden Volksbildungswesens und nach öffentlichem Meinungsstreit über die Wege zu seiner Verbesserung. In der Phase vor der vorgezogenen Volkskammerwahl veränderte sich die Bil­dungsdebatte dahingehend, daß die bildungspolitisch relevanten Akteure sich nun deutlich zu der von ihnen zukünftig angestrebten strukturellen und in­haltlichen Gestaltung des Bildungssystems äußern mußten. Im Wahlkampf verstärkte sich der Einfluß westdeutscher Akteure, insbesondere der politi-

59

Page 58: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

sehen Parteien und der Interessenverbände auf die Reformdiskussion in der DDR. Die bildungsprogrammatischen Aussagen insbesondere derjenigen Parteien und Gruppen, die über einen Partner in Westdeutschland verfügten, lehnten sich hier schon weitgehend an die jeweiligen westdeutschen Positio­nen an113.

Die bildungspolitische Reformdiskussion setzte sich mit veränderten Vorzeichen nach der Volkskammerwahl fort. Waren die Debatten des Herb­stes 1989 noch durch eine Fülle von Beiträgen gekennzeichnet, mit denen Einzelpersonen, Interessengruppen, kleinere Initiativen, Lehrerkollegien usw. an die Öffentlichkeit traten, so nahmen die Vertreter organisierter Interessen im Verlauf des Jahres 1990 Schritt für Schritt einen größeren Raum in der öf­fentlichen Debatte ein. Zu ihnen zählten neben den politischen Parteien und den inzwischen etablierten Oppositionsgruppen die Verbände und Interessen­vertretungen der im Bildungswesen tätigen Personen. Auch die Bildungs- und Wissenschaftsadministration überwand unter ihrer neuen Leitung ihre zeit­weilige Sprachlosigkeit und verstand es, den Gang der Ereignisse wieder maßgeblich mitzubestimmen. Zwar existierte auch nach der Volkskammer­wahl noch ein breites Interesse an Bildungsfragen in der Bevölkerung; Peri­odika wie die Deutsche Lehrerzeitung, Fachzeitschriften oder die Tagespresse gaben diesen entsprechenden Raum. Die Debatte über die Ziele und Gegen­stände der Bildungsreform verlagerte sich mehr und mehr auf die genannten politischen Akteure. Ein Grund für diese Entwicklung kann in dem seit An­fang 1990 stetig zunehmenden Einfluß westdeutscher Akteure auf die Re­formdiskussion in der DDR gesehen werden. Seit der Jahreswende 1989/90 beobachteten westdeutsche politische Parteien und Politiker, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Lehrer- und Hochschullehrerverbände sowie Bil­dungs- und Wissenschaftsorganisationen nicht mehr nur die sich verändernde Bildungslandschaft der DDR, sondern versuchten, in zunehmendem Maße auf die Entwicklung Einfluß zu nehmen. Gleichzeitig wandte sich das öffentliche Interesse nach den Wahlen stärker anderen politischen Themen zu.

113 Vgl. hierzu auch HofmanniSoder 1991, S. 193ff.

60

Page 59: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

2.2 Stellungnahmen und Forderungen westdeutscher Akteure zur Reform des Bildungs- und Wissenschaftssystems

2.2.1 Allgemeine Stellungnahmen und Forderungen

Die politisch und gesellschaftlich relevanten Akteure in der Bundesrepublik Deutschland verfolgten die Ereignisse, die im Herbst 1989 zur 'Wende' führten, mit großer Aufmerksamkeit. Der Mangel an konzeptioneller Vorbe­reitung und die zunächst nicht abschätzbare Reaktion der Sowjetunion auf die politische Entwicklung in der DDR erforderten seitens der Bundesrepublik Deutschland Zurückhaltung und abwartendes Vorgehen. Nachdem Bundes­kanzler Kohl am 28. November 1989 mit dem Zehn-Punkte-Plan an die Öf­fentlichkeit getreten war, bemühten sich die westdeutschen politischen Akteu­re um eine Verbesserung ihrer Kontakte mit den jeweiligen 'Gegenstellen' der DDR. Erste Vorschläge zu einer vertieften Zusammenarbeit beider deut­scher Staaten bezogen sich auf die bereits bestehenden Vereinbarungen114• In bezug auf die Bereiche Bildung und Wissenschaft handelte es sich hierbei um das Kulturabkommen vom Mai 1986115 und das Abkommen über wissen­schaftlich-technische Zusammenarbeit (WTZ-Abkommen) vom September 1987116• Aufgrund der um die Jahreswende 1989/90 noch ungeklärten deutschlandpolitischen Situation waren die offiziellen westdeutschen Ge­sprächsangebote überwiegend auf diese Ebene beschränkt. Bei ihrem ersten Zusammentreffen behandelten der Bundesminister für Bildung und Wissen­schaft (BMBW) Jürgen Möllemann und der Minister des im November 1989 neugebildeten Ministeriums für Bildung und Jugend der DDR Hans-Heinz Emons im Januar 1990 Fragen zur Erweiterung der Kontakte und zur Vertie­fung der Zusammenarbeit beider deutscher Staaten im Bildungs- und Wissen­schaftsbereich. Möllemann sah allgemeinen Reformbedarf in den Bereichen berufliche Bildung, Hochschulen und Weiterbildung117 . Im Februar 1990 wurde er bereits konkreter, als er in der Kultusministerkonferenz (KMK) grundlegende Reformen im DDR-Bildungssystem als eine der wesentlichen

114 Ausgewählte Dokumente, die die Vorschläge und Forderungen westdeutscher Akteure zur Bildungsreform in der DDR widerspiegeln, finden sich in Fuchs/Reuter (Hrsg.) 1995; vgl. insb. S. 172ff.

115 V gl. Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über kulturelle Zusam­menarbeit vom 6.5.1986, in: BGBI. li, S. 709.

116 V gl. Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die Zusammenar­beit auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik vom 8. September 1987, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.) 1988, S. 211.

117 Vgl. BMBW: Presseinformation v. 12.1.1990.

61

Page 60: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Voraussetzungen für den Prozeß der Erneuerung in der DDR bezeichnete und Reforminitiativen in allen Bereichen des Bildungssystems anmahnte. Die Neustrukturierung der Bildungsangebote zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung, ihre Anpassung an westliche Standards und die Neugestal­tung von Bildungsgängen bezeichnete er als Felder, in denen schnelle Ver­besserungen notwendig seien. Reformbedarf wäre auch in der beruflichen Bildung, an den Hochschulen, im allgemeinbildenden Schulwesen und in der Weiterbildung vorhanden, und es bedürfte gemeinsamer Gremien zur Erörte­rung drängender Probleme. Nach einem Gespräch mit dem Minister für Wis­senschaft und Technik Klaus-Peter Budig am 23. Februar 1990 erklärte Möl­lemann, es wachse "in der Ost-Berliner Regierung die Einsicht in die Not­wendigkeit, das gesamte Bildungswesen von Grund auf zu erneuern und auch die Hochschulen in diesen Veränderungsprozeß einzubeziehen"118. Ein für die westdeutsche Seite ernstes Problem stellte die befürchtete Abwanderung von Auszubildenden, Studenten und Lehrpersonal in die Bundesrepublik Deutsch­land dar. Um diese Entwicklung zu verhindern, wollte der Bundesbildungs­minister Reformen insbesondere in der beruflichen Bildung und im Hoch­schulwesen verwirklicht sehen119.

Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsför­derung (BLK) beriet auf ihrer 72. Sitzung am 11. Dezember 1989 über die Konsequenzen aus der Entwicklung in der DDR für Bildung und Wissen­schaft. Als Ziel künftiger Arbeit beschloß sie Hilfen zur Stärkung der Infra­struktur des DDR-Bildungs- und Wissenschaftsbereiches120. Auch die Kul­tusministerkonferenz befaßte sich seit der Jahreswende 1989/90 intensiv mit der Situation in der DDR und deren Auswirkungen auf das westdeutsche Bil­dungswesen. In ihrer Sitzung vom 15. und 16. Februar 1990 erklärte sie ihr Interesse an einer gemeinsamen Kultusministerkonferenz mit wiederbegrün­deten Ländern in der DDR. Über dieses Angebot und die gleichzeitige Forde­rung nach Intensivierung bestehender Kontakte hinaus formulierte die KMK zu diesem Zeitpunkt noch keine konkreten Reformvorstellungen. Im Vorgriff auf eine erwartete größere Zahl an Übersiedlern, die in westdeutschen Bil­dungseinrichtungen eine Ausbildung fortsetzen oder aufnehmen wollten, leite­te die KMK eine Überprüfung der in der DDR vergebenen Schulabschlüsse und Qualifikationen ein. Möglichkeiten der Studienförderung für Studierende aus der DDR sollten ebenso geprüft werden wie die Anerkennung von DDR­Studienleistungen 121 •

11 R BMBW: Presseinformation v. 16.2.1990; vgl. auch Presseinformation v. 23.2. 1990.

119 Vgl. BMBW: Pressemitteilung v. 4.4.1990. 120 Vgl. BLK: Pressemitteilung v. 11.12.1989. 121 Vgl. KMK: Pressemitteilung v. 19.2.1990 über die 247. Plenarsitzung vom

15./16. Februar 1990.

62

Page 61: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die GEW setzte sich Anfang April 1990 dafür ein, daß die neuzubilden­den Länder auf dem Territorium der DDR die Kulturhoheit erhalten sollten, um in der Bildungspolitik eigenständige Wege gehen zu können. Damit ver­band sie die Aufforderung an die bildungspolitisch Verantwortlichen, "in der bildungspolitischen Entwicklung der DDR nicht nur auf Imitation der Bun­desrepublik zu setzen"122. Hierfür plädierte auch die SPD in einer Ende März 1990 in Hannover verabschiedeten Erklärung. Zugleich sprach sie sich dafür aus, im Bildungswesen der DDR wieder das föderative System einzufüh­reni23

Die BLK veröffentlichte im Juni 1990 einen Beschluß zur Unterstützung des Erneuerungsprozesses in der DDR. Er enthielt einen detaillierten Aufga­benkatalog, aus dem der Reformbedarf in Bildung und Wissenschaft und die daraus abzuleitenden Aufgaben für die jeweils zuständigen westdeutschen Akteure hervorgingen. Die BLK erwartete, daß es zu einer Dezentralisierung der bildungspolitischen Kompetenzverteilung in der DDR kommen würde und listete kurzfristig zu realisierende Unterstützungsmaßnahmen für alle Be­reiche von der Vorschulerziehung bis zur Weiterbildung auf124•

2.2.2 Stellungnahmen und Forderungen zur Umgestaltung des Vorschulbereiches und des allgemeinbildenden Schulwesens

Zum Vorschulbereich und zum allgemeinbildenden Schulwesen haben sich die westdeutschen Akteure nur in eingeschränktem Maß geäußert. Zum einen waren bis zum Regierungswechsel nach der Volkskammerwahl vom März 1990 schon grundlegende Veränderungen im allgemeinbildenden Schulwesen erfolgt. Zum anderen hatte die DDR-Regierung angekündigt, wieder Länder einzuführen und die Kulturhoheit an diese zu übertragen. Hieraus resultierte, daß eine grundlegende Neugestaltung des Schulwesens den neuen Ländern zu überlassen war und deren Regelungskompetenz nicht durch ein zu großes Maß an Vorgaben eingeschränkt werden sollte. Viele der westdeutschen Ak­teure, insbesondere die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen sowie die Lehrerverbände zielten mit ihren Äußerungen daher schon im Frühjahr 1990

122 GEW-Pressedienst v. 2.4.1990. Schon im Februar 1990 hatte der GEW-Vorsit­zende Dieter Wunder behauptet, daß sich bereits jetzt alle politischen Kräfte der Bundesrepublik in der DDR einmischten; er begründete dies mit "dem Vakuum, das die SED-Diktatur hinterlassen hat" (Wunder 1990). Gleichzeitig schätzte er die Phase einer weiter bestehenden deutschen Zweistaatlichkeit als kurz ein. Dies diente ihm als Begründung für die bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgende Inter­essenartikulationder GEW für den Prozeß des Zusammenwachsens beider deut­scher Staaten.

123 Vgl.: Gesamtdeutscher Bildungsrat soll "Bildungsunion" vorbereiten, in: Zwei­wochendienst H. 6/1990, S. 5.

124 Vgl. BLK 1990.

63

Page 62: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

erkennbar auf die Phase nach der staatsrechtlichen Vereinigung und versuch­ten bereits zu diesem Zeitpunkt, ihre Forderungen für die nach der Vereini­gung erfolgende weitergehende Umgestaltung des Schulwesens in den ree­tablierten Ländern anzumelden.

Die wenigen westdeutschen Stellungnahmen zur Vorschulerziehung un­terschieden sich in ihrer Zielrichtung erheblich. Während sich Politiker ver­schiedener Parteien im Verlauf des Jahres 1990 insbesondere für die Erhal­tung des in der DDR vorhandenen Versorgungsgrades mit Krippenplätzen einsetzten, gab es auch sehr pointiert vorgetragene Forderungen nach Auflö­sung der Kinderkrippen, die wesentlich auf Stellungnahmen eines Professors für Kinderheilkunde der Universität Mainz beruhten125. Das von der BLK im Juni 1990 veröffentlichte Papier zu Konsequenzen aus den Entwicklungen in der DDR für den Bereich Bildung und Wissenschaft126 enthielt Vorschläge zur Zusammenarbeit mit der DDR in der vorschulischen Erziehung und im allgemeinbildenden Schulwesen. Es bezeichnete den sozialistischen Bil­dungsauftrag der Vorschuleinrichtungen und deren Iernziel- und disziplinori­entierte pädagogische Grundkonzeption als problematisch. Überdies entsprä­chen die vorhandenen baulich-räumlichen Voraussetzungen nicht den Be­dürfnissen der Altersgruppe. Die Fortbildung des in den Kinderbetreuungs­einrichtungen eingesetzten Fachpersonals, die Unterstützung bei der Erneue­rung der Fachliteraturbestände sowie Hilfen bei der infrastrukturellen Verbes­serung der Kinderbetreuungseinrichtungen sah die BLK als vorrangig an127•

Hinsichtlich des Schulwesens stellte sie die bisherige Ausrichtung der Erzie­hung von Kindern und Jugendlichen auf ein sozialistisches Menschenbild als eines der unmittelbar zu lösenden Kernprobleme heraus. Weiterhin kritisierte sie die mangelnde inhaltliche und leistungsmäßige Differenzierung und Indi­vidualisierung im Unterricht, ungenügende Möglichkeiten für Schulen und Lehrer zur eigenverantwortlichen Gestaltung des Unterrichts, die einseitige Orientierung des Fremdsprachenangebots, die überwiegend auf Reprodukti­onsleistungen ausgerichtete Didaktik und die eingeschränkten Zugangsmög­lichkeiten zur Hochschulreife. Aus dieser Mängelliste entwickelte die BLK einen Aufgabenkatalog für westdeutsche Institutionen und Administrationen, der neben allgemeinen Beratungs-, Kooperations- und Unterstützungsangebo­ten insbesondere den Austausch von Fachkräften für Bildung und Bildungs-

125 Vgl. z.B. Ursula Lehr: Nicht Abbau von Kinderbetreuungseinrichtungen sondern Ausbau der Qualität lautet die Devise, in: BMJFFG: Pressemitteilung v. 12.4. 1990; West-Ministerinnen treten für Kinderkrippen in der DDR ein, in: FR v. 13.8.1990; Krippen ohne Wert, in: F.A.Z. v. 18.6.1990. Vgl. auch Am Krippen­wesen der Ex-DDR ist nichts erhaltenswert, in: Welt am Sonntag v. 18.11.1990. In diesem von dem genannten Prof. Johannes Pechstein verfaßten Artikel faßt dieser nochmals seine Argumente gegen den Erhalt der Kinderkrippen zusam­men.

126 Vgl. BLK 1990. 127 Vgl. BLK 1990, S. 6f.

64

Page 63: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

verwaltung vorsah, die eine Reform des Schulwesens auf folgenden Feldern unterstützen sollten:

beim Aufbau einer demokratischen Verwaltung; bei der Erarbeitung neuer Rechtsvorschriften zur Mitwirkung von Schü­lern, Eltern und Lehrern in schulischen Angelegenheiten; bei der Gestaltung neuer Strukturen im allgemeinbildenden Schulwesen, insbesondere hinsichtlich der ersten Schuljahre, der Oberstufe und der inhaltlichen Differenzierung; bei der Erarbeitung pädagogischer Konzeptionen; bei der Neuformulierung der didaktischen Grundlagen für ausgewählte Fächer wie Deutsch, Geschichte oder Erdkunde sowie neue Fächer wie Umwelterziehung, und im Bereich derLehreraus-und -fortbildung128 .

Die Reform des Fremdsprachenunterrichts sowie der Fächer Geschichte, Politik und Literatur hatte der Bundesbildungsminister schon im Februar 1990 als notwendig bezeichnet129• Im übrigen hielt sich das Bundesbil­dungsministerium mit Äußerungen zum allgemeinbildenden Schulwesen der DDR zurück, wie dies der bildungspolitischen Kompetenzverteilung der Bundesrepublik entsprach. Auch die KMK, die für die westdeutschen Länder mit einer Stimme hätte sprechen können, hielt sich mit Reformforderungen zurück. Nach der Übernahme der Amtsgeschäfte durch die Regierung de Maiziere begrüßte sie in einer Stellungnahme, daß die Etablierung einer föde­ralen Struktur für die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Kultur analog zur Kompetenzverteilung in der Bundesrepublik geplant wäre. Weitere Verlaut­barungen der KMK gingen zunächst nicht über Angebote zur Zusammenar­beit und Unterstützung hinaus130• Im Gegensatz hierzu äußerten sich Bil­dungspolitiker einzelner Länder bisweilen sehr pointiert zu Reformen im DDR-Bildungswesen, so der hessische Kultusminister Christean Wagner (CDU), der in einer Stellungnahme zum KMK-Beschluß vom 15./16. Februar 1990 erklärte, die DDR könne nun von der sozialistischen Einheitsschule Ab­schied nehmen, sie sollte statt dessen ein vielfältiges Bildungswesen gewähr­leisten, zu dem auch Schulen in freier Trägerschaft gehörten 131 • Hinsichtlich einer eigenständigen, nicht an der Übernahme westdeutscher Strukturen und Inhalte orientierten Reform des DDR-Schulwesens hieß es im März 1990 in einer vom Deutschen Hochschulverband und dem Deutschen Lehrerverband veröffentlichten Stellungnahme, für die DDR gebe es hier "keinen dritten

128 Vgl. BLK 1990, S. 8ff. 129 Vgl. BMBW: Presseinformation v. 16.2.1990. 130 Vgl. KMK: Pressemitteilungen v. 19.2., 10.5. und 8.6.1990. 131 Vgl. KMK: Pressemitteilung v. 19.2.1990; Gemeinsam mit dem Einheitsstaat

nun auch die Einheitsschule verabschieden, in: Die Welt v. 7.2.1990; Hessisches Kultusministerium. Pressemitteilung v. 16.2.1990; Pressemitteilung v. 29.6.1990

65

Page 64: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Weg, nicht einmal einen zweiten"132. Ähnlich deutlich äußerten sich auch Akteure des anderen politischen Lagers. Der SPD-Politiker Rolf Wernstedt sprach bei einem Anfang März 1990 vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) veranstalteten bildungspolitischen Symposium von der Diskreditie­rung des DDR-Schulwesens aufgrund dessen parteipolitischer Vereinnah­mung und didaktischer Verengung. Er warnte aber vor dem einfachen Aus­wechseln von Lehrplänen, Methoden und Schulbüchern und empfahl ein eher zurückhaltendes Vorgehen westdeutscher Akteure133 . Die bildungspolitische Sprecherinder GRÜNEN im Deutschen Bundestag Imma Hillerich kritisierte auf der gleichen Veranstaltung die von ihr beobachteten Reformtendenzen im DDR-Schulwesen. Sie sprach sich gegen Bestrebunßen aus, in der DDR ein gegliedertes Schulwesen wieder einführen zu wollen1 4 .

Nach einer bildungspolitischen Tagung der SPD am 29. und 30. März 1990, an der Bildungspolitiker aus beiden deutschen Staaten teilnahmen, ver­öffentlichte die SPD ihre 'Erklärung von Hannover', in der sie feststellte, "daß die polytechnische Oberschule (POS) als Einheitsschule mit ihren zen­tralistischen, methodischen und inhaltlichen Zwängen gescheitert ist"135• Die SPD sprach sich für die Beibehaltung eines reformierten Systems integrierter und differenzierter Gesamtschulen aus. Eine Abiturstufe ab Klasse 9 oder die inhaltliche Profilierung von Schulen galt ihr hierzu nicht als Widerspruch, die Einführung eines dreigliedrigen Schulsystems auf dem Territorium der DDR lehnte sie aber ab. Ähnlich äußerten sich SPD-Politiker wie der nordrhein­westfälische Kultusminister Schwier oder der bremische Bildungssenator Franke136.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft trat in die von ihr selbst geforderte öffentliche Diskussion über die zukünftige strukturelle Gestaltung des DDR-Schulwesens mit der Forderung ein, die überkommenen Strukturen zu beseitigen und reformpädagogische Ansätze im Rahmen der laufenden Bildungsreform konsequent zu realisieren. Sie bezeichnete die Abkehr von der POS als notwendig, stellte aber die zehnjährige gemeinsame Bildung für alle Schüler in einem einheitlichen Schultyp als erhaltenswert heraus. Die GEW hob hervor, eine einfache Übernahme westdeutscher Strukturen sei zu verhindern, und ließ gleichzeitig keinen Zweifel daran, daß sie die flächen-

132 DL; DHV: Pressemitteilung v. 9.3.1990, S. 2. 133 Vgl. Wernstedt 1990, S. 19ff. 134 Vgl. Hillerich 1990, S. 26f. 135 Gesamtdeutscher Bildungsrat soll "Bildungsunion" vorbereiten, in: Zweiwo­

chendienst H. 6/1990, S. 6. Vgl. auch SPD-Bundestagsfraktion: Pressemitteilung v. 14.2.1990, in der sich SPD-Vertreter für die Umwandlung der DDR-Schulen in integrierte und differenzierte Gesamtschulen aussprachen.

136 Vgl. a.a.O.; SPD-Bundestagsfraktion: Pressemitteilung v. 14.2.1990; Die Lehrer sind der Vorwürfe überdrüssig, in: Der Tagesspiegel v. 4.9.1990; DDR­Schulreform heizt Diskussionen der Bildungspolitiker an, in: Hannoversche All­gemeine Zeitung v. 7.2.1990.

66

Page 65: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

deckende Einführung eines Systems integrierter Gesamtschulen mit Binnen­differenzierung bei gleichzeitiger Vermeidung der Reetablierung von Gym­nasien als politisch und pädagogisch einzig richtige Variante der Schulreform in den wiederentstehenden ostdeutschen Ländern ansah137. Die GEW kritisier­te auch die von der APW 1989/90 herausgegebenen Diskussionsangebote, die aus ihrer Sicht zu selbstverständlich eine mehrjährige Gymnasialzeit vorsä­hen, was zur Abwertung der Regelschule beitrage138• Ein im Laufe des Jahres 1990 in der DDR stetig zunehmendes Interesse an Gesamtschulen glaubte die Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule (GGG) zu erkennen, die zugleich den bereits bestehenden ostdeutschen Gesamtschulinitiativen Unterstützung zusagte. Die GGG setzte sich im Verlauf des Jahres 1990 zusammen mit SPD und GEW nachhaltig für die Etablierung eines flächendeckenden Gesamt­schulnetzes in den zukünftigen ostdeutschen Ländern ein139. Auch westdeut­sche Pädagogen plädierten für die Einführung von Gesamtschulen und wand­ten sich gegen die Übernahme des westdeutschen mehrgliedrigen Schulsy­stems in den ostdeutschen Ländern140• Der Verband Bildung und Erziehung empfahl, in der DDR keine Schulformen einzuführen, deren Funktionsfähig­keit in der Bundesrepublik nicht mehr gewährleistet sei; er bezog diese Aus­sage auf die Hauptschulen. Für das Bildungswesen der neuen ostdeutschen Länder forderte der VBE Gestaltungsmöglichkeiten vergleichbar denen der westdeutschen Bundesländer. Außerdem sollten auch die ostdeutschen Lehrer "zur Gewährleistung einer politisch unabhängigen Arbeit"141 verbeamtet wer­den.

Während der VBE etwas zurückhaltender argumentierte, forderten andere Interessenverbände und Politiker unmißverständlich die Einführung eines mit den westdeutschen Strukturen weitgehend identischen Schulwesens. Die Konfliktlinie verlief zwischen SPD, GEW und GGG einerseits und den Uni­onsparteien und einigen eher konservativ einzuschätzenden Lehrerverbänden andererseits. Der Deutsche Lehrerverband (DL) als Dachorganisation mehre­rer Lehrerverbände von Gymnasien, Realschulen und berufsbildenden Schu­len versuchte seit Jahresbeginn 1990, auf die Veränderungen im Bildungswe­sen der DDR Einfluß zu nehmen142. In ihrem im Verlauf des Jahres 1990 an-

137 Vgl. GEW (Hrsg.) 1990, S. 3ff.; Die polytechnische Oberschule ist doch ein gu­ter Gedanke. Gespräch mit dem GEW-Vorsitzenden Dieter Wunder, in: ND v. 28.7.1990; GEW will an der Einheitsschule in der DDR festhalten, in: Rheini­sche Post v. 6.8.1990.

138 Vgl. GEW (Hrsg.) 1990, S. 19. 139 Vgl. Pape 1990, S. 43; GGG: Pressemitteilung v. 13.6.1990. 140 So z.B. Klaus-Jürgen Tillmann (vgl. Die Lehrer sind der Vorwürfe überdrüssig,

in: Der Tagesspiegel v. 4.9.1990) oder Hartmut v. Hentig (vgl. Geduld für den Wandel, in: Die Zeit v. 16.11.1990).

141 Deutscher Bildungsdienst Nr. 30/1990, S. 4. 142 Vgl. Lehrerverband sieht in der DDR "Absichten" für eine Schulreform, in:

F.A.Z. v. 5.1.1990. Deutscher Bildungsdienst Nr. 3/1990, S. 1. DL: Pressemittei­lung v. 9.3.1990; DL: Pressemitteilung v. 3.4.1990; DL: Pressemitteilung v.

67

Page 66: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

haltenden und nach dem Vereinigungstermin fortgesetzten Bemühen um Ein­flußnahme sprachen sich der Deutsche Lehrerverband und die in ihm zusam­mengeschlossenen Organisationen, insbesondere der Deutsche Philologen­Verband (DPhV), für die Errichtung eines gegliederten und leistungsorientier­ten Schulwesens in der DDR und die Reetablierung von Gymnasien aus143 .

CDU-Bildungspolitiker betonten ebenso wie die Unionsfraktionen in Bundes­tag und Volkskammer, daß sie den Aufbau eines gegliederten Schulwesens in den neuen Ländern bevorzugten144•

Auch zur Abiturbildung und zur Wiedererrichtung von Gymnasien nah­men westdeutsche Akteure Stellung. Der Deutsche Philologenverband forder­te eine Reform des DDR-Bildungswesens mit dem Ziel, in den Abiturprüfun­gen einen der Bundesrepublik vergleichbaren Standard zu erreichen. Nach­drücklich unterstützte er das Bemühen der DDR um den Aufbau einer Ab­iturstufe ab Klasse 9, sprach sich für die Entideologisierung der Unter­richtsinhalte und die Verstärkung fremdsprachlicher Angebote unter Beibe­haltung des Russisch-Unterrichts als Wahlfach aus. Zudem sollte ein 13. Schuljahr eingeführt werden, da dies für die Persönlichkeitsbildung notwen­dig wäre145• Die bildungs-und wissenschaftspolitischen Sprecher der Unions­fraktionen des Deutschen Bundestages und der Volkskammer der DDR plä­dierten hingegen in einem Positionspapier, in dem sie Vorstellungen zur zu­künftigen Gestaltung des DDR-Schulwesens darlegten, für eine zukünftig ge­samtdeutsche Verkürzung der gymnasialen Bildungszeit auf 12 Jahre146• Die Wiedererrichtung von Gymnasien und die Neugestaltung der Abiturbildung im DDR-Bildungswesen waren Aspekte, mit denen sich die Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen, Dorothee Wilms, in einem Vortrag vor dem Deutschen Philologenverband im Mai 1990 auseinandersetzte. Außerdem be-

19.6.1990; DL: Pressemitteilung v. 29.10.1990; DPhV: Pressemitteilung v. 20.2.1990; DPhV: Pressemitteilung v. 28.8.1990; Warum die neuen Bundeslän­der Gymnasien einführen sollten, in: Die Welt v. 6.11.1990.

143 Vgl. DL: Pressemitteilung Nr. 33/1990, S. 2. Der Verband deutscher Realschul­lehrer (VDR) wollte in der DDR Realschulen eingerichtet sehen; vgl. Die DDR braucht auch eine Schule der Mitte, in: F.A.Z. v. 21.5.1990; Für ein gegliedertes Schulsystem im Osten, in: F.A.Z. v. 16.11.1990.

144 V gl. CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressemitteilung v. 6.3.1990; Mehr Einsicht als bei den West-Kollegen, in: Deutschland-Union-Dienst v. 12.6.1990; Leitsätze zur künftigen Schulpolitik in den Ländern der DDR, in: Deutschland-Union-Dienst v. 10.7.1990.

145 Vgl. Die Höhere Schule. H. 611990, S. 144, S. 149; DPhV: Pressemitteilung v. 25.5.1990.

146 Vgl. Deutscher Bildungsdienst Nr. 2911990, S. 1. Den Vorschlag, die gymnasia­le Bildung auf 12 Jahre zu verkürzen, bezeichnete der bayerische Kultusminister Zehetmair in Reaktion auf das Positionspapier der Unionsfraktionen als übereilt. Sein Land warte ab, bis Ergebnisse eines wissenschaftlich begleiteten Schulver­suchs vorlägen; vgl. Deutscher Bildungsdienst Nr. 31/1990, S. 2.

68

Page 67: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

zeichnete sie die Wiedereinführung des Beamtenstatus für Lehrer auf lange Sicht als wünschenswert147•

Für die Möglichkeit zur Gründung von Schulen in freier Trägerschaft setzten sich neben den westdeutschen Privatschulverbänden wie dem Bund der freien Waldorfschulen oder dem Bundesverband der Schulen in freier Trägerschaft auch politische Akteure ein, so z.B. Vertreter der FDP148•

2.2.3 Stellungnahmen und Forderungen zur Umgestaltung der beruflichen Bildung

Vorschläge zur Neugestaltung der beruflichen Bildung waren häufig mit kon­kreten Kooperations- und Unterstützungsangeboten verbunden. Als notwen­dige Reformmaßnahme auf dem Weg zum Zusammenwachsen der Berufsbil­dungssysteme galt die Entfernung aller politisch-ideologischen Inhalte aus der beruflichen Bildung: "Eine nicht verhandlungsfähige Vorbedingun~ ( ... )wäre allerdings eine konsequente Entideologisierung der Berufsbildung" 49 • Bereits bei den ersten offiziellen Kontakten der Bildungsminister beider deutscher Staaten zu Beginn des Jahres 1990 standen Fragen zum beruflichen Bil­dungswesen auf der Tagesordnung. In dem Gespräch zwischen den Ministern Möllemann und Emons vom Januar 1990 erklärte Möllemann, die Bundesre­publik Deutschland sei grundsätzlich bereit, den Reformprozeß in der DDR zu unterstützen. Er sah Handlungsbedarf in bezug auf eine Modernisierung der DDR-Berufsbildung, insbesondere bei Dienstleistungs- und Handwerks­berufen, bei der Arbeit mit neuen Technologien und in der Aus- und Wei­terbildung von Ausbildern.

Im Mai 1990 war die Einführung der sozialen Marktwirtschaft nach westdeutschem Vorbild in der DDR absehbar, und die westdeutschen Forde­rungen zur Reform der beruflichen Bildung bezogen sich nun auf die bevor­stehende Umstellung des Wirtschaftssystems. Das BMBW bezeichnete die Anpassung der beruflichen Bildung an die Bedingungen der Marktwirtschaft als dringend notwendige Unterstützung des wirtschaftlichen Reformprozes­ses. Die an der Zentralverwaltungswirtschaft ausgerichtete inhaltliche Kon­zeption für kaufmännische und Dienstleistungsberufe sollte an die neue Ord­nung angepaßt, Ausbilder und Lehrkräfte entsprechend qualifiziert und hierzu Weiterbildungskapazitäten in ausreichendem Maß erhalten bzw. neu geschaf­fen werden. Ziel aller Maßnahmen sollte die möglichst schnelle Angleichung der ostdeutschen Lebensverhältnisse an das in der Bundesrepublik Deutsch-

147 Vgl. Wilms 1990, S. 246; Philologenverbände in der DDR, in: F.A.Z. v. 26.5. 1990.

148 Vgl. "Das ist, was ich schon lange gefühlt und empfunden habe, in: FR v. 12.5.1990; FDP-Bundestagsfraktion: Pressemitteilung v. 21.3.1990.

149 Pampus 1990, S. 429.

69

Page 68: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

land erreichte Niveau sein. Das BMBW hielt es für notwendig, schon binnen kurzer Frist die der beruflichen Qualifizierung entgegenstehenden Hemmnisse abzubauen. Mittelfristig sollten dann eine organisatorische Infrastruktur eta­bliert sowie erste inhaltliche und strukturelle Anpassungen bei den Ausbil­dungsberufen und der Fortbildung und auf längere Sicht die Angleichung der rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen erreicht werden, "die schließlich zu einem einheitlichen deutschen Berufsbildunßssystem führt, ori­entiert an dem Berufsbildungssystem der Bundesrepublik" 0.

In einer Dokumentation zur Berufsbildung der DDR betonte das Institut der deutschen Wirtschaft die Notwendigkeit, den Berufsbildungsbereich an die Anforderungen einer Marktwirtschaft anzupassen und das DDR-Ausbil­dungssystem umfassend zu reformieren. Modernisierungsbedarf bestand nach Ansicht des Instituts insbesondere in bezug auf:

die Inhalte vieler Ausbildungsprogramme, z.B. in kaufmännischen Beru­fen; die Vermittlung zeitgemäßen Fachwissens sowie von Schlüsselqualifika­tionen wie Kreativität, Verantwortungsbewußtsein und Fähigkeit zur Teamarbeit; die Art der Ausbildung in Lehrwerkstätten, deren Lehr- und Lernmittel zudem überwiegend veraltet seien, und die Notwendigkeit der Vermittlung 'westlicher' Fremdsprachen, um die bevorstehende Kommunikation mit westeuropäischen Handelspartnern zu ermöglichen.

Zusammen mit den genannten Forderungen unterbreitete das Institut Angebo­te zur Zusammenarbeit und zur Unterstützung ostdeutscher Betriebe bei Qua­lifizierungsmaßnahmen151. Auch der Bundesverband der Lehrer an berufli­chen Schulen (BLBS) beteiligte sich an der Reformdiskussion. In einer Stel­lungnahme in Vorbereitung des 'Berufsschullehrertages 1990' erklärte er sich dazu bereit, mit entsprechenden Gesprächspartnern in der DDR zusammenzu­arbeiten und diese zu beraten, soweit sie entsprechende Wünsche äußerten. Der BLBS vertrat die Auffassung, daß die berufsbildenden Schulen in mittle­rer Frist in kommunale oder Länderträgerschaft übergehen sollten. Die be­rufsbildenden Schulen in der DDR sollten in die Lage versetzt werden, neben ihren eigentlichen Aufgaben auch vollzeitschulische Berufsausbildungsgänge sowie Fortbildungs- und Umschulungsprogramme durchführen zu können152.

In einem von der /G Metall herausgegebenen Bericht zur Lage der be­ruflichen Bildung in der DDR153 wies die Gewerkschaft auf Mängel des DDR-Berufsbildungssystems hin. So habe polytechnische Bildung häufig le­diglich im Einsatz von Schülern in der laufenden Produktion bestanden. Die

150 BMBW: Informationen Bildung Wissenschaft. Nr. 5/1990, S. 59. 151 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft: iwd. Nr. 17/1990, S. 5. 152 Vgl. Berufsausbildung- Jugendarbeitslosigkeit. Nr. 6/1990, S. 8. 153 V gl. IG Metall (Hrsg.) 1990.

70

Page 69: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Berufslenkung sei faktisch als Verteilung der Schüler in staatlicherseits als notwendig erachtete Berufe erfolgt, und berufliche Bildung sei zu stark an den Interessen der Betriebe ausgerichtet worden. Weiterhin bemängelte die IG Metall die häufig unzureichenden Ausbildungsbedingungen in Betrieben, wo mangelnde Sachausstattung teilweise zu einer Ausbildung in drei Schich­ten geführt hätte. Zudem seien Lehrlinge oftmals über lange Dauer zur vollen Mitarbeit im Produktionsbereich herangezogen worden154• Zur Behebung die­ser Mängellistete das Papier Forderungen und Prinzipien auf, deren Umset­zung über ein neues Bildungsgesetz erfolgen sollte. Verwirklicht werden sollten:

die verfassungsmäßige Garantie des Rechts jedes Jugendlichen auf eine Berufsausbildung; der Aufbau einer Berufsberatung bei den Arbeitsämtern; die Abschaffung von Berufen für Schulabgänger vor Abschluß der 10. Klasse; die Beibehaltung der Berufsausbildung mit Abitur und deren Öffnung für alle Berufe; eine Steigerung des Ausbildungsniveaus für Lehrkräfte in der theoreti­schen und berufspraktischen Ausbildung, und der Ausbau gewerkschaftlicher Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in Angelegenheiten der Berufsbildung.

Der Bericht wies auf den zu erwartenden, im Rahmen der Umstrukturierung der Wirtschaft entstehenden hohen Weiterbildungsbedarf hin und forderte den Erhalt der diesbezüglichen Einrichtungen155•

2.2.4 Stellungnahmen und Forderungen zur Umgestaltung des Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungssektors

BMBW wie KMK und andere westdeutsche Akteure äußerten schon Anfang 1990 ihre Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit den entsprechenden Stellen in der DDR156• Das BMBW sah im Hochschulbereich vorrangigen Handlungsbedarf hinsichtlich der Erneuerung der Hochschulbibliotheken und der Unterstützung ostdeutscher Universitäten und Hochschulen durch Wis­senschaftler aus der Bundesrepublik Als besonderes Problem stellte sich nach Ansicht des BMBW der nach Öffnung der Mauer erwartete 'brain drain' in Richtung Westdeutschland heraus, dessen Ursache insbesondere in den ri-

154 Vgl. IG Metall (Hrsg.) 1990, S. 14f. Und weiter heißt es in dem Bericht: "Die hier genannten Kritikpunkte signalisieren für den Bereich der beruflichen Bil­dung der DDR den Reformbedarf'; a.a.O., S. 15.

155 Vgl. a.a.O., S. 15ff. 156 Vgl. BMBW: Informationen Bildung Wissenschaft. Nr. 111990, S. 1; KMK:

Pressemitteilung v. 19.2.1990.

71

Page 70: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

giden Zulassungsregelungen zum Hochschulstudium gesehen wurde. Eine Forderung an die Bildungsministerien der DDR bestand daher auch darin, die Hochschulen für alle Studierwilligen zu öffnen. In einem am 23. Februar 1990 mit dem Minister für Wissenschaft und Technik der DDR Klaus-Peter Budig geführten Gespräch forderte Möllemann die zügige Verwirklichung qualitativer Verbesserungen wie die Entideologisierung des Hochschulwesens und die Umstellung der diesbezüglichen Disziplinen auf die Anforderungen der bevorstehenden Marktwirtschaft157, wobei letztere durch den Einsatz westdeutscher Hochschullehrer und Gastdozenten unterstützt werden könne. Auch die Wiederherstellung der Freiheit von Forschung und Lehre und die Selbstverwaltung der Hochschulen sollten zu der Reform des Hochschulwe­sens gehören 158.

Die Kultusministerkonferenz verlangte, die Leistungsfähigkeit der Hoch­schulen in der DDR soweit anzuheben, daß Studenten und Wissenschaftler aus der DDR nicht mehr an Hochschulen der Bundesrepublik wechselten. Gleichzeitig forderte sie, die in der DDR zu einer Hochschulzugangsberechti­gung führenden Bildungsgänge so zu verändern, daß deren Abschlüsse den in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Anforderungen entsprächen. Ziel einer Umgestaltung des Hochschul- und Wissenschaftssektors müsse es sein, in beiden deutschen Staaten vergleichbare Bedingungen zu schaffen. Die KMK plädierte für eine verstärkte Kooperation in den Bereichen Wissen­schaft und Forschung sowie für eine Verbesserung der Lehre an den DDR­Hochschulen. Zudem empfahl sie Anfang Juni 1990 die Evaluation der Uni­versitäten, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR durch den Wissenschaftsrat159. Die erhobenen Forderungen und die vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen ließen die Erwartung der KMK deutlich werden, der ohnehin schon überlastete westdeutsche Hochschulbereich werde durch den Andrang ostdeutscher Studienberechtigter in großem Umfang zu-

157 Gemeint waren hier insbesondere wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Fächer sowie Informatik. In diesem Sinne äußerte sich auch das Institut der deutschen Wirtschaft; vgl. Institut der deutschen Wirtschaft: iwd. Nr. 32/1990, S. 6.

158 Vgl. BMBW: Informationen Bildung Wissenschaft. Nr. 311990, S. 27; BMBW: Presseinformation v. 4.4.1990. Im Mai 1990 hatte sich die DDR diese westdeut­schen Forderungen bereits zu eigen gemacht. Gemäß einer Pressemitteilung an­läßlich der Konstituierung der Gemeinsamen Bildungskommission bestand hin­sichtlich der Öffnung der DDR-Hochschulen und die Entwicklung neuer Studi­enangebote in Wirtschafts- und rechtswissensc~~ftlichen Disziplinen zwischen den Vertretern beider deutscher Staaten bereits Ubereinstimmung; vgl. BMBW: Presseinformation v. 16.5.1990.

159 Vgl. KMK: Pressemitteilung v. 10.5.1990 über die Sondersitzung der KMK zur Zusammenarbeit mit der DDR, insbesondere über die Anerkennung des DDR­Abiturs und Beratungen mit DDR-Ministern (248. Plenarsitzung). Hier wurde auch im Detail festgelegt, welche Zeugnisse zum Studium aller oder ausgewähl­ter Fachrichtungen an westdeutschen Universitäten und Hochschulen berechtig­ten. Vgl. auch KMK: Pressemitteilung v. 8.6.1990.

72

Page 71: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

sätzlich belastet, eine Befürchtung, die sich später jedoch als unbegründet erwies.

Die WRK bezeichnete die Öffnung der Hochschulen und die Verbesse­rung ihrer infrastrukturellen Arbeitsbedingungen als wichtiges Ziel der Re­formbemühungen. Sie forderte Bund und Länder auf, diesen Öffnungsprozeß finanziell abzusichern. Für die Fortführung des Reformprozesses sagte sie den DDR-Hochschulen Unterstützung in dem Umfang zu, wie diese es wünsch­ten160.

Die BLK stellte folgende Probleme des DDR-Hochschul- und WisseTI­schaftssektors heraus, deren Lösung ihr im Rahmen der eingeleiteten Refor­men vorrangig erschien:

die quantitative Unterentwicklung des Hochschulsektors; die einseitige ideologische Ausrichtung der Hochschulen; das Fehlen der Hochschulselbstverwaltung; die Abkehr vom Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre; das Fehlen von Studieninhalten oder Studiengängen, die für den Erneue­rungsprozeß der DDR geeignet wären; die ungenügende infrastrukturelle Ausstattung der Hochschulen hinsicht­lich Literatur und Forschungsgerät, sowie die ungenügende Qualifikation eines Teils der Hochschullehrer161 .

Zur Behebung dieser Probleme schlug die BLK eine Zahl von Maßnahmen vor, die sich im wesentlichen mit den bereits von BMBW und KMK empfoh­lenen Kooperations-, Unterstützungs- und Förderprogrammen deckten162.

Für die Überwindung der "Deformierung der Wissenschaft durch das SED-Regime"163 durch Reformen in Forschung und Lehre, Studium und Weiterbildung plädierte die GEW im Rahmen von Gesprächen mit Vertretern der DDR-Gewerkschaft Wissenschaft im April 1990. Sie forderte, die Selbst­verwaltungsrechte der DDR-Hochschulen zu stärken und die studentische In­teressenvertretung zu verbessern. Bei der Reform des Hochschul- und Wis­senschaftsbereiches solle aber auch vermieden werden, das westdeutsche Hochschulsystem einfach zu kopieren164.

Der Deutsche Hochschulverband (DHV) legte nach Beratungen auf dem 40. Hochschulverbandstag ein Hilfsprogramm für die notleidende Wissen­schaft in der DDR165 vor. Nach Ansicht des DHV wären zahlreiche Fächer,

160 Vgl. Westdeutsche Rektorenkonferenz (Hrsg.) 1991, S. 23; S. 41f. Die Befürch­tung, Studienbewerber aus der DDR könnten in großer Zahl an westdeutsche Universitäten drängen, was aber verhindert werden müsse, war bereits im Januar 1990 Thema eines deutsch-deutschen Rektorentreffens; vgl. WRK: Presseerklä­rung v. 17.1.1990.

161 Vgl. BLK 1990, S. 14. 162 Vgl. a.a.O., S. 15f. 163 GEW: Pressemitteilung v. 18.4.1990. 164 Vgl. a.a.O. 165 Mitteilungen des Hochschu1verbandes. H. 311990, S. 152f.

73

Page 72: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

insbesondere im geisteswissenschaftlichen Bereich, zerstört166. Zudem sei die Einheit von Forschung und Lehre durch die Auslagerung von Forschungska­pazitäten an die Akademien schwer geschädigt. Die Etablierung relativ ho­mogener Strukturen in Lehre und Forschung zwischen beiden deutschen Staaten galt ihm als Kernziel des Reformprozesses. Zur Erreichung dieses Zieles schlug der Hochschulverband weiter vor:

ein Berufungssystem zu reetablieren, das nur an wissenschaftlichen Kri­terien orientiert sein sollte; den wissenschaftlichen Nachwuchs adäquat zu unterstützen; eine wissenschaftsnähere Organisation von Forschung und Lehre zu etablieren, und die traditionelle Hochschulautonomie und die Freiheit des Hochschulleh­rers, im Rahmen seiner dienstlichen Pflichten über Forschung und Lehre selbst zu bestimmen, wieder einzurichten167. Ein Konzept des Wissenschaftsrates vom Juli 1990 listete in zwölf de­

taillierten Empfehlungen den Reformbedarf in Wissenschaft und Forschung der DDR auf. Gleichzeitig bemühte sich der Wissenschaftsrat, konkrete Ver­besserungen vorzuschlagen und den zu ihrer Durchführung erforderlichen Fi­nanzbedarf abzuschätzen. Die Empfehlungen zu Reform und Modernisierung des Wissenschafts- und Forschungssektors der DDR faßten die Kernpunkte der westdeutschen Reformdiskussion des ersten Halbjahres 1990 zusam­meni6s. Auch der Bundesminister für Forschung und Technologie (BMFT) Heinz Riesenhuber nahm zum Reformprozeß in der DDR Stellung. Er stellte die Heranführung der Industrie an die Nutzung moderner Technologien und die Schaffung mittelständischer Strukturen auch unter Technologieaspekten in den Vordergrund. Die Forderungen Riesenhubers zielten auf die Wiederher­stellung einer autonomen, freien Wissenschaft mit dezentralisierten und viel­gestaltigen Einrichtungen. Eigeninitiative und das Subsidiaritätsprinzip soll­ten wieder prägende Merkmale dieses Bereiches werden169. Andere Vertreter der CDU unterstützten die Forderungen Riesenhubers und hoben hervor, daß sowohl eine Umstrukturierung der Wissenschafts- und Forschungslandschaft der DDR als auch die schnelle und nachhaltige Unterstützung der DDR in Wissenschaft und Forschung notwendig seien, um die Abwanderung qualifi­zierter Wissenschaftler zu verhindern. Sie empfahlen eine weitgehende Über­nahme der westdeutschen Forschungs- und Wissenschaftsinfrastruktur z.B. durch Neugründung von Instituten der großen westdeutschen Wissen-

166 Vgl. a.a.O., S. 152. 167 V gl. a.a.O. 168 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1990, S. 8ff. 169 Vgl. BMFf: BMFf-Joumal. Nr. 311990, S. 3.

74

Page 73: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schaftsorganisationen170. Die GRÜNEN bemängelten hingegen nach einem Besuch des DDR-Ministers für Wissenschaft und Technik in Bonn im Januar 1990 die von diesem geäußerte Absicht, in der weiteren Gestaltung der DDR­Forschungspolitik den auch von der Bundesrepublik Deutschland eingeschla­genen Weg gehen zu wollen. Sie appellierten an die DDR-Regierung, risiko­behaftete Technologien nicht zu fördernm. Dies stieß jedoch bei den Regie­rungsverantwortlichen auf wenig Resonanz. In einem Gespräch Riesenhubers mit dem Minister für Forschung und Technologie der Regierung de Maiziere Frank Terpe betonten beide, daß der angestrebte Aufbau des Forschungs- und Technologiesektors in einem zukünftigen vereinten Deutschland diejenigen Merkmale aufweisen sollte, die bereits den westdeutschen Forschungssektor kennzeichneten. Hierzu gehörten die Dezentralisierung der Forschungsstruk­turen und deren Ausrichtung auf die bevorstehende Einführung föderaler Strukturen in Ostdeutschland. In der Eingliederung der Akademie der Wis­senschaften in eine an den Grundsätzen einer freien Wissenschaftsausübung, föderaler Strukturen und der sozialen Marktwirtschaft ausgerichtete For­schungslandschaft sahen beide Minister eine Kernaufgabe zukünftiger For­schungspolitik172.

2.2.5 Stellungnahmen und Forderungen zur Umgestaltung der Weiterbildung

Seit der 'Wende' gab es in der westdeutschen Erwachsenenbildung Diskus­sionen zur Reform des Weiterbildungsbereiches in der DDR. In einem The­senpapier zur deutsch-deutschen Volkshochschulkooperation erwähnte der Vorsitzende des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (DVV) Günther Dohmen das durch die gemeinsame Geschichte der Volkshochschulen in bei­den deutschen Staaten noch an Traditionsbeständen Verbliebene, an das im Zuge einer Wiederannäherung angeknüpft werden könnte. Zugleich forderte er, die Weiterbildung in der DDR im Hinblick auf die ihr zugewiesenen poli­tisch-ideologischen Aufgaben kritisch zu hinterfragen. Die Trägerschaft der DDR-Volkshochschulen sollte verändert werden und sie sollten größere Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungskompetenzen erhalten. Die Zu­sammenarbeit beider deutscher Staaten in der Erwachsenenbildung müßte über die Unterstützung beruflicher Anpassungsqualifizierung hinausreichen und auch politische, kulturelle und allgemeine Aspekte urnfassen173• Andere

17° CDU-Bundesgeschäftsstelle: Pressemitteilung v. 7.2.1990; CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag: Pressemitteilung v. 15.6.1990.

171 Die GRÜNEN im Bundestag: Pressemitteilung v. 25.1.1990. 172 Vgl. BMFf: Pressemitteilung v. 21.5.1990; BMFf: Pressemitteilung v. 3.7.

1990. 173 Vgl. Dohmen 1990; vgl. auch Senger 1990, S. 175.

75

Page 74: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

westdeutsche Vertreter forderten eine Stärkung der Angebotsvielfalt der DDR-Volkshochschulen, damit diese nach der Entstehung eines freien Wei­terbildungsmarktes in Konkurrenz zu privaten Anbietern bestehen könnten. Hierzu sollte die berufliche Weiterbildung verstärkt angeboten werden. Vor­schläge der URANIA zur Kooperation mit Weiterbildungseinrichtungen in der Bundesrepublik fanden wenig Resonanz, da das Hauptanliegen der URANIA, Wissenschaftstransfer zu leisten, Weiterbildnern als konträr zur Erwachsenenbildungskonzeption westdeutscher Volkshochschulen galt174.

Der von DGB und Volkshochschulen gemeinsam getragene Arbeitskreis Arbeit und Leben veröffentlichte im Frühjahr 1990 einen Forderungskatalog zur politischen Bildung im Zusammenhang mit dem Vereinigungsprozeß. Ar­beit und Leben hielt eine inhaltliche Ausweitung der Weiterbildungsangebote mit Bezug zu aktuellen rechtlichen und sozialen Veränderungen sowie die Kooperation beider deutscher Staaten in der politischen Bildung für erforder­lich. Zudem wurde auf den erheblichen Bedarf an strukturellen Neuregelun­gen, z.B. in Fragen zum Bildungsurlaub, verwiesen175•

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) setzte sich seinen Ver­handsinteressen entsprechend hauptsächlich mit der beruflichen Weiterbil­dung in der DDR auseinander. Er betrachtete es als dringend notwendig, den Weiterbildungssektor auf die Prinzipien der Marktwirtschaft umzustellen, da nur so das für die Unterstützung der Wirtschaft erforderliche Weiterbildungs­angebot gesichert werden könne, und plädierte für die Etablierung neuer Trä­ger und Strukturen im DDR-Weiterbildungssystem sowie für Wettbewerb unter den Weiterbildungseinrichtungen 176•

In einer Empfehlung des Wissenschaftsrates vom Juli 1990 zum Ausbau von Fernstudiengängen hieß es, daß die auf die Menschen in der DDR zu­kommenden Veränderungen, insbesondere hinsichtlich neuer Strukturen im Rechts- und Sozialbereich sowie die Vorbereitung auf die marktwirtschaftli­ehe Ordnung neue Angebote im Bereich Weiterbildung erforderten. Ein Be­darf an Angeboten bestehe aber auch in der historischen und in der politi­schen Bildung. Der Wissenschaftsrat empfahl eine inhaltliche, infrastrukturel­le, methodische und didaktische Weiterentwicklung der bislang in der DDR vorhandenen Weiterbildungsmöglichkeiten, sowohl im Bereich wissenschaft­licher Qualifikation als auch in der allgemeinen Weiterbildung. Hierzu schlug er als ersten Schritt den Ausbau von Fernstudienangeboten vor. Zudem sei es notwendig, zur Vermittlung eines Teils der Weiterbildungsangebote Personal

174 Vgl. Meyn 1990, S. 29. 175 Vgl. DGBNHS- Arbeitskreis Arbeit und Leben 1990, S. 8f. 176 Vgl. DDR-Weiterbildung: Planen und Lenken, in: DIHT. Aktuelle Informationen

zur Weiterbildung. Nr. 1-211990 S. 2f.; Stihl fordert marktwirtschaftliches Den­ken in der DDR-Weiterbildung, in: DIHT. Aktuelle Informationen zur Weiterbil­dung. Nr. 5-6/1990, S. 8.

76

Page 75: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

aus der Bundesrepublik Deutschland heranzuziehen, insbesondere für den Be­reich politischer Bildung177•

Kurz vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, am 21. Septem­ber 1990, gaben der DVV, die Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE) sowie die Katholische Bundesarbeitsge­meinschaftf!ir Erwachsenenbildung (KBE) die Banner Erklärung zur Wei­terbildung1 8 heraus, in der sie ihre Vorstellungen zur Gestaltung des Wei­terbildungssektors in den ostdeutschen Bundesländern präsentierten. Über die Forderung, Weiterbildung müsse in den neuen Bundesländern gesetzlich ver­ankert sein, hinaus enthielt das Papier bereits einen Orientierungsrahmen für die Gestaltung einer zukünftigen W eiterbildungsgesetzgebung. Diese sollte daran ausgerichtet sein, daß Weiterbildung vom Grundsatz der Pluralität aus­gehe, daß die Angebote für alle Bürger offen sein sollten und daß die Koope­ration von Volkshochschulen mit anderen anerkannten Weiterbildungsträgem geboten sei. Darüber hinaus fanden sich Vorschläge für Übergangsregelun­gen, mit denen der Aufbau einer der westdeutschen entsprechenden Weiter­bildungslandschaft in den neuen Bundesländern personell, materiell, finan­ziell und organisatorisch unterstützt werden sollte, sowie die Aufforderung an westdeutsche Akteure, den Aufbau angemessener Weiterbildungsstrukturell in einem kommenden vereinten Deutschland partnerschaftlieh zu unterstützen179.

2.2.6 Zu den Stellungnahmen und Forderungen westdeutscher Akteure zu einer Umgestaltung des Bildungssystems der DDR

Die meisten politischen und gesellschaftlichen Akteure verbanden ihre ersten Stellungnahmen mit dem Angebot zur Unterstützung der eingeleiteten Re­formvorhaben. Ihr Verhalten war zunächst von dem Bemühen geprägt, nicht unerbetene Ratschläge zu erteilen und die Vorgänge als innere Angelegenheit der DDR anzusehen. Sofern westdeutsche Akteure in dieser Phase Reformbe­darf im Bildungs- und Wissenschaftssystem der DDR feststellten, geschah dies meist mit dem Hinweis, daß man sich in den diesbezüglichen Fragen mit den DDR-Gesprächspartnern einig wüßte180; Reformwünsche wurden über­wiegend zurückhaltend und moderat vorgetragen. Kennzeichnend war die Vielfalt der diskutierten Themen, aber auch die Heterogenität der Äußerun­gen, die mit der Heterogenität der Akteursinteressen korrespondierte.

Im Unterschied zu der in der DDR geführten Auseinandersetzung um die Reform des Bildungssystems, die zumindest in ihrer ersten Phase noch sehr stark durch die WOrtmeldungen vieler - auch betroffener - Einzelpersonen

177 V gl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1990, S. 17f. 178 V gl. Hessische Blätter für Volksbildung. H. 411990, S. 352f. 179 Vgl. a.a.O. 180 Vgl. z.B. Schaumann 1990.

77

Page 76: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

geprägt war, ließen sich solche 'privaten' Äußerungen westdeutscherseits kaum identifizieren. Soweit Einzelakteure in dieser Phase zum DDR-Bil­dungssystem Stellung bezogen, erfolgte dies in aller Regel aufgrund ihrer Funktion als Regierungsmitglied, Verbandsvertreter, Parteipolitiker usw. Eine andere Kategorie stellten Veröffentlichungen von Wissenschaftlern dar, die sich mit dem ostdeutschen Bildungssystem befaßten und die Veränderungs­prozesse mit Aufmerksamkeit begleiteten. Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland lassen sich insbesondere drei Gruppen politischer und gesell­schaftlicher Akteure identifizieren, die die Diskussion um das Bildungssystem der DDR und dessen Umgestaltung prägten. Dies waren:

Politiker auf Bundes- und Länderebene, Angehörige der Bildungs- und Wissenschaftsverwaltung sowie die im Bundestag und den Länderparla­menten vertretenen Parteien; Bildungsberatungs- und Wissenschaftsorganisationen, insbesondere die KMK, die BLK und der Wissenschaftsrat, sowie Vertreter von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen, Interessenor­ganisationen und Verbände, in denen im Bildungswesen Beschäftigte or­ganisiert sind, z.B. Lehrer oder Hochschullehrer.

Waren die westdeutschen Akteure zu Beginn des Jahres 1990 zunächst nur vereinzelt mit Äußerungen an die Öffentlichkeit getreten, die als Versuch ei­ner Beeinflussung der Bildungsreformdebatte in der DDR gewertet werden konnten, so veränderte sich ihr Vorgehen im Frühjahr 1990 spürbar. Nach­dem sich die neugewählte Regierung de Maiziere sowohl für eine schnelle Vereinigung der beiden deutschen Staaten als auch für die Wiedererrichtung von Ländern auf dem Territorium der DDR ausgesprochen hatte, waren zwei wesentliche Grundfragen auch hinsichtlich einer Neugestaltung des DDR­Bildungssystems beantwortet. Die DDR-Gesprächspartner sahen sich nun mit in größerer Deutlichkeit vorgetragenen westdeutschen Erwartungen an die Umgestaltung des DDR-Bildungssystems konfrontiert. Die westdeutschen Akteure beschränkten sich nicht mehr auf Angebote zur Zusammenarbeit und zur Vertiefung von Kontakten, sondern formulierten konkret ihre Interessen hinsichtlich der Veränderungen im Bildungssystem und deren Zielrichtung: die überwiegend geäußerte Forderung war die einer weitgehenden Anglei­chung von Kultur, Bildung, Wissenschaft und Forschung an die in der Bun­desrepublik Deutschland vorhandenen Gegebenheiten. Eine Ausnahme bilde­ten einige im politischen Spektrum 'links' anzusiedelnde Gruppen insoweit, als sie ihren Gesprächspartnern von einer schnellen, unkritischen Übernahme des westdeutschen Schulsystems abrieten.

In den in der Bundesrepublik Deutschland geführten Diskussionen zur Umgestaltung des DDR-Bildungs- und Wissenschaftssystems ging es insbe­sondere um Veränderungen im Schulwesen, in den Hochschulen und im Wis­senschaftsbereich. Relativ viele Äußerungen ließen sich auch zur beruflichen Bildung und hier insbesondere zur beruflichen Weiterbildung finden. Die

78

Page 77: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Vorschulerziehung und die Weiterbildung hingegen fanden, vergleichbar der DDR, in der Reformdebatte nur relativ geringe Beachtung.

Viele der allgemeinen Stellungnahmen zur Umgestaltung des DDR­Bildungssystems bezogen sich auf dessen Entideologisierung und die Zurück­drängung des SED-Einflusses in den Bildungseinrichtungen. Dies deckte sich mit vergleichbaren, auch von DDR-Akteuren vorgetragenen Forderungen. Im Kontrast zur Diskussion in der DDR stand die vielfach von Politikern und Vertretern von Bildungsberatungsorganisationen geäußerte Befürchtung eines massenhaften Andranges ostdeutscher Studienberechtigter an westdeutsche Universitäten, der so jedoch zu keiner Zeit eintrat. Der verschiedentlich ge­nannte Wunsch nach Wiedereinführung des Berufsbeamtenturns in der DDR bzw. den Ländern richtete sich eher an die westdeutsche Klientel der jeweili­gen Akteure, er tauchte in der ostdeutschen Reformdebatte bis Ende 1990 nirgendwo auf und wurde dann von den westdeutschen Interessenverbänden in die neuen Länder exportiert.

Bezüglich des Vorschulbereiches ging es westdeutschen Akteuren, inso­fern vergleichbar der DDR-Diskussion, vorwiegend um die Veränderung des auf die marxistisch-leninistische Ideologie ausgerichteten Erziehungskonzep­tes und der Verschulungstendenzen. Darüber hinaus wurden hier bereits in­frastrukturelle Aspekte thematisiert, die in der ostdeutschen Debatte keine Relevanz besaßen.

Auch das allgemeinbildende Schulwesen sollte aus westdeutscher Sicht zunächst vom Einfluß der SED und der von ihr gesteuerten Organisationen befreit werden. Ungleich stärker als in der DDR brachten westdeutsche Ak­teure Fragen zur strukturellen Neugestaltung des allgemeinbildenden Schul­wesens in die Debatte ein. Die Diskussion um eine Etablierung unterschiedli­cher Schularten im Sekundarbereich, in der DDR zunächst nur vereinzelt thematisiert, überlagerte in der Bundesrepublik Deutschland alle anderen Auseinandersetzungen um Reformen in diesem Bereich des Bildungssystems. Während sich die westdeutschen Bildungsberatungsorganisationen hier eher zurückhaltend äußerten, war ein erheblicher Teil der Stellungnahmen von Politikern und Parteivertretern, insbesondere aber von GEW und GGG auf der einen und Lehrerverbänden auf der anderen Seite von der in gleicher Weise auf die Bundesrepublik Deutschland bezogenen Debaite um die Frage geprägt, ob die flächendeckende Einführung der Gesamtschule oder ein ge­gliedertes Sekundarschulwesen die pädagogisch sinnvollere Variante darstell­ten. Diese Diskussion wurde von den genannten Personen und Organisatio­nen, die sich bisweilen auch in der Schärfe ihrer Rhetorik deutlich von den anderen Akteuren unterschieden, in die DDR hineingetragen und durch eine teilweise bereits um die Jahreswende 1989/90 einsetzende breitgefächerte Verbandsarbeit in der DDR verstärkt.

Die Diskussion um eine Neugestaltung der beruflichen Bildung war hin­gegen eher von Nüchternheit und dem Versuch geprägt, im Hinblick auf die

79

Page 78: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

bevorstehende Einführung marktwirtschaftlicher Strukturen in der DDR zügig zu Verbesserungen zu gelangen. Das Interesse galt daher der Frage, wie die Berufsbildung kurzfristig verbessert werden könnte.

Vor allem die Bildungsberatungs- und Wissenschaftsorganisationen ver­suchten, auf die Umgestaltung des Hochschul-, Wissenschafts- und For­schungssektors Einfluß zu nehmen. Westdeutsche Akteure waren Anfang 1990 vorrangig bemüht, eine Öffnung der DDR-Hochschulen zu erreichen, um den befürchteten Ansturm ostdeutscher Abiturienten auf westdeutsche Hochschulen abzuwenden. Äußerungen verschiedener Personen und Organi­sationen ließen erkennen, daß diese die Qualität der Lehre an DDR-Hoch­schulen eher niedrig einschätzten. Seit Juli 1990 legte der Wissenschaftsrat eine Vielzahl von Stellungnahmen vor, die die Neugestaltung der Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungslandschaft der neuen Länder und Berlins er­heblich beeinflußten. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates ließen die implizite Annahme erkennen, daß das Ergebnis einer Umgestaltung der Be­reiche Hochschulen, Wissenschaft und Forschung der DDR nur in deren wei­testgehender Angleichung an die vorhandenen Strukturen der westdeutschen Hochschul- und Wissenschaftslandschaft bestehen könne.

Die Diskussion um den Weiterbildungsbereich in der DDR war weitge­hend vom Versuch einer Sachauseinandersetzung und von Unterstützungs­und Kooperationsangeboten an die DDR-Gesprächspartner geprägt. Die Kri­tik bezog sich hier auf die überwiegende Nutzenorientierung insbesondere der Volkshochschulangebote, was sich mit dem Verständnis vieler westdeutscher Erwachsenenbildner nicht vereinbaren ließ. Andererseits fanden sich in eini­gen Stellungnahmen auch Hinweise, daß aufgrund des mit der Umbruchsitua­tion verbundenen erhöhten Qualifikationsbedarfes zumindest mittelfristig auf ein breites Angebot auch formal qualifizierender Weiterbildungsmaß nahmen nicht verzichtet werden könne.

Ein Vergleich der in beiden deutschen Staaten geführten Debatten um das DDR-Bildungssystem und seine Umgestaltung zeigt, daß die westdeutsche Diskussion zumeist von professionellem Interesse an Beratung und Politik­gestaltung, sehr bald aber auch vom Interesse an Einflußnahme auf die zu­künftige Gestalt des Bildungswesens in den ostdeutschen Ländern geprägt war. Die Art und Weise, in der die Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland geführt wurde, verdeutlichte die Interessen der beteiligten Ak­teure. Sie versuchten entweder, ihre in Westdeutschland nicht durchsetzungs­fähigen Konzepte in der DDR bzw. den neuen Ländern zu realisieren, um Re­formdruck auf die westdeutschen Länder erzeugen zu können, oder aber sie empfahlen die Übernahme des 'bewährten' westdeutschen Bildungssystems, um zu vermeiden, daß durch strukturelle oder qualitative Reformen in der DDR ein Veränderungsdruck auf die westdeutschen Länder hätte entstehen können. Dies macht auch die Heftigkeit des späteren Streits um Abweichun-

80

Page 79: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

genvon westdeutschen Strukturen, z.B. bei dem zwölf- statt dreizehnjährigen Abiturbildungsgang, verständlich.

In der DDR hingegen war die Reformdiskussion in starkem Maße von der Betroffenheit vieler Beteiligter bestimmt, die sich zunächst über ihre bisheri­ge Rolle im Bildungssystem sowie über die Frage einer rechtlichen oder mo­ralischen Mitverantwortung an den aufgedeckten Mißständen zu verständigen hatten, bevor sie sich möglichen Zukunftsentwürfen widmen konnten. Ging es in der DDR darüber hinaus um die - soweit möglich - kurzfristige Abstellung erkannter Probleme im Bildungswesen, so zielte ein großer Teil der westdeut­schen Stellungnahmen zeitlich bereits darüber hinaus. Insofern beeinflußten viele der westdeutschen Diskussionsbeiträge weniger die noch im letzten Jahr der DDR vorgenommenen Veränderungen als vielmehr die Voraussetzungen für die Neugestaltung von Bildung und Wissenschaft in Ostdeutschland nach der Vereinigung. Westdeutscher Einfluß wirkte sich aber auf die nach der Volkskammerwahl regierende Parteienkoalition aus, die das DDR-Bildungs­system in den knapp sechs Monaten ihrer Regierungsverantwortung noch er­heblich modifizierte.

2.3 Die Umgestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems in den Jahren 1989/90

2.3.1 Allgemeine bildungspolitische Entwicklung und deutsch-deutsche Kooperation

Der IX. Pädagogische Kongreß, in der Rückschau auch als "Generalprobe für den nächsten geplanten SED-Parteitag"181 und als Kongreß "der größten Selbstherrlichkeit und lgnoranz"182 bezeichnet, war die letzte Großveranstal­tung, auf der Margot Honecker noch einmal auf die aus ihrer Sicht erfolgrei­che Bildungspolitik der SED verweisen konnte und den ausgewählten Teil­nehmerkreis auf die unbeirrte Weiterführung des eingeschlagenen Kurses ein­zuschwören versuchte. Der Präsident der APW, Gerhart Neuner, kritisierte während der Veranstaltung die aktuellen, im Bildungswesen der Sowjetunion und anderer Staaten des sowjetischen Machtbereichs beobachtbaren Refor­men und erteilte damit allen Hoffnungen auf Veränderungen im eigenen Land eine Absage. Das starre Festhalten am bisherigen Kurs ließ bei vielen Betrof­fenen tiefe Resignation aufkommen.

181 Richter/Fischer 1993, S. 38. 182 HofmanniSoder 1991, S. 176.

81

Page 80: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Der Sommer 1989 brachte noch einmal etwas Ruhe in die Bildungsein­richtungen. Viele Menschen nutzten die Sommerferien allerdings zu Aktivitä­ten, deren Auswirkungen auch das Bildungswesen nicht unbeeinflußt ließen. Als im September in den Schulen wieder der Unterricht begann, fehlten in vielen Klassen Schüler. Nach außen blieb es an den meisten Schulen ruhig, die Diskrepanz zwischen den Vorbereitungen für die offiziellen Feierlichkei­ten zum 40. Jahrestag der DDR und der explosiven Stimmung in der Bevölke­rung vergrößerte sich allerdings schnell und spürbar183 .

Nach den Jubiläumsfeiern vom 6. und 7. Oktober 1989 überschlugen sich die Ereignisse. Rund eineinhalb Wochen später, am 18. Oktober 1989, wurde Erich Honecker zum Rücktritt gezwungen, und bereits zwei Tage später bat auch Margot Honecker den Ministerrat um Entbindung von ihren Amtsver­pflichtungen. Das Volksbildungsministerium gab dies der Öffentlichkeit je­doch erst am 2. November 1989 bekannt, und so forderten Demonstranten noch Ende Oktober den Rücktritt der bereits zurückgetretenen Ministerin184•

Noch in der 1. Novemberausgabe der Deutschen Lehrerzeitung erschien ein mit Margot Honecker geführtes Interview, in dem sie u.a. ausführte, die so­zialistische Schule stehe nicht zur Disposition185• Zum Interimsnachfolger er­nannte der Ministerrat den Historiker Günther Fuchs, seit 1986 Stellvertreter Margot Honeckers. Dieser traf in seiner kurzen Amtszeit erste Entscheidun­gen zur Entideologisierung des Schulwesens.

Am 10. November 1989 trat das ZK der SED mit einem Aktionspro­gramm für eine Reform des Bildungswesens an die Öffentlichkeit. Es sah die Aufgabe des bisherigen Abiturbildungskonzeptes und eine früher beginnende Ausbildung an den Erweiterten Oberschulen vor; dieses bedeutete die Rück­kehr zu der bis Anfang der achtziger Jahre bestehenden Konzeption186. Am gleichen Tag protestierten in Ost-Berlin mehrere tausend Mitarbeiter von In­stituten der Akademie der Wissenschaften (AdW). Sie verlangten die Einstel­lung aller dirigistischen Eingriffe von Staat und SED in die Forschung und forderten den amtierenden Präsidenten der AdW Werner Scheeler zum Rück­tritt auf187•

Weitere Veränderungen in der politischen Leitung traten mit der Wahl Hans Modrows zum Vorsitzenden des Ministerrates durch die Volkskammer am 13. November 1989 ein. In seiner am 17. November 1989 abgegebenen

183 Vgl. Sroka 1990, S. 134. Dokumente, die die Veränderungen im Bildungssystem in den Jahren 1989/90 widerspiegeln, finden sich in Fuchs/Reuter (Hrsg.) 1995; vgl. insb. S. 152ff.

184 V gl. Gegängelt, entmündigt, entmutigt, in: F.A.Z. v. 2.11.1989; Sroka 1990, S. 136.

185 Vgl. Spittmann/He1.wig (Hrsg.) 1990, S. 17; Gesamtdeutsches Institut (Hrsg.) 1990a, S. III; Von Uberholtem trennen- Bewährtes erhalten- mit neuen Lösun­gen voranschreiten- Gemeinsam, in: DLZ. Nr. 4411989.

186 Vgl. Fischer 1992, S. 103. 187 Vgl. Spittmann!Helwig (Hrsg.) 1990, S. 21.

82

Page 81: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Regierungserklärung kündigte Modrow eine Reform des Bildungs- und Er­ziehungswesens an, die er als unverzichtbar für die Erneuerung des Sozialis­mus in der DDR bezeichnete. Der Verabschiedung eines neuen Bildungsge­setzes sollte eine breite öffentliche Diskussion vorausgehen; die Individualität der Lernenden sollte gefördert, Anpassung und unkritische Jasagerei unter­bunden werden. Die staatsbürgerliche Bildung müsse für alle "auf dem Boden unserer Verfassung stehenden politisch-weltanschaulichen und religiösen Strömungen gleichermaßen annehmbar"188 sein. Die Wissenschaftskooperati­on mit den sozialistischen Partnerländern, aber auch mit der Bundesregublik Deutschland sollte verstärkt, Lehre und Forschung verbessert werden1 . Das gesamte Bildungswesen sollte eine einheitliche politische Leitung erhalten.

Am 18. November 1989 bestätigte die Volkskammer Modrow als Mini­sterratsvorsitzenden und den von ihm vorgeschlagenen neuen Ministerrat. Das neue Bildungsministerium urnfaßte nun die Kompetenzen der bisherigen Mi­nisterien für Volksbildung und für Hoch- und Fachschulwesen sowie des Staatssekretariates für Berufsbildung190• Noch im November setzte das Bil­dungsministerium Arbeitsgruppen ein, die Vorschläge zur strukturellen Neu­konzeption des Schulunterrichts und zur inhaltlichen Reform einzelner Fä­cher, zu Kindergärten, zu Sonderschulen und zur Lehrerausbildung ausarbei­ten sollten. Gleichzeitig nahm das Bildungsministerium Vorarbeiten für ein neues Bildungsgesetz in Angriff. Bildungsminister Emons kündigte die Vor­lage eines Gesetzentwurfes für das III. Quartal 1990 an191 •

Auch in der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften vollzogen sich Veränderungen. Als Konsequenz aus den Fehlentwicklungen und der anhal­tenden Kritik erklärten am 6. Dezember 1989 Gerhart Neuner und die gesam­te APW-Leitung auf einer außerordentlichen Plenartagung ihren Rücktritt192.

Die Außerkraftsetzung des Statuts der APW zu Beginn des Jahres 1990 kann

188 Diese Regierung wird eine Regierung des Volkes und der Arbeit sein. Regie­rungserklärung v. H. Modrow, in: ND v. 18./19. 11.1989, S. 3ff., zit. nach: Burk­hardt 1990, S. 41.

189 Vgl. a.a.O. 190 V gl. a.a.O., S. 24f. Zunächst war der Vorsitzende der Pionierorganisation "Ernst

Thälmann" Wilfried Poßner von SED und FDJ als neuer Bildungsminister vorge­schlagen worden, Modrow besetzte diese Position jedoch kurzfristig mit Hans­Heinz Emons; vgl. Sroka 1990, S. 136. Als stellvertretende Minister wurden be­rufen: Volker Abend (Neues Forum) für Schulen, Bodo Weidemann (SED/PDS) für Berufsbildung, Horst Danzmann (LDPD) für Fachschulen und Eberhard Kallenbach (NDPD) für Hochschulen und Universitäten; vgl. Burkhardt 1990, S. 42; Wer ist wer im Leitungsgremium des Bildungsministeriums?, in: DLZ. Nr. 311990.

191 V gl. Umgestaltung der Schule durch Bürgervorschläge möglich, in: Neue Zeit v. 17.11.1989; Keine Partei sollte Einfluß auf die Schule nehmen, in: Berliner Zei­tung v. 14.12.1989.

192 Vgl. Leitung der APW zurückgetreten, in: DLZ. Nr. 50/1989. Gleichzeitig wurde auf der Tagung am 6. Dezember 1989 beschlossen, die Mitgliedschaft Margot Honeckers im Plenum der APW aufzuheben; vgl. a.a.O.

83

Page 82: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

als Zeichen des Bemühens gewertet werden, ihre inneren Strukturen zu re­formieren193. Im Frühjahr 1990 legten Mitarbeiter der APW ein Konzept vor, nach dem die Akademie in 19 unabhängige Forschungs- und Dienstleistungs­institutionen aufgeteilt werden sollte. Dadurch hatten sich viele Mitarbeiter ein Weiterbestehen zumindest einiger Einrichtungen auch nach einer Vereini­gung beider deutscher Staaten erhofft. Die APW fand im Gegensatz zu den drei anderen Akademien jedoch keine Erwähnung im Einigungsvertrag und wurde zum 1. Januar 1991 aufgelöst194.

Die Regierungsneubildung ließ nun auch offizielle Kontakte zwischen der Regierung und der Reformbewegung zu. Bereits zwei Tage nach der Wahl Modrows zum Ministerpräsidenten trafen sich auf Initiative des Staatssekre­tärs für Kirchenfragen Angehörige des Bildungsministeriums und der APW mit Vertretern der Evangelischen Kirchen in der DDR zu Gesprächen. Dieses Treffen beendete die jahrelange Gesprächsverweigerung der Volksbildungs­administration gegenüber den Kirchen195.

Noch im Herbst 1989 widersetzten sich die Parteien des Demokratischen Blocks und unabhängige Organisationen durch Gründung eigener Jugendor­ganisationen dem Alleinvertretungsanspruch von FDJ und Pionierorganisati­on196. Mit der Streichung der Führungsrolle der SED aus Artikel 1 der Ver­fassung von 1974197 schuf die Volkskammer auch formal die Voraussetzung

193 Vgl. Eichler/Uhlig 1993, S. 123. 194 Vgl. Eichler/Uhlig 1993, S. 125. Auch die zwischen Oktober und Dezember

1990 mit den ostdeutschen Länderadministrationen geführten Verhandlungen über eine mögliche Einbindung einzelner der neugebildeten Einrichtungen in die Wissenschaftslandschaft der neuen Länder führten zu keinem Ergebnis. Erhalten blieben nach dem 31. Dezember 1990 eine Gruppe von Wissenschaftlern als For­schungsstelle des DIPF, eine Bibliothek, ein Archiv und ein Schulmuseum; vgl. a.a.O. Das negative Image der APW und der in ihr Tätigen, bis 1989 überwie­gend Auftrags- und Rechtfertigungswissenschaft im Sinne der marxistisch­leninistischen Ideologie betrieben zu haben, ließ sich auch durch die Reformie­rungsversuche des Jahres 1990 nicht korrigieren.

195 Vgl. Spittmann!Helwig (Hrsg.) 1990, S. 23; Gegen jede ideologische Bevormun­dung, in: Der Morgen v. 17.11.1989. Im letztgenannten Artikel wird Gerhart Neuner mit der Aussage zitiert, er bedaure, "daß in den vergangeneu 15 Jahren das Gesprächsangebot der evangelischen Kirche nicht angenommen werden durfte"; a.a.O.

196 Vgl. Spittmann/Helwig (Hrsg.) 1990, S. 21. Die Christlich-Demokratische Ju­gend (CDJ) als der CDU nahestehende Jugendorganisation wurde am 11.11.1989 gegründet. Gründungsaufrufe der Jugendorganisationen von LDPD und NDPD (National-Demokratische Jugend) ergingen am 16. bzw. 17.11.1989; vgl. Fischer 1992, S. 114. Bereits am 3.11.1989 war der Gründungsaufruf eines 'Linken Schülerbundes' ergangen; vgl. Wir sind das Volk 1990 (Teil2), S. 59. Für Januar 1990 nennt Burkhardt elf von Pionierorganisation und FDJ unabhängige Jugend­und Studentenvereinigungen. Diese stellten lediglich eine Auswahl der zu diesem Zeitpunkt bekannten Gruppen dar, was die Geschwindigkeit der sich vollziehen­den politischen Veränderungen unterstreicht; vgl. Burkhardt 1990, S. 22f.

197 Vgl. Beschluß v. 1.12.1989, in: GBl. I DDR, S. 265.

84

Page 83: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

für eine Reform des Bildungswesens. Die Regierung setzte die mit den Op­positionsgruppen aufgenommenen Gespräche im Rahmen des Zentralen Run­den Tisches fort. Zur Begleitung der bildungspolitischen Arbeit der Regie­rung setzte der Zentrale Runde Tisch eine Arbeitsgruppe Bildung, Erziehung und Jugend ein. Bis zu den Volkskammerwahlen mußte das Bildungsmini­sterium den Runden Tisch und die Arbeits~ppe konsultieren, bevor es Ent­scheidungen trafund Maßnahmen umsetzte 98 . Am 5. März 1990 übermittelte der Zentrale Runde Tisch seine bildungspolitischen Vorstellungen an die Volkskammer, die sich nach der Volkskammerwahl aufgrundder veränderten Machtverhältnisse allerdings nicht mehr verwirklichen ließen199•

Im Volkskammerwahlkampf stand die Auseinandersetzung um die zu­künftige Gestaltung der Wirtschaftsordnung im Mittelpunkt. Damit verband sich die Frage, ob, und, wenn ja, wie schnell eine staatliche Vereinigung mit der Bundesrepublik herbeigeführt werden sollte. Hatten bildungspolitische Aspekte bei den Demonstrationen des Herbstes 1989 noch eine herausragen­de Rolle gespielt, so traten sie gegenüber den Fragen zur Währungs- und Wirtschaftsunion mit der Bundesrepublik Deutschland oder der Dauer der Ei­genständigkeit der DDR nahezu vollständig in den Hintergrund200.

Die Ergebnisse der Volkskammerwahl führten zu personellen Verände­rungen in den Ressorts für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Hans Joa­chim Meyer, Anglistik-Professor an der Humboldt-Universität, ein zunächst parteiloser, von der CDU nominierter Kandidat, wurde Minister für Bildung und Wissenschaft. Das Bildungs- und das Wissenschaftsministerium wurden unter Ausgliederung der Bereiche Forschung und Technik zusammengelegt. Forschung und Technik bildeten nun ein eigenes Ressort, zum Minister wurde Frank Terpe ernannt. Lothar de Maiziere sprach in seiner Regierungserklä­rung am 19. April 1990 von einem katastrophalen Erbe auch im Bildungswe­sen, das seine Regierung von der SED zu übernehmen habe201 • Er kündigte an, das bürokratisch-zentralistische System staatlicher Leitung beseitigen zu wollen und die "zementierte Einheitlichkeit"202 durch ein differenziertes und flexibles Bildungswesen zu ersetzen. De Maiziere betonte das Vorrecht der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder und versprach, den Vorschulbereich in seinem Bestand zu sichern und ein neues Hochschulrahmenrecht mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung einzuführen. Zur Schaffung der Voraus-

198 Vgl. Burkhardt 1990, S. 44. 199 Vgl. Positionspapier des Runden Tisches zu Bildung, Erziehung, Jugend v. 5.3.

1990, in: ad hoc. H. 5/1990, Sonderbeilage 1/90. 200 So war "die Schule plötzlich zu einem nur randständigen gesellschaftlichen Phä­

nomen geworden. Im Jahr der deutschen Vereinigung spielte sie im öffentlichen Bewußtsein der Gesellschaft keine Rolle mehr"; Richter/Fischer 1993, S. 44f.; vgl. Als sei Schulspeisung das Wichtigste, in: F.A.Z. v. 13.3.1990.

201 Vgl. de Maiziere 1990, S. 187. 202 A.a.O.

85

Page 84: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

setzungen für eine Föderalisierung von Kultur und Kulturpolitik wurde der Aufbau von Länder-Kulturverwaltungen angekündigt203 •

Die im Rahmen der Koalitionsverhandlungen getroffene bildungspoliti­sche Übereinkunft bezog sich im wesentlichen auf das allgemeinbildende Schulwesen und enthielt Aussagen zur strukturellen und inhaltlichen Neuge­staltung des Schulwesens, zur Demokratisierung der Schulen und zur Gleich­berechtigung der nichtstaatlichen Schulen. An der zehnjährigen Schulpflicht wollten die Koalitionsparteien festhalten. Behinderte Kinder sollten soweit möglich in das Regelschulsystem integriert werden. Hinsichtlich der Lernin­halte sollte kreatives Lernen zu Lasten des Stoffumfanges verstärkt werden; naturwissenschaftliche und musisch-ästhetische Bildung sollten zukünftig in einem ausgewogeneren Verhältnis stehen. Besondere Betonung fand die welt­anschauliche Neutralität der öffentlichen Schulen, in denen nun religions­kundlich-philosophische Inhalte sowie demokratische Grundprinzipien ver­mittelt werden sollten. Das zukünftige Schulwesen sollte durch die Parallelität integrierter Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe und eines gegliederten Schulwesens gekennzeichnet sein; die Berufsausbildung mit Abitur sollte bei­behalten werden. Die Schularten sollten sich durch wechselseitige Durchläs­sigkeit und niedrige Klassenfrequenzen auszeichnen; bestehende Soziallei­stungen wie Ganztagsbetreuung, Schulspeisung und Freizeiteinrichtungen sowie die Kinderbetreuungseinrichtungen sollten nach Bedarf erhalten bzw. ausgebaut werden. Eine demokratische Schulverfassung sollte Eltern, Lehrern und Schülern Mitwirkungsrechte einräumen; alle seit Oktober 1989 einge­stellten Lehrer, die zuvor hauptamtliche Mitarbeiter des MfS waren, sollten überprüft werden204• Die Koalitionsvereinbarung betonte das Grundrecht auf freie Berufswahl und die gemeinsame Verantwortung von Staat und Wirt­schaft für die Berufsbildung; neue Angebote in der beruflichen Umschulung und Weiterqualifikation sollten entwickelt werden205 .

Die bildungspolitische Übereinkunft trug alle Züge eines politischen Formelkompromisses. Die Absicht, integrierte und gegliederte Schulen ne­beneinander zu etablieren, trug den bildungspolitisch gegenläufigen Vorstel­lungen der beiden größten Koalitionsparteien CDU und SPD Rechnung. Der Wille, die in der DDR existierenden Kinderbetreuungseinrichtungen trotz be­reits spürbarer finanzieller Engpässe aufrecht zu erhalten, zeigte eher die po­litischen Wunschvorstellungen als eine realistische Einschätzung eigener Ge-

203 Vgl. a.a.O., S. 187f. 204 V gl. Aus der Koalitionsvereinbarung zwischen den Fraktionen der Großen Ko­

alition in der Volkskammer der DDR (CDU, SPD, Liberale, DSU und DA) vom 12. Aprill990, hier: Bildungspolitische Übereinkunft, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Informationen. H. 8/1990, Beilage, S. 23f. Bemerkenswert war an den Ausführungen zu den ehemaligen MfS-Mitarbeitem, daß diese lediglich "auf ihre fachliche Qualifikation überprüft" werden sollten; a.a.O.

205 Vgl. a.a.O.

86

Page 85: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

staltungsmöglichkeiten. Dennoch waren mit der bildungspolitischen Überein­kunft wesentliche Punkte für eine Reform des Bildungssystems fixiert.

Die Regierung de Maiziere wurde von einer großen Koalition mit Verfas­sungsmehrheit getragen, und die Koalitionsparteien dominierten nun in der öffentlichen bildungspolitischen Debatte. Für die kleineren politischen Grup­pen und die Bürgerrechtsbewegung gestaltete es sich zunehmend schwieriger, mit ihren bildungspolitischen Vorstellungen eine breitere Öffentlichkeit zu er­reichen. Mit der Beendigung der Arbeit des Zentralen Runden Tisches hatten sich ihre Möglichkeiten erschöpft, auf die Bildungspolitik der Regierung di­rekt Einfluß nehmen zu können. Auch in diesem Politikfeld manifestierte sich die nach der Volkskammerwahl einsetzende politische Marginalisierung der Bürgerbewegung206.

Die bildungspolitische Diskussion zwischen April und Oktober 1990 war wesentlich durch die Auseinandersetzungen zwischen den in der Regierung vertretenen Parteien, insbesondere CDU und SPD, geprägt. Die zunehmende Verlagerung der Diskussion auf eine gesamtdeutsche Ebene ließ den Einfluß westdeutscher Akteure im politischen und gesellschaftlichen Bereich wach­sen. Mit dem Ergebnis der Volkskammerwahl waren die Weichen in Richtung auf eine möglichst baldige Vereinigung beider deutscher Staaten gestellt; dies prägte die legislative und exekutive Tätigkeit von Volkskammer und Regie­rung im Frühjahr und Sommer 1990. Die Vielzahl der in diesem Zeitraum erlassenen Gesetze und Verordnungen diente zum einen der Beseitigung alten DDR-Rechts dort, wo dies in der kurzen Frist möglich war. Zum anderen war der Erlaß von Rechtsvorschriften notwendig, mit deren Hilfe Strukturen und Leistungen erhalten werden sollten, die irrfolge der schnellen politischen und ökonomischen Veränderungen verloren zu gehen drohten207 . Ein dritter As­pekt der Parlaments- und Regierungstätigkeit bestand darin, bildungspoliti­sche Übergangsregelungen zu schaffen. Sie sollten altes DDR-Recht in mög­lichst großem Umfang ersetzen, ohne jedoch dauerhaft neues Recht zu setzen, das den Gestaltungsspielraum der Länder möglicherweise eingeschränkt hätte.

Westdeutsche Akteure reagierten zunächst eher verhalten auf die bil­dungspolitischen Veränderungen in der DDR. Zum einen war die Entwick­lung der politischen Lage - auch auf internationaler Ebene - vorläufig nicht absehbar, zum anderen standen andere als bildungspolitische Aspekte im Vordergrund. Unmittelbar nach der Jahreswende 1989/90 gaben sie jedoch ihre Zurückhaltung auf und traten mit ihren Vorstellungen hinsichtlich einer Neugestaltung des DDR-Bildungssystems an die Öffentlichkeit. Gleichzeitig entwickelte sich seit Anfang 1990 die Kooperation auf ministerieller Ebene. Parallel zur allgemeinen politischen Entwicklung erweiterten die Bildungs-

206 Vgl. Schmidt, W. 1990b, S. 9; Wielgohs/Schulz 1991; Wielgohs/Schulz 1992. 207 Vgl. hierzu z.B. die Verordnung zur Aufrechterhaltung von Leistungen betriebli­

cher Kindergärten, polytechnischer und berufsbildender Einrichtungen vom 6.6.1990, in: GBI. I DDR S. 297.

87

Page 86: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

und Wissenschaftsministerien ihre Kontakte. Bei dem Treffen der beiden Bil­dungsminister Möllemann und Emons am 11. Januar 1990 in Ost-Berlin reg­ten beide die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zur Intensivierung der deutsch-deutschen Zusammenarbeit an208 •

Die Bundesregierung und die Länder unterstützten in den Monaten nach der Volkskammerwahl nicht nur beratend, sondern auch finanziell die bil­dungspolitischen Reformbemühungen in der DDR. Im Mai 1990 stellte der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages 30 Mio. DM zum Ankauf von Schulbüchern zur Verfügung, mit denen in den DDR-Schulen nicht mehr verwendbare Bücher ersetzt und weitere Bücher für neu eingerichtete Fächer, unter anderem im altsprachlichen Bereich, beschafft werden konnten209• Die KMK setzte sich im Mai 1990 mit der Anerkennung des DDR-Abiturs aus­einander, nachdem es in den Monaten zuvor hierum erhebliche Auseinander­setzungen in den Bundesländern gegeben hatte. Vertreter einiger Bundeslän­der und Lehrerverbände beklagten die nach ihrer Ansicht zu entgegenkom­mende Anerkennungspraxis, die aufgrund der inhaltlichen Gestaltung von Teilen der Abiturbildung und der inflationären Vergabe von Spitzenzensuren westdeutsche Studienplatzbewerber über Gebühr benachteiligten210• Kurzfri­stig verweigerten einige Länder, unter ihnen Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalzund Niedersachsen, die Anerkennung der DDR-Abiturzeug­nisse211. Nach der Ende April 1990 auf Staatsekretärebene erfolgten V ora­beinigung beschloß die KMK auf ihrer Sondersitzung am 10. Mai 1990 schließlich, die in der DDR erworbenen Hochschulzugangsberechtigungen für eine Übergangszeit als Voraussetzung für das Studium an westdeutschen Hochschulen zuzulassen212 . Im Juni 1990 regte die KMK eine vom Wissen­schaftsrat unter Beteiligung von DDR-Vertretern durchzuführende Bestands­aufnahme des DDR-Hochschulwesens an, die auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen einschließen sollte. An der Gremienarbeit der KMK nahmen zu dieser Zeit bereits Vertreter aus der DDR als ständige Gäste teil213 •

208 Vgl. BMBW: Presseinformation Nr. 4/1990 v. 12.1.1990. 209 Vgl. BMBW: Presseinformation Nr. 4711990 v. 4.4.1990, S. 7f. 210 Nach einer Untersuchung der ZVS lag der Notendurchschnitt bei der Hälfte der

Studienplatzbewerber aus der DDR zwischen 1,0 und 1,4; vgl.: Schulsenatorin fürchtet Bildungspendler bei Nichtanerkennung des DDR-Abiturs, in: Der Tages­spiegel v. 24.3.1990; Niedersachsen setzt Anerkennung des DDR-Abiturs aus, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 29.3.1990.

211 V gl. a.a.O.; Deutscher Lehrerverband: Pressemitteilung Nr. 2/1990 v. 11.1.1990; Selbst DDR rät davon ab, Zeugnisse anzuerkennen, in: Die Welt v. 3.3.1990; DDR-Abi wird zunächst nicht mehr anerkannt, in: Stuttgarter Zeitung v. 19.4. 1990.

212 Vgl. Weg für DDR-Abiturienten an bundesdeutsche Hochschulen geebnet, in: FR v. 28.4.1990; KMK: Pressemitteilung v. 10.5.1990.

213 Vgl. KMK: Pressemitteilung v. 8.6.1990.

88

Page 87: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Am 16. Mai 1990 konstituierte sich die Gemeinsame Bildungskommissi­on, die die deutsch-deutsche Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung und Wissenschaft weiter vertiefen und Vorschläge erarbeiten sollte, wie die bei­den Bildungssysteme im Hinblick auf die angestrebte Vereinigung zusam­mengeführt werden konnten. Die paritätisch besetzte Kommission, deren acht westdeutsche Vertreter jeweils zur Hälfte aus Bund und Ländern kamen, ver­ständigte sich auf die Bildung von vier Unterkommissionen, in denen Fragen zur allgemeinen schulischen Bildung, zur schulischen und betrieblichen Be­rufsausbildung, zu Hochschulen und Wissenschaft sowie zur Weiterbildung diskutiert werden sollten. Zusätzliche Expertengruppen nahmen Beratungen zu den Themen Ausbildungsförderung, Bildungsstatistik und Bibliotheken aut214. Aus westdeutscher Sicht diente die Zusammenarbeit in der Kommissi­on dazu, die bildungspolitischen Reformbemühungen zu unterstützen und der DDR bei der Bewältigung der Folgen zu helfen, die im Zusammenhang mit der bevorstehenden Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion im Bereich der beruflichen wie der universitären Bildung erwartet wurden. Über Zwischen­schritte sollte die DDR das westdeutsche Berufsbildungssystem übernehmen, ein Prozeß, den das BMBW allerdings noch im Mai 1990 als längerfristigen Vorgang einschätzte215• Tatsächlich verpflichtete sich die DDR schon mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Bildung einer Währungs-, Wirt­schafts- und Sozialunion zur schnellen Übernahme aller relevanten Regelun­gen des westdeutschen Berufsbildungsrechts.

Bei der zweiten Sitzung der deutsch-deutschen Bildungskommission am 21. Juni 1990 kündigte Bildungsminister Meyer an, die DDR wolle zur Schaf­fung einer einheitlichen gesamtdeutschen Wissenschafts- und Forschungs­landschaft beitragen; eine grundlegende Neustrukturierung der Akademie der Wissenschaften sowie die Einrichtung von Fachhochschulen sollten Schritte auf diesem Weg sein. In diesem Zusammenhang bat nach der KMK nun auch die Gemeinsame Bildungskommission den Wissenschaftsrat, alle Wissen­schafts- und Forschungseinrichtungen der DDR zu begutachten. Der Bun­desbildungsminister kündigte die Bereitstellung weiterer 15 Mio. DM aus Bundesmitteln zum Ankauf von Literatur für die Hochschulbibliotheken so­wie von 50 Mio. DM zur Anlauffinanzierung zweier Schwerpunktprogramme zur Modernisierung der Berufsausbildung und zur Zusammenarbeit in Hoch­schullehre und -forschung an. Die Kommission beauftragte die Unterkom­missionen und Expertengruppen mit der Ausarbeitung konkreter Vorschläge

214 V gl. Informationen Bildung Wissenschaft. Nr. 511990, S. 57f.; BMBW: Pressein­formation Nr. 7011990.

215 V gl. Hilfen zur Modemisierung der Berufsbildung in der DDR jetzt nötig, in: Informationen Bildung Wissenschaft. Nr. 511990, S. 59f.

89

Page 88: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

für die Zusammenführung der Bildungs- und Wissenschaftssysteme beider deutscher Staaten216.

Im Anschluß an die dritte und letzte Sitzung der Gemeinsamen Bildungs­kommission am 26. September 1990 zogen die Kommissionsmitglieder in ei­ner abschließenden gemeinsamen Mitteilung die Bilanz ihrer bisherigen Ar­beit und übertrugen die Weiterführung notwendiger Arbeiten auf Bildungsbe­ratungsorganisationen wie die BLK und den Wissenschaftsrat Die Kommis­sion gab Empfehlungen zur Neugestaltung des allgemeinbildenden Schulwe­sens in den neuen Ländern, die der Sicherung einer gesamtdeutschen Einheit­lichkeit und Chancengleichheit dienen sollten. Einen Orientierungsrahmen hierfür sollten das Hamburger Abkommen und weitere Vereinbarungen der KMK bieten217 . Diese Regelung enthielt bereits Art. 37 EV, auf den die ge­meinsame Mitteilung Bezug nahm. Die Kommission stellte fest, daß durch die Bildung von Ländern auf dem Territorium der DDR und deren Übernahme des Grundgesetzes in gleichem Maße Rechte und Pflichten auf die neuen Länder übergingen, wie sie auch die westdeutschen Länder kennzeichneten. Der westdeutsche Ordnungsrahmen der Berufsbildung sollte möglichst schnell in der DDR eingeführt werden. Eine umfassende Qualifizierung des in der beruflichen Bildung eingesetzten Personals, der Aufbau überbetrieblicher Berufsbildungseinrichtungen und die Unterstützung der Berufsschulen galten als vorrangig zu lösende Probleme. Ziel aller Maßnahmen im Berufsbil­dungsbereich war die "vollständige(n) Angleichung an das duale System"218 •

Auch im Hochschul- und Forschungssektor galt die Schaffung einheitlicher Strukturen in ganz Deutschland als Ziel. Im Weiterbildungsbereich sah die Kommission die Sicherung eines ausreichenden Weiterbildungsangebotes an­gesichts des erwarteten großen Bedarfs in den neuen Ländern als vorrangige Aufgabe an; die Angebote sollten inhaltlich insbesondere auf die Neugestal­tung der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung bezogen sein219•

Neben den staatlichen bemühten sich auch nichtstaatliche westdeutsche Akteure um eine Kooperation mit der DDR. In einigen Bildungsbereichen, so z.B. in der Berufsbildung, gab es schon Anfang 1990 eine konkrete Zusam-

216 V gl. BMBW: Presseinformation v. 31.5. u. v. 1.6.1990; Informationen Bildung Wissenschaft. Nr. 7-8/1990, S. 91; Die deutschen Bildungssysteme sollen ver­zahnt werden, in: SZ v. 23.6.1990.

217 Vgl. BMBW: Presseinformation v. 26.9.1990. Welche weiteren ('einschlägigen') Vereinbarungen im einzelnen hiermit gemeint waren, geht we-der aus der Veröf­fentlichung der Gemeinsamen Bildungskommission noch aus dem Einigungsver­trag hervor. Dennoch waren mit dieser Festlegung, die gleichzeitig eine Selbst­verpflichtung der ostdeutschen Verhandlungspartner darstellte, wesentliche Ge­staltungsmerkmale für das Bildungswesen der neuen Länder vorgegeben, von de­nen abzuweichen ihnen später kaum noch möglich war.

218 BMBW: Presseinformation v. 26.9.1990. 219 Vgl. BMBW: Presseinformation v. 26.9.1990. Im weiteren nahm die Kommissi­

on auch zu den Bereichen Ausbildungsförderung, Bibliothekswesen und Bil­dungsstatistik Stellung.

90

Page 89: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

menarbeit auf der Ebene einzelner Betriebe, Verbände und Kammern, die ihre DDR-Gesprächspartner unmittelbar materiell und personell unterstützten220•

Die so geschaffenen Verbindungen waren vielfach die Grundlage weiterer Kooperation nach der Vereinigung.

2.3.2 Veränderungen im Bereich der Vorschulerziehung

Bereits Ende 1989 wurde die Verbindlichkeit des Programms für die Bil­dungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten von 1985 aufgehoben; damit entfiel der bisherige politische Erziehungsauftrag für das Kindergartenperso­naf21. Seit Mitte November 1989 verwendeten die Erzieherinnen kein Mili­tärspielzeug mehr222. Die auf Vorschlag von Bildungsminister Emons im Ja­nuar 1990 gebildete Zentrale Arbeitsgruppe Kindergarten sollte in Zusam­menarbeit mit den Oppositionsgruppen zur Neugestaltung der Kindergarten­arbeit und zur Neubestimmung der Funktionen der Vorschulerziehung beitra­gen223.

Als grundsätzliches Problem trat im Jahr 1990 die Erhaltung insbesonde­re der betrieblichen Kindergärten und Kindertagesstätten in den Vordergrund. Dies führte aufgrund der hohen Frauenerwerbsquote und des damit zusam­menhängenden Bedarfs an Kinderbetreuungseinrichtungen zu erheblicher Be­unruhigung in der Bevölkerung. Der Minister für Bildung und Wissenschaft erließ daher am 6. Juni 1990 die Verordnung über die Aufrechterhaltung von Leistungen betrieblicher Kindergärten, polytechnischer und berufsbildender Einrichtungen, durch die er die Weiterführung der vorhandenen betrieblichen Kinderbetreuungseinrichtun~en - unter Androhung von Ordnungsstrafen bei Nichtbefolgen - anordnete2 . Im Falle der Auflösung eines Betriebes gingen Kindergärten und Kindertagesstätten in kommunale Trägerschaft über. Zur Finanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen wurden den betrieblichen

220 Vgl. BMBW: Presseinformation v. 8.6.1990, S. 5. Zu nennen wäre in diesem Zu­sammenhang z.B. das bereits am 30.11.1989 angekündigte '1000-Meister-Pro­gramm' des Gesamtverbandes der Metallarbeitgeber, die mit rund 6 Mio. DM Eigenmitteln die Weiterbildung von Industrieausbildern förderten; vgl. Spitt­mann!Helwig (Hrsg.) 1990, S. 32; Zedler 1991, S. 97; Zedler 1990, S. 172.

221 Vgl. GEL 1991, Stichwort Kindergarten. 222 Vgl. Fischer 1992, S. 108. 223 Vgl. GEL 1991, Stichwort Kindergarten. Ergebnis dieser Arbeit war die 2. An­

weisung zur Kindergartenordnung vom 20. Februar 1990, in: Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Bildung I 1990, Nr. 2, S. 17.

224 "Die von Betrieben in Kommunalverträgen, Kooperationsvereinbarungen und Lehrverträgen vereinbarten Leistungen zur Kinderbetreuung ( ... ) sind zu erfüllen. Diese vertraglichen Vereinbarungen dürfen nicht einseitig gelöst werden"; § 2 (1) Verordnung über die Aufrechterhaltung von Leistungen betrieblicher Kinder­gärten, polytechnischer und berufsbildender Einrichtungen; vgl. auch § 6 (Ord­nungsstrafbestimmungen).

91

Page 90: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Trägern Zuwendungen der öffentlichen Hand zugesichert (§ 3 Verord­nung)225. Der befürchtete Abbau von Kinderbetreuungseinrichtungen in gro­ßem Umfang trat jedoch nicht ein. Zwar sank die Zahl betrieblicher Kinder­gärten von September 1989 bis Dezember 1990 von 1.477 auf 1.411, die Ge­samtzahl aller Kindergärten in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin stieg im gleichen Zeitraum aber von 13.113 auf 13.202 an226•

Schon Anfang 1990 gab es Bemühungen um den Aufbau nichtstaatlicher Kindergärten. Vor allem waldorfpädagogisch orientierte Elterninitiativen, die von westdeutschen Einrichtungen Unterstützung erhielten, setzten sich für die Genehmigung eigener Kindergärten ein. Am 27. Juni 1990 erließ der Mini­sterrat eine Verordnung über das Errichten und Betreiben von Tageseinrich­tungen für Kinder in freier Trägerschaf(27 , die zum 1. August 1990 in Kraft trat und der Gründung nichtstaatlicher Kinderkrippen, Kindergärten und Hor­te eine rechtliche Grundlage gab228•

2.3.3 Die Umgestaltung des allgemeinbildenden Schulwesens

Die politischen Ereignisse des Herbstes 1989 hatten Teile der Lehrerschaft verunsichert; dies wirkte sich auch auf die Unterrichtsgestaltung aus. Mit Ausnahme der besonders ideologieträchtigen Fächer blieben die Bildungsin­halte zunächst aber im wesentlichen unverändert, und viele Lehrer und Schü­ler waren froh, daß hier vorerst keine radikale Erneuerung stattfand229•

Nach dem Rücktritt Margot Honeckers konnten z.T. lange geforderte Veränderungen realisiert werden. Eine solche Veränderung war die Einfüh­rung der Fünf-Tage-Unterrichtswoche. Sie war bereits auf dem IX. Pädagogi­schen Kongreß diskutiert und ihre ansatzweise Umsetzung für das Schuljahr 1990/91 in Aussicht gestellt worden230• Im Herbst 1989 löste sich dieses Problem durch die normative Kraft des Faktischen, als viele Eltern ihre Kin­der an Samstagen nicht mehr zur Schule schickten. Zudem hatten einige Schulräte in ihren Bezirken bereits eigenmächtig den Samstag als unterrichts-

225 V gl. § 5 Verordnung über die Aufrechterhaltung von Leistungen betrieblicher Kindergärten, polytechnischer und berufsbildender Einrichtungen (Finanzierung von betrieblichen Kindergärten, polytechnischen und berufsbildenden Einrich­tungen).

226 Vgl. GEL 1991, Stichwort Kindergarten. 227 GBL I DDR S. 620. 228 Diese Regelung wurde durch die Verordnung über Tageseinrichtungen für Kin­

der vom 18. September 1990 abgelöst, die als weitergeltendes Recht in den Eini­gungsvertrag aufgenommen wurde; vgl. GBI. I DDR S. 1577; GEL 1991, Stich­wort Schulen und Tageseinrichtungen in freier Trägerschaft

229 Vgl. Richter/Fischer 1993, S. 41. 230 So sollte ab dem Schuljahr 1990/91 in den Wochen nach Ende der Frühjahrsferi­

en bis zu den Sommerferien nur noch von montags bis freitags unterrichtet wer­den; vgl. GEL 1991, Stichwort Schuljahresablauf.

92

Page 91: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

frei erklärt. Der Ministerrat beschloß am 23. November 1989 die Einführung der Fünf-Tage-Unterrichtswoche nach den Winterferien des laufenden Schuljahres, d.h. ab Anfang März 1990. Gleichzeitig sollten die Entscheidun­gen der Schulräte zur unmittelbaren Einführung des unterrichtsfreien Sonn­abends aufgehoben sein231 • Viele Schulen befolgten die Ministerratsentschei­dung jedoch nicht, und so sah sich Bildungsminister Emons bereits Anfang Dezember 1989 gezwungen, den Samstagsunterricht mit sofortiger Wirkung auszusetzen232•

Der Nachfolger Margot Honeckers, Günther Fuchs, nahm am 5. Novem­ber 1989 in Ost-Berlin an den 'Sonntagsgesprächen' über Reformen in der DDR teil. Hier erklärte er, daß das Fach Wehrerziehung im laufenden Schul­jahr ausgesetzt sei; er gehe davon aus, "daß wir es damit abgeschafft ha­ben"233. Tatsächlich war der Wehrunterricht an den polytechnischen Ober­schulen bereits Ende Oktober 1989 eingestellt worden, ebenso wurden die Zivilverteidigungsausbildung, die Tage der Wehrbereitschaft für die 10. Klas­sen und die Wehrausbildung in Lagern für Jungen der 9. Klassen abgeschafft. Ersatzweise sollten an den Schulen Kenntnisse der 'Selbst- und gegenseitigen Hilfe' vermittelt werden. Eine Anweisung des Ministers für Bildung vom 15. Dezember 1989 hob auch die Rechtsvorschriften zur Durchführung des W ehrunterrichts, der vormilitärischen Ausbildung und der Sanitätsausbildung aut234.

Seit Ende Oktober 1989 waren die Lehrpläne für den Staatsbürgerkun­deunterricht nicht mehr verbindlich, für die inhaltliche Gestaltung des Unter­richts waren nun die Lehrer verantwortlich. Ebenso wurde die Leistungsbe­wertung in diesem Fach ausgesetzt. Die Fachlehrer sollten im Einvernehmen mit den betroffenen Schülern entscheiden, ob eine Note in das Abschluß­zeugnis der 10. Klasse aufgenommen werden sollte235• Damit entsprach das

231 Vgl. Schmidt, G. 1990, S. 3; In den Schulen nun eigenes Süppchen kochen?, in: Junge Welt v. l6.1l.l989; Chaos in der Schule? in: Junge Welt v. 6.12.1989; 5-Tage-Unterrichtswoche, in: DLZ. Nr. 48/l989; Jahrelang pompös zur Schau ge­stellt- und nun?, in: ND v. 30.1l.l989.

232 Vgl. GEL 1991, Stichwort Schuljahresablauf; DDR: Sonnabends kein Unterricht mehr, in: Berliner Zeitung v. 7.12.1989. Mit einer Verordnung vom 25. Januar 1990 vollzog das Bildungsministerium die faktische Einführung der Fünf-Tage­Unterrichtswoche auch formalrechtlich nach; vgl. Verordnung über die 5-Tage­Unterrichtswoche an den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, in: GBI. I DDR S. 23; Sroka 1990, S. 137.

233 Zit. nach: Spittmann/Helwig (Hrsg.) 1990, S. 18; vgl. hierzu auch GEL 1991, Stichwort Wehrunterricht

234 Vgl. Zum Wehrunterricht, in: DLZ. Nr. 46/l989; Anweiler l990c, S. 11. 235 Vgl. Wie weiter im Staatsbürgerkundeunterricht?, in: DLZ. Nr. 45/l989; Hörner

1990, S. 16; GEL 1991, Stichwort Staatsbürgerkunde. Hierzu ergingen die 'Hinweise zur Zensierung und zur Erteilung von Zensuren auf den Zeugnissen für das Halbjahr und zum Schuljahresende in den Fächern Staatsbürgerkunde und Geschichte im Schuljahr 1989/90' vom 1 0.1.1990; vgl. Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Bildung I 1990 Nr. I, S. 7.

93

Page 92: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Bildungsministerium Forderungen der Kirchen, die sich schon vor 1989 ge­gen die Bewertung politischer Meinungsäußerungen gewandt hatten. Das Bil­dungsministerium veröffentlichte im Januar 1990 eine unter Beteiligung von Vertretern der Reformgruppen, Kirchen und Parteien ausgearbeitete Über­gangskonzeption für den gesellschafts- und sozialkundliehen Unterricht im 2. Schulhalbjahr 1989/90. Im März 1990 wurden Rahmenpläne für den Gesell­schaftskundeunterricht im Schuljahr 1990/91 publiziert, die konzeptionell und inhaltlich völlig neu aufgebaut waren und neben politisch-gesellschaftlichen auch philosophische, psychologische und ethisch-moralische Fragestellungen enthielten236. Die Themenvielfalt des Rahmenlehrplanes, der neben den in sozial- oder gesellschaftskundlichem Unterricht üblichen Inhalten auch Be­nimmregeln und Hinweise zur Körperhygiene enthielt, erschien manchem Beobachter wie "ein Sammelsurium beliebiger Inhalte", die hiernach zu be­treibende Gesellschaftskunde insgesamt als "Schulfach mit Bauchladencha­rakter"237.

Auch der Geschichtsunterricht war durch konzeptionelle und inhaltliche Veränderungen gekennzeichnet. Im Herbst 1989 kürzte das Bildungsministe­rium den Unterricht für die Klassen 8 und 10 um die Hälfte der bisherigen StundenzahL Die 1988/89 für die Klassen 5 bis 8 eingeführten Lehrpläne und Lehrbücher sollten zunächst ihre Gültigkeit behalten, die Behandlung histori­scher Themen in den Klassen 9 und 10 war hingegen den Lehrern nach Um­fang und Inhalt freigestellt. Mit der Veröffentlichung einer Arbeitsgrundlage für den Geschichtsunterricht in den Klassen 5 bis 10 vom März 1990, die als Übergangsregelung für das Schuljahr 1990/91 dienen sollte, traten die alten Lehrpläne außer Kraft; gleiches galt für die Geschichtsbücher der Klassen 8 bis 10238. Neben den Arbeitsgruppen des Ministeriums, die sich mit der Neu­gestaltung der Lehrpläne für den Geschichtsunterricht befaßten, beschäftigten sich auch Wissenschaftler an Universitäten und Hochschulen mit der didakti­schen und methodischen Gestaltung des Faches Geschichte. Aus diesen Ar­beiten entstanden im Verlauf des Jahres 1990 mit dem 'Potsdamer Entwurf', dem 'Dresdner Entwurf' und anderen Rahmenpläne als Diskussionsgrundlage für einen erneuerten Geschichtsunterricht239.

Staatsbürgerkunde- und Geschichtsunterricht waren die Kernfächer, über die die SED ihre Welt- und Geschichtsinterpretation vermitteln ließ. Der Zu­sammenbruch der sozialistischen Ordnung, der Verfall des Definitionsmono­pols der bislang alle Lebensbereiche dominierenden Staatspartei und die

236 Vgl. GEL 1991, Stichwort Staatsbürgerkunde; Ministerium für Bildung (Hrsg.): Rahmenpläne für den Gesellschaftskundeunterricht (Erprobungslehrplan). März 1990.

237 Bildung aus dem Bauchladen, in: Die Zeit v. 17.8.1990; vgl. Mit Anstandsregeln in die neue Republik, in: FR v. 23.6.1990.

238 Vgl. GEL 1991, Stichwort Geschichtsunterricht; Die DDR war doch nicht der Höhepunkt, in: F.A.Z. v. 17.2.1990.

239 Vgl. Klewitz 1990.

94

Page 93: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Freigabe des Unterrichts führten zu einer Sinn- und Orientierungskrise bei vielen Lehrern, die in ihrer Tätigkeit an klare Vorgabenund z.T. kleinliche Kontrollen gewöhnt waren. In der Lehrerschaft traf die Aufhebung der bis­lang verbindlichen Staatsbürgerkundelehrpläne daher auch keineswegs auf einhellige Zustimmung. Vielen Fachlehrern fehlten ihre bisherigen Orientie­rungsgrundlagen, als mit den Lehrplänen auch die Schulbücher und Unter­richtshilfen ihre Gültigkeit verloren240. Symptome der Überforderung von Lehrern und Schülern traten hinzu, nachdem das Bildungsministerium emp­fohlen hatte, im Staatsbürgerkunde- und Geschichtsunterricht aktuelle politi­sche Fragen zu diskutieren, jedoch zunächst keine didaktische Unterstützung anbot. Mit der Übergangskonzeption für das 2. Schulhalbjahr 1989/90 wurde zwar dieses Problem gelöst, nach wie vor blieb aber die persönliche Orientie­rungskrise vieler Lehrer. Zudem begleitete nun eine kritische Öffentlichkeit deren Arbeit, und viele Eltern fanden es unerträglich, daß oftmals die glei­chen Lehrkräfte den neuen gesellschaftskundliehen Unterricht erteilen sollten, die zuvor zu den Apologeten des Sozialismus fehört hatten241 •

Neben den ideologiebelasteten Fächern24 war auch die Fremdsprachen­ausbildung der Kritik ausgesetzt. Das Bildungsministerium realisierte bald, daß die vielfach geforderte freie Wahl der ersten Fremdsprache in den Schu­len rasch zu Problemen führen würde, da der abzusehenden Wahl der engli­schen Sprache durch einen großen Teil der Schüler nur in geringem Umfang adäquat ausgebildete Lehrkräfte gegenüberstanden. Sie wollte diese Forde­rung indes nicht zurückweisen und reagierte schnell, so daß bereits ab No­vember 1989 insbesondere Russischlehrer berufsbegleitend Englischkurse be­suchen konnten. Sie sollten in die Lage versetzt werden, ab dem Schuljahr 1990/91 Englischunterricht in den 5. Klassen zu erteilen243• Zum 2. Schul­halbjahr 1989/90 erfolgte eine Kürzung des Russischunterrichts um zwei Wo­chenstunden für die 5. und um je eine Stunde für die 6. und 9. Klassen. Die in der Klassenstufe 10 obligatorische Abschlußprüfung im Fach Russisch entfiel in diesem Schuljahr. Schüler konnten selbst entscheiden, ob sie sich schrift-

240 Vgl. Sroka 1990, S. 137. Nicht zuletzt aufgrundder Schwierigkeiten, mit den neu gewährten Freiheiten umzugehen, unterrichteten Lehrer Staatsbürgerkunde noch Ende Januar 1990 nach den alten Lehrplänen; vgl. Busch 1990.

241 Vgl. Sroka 1990, S. 139. 242 Zu diesen gehörten neben den genannten Fächern Geschichte, Staatsbürgerkunde

und Wehrunterricht die Fächer Deutsch, Heimatkunde und Geographie, deren ideologische Einseitigkeit schon in den Schulbuchanalysen der evangelischen Kirchen kritisiert worden war. Auch sie erfuhren inhaltliche Veränderungen; vgl. zur Kritik an diesen Fächern Realitätsbezogener Geographieunterricht, in: DLZ. Nr. 49/1989; Deutsch ist mehr als Literatur, in: DLZ. Nr. 9/1990; Heimatkunde darf nicht zu eng gesehen werden, in: DLZ. Nr. 911990. Zur Umgestaltung dieser Fächer im zweiten Schulhalbjahr 1989/90 vgl. Anweisung zur Stundentafel für das 2. Halbjahr 1989/90 v. 22.1.1990, in: DLZ. Nr. 511990.

243 Vgl. Sroka 1990, S. 139.

95

Page 94: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

lieh, mündlich oder gar nicht in Russisch prüfen lassen wollten244• Weitere Veränderungen im Fremdsprachenbereich wirkten sich erst im Schuljahr 1990/91 aus. Statt des bisher obligatorischen Russischunterrichts ab Klasse 5 konnten die Schüler nun zwischen Russisch, Englisch und Französisch wäh­len245. Eine zweite Fremdsprache konnte ab Klasse 7 fakultativ belegt wer­den; sie blieb wie bisher Voraussetzung für den Übergang zur Abiturbil­dung246. Tatsächlich wählten die meisten Schüler im Schuljahr 1990/91 Eng­lisch (ca. 80-90 %)247. Dies führte zu nicht unerheblichen Problemen, da trotz der vorbereitenden Maßnahmen des Bildungsministeriums nicht genügend ausgebildete Englisch-Lehrer zur Verfügung standen248.

Über die Aufrechterhaltung des polytechnischen Unterrichtsprinzips kam es zu Kontroversen zwischen den politischen Akteuren249. An der praktischen Ausgestaltung des Teilbereiches 'Produktive Arbeit' hatte es bereits seit län­gerem Kritik gegeben; aufgrund der politischen und ökonomischen Verände­rungen schien nun aber die Durchführung des polytechnischen Unterrichts grundsätzlich gefährdet. Evident war, daß der polytechnische Unterricht auf­grundder Einführung marktwirtschaftlicher Strukturen in der DDR zumindest inhaltlich verändert werden mußte. Weitaus gravierender wirkte sich aber aus, daß die 1989 bestehenden 2.140 betrieblichen polytechnischen Einrichtungen durch die sie tragenden Betriebe nun stärker als bisher unter Kostengesichts­punkten berücksichtigt werden mußten, und daß viele Betriebe im Laufe des Jahres 1990 versuchten, sich durch Kündigung der mit Schulen abgeschlosse­nen Verträge ihren Ausbildungsverpflichtungen zu entziehen250. In den Be­trieben tätige Ausbilder für polytechnischen Unterricht begannen, sich beruf­lich neu zu orientieren. Die Außerkraftsetzung einiger Rechtsre~elungen in Bildung und Wirtschaft verunsicherte alle Betroffenen zusätzlich 51 . Schließ­lich sah sich das Bildungsministerium zum Eingreifen veranlaßt und bestimm­te mit der gleichen Verordnung vom 6. Juni 1990, die bereits Vorschriften für die betrieblichen Kinderbetreuungseinrichtungen enthielt, daß die betriebli­chen Ausbildungseinrichtungen aufrechtzuerhalten oder in kommunale Trä­gerschaft zu überführen waren. Wie bereits für die von ihnen unterhaltenen Kindergärten sollten die Betriebe direkt oder über Steuererleichterungen eine

244 Vgl. Diskussionsangebot zur Gestaltung des zweiten Schulhalbjahres 1989/90, in: DLZ. Nr. 50/1989; Anweisung zur Stundentafel für das 2. Halbjahr des Schuljahres 1989/90 v. 22.1.1990, in: DLZ. Nr. 511990; Prüfungen und Abitur­bildung neu geregelt, in: Informationen zur DDR-Pädagogik. H. 111990, S. 60.

245 Vgl. Hörner 1990, S. 16. 246 V gl. GEL 1991, Stichwort Fremdsprachenunterricht 247 Vgl. GEL 1991, Stichwort Schulbuchversorgung. 248 Vgl. Das neue Schuljahr- ein Kraftakt?, in: ad hoc. H. 1211990, S. 6. 249 Die Diskussion um die Weiterführung des polytechnischen Unterrichts ist aus­

führlich dokumentiert in: Gesamtdeutsches Institut (Hrsg.) 1990a, S. 165ff. 250 Vgl. Hörner 1990, S. 16. 251 Vgl. GEL 1991, Stichwort Polytechnischer Unterricht.

96

Page 95: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Aufwandsentschädigung für die Weiterführung der Ausbildung erhalten. Bei Nichtbeachtung dieser Bestimmungen drohten Ordnungsstrafen252. Infolge der Verordnung über die Aufrechterhaltung von Leistungen betrieblicher Kindergärten, polytechnischer und berufsbildender Einrichtungen entstanden kommunale polytechnische Einrichtungen als neues Strukturelement des Bil­dungssystems, da die Kommunen bei Auflösung von Betrieben zur Übernah­me der vorhandenen polytechnischen Einrichtungen verpflichtet waren. Arti­kel 9 (1) EV befristete die Geltungsdauer dieser Regelung bis zum Erlaß ent­sprechenden Landesrechts. Ergänzend zu dieser strukturellen Umgestaltung gab es inhaltliche Veränderungen in der polytechnischen Bildung. Die Rah­menrichtlinie für den polytechnischen Unterricht vom 16. März 1990 ordnete als Übergangsregelung für das Schuljahr 1990/91 einige Inhaltsbereiche neu. Fachunterricht Technik/Wirtschaft ersetzte das Fach Einführung in die sozia­listische Produktion253.

Zur Neugestaltung des Unterrichts in den allgemeinbildenden Schulen erließ das Bildungsministerium über die inhaltlichen Detailregelungen hinaus neue Rahmenstundentafeln für die POS, die die bisherigen verbindlichen Lehrpläne ersetzten und als Übergangsregelungen für das Schuljahr 1990/91 gültig waren. Die Stundentafel für die Unterstufe der POS enthielt einige marginale Veränderungen, die sich im wesentlichen auf eine lineare Kürzung der Wochenstundenzahl zu Lasten des Deutsch- und Musikunterrichts be­schränkten254. In der Mittel- und Oberstufe der POS ersetzten darüber hinaus das Fach Gesellschaftskunde die bisherige Staatsbürgerkunde und die wahlobligatorische Fremdsprache (Englisch, Französisch, Russisch) ab Klas­se 5 den bisherigen Pflichtunterricht in Russisch. Für den Fremdsprachenun­terricht waren nur noch vier statt der bisherigen sechs Wochenstunden vorge­sehen. Der polytechnische Unterricht wurde um eine Wochenstunde ge­kürzt255.

Das Bildungsministerium bemühte sich, den veränderten gesellschaftli­chen Rahmenbedingungen auch durch neue Unterrichtsangebote Rechnung zu tragen. Im März 1990 erschien ein Rahmenprogramm für einen fakultativen Kurs 'Gestaltung des persönlichen Lebens' für die Klassenstufen 7 und 8. Dieser enthielt wie der Rahmenplan Gesellschaftskunde ethisch-moralische Fragestellungen256. Zudem diskutierten Vertreter des Bildungsministeriums bereits seit dem Herbst 1989 mit Angehörigen von Kirchen und Oppositions-

252 V gl. § § 5 u. 6 Verordnung über die Aufrechterhaltung von Leistungen betrieb Ii­eher Kindergärten, polytechnischer und berufsbildender Einrichtungen v. 6.6. 1990.

253 V gl. GEL 1991, Stichwort Polytechnischer Unterricht. 254 Vgl. GEL 1991, Stichwort Grundschule. 255 V gl. Rahmenstundentafel für die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische

Oberschule ab Schuljahr 1990/91 mit der dazugehörigen Anweisung vom 12.4. 1990, in: DLZ. Nr. 2011990.

256 V gl. GEL 1991, Stichwort Ethikunterricht

97

Page 96: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gruppen intensiv über die Einführung von Religions- oder religionskundli­chem Unterricht. Die Haltung der beiden großen christlichen Kirchen zu ei­nem schulischen Religionsunterricht war jedoch widersprüchlich257. Vertreter der evangelischen Kirchen sprachen sich zunächst noch für die Beibehaltung der Christenlehre in der Verantwortung und in den Räumen der Kirchen aus, da sie aufgrund der geringen Zahl an Gemeindemitgliedern eine Marginalisie­rung der evangelischen Schüler befürchteten. Darüber hinaus sahen sie den Aufbau eines flächendeckenden Angebotes an Religionsunterricht aufgrund zu geringer personeller Kapazitäten als undurchführbar an. Hingegen fand die Einführung von Ethikunterricht, an dessen inhaltlicher Ausgestaltung sich auch die Kirchen beteiligen konnten, ihre Zustimmung258 . Die katholische Berliner Bischofskonferenz hingegen forderte bereits 1990 unmißverständlich "das grundsätzliche Recht auf Erteilung von Religionsunterricht"259. Die Dis­kussion um die Einführung von Religions- oder religionskundliebem Unter­richt an den Schulen erschöpfte sich jedoch nicht in den Debatten von Kir­chenvertretern; auch Fachwissenschaftler beteiligten sich mit eigenen Beiträ­gen. Kritiker verwiesen auf die Gefahr, daß sich die Schulen nach der Befrei­ung von der parteigebundenen Indoktrination einer erneuten Ideologisierung, nun von kirchlicher Seite, ausgesetzt sehen könnten260•

In den für das Schuljahr 1990/91 gültigen Lehrplänen war Religionsun­terricht nicht vorgesehen. Die Kommission 'Ethische Bildung' beim Ministe­rium für Bildung, in der Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen mitwirkten, empfahl für das Schuljahr 1990/91 die Einführung eines Faches 'Lebensgestaltung/Ethik' ab Klasse 5, in dessen inhaltliche Ausgestaltung re­ligionskundliche Elemente einfließen sollten261 • Bildungsminister Meyer be­tonte, daß sein Ministerium zukünftigen Regelungen, die in der Kompetenz der Länder lägen, auch hinsichtlich der Einführung schulischen Religionsun­terrichts nicht vorzugreifen beabsichtige262• Andererseits führte Meyer am 31.

257 Vgl. Schwerin 1990b, S. 216f. 258 V gl. Schwerin 1990b. "Die Forderung nach einem Fach Religionsunterricht in

der Schule wurde zunächst nicht erhoben"; Reiher 1992a, S. 74. 259 Hartmann 1990a, S. 1028. Zur weiteren Diskussion um die Gestaltung des Reli­

gions- oder religionskundliehen Unterrichts am Beispiel des Landes Brandenburg vgl. z.B. Lebensgestaltung als Unterrichtsfach, in: Die Zeit. Nr. 27/1992.

260 Vgl. hierzu z.B. Rabe 1990; Religion kann man nicht unterrichten, in: DLZ. Nr. 3211990.

261 Vgl. Religionskunde gehört dazu, in: DLZ. Nr. 3411990; Neues Schulfach emp­fohlen, in: Geschichte- Erziehung- Politik. H. 5/1990, S. 476; Empfehlung zur Einführung eines Unterrichtsfaches 'Lebensgestaltung/Ethik' in den Schulen ost­deutscher Länder, in: Geschichte-Erziehung-Politik. H. 6/1990, Beilage.

262 Vgl. Schule kann nur leben von der Leistungsfähigkeit und dem Verantwor­tungsbewußtsein der Lehrer, in: DLZ. Nr. 28/1990. In einem Interview vom 26.4.1990 hatte sich Meyer bereits festgelegt: "Der Bildungsminister wird jeden­falls keinen Religionsunterricht anordnen"; Ich sehe mich nicht als Konkursver­walter, in: Gesamtschul-Informationen. H. 1-211990, S. 357.

98

Page 97: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

August 1990 mit hohen Vertretern der katholischen wie der evangelischen Kirchen ein Grundsatzgespräch zu Fragen des Religionsunterrichts. Über­einstimmend stellten die Gesprächsteilnehmer fest, daß sich mit der Über­nahme des Grundgesetzes durch die ostdeutschen Länder ein Rechtsanspruch auf Erteilung von Religionsunterricht gemäß Art. 7 (3) GG ergäbe. Darüber hinaus bestünde ein Interesse daran, religionskundliehe Elemente in den all­gemeinbildenden Unterricht einzugliedern; konkrete Vereinbarungen sollten jedoch der Absprache mit den Ländern vorbehalten bleiben263 • An sächsi­schen Schulen wurde bereits im Schuljahr 1990/91 ein Lehrplan für Geschich­te erprobt, der religionskundliehe Elemente enthielt.

Problematisch schien zunächst die Versorgung der Schüler mit neuen Lehrbüchern für das Schuljahr 1990/91. In den ideologisch scheinbar unpro­blematischen Fächern, insbesondere in den Naturwissenschaften und Mathe­matik, sollten die bisherigen Schulbücher zunächst weiterbenutzt werden. Die Stoffauswahl lag in der Verantwortung der Lehrer. Die ideologische Durch­dringung auch dieser Schulbücher mußte mangels Alternative zunächst hin­genommen werden, obgleich es auch hieran Kritik gab264• Der Austausch der Schulbücher und Unterrichtsmaterialien in den besonders ideologiehaltigen Fächern Staatsbürgerkunde und Geschichte, Deutsch sowie Heimat-/Erdkun­de galt als vorrangig. Überdies fehlten geeignete Lehrbücher für den neu- und altsprachlichen Unterricht (Französisch, Englisch, Latein, Griechisch). Die Grundausstattung mit Schulbüchern für das Schuljahr 1990/91 stellte letztmalig der Verlag Volk und Wissen bereit, der 540 Titel in 26,5 Mio. Ex­emplaren auslieferte265 • Für die 'Problernfächer' konnten durch die Schul­buchhilfe des BMBW 2,46 Mio. Lehrbücher für allgemeinbildende und be­rufsbildende Schulen, Sonderschulen, Fachschulen und Volkshochschulen be­schafft werden, die an insgesamt rund 7.000 Einrichtungen verteilt wurden266•

Zusätzlich trug eine vom MBW mit 5 westdeutschen Verlagen ausgehandelte Schulbuchspende, insbesondere von Mathematik- und Fremdsprachenlehrbü­chern, zur Schulbuchversorgung für das Schuljahr 1990/91 bei267 • Trotz der Ergänzung durch westdeutsche Literatur und der Überarbeitung eines Teils der noch zu nutzenden DDR-Schulbücher war aufgrund des geringen zeitli­chen Vorlaufs nicht zu verhindern, daß auch im Schuljahr 1990/91 noch ein Teil der Arbeitstexte Inhalte enthielt, die weder der aktuellen politischen

263 Vgl. Reiher 1992b, S. 5f. 264 Vgl. Niermann 1990b, S. 384. 265 Vgl. GEL 1991, Stichwort Schulbuchversorgung 1990/91. 266 V gl. Schulbuchaktion erfolgreich abgeschlossen, in: Informationen Bildung Wis­

senschaft. H. 211991, S. 17; BMBW: Presseinformation v. 16.5.1990. 267 Die Schulbücher im Gesamtwert von ca. 60 Mio. DM wurden je zur Hälfte durch

das BMBW und die Schulbuchverlage selbst finanziert; vgl. GEL 1991, Stich­wort Schulbuchversorgung 1990/91; Deutscher Bildungsdienst Nr. 3411990, S. 2.

99

Page 98: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Entwicklung noch den neuen methodisch-didaktischen Anforderungen ent­sprachen268.

Parallel zur allgemeingesellschaftlichen Umgestaltung und Demokratisie­rung erfolgte eine Umgestaltung und Demokratisierung der inneren Struktu­ren der Schule. Die bisherige Schulordnung wurde überarbeitet und teilweise außer Kraft gesetzt; sie diente als Übergangslösung für das zweite Schulhalb­jahr 1989/90. Am 18. September 1990 verabschiedete die Volkskammer eine vorläufige Schulordnung, die bis zum lokrafttreten anderweitigen Landesrech­tes als Übergangsregelung gültig sein sollte. Diese Übergangsschulordnung war gemäß EV bis zum 30. Juni 1991 befristet. Sie galt für die öffentlichen allgemeinbildenden und beruflichen Schulen und enthielt Regelungen zu Schulpflicht, Versetzung und Schulleitung sowie zu Mitwirkungsrechten von Lehrern, Schülern, Eltern, die den westdeutschen Standards entsprachen269 .

Die schulischen Leitungsstrukturen waren inhaltlich und personell zu er­neuern. Die Direktoren und ihre Stellvertreter waren regelmäßig SED-Mit­glieder; sie waren für die pädagogische wie für die politisch-ideologische Leitung der Schulen verantwortlich. Gemäß der Hinweise des Bildungsmini­steriums für die Arbeit mit der Schulordnung sollten die Direktoren die Leh­rer und Erzieher an der Entscheidungstindung beteiligen und Lehrern größere Freiräume für ihre Tätigkeit einräumen. Problematisch blieb aber die perso­nelle Kontinuität in den Leitungsstrukturen. Viele der Direktoren galten noch immer als Vertreter der alten Ordnung, was Kritiker eher als hemmend denn als förderlich für eine Demokratisierung der Schule betrachteten270. Dieses Personalproblem schien durch die Verordnung über Mitwirkungsgremien und Leitungsstrukturen im Schulwesen und die Verordnung zur Bildung vorläufi­ger Schulaufsichtsbehörden, beide vom 30. Mai 1990, lösbar271 • Infolge der erstgenannten Verordnung waren alle ca. 6.700 Direktoren und stellvertreten­den Direktoren von allgemein- und berufsbildenden Schulen zum Schuljah­resende 1989/90 abberufen272. An einigen Schulen gab es inzwischen bereits neue, unbelastete Schulleiter, aber auch diese betraf die Verordnung, da die Neuernennungen nach Ansicht des Bildungsministeriums nicht rechtswirksam waren. Gleichzeitig wurden alle Stellen neu ausgeschrieben, wobei sich die ehemaligen Direktoren wieder um die Stelle eines Schulleiters bewerben konnten. Überdies konnten die kommunalen Schulträger, die Schulen und die

268 Vgl. Auch bei Plus und Minus hat die FDJ ausgedient, in: Die Welt v. 8.9.1990; Wenn Demokratie zum Pflichtfach wird, in: Die Zeit v. 21.9.1990.

269 V gl. Verordnung über Grundsätze und Regelungen für allgemeinbildende Schu­len und berufsbildende Schulen- Vorläufige Schulordnung- vom 18.9. 1990, in: GBl. I DDR S. 1579.

270 Vgl. Sroka 1990, S. 143. 271 Vgl. GBL I DDR S. 294, S. 296. 272 "Zum 31. August 1990 sind alle Direktoren und stellvertretenden Direktoren ab­

berufen"; § 18 Verordnung über Mitwirkungsgremien und Leitungsstrukturen im Schulwesen.

100

Page 99: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Schulaufsichtsbehörden Kandidaten vorschlagen. Die neuen Direktoren und deren Stellvertreter wurden von den neuen Schulräten ernannt, die zuvor so­wohl die Schulträger als auch die neu zu bildenden Schulkonferenzen anzuhö­ren hatten. Letztere setzten sich aus Vertretern der Lehrer, der Eltern und der mindestens 14jährigen Schüler im Verhältnis 2 zu 1 zu 1 zusammen. Gegebe­nenfalls konnten weitere Personen der Schulkonferenz angehören, z.B. Ver­treter der Betriebe, die polytechnischen Unterricht erteilten. Die Schulkonfe­renzen besaßen damit zwar ein Mitwirkungs-, nicht jedoch ein Mitentschei­dungsrecht, denn die Schulräte konnten vom Votum der Schulkonferenzen abweichen273• Für die Neuwahlen entstand erheblicher Zeitdruck, nicht zuletzt dadurch, daß sich die Schulkonferenzen innerhalb von nur drei Wochen zu konstituieren hatten. Für die Ausschreibung der Direktorenstellen galt eine Befristung bis zum 30. Juni 1990, und bis zum 7. Juli, dem Beginn der Som­merferien, sollten die Schulkonferenzen einen ihnen geeignet erscheinenden Bewerber vorschlagen. Noch innerhalb des Monats Juli 1990 war dann einer der Bewerber durch den Schulrat zu ernennen. Die Demokratisierung des Schulwesens konnte auf diese Weise jedoch nur teilweise erreicht werden. Der große Zeitdruck, unter dem die Wahlen stattfanden und die mangelnde Information der Beteiligten waren die hauptsächlichen Gründe hierfür. In vielen Fällen schlugen Lehrerkollegien vor, bisherige Schulleiter wieder zu ernennen, und Lehrer hatten häufig Scheu, sich um eine Direktorenstelle zu bewerben. Die Art der Durchführung der Direktorenwahlen und ihre Ergeb­nisse wurden heftig kritisiert274• Allerdings war die Tätigkeitsdauer der neu­gewählten Schulleiter und Stellvertreter befristet. Auch mit dieser Regelung sollte vermieden werden, den Kompetenzen der zu bildenden Länder vorzu­greifen275.

Als Ersatz für die bisherigen Strukturen der Schulverwaltung auf Kreis­und Bezirksebene wurden infolge der Verordnung über die Bildung von vor­läufigen Schulaufsichtsbehörden nach Abberufung der Bezirks- und Kreis­schulräte neue Landes- und Kreisschulämter gebildet, die die Aufgaben der bisherigen Bildungsverwaltung auf dieser Ebene bis zur Konstituierung der

273 Vgl. Schmidt, W. 1990a, S. 4; Ost-Berlin will bis Ende August alle Schuldirekto­ren entlassen, in: F.A.Z. v. 13.6.1990.

274 Vgl. Schmidt, W. 1990a, S. 4ff. So beklagten sich z.B. Schulräte, "daß die Leh­rerkollegien in 8 von 10 Fällen vorschlügen, die alten Schulleiter wieder zu er­nennen, die doch für die Kommandopädagogik mitverantwortlich seien"; "Ich kann die Schulleiter nicht mit dem Krückstock suchen", in: F.A.Z. v. 2.7.1990. Insgesamt schwankte der Anteil neuer Schulleiter gegenüber den Wiederberufe­nen regional zwischen 13 %und 67 %; vgl.: In der DDR fehlen unbelastete Di­rektoren, in: F.A.Z. v. 29.8.1990; vgl. auch: Verordnet: Die Wahl der Schulleiter, in: FR v. 23.8.1990.

275 Zu Ablauf und Problemen bei der Neubesetzung der Schuldirektorenstellen vgl.: Fischer 1992, S. 104; Peter 1990, S. 22; Schmidt, W. 1990a, S. 3ff. m.w.N.; Ost­Berlin will bis Ende August alle Schuldirektoren entlassen, in: Forum E. Nr. 7-8/1990.

101

Page 100: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Länderbildungsadministrationen wahrnahmen. An der Spitze eines Landes­schulamtes stand ein Landesschulrat, dessen Berufung in Abstimmung zwi­schen den Bildungsminister und den Kommunalbehörden der jeweiligen Territorien erfolgte276 • Die Landesschulräte waren bis zur Einrichtung ent­sprechender Behörden der Länder mit der Wahrnehmung unterschiedlicher Koordinierungs- und Aufsichtsaufgaben im Schulwesen betraut277 • Bis dahin blieb das Ministerium für Bildung und Wissenschaft oberste Schulaufsichts­behörde278.

Die Schaffung neuen Rechts auf dem Verordnungswege durch das Bil­dungsministerium wurde durch die SPD scharf kritisiert, die sich trotz ihrer Beteiligung an der Regierungskoalition an der rechtlichen Gestaltung des Bil­dungswesens nicht ausreichend beteiligt fühlte. Die Verordnung über Mitwir­kungsgremien und Leitungsstrukturen im Schulwesen war ein solcher Fall, der zu einer Kontroverse zwischen dem Ministerium für Bildung und Wissen­schaft und dem für diesen Bereich zuständigen Volkskarnrnersausschuß führ­te. Im Juni 1990 protestierte die SPD gegen das Vorgehen des Ministers für Bildung und Wissenschaft. Der Vorsitzende des Volkskarnrnerausschusses Konrad Eimer (SPD) beklagte, daß das Ministerium den Ausschuß nicht in ausreichendem Maß an den Entscheidungsprozessen beteiligte. Der Ausschuß hätte keine Möglichkeit gehabt, seine Bedenken gegen diese Verordnun~ vor ihrem Erlaß vorzutragen, für die es gar keine gesetzliche Grundlage gäbe 79•

Während sich die seit dem Herbst 1989 eingeleiteten strukturellen und inhaltlichen Veränderungen im Schulwesen im wesentlichen auf einen breiten Konsens der politischen Akteure stützen konnten, gab es kontroverse Diskus­sionen über die zukünftige Gestaltung der Wege zur Hochschulreife. Dieser Dissens war bereits im Wahlkampf vor der Volkskammerwahl deutlich ge­worden und konnte auch nach der Regierungsbildung nicht beigelegt werden. Während die CDU ein gegliedertes Schulwesen mit unterschiedlichen, aber gleichwertigen Bildungswegen und Wahlmöglichkeiten für Eltern und Schü-

276 Vgl. § 5 (1) Verordnung über die Bildung von vorläufigen Schulaufsichtsbehör­den.

277 Vgl. §§ 3 (1) u. 5 (1) Verordnung über die Bildung von vorläufigen Schulauf­sichtsbehörden. Zu den Landesschulräten, ihren Aufgaben und konzeptionellen Vorstellungen zur Entwicklung des Schulwesens vgl.: Die DDR-Länder sind im Kommen. Auch ihre Schulen, in: DLZ. Nr. 3311990.

278 Vgl. § 2 (3) Verordnung über die Bildung von vorläufigen Schulaufsichtsbehör­den.

279 V gl. Das Hauptproblem - Zusammenarbeit mit dem Ministerium, in: DLZ. Nr. 2711990. Die Einlassung Konrad Eimers war durchaus gerechtfertigt, da eine Rechtsmaterie wie die diesbezügliche zumindest nach (west-) deutschem Rechts­verständnis einem Parlamentsvorbehalt unterlegen hätte. V gl. hierzu Hage 1991 bezüglich der Frage, inwieweit gern. EV weitergeltendes DDR-Recht nach dem 3. Oktober 1990 in der Bundesrepublik Deutschland gültig war. Zur inhaltlichen Kritik der SPD, etwa an der frühen Selektion im Schulwesen, vgl. GEW (Hrsg.) 1990, s. 10.

102

Page 101: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ler favorisierte, bevorzugte die SPD die Etablierung eines flächendeckenden Systems integrierter Gesamtschulen mit breiter innerer Differenzierung280.

Die Kritik vieler Akteure an der Selektivität und der nur zweijährigen Dauer der Abiturbildung hatte dazu geführt, daß das MBW am 28. Februar 1990 Anordnungen zur Bildung von Leistungsklassen 9 und zur Aufnahme von Schülern in diese Klassen sowie zur Aufnahme von Schülern in Spe­zialklassen 9 erließ281 . Die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Schüler sowie ein formloser Antrag der Eltern waren nun die einzigen Krite­rien für eine Aufnahme in die ab dem Schuljahr 1990/91 wieder mit der 9. Klasse beginnende Abiturbildung und die Ausbildung in den Leistungsklas­sen282. Die Verordnung zur Bildung von Leistungsklassen in der Klassenstufe 9 stellte die Regelungen wieder her, die mit den EOS-Vorbereitungsklassen 9 und 10 bis zum Schuljahr 1982/83 existiert hatten. Die SPD bewertete diese Anordnungen des Ministers für Bildung und Wissenschaft als Vorbereitung zur Errichtung von Gymnasien, d.h. als Einstieg in ein gegliedertes Schulsy­stem, und lehnte sie daher entschieden ab. Konrad Eimer begründete die ab­lehnende Haltung der SPD gegen die in Klasse 9 beginnende Abiturbildung mit dem Argument verfrühter Selektion, obgleich er in der Bewertung, eine nur zweijährige Abiturbildung sei nicht ausreichend, mit Bildungsminister Meyer übereinstimmte283.

Meyer hielt an den Anordnungen zur Bildung von Leistungsklassen und zur Aufnahme von Schülern in Spezialklassen fest. Zum Schuljahresbeginn im September 1990 wurden an 250 EOS und 550 POS Leistungsklassen 9 gebildet284. Für Schüler, die bereits die 9. Klasse absolviert hatten, bestand

280 V gl. Schmidt, W. 1990a, S. 11. 281 V gl. Anordnung zur Bildung von Leistungsklassen 9 und zur Aufnahme von

Schülern in diese Klassen vom 28.2.1990, in: GBl. I DDR S. 122; Anordnung zur Aufnahme von Schülern in Spezialklassen 9 vom 28.2.1990, in: GBl. I DDR S. 123.

282 V gl. § 5 Verordnung zur Bildung von Leistungsklassen 9 und zur Aufnahme von Schülern in diese Klassen; §§ 2 u. 3 Verordnung zur Aufnahme von Schülern in Spezialklassen 9.

283 Vgl. hierzu die Aussagen Konrad Eimers, zit. nach: Schmidt, W. 1990a, S. 12f. Folgerichtig führte das später SPD-regierte Bundesland Brandenburg die 13-jährige Unterrichtsdauer bis zum Abitur ein. Auch Bildungsminister Meyer konnte sich eine neustrukturierte Schule für alle Schüler- vergleichbar den Vor­stellungen der SPD - mit einem differenzierten Kursangebot ab Klasse 7 vorstel­len. Die Bildung von Leistungsklassen ab Klassenstufe 9 setzte er dennoch durch; vgl. a.a.O.

284 Vgl. Hörner 1990, S. 18. Die Einführung neuer Klassen zur Abiturbildung er­schöpfte sich jedoch nicht im Erlaß entsprechender Verordnungen. Der zusätzli­che Aufwand für eine dann vierjährige Ausbildung wurde auf 7.800 Inter­natsplätze, 1.900 Unterrichtsräume und 2.800 bis 3.000 Lehrer geschätzt; vgl. Burkhardt 1990, S. 45.

103

Page 102: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

die Möglichkeit, in eine Leistungsklasse 10 aufgenommen zu werden, wovon ca. 17% des Jahrganges Gebrauch machten285•

Auch inhaltlich ergaben sich durch die Umgestaltung der Abiturbildung Veränderungen. Das Bildungsministerium hob die Verbindlichkeit des Staatsbürgerkundelehrplanes auch für die EOS auf und führte im Frühjahr 1990 einen Erprobungslehrplan ein. Der polytechnische Unterricht wurde in­haltlich neu profiliert und die Gesamt-Wochenstundenzahl um drei bis vier Unterrichtsstunden linear gekürzt286• Nach Außerkraftsetzung des Lehrplanes für Geschichte aus dem Jahr 1979 empfahl das Bildungsministerium, den neuen Lehrplan von 1989 zu nutzen. Nach wie vor wiesen die Abiturzeugnis­se im Jahr 1990 Zensuren für die Fächer Staatsbürgerkunde und Geschichte aus, soweit sich die Schüler freiwillig in diesen Fächern prüfen ließen287 . Die fakultativen Kurse wurden um Angebote in Informatik und einer dritten Fremdsprache erweitert288• Im Fremdsprachenbereich sahen die Abiturprü­fungen des Jahres 1990 eine wahlobligatorische Prüfung vor, wobei die Schüler wählen konnten, ob sie sich in Russisch, Englisch oder Französisch mündlich prüfen lassen wollten. Im Fach Russisch war auch eine schriftliche Prüfung möglich289•

Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft waren - abgesehen von den we­nigen kirchlich getragenen Bildungseinrichtungen - ein Novum in der Bil­dungslandschaft der DDR. Noch im Herbst 1989 bildeten sich viele Initiati­ven zur Gründung von nichtstaatlichen Kindergärten und Schulen, wobei die Waldorf- oder Steiner-Schule für viele ein Synonym für Bildungseinrichtun­gen in freier Trägerschaft zu sein schien. 290• Bereits Ende 1989 reisten west­deutsche Waldorfpädagogen zu Informations- und Werbeveranstaltungen in viele Städte der DDR. Das Bildungsministerium bemühte sich mit der zeit­weiligen Einsetzung einer Arbeitsgruppe 'Alternative Pädagogik', dieser

285 Vgl. Fischer 1992, S. 114f. 286 Vgl. die im Schuljahr 1989/90 gültige Stundentafel der EOS und die für das

Schuljahr 1990/91 erlassene Rahmensrundentafel für die Klassen 11 und 12 der EOS, in: GEL 1991, Stichwort Hochschulzugangsberechtigung.

287 Vgl. Wie weiter im Geschichtsunterricht?, in: DLZ. Nr. 46/1989; Wie weiter im Geschichtsunterricht der Abiturstufe?, in: DLZ. Nr. 4911989; Prüfungen und Ab­iturbildung neu geregelt, in: Informationen zur DDR-Pädagogik. H. 111990, S. 61.

288 Auch die neben der EOS existierenden diversen Möglichkeiten des Hochschul­zuganges erfuhren Anpassungen, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden kann; vgl. GEL 1991, Stichwort Hochschulzugangsberechtigung; Hörner 1990, s. 19.

289 Vgl. Prüfungen und Abiturbildung neu geregelt, in: Informationen zur DDR­Pädagogik. H. 1/1990, S. 60.

290 Vgl. Schickert 1991, S. 42. Vgl. auch die Diskussion um die Etablierung wal­dorfpädagogischer Einrichtungen in der DDR im Diskussionsforum der Waldorf­Pädagogen der DDR, der Zeitschrift 'Metamorphose', J g. 1990 und 1991.

104

Page 103: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Entwicklung Rechnung zu tragen291 • Erste Gespräche zwischen Vertretern des Bildungsministeriums und waldorfpädagogischer Initiativen Anfang 1990 blieben jedoch, vor allem was die Zusage finanzieller Unterstützung betraf, zunächst ohne konkrete Ergebnisse. Die Übergangsregierung wollte sich nicht festlegen und zukünftigen länderspezifischen Regelungen auch in diesem Falle nicht vorgreifen. Dies hinderte die Waldorf-Aktivisten jedoch nicht dar­an, mit westdeutscher Unterstützung weiter für ihre alternativen pädagogi­schen Vorstellungen zu werben und sich über Gründungsinitiativen um den Aufbau erster Einrichtungen zu bemühen, zumal die Regierung hierzu Zu­stimmung signalisierte. Mit dem Veifassungsgesetz über Schulen in freier Trägerschaft vom 22. Juli 1990 schuf die Volkskammer die Voraussetzungen für die Errichtung nichtstaatlicher Schulen292• Als Verfassungsgesetz hob das Gesetz die entgegenstehenden Bestimmungen der DDR-Verfassung auf. Schulen in freier Trägerschaft konnten nun als Ersatz- oder Ergänzungsschu­len genehmigt werden und waren dann mit mindestens 70 % und höchstens 90 % der für staatliche Schulen geltenden Richtwerte zu bezuschussen293 • Zum Schuljahresbeginn 1990/91 erhielten zehn neue Schulen in freier Trägerschaft eine Genehmigung zur Aufnahme des Unterrichts; neun von ihnen waren Waldorf-Schulen, deren Größe von einer bis zu acht Klassen reichte294• Hin­ter dem erstaunlichen Erfolg der waldorfpädagogischen Initiativen in der DDR vermutete mancher Kritiker nicht nur das verständliche Interesse an neuen pädagogischen Ansätzen, sondern auch den mangelnden Bekanntheits­grad des Steinersehen Erziehungsansatzes, der partiell ideologische Züge trägt295 .

291 Vgl. GEL 1991, Stichwort Schulen und Tageseinrichtungen in freier Träger­schaft.

292 V gl. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zum Antrag des Ministerrates der Deut­schen Demokratischen Republik vom 27. Juni 1990, in: Volkskammer der Deut­schen Demokratischen Republik, Drucksache Nr. 99a/1990; Verfassungsgesetz über Schulen in freier Trägerschaft vom 22.7 .1990, in: GBI. I DDR S. 1 036; DDR öffnet per Verfassungsgesetz den "freien Schulen" einen breiten Raum, in: FR v. 19.7.1990; "Freie Schulen" in DDR-Verfassung verankert, in: FR v. 26.7.1990.

293 V gl. § § 1 u. 7 ( 4) Verfassungsgesetz über Schulen in freier Trägerschaft Die Ausführungen des Verfassungsgesetzes wurden noch vor dem Beitritt der ost­deutschen Länder präzisiert und ergänzt durch die Erste Durchführungsbestim­mung zum Verfassungsgesetz über Schulen in freier Trägerschaft vom 9 .8.1990, in: GBI. I DDR S. 1466.

294 Zum Schuljahresbeginn 1990/91 eröffneten Waldorf-Schulen in Ost-Berlin, Chernnitz, Leipzig, Halle, Dresden, Magdeburg, Weimar, Frankfurt/Oder und Potsdam-Werder den Unterricht; vgl. Schickert 1991, S. 45; Im Herbst eröffnet die erste Waldorf-Schule in Ost-Berlin, in: F.A.Z. v. 2.5.1990; Erste Waldorf­schulen in Dresden und Ost-Berlin, in: F.A.Z. v. 18.8.1990.

295 Vgl. z.B. "Das ist, was ich schon lange gefühlt und empfunden habe", in: FR v. 17.5.1990.

105

Page 104: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Parallel zum Machtverlust der SED hatten die Pionierorganisation und die FDJ ihre bisherige Stellung in den Schulen eingebüßt. Das Bildungsmini­sterium schränkte noch Ende 1989 die Tätigkeit der bislang in den Bildungs­einrichtungen vertretenen Jugend- und gesellschaftlichen Organisationen ein. Der quasi-automatische Eintritt der Kinder in die Pionierorganisation entfiel ebenso wie die Meldungen und Appelle von Pionierorganisation und FDJ; auch die Arbeit der an den Schulen tätigen Freundschaftspionierleiter verän­derte sich erheblich. Bislang waren die Leitungen der Pionier- und FDJ­Gruppen durch Freundschaftspionierleiter oder Klassenlehrer eingesetzt wor­den; dies entfiel nun. Statt dessen erhielten die Schüler selbst die Möglichkeit, Schülerräte als Interessenvertretungen auf Klassen- und Schulebene zu bilden. Ebenso entfiel die Verpflichtung der Lehrkräfte zur ideologischen Erziehung der Schüler296. Im Zuge der allgemeinen politischen Entwicklung und der Gründung neuer Jugendorganisationen setzte die Erosion der staatlichen Ju­gendorganisationen ein. Gleichzeitig verloren die beiden Organisationen, die bis 1989 über 2 Millionen Mitglieder hatten, ihre bisherige Massenbasis. Die FDJ hatte im zweiten Halbjahr 1989 bereits rund 750.000 Mitglieder verlo­ren297. Mitte 1990 wurde die Zahl der FDJ-Mitglieder mit noch etwa 20.000 angegeben298. Die FDJ trug dieser um die Jahreswende 1989/90 absehbaren Entwicklung Rechnung und konstituierte sich Ende Januar 1990 als sozialisti­scher Jugendverband neu. Gleichzeitig nahm sie von ihrer bisherigen Stellung als 'Helfer und Kampfreserve der Partei' Abstand. Der zudem auf diesem Kongreß verkündete Verzicht der FDJ auf ihre bisherige Rolle als einzige Vertretung der Jugend in der DDR war letztlich nur noch der Nachvollzug ei­ner faktischen Entwicklung, da zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vielzahl politischer, kirchlicher und sonstiger Jugendorganisationen in der DDR aktiv war. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem FDJ-Kongreß be­rief die Volkskammer den bisherigen FDJ-Vorsitzenden Eberhard Aurich als Mitglied des Staatsrates ab, der gleichzeitig sein Mandat in der Volkskammer verlor299. Dies verdeutlichte den Machtverlust der FDJ auch im politischen Bereich. Die Pionierorganisation "Ernst Thälmann" löste sich unmittelbar nach der Volkskammerwahl selbst auf. Am 28. April1990 bildete sich anstel-

296 Vgl. GEL 1991, Stichwort Schulordnung; Sroka 1990, S. 141f. 297 Vgl. Spittmann/Helwig (Hrsg.) 1990, S. 35; Fischer 1992, S. 114. 298 Vgl. DDR-Regierung greift durch. Alle Schulleiter entlassen, in: Die Welt v.

25.5.1990; Die FDJ sieht sich "faktisch enteignet" von der Regierung in Ost­Berlin, in: F.A.Z. v. 1.6.1990. In dem Artikel Schärfere Konturen der fdj (Junge Welt v. 1.10.1990) wurde die Mitgliederzahl der FDJ mit "derzeit etwa noch 21.000" angegeben.

299 Vgl. FDJ- der Name bleibt, doch das alte Statut ist passe, in: ND v. 29.1.1990; Die FDJ in neuem Gewand, in: F.A.Z. v. 30.1.1990. Ende Mai 1990 sperrte die Ministerin für Jugend und Sport sämtliche der FDJ noch verbliebenen Vermö­genswerte, die sie in eine 'Stiftung Demokratische Jugend' einbrachte.

106

Page 105: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

le der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) als neue Organisationsform der Bund Technischer Sportverbände(BTSV)300.

Die Jugendweihe blieb von einem vergleichbaren Bedeutungsverlust ver­schont, allerdings veränderte sich ihr bisheriger Rahmen völlig. Zum einen entfielen die von Lehrern durchzuführenden Vorbereitungsstunden, zum an­deren verlor die Jugendweihe auch ihre inhaltliche Gestalt als sozialistisches WeiherituaL Zwar gab es 1990 wieder eine Jugendweihe, die "inzwischen zum sozialen Besitzstand von jährlich fast einer Viertelmillion Schülerinnen und Schülern der achten Klassen"301 gezählt werden konnte. Mit ihrer Heraus­lösung aus den Schulen war aber eine der vielfach vorgetragenen Reformfor­derungen erfüllt; überdies erhielt die Weihe statt der bisherigen politisch in­doktrinierenden nun eine ethisch orientierende inhaltliche Gestaltung. Allge­mein war das Bemühen erkennbar, für die Jugendweihe des Jahres 1990 eine politisch neutrale Form und ebensolche Redner zu finden. Trotz der Verände­rungen nahmen sowohl die Görlitzer evangelische Kirche als auch Vertreter der katholischen Kirche Stellung gegen die Beibehaltung der Jugendweihe. Die evangelische Kirche unterstrich, daß die Jugendweihe eine religiöse Er­satzhandlung und mit der Konfirmation unvereinbar sei. Dennoch nahmen im Jahr 1990 153.000 Jugendliche an der Jugendweihe teil, und zum Jahresende zeigte sich, daß auch ein großer Teil des nachfolgenden Schülerjahrganges auf die Jugendweihe 1991 nicht verzichten wollte302•

Die Lehrer an allgemeinbildenden Schulen und die Lehrerausbildung waren in verschiedener Hinsicht von der 'Wende' betroffen. Die Arbeitsgrup­pe 'Lehreraus- und Weiterbildung' des Ministeriums für Bildung nahm einen der zentralen Kritikpunkte, die niveauverschiedene Ausbildung von Lehrkräf­ten, auf und präsentierte Ende Januar 1990 ein Konzept, das vorsah, die Un­terstufenlehrerausbildung langfristig auf das Ausbildungsniveau Pädagogi­scher Hochschulen anzuheben. Da bereits in dieser Phase über die Reetablie­rung von Ländern und eine Übertragung der Kulturhoheit an diese diskutiert wurde, verstand sich das Papier als Orientierungsrahmen für die weitere Ge­staltung der Lehrerausbildung303 • Als wesentliche strukturelle Neuerung in der Lehrerausbildung war die Einführung eines mindestens einjährigen Referen-

300 Vgl. Fischer 1992, S. 114. Die FDJ existiert auch nach der Vereinigung weiter, nunmehr als linke Splittergruppe; vgl. Im Osten erlaubt- im Westen verboten, in: Das Parlament. Nr. 15/1994.

301 Drüben ein Achtkläßler-Besitzstand, in: F.A.Z. v. 20.2.1990. 302 V gl. Vor der Verantwortung für die Erziehung schrecken noch viele zurück, in:

F.A.Z. v. 7.3.1990; Kirche gegen Jugendweihe, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 21.2.1990; Was wird aus der Jugendweihe in der DDR?, in: Rheini­sche Post v. 3.3.1990; Jugendweihe auch im kommenden Jahr, in: F.A.Z. v. 26.9.1990; Jugendweihe gestern und heute, in: Die Welt v. 8.11.1990; Ersatz für den Ersatz, in: Rheinischer Merkur v. 16.11.1990; Über 85000 Anmeldungen für Jugendweihe im Osten, in: Berliner Zeitung v. 18.12.1990; Es wird nahtlos an­geknüpft an das, was vorher war, in: Neue Zeit v. 28.12.1990.

303 Vgl. Niermann 1990a, S. 25.

107

Page 106: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

dariats und damit die Abkehr von der bisherigen Einphasigkeit der Lehrer­ausbildung geplane04. Die Verordnung über die Ausbildung für Lehrämter305

vom 18. September 1990 übertrug die Grundstrukturen der westdeutschen Lehrerausbildung auf die Lehramtsstudiengänge der DDR; die Ausbildung sollte nun in zwei Phasen mit einem bis zu zweijährigen Referendariat und zwei Staatsprüfungen erfolgen306.

Konkrete Veränderungen erfolgten 1989/90 in der Lehrerweiterbildung. So wurden die zentralen Anordnungen zur politischen Weiterbildung der Leh­rer außer Kraft gesetzt, und der Themenkatalog zu Marxismus-Leninismus verlor seine Gültigkeit. Die Pflicht aller Lehrer zur Teilnahme am Parteilehr­jahr der SED entfiel. Die Fortbildung für Lehrer wurde neu organisiert; die hierfür bisher zuständigen pädagogischen Kreis- und Bezirkskabinette und weitere zentrale Weiterbildungseinrichtungen existierten nur noch bis zum Ende des Jahres 1990 fore07 • Die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen war nun freiwillig. Um Lehrern die Anpassung an die veränderten Rahmenbedin­gungen zu erleichtern, gab die 'Projektgruppe Weiterbildung' des Ministeri­ums für Bildung Kataloge ausgewählter Fortbildungsangebote zur politischen, pädagogischen und fachlichen Neuorientierung heraus, die auch Angebote westdeutscher Weiterbildungsträger enthielten. An deren Stelle bauten die nach der Vereinigung für Bildung und Schule zuständigen neuen Ländermi­nisterien Institute für Fort- und Weiterbildung der Länder und Landeszentra­len für politische Bildungsarbeit auf. Schon im Verlauf des Jahres 1990 be­gann sich ein Angebot freier Träger zu entwickeln.

Eine weitere erwähnenswerte Erscheinung des Umbruchprozesses stellten die sogenannten 'Modrow-Lehrer' dar. Hierbei handelte es sich um haupt­amtliche FDJ- oder Parteikader, Angehörige des MfS, der NV A oder anderer staatlicher Organe. Viele von ihnen waren ehemalige Lehrer oder Erzieher, denen die Regierung Modrow eine Rückkehr in den Schuldienst ermöglichte, da die Institutionen, in denen sie bislang tätig waren, vor der Auflösung stan­den oder aus anderen Gründen keine sichere Berufsperspektive mehr bieten konnten308• Andererseits wurden noch 1990 Lehrer ausschließlich aufgrund ihrer früheren SED-Mitgliedschaft entlassen, häufig ohne Nachweis persönli­cher Verfehlungen im Einzelfall. Diese Maßnahmen, die oftmals von Runden Tischen beschlossen worden waren, die damit zur politischen Erneuerung des Bildungswesens beitragen wollten, hatten bei arbeitsgerichtliehen Klagen der Betroffenen meist keinen Bestand309.

304 Vgl. Hörner 1990, S. 33. 305 Vgl. GBl. I DDR S. 1584. 306 V gl. Fischer 1992, S. 118. 307 Vgl. GEL 1991, Stichwort Weiterbildung. 308 V gl. Richter/Fischer 1993, S. 44. Viele dieser 'Modrow-Lehrer' gehörten jedoch

auch zu den ersten, die aus dem Schuldienst der neuen Länder entlassen wurden. 309 Vgl. "Als Lehrer zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht geeignet", in: FR v. 6.9.

1990; Warnung vor radikalen Lösungen, in: Der Tagesspiegel v. 27.9.1990.

108

Page 107: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

2.3.4 Veränderungen in der beruflichen Bildung

Auch in der beruflichen Bildung sollten die Folgen der ideologischen Über­frachtung schnell beseitigt werden310. Der Staatssekretär für Berufsbildung Bodo Weidemann kündigte im November 1989 an, die Fächer Staatsbürger­kunde, Betriebsökonomik und sozialistisches Recht für berufsbildende Schu­len würden neu gestaltet; das Fach Staatsbürgerkunde werde darüber hinaus in den Berufsschulen ab dem Schuljahr 1990/91 durch einen neuen gesell­schaftswissenschaftlichen Lehrgang ersetze11 • In den Berufsschulen sollten sich die Lehrkräfte nun mit Themen befassen, die die Rolle des Lehrlings im späteren Berufsleben zum Inhalt hatten. Am 13. November 1989 teilte Wei­demann mit, daß im Lehr- und Ausbildungsjahr 1989/90 auch die vormilitäri­sche und Zivilverteidigungsausbildung für Lehrlinge nicht mehr durchgeführt würden312•

Die Umgestaltung der beruflichen Bildung war stärker als andere Berei­che des Bildungssystems durch den Gang der politischen Ereignisse geprägt. Ministerpräsident Modrow kündigte in seiner Regierungserklärung eine Re­form der Berufsausbildung und ein diesbezügliches Gesetz an. Bis zur Volks­kammerwahl konnten diese Vorhabenjedoch nicht mehr umgesetzt werden313.

310 Als Beispiel dafür, wie berechtigt diese Forderung war, sei der im Staatssekretan­tat für Berufsbildung tätige Oberstudienrat Gerd Menge, 'Verdienter Lehrer des Volkes', zitiert, der sich noch Ende 1989 wie folgt äußerte: "Zielstrebig arbeiten die 60000 Berufspädagogen und 343000 Lehrlinge daran, es (das neue Lehr- und Ausbildungsjahr; H.-W.F.) zu einem Jahr höchster Aktivitäten zu machen, das ganz im Zeichen der Vorbereitung des XII. Parteitages der SED steht". Und weiter hieß es: "Es bestätigte sich die Grundwahrheit, daß eine klare, auf der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus begründete Gesellschaftsstrategie die entscheidende Voraussetzung für ein erfolgreiches sozialistisches Bildungskon­zept ist. ( ... )Je tiefer dieser untrennbare Zusammenhang zwischen Gesellschafts­konzeption und sozialistischem Bildungskonzept von jedem Berufspädagogen begriffen wird, um so wirkungsvoller werden sich Parteinahme, Verantwortung und Engagement ausprägen und bei der Heranbildung klassenbewußter qualifi­zierter Facharbeiter und sozialistischer Staatsbürger zu weiteren Fortschritten beitragen"; Menge 1989, S. 425.

31! Vgl. Wie weiter im Staatsbürgerkundeunterricht?, in: DLZ. Nr. 45/1989. In einer Pressemitteilung vom 17. November 1989 erklärte Weidemann hingegen, ab 1. September 1990 würden im Staatsbürgerkundeunterricht der Berufsschulen neue Inhalte vermittelt. Die Zensierung der Leistungen im Staatsbürgerkundeunterricht setzte er jedoch aus; vgl. Neue Inhalte für Staatsbürgerkunde, in: Neue Zeit v. 17.11.1989. Ebenso erklärte Weidemann in einem in der Novemberausgabe der Zeitschrift 'Berufsbildung' abgedruckten Interview, die Fächer Betriebsökono­mik und sozialistisches Recht seien weiterhin gemäß der gültigen Lehrpläne zu unterrichten, wenn auch "unter Einbeziehung der zu diesen Stoffgebieten in der Öffentlichkeit diskutierten Fragen"; Interview 1989, S. 473.

312 Vgl. Berufsausbildung jetzt ohne Wehrerziehung, in: Berliner Zeitung v. 14.11. 1989.

313 Vgl. Schäfer 1990b, S. 174.

109

Page 108: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die auch für die Berufsbildung entscheidende Weichenstellung erfolgte durch die Wahl vom 18. März 1990, obgleich sich verschiedene Akteure schon vor dem Wahltermin dafür aussprachen, die politischen Strukturen und damit auch die der beruflichen Bildung in Richtung einer marktwirtschaftliehen Ordnung zu öffnen. Der Wahlsieg der Allianz für Deutschland und ihr erklär­tes Ziel, die Vereinigung beider deutscher Staaten schnellstmöglich herbeizu­führen, hatten entscheidende Konsequenzen für die berufliche Bildung. Der Übergang zum westdeutschen System beruflicher Bildung erfolgte in einer Mischung aus Einzelmaßnahmen und der vollständigen Übernahme westdeut­scher Gesetze314•

Mit einer Anweisung vom April1990 führte das Ministerium für Bildung und Wissenschaft neugefaßte Lehrpläne für den Unterricht in Gesellschafts­kunde und Betriebswirtschaft sowie die Fächer Automatisierungstechnik und Datenverarbeitung ein, die entsprechend dem zu erlernenden Beruf zu wählen waren315• Im Verlauf des Jahres 1990 bemühten sich das Bildungsministerium und in zunehmendem Maß auch die westdeutschen Akteure darum, die Be­rufsausbildung aufrecht zu erhalten und zu verbessern316. Auch die ersten, auf deutsch-deutscher Ebene vereinbarten Programme galten diesem Ziel317• Auf­grund der sich im Verlauf des Jahres 1990 verschärfenden ökonomischen Probleme der DDR versuchten viele Betriebe, sich ihrer Ausbildungsver­pflichtungen zu entledigen, was negative Konsequenzen in zweierlei Hinsicht mit sich brachte. In der praktischen Berufsausbildung gingen Ausbildungs­plätze durch rechtswidrige Kündigungen von Ausbildungsverhältnissen eben­so verloren wie durch die Schließung von Betrieben infolge von Konkursen. Zudem erhielten rund zwei Drittel aller Auszubildenden Unterricht in Be­triebsberufsschulen, so daß sich Betriebsstillegungen auch auf die schulischen Anteile der Berufsausbildung auswirkten318• Mit der Verordnung über die Aufrechterhaltung von Leistungen betrieblicher Kindergärten, polytechni­scher und betrieblicher Einrichtungen vom 6. Juni 1990 wurde versucht, die

~:; Vgl. Rudolph 1990, S. 193. Vgl. Hörner 1990, S. 22.

316 Vgl. Spittmann/Helwig (Hrsg.) 1990, S. 32; Zedler 1990, S. 172; Zedler 1991, S. 97.

317 Vgl. BMBW: Presseinformation v. 12.1.1990. Bereits beim ersten Treffen der Bildungsminister Möllemann und Emons stellten beide die Zusammenarbeit in der beruflichen Bildung als Schwerpunktaufgabe heraus.

318 Vgl. Bundesregierung beschließt: 312 Millionen für DDR-Lehrlinge, in: Berufs­ausbildung- Jugendarbeitslosigkeit. H. 9/1990, S. 5; Hirt 1991, S. 73; Schule mit Weitblick. Interview mit dem Minister für Bildung, H. J. Meyer, in: Junge Welt v. 25.5.1990; Zedler 1990, S. 170. ,,Leider gibt es im Bereich der Betriebs(be­rufs)schulen Auflösungserscheinungen"; Siemon 1990, S. 24. Zur Problematik der 'Konkurslehrlinge' vgl. auch Böck 1990, S. 19f.

110

Page 109: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

weitere Erosion beruflicher Ausbildungsmöglichkeiten zu stoppen, was je­doch nur sehr eingeschränkt gelang319 •

Der zum 1. Juli 1990 in Kraft tretende Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion enthielt wenige, aber ein­schneidende Bestimmungen für die berufliche Bildung. Durch Art. 19 Staats­vertrag wurde das westdeutsche System der Arbeitslosenversicherung ein­schließlich der Berufsförderung in der DDR eingeführt320. Gemäß Anlage VI zum Staatsvertrag hatte sich die DDR verpflichtet, die "Einführung des Ord­nungsrahmens und der Berufsstruktur der Bundesrepublik Deutschland im Bereich berufliche Bildung" und der "auf diese Gesetze festützten Ausbil­dungs- und Meisterprüfungsregelungen ( ... ) anzustreben"32 . Dies führte zum Übergang von der staatlichen Trägerschaft der Berufsausbildung zur Träger­schaft in öffentlicher Verwaltung und von der zentralen Berufsplanung und -lenkung zur freien Berufswahl sowie zur Differenzierung von Eingangsvor­aussetzungen und Abschlüssen322. Die als notwendig angesehene schnelle Angleichung der Ausbildungsgänge und Berufsbilder sollte die Anerkennung von Ausbildungs- und Berufsabschlüssen erleichtern323 . Im Juli 1990 verab­schiedete die Volkskammer ein Gesetzespaket, das die westdeutsche Ordnung der Berufsbildung nahezu vollständig auf die DDR übertrug. Mit dem Gesetz über die Inkraftsetzung des Gesetzes des Handwerks (Handwerksordnung) vom 12. Juli 1990 (IGHwO) und dem Gesetz über die Inkraftsetzung des Be­rujbildungsgesetzes vom 19. Juli 1990 (IGBBiG) wurde westdeutsches Be­rufsbildungsrecht für alle ab dem 1. September 1990 beginnenden Ausbil­dungsverhältnisse unmittelbar gültil24• Verschiedene Rechtsvorschriften, de­ren Geltung aus HwO und BBiG folgt, wurden zunächst für das Territorium der DDR ausgesetzt325.

319 Dies half jedoch nur bedingt. Guder nennt die Zahl von 15.200 Vertragsauflö­sungen zum I. September 1990, zu denen etwa in gleichem Umfang noch nicht vermittelte Lehrstellenbewerber hinzutraten. Als Gründe wurden hauptsächlich Betriebsschließungen angegeben sowie die Kündigung von Verträgen, bei denen Betriebe für andere Betriebe Ausbildungsverpflichtungen übernommen hatten; vgl. Guder 1991, S. 146. Der Generalsekretär des BIBB nannte für das Ausbil­dungsjahr 1990/91 sogar die Zahl von 30.000 aufgelösten neuen Ausbildungsver­trägen; vgl. Vor einer "Lehrlingskatastrophe" gewarnt, in: F.A.Z. v. 22.8. 1990.

320 "Dabei haben Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wie berufliche Bil­dung und Umschulung, besondere Bedeutung"; Art. 19 Staatsvertrag.

321 Anlage VI zum Staatsvertrag (Regelungen, die in der Deutschen Demokratischen Republik im weiteren Verlauf anzustreben sind), hier: Abschnitt II, Nr. 4, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.) l990a, S. 230.

322 Vgl. Schäfer 1991, S. l34f. 323 Vgl. Stern/Schmidt-Bleibtreu (Hrsg.) 1990a, S. 231. 324 Vgl. IGHwO, in: GBI. I DDR S. 707; IGBBiG, in: GBI. I DDR S. 907; Kümmer­

lein 1990, S. 16. 325 Hierzu zählte u.a. die Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO). Zudem konnten

die Kammern, z.B. bei Nichtvorliegen technischer Voraussetzungen für eine

111

Page 110: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Das ebenfalls am 19. Juli 1990 verabschiedete Gesetz über Berufsschu­len326 regelte die Trägerschaft der Berufsschulen völlig neu. Alle betriebli­chen und kommunalen Berufsschulen waren zum 31. August 1990 aufgelöst und durch die neuen Träger (Kreise oder kreisfreie Städte) zum 1. September 1990 neu zu errichten. Zugleich entzog das Gesetz den Betriebsberufsschulen und damit den Betrieben die Verantwortung für die theoretische Ausbildung der Lehrlinge. Die Betriebe hatten alle bislang zur theoretischen Ausbildung der Lehrlinge genutzten betrieblichen Bildungseinrichtungen kostenlos an die neuen Träger abzugeben327. Diverse Übergangsregelungen sollten dazu bei­tragen, die mit der vollständigen Neuordnung der Berufsbildung verbunden erheblichen personellen, strukturellen und materiellen Probleme abzumildern, da die schlagartige Umstellung der Lehrverträge auf das westdeutsche Be­rufsbildungsrecht zu einem nicht unbeträchtlichen Verlust an Ausbildungs­plätzen hätte führen können328• Überdies bemühten sich westdeutsche Arbeit­geber- und Arbeitnehmerverbände, Kommunen, Kammern und andere Orga­nisationen um personelle und materielle Hilfestellung. Die schon vor der Konstituierung der ostdeutschen Länder im allgemeinbildenden Schulwesen bestehende Zusammenarbeit mit westdeutschen Bundesländern, z.B. zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern oder zwischen Baden­Württemberg und Sachsen, wurde auch auf die berufliche Bildung übertra­gen329. Als Ergebnis aller Bemühungen konnten von den ca. 125.000 Aus­zubildenden, die zum 1. September 1990 eine Ausbildung begannen, ca. 80 % bereits nach den Bestimmungen des BBiG ausgebildet werden330. Dennoch blieben erhebliche Probleme, deren Lösung zunächst offenblieb. Die Zustän­digkeit für die Berufsschulen und ihre Lehrpläne war auf die Länder überge­gangen, was eine erhebliche Veränderung der Verwaltungsstrukturen nach sich zog. Die Leistungsfähigkeit der Kammern, deren Neubildung im März 1990 erlassene Verordnungen zugrunde lagen331 , war zunächst nicht in aus­reichendem Maß gegeben. Die Überführung der Gebäude von Betriebsberufs­schulen in kommunale Trägerschaft und die Finanzierung dieser Schulen so­wie die durchgehend erforderliche Erneuerung der infrastrukturellen und Sachausstattung von Berufsschulen und Lehrwerkstätten bereiteten außeror-

Ausbildung, zeitlich befristete Abweichungen von Verordnungen zulassen; vgl. Kümmerlein 1990, S. 16.

326 Vgl. GBI. I DDR S. 919. 327 Vgl. §§ 7 (1), 8 (1) u. (2) Gesetz über Berufsschulen; Rudolph 1990, S. 195. 328 Vgl. Kümmerlein 1990, S. 16; Zedler 1991, S.95. 329 Vgl. Zedler 1991, S. 97; Finanzhilfen an Berufsschulen der DDR vorbei 1990;

Baden-Württembergs sächsische Patenschaft in der Berufsbildung 1990. Zur Zu­sammenarbeit einzelner Einrichtungen vgl. Müller 1990, S. 161.

330 Vgl. Fischer 1992, S. 116; Zedler 1991, S. 97f. 331 Vgl. z.B. Verordnung über die Industrie- und Handelskammern der DDR v.

1.3.1990, in: GBI. I DDR S. 112; Verordnung über die Organisation des Hand­werks der DDR v. 22.2.1990, in: GBI. I DDR S. 150.

112

Page 111: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

dendich große finanzielle Probleme332. Die Ausbildungsordnungen und Rah­menlehrpläne für die berufliche Ausbildung waren gegen die bisher gültigen Ausbildungsunterlagen für die Facharbeiterausbildung auszutauschen, was die Weiterbildung des mit Ausbildung, Ausbildungsleitung und schulischer Lehre befaßten Personenkreises erforderlich machte. Je nach Berufssparte differier­ten die Anforderungen nicht unerheblich. Hielten sich die inhaltlichen Diffe­renzen zwischen alter und neuer Ausbildung bei Berufen im Dienstlei­stungssektor in Grenzen, so bedurfte die Ausbildung z.B. im kaufmännischen Bereich einer vollständigen Umstellung333 • Außerdem wurde befürchtet, daß einer größeren Zahl von Jugendlichen zum Lehrjahresbeginn 1990/91 kein Ausbildungsplatz vermittelt werden könnte. Diese Jugendlichen wären, soweit sie die 10. Klasse der POS abgeschlossen hatten, zunächst für ein Jahr berufs­schulpflichtig gewesen. Vergleichbar dem Berufsvorbereitungsjahr der west­deutschen Bundesländer sollten sie allgemeinbildende und al~emein be­rufsbildende Kenntnisse in Teilzeit- oder Vollzeitform erhalten33 • Diese Re­gelung diente dazu, Jugendliche in der Übergangsphase vor der von west-wie ostdeutschen Experten erwarteten Jugendarbeitslosigkeit zu bewahren. Be­reits 1990 deutete sich an, was auch in den Folgejahren die ostdeutsche Lehr­stellensituation kennzeichnen sollte: ein gravierender Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen335•

1990 konnten Jugendliche letztmalig eine Berufsausbildung mit Abitur in der bisherigen Form aufnehmen. Die Unterkommission 'Schulische und Be­triebliche Berufsbildung' der gemeinsamen Bildungskommission hatte sich im September 1990 dafür ausgesprochen, die Ausbildungsverhältnisse der BmA unter dem Gesichtspunkt des Ausbildungsplatzerhaltes weiterzuführen, diese aber soweit als möglich auf das neue Berufsbildungsrecht umzustellen. Durch das in den neuen Bundesländern übergangsweise weitergeltende Be­rufsbildungsrecht der DDR konnten die Ausbildungsverhältnisse weiterge­führt und beendet werden. 336

Für die auf zwei unterschiedlichen Niveaus bestehenden Fachschulen der DDR gab es im westdeutschen Bildungssystem keine Entsprechung. Gemäß noch im Jahr 1990 getroffener Entscheidungen sollten die Ausbildungsgänge in der bisherigen Form nicht beibehalten und die Fachschulen analog zu

332 Vgl. Hirt 1991, S. 73; Guder 1991, S. 148f. 333 Vgl. Guder 1991, S. 149ff. 334 Vgl. § 3 (2) Gesetz über Berufsschulen; Kümmerlein 1990, S. 18. 335 V gl. Sozialpartner sollen Trägerschaft der Berufsbildung übernehmen, in: Han­

delsblatt v. 5.7.1990; Kahlschlag in DDR-Ausbildung, in: Der Tagesspiegel v. 6.7.1990; Vor einer "Lehrlingskatastrophe" gewarnt, in: F.A.Z. v. 22.8.1990; Schwere Zeiten für DDR-Lehrlinge, in: SZ v. 22.8.1990; Die DDR braucht mehr überbetriebliche Ausbildungsplätze, in: F.A.Z. v. 30.8.1990.

336 V gl. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft; Deutscher Industrie­und Handelstag, o.J. (1990): Merkblatt für die Berufsausbildung mit Abitur in den neuen Bundesländern.

113

Page 112: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

westdeutschen Strukturen umgewandelt werden. Dies bedeutete den Über­gang der Fachschulen mit 'niedrigem' Ausbildungsniveau in Berufsfachschu­len vergleichbar denen der Bundesrepublik Deutschland. Für die Fachschu­len, deren Besuch den Abschluß der POS und eine Berufsausbildung voraus­gesetzt hatte, bestand die Möglichkeit einer Umwandlung in Fachhochschu­len, woran Vertreter dieser Fachschulen großes Interesse bekundeten337. Noch vor dem Beitrittstermin stellten viele Fachschulen Anträge an das Ministeri­um für Bildung und Wissenschaft, um die Umwandlung in eine Fachhoch­schule vollziehen zu können. Das MBW wies jedoch darauf hin, daß es bis zur Bildung der Länderministerien die Umwandlung von Fachschulen in Fachhochschulen erst nach Anhörung der Rektorenkonferenzen beider deut­scher Staaten sowie des Wissenschaftsrates genehmigen könnte. Für die 1990 immatrikulierten Studierenden sowie für diejenigen, die zum 1. September 1990 ein Fachschulstudium aufzunehmen beabsichtigten, waren Übergangs­regelungen vorgesehen338•

2.3.5 Umbrüche im Hochschulwesen

Die Universitäten und Hochschulen der DDR waren in die politischen Um­brüche des Herbstes 1989 kaum involviert. Während in vielen anderen Staa­ten die Hochschulen ein Forum der politisch-gesellschaftlichen Reformdis­kussion waren, gingen in der DDR im Herbst 1989 von den Hochschulen nur wenige Impulse aus. In der politisch entscheidenden Phase von September bis November 1989 gab es weder nennenswerte studentische Protestveranstaltun­gen, die über die Artikulation unmittelbar hochschuleigener Interessen hin­ausgegangen wären, noch traten Hochschullehrer - mit Ausnahme einiger weniger, die in der Bürgerrechtsbewegung aktiv waren - mit Manifesten an die Öffentlichkeit, die den Verlauf der politischen Ereignisse in erwähnens­wertem Umfang beeinflußt hätten. Im Gegensatz zu vielen anderen Akteuren, die eine enge Verbindung von Bildungs- und Gesellschaftsreform sahen, be­schränkten sich Professoren und Studenten, soweit sie sich nicht sogar für die Erhaltung der sozialistischen Ordnung einsetzten, in ihren Reformforderun­gen auf hochschulinterne Aspekte339•

337 Vgl. Hörner 1990, S. 22ff. 338 Vgl. Schmidt, D. 1990, S. 257f. 339 Vgl. hierzu Das klassische Forum der geistigen Erneuerung liegt brach, in: Stutt­

garter Zeitung v. 2.2.1990; Die Hand reichen, aber nicht die Hand führen, in:

114

F.A.Z. v. 6.2.1990. Für dieses Phänomen gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Der hohe Organisationsgrad des Lehrkörpers und der Studierenden in der SED und den Massenorganisationen, die faktisch herausgehobene Stellung der 'sozialistischen Intelligenz' in der DDR und die Tatsache, daß die zum Hoch­schulstudium Zugelassenen einer Vorselektion unterlagen, bei der sie ihre Ver­bundenheit mit dem sozialistischen Staat mehrfach unter Beweis zu stellen hat-

Page 113: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Im Oktober 1989 sprach sich der Minister für Hoch- und Fachschulwesen Hans-Joachim Böhme für eine "wirkliche Modernisierung"340 des Hoch­schulwesens aus, worunter er die konsequentere Umsetzung bereits bestehen­der Regelungen verstand. Die Modernisierung sollte zur Erneuerung und damit letztlich zum Erhalt der sozialistischen Gesellschaftsordnung beitragen, womit Böhme im Rahmen der Parteidoktrin argumentierte341 • Eine der letzten Amtshandlungen Böhmes bestand darin, den bislang für alle Studenten obli­gatorischen Sportunterricht zu streichen, was er mit der Hoffnung begründete, dadurch Freiräume zur Einrichtung neuer Studienangebote zu erhalten.

Der Zwang zur Teilnahme an der militärischen und Zivilverteidigungs­ausbildung und der Pflicht-Unterricht in russischer Sprache entfielen seit No­vember 1989. Statt dessen wurde - befristet zunächst bis Mitte 1990 - die Neuordnung der Sprachenausbildung auf der Basis individueller Neigungen erprobt. Wie später in den allgemeinbildenden Schulen zu beobachten, zeich­nete sich bereits hier schnell ein Trend zur Wahl der englischen Sprache b342 a .

Diskussionen entbrannten im Herbst 1989 um die Fortführung des marx­istisch-leninistischen Grundlagenstudiums, dessen inhaltliche Konzeption heftig kritisiert wurde. Die Mitglieder der Sektionen Marxismus-Leninismus bemühten sich um den Nachweis, daß das ML-Studium weiter notwendig wä­re. Zwar sprachen sie sich für eine grundlegende Reform dieses Studienteils aus; wo bislang wesentlich die Exegese von Parteitagsbeschlüssen betrieben worden war, sollten nun in einem gesellschaftswissenschaftliehen Grundla­genstudium oder in einem Studium generale Inhalte unterschiedlicher sozial­und geisteswissenschaftlicher Fächer vermittelt werden. Aber auch das Studi­um generale sollte sich inhaltlich "auf (die) internationale marxistische Theo­rieentwicklung, auf das theoretische Erbe des Marxismus und weltweite ak­tuelle gesellschaftswissenschaftliche Diskussionen"343 stützen. Daß die Be-

ten, dürften dazu beigetragen haben, daß bei Studierenden und Hochschullehrern eine relativ hohe Identifikation mit dem sozialistischen Staat vorlag. Hinzu kam die von Studenten vor Studienbeginn abzugebende schriftliche Treueerklärung zum sozialistischen Staat. Durch die Anwesenheit des MfS in den Universitäten und Hochschulen war oppositionelles politisches Handeln mit einem hohen Risi­ko behaftet. Zum letztgenannten Aspekt vgl. Straube 1993; Weber 1991, S. 205. V gl. auch Starke (1993), die zu dem Ergebnis gelangt, auch Studenten hätten sich 1989 vom bis dahin herrschenden politisch-ideologischen System distan­ziert, im Vergleich zu Schülern und Lehrlingen nur eben "etwas später"; a.a.O., s. 153.

340 Hochschulwesen braucht wirkliche Modernisierung, in: National-Zeitung v. 27. 10.1989.

341 Vgl. Schritte zur Erneuerung 1990, S. 37ff.; Dawidowski/Packebusch 1991, S. 39.

342 Vgl. Burkhardt 1990, S. 48. 343 Was wird aus dem ML-Studium, in: Junge Welt v. 16.11.1989. Die Autoren die­

ses Artikels sprachen nach eigenen Angaben für die Direktoren der Sektionen,

115

Page 114: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

fürworter dieser Neukonzeption des Grundlagenstudiums häufig Angehörige der Sektionen und Institute für Marxismus-Leninismus waren, ließ den Ver­dacht aufkommen, "daß es sich hier in erster Linie um einen reinen Etiketten­schwindel handeln könnte"344• Schließlich setzte das Bildungsministerium noch Ende 1989 das ML-Grundlagenstudium in seiner bisherigen Form aus, was die Lehraufgaben von rund 10 % aller Hochschullehrer überflüssig machte345• Ersatzweise boten viele Universitäten und Hochschulen ab dem Frühjahr 1990 ein gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium an346• Im Mai 1990 löste der Ministerrat die ehemaligen Struktureinheiten für das ML­Grundlagenstudium auf. Gleichzeitig sollten alle Hochschullehrer abberufen werden, die den ehemaligen Sektionen Marxismus-Leninismus angehört hat­ten und für die Fächer 'Wissenschaftlicher Sozialismus', 'Politische Ökono­mie' sowie 'Historischer und Dialektischer Materialismus' berufen worden waren. Dieser Versuch lief jedoch partiell ins Leere, da zwischen November 1989 und März 1990 Professoren z.B. von dem Fach 'Wissenschaftlicher Sozialismus' in das Fach Politikwissenschaft umgesetzt bzw. umberufen wor­den waren347 • Gleichwohl erfolgte bereits 1990 ein erheblicher Personalaus­tausch. Bildungsminister Meyer berief bis September 1990 620 Professoren und rund 700 Hochschuldozenten ab, von denen etwa 500 den Sektionen Marxismus-Leninismus angehört hatten. Auch Angehörige der Parteihoch­schule "Karl Marx" und der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED wurden entlassen. Im gleichen Zeitraum gab es rund 300 Neube­rufungen; dies rief allerdings die Kritik des Bundesbildungsministers hervor. Er forderte, mit Neuberufungen bis zur Übernahme der Verantwortung durch die neuen Länderministerien zu warten348•

Die Kaderpolitik der SED unterlag einer scharfen Kritik; es gab sogar die Einschätzung, diese habe "zu einer Negativauslese bei Hochschullehrern und leitenden Wissenschaftlern geführt"349• Die Kaderpolitik der SED galt als eine der Ursachen dafür, daß die DDR in der Forschung den Kontakt zur Weltspit-

Institute und Abteilungen für Marxismus/Leninismus von 46 Universitäten und Hochschulen der DDR. Die hier geäußerten Vorstellungen können daher durch­aus als repräsentativ für diese Gruppe gelten.

344 Rüther 1992, S. 189. 345 Vgl. Rüther 1992, S. 194; Fischer 1992, S. 116. 346 Die Neuregelung ließ viele Fragen offen. So differierten z.B. die Prüfungsanfor­

derungen zwischen den Hochschulen nt~ht unerheblich; zum Studium generate an den Hochschulen der DDR in der Ubergangsphase 1989/90 im Detail vgl. Rüther 1992.

347 Vgl. Dawidowski/Packebusch 1991, S. 44 348 Vgl. Bildungsminister Meyer kann nicht einmal das Licht bezahlen, in: F.A.Z. v.

15.6.1990; Sein Recht will Meyer voll nutzen, in: Der Tagesspiegel v. 25.8.1990; Sämtliche Hochschullehrer-Stellen neu ausschreiben, in: F.A.Z. v. 18.9.1990; Mehr als 1000 Hochschullehrer abberufen, in: F.A.Z. v. 21.9.1990; DDR-Bil­dungsminister zieht Bilanz, in: Der Tagesspiegel v. 21.9.1990.

349 Katzorke 1991, S. 172.

116

Page 115: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ze in vielen Bereichen verloren hatte. Um einer Reform des Hochschulwesens im Verlauf des Jahres 1990 Glaubwürdigkeit zu verleihen, hätten sich die Hochschulen weitgehend selbst personell erneuern müssen. Dies war jedoch nicht möglich, da unbelasteter und gleichzeitig wissenschaftlich qualifizierter Nachwuchs kaum vorhanden war. Außerdem konnte auf einen großen Teil des bisherigen Personals nicht verzichtet werden, da der Lehrbetrieb aufrecht erhalten werden mußte. Vielen- nun ehemaligen- SED-Kadern gelang so ihre individuelle 'Wende' 350• Einige Hochschulen bemühten sich aber, aus eigener Kraft neue, demokratische Leitungs- und Mitbestimmungsstrukturen zu eta­blieren, zumal sie in den ersten Monaten des Jahres 1990 nicht mit einem neuen Hochschulgesetz rechneten. Viele der Statutenkommissionen lehnten sich bei der Erarbeitung der Hochschulordnunfen mehr oder weniger kritisch an Modelle westdeutscher Hochschulen an35 • Die Vorschläge zur Zusam­mensetzung von Senaten und deren Wahl, zu den Grundstrukturen der Hoch­schulen oder zu Fragen der Personalvertretung wiesen eine relativ große Bandbreite auf. Erkennbar war aber das Bemühen, die Entscheidungsstruktu­ren zu demokratisieren und eine angemessene Repräsentanz aller Beschäftig­tengruppen einer Hochschule in den Gremien zu sichern352.

Zügiger gestaltete sich die Neubestimmung der Aufgaben einzelner Ein­richtungen und Institutionen. Im Zuge der Neudefinition ihrer Aufgaben be­schloß der Ministerrat im Februar 1990, die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR zum 1. März 1990 in eine Hochschule für Recht und Verwaltung urnzuwandeln353• Die Akademie hatte bis zu diesem Datum vorwiegend der Ausbildung von Diplomaten und leitenden Verwaltungsange­hörigen gedient.

In der Ost-Berliner Humboldt-Universität wurde am 1. März 1990 die 'Rektorenkonferenz der DDR' gegründet. Sie sollte als Gesprächs- und Kon­sultationspartner der WRK dienen und die Kooperation der Hochschulen bei­der deutscher Staaten unterstützen. Die Einrichtung einer eigenständigen Vertretung der DDR-Hochschulen lag auch darin begründet, daß zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar war, wann es zur staatsrechtlichen Vereinigung kommen würde. Doch mit der sich anbahnenden Vereinigung beider deut­scher Staaten kam bereits vier Monate nach deren Gründung das Ende der Rektorenkonferenz der DDR. Die WRK wollte die Verfestigung paralleler

350 "Aus sozialistischen Ökonomen wurden überzeugte Marktwirtschaftler, die Aka­demie für sozialistische Wirtschaftsführung an der TU (Chernnitz; H.-W.F.) heißt jetzt Institut für Unternehmensführung und Management"; Katzorke 1991, S. p4. Zur Problematik personeller Erneuerung vgl. a.a.O., S. 172f. m.w.N.; Vor Ubereifer sei gewarnt, in: F.A.Z. v. 3.3.1990.

351 Vgl. Jungklaß/Urbanski 1990, S. 3. 352 Vgl. Jungklaß/Urbanski 1990. 353 V gl. Bekanntmachung über die Umbildung der Akademie für Staats- und

Rechtswissenschaft der DDR in eine Hochschule für Recht und Verwaltung v. 2.2.1990, in: GBl. I DDR S. 45.

117

Page 116: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Strukturen einer Vertretung der Hochschulen in Deutschland vermeiden und eröffnete den ostdeutschen Hochschulen bereits im Juni 1990 die Möglichkeit zur Mitgliedschafe54.

Die Übergangsregierung Modrow hatte bereits erste Veränderungen im Hochschulwesen eingeleitet. Diese betrafen die Beseitigung der ideologischen Einseitigkeit in der Lehre und die Zurückdrängung von SED und FDJ aus den Organisationsstrukturen der Institutionen. Die Regierung de Maiziere bemüh­te sich um weitergehende Reformen. In seiner Regierungserklärung vom 19. April 1990 betonte Ministerpräsident de Maiziere, daß der Einführung eines neuen Hochschulrahmenrechts mit der Garantie eines hohen Maßes an gesell­schaftlicher Eigenverantwortung hohe Bedeutung zukomme. Darüber hinaus solle die Teilhabe der an den Hochschulen vertretenen Personengruppen bei Entscheidungsfindungsprozessen ermöglicht werden355. Die Neuausrichtung der Hochschul- und Wissenschaftspolitik stand von Beginn an unter großem Zeitdruck. Um zeitaufwendige Diskussionen zu vermeiden, wurden überwie­gend in Westdeutschland bestehende Regelungen übernommen356. Für die Studierenden wirkten sich die Veränderungen im Hochschulwesen vor allem in der Rücknahme verschulter Strukturen und der Ermöglichung individueller Lehrpläne mit Wahlmöglichkeiten und fakultativen Angeboten aus, die eine größere Spezialisierung und Dezentralisierung ermöglichen sollten357•

Auch an den Hochschulen setzte noch 1989 die Erosion der FDJ und ih­rer beherrschenden Stellung als einzig zugelassener Vertretung der Studenten ein. Mit der Gründung unabhängiger Studentenräte und kirchlicher Studen­tengemeinden an Universitäten und Hochschulen entstanden parallele Organi­sationen zur FDJ, die viele Studenten als nahezu reformunfähig einschätz­ten3ss.

Geändert wurde auch das Zulassungsverfahren für die 31.500 Bewerber, die im Jahr 1990 ein Studium an einer Universität oder Hochschule aufneh­men wollten. Statt des bisher geforderten hohen allgemeinen Notendurch­schnitts und des weltanschaulichen Bekenntnisses sollten nun überwiegend diejenigen Leistungen ausschlaggebend sein, die in den die gewünschte Stu­dienrichtung betreffenden Fächern in der Abiturstufe erzielt worden waren. Zugleich entfiel das bislang geforderte schriftliche Treuebekenntnis zum Staae59.

354 Vgl. Rektorenkonferenz offen für Hochschulen aus der DDR, in: F.A.Z. v. 27.6.1990; Bode 1991, S. 98f.

355 Vgl. de Maiziere 1990, S. 187. 356 Einem westdeutschen Beobachter erschien dies bereits als "hochschulpolitische

Vorwegnahme des Beitritts"; Bode 1991, S. 99. 357 Vgl. Hörner 1990, S. 28. 358 Vgl. hierzu Gesamtdeutsches Institut (Hrsg.) 1990b, insb. die auf den S. 39-130

wiedergegebenen Dokumente. 359 Vgl. Zulassung zum Studium nach neuen Kriterien, in: ND v. 4.1.1990.

118

Page 117: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die westdeutschen Fachministerien auf Bundes- und Länderebene und die Forschungsförderungs- und Bildungsberatungsorganisationen bemühten sich schon bald nach der 'Wende' darum, die DDR bei der Reform ihres Hochschulwesens zu unterstützen, und der DAAD förderte den auf dem Kul­turabkommen von 1986 basierenden deutsch-deutschen Studenten- und Wis­senschaftleraustausch360. Die VW-Stiftung beschloß im November 1989 ein Sofortprogramm zur Förderung der Infrastruktur der Universitäten und Technischen Hochschulen in der DDR361 . Bei allen Treffen der Bildungs- und Wissenschaftsminister im Jahr 1990 nahm die Förderung der ostdeutschen Hochschulen und Universitäten einen wichtigen Platz in den Beratungen ein362. Die BLK führte in ihrem Plan zur Unterstützung der Reform des DDR­Bildungssystems auch Hinweise an westdeutsche Organisationen zu Hilfs­maBnahmen für die DDR-Hochschulen aut363, und der Wissenschaftsrat be­gann noch im Jahr 1990 mit der Begutachtung der ostdeutschen Hochschulen und der Erarbeitung einer Vielzahl von Empfehlungen zur Um- und Neu­strukturierung von Universitäten bzw. zur Einrichtung von Fachhochschu­len364.

Um zu verhindern, daß altes DDR-Hochschulrecht über den 3. Oktober 1990 hinaus galt, erließ der Ministerrat im September 1990 eine Vorläufige Hochschulordnuni65 und eine Verordnung über die Errichtung von Studen­tenwerken366, die bis zum Erlaß Iändereigenen Hochschulrechtes als Über­gangsregeJungen zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit der Hochschulen und der Versorgung der Studenten dienten.

Im August 1990 entschied die Regierung de Maiziere, als Akt zur Nor­malisierung des Verhältnisses Staat-Kirche kirchliche Bildungseinrichtungen anzuerkennen und in das staatliche Hochschulverzeichnis aufzunehmen, und noch kurz vor dem Vereinigungstermin verlieh der Minister für Bildung und Wissenschaft drei evangelischen Ausbildungseinrichtungen in Ost-Berlin, Leipzig und Naumburg das Promotions- und Habilitationsrecht367.

360 Vgl. Plan bei Studentenaustausch übererfüllt, in: Der Tagesspiegel v. 12.12. 1989; Bildungsministerium bereitet Hilfe vor, in: F.A.Z. v. 14.2.1990. Im April 1990 sprach sich der Senat der DFG für die Ausweitung der Förderung auf die DDR aus; vgl. DFG: Pressemitteilung v. 2.5.1990.

361 Vgl. Spittmann/Helwig (Hrsg.) 1990, S. 32. 362 Vgl. BMBW: Presseinformationen v. 12.1.1990, v. 15.5.1990, v. 31.5.1990 u. v.

1.6.1990. 363 Vgl. BLK 1990, S. 14ff. 364 Vgl. statt vieler Wissenschaftsrat (Hrsg.) 199la; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 199lb. 365 Verordnung über Hochschulen (Vorläufige Hochschulordnung) v. 18.9.1990, in:

GBl. I DDR S. 1585. 366 GBl. I DDR S. 1606. 367 Vgl. Akademische Titel an Kirchlichen Hochschulen, in: F.A.Z. v. 4.9.1990.

119

Page 118: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

2.3.6 Veränderungen in Wissenschaft und Forschung

In Wissenschaft und Forschung vollzogen sich die Veränderungen synchron zum Gang der politischen Entwicklung. Am 10. November 1989 demonstrier­ten mehrere hundert Mitarbeiter von AdW-Instituten in Ost-Berlin für die Freiheit der Wissenschaft und forderten den Rücktritt der Akademieleitung368•

Auf der am 7. Dezember 1989 durchgeführten außerordentlichen Plenarta­gung beschloß das Plenum der AdW, keinerlei parteigebundene Einflußnah­me auf die wissenschaftliche Arbeit der AdW mehr zulassen zu wollen; gleichzeitig bereitete es ein neues Statut vor. Ähnlich verfuhr die Akademie der Landwirtschaftswissenschaften kurze Zeit später369•

Die Diskussionen zwischen den Leitungsorganen und den basisdemokra­tischen Gruppen um eine Erneuerung der Institutionen und die Fortführung ihrer Arbeit hatten den Charakter einer Atempause, und es gab hier zunächst noch keine grundlegenden Reformen. Mit dem Ergebnis der Volkskammer­wahl wurde aber deutlich, daß die Zukunft des Wissenschafts- und For­schungssektors nur noch im Rahmen einer gesamtdeutschen Wissenschafts­und Forschungslandschaft gedacht werden konnte370. In dieser Phase setzte eine Erosion der Akademieinstitute ein, von denen sich einige bereits eigen­ständig um Kontakte und Verhandlungen mit westdeutschen Gesprächspart­nern bemühten.

Die drastische Verschlechterung der Situation in Wissenschaft und For­schung seit dem Frühjahr 1990 resultierte aus der zunehmenden Finanz­knappheit der Industrie, die einen nicht unerheblichen Teil des Forschungs­und Entwicklungspotentials finanzierte. Dies und die in den Universitäten und Forschungseinrichtungen im ersten Halbjahr 1990 beobachtete Personalpoli­tik ließen die Befürchtung aufkommen, daß insbesondere junge Nachwuchs­wissenschaftler in die Arbeitslosigkeit entlassen würden. In dieser Phase ent­stand bei der Mehrzahl der in den Wissenschafts- und Forschungseinrichtun­gen Beschäftigten Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft ihrer Institution und damit ihrer persönlichen Zukunft. Die Leitung der AdW war unfähig, ein schlüssiges Sanierungs- und Erneuerungskonzept vorzulegen, woran auch die Wahl des Mediziners Horst Klinkmann zum neuen Akademiepräsidenten am 17. Mai 1990 nichts änderte371 • Bereits zu diesem Zeitpunkt deutete sich an, daß die AdW als eigenständige Institution keine Zukunft haben würde, ob-

368 Vgl. Meier/Schulz 1990, S. 50f. 369 Vgl. die Meldungen in ND v. 22.11.1989, v. 8.12.1989 und v. 16./17.12.1989,

wiedergegeben in: IGW-Report über Wissenschaft und Technologie in der DDR und anderen RGW-Ländem. H. 1/1990, S. 102f.

370 "Wo seither die Zukunft der Akademie und ihre innere Verfassung zur Diskussi­on stehen, sitzt unsichtbar immer der große, sich noch bedeckt haltende Verhand­lungspartner arn Tisch"; Meier/Schulz 1990, S. 52f.

371 Vgl. Burrichter 1990, S. 13ff.; IGW-Report über Wissenschaft und Technologie in der DDR und anderen RGW-Ländem. H. 3/1990, S. 136.

120

Page 119: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gleich sich K.linkmann und weitere Vertreter der AdW nach wie vor die W ei­terführung der Akademie als geschlossene Institution wünschten und eine Aufteilung der Institute auf die Länder ablehnten372. Allerdings paßte die AdW strukturell nicht in den in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen Wissenschafts- und Forschungssektor. Dies bestätigte auch Forschungsmini­ster Terpe. Er plädierte dafür, die Arbeit der AdW-Institute für eine Über­gangszeit materiell abzusichern, um in Ruhe die notwendige Umgestaltung vornehmen zu können. Nach einer fachlichen Evaluation sollten die lei­stungsstärksten Institute in die dann gesamtdeutschen Forschungsinstitutionen eingegliedert oder an Universitäten überführt werden373 • Der Vorschlag zu Evaluation und Übernahme einzelner Einrichtungen durch westdeutsche Großforschungseinrichtungen deckte sich mit den Vorstellungen, die Vertre­ter dieser Institutionen selbst hierzu entwickelten. Gemäß Art 38 (2) und (3) EV wurden die Forschungsinstitute der AdW zum 3. Oktober 1990 von der Gelehrtensozietät getrennt. Die Mitarbeiterzahl der AdW hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits von 26.000 auf 21.000 verringert374•

Die Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten in Wissenschaft und Forschung war im Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammen­arbeit (WTZ-Abkommen) vom September 1987 geregelt. Die zunächst 27 gemeinsame Vorhaben umfassende Liste war schließlich auf 76 Kooperati­onsverträge erweitert worden; 44 Verträge stammten bereits aus der Zeit vor dem Herbst 1989. Den Kern der Zusammenarbeit bildeten Projekte in ver­schiedenen Technologiebereichen, der naturwissenschaftlichen Grundlagen­forschung, der Medizin und der Psychologie375•

Das erste Zusammentreffen der Forschungsminister beider deutscher Staaten im Jahr 1990 fand am 22. und 25. Januar in Bonn statt; es stand noch im Zeichen des WTZ-Abkommens. Die Minister Riesenhuber und Budig er­klärten, die Wissenschaftsbeziehungen auf der Basis des WTZ-Abkommens weiterentwickeln zu wollen, wobei zunächst an eine Ausweitung der Zusam­menarbeit unter besonderer Berücksichtigung der Umweltforschung gedacht war376• Am 7. März 1990 trafen Vertreter beider deutscher Staaten und des Landes Berlin in Ost-Berlin zur ersten und einzigen Sitzung der WTZ­Komrnission zusammen, die die geplanten Vorhaben und die daran beteiligten

372 Vgl. DDR-Akademie bereitet sich auf Veränderungen vor, in: Der Tagesspiegel v. 3.4.1990; Akademie wählte neuen Präsidenten, in: Der Tagesspiegel v. 18.5.1990.

373 Vgl. Ein kranker Saurier, in: F.A.Z. v. 23.6.1990; Vereinigung darf nicht auf Kosten der Wissenschaft gehen, in: ND v. 27.6.1990; Neue Struktur für For­schung in der DDR, in: SZ v. 4.7.1990; BMFT: Pressemitteilung v. 13.8.1990.

374 Vgl. Unklare Eigentumsfragen behindern den Wandel, in: F.A.Z. v. 17.9.1990. 375 Vgl. Technische Zusammenarbeit mit der DDR, in: F.A.Z. v. 21.11.1989; Lau­

terbach 1991, S. 15f. 376 Vgl. Neue Chancen für den Wissenstransfer, in: SZ v. 12.1.1990; BMFT: Pres­

semitteilung v. 25.1.1990.

121

Page 120: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Einrichtungen und Wissenschaftler koordinieren sollte. Das WTZ-Abkom­men, das in den Jahren 1989/90 noch die Durchführung einer größeren Zahl gemeinsamer Forschungsprojekte ermöglichte, wurde irrfolge der politischen Entwicklung obsolet und erlosch am 3. Oktober 1990. Das BMFT hatte die materielle Unterstützung von Projekten im Jahr 1990 bereits im Hinblick auf eine gemeinsame deutsche Forschungslandschaft ausgeweitet und stellte Mit­tel zur Verbesserung der Geräteausstattung von DDR-Forschungseinrich­tungen bereit. Es förderte die begonnenen Projekte noch bis zum Ende des Jahres 1990, um den Abschluß begonnener Arbeiten zu ermöglichen und de­ren Überführung auf die neue rechtliche und finanzielle Basis zu erleich­tern377.

Als sich die baldige Vereinigung beider deutscher Staaten abzuzeichnen begann, bemühten sich westdeutsche Wissenschafts- und Forschungsinstitu­tionen um die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den entsprechenden DDR-Einrichtungen. Die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) nahm bereits Anfang 1990 eigenständig Kontakt zu Forschungseinrichtungen in der DDR auf und konnte so schon im August 1990 ein vorläufiges Konzept zur Übernahme von 13 Institutionen mit etwa 700 bis 800 Mitarbeitern vorlegen378• Im April1990 hatte sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) für eine Ausweitung der Forschungsförderung auf die DDR ausgesprochen. Ein erklärtes Ziel' die­ser Initiative war, die Etablierung einer zweiten Forschungsförderungsorgani­sation zu vermeiden. Darüber hinaus beschloß die DFG, deutsch-deutsche Gemeinschaftsprojekte zu fördern, wobei der westdeutsche Kooperations­partner für die an einem Vorhaben beteiligten DDR-Wissenschaftler Mittel beantragen konnte. Die DFG erhoffte sich mit ihrem Vorstoß, ihre Prinzipien - Unabhängigkeit von Fördereutscheidungen und Förderung ausschließlich nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten - auf das Territorium der DDR übertragen und qualifizierte Wissenschaftler zur Weiterarbeit in ihren Institu­tionen ermutigen zu können379.

2.3. 7 Neue Ansätze in der Weiterbildung

Ähnlich wie die berufliche Bildung hatte auch der Weiterbildungsbereich nicht im Zentrum der bildungspolitischen Auseinandersetzungen gestanden. Die allgemeine politische und ökonomische Entwicklung und die Kritik am

377 Vgl. Lauterbach 1991, S. 17f. 378 V gl. Die Akademie der Wissenschaften der DDR soll als Gelehrtensozietät wei­

terbestehen, in: F.AZ. v. 31.8.1990; 13 Einrichtungen sollen unter das Dach der Fraunhofer-Gesellschaft kommen, in: Handelsblatt v. 31.8.1990; IGW-Report über Wissenschaft und Technologie in Ostdeutschland und RGW-Ländem. H. 411990, S. 94f.

379 Vgl. DFG. Mitteilung v. 12.5.1990, zit. nach: Zeitschrift für Bildungsverwaltung. Nr. 1/1990, S. 51; BMFT-Journal. Nr. 2/April1990, S. 2.

122

Page 121: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

allgemeinbildenden Schulwesen und an den Hochschulen überlagerten diesen Bildungsbereich.

Am 25. Januar 1990 konstituierte sich im Bildungsministerium die 'Arbeitsgruppe Volkshochschulen', die als Kernelemente einer neugestalteten Erwachsenenbildung die stärkere Interessen-, Bedürfnis- und Teilnehmerori­entierung hervorhob. Die Vermittlung der Zusammenhänge politischer, öko­nomischer und sozialer Phänomene sollte betont werden; problembezogenes Lernen sollte zukünftig Vorrang vor faktenorientiertem Lernen haben. Dar­über hinaus regte die Arbeitsgruppe den Übergang der Erwachsenenbil­dungseinrichtungen in kommunale Trägerschaft an380. Die im Jahr 1990 für die Volkshochschulen erlassenen Neuregelungen betrafen im wesentlichen Veränderungen in den Stundentafeln, bei Abschlußprüfungen sowie einigen Durchführungsbestimmungen381 .

Im Vorgriff auf die erwartete Länderneubildung gründeten sich zwischen März und Mai 1990 fünf Volkshochschul-Landesverbände; ein weiterer Ver­band gründete sich in Ost-Berlin. Der Aufbau von Volkshochschul-Landes­verhänden noch in der DDR vereinfachte die Verbindungsaufnahme zu den westdeutschen VHS-Verbänden. Mit den Verbänden, aber auch mit einzelnen Volkshochschulen entwickelten sich im Jahr 1990 vielfältige Formen der Ko­operation und Unterstützung382•

Die ökonomische Entwicklung im Jahr 1990 und der Übergang von der Planwirtschaft zu marktwirtschaftliehen Strukturen ließen die Notwendigkeit von Umschulung, Ergänzungs- und Anpassungsfortbildung in großem Um­fang in den Vordergrund treten383 . Zur Deckung des erwarteten Bedarfes diente der im Staatsvertrag vereinbarte Aufbau der Arbeitsförderung, zu des­sen Einführung sich die DDR verpflichtet hatte. Art. 19 Staatsvertrag (Ar­beitslosenversicherung und Arbeitsförderung) besagte u.a., daß "Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wie berufliche Bildung und Umschulung, be­sondere Bedeutung" hätten. Die Regierung Modrow hatte schon im Februar 1990 eine Verordnung über die Umschulung von Bürgern zur Sicherung ei­ner Berufstätigkeit384 erlassen, die die Umschulung und Lohnfortzahlung für diesen Personenkreis rechtlich absichern sollte. Daß die Betriebe einen gro­ßen Teil der Weiterbildungsangebote trugen, erwies sich als besonderes strukturelles und finanzielles Problem; und tatsächlich begannen viele Betrie­be sich im Verlauf des Jahres 1990 auch von diesem Kostenfaktor zu tren-

380 Vgl. GEL 1991, Stichwort Volkshochschule. Zum Diskussionsangebot der Ar­beitsgruppe Volkshochschulen vgl. auch DLZ. Nr. 3211990.

381 Vgl. GEL 1991, Stichwort Volkshochschule. 382 Vgl. Schnelle Hilfe benötigt, in: Der Tagesspiegel v. 22.5.1990; Nachrichten, in:

Hessische Blätter für Volksbildung. H. 211990, S. 161ff. 383 V gl. Hörner 1990, S. 36. 384 Vgl. GBI. I DDR S. 83.

123

Page 122: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

nen385• In vielen Betrieben stand die Frage im Vordergrund, inwieweit sie unter den Bedingungen einer Marktwirtschaft konkurrenzfähig sein könnten und welcher Zusatzqualifikationen ihre Beschäftigten hierzu bedürften - über Umfang und Inhalt notwendiger Anpassungsfortbildung bestand aber oftmals große Unsicherheit. Viele Weiterbildungs- und Umschulungsangebote waren daher allgemein gehalten und beinhalteten z.B. eine Einführung in die allge­meine Betriebswirtschaftslehre oder in die EDV386• Trotz der finanziellen und sonstigen Unterstützung durch Bundesministerien und andere Institutionen, um deren Koordination sich die Konzertierte Aktion Weiterbildung (KA W)387

bemühte, ließen sich in der beruflichen Fortbildung und Umschulung Streu­verluste nicht vermeiden, die sich nach dem 3. Oktober 1990 noch verstärk­ten.

2.4 Die bildungsrechtlichen Regelungen des Einigungsvertrages

Manche westdeutschen politischen Akteure formulierten ihre Äußerungen zur Zukunft des DDR-Bildungssystems zunächst eher konziliant und sprachen vom 'Zusammenführen der Bildungssysteme beider deutscher Staaten' oder von der 'Unterstützung der DDR bei ihren Reformbemühungen'. Dies ließ der DDR und den ihr nachfolgenden Ländern zumindest semantisch die Möglich­keit, bei der Neugestaltung des Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungssy­stems eigene Wege zu beschreiten. Andere machten jedoch bald nach der 'Wende' deutlich, welche Entwicklung sie im Bildungswesen der DDR und in den neuen Ländern erwarteten388•

Auch die Entwicklung des Staats-, Verfassungs- und Bildungsrechts nach der Volkskammerwahl schloß Schritt um Schritt einen eigenständigen Re-

385 Vgl. Zukunft der Weiterbildung in der DDR, in: Deutscher Bildungsdienst Nr. 28/1990, s. 6f.

386 Vgl. Meier, A. 1990, S. 112. 387 Vgl. z.B. Protokoll der Sondersitzung des KAW-Arbeitskreises 2 am 30. März

1990 im BMBW zum Thema "Neue Anforderungen an die Weiterbildung auf­grundder veränderten Situation in der DDR". KA W- 2509- 2/3 v. 30.3.1990.

388 Vgl. z.B. Deutscher Lehrerverband; Deutscher Hochschulverband: Pressemittei­lung v. 9.3.1990; Abbruchreife Lehrstühle, verfaulte Strukturen, in: SZ v. 19./20. 5.1990. Auch das vom Deutschen Hochschulverband veröffentlichte 'Hilfspro­gramm des Deutschen Hochschulverbandes für die notleidende Wissenschaft in der DDR' ließ in der Skizzierung der 'Ausgangslage' - der Situation des DDR­Hochschulwesens - nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Obgleich im wei­teren ausgesagt wurde, daß etwaige Hilfsmaßnahmen Einvemehmlichkeit voraus­setzten, trat die erwartete Rollenverteilung - hier der Helfende, dort der Hilfe Be­nötigende- deutlich hervor; vgl. Deutscher Hochschulverband 1990, S. 152f.

124

Page 123: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

formweg der DDR im Bildungs- und Wissenschaftsbereich aus. Bereits mit dem Abschluß des Vertrages zur Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts­und Sozialunion hatte sich die DDR zur weitgehenden Übernahme westdeut­schen Berufsbildungsrechts verpflichtet, was wesentliche strukturelle und in­haltliche Elemente des beruflichen Bildungswesens einschloß. Zusätzlich enthielt der Einigungsvertrag Bestimmungen, die den bildungspolitischen Gestaltungsspielraum der neuen Länder stark beschränkten. Der Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 war der zweite grundlegende Rechtsakt zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands; er enthielt auch eine Anzahl bildungs- und wissenschaftsrecht­licher Materien. Wiewohl Bildungsfragen nicht im Zentrum des Einigungs­prozesses standen, maß der Einigungsvertrag dem Bildungswesen eine wich­tige Rolle bei den ausstehenden Reformen in den ostdeutschen Ländern zu389•

Die Denkschrift zum Einigungsvertrag verwies darauf, daß die Angleichung der Lebensverhältnisse nur durch Mobilität, d.h. ein Höchstmaß an Freizügig­keit und Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen und Bildungssyste­men zu erreichen sei, was die ~egenseitige Anerkennung von Abschlüssen und Berechtigungen voraussetze 0.

Gemäß Art. 1 und 3 EV sollten die Länder auf legislativem Wege die Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen in neue Rechtsformen überführen, soweit diese nicht abzuwickeln, d.h. zu schließen waren. Der EV enthielt Vorgaben zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen in der öffentlichen Ver­waltung aufgrund mangelnder persönlicher oder fachlicher Eignung, man­gelnden Bedarfs oder ersatzloser Auflösung der bisherigen Arbeitsstelle391 •

Diese Regelung betraf auch viele Beschäftigte des Bildungswesens, insbeson­dere Lehrer und HochschulpersonaL Schon Art. 26 (3) Staatsvertrag hatte die DDR zur nachhaltigen Absenkung der Personalausgaben im öffentlichen Dienst verpflichtet.

Neben Art 10 EV, der Bestimmungen zur Geltung von EG-Recht in den neuen Bundesländern mit seinen auch bildungsrechtlichen Konsequenzen enthielt, befaßten sich die in Kap. VIII EV (Kultur, Bildung, Wissenschaft und Sport) aufgeführten Art. 35-39 mit bildungs-, Wissenschafts- und for­schungsrelevanten Aspekten. Art. 35 (Kultur) entllielt Vorschriften zur Erhal-

389 Die Denkschrift zum Einigungsvertrag führte zu Art 37 EV aus: "Das Bildungs­wesen muß einen wesentlichen Beitrag zum politischen, wirtschaftlichen und ge­sellschaftlichen Emeuerungsprozeß in dem beigetretenen Gebiet leisten. Dazu sind grundlegende Reformen des Bildungswesens und eine Modemisierung in allen Bildungsbereichen notwendig"; Denkschrift zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag). BT-Drs. 11/7760, S. 355ff., hier: S. 374.

390 Vgl. a.a.O., S. 374f. 391 Vgl. Anlage I zum EV, Kap. XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, in: BGBI. II S.

1140.

125

Page 124: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

tung, Sicherung und Trägerschaft kultureller Einrichtungen wie Museen, Bi­bliotheken, Archiven und Sammlungen; Art. 36 regelte Fragen der zukünfti­gen öffentlich-rechtlichen Gestaltung von Rundfunk und Fernsehen. Art. 37 (Bildung) und 38 EV (Wissenschaft und Forschung) beinhalteten Vorgaben für die Neuordnung dieser Bereiche mit erheblicher Bindungswirkung für die neuen Länder und Berlin, und Art. 39 EV (Sport) enthielt Aussagen zur wei­teren Förderung des Breiten- und Spitzensportes sowie zur Weiterführung sportbezogener Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. Gemäß der Denkschrift zu Art. 37 EV waren "in dem beitretenden Gebiet ( ... ) grundle­gende Reformen des Bildungswesens und eine Modernisierung in allen Bil­dungsbereichen notwendig" ( ... ); die "vollständige Übertragung von Bundes­recht aus dem Bildungsbereich auf das in Artikel 3 des Vertrages genannte Gebiet schafft die Voraussetzungen für eine zügige Verwirklichung der drin­genden Reformen im Bildungswesen"392• Ergänzende Dokumente (insb. die Anlagen I und II, das Protokoll zum EV u.a.) umfaßten Detailregelungen zur Fortgeltung von DDR-Recht und Übergangsbestimmungen für den Zeitraum zwischen Beitritt und Inkraftsetzung ländereigenen Bildungsrechts. Für die Verhandlungsführer der DDR war die Fortgeltung der in der DDR erworbe­nen Abschlüsse, Befähigungen und Nachweise von besonderer Bedeutung; dies regelte Art. 37 Abs. 1 EV393 • Demnach gelten DDR-Abschlüsse, Befähi­gungen und Nachweise uneingeschränkt nur in den neuen Ländern fort. In den westdeutschen Bundesländern sollten die in der DDR erworbenen Abschlüsse ihre Gültigkeit nur dann behalten, wenn Vergleichbarkeit mit in der Bundes­republik Deutschland erworbenen Abschlüssen festgestellt wurde. In einem aufwendigen Verfahren haben die jeweils zuständigen Stellen bzw. die KMK dies abschließend geregele94• In der DDR erworbene Grade, Titel und aka­demische Berufsbezeichnungen, dürfen von ihren Trägern weiterhin geführt werden (Art. 37 Abs. 1 EV).

In scheinbarem Widerspruch zur Aussage, daß für die Neugestaltung von Bildung und Wissenschaft in den neuen Ländern und Berlin die "vollständige Übertragung von Bundesrecht"395 erforderlich sei, wurde in der Denkschrift zum Schulwesen festgestellt: "Im Schulwesen sind die bei der Neugestaltung in dem beigetretenen Gebiet erforderlichen Regelungen, einschließlich der Übergangsrerlungen, von d~~ in Artikel 1 des Vertrages genannten Ländern zu treffen"39 • 'Vollständige Ubertragung von Bundesrecht' bezog sich inso­weit nicht auf das Schulwesen, als der Bund für das Schulwesen grundsätzlich

392 BT-Drs. 1117760, S. 374f. 393 Vgl. Hage 1991, S. 49. 394 Zum Abschluß des Verfahrens vgl. KMK: Mitteilungen und Informationen. Nr.

2/92 v. 29.6.1992, S. 8-10. Zum Beschluß der KMK zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen im Sinne des Art. 37 Abs. 1 EV vgl. Kultusministerkonferenz 1991.

395 BT-Drs. 1117760, S. 375. 396 A.a.O.

126

Page 125: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

keine Regelungskompetenz besitze97• Dies stellt Art. 37 Abs. 4 EV klar, der die Neugestaltung des Schulwesens den neuen Ländern und Berlin übertrug. Die von der KMK zur Gestaltung des Schulwesens getroffenen einschlägigen Vereinbarungen, insbesondere das Hamburger Abkommen von 1964171, sollten dabei "orientierende Berücksichtigung"398 finden. Für den Zeitraum zwischen Beitritt und Erlaß Iändereigenen Bildungsrechts enthielt die Anlage II zum EV zwei nachträglich aufgenommene und bis zum 30. Juni 1991 be­fristete Rechtsvorschriften399• Zur Anerkennung von Lehramtsprüfungen verwies Art. 37 Abs. 2 EV auf die in der KMK üblichen Verfahren und noch zu treffende Übergangsregelungen400.

Zur beruflichen Bildung hatte schon der Staatsvertrag wesentliche Rege­lungen enthalten401 , die z.T. bereits vor Abschluß des Einigungsvertrages in der DDR geltendes Recht wurden402. Art. 37 Abs. 3 EV schrieb darüber hin­aus die Gleichsetzung der in der DDR mit Facharbeiterprüfungen erworbenen Zeugnisse mit den nach bundesdeutschem Recht erteilten Berufsbildungs­zeugnissen fest. Anlage I zum EV (Überleitung von Bundesrecht) regelte ei­nige durch die Vereinigung notwendig gewordene Änderungen der Hand­werksordnung und des Berufsbildungsgesetzes403• Lehrlinge, die sich zum Zeitpunkt des Beitritts noch in einem Ausbildungsverhältnis nach DDR­Berufsbildungsrecht befanden, konnten ihre Ausbildung einschließlich der dazugehörenden Abschlußprüfungen nach altem Recht abschließen404. Anlage II zum EV (Fortgeltendes Recht der DDR) enthielt zur beruflichen Bildung lediglich eine Verordnung vom 15. März 1990 über die Erhöhung der Lehr-

397 Vgl. Hage 1991, S. 49. 398 BT-Drs. 1117760, S. 375. 399 Diese waren: Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Mitwir­

kung von Leitungsstrukturen im Schulwesen - Bildung von Elternvertretungen vom 17.8.1990 (GBL I DDR S. 1471); Verordnung über Grundsätze und Rege­lungen für allgemeinbildende Schulen und berufsbildende Schulen - Vorläufige Schulordnung- vom 18.9.1990 (GBL I DDR S. 1579). Die Rechtsvorschriften wurden nach Unterzeichnung des Einigungsvertrages gern. Art. 3 Nr. 33 der 'Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages' vom 18.9.1990 (BGBl. II S. 1239) nachträglich in den Einigungsvertrag eingefügt; vgl. Anl. II z. EV, Kap. XVI, Sachgebiet Schulwesen, Abschnitt III, in: BGBl. II S. 1232.

400 Zur Anerkennung und Vergleichbarkeit von Hochschulabschlüssen vgl. Kultus­ministerkonferenz 1991; Fetzer 1991, S. 196.

401 Vgl. Art. 19 Staatsvertrag (Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung) und die in Anlage VI zum Staatsvertrag festgeschriebene Verpflichtung der DDR, die Einführung des Ordnungsrahmens und der Berufsstruktur der Bundesrepublik im Bereich berufliche Bildung 'anzustreben'; vgl. auch Jobst (Hrsg.) 1991, S. 12.

402 Dies geschah z.B. durch das Gesetz über die Inkraftsetzung des Berufsbildungs­gesetzes v. 19.7.1990, in: GBL I DDR S. 907.

403 Vgl. Fetzer 1991, S. 204f., S. 212ff. 404 Vgl. a.a.O.

127

Page 126: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

lingsentgelte, die bis zum Abschluß anderweitiger tarifvertraglicher Regelun­gen Gültigkeit behalten sollte405 •

"Im Hochschulbereich geht es insbesondere um die Wiederherstellung der Freiheit und Pluralität von Lehre und Forschung"406, so die Denkschrift zum EV. Zur Zulassung ostdeutscher Bewerber an westdeutschen Universitä­ten und Hochschulen verwies Art. 37 Abs. 6 EV auf einen Beschluß der KMK vom 10. Mai 1990407• Im übrigen enthielten der Einigungsvertrag und seine Anlagen Regelungen:

zur Anerkennung erbrachter Studienleistungen beim Wechsel der Hoch­schule vor Erreichen eines Abschlusses (Art. 37 Abs. 5 EV); zur vorläufigen Aufnahme von Hochschulen und Hochschuleinrichtungen in die Anlage zum Hochschulbauförderungsgeseti08 ;

zum vorläufigen Verfahren für die Einbeziehung der ostdeutschen Uni­versitäten in die Studienplatzvergabe durch die ZVS einschließlich der Anrechnung von Wartezeiten bis zum Beitritt der neuen Länder zum Staatsvertrag über die ZVS409;

zur Übernahme wissenschaftlichen Personals an Hochschulen mit einem neu einzufügenden§ 75a in das HRG410;

zur Inkraftsetzung des BAföG zum 1. Januar 1991 und zum Fortgelten einer Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 1990411 , und zum Fortgelten von Übergangsregelungen bis zum 30. Juni 1991412.

Art 38 EV behandelte die Bereiche Wissenschaft und Forschung relativ ausführlich. Die Denkschrift zum EV enthielt ergänzende Aussagen zur Um­strukturierung des Wissenschaftsbereiches der DDR mit dem Ziel, diesen den grundgesetzliehen Rahmenbedingungen anzupassen. In diesem Zusammen­hang betonte sie die Freiheit der Wissenschaft, die Autonomie von Forschern und Forschungseinrichtungen, die Einführung westdeutscher Strukturen der

405 Vgl. Verordnung über die Erhöhung der Entgelte der Lehrlinge v. 15.3.1990, in: GBI. I DDR S. 170.

406 BT-Drs. 1117760, S. 375. Und weiter hieß es dort: "Wichtigste Voraussetzungen dafür sind die Wiederherstellung der Hochschulautonomie, die Öffnung des Zu­gangs zum Studium und zur wissenschaftlichen Tätigkeit sowie größere Selb­ständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Hochschullehrer, Forscher und Stu­denten. Im übrigen muß die Hochschulforschung gestärkt werden"; a.a.O.

407 V gl. Beschluß zur 'Zulassung von Hochschulzugangsberechtigungen aus der DDR an Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland', in: KMK. Pressemit­teilung v. 10.5.1990.

408 V gl. Anlage I zum EV, Kap. XVI, Sachgebiet A, Abschnitt Il, I. 409 V gl. Anlage I zum EV, Kap. XVI, Sachgebiet A, Abschnitt II, 2. 410 Vgl. a.a.O. 411 Vgl. Anlage I zum EV, Kap. XVI, Sachgebiet B, Abschnitt II, I.; Anlage II zum

EV, Kap. XVI, Sachgebiet A, Abschnitt III. 412 Diese sind: Verordnung über die Errichtung von Studentenwerken v. 18.9.1990

(GBI. I DDR S. 1606); Verordnung über Hochschulen- Vorläufige Hochschul­ordnung v. 18.9.1990 (GBI. I DDR S. 1585); Verordnung über die Ausbildung für Lehrämter v. 18.9.1990 (GBI. I DDR S. 1584).

128

Page 127: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Forschungsförderung und allgemein die Anhebung von Wissenschaft und Forschung auf das in Westdeutschland erreichte Niveau413 . Der Wissen­schaftsrat hatte bis zum 31. Dezember 1991 alle öffentlichen Wissenschafts­und Forschungseinrichtungen zu begutachten (Art 38 Abs. 1 EV). Der For­schungsrat der DDR wurde mit Wirksamwerden des Beitritts aufgelöst (Art 38 Abs. 7 EV)414. Art. 38 Abs. 2 EV verfügte die Trennung der AdW als Ge­lehrtensozietät von den Forschungsinstituten, die Weiterführung der Institute in Länderverantwortung und die Übertragung der Forschungsförderung auf die neuen Länder. Soweit nicht vorher Entscheidungen zur Auflösung oder Umwandlung getroffen wurden, gab Art. 38 Abs. 2 EV eine Bestandsgarantie für die AdW-Institute bis zum 31. Dezember 1991. Das bis zu diesem Termin befristet beschäftigte Personal der Institute war von Bund und Ländern ge­meinsam zu finanzieren (Art 38 Abs. 2 u. 3 EV). Mit der Bauakademie und der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften sollte sinngemäß verfahren werden (Art 38 Abs. 4 EV). Zur rechtlichen Absicherung dieses Prozesses, durch den die Forschungslandschaft in den ostdeutschen Ländern völlig neu gegliedert werden sollte, wurden gemäß Anlage II zum Einigungsvertrag die einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der DDR zum Bereich Wissenschaft und Forschung aufgehoben415 .

Die Verhandlungsführer hatten den Einigungsvertrag am 31. August 1990 unterzeichnet. Zusammen mit der nachträglichen Vereinbarung zwischen bei­den deutschen Staaten zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertra­ges vom 18. September 1990416 wurde der Einigungsvertrag durch die Ratifi­zierung in der Volkskammer der DDR am 20. September 1990 und das vom Deutschen Bundestag am 23. September 1990 beschlossene Einigungsver­trags-Geseti17 geltendes Recht. Das Einigungsvertragswerk war durch die jeweils von Unionsparteien geführten Regierungen gestaltet worden und damit natürlich der Kritik durch die parlamentarische Opposition in Bundes­tag und Volkskammer ausgesetzt. Insbesondere die Arbeitsgruppe Bildung der SPD-Fraktion in der Volkskammer bezog in einem längeren Papier Stel­lung zu den im Einigungsvertrag für die Bereiche Bildung und Wissenschaft ausgehandelten Regelungen418. Sie monierte, daß die Volkskammer den durch das MBW ausgearbeiteten und noch nachträglich in den Einigungsvertrag aufgenommenen Übergangsregelungen419 zu wesentlichen Materien des Bil-

413 Vgl. BT-Drs. 11/7760, S. 375f. 414 A.a.O., S. 376. 415 Vgl. Anlage II zum EV, Kap. XV, Abschnitt II. 416 Vgl. BGBl. I1 S. 1239. 417 Vgl. BGBl. II S. 885. 418 Vgl. SPD-Fraktion in der Volkskammer, Arbeitsgruppe Bildung: Stellungnahme

zum Einigungsvertrag für den Bereich von Bildung und Wissenschaft. Stand: 10. September 1990 mit Ergänzung vom 24. September 1990. Berlin.

419 Angesprochen waren die Verordnungen über die Bildung von Eltemvertretun­gen, zur Errichtung von Studentenwerken, über Grundsätze und Regelungen für

129

Page 128: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

dungsrechts in der Volkskammer zustimmen mußte, ohne Gelegenheit zur Be­ratung gehabt zu haben - ein, wie sich die Arbeitsgruppe beklagte, rechts­staatlich "höchst fragwürdiges Verfahren, formal jedoch rechtswirksam"420.

Zudem wäre versäumt worden, für die im Bildungswesen und im Hochschul­bereich Tätigen eindeutige Regelungen zur weiteren Geltung ihrer Beschäfti­gungsverhältnisse zu treffen. Dies gälte insbesondere für die 48 dem MBW nachgeordneten Einrichtungen von der Redaktion der Zeitschrift 'Das Hoch­schulwesen' mit zwei Beschäftigten bis zur Akademie der Pädagogischen Wissenschaften mit ca. 800 Mitarbeitern. Zudem wäre es, so das SPD-Papier, dem Minister für Bildung und Wissenschaft nicht gelungen, für die Lehrer ei­ne Lösung durchzusetzen, wie dies der Minister für Forschun,a und Techno­logie für die Beschäftigten der AdW-Institute erreicht hätte 1. Schließlich kritisierte die Arbeitsgruppe heftig die mangelnde parlamentarische Beteili­gung an der Entscheidungsvorbereitung422•

Die GEW hielt die Auflösung der AdW für übereilt, und die schleswig­holsteinische Kultusministerin Marianne Tidick machte hierfür die beiden Forschungsminister Riesenhuber und Terpe verantwortlich. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Dieter Sirnon kritisierte, daß dem Wissenschaftsrat mit der Aufgabe, Empfehlungen zum Fortbestehen oder zur Auflösung von AdW-Institutionen abzugeben, zugleich die Entscheidung über die Zukunft der dort Beschäftigten zugewiesen worden wäre423 . ·

allgemeinbildende Schulen und berufsbildende Schulen (Vorläufige Schulord­nung) und über die Ausbildung für Lehrämter, alle vom 18. September 1990; vgl. Anl. II z. EV, Kap. XVI, Sachgebiet: Schulwesen, Abschnitt III. Das Sachgebiet Schulwesen wurde mit der Vereinbarung vom 18. September 1990 zur Durchfüh­rung und Auslegung des Einigungsvertrages (BGBl. II S. 1239) nachträglich in den EV aufgenommen, was die Vermutung nahelegt, daß dieses bei den EV­Verhandlungen schlicht übersehen worden war.

420 V gl. SPD-Fraktion in der Volkskammer, Arbeitsgruppe Bildung: Stellungnal!me zum Einigungsvertrag für den Bereich von Bildung und Wissenschaft. Stand: 10. September 1990 mit Ergänzung vom 24. September 1990. Berlin, S. 3.

421 Vgl. a.a.O., S. 5, S. 13. Für die von dieser 'Nicht-Regelung' Betroffenen war vorgesehen, Anl. I z. EV, Kap. XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, Fußnote 2 zu Abs. 1. (2) anzuwenden, nach der die Beschäftigungsverhältnisse ab dem 3. Ok­tober 1990 zunächst für drei Monate weiterbestehen sollten. In diesem Zeitraum war dann zu klären, ob ggf. Bund oder Länder die Arbeitsverhältnisse überneh­men würden. Zur Abwicklung der APW als größter der betroffenen Institutionen aus Sicht ehemaliger Angehöriger vgl. Kossakowski 1992.

422 V gl. SPD-Fraktion in der Volkskammer, Arbeitsgruppe Bildung: Stellungnal!me zum Einigungsvertrag für den Bereich von Bildung und Wissenschaft. Stand: 10. September 1990 mit Ergänzung vom 24. September 1990. Berlin, S. 6. Im Ge­gensatz zur westdeutschen Verhandlungsseite, für die deren Verhandlungsführer Schäuble, so das Papier, die Zusammenarbeit mit der SPD als erfolgreich be­zeichnet habe, hätten durch die Alleingänge von Bildungsminister Meyer für die DDR wichtige Positionen nicht durchgesetzt werden können; vgl. a.a.O.

423 Vgl. Voreilige Entscheidung in Sachen 'Akademie', in: FR v. 6.9.1990.

130

Page 129: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

3. Die Transformation von Bildung und Wissenschaft seit 1990 -die neuen Länder im Vergleich

3.1 Rechtliche und administrative Vorbereitungen zur Umgestaltung des Bildungs- und Wissenschaftssystems nach der Vereinigung

Die DDR-Kommunalverfassung (KV) vom 17. Mai 19901, die bis zum Erlaß entsprechender Ländergesetze fortgalt2, enthielt Bestimmungen auch zum Bildungswesen. So waren gemäß § 2 KV die Sicherung und Förderung eines breiten öffentlichen Angebotes an Bildungs- und Kinderbetreuungseinrich­tungen - neue - Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung3. Für die Schü­lerbeförderung und die Förderung der Berufsschulen waren die kreisfreien Städte und die Landkreise zuständig4. Zur Absicherung der Übergangsphase 1990/91 bis zum Erlaß Iändereigenen Bildungsrechts dienten die bis zum 30. Juni 1991 befristeten Verordnungen vom 18. September 19905, die dem Schul- und Hochschulwesen der neuen Länder eine Rechtsgrundlage gaben.

Aufgrund der Verordnung zur Bildung vorläufiger Schulaufsichtsbehör­den vom 30. Mai 1990 hatte der Minister für Bildung und Wissenschaft in Abstimmung mit den zuständigen Regierungsbeauftragten Landesschulräte als Leiter der Landesschulämter berufen. Die sechs für die Länder und Ost-Berlin berufenen Landesschulräte sollten die neuen Rechtsregelungen in der Über­gangsphase umsetzen, bis die nach den Landtagswahlen zu bildenden Länder­kultus- und -bildungsministerien diese Aufgabe übernehmen konnten6. Die Landesschulräte fungierten jedoch nicht nur als 'Platzhalter' für die späteren Kultus- und Bildungsministerien. Noch in ihrer Amtszeit wurden erste kon­zeptionelle Ansätze für die Neugestaltung des Schulwesens in den Ländern erarbeitet. Diese konkretisierten sich z.T. in Schulgesetzentwürfen, z.B. in Sachsen, dessen Landesschulrat Husemann bereits im Oktober 1990 eine erste

2

4

Vgl. GBl. I DDR S. 255. Allgemein zum Kommunalverfassungsrecht in den neu­en Ländern vgl. Reiners 1991. V gl. Anl. 2 Kap. II Sachgebiet B Abschnitt I EV. Vgl. § 2 Abs. 2 Kommunalverfassung v. 17.5.1990. Vgl. Lapp 1991, S. 12. Vgl. Kap. 2.3. Vgl. Die DDR-Länder sind im Kommen. Auch ihre Schulen, in: DLZ. Nr. 3311990.

131

Page 130: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Vorlage für em sächsisches Schulgesetz der Öffentlichkeit präsentieren konnte7.

3.1.1 Der Aufbau der Länderbildungsverwaltungen und die Gemeinsame Einrichtung der Länder

Der Aufbau der Verwaltungsstrukturen für die neuen Länder und für die Kommunen setzte bereits vor dem 3. Oktober 1990 ein. Da das Datum einer möglichen Vereinigung beider deutscher Staaten bis zur Regelung der diesbe­züglichen außenpolitischen Fragen im Juni 1990 nicht absehbar war und die DDR bis zum Beitritt der neuen Länder als Völkerrechtssubjekt weiterexi­stierte, erfolgte die Unterstützung durch westdeutsche Verwaltungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene bis zur Vereinigung zurückhaltend. Die Verwaltungshilfe stützte sich in dieser Phase auf Einzelabsprachen in festgelegten Aufgabenfeldern. Hierzu gehörten neben den vorrangigen öko­nomischen Aufgabenfeldern auch die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Kultur8.

Die Regierung de Maiziere hatte die baldige Vereinigung beider deut­scher Staaten und die Neubildung der Länder zu vorrangigen Zielen ihrer Regierungsarbeit erklärt. Dies ermöglichte konkrete Schritte zum vorberei­tenden Aufbau von Länderverwaltungen. Nachdem Einigung darüber erzielt war, Länder wiederwerrichten und sich bei der territorialen Gestaltung weit­gehend an den bis 1952 existierenden Ländern zu orientieren9, setzte die Re­gierung für jedes der fünf zu konstituierenden Länder einen Landessprecher ein. Die Bundesrepublik Deutschland stellte auf der Grundlage eines Bund­Länder-Abkommens 50 Beamte aus den Bundes- und Landesverwaltungen ab und ordnete je zehn Beamte den Landessprechern, die nach dem Beitritt der fünf Länder Länderbevollmächtigte wurden, als Berater für den Verwaltungs­aufbau zu10• Die Wiedereinführung der ostdeutschen Länder war jedoch nicht die einzige Begründung für die Notwendigkeit eines Verwaltungsneuautbaus. Es war davon auszugehen, daß die SED alle wichtigen Positionen mit linien­treuen Kadern besetzt hatte. Eine personelle Erneuerung der Administration schien daher unumgänglich. Gleichzeitig sollte ein an deutschen Verwal-

10

132

Vgl. Schmidt, W. 1990b, S. 8. Zur Unterstützung z.B. des zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder existenten Landes Sachsen im Schulbereich durch Baden-Württemberg vgl. statt vieler Hilfe für Lehrer und für das Schulwesen in der DDR, in: Stuttgarter Zeitung v. 3.5.1990; Hilfe für Schulen in Sachsen, in: F.A.Z. v. 1.6.1990. V gl. zur Diskussion um die Wiedererrichtung von Ländern auf dem Territorium der DDR und um deren Gestaltung Blaschke 1990; Blaschke 1992; Lapp 1990a; Lapp 1990b; Rutz 1990; Rut:zJScherf/Strenz 1993; Hajna 1995, S. 183ff. Vgl. Rosen 1993, S. 435; Westdeutsches Personal soll helfen, in: F.A.Z. v. 12.9.1990.

Page 131: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

tungstraditionen orientiertes Verwaltungssystem reetablieft werden11 . Bis die volle Arbeitsfähigkeit der neuen Verwaltungen wiederhergestellt war, konnte es aber kein Moratorium geben.

Damit die Länder nach der staatsrechtlichen Vereinigung möglichst ver­zugslos mit dem Neuaufbau der Verwaltungen beginnen konnten, hatten Volkskammer und Regierung zwischen März und Oktober 1990 zahlreiche rechtliche und personelle Vorbereitungen getroffen. Das Ländereinführungs­gesetz vom 22. Juli 1990 stellte die bis 1952 bestehenden Länder zunächst auf dem Papier wieder her12. Fünf Länderverwaltungen waren neu zu bilden; in einigen Ländern traten Regierungspräsidien hinzu. Zudem mußten die Kommunalverwaltungen in die Lage versetzt werden, bisherige Aufgaben nun weitgehend eigenverantwortlich und darüber hinaus neue Aufgaben zu be­wältigen.

Eine schnelle Lösung der anstehenden Personalprobleme war nur über einen umfangreichen Transfer westdeutscher Verwaltungsexperten in die Länder möglich. Die Verpflichtung westdeutscher Verwaltungen zur perso­nellen Unterstützung im Rahmen der zu leistenden Amtshilfe ging bereits aus dem Staatsvertrag vom Mai 1990 hervor13. Nach dem Beitritt verpflichtete Art. 35 GG alle Behörden des Bundes und der Länder zu gegenseitiger Hil­fe14. Art. 15 EV konkretisierte die Verpflichtung, Hilfe beim Aufbau der Verwaltungen in den neuen Ländern zu leisten. Bund und westdeutsche Län­der ordneten in der Folgezeit Bedienstete aller Verwaltungsebenen in die neuen Länder ab oder versetzten sie unbefristet. Eine besonders intensive Zu­sammenarbeit ergab sich auf Länderebene, wo sich gleichsam "Betreuungsge­meinschaften"15 zwischen west- und ostdeutschen Ländern herausbildeten. Mecklenburg-Vorpommern kooperierte vorrangig mit Schleswig-Holstein, Harnburg und Bremen. Brandenburg wurde von Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hessen unterstützt, und Sachsen-Anhalt arbeitete intensiv mit Nieder­sachsen und Hessen zusammen. Thüringen erhielt Hilfe aus Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern, und Sachsen wurde von Bayern und Hessen, insbesonde­re aber von Baden-Württemberg unterstützt. Auf der örtlichen Ebene entwik-

11

12

13

14

15

Vgl. Rosen 1993, S. 435; Die DDR-Verwaltung soll endlich funktionstüchtig werden, in: F.A.Z. v. 14.9.1990. Vgl. Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokrati­schen Republik- Ländereinführungsgesetz v. 22.7.1990, in: GBl. I DDR S. 955. Die Regierung der DDR behielt sich gern. § 10 c) Ländereinführungsgesetz das Recht vor, die Grundsätze und Rahmenregelungen des Bildungswesens und der Berufsbildung bis zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu erlas­sen. Vgl. Art. 5 Staatsvertrag ('Amtshilfe'). V gl. Art. 35 Abs. 1 GG: "Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe". Rosen 1993, S. 436.

133

Page 132: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

kelte sich die Unterstützung vielfach über kommunale Partnerschaften und führte bis zur direkten Kooperation einzelner Behörden16•

Mit dem 3. Oktober 1990 konstituierten sich die fünf Länder auf dem Territorium der DDR, die damit gleichzeitig als Völkerrechtssubjekt er­losch17. Die Regierungsbevollmächtigten nahmen gemäß Art. 15 Abs. 1 EV bis zur Wahl der Ministerpräsidenten die Regierungsverantwortung wahr und leiteten die Verwaltung; sie unterstanden dabei der Dienstaufsicht der ent­sprechenden Bundesministerien. Für Berlin galt die Übergangsregelung bis zur Wahl des Gesamtberliner Magistratsam 2. Dezember 1990. Die Landes­schulräte waren über die Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990 hinaus bis zum Aufbau der Bildungs-, Wissenschafts- und Kultusministerien tätig.

Die Ergebnisse der ersten Landtagswahlen in den fünf neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland waren Richtungsentscheidungen auch für die zukünftige Gestaltung des Bildungswesens dieser Länder. Es zeichnete sich ab, daß sich die Parteien, denen die Teilhabe an der Regierungsverantwortung möglich sein würde, in der Gestaltung des Bildungswesens 'ihres' Landes an den bildungspolitischen Vorstellungen der westdeutschen Schwesterparteien orientieren würden. Hinsichtlich der Gestaltung des Schulwesens ließ dies in CDU-regierten Ländern die Präferenz für gegliederte Strukturen im Se­kundarbereich erwarten. Bei einer SPD-Regierungsverantwortung war hinge­gen mit der Umsetzung von Gesamtschulkonzepten zu rechnen. Bei den Wahlen am 14. Oktober 1990 gelang es der SPD, in Brandenburg den höch­sten Zweitstimmenanteil zu erzielen; sie bildete dort mit FDP und Bündnis 90 eine Regierung. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thürin­gen errang die CDU jeweils die meisten Wählerstimmen; in diesen Ländern bildeten sich CDU/FDP-Koalitionen. In Sachsen gewann die CDU die absolu­te Stimmenmehrheit und war daher nicht auf Koalitionspartner angewiesen18.

Beim Aufbau ihrer Ministerien gingen die Länder im Bildungsbereich unterschiedlich vor. Während die anderen Länder getrennte Ministerien für Bildung oder für Kultur sowie für Wissenschaft und Forschung einrichteten, wurden in Mecklenburg-Vorpommern Bildung, Wissenschaft und Kultur in einem 'klassischen' Kultusministerium zusammengefaßt. Einen Teil ihrer

16

17

18

134

Vgl. Leusmann/Klausnitzer 1993, S. 148; Baumbach 1993, S. 27; Lapp 1991, S. 23, der die besonders intensiven Verbindungen von Sachsen und Baden­Württemberg sowie von Brandenburg und Nordrhein-Westfalen herausstellt; Per­sonalhilfe für Sachsen kostet 50 Millionen, in: Stuttgarter Zeitung v. 24.10.1990; NRW engagiert sich stark in den neuen Ländern, in: Neue Ruhr-Zeitung v. 25.10.1990; 1000 NRW-Beamte als Entwicklungshelfer, in: Bonner Rundschau v. 28.11.1990. Rosen nennt die Zahl von 1.365 Bundesbediensteten und 8.217 Angehörigen westdeutscher Länderverwaltungen, die in den neuen Bundeslän­dern auf Länderebene tätig waren. Die Zahl der in den Kommunalverwaltungen Tätigen aus Westdeutschland wird mit ca. 10.000 angegeben (Stand: Ende 1992); vgl. Rosen 1993, S. 437. Zu den staatsrechtlichen Aspekten der Vereinigung vgl. Klein, E. 1992. Zu den Ergebnissen der Landtagswahlen im Detail vgl. FeisUHoffmann 1991.

Page 133: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Aufgaben nahm übergangsweise die Gemeinsame Einrichtung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für Aufgaben in Bildung und Wissenschaft (GEL) wahr. Gemäß Art. 14 EV konnten Einrichtungen, die nach der staatsrechtlichen Vereini­gung Aufgaben der Länder wahrzunehmen hatten, bis zur endgültigen Über­nahme aller Verpflichtungen durch die Länderverwaltungen als gemeinsame Einrichtungen weitergeführt werden, "soweit die übergangsweise W eiterfüh­rung für die Erfüllung der Aufgaben der Länder unerläßlich ist" (Art. 14 Abs. 1 EV). Die gemeinsamen Einrichtungen unterstanden zunächst den Länderbe­vollmächtigten, nach den Landtagswahlen dann den Ministerpräsidenten der neuen Länder bzw. den Fachministern der Landesregierungen.

Die GEL existierte vom 1. November 1990 bis zum 30. Juni 1991. Sie hatte zunächst 163 Mitarbeiter, überwiegend aus dem ehemaligen DDR­Ministerium für Bildung und Wissenschaft, und übernahm dessen Organisati­onsstruktur. Hinzu traten einige externe Fachleute als leitende Mitarbeiter. Die GEL war eine 'Serviceeinrichtung' für die im Aufbau befindlichen Bil­dungs- und Wissenschaftsministerien und -Verwaltungen. Sie unterstützte die­se bei der Gestaltung des Übergangsschuljahres 1990/91, arbeitete den Aus­schüssen der KMK zu und beriet die Ministerien in konkreten Einzelfällen, so z.B. bei den Bemühungen um die Erhaltung von Kinderbetreuungseinrichtun­gen, beim Aufbau von Studentenwerken und der Anerkennung von Abschlüs­sen, Nachweisen und Befähigungen. Die GEL war auch in die Übernahme von Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen in die Verantwortung der Länder und in deren Abwicklung involviert. Ihre Mitarbeiterzahl verringerte sich im Zeitraum ihres Bestehens, da kommunale, Länder- oder Bundesein­richtungen einen Teil der Mitarbeiter übernahmen19•

Trotz Unterstützung durch westdeutsche Verwaltungsfachleute und die GEL erwies sich der Aufbau der Länderverwaltungen in den neuen Ländern zunächst als schwierig. So standen z.B. im Bildungsministerium des Landes Brandenburg zwei Ressortleiter wegen der Übernahme von Landtagsmanda­ten nicht mehr für ihre Verwaltungsaufgaben zur Verfügung; der Aufbau der Verwaltung und die laufende Verwaltungsarbeit mußten weitgehend durch externe Kräfte wahrgenommen werden. Auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen waren es vorrangig personelle Probleme und die Unklarheit über die künftig verfügbaren Finanzmittel, die den Aufbau der Verwaltungen erschwerten. Der Aufbau der sächsischen Verwaltung war hin­gegen bereits seit März 1990 vor allem mit Unterstützung des Landes Baden-

19 Information des Leiters der GEL, Dr. Dieter Reiher, mit Schreiben an den Ver­fasser v. 28.4.1992. Vgl. auch Gemeinsame Einrichtung beendet Arbeit, in: DLZ. Nr. 2511991.

135

Page 134: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Württemberg planmäßig vorbereitet worden, so daß schon im Oktober 1990 konkrete Vorgaben zur Struktur der Ministerien vorlagen20.

Die alten und neuen Länder kooperierten in nahezu allen denkbaren For­men und auf allen Ebenen. Hierzu zählten zahllose Beratungsgespräche, Ex­pertentreffen und Begegnungen auf Minister- und Staatssekretärebene, Kon­takte zwischen Schulämtern und zwischen Einrichtungen der Lehrerfortbil­dung, gemeinsame Beratungen in Lehrplan- und Schulbuchkommissionen sowie die Bereitstellung von Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien. Die Zu­sammenarbeit der verschiedenen Ebenen und Institutionen verlief informell über direkte Kontakte und Absprachen, aber auch über die verbindlich fixier­te Unterstützung durch Landesregierungen oder Ministerien, so z.B. als Ver­einbarung zwischen Berlin und Brandenburg, als Regierungsabkommen zwi­schen Nordrhein-Westfalen und Brandenburg oder als Vereinbarung der Kultusministerien Baden-Württembergs und Sachsens21 •

3.1.2 Der Einigungsvertrag und die Problematik weitergeltenden Rechts für Bildung und Wissenschaft

Art. 8 und 9 EV enthielten Grundsätze zur Überleitung westdeutscher Rechtsvorschriften auf das Beitrittsgebiet und zu fortgeltendem DDR-Recht. Das Bildungsrecht, das nach der Vereinigung in den neuen Ländern galt, setzte sich im wesentlichen aus folgenden Quellen zusammen: Erstens konsti­tuierte der Einigungsvertragstext selbst Recht für die neuen Länder; zweitens enthielt die Anlage II zum EV enumerativ das unter der Regierung de Mai­ziere erlassene Bildungsrecht, das befristet weitergelten sollte22; und drittens

20

21

22

136

V gl. Sekretariat der KMK: Niederschrift zur 263. Sitzung des Hochschulaus­schusses am 18.10.1990 in Berlin, S. 3ff. Vgl. Leusmann/Klausnitzer 1993, S. 147f. Hierbei handelte es sich um die Verordnungen zur Errichtung von Studentenwer­ken, über Hochschulen, über die Ausbildung für Lehrämter sowie über Grundsät­ze und Regelungen für allgemeinbildende Schulen - Vorläufige Hochschulord­nung- alle vom 18.9.1990, die Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über Mitwirkungsgremien und Leitungsstrukturen im Schulwesen - Bildung von Elternvertretungen vom 17.8.1990, sechs Rechtsvorschriften zum Bereich Aus­bildungsförderung, deren Geltungsdauer bis zum 31.12.1990 befristet war, und eine Verordnung zur beruflichen Bildung, die bis zum Abschluß diesbezüglicher tarifvertraglicher Regelungen gelten sollte; vgl. Stern/Schmidt-Bleibtreu 1990b, S. 816f. Hinzu traten Rechtsmaterien, die nicht unmittelbar Bildungsrecht dar­stellten, aber für das Bildungswesen relevante Bestimmungen enthielten, u.a.: Staatshaftungsgesetz v. 12.5.1969 (GBI. I DDR S. 34), zuletzt geä. durch Gesetz v. 20.9.1990 (GBI. I DDR S. 1627); Verordnung v. 16.10.1975 über die Kinder­und Schülerspeisung (GBI. I DDR S. 713); Verordnung v. 11.4.1973 über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftli­cher, kultureller oder sportlicher Tätigkeit (GBI. I DDR S. 404) i.d.F. der Be­kanntmachung v. 26.9.1977 (GBI. I DDR S. 346); vgl. hierzu auch: Schulrecht in

Page 135: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

bestimmte Art. 9 Abs. 1 Satz 1 EV, daß das sonstige, zum Zeitpunkt der Un­terzeichnung des EV in der DDR geltende Bildungsrecht, soweit es nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Landesrecht war, unter bestimmten Bedingungen in Kraft blieb. So mußte altes DDR-Recht mit Verfassungs-, Bundes- und EG-Recht vereinbar sein und der EV selbst durfte nichts anderes bestimmt haben.

Der Einigungsvertragstext selbst enthielt, wie erwähnt, nur in geringem Umfang bildungsrechtliche Vorgaben. Auch Anlage II zum EV enthielt nur wenige Bestimmungen zum Bildungsrecht Die Bildungsverwaltungen muß­ten somit bis zum Erlaß landeseigener Rechtsvorschriften das nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 1 EV weitergeltende DDR-Bildungsrecht anwenden. Dieses bestand zu einem geringeren Teil aus Rechtsvorschriften, die zwischen der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 und der Unterzeichnung des Eini­gungsvertrages am 31. August 1990 erlassen worden waren. Den größeren Teil bildete das ältere DDR-Bildungsrecht, soweit es in die Rechtssetzungs­kompetenz der Länder fiel und den Bedingungen des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 EV genügte. Damit war aber "keineswegs ohne weiteres ersichtlich, geschweige denn rechtlich eindeutig ( ... ), welches Recht im Beitrittsgebiet nun gilt'm. Je­de bis zur Unterzeichnung des EV erlassene Rechtsvorschrift, soweit sie nicht in Anlage II zum EV als fortgeltendes Recht aufgeführt war, hätte somit dar­aufhin geprüft werden müssen, ob und gegebenenfalls wieweit sie den ge­nannten Bedingungen entsprach. Zudem sagte Art. 9 EV nichts darüber aus, wie lange das DDR-Recht weitergelten sollte, was bedeutete, daß es letztlich so lange weitergelten konnte, bis die zuständigen Organe der Länder eigenes Recht erlassen hatten. Insbesondere Vertreter der alten Bundesländer melde­ten bereits in den Verhandlungen zum Einigungsvertrag Bedenken gegen die­se Regelung an, die zuließ, daß DDR-Bildungsrecht in großem Umfang fort­galt. Überdies hätten die neuen Länder, so eine weitere Befürchtung der westdeutschen Verhandlungsseite, DDR-Recht durch Übergangsverordnun­gen oder Vorschaltgesetze in eigenes Recht überführen können, um sich von dem Druck zu schneller und umfassender eigener Rechtssetzung zu befrei­en24. Die erwähnten Bedingungen, unter denen DDR-Bildungsrecht weitergel­ten konnte, insbesondere die der Kompatibilität mit dem Grundgesetz, setzten dem jedoch klare Schranken. Wichtig ist in diesem Zusammenhang Art. 80 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt Dieser besagt, daß Regierung und Verwaltung nur auf der Grundlage einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmten gesetzlichen Ermächtigung verordnungsgebend tätig sein dürfen

23

24

den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. GEL - Bereich 2 - v. 2.1. 1991 (unveröff.) Hage 1991, S. 49f.; vgl. Hage 1991. Zur Übersicht über die nach dem 3. Oktober 1990 weitergeltenden Rechtsvorschriften vgl. Schulrecht in den fünf neuen Län­dern, in: DLZ. Nr. 1011991. Vgl. Hage 1991, S. 51f.

137

Page 136: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

und alle wesentlichen Entscheidungen dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Danach genügten sogar einige der nach dem 18. März 1990 von der Regie­rung de Maiziere erlassenen Bestimmungen nicht den Anforderungen des Grundgesetzes, da sie als Verordnungen, Durchführungsbestimmungen oder Anordnungen des Bildungsministeriums dem Parlaments- und Gesetzesvor­behalt nicht entsprachen25. Aufgrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgelei­teten Grundsatzes des Vertrauensschutzes war aber andererseits davon auszu­gehen, daß die in der DDR erlassenen, gemäß den Grundsätzen des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 EV eigentlich ungültigen Rechtsvorschriften bis zu deren Ersatz durch Iändereigenes Recht wirksam waren. Rechtswirksamkeit kann demge­mäß nicht nur für eine große Zahl von Rechtsvorschriften, sondern auch für organisatorische und personalrechtliche Entscheidungen angenommen wer­den, wie sie beispielsweise mit der Neueinsetzun~ von Schulräten und Schul­leitern im Sommer 1990 getroffen worden waren 6. Im Entwurf einer Mittei­lung der GEL vom Januar 1991, die für eine Veröffentlichung in der Deut­schen Lehrerzeitung vorgesehen war, fand sich der Hinweis, "daß die für den Ablauf des Schuljahres 1990/91 durch das ehemalige Ministerium für Bil­dung und Wissenschaft getroffenen Regelungen im Interesse einer geordne­ten pädagogischen Arbeit weiterhin Gültigkeit haben'm. Ein anderes Doku­ment der GEL führte nochmals die Grundsätze des EV für die Fortgeltung alten DDR-Bildungsrechts auf, ohne jedoch auf die Problematik einzugehen, welche Einschränkungen z.B. durch den Verweis auf die notwendige Kompa­tibilität mit dem Verfassungsrecht auftraten. Der Kernsatz dieses Dokuments lautete: "Die neuen Länder bleiben so lange an die schulrechtlichen Bestim­mungen der ehemaligen DDR gebunden, bis sie diese durch eigene Iandes-

25

26

27

138

Vgl. Hage 1991, S. 52. Richter geht hier noch weiter, in dem er ausführt, daß alle vom Ministerrat der DDR getroffen Verordnungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 EV nichtig und nicht nur nach dem Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch nach dem der DDR ungültig seien. Hiervon ausge­nommen sieht er lediglich einige Verordnungen, die nach dem Verfassungs­grundsätzegesetz vom 17.6.1990 zustande gekommen seien; im einzelnen hierzu vgl. Richter 1990. Vgl. a.a.O.; Gegenwärtig gültige rechtliche Regelungen für das Gebiet Bildung, in: DLZ. Nr. 40/1990. Zum Schulrecht vgl. z.B. Schulrecht in den fünf neuen Ländern, in: DLZ. Nr. 1011991; Unmittelbarer Handlungsbedarf bezüglich grundsätzlicher schulrechtlicher und schulorganisatorischer Regelungen, insbe­sondere in Vorbereitung des Schuljahres 1991/92, in: GEL- Bereich 2- v. 2.1. 1991 (unveröff.). GEL - Bereich 2: Entwurf Mitteilung in der DLZ v. 2.1.1991 (unveröff.) (Hervorh. H.-W. F.). Die GEL wies in einem Schreiben vom gleichen Tag auf ei­ne größere Zahl befristet gültiger Rechtsvorschriften und die Notwendigkeit einer Neuerarbeitung bzw. einer Verlängerung ihrer Geltungsdauer hin; vgl. Unmittel­barer Handlungsbedarf bezüglich grundsätzlicher schulrechtlicher und schulor­ganisatorischer Regelungen, insbesondere in Vorbereitung des Schuljahres 1991/92. GEL- Bereich 2 v. 2.1.1991 (unveröff.).

Page 137: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

rechtliche Regelungen abgelöst haben"28. Wie fragwürdig diese Aussage war, zeigte Karl-Heinz Hage arn Beispiel des Verfassungsgesetzes über Schulen in freier Trägerschaft vom 22. Juli 1990. Zudem hätte es nach dem Außerkraft­treten der 1989/90 mehrfach geänderten DDR-Verfassung arn 3. Oktober 1990 und den rechtsstaatliehen Defiziten großer Teile des DDR-Bildungs­rechts "bis zum Erlaß neuen Landesrechts praktisch keine wirksamen Schul­pflichtregelungen im Beitrittsgebiet"29 gegeben. Nach der von Richter vertre­tenen Argumentation, auch rechtswidrige Rechtsvorschriften könnten aus Gründen des Vertrauensschutzes übergangsweise fortgelten30, war eine Über­brückung der rechtlichen Grauzone zwischen faktisch weitergehendem, zu­mindest aber weiterbeachtetem Bildungsrecht der DDR und dessen gleichzei­tigem Mangel an Rechtsstaatlichkeit im Sinne des Grundgesetzes möglich31 .

3.2 Veränderungen in der vorschulischen Erziehung

3.2.1 Die Rechtsentwicklung im Bereich der Vorschulerziehung

Alle neuen Länder haben seit 1991 Gesetze über Kindertagesstätten erlas­sen32. Übereinstimmendes Ziel der Länderrechtsregelungen war es, die Be­treuung der Kinder in bewußter Abkehr von den gesellschaftspolitischen und ideologischen Prämissen gewährleisten zu können, unter denen sie in der DDR erfolgte. Die Gesetze führen die entsprechenden Vorschriften des Kin­der- und Jugendhilfegesetzes (KJHG)33 des Bundes näher aus. Über den dort

28

29

30

31

32

33

GEL - Bereich 2: Schulrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutsch­land mit 3 Anlagen zu neuem und weitergeltendem Schulrecht v. 2.1.1991 (unveröff.) Das Dokument war vermutlich als interne Information für die Län­derbildungsministerien vorgesehen. Hage 1991, S. 56. Vgl. dort auch die ausführliche Begründung seiner Argumen­tation. Vgl. Richter 1990. Bezogen auf das Schulrecht läßt das Bundesverfassungsgericht in seiner Recht­sprechung die Möglichkeit einer zeitlich begrenzten Fortgeltung verfassungs­widriger Rechtsvorschriften zu, wenn sich nur "auf diesem Wege eine sonst ein­tretende Funktionsunfahigkeit der Schule vermeiden läßt"; Heckelf A venarius 1986, S. 175. Auch insofern konnte die übergangsweise Fortgeltung eigentlich verfassungswidrigen J?DR-Schulrechts hinnehmbar erscheinen. V gl. allgemein den Uberblick zur Rechtslage der Kindertagesstätten in: Bun­desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 497, Tabelle V.7.11. Vgl. Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und Ju­gendhilfegesetz - KJHG) Sozialgesetzbuch (SGB), Achtes Buch (VIII) v. 26.6. 1990, in: BGBI. I, S. 1163, in der Neufassung v. 3.5.1993 (BGBI. I, S. 637), ge-

139

Page 138: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

garantierten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz (§ 24 KJHG) hinaus wurde dieser Anspruch in den meisten Kindertagesstättengesetzen (KitaG/ KiTaG) wieder aufgenommen. Die Rechtsansprüche sind jedoch in sich un­terschiedlich formuliert. Brandenburg gewährleistet allen Kindern bis zur Einschulung einen Anspruch auf einen Platz in einer Kinderbetreuungsein­richtung "im Rahmen eines bedarfsgerechten Angebotes"34. Das KitaG von Mecklenburg-Vorpommern enthält zwar keinen dezidierten Rechtsanspruch, betont aber in der Präambel das Recht jedes Kindes auf Förderung, die mit Hilfe des Gesetzes verwirklicht werden soll35• Rechtlich eindeutig ist das sächsische Gesetz; es gewährt allen Kindern vom vollendeten dritten Lebens­jahr bis zum Schuleintritt das Recht auf Besuch eines Kindergartens und ver­pflichtet gleichzeitig die örtlichen Träger, für ein bedarfsgerechtes Angebot Sorge zu tragen. In Thüringen besteht der Anspruch auf einen Kindergarten­platz für Kinder ab dem Alter von zwei Jahren und sechs Monaten. Das Ki­taG von Sachsen-Anhalt enthält die weitestgehende Regelung; Kinder, deren Erziehungsberechtigte dies wünschen, haben einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Tageseinrichtung (Kinderkrippe, Kindergarten, Hort) bis zum vollendeten 14. Lebensjahr36•

Alle Kindertagesstättengesetze enthalten Aussagen zur Planung bedarfs­gerechter Angebote, die sich an Wohnortnähe, Wahlmöglichkeiten und den Bedürfnissen berufstätiger Eltern ausrichten soll. Darüber hinaus enthalten die Gesetze Ausführungen zur speziellen Förderung und Betreuung behinder­ter Kinder und - mit Ausnahme des mecklenburg-vorpommerschen KitaG -zur Förderung von Modellversuchen37•

Eltern können über Elternräte oder Beiräte, die die Interessen der Erzie­hungsberechtigten wahrnehmen, an der konzeptionellen Entwicklung der Bil-

34

35

36

37

140

ändert durch Gesetz v. 23.6.1993 (BGBI. I, S. 944, 961) u. durch Gesetz v. 13.6.1994 (BGBI. I, S. 1229, 1236). § 1 Zweites Gesetz zur Ausführung des Achten Buches des Sozialgesetzbuches -Kinder und Jugendhilfe - Kindertagesstättengesetz (Kita-Gesetz), in: GVBI. I Brandenburg Nr. 10 v. 10.6.1992, S. 178. V gl. Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege -Erstes Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (KitaG), in: GVOBI. M-V Nr. 14 v. 19.5.1992, S. 270, geändert durch Gesetz v. 28.2.1993, in: GVOBI. M-V Nr. 5, S. 169. V gl. zu Sachsen: § 3 Abs. 2 Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrich­tungen im Freistaat Sachsen (Gesetz über Kindertageseinrichtungen -SäKitaG), in: SGVBI. Nr. 46 v. 10.9.1993, S. 999; zu Thüringen: § 22 Abs. 1 Thüringer Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder als Landesausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (Kindertageseinrichtungsgesetz - KitaG), in: GVBI. v. 25.6.1991, S. 113- geändert durch Gesetz v. 12.1.1993 (GVBI. S. 45)­u. v. 2.11.1993 (GVBI. S. 651); zu Sachsen-Anhalt:§§ 2 Abs. 2 u. 12 Abs. 1 Ge­setz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen (KiTaG), in: GVBI. LSA V. 26.6.1991, S. 126. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 516 sowie die a.a.O. genannten Regelungen der Kindertagesstättengesetze.

Page 139: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

dungs- und Erziehungsarbeit in den Einrichtungen mitwirken. Alle Kita­Gesetze räumen den Elternräten ein Mitspracherecht z.B. bei der Gestaltung der täglichen Öffnungszeiten ein38. Die gesetzlichen Finanzierungsregelungen sind demgegenüber recht unterschiedlich. Dies gilt sowohl für die Form und Höhe der vom Land gewährten Zuschüsse - Festbeträge oder prozentuale Kostenbeteiligung - als auch für die Art der Aufwendungen, die die Länder bezuschussen (Sachmittelkosten, Personalaufwendungen, Betriebskosten). Dementsprechend fallen die Regelungen zur anteiligen Kostenübernahme durch die Träger der Tagesstätten und die Höhe der von den Eltern zu ent­richtenden Beiträge unterschiedlich aus. Unbeschadet der Regelungsunter­schiede haben in allen Ländern die i.d.R. kommunalen Träger wie auch die Eltern verhältnismäßig hohe finanzielle Belastungen zu tragen39.

3.2.2 Strukturelle Veränderungen im Vorschulbereich

Nach der staatsrechtlichen Vereinigung setzte ein Abbau von Kinderbetreu­ungseinrichtungen ein, obwohl sich der Bund, allerdings befristet bis zum 30. Juni 1991, an der Finanzierung von Kinderkrippen und Kindergärten beteilig­te40. Gleichzeitig wurden mit der APW und dem Institut für Hygiene des Kin­des- und Jugendalters diejenigen Institutionen geschlossen, die in der DDR für die theoretische Fundierung der Arbeit in den Kinderbetreuungseinrich­tungen zuständig waren. Kreisjugendämter und andere Träger übernahmen die Krippen, deren bisheriger administrativer Überbau, die Krippenvereini­gungen, ebenfalls aufgelöst wurde. Die öffentliche Diskussion um die Zukunft

38

39

40

Vgl. zu Brandenburg: §§ 4, 6 u. 9 Kita-Gesetz v. 10.6.1992; zu Mecklenburg­Vorpommem: § 8 KitaG v. 19.5.1992; zu Sachsen: §§ 4 u. 5 SäKitaG v. 10.9.1993; zu Sachsen-Anhalt:§§ 5 u. 13 KiTaG v. 26.6.1991; zu Thüringen:§§ 6-8 KitaG v. 25.6.1991- geändert durch Gesetz v. 12.1.1993 u. v. 2.11.1993. Näher zu den Finanzierungsregelungen in den Ländern vgl.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 493ff., insb. die Übersicht auf S. 494, S. 514f.; BLK 1993a, S. 22ff.; Anlage 3; Situation der Kindergärten, Krippen und Horte in den neuen Bundesländern. BT-Drs. 12/661 v. 4.6.1991, S. llff.; Martini 1993, S. lf. Im letztgenannten Text wird ein Betrag von bis zu 490 DM genannt (Land Berlin), den Eltern abhängig vom Einkommen für einen Platz in einer Ganztageseinrichtung zu entrichten haben; vgl. a.a.O., S. 2. Bis zum 30.6.1991 beteiligte sich der Bund gern. Art. 31 Abs. 3 EV an den Kosten der Tageseinrichtungen. Hierfür wurde 1 Mrd. DM aufgewandt, dies entsprach einem Anteil von ca. 30 % der Gesamtaufwendungen. Für den Folgezeitraum bis Ende 1992 wurden aus den Mitteln des 'Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost' weitere 5,5 Mrd. DM zur Finanzierung von Personal, Sachmittel- und Investitionsauf­wendungen bereitgestellt; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 515. V gl. Situation der Kindergärten, Krippen und Horte in den neuen Bundesländern. BT-Drs. 12/661 v. 4.6.1991, S. 2; Finanzierung der Kindergärten gesichert, in: F.A.Z. V. 16.10.1990.

141

Page 140: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

der Kinderbetreuungseinrichtungen und um neue pädagogische Ansätze ebbte schnell ab, "wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Träger der Diskussion mit der Reorganisation ihrer eigenen Lebensverhältnisse beschäftigt waren"41 •

Die wichtigste strukturelle Veränderung im Vorschulbereich ist die Neu­ordnung und ansatzweise Pluralisierung der Trägerschaft auf der Basis einer veränderten Gesetzeslage. Bis 1990 waren überwiegend Kommunen, innen­nenswerter Zahl auch staatliche Betriebe Träger der Einrichtungen. Nicht­staatliche Träger stellten im Vergleich hierzu eine vernachlässigenswerte Größe dar42• Die Kindertagesstättengesetze erlauben neben den Kommunen Trägern der freien Jugendhilfe wie Kirchen, Jugend- oder Wohlfahrtsverbän­den, aber auchWirtschaftsunternehmen oder selbstorganisierten Elterninitiati­ven, Kindertagesstätten einzurichten. Den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe kommt gemäß dem Subsidiaritätsprinzip eine Ergänzungsfunkti­on insoweit zu, als sie über die von freien bzw. nichtkommunalen Trägern be­reitgestellten Betreuungsangebote hinaus für ein bedarfsgerechtes Angebot möglichst wohnortnaher Einrichtungen zu sorgen haben. Gegen sie richtet sich der gesetzlich fixierte Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz 43• Den in den Gesetzen zum Ausdruck kommenden Ordnungsvorstellungen zum Trägerpluralismus und zur Ergänzungsfunktion der öffentlichen Angebote stand und steht jedoch das in der DDR bedarfsdeckend ausgebaute Netz öf­fentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen gegenüber. Ein Bedarf an zusätzli­chen Plätzen in nichtstaatlichen Kindertagesstätten bestand somit faktisch nicht. Freie Träger waren mit Ausnahme der Kirchen nach der Wiederverei­nigung in den neuen Bundesländern kaum etabliert. Wo sie Tagesstätten ein­richten wollten, traten sie in Konkurrenz zu einem durch öffentliche Träger bereitgestellten bedarfsdeckenden Angebot. Im Vergleich zu den etwa zu 25 % öffentlich getragenen Kinderbetreuungseinrichtungen in den alten Bundes­ländern befanden sich die in den neuen Ländern verfügbaren Plätze in Krip­pen, Kindergärten und Horten Ende 1991 nahezu vollständig in öffentlicher Trägerschaft"".

41

42

43

44

142

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 487. Die Aussage bezieht sich auf Einrichtungen für Kinder bis zur Einschulung, also auf Kinderkrippen und Kindergärten. Für das Jahr 1985 ist die Zahl der nicht­kommunal oder betrieblich getragenen Kinderkrippen mit sieben angegeben, für das Jahr 1989 liegen keine Angaben vor. Die Zahl konfessioneller Kindergärten wird für das Jahr 1989 mit 313 von insgesamt 13.113 Einrichtungen angegeben. Alle hier und im weiteren zu Kinderbetreuungseinrichtungen angegebenen Zah­len sind dem für die Erarbeitung des 9. Jugendberichtes erhobenen Datenmaterial entnommen; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 480, S. 509 m.w.A. Vgl. z.B. § 14 Kita-Gesetz Brandenburg v. 10.6.1992. Die Kindertagesstättenge­setze der anderen Länder enthalten sinngemäße Regelungen. Im 9. Jugendbericht sind (Stand: 31.12.1991) zu öffentlichen Trägem folgende Relationen wiedergegeben: Kinderkrippen: 97,0 %, Kindergärten: 94,9 %, Horte: 99,0 %. Im Durchschnitt wurden 94,3 % aller Tageseinrichtungen von öffentli-

Page 141: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

1990 ging zwar das Angebot an Betreuungsplätzen in den Tageseinrich­tungen zurück. Zur Jahreswende 1992/93 betrug der Anteil in Anspruch ge­nommener Krippenplätze in den neuen Ländern zwischen 45,5% und 62,1 % des Standes von 1989, der Durchschnitt lag bei rund 55 %45. Aber der Rück­gang der Krippenplätze um nahezu die Hälfte seit 1989 geht nicht mit einer entsprechenden Verschlechterung der Betreuungsquote einher; dies wiederum ist eine Folge des Rückganges der Geburtenzahlen seit 1990. Aus den für den 9. Jugendbericht der Bundesregierung erhobenen Daten kann geschlossen werden, daß das vorhandene Angebot nach wie vor weitgehend der Nachfrage entspricht. Dies deutet darauf hin, daß der Rückgang des Angebotes und der Nachfragerückgang parallel verlaufen und sich der Versor~ungsgrad mit Krippenplätzen sich seit 1989 nicht grundlegend verändert hat4 .

Eine vergleichbare Entwicklung vollzog sich im Kindergartenbereich. Zunächst wurden betrieblich getragene Kindergärten geschlossen, dann auch kommunale Einrichtungen. Auch bei den Kindergärten führten die Schließun­gen bislang nicht zu nennenswerten Versorgungslücken. In den Ländern be­stand 1995 ein regional unterschiedlicher (Über-)Versorgungsgrad zwischen 96,2 % in Thüringen und 163,4 % in Sachsen-Anhalt47 • Gründe für den Ab­bau der Kinderbetreuungseinrichtungen sind zum einen mangelnde finanzielle Möglichkeiten der Träger, einen der DDR vergleichbaren Versorgungsgrad zu gewährleisten; zum anderen erfolgt der Abbau parallel zur sinkenden Nachfrage. Diese liegt nur in geringem Maße in der Binnenwanderung über­wiegend jüngerer Menschen in die alten Bundesländer begründet. Hauptursa­che des Nachfragerückganges sind die rückläufi§en Geburtenziffern, die sich zwischen 1989 und 1992 mehr als halbiert haben 8.

45

46

47

48

eben Trägem unterhalten. Innerhalb der Länder schwankt der Anteil freier Trä­ger, z.B. bei Kindergartenplätzen, von 3,4 % in Mecklenburg-Vorpommem bis zu 8,4% in Thüringen. In den alten Bundesländern befinden sich ca. 75 % der Kindergärten in freier Trägerschaft, der überwiegende Anteil davon in Träger­schaft der evang. und kathoL Kirchen; vgl. Bundesministerium für Familie, Se­nioren, Frauen und Jugend 1994, S. 509, S. 534, Tabelle V.7.20; BLK 1993a, S. 14f. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 489ff. m.w.A. 1989 lag der Versorgungsgrad mit Kindergartenplätzen rechne­risch bei 113 %; vgl. BLK 1993a, S. 18. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 489ff. Trotz einer erheblichen Abnahme der absoluten Zahl an Krippenplätzen verringerte sich der Versorgungsgrad von 56,4 % im Jahr 1989 nur auf durch­schnittlich 49,5 %zur Jahreswende 1992/93; vgl. a.a.O., S. 492. Vgl. Platz im Osten, in: Der Spiegel. Nr. 45/1995 (Zahlenangaben für das Jahr 1995). Ende 1991lag der Durchschnitt der Platz-Kinder-Relationen in den neuen Bundesländern bei 97,7 %; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau­en und Jugend 1994, S. 510, S. 534f. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 481, Tabelle V.7.2. So ist z.B. die Zahl der Geburten in Brandenburg von 32.997 (1989) auf 13.235 (1992), in Sachsen von 55.857 (1989) auf 25.138 (1992) zu-

143

Page 142: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Der Rückgang der Jahrgangsstärken wirkte sich zunächst auf die Kinder­krippen und zeitverschoben auf die Kindergärten aus; im weiteren setzen Fol­gewirkungen in den Schulen ein. Durch die Bedarfsverringerung wurden fortlaufend Tageseinrichtungen geschlossen, was für die Träger zwar eine er­hebliche Kostenentlastung, für die Erzieherinnen aber häufig eine Tätigkeit in Unsicherheit über die Aufrechterhaltung ihrer Arbeitsplätze und Arbeitslosig­keit bedeutete, soweit sie nicht in andere Kinderbetreuungseinrichtungen übernommen werden konnten49. Kündigungen erfolgten dabei meist nach so­zialen Gesichtspunkten, so daß überwiegend jüngere Erzieherinnen vom Ar­beitsplatzverlust betroffen waren. Dies ist weder in bezug auf die körperli­chen Belastungen, die die Tätigkeit mit sich bringt, noch hinsichtlich der päd­agogischen Erneuerung wünschenswert, die eine personelle Erneuerung be­dingt. Die fortdauernde Finanzknappheit zwingt die Träger zu weiterem Per­sonalabbau, der sich zumindest bis zu einer Stabilisierung der Geburtenzif­fern in den neuen Bundesländern fortsetzen dürfte. Die Personalreduzierung führte und führt zu Motivationsverlust; die Sorge vor Entlassung, zwangswei­se Arbeitszeitverkürzungen und Konkurrenz unter den Einrichtungen gefähr­den die pädagogische Arbeit. In Kinderkrippen war zudem zu beobachten, daß Kinder auch nach Vollendung des dritten Lebensjahres in den Krippen gehalten wurden. In den Kindergärten führte die Anpassung des Personal­schlüssels an die Bestimmungen der Kita-Gesetze zu einer Verschlechterung der Betreuungsrelationen50.

3.2.3 Zur Neuformulierung der Aufgaben von Vorschuleinrichtungen

Die neuen Gesetze als rechtsförmiger Ausdruck des gesellschaftlichen W an­dels in den neuen Ländern formulieren für die Arbeit in den Kindertagesstät­ten Aufgaben und Ziele, die sich grundlegend von den in der DDR gültigen Erziehungsmaximen unterscheiden. Die neuen Betreuungs- und Erziehungs­pragrarurne sollen sich in ihrer Reichweite nun auf eine Ergänzung der fami-

49

50

144

rückgegangen; vgl. a.a.O. Zur Binnenwanderung vgl. a.a.O., S. 493. Die Zahl der Kindergartenkinder in den neuen Bundesländern und Berlin ging zwischen 1993 und 1995 von 685.100 auf 491.400 zurück; vgl. BLK 1993a, Anlage 2 (Berech­nung auf der Basis der drei-, vier-, fünf- und sechsjährigen Kinder sowie sieben Monate der sechs- bis siebenjährigen Kinder). Der 9. Jugendbericht gibt für den Bereich der Kinderkrippen die Zahl von 75.000 dort tätigen Erzieherinnen (1989) an. Aufgrund der geschilderten Probleme wird bis zur Stabilisierung der Geburtenziffern ein Rückgang auf 41.000 in den Krip­pen Beschäftigte erwartet; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 495; BLK 1993a, S. 11. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 495, s. 512.

Page 143: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

liären Erziehung beschränken. Das Kind und die Entfaltung seiner Persön­lichkeit stehen im Vordergrund, die pädagogische Arbeit soll der Förderung einer altersgerechten Entwicklung der betreuten Kinder gelten. Die Kinderta­gesstättengesetze enthalten in unterschiedlicher Formulierung hierzu Aufga­ben der Kinderbetreuungseinrichtungen, die die im KJHG festgelegten Rege­lungen ergänzen. Gemeinsam ist den Kita-Gesetzen die Betonung des gegen­über anderen Einrichtungen - insbesondere den Schulen - eigenständigen Bil­dungs- und Erziehungsauftrages. Nahezu identisch in der Wortwahl findet sich in allen Gesetzen die Aussage, daß Kindertageseinrichtungen die Erzie­hung der Kinder in der Familie unterstützen und ergänzen sollen. Damit wird die Stellung der Gemeinschaftserziehung gegenüber der Familienerziehung verdeutlicht und der Primat elterlicher Erziehung bewußt hervorgehoben. Die Erziehung in Kindertagesstätten soll zur Entwicklung der geistigen, körperli­chen und seelischen Anlagen der Kinder beitragen und durch kindgemäße Tätigkeiten deren Anlagen fördern. Als weiterer Aspekt wird die Förderung der Gemeinschaftsfähigkeit herausgestellt; auch insoweit orientieren sich die Kindertagesstättengesetze am KJHG51 •

Neben diesen allgemeinen Aufgaben haben einzelne Länder besondere Aufgaben formuliert, die in den Kindertagesstätten verwirklicht werden sol­len. So berücksichtigen Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thü­ringen Aspekte einer ökologischen Erziehung, die auf die Bewahrung der Natur und den verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt abzielen soll. In den sächsischen Kindertageseinrichtungen sollen die Erzieherinnen der ge­schlechtsspezifischen Rollenfixierung entgegenwirken. Das sächsische und das brandenburgische KitaG enthalten einen Passus zu den Einrichtungen im deutsch-sorbischen Gebiet. Diese sollen dazu beitragen, die sorbische Kultur, Sprache und Tradition zu erhalten und zu fördern. Wo Eltern dies wünschen, können in sächsischen Kindertagesstätten zweisprachige oder rein sor­bischsprachige Gruppen eingerichtet werden52.

Durch die Neugestaltung der Arbeit in den Tageseinrichtungen und die neuformulierten Ziele und Aufgaben sind Erzieherinnen und Eltern vor die Aufgabe gestellt, sich mit bislang weitgehend unbekannten pädagogischen Konzepten zu befassen und diese in der täglichen Praxis umzusetzen. An die Stelle einer Erziehung im und zum Kollektiv soll die individuelle Förderung jeder einzelnen Persönlichkeit treten; statt einseitiger ideologischer Ausrich­tung ist das Erleben von Vielfalt zu ermöglichen. Dies erfordert die intensive Auseinandersetzung mit einer Pädagogik des kleinen Kindes, die sich ganz

51

52

V gl. § 22 Abs. 1 KJHG. Zu den Aufgaben der Kindertagesstätten in den Ländern vgl. zu Brandenburg: § 3 Kita-Gesetz; zu Mecklenburg-Vorpommem: § 1 KitaG; zu Sachsen: § 2 SäKitaG; zu Sachsen-Anhalt: § 3 KiTaG; zu Thüringen: § 2 Ki­taG. Vgl. zu Brandenburg: § 3 Abs. 2 Nr. 5 Kita-Gesetz, zu Sachsen: § 2 Abs. 5 SäKi­taG.

145

Page 144: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

wesentlich von den bis 1989 verbindlichen pädagogischen Richtlinien unter­scheidet. Erzieherinnen können nun Konzepte umsetzen, deren Verwirkli­chung bis 1989 nicht möglich war, z.B. in der Arbeit mit altersgemischten oder integrativen Gruppen, in denen behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam betreut werden. Der Wegfall der verbindlichen Programme ver­unsichert aber auch die an die Arbeit mit Detailvorgaben gewöhnten Erziehe­rinnen; er birgt somit gleichermaßen Chancen in sich wie die Gefahr der Überforderung. Es bedarf konzeptionell neugestalteter pädagogischer Pro­gramme, die es ermöglichen, auch den individuellen Besonderheiten einzelner Einrichtungen Rechnung zu tragen. Die BLK empfahl daher bereits im Jahr 1993 den Trägerinstitutionen, unter Berücksichtigung von Elternwünschen erarbeitete pädagogische Konzeptionen zu erproben, die den Bedürfnissen der Tagesstätten augepaßt sind und sich an die vorliegenden Erfahrungen aus Modellversuchen und Erprobungsprojekten anlehnen sollten53 . Allerdings zo­gen bereits die bislang erfolgten inhaltlichen Veränderungen einen erhebli­chen Qualifizierungsbedarf für das eingesetzte Personal nach sich, der da­durch noch verstärkt wurde, daß Erzieherinnen gemäß einer Vereinbarung der KMK vom 13./14. Juni 1991 die Qualifikation für das gesamte sozialpädago­gische Tätigkeitsspektrum nur bei nachgewiesener Anpassungsfortbildung zuerkannt wird54. Die Anbieter von Weiterbildungsmaßnahmen reagierten hierauf zwar mit einem umfangreichen Angebot; die durchgeführten Veran­staltungen genügten in ihrem Niveau jedoch oftmals nicht den Anforderun­genss.

3.3 Die Neugestaltung des allgemeinbildenden Schulwesens

Die neuen Bundesländer verfügten nur über einen knappen zeitlichen Spiel­raum, innerhalb dessen sie die rechtlichen, strukturellen, personellen, inhaltli­chen und organisatorischen Fundamente für den Wandel ihrer Schulsysteme zu schaffen hatten, die denen der westdeutschen Länder gleichwertig sein sollten. Dies war jedoch nicht nur dem Druck rechtlicher Vorgaben und dem westdeutschen Drängen geschuldet, sondern vor allem auch das Ziel aller Landesregierungen, den Aufbau eines eigenen Schulwesens möglichst schnell

53

54

55

146

Vgl. BLK 1993a, S. 16f., S. 32ff. V gl. Anerkennung von nach Rechtsvorschriften der ehemaligen DDR abge­schlossenen Ausbildungen in Erzieherberufen gemäß Art. 37 Einigungsvertrag -Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 14.6.1991 i.d.F. vom 27.3.1992, in: Sammlung der Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Län­der in der Bundesrepublik Deutschland. Loseblattsammlung, Ordnungszahl 428.1, S. 1-3. Vgl. BLK 1993a, S. 20.

Page 145: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

zu verwirklichen, um das überkommene DDR-Bildungswesen und seine rechtliche Grundlagen so bald wie möglich durch eigene Regelungen ersetzen zu können. Im Rahmen dieses gemeinsamen Bemühens beschritten die Län­der durchaus unterschiedliche Wege. Da es wenig sinnvoll und auch praktisch kaum möglich war, größere Veränderungen bereits im laufenden Schuljahr 1990/91 umzusetzen, bildete der Übergang zum Schuljahr 1991/92 den näch­sten sinnvollen Einschnitt. Alle Länder mit Ausnahme Sachsens nahmen sich zum Ziel, schon dieses Schuljahr strukturell, inhaltlich und administrativ auf der Basis neuer, eigener Schulgesetze zu gestalten56• Zunächst war aber das Schuljahr 1990/91 noch weitgehend in den alten Strukturen mit einheitlicher Zehnklassenschule und darauf aufbauender Oberstufe, jedoch mit inhaltlich z.T. schon erheblich veränderten Lehrplänen und erweiterten pädagogischen Freiräumen für die Lehrer sicherzustellen. Hierzu waren Übergangsregelun­gen geschaffen worden, die die im Einigungsvertrag enthaltenen Bestimmun­gen ergänzten und mit denen die Arbeitsfähigkeit der Verwaltungen und Bil­dungseinrichtungen bis zum Erlaß eigenen Bildungsrechts gewährleistet wer­den sollte. Parallel dazu erfolgten im Zeitraum von Ende Oktober 1990 bis Juni 1991 die Erarbeitung, parlamentarische Beratung und Verabschiedung der neuen Schul- und Bildungsgesetze.

Die Neugestaltung des Schulwesens in den neuen Ländern erfolgte unter schwierigen Rahmenbedingungen: Zeitknappheit: Die Länderregierungen hatten wichtige Teile ihres Schulrechts bis zum 30. Juni 1991 neu zu gestalten oder das nach Art. 9 Abs. I EV wei­tergeltende DDR-Recht in eigenes zu überführen; beide Wege wurden be­schritten. Erkennbar war der Wunsch aller Verantwortlichen, überkommenes DDR-Recht schnellstmöglich zu ersetzen. Vorgaben: Bei der Gestaltung der Schulstrukturen war eine Vielzahl von KMK-Vereinbarungen und Beschlüssen zu beachten, dies nicht nur 'orientierend', wie die Denkschrift zum EV formulierte, sondern, wie sich zeigen sollte, lenkend, da die Vertreter der alten Bundesländer sehr bald Harmonisierungsdruck auf die neuen Länder ausübten. Finanzknappheit: Die erheblichen finanziellen Restriktionen zwangen dazu, auf die vorhandenen Strukturen und das verfügbare Personal zurückzugreifen. Der von Anfang an herrschende Rationalisierungsdruck führte z.B. zu Lehre­rentlassungen in großem Umfang. Die neuen Länder hatten sich an den Schü­ler-Lehrer-Relationen der alten Bundesländer zu orientieren, da sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollten, einerseits umfangreiche Transferleistungen zu benötigen und sich andererseits personelle Überhänge zu leisten. Bei der Schulnetzplanung mußten die vorhandenen Gebäude berücksichtigt werden, da wenig Mittel für Neubauten zur Verfügung standen.

56 Vgl. Döbert/Martini 1991.

147

Page 146: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Personalprobleme: in den Länder- und Kommunalverwaltungen arbeitete vorwiegend Personal, das bereits der SED-dominierten Volksbildungsadmi­nistration gedient hatte. Wo dieses bereits entlassen worden war, wie z.B. in den neuen Ministerien, herrschte Personalknappheit Dieser Personalmangel führte zu einem bisweilen unerwünschten Einfluß westdeutscher Berater auf administrative Entscheidungen. Im Schulbereich gab es in den meisten Fä­chern Lehrerüberhänge. Der gleichzeitig vorhandene Mangel an Lehrern für bestimmte Fächer konnte nur vereinzelt durch die Übernahme westdeutscher Lehrkräfte ausgeglichen werden, obgleich eine Mischung west- und ostdeut­scher Lehrer an den Schulen als wünschenswert angesehen wurde57• Die 'neue Schule' war daher weitgehend mit altem Personal zu verwirklichen. Erwartungsdruck: Die Länder sahen sich bei der Neugestaltung des Schulwe­sens einem enormen Erwartungsdruck von verschiedenen Seiten ausgesetzt: seitens der bildungspolitisch interessierten Öffentlichkeit, der KMK, der Leh­rerverbände und Gewerkschaften, seitens westdeutscher Bildungsforscher, die die Verwirklichung ihrer Ideen und Impulse für die westdeutsche Schulre­formdebatte erhofften (und enttäuscht wurden), und nicht zuletzt seitens vie­ler Schüler, Eltern und Lehrer, die deutliche Veränderungen gegenüber der DDR-Schule erwarteten.

3.3.1 Die Entwicklung der Länderschulgesetzgebung

Das Grundgesetz und die Landesverfassung58 geben den äußeren rechtlichen Rahmen für die Gestaltung des Schulwesens eines Landes und der hierzu er­forderlichen Rechtsvorschriften vor. Alle Schulreformgesetze der neuen Län­der verweisen auf diese verfassungsmäßigen Grundlagen. Sie weisen darüber hinaus allgemeine Bildungs- und Erziehungsziele für die Schulen aus, die be­reits auf dieser Ebene die Abkehr von dem bis 1989 verbindlich gesetzten Erziehungs- und Bildungsverständnis dokumentieren. Neben den verfassungs­rechtlichen Vorgaben galten für die Neugestaltung des Schulrechts das Eini­gungsvertragswerk selbst sowie die weiteren Rahmenbedingungen, auf die der EV verwies. In der Denkschrift zum Einigungsvertrag wurde zu Art. 37 EV ausgesagt: "Im Schulwesen sind die bei der Neugestaltung in dem beigetrete­nen Gebiet erforderlichen Regelungen, einschließlich der Übergangsregelun-

57

58

148

Dies z.B. von dem Staatssekretär im sächsischen Staatsministerium für Kultus, Wolfgang Nowak; vgl. "Aber wir brauchen keine Parteikriege", in: FR v. 31.1. 1991. Bis Mitte 1991lag in keinem der neuen Länder eine Verfassung vor. Bei der Er­arbeitung der in den Schulgesetzentwürfen enthaltenen allgemeinen Bildungszie­le mußten sich die Regierungen und die parlamentarischen Oppositionen, soweit sie, wie z.B. in Sachsen, eigene Schulgesetzentwürfe vorlegten, daher an Über­gangsregelungen, an bereits vorhandenen Verfassungsentwürfen und an den Empfehlungen der westdeutschen Partnerländer orientieren.

Page 147: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gen, von den in Artikel 1 des Vertrages genannten Ländern zu treffen"59. Die von der KMK zur Gestaltung des Schulwesens getroffenen 'einschlägigen Vereinbarungen', insbesondere das Hamburger Abkommen von 1964/71, sollten gemäß Art. 37 Abs. 4 EV 'orientierende Berücksichtigung' finden60.

Diese Formulierung kann als Hinweis auf einen Kompromiß verstanden wer­den, denn die Vertragsparteien waren mangels rechtlicher Kompetenz und Zuständigkeit nicht berechtigt, die neuen Bundesländer rechtswirksam auf die Übernahme der KMK-Vereinbarungen zu verpflichten. Dennoch übten diese eine gewisse Bindewirkung auf die neuen Bundesländer aus; und mit ihrem Beitritt zur KMK im Dezember 1990 unterstrichen die Länder ihre Absicht, am Konsensfindungsverfahren der KMK teilzuhaben, auch wenn dies mit ei­ner faktischen, teils auch rechtlichen Beschränkung ihres bildungspolitischen Gestaltungsfreiraumes einherging. Die Vorstellungen der KMK über den Weg der Neugestaltung des Schulwesens in den neuen Ländern verdeutlichte das Hohenheimer Memorandum zur Bildungs-, Wissenschafts- und Kultur­politik im geeinten Deutschland vom 21./22. Februar 1991. Statt der orientie­renden Berücksichtigung des Hamburger Abkommens und weiterer einschlä­giger Regelungen der KMK, durch die das als erforderlich angesehene Maß an Einheitlichkeit bei der Neugestaltung des Schulwesens in den neuen Län­dern angestrebt werden sollte, hieß es dort, "daß die neuen Länder bei der Neugestaltung ihres Schulwesens das Hamburger Abkommen und die weite­ren einschlägigen Vereinbarungen der KMK als Basis nehmen"61 • Im Gegen­zug erklärten sich die westdeutschen Länder bereit, die für die Umstellung auf die neuen Schulsysteme erforderlichen Übergangsfristen einzuräumen62.

Bis zum Erlaß Iändereigenen Rechts galten die in die Anlage II zum EV nachträglich aufgenommenen und bis zum 30. Juni 1991 befristeten Regelun­gen. Hinsichtlich der Anerkennung von Lehramtsprüfungen verwies Art. 37 Abs. 2 EV auf die in der KMK üblichen Verfahren, wobei noch zu treffende Übergangsregelungen zu beachten waren63 . Im Hohenheimer Memorandum wurde herausgestellt, daß die Lehrerausbildung zukünftig auch in den neuen Ländern für alle Lehrer auf der Basis der allgemeinen Hochschulreife, zwei-

59

60

61

62

63

BT -Drs. 1117760, S. 375. Zur Problematik und zur Bindungswirkung dieser Regelung vgl. Anders 1992, S. 281f. Welche 'einschlägigen' Regelungen die KMK beachtet sehen wollte, wurde in der 250. Plenarsitzung am 4./5. 10.1990 erläutert; vgl. Leusmann!Klausnitzer 1993, S. 138. KMK: Pressemitteilung v. 25.2.1991 zur 252. Plenarsitzung am 21. u. 22.2. 1991, Anlage, S. 2. Vgl. a.a.O. Zur Rolle der KMK im Prozeß der deutschen Einigung allgemein vgl. auch Murrding 1995, insb. S. 510 ff. Zur Anerkennung und Vergleichbarkeit von Hochschulabschlüssen vgl. KMK 1991; Petzer 1991, S. 196.

149

Page 148: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

phasig und vor allem nur noch an Universitäten oder pädagogischen Hoch­schulen erfolgen solle64•

Die in Brandenburg von SPD, FDP und Bündnis 90 geschlossene Koali­tionsvereinbarung wie auch die Regierungserklärung des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe vom 6. Dezember 1990 ließen eine Prä­ferenz für die flächendeckende Einführung der Gesamtschule als Regelschule erkennen. Gemäß dem Vertrag zur Bildung der Landesregierung war zunächst vorgesehen, die bisherigen zehnjährigen POS durch Binnendifferenzierung zu Gesamtschulen weiterzuentwickeln, die auch über gymnasiale Oberstufen ver­fügen sollten. Daneben sollten im Sekundarbereich eigenständige Gymnasien und Realschulen eingerichtet werden, sofern dies dem Elternwillen und dem Bedarf entspräche65 . Im Februar 1991 legte die Ministerin für Bildung, Ju­gend und Sport Marianne Birthler den Entwurf für ein Vorschaltgesetz zum Landesschulgesetz vor, das die schulischen Bildungsgänge stärker als in den anderen Ländern nach Stufen gliederte. Proteste richteten sich insbesondere gegen die zentrale Stellung der Gesamtschule66. Die strukturelle Neugestal­tung des brandenburgischen Schulwesens war ein Streitpunkt zwischen der Regierung und der CDU-Landtagsopposition, die im Februar 1991 einen ei­genen Gesetzentwurf für ein Brandenburgisches Schulgesetz vorstellte. Aber auch innerhalb der Regierungskoalition gab es Kontroversen, z.B. um die von der FDP verlangte Einführung von Realschulen, die sich schließlich als "Kon­zession an den Koalitionspartner FDP, später auch (als) Zugeständnis an El­tern"67 im Gesetz wiederfanden. Strittig war auch die Einbindung der gymna­sialen Oberstufe, die laut Gesetzentwurf von den Gymnasien getrennt und mit anderen Bildungsgängen zusammen in Oberstufenzentren eingerichtet werden sollten68 . Nachdem der Landtag das Gesetz schließlich am 25. April 1991 verabschiedet hatte, konnte die Umsetzung des Ersten Schulreformgesetzes für das Land Brandenburg - Vorschaltgesetz (1. SRG)69 mit dem Schuljahr 1991/92 beginnen.

64

65

66

67

68

69

150

Vgl. KMK: Pressemitteilung v. 25.2.1991, Anlage, S. 2f. V gl. Vertrag zur Bildung der Landesregierung Brandenburg in der ersten Legisla­turperiode des Landtages 1990-1994. Typoskript. 0.0. (Potsdam), o.J. (1990), S. 9. Zur Diskussion um das brandenburgische Schulreformgesetz vgl. Hanßen 1991, S. 280ff.; Zwischen Westimport und eigenem Weg, in: FR v. 21.3.1991; Schul­kampf im Osten 1991, S. 4; Auseinandersetzung um Schulpolitik, in: DLZ. Nr. 10/1991; Vorschaltgesetz stellt Weichen, in: DLZ. Nr. 1611991; Schulreformge­setz in Brandenburg verabschiedet, in: F.A.Z. v. 27.4.1991. Schmidt, W. 1991, S. 6. Vgl. Nach 100 Tagen noch nicht aus der Talsohle, in: Das Parlament. Nr. 13/1991. Vgl. z.B. KEG: Ideologische Weichenstellung in Richtung Gesamtschule, in: DLZ. Nr. 1511991. GVBI. Brandenburg S. 116.

Page 149: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Das 1. SRG wurde in der ersten Legislaturperiode des Landtages keiner grundlegenden Revision unterzogen70; so blieb die Verabschiedung eines Schulgesetzes eines der großen gesetzgeberischen Vorhaben der zweiten Le­gislaturperiode, in der die SPD über die absolute Mehrheit der Mandate im Landtag verfügt. Zu Beginn des Jahres 1995 veröffentlichte das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Diskussionsgrundlagen für ein Schulgesetz7\

und am 8. November 1995 wurde der Schulgesetzentwurf in erster Lesung im Landtag beraten72• Die laut Gesetzentwurf vorgesehene Gliederung des Schulsystems entsprach in allen wesentlichen Punkten der 1991 aufgebauten strukturellen Gestaltung. Als wichtige Neuerung sollten die Schulen zukünftig größere individuele Gestaltungsspeilräume erhalten. Am 28. März 1996 ver­abschiedete der Landtag das Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg (BbGSchulG)73 . Es umfaßt 149 Paragraphen und enthält u.a. Bestimmungen zum Auftrag der Schulen (§§ 3-5), zum Schulaufbau (§§ 15-35), zur Schul­verwaltung(§§ 44-73) und zu Mitwirkungsrechten für Eltern, Lehrkräfte und Schüler (Schulverfassung; §§ 74-98). Hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts wird nach Unterrichtsfächern(§ 11), Lernbereichen und Auf­gabengebieten (§ 12) differenziert. Auch Rechtsvorschriften zu Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft wurden in das BbGSchulG aufgenommen (§§ 117-128).

In Mecklenburg-Vorpommern verabschiedete der Landtag am 26. April 1991 das Erste Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (SRG)74. Es war nicht befristet und sollte bis zum Irrkrafttreten eines Schulge­setzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (§ 30 Abs. 3 SRG) gültig sein; damit wies es ebenfalls vorläufigen Charakter auf. Bereits im Sommer 1990 hatte es erste Vorüberlegungen zu einem Schulgesetz für Mecklenburg­Vorpommern gegeben75. Im Oktober 1990 sprach sich der damalige Landes­beauftragte Diederich für eine Schulstruktur aus, die in der Sekundarstufe Hauptschule, Realschule und Gymnasium enthalten sollte. Die Koalitions­vereinbarung der CDU/FDP-Regierungskoalition enthielt Aussagen zu Erzie-

70

71

72

73

74

75

Insgesamt gab es drei Änderungen, die sich auf die Verbindung von Schulen und Kindertagesstätten bzw. auf das Auswahlverfahren bei Kapazitätsmängeln an Schulen der Sekundarstufe I bezogen; vgl. Hanßen 1995, S. 493. Zum letztge­nannten Punkt vgl. auch Kap. 3.3.3.3. Vgl. MBJS Brandenburg: Auf dem Weg zu einem Landesschulgesetz-Leitlinien v. 23.1.1995, hier: S. 4. V gl. MBJS Brandenburg: Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg. Ent­wurf der Landesregierung Brandenburg, verabschiedet am 24.10.1995; MBJS Brandenburg: Pressemitteilung v. 8.11.1995; Hanßen 1995. Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Schulgesetz -BbGSchulG), in: GVBl. I Nr. 9 S. 102. Vgl. GBl. M-V S. 123; Superlative in Mecklenburg-Vorpomrnern, in: F.A.Z. v. 2.10.1991. Vgl. Die DDR-Länder sind im Kommen. Auch ihre Schulen, in: DLZ. Nr. 33/1990.

151

Page 150: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

hungszielen wie Toleranz und Menschlichkeit und der Zurückweisung von Rassismus und Nationalismus. An die Stelle der Einheitsschule sollte ein viel­fältig gegliedertes Schulwesen treten, das auch Einrichtungen in freier Trä­gerschaft zuließ76• Die Schularten des gegliederten Schulwesens fanden sich in dem Anfang Februar 1991 vorgelegten Gesetzentwurf wieder, den der Landtag am 27. Februar 1991 in erster Lesung beriet. Die parlamentarische Debatte des Schulgesetzentwurfes war von Protesten in der Öffentlichkeit begleitet. Im Verlauf der Beratungen wurde beschlossen, eine schulartabhän­gige Orientierungsstufe für die Klassen 5 und 6 einzurichten, die im Schulge­setzentwurf ursprünglich nicht vorgesehen war. Während laut Entwurf im Falle von Unstimmigkeiten zwischen dem Willen der Eltern und der Leh­rerempfehlung hinsichtlich der Wahl der weiterführenden Schule Prüfungen vorgesehen waren, wurde nun dem Elternwillen Priorität eingeräumt(§ 2 Abs. 6 SRG). Die Einführung der strukturellen Dreigliedrigkeit sollte sukzessiv er­folgen. Der Gesetzentwurf sah vor, zunächst mit der Klassenstufe 9 zu begin­nen und die Schulen in den Fol~ejahren um die jeweils nächsthöhere und -tiefere Klassenstufe zu erweitern 7. Der Landtag beschloß jedoch schließlich den Aufbau aller Klassenstufen bereits zum Schuljahresbeginn 1991/92. Kultusminister Oswald Wutzke hatte sich zwar gegen die Einführung von Ge­samtschulen ausgesprochen, die er als Fortführung der DDR-Einheitsschule sah. Der Entwurf des Schulreformgesetzes enthielt aber die Möglichkeit zur Einführung von Gesamtschulen, wenn auch unter erschwerenden Auflagen (z.B. Vierzügigkeit)78 . Während Gesamtschulen ursprünglich erst nach dem abgeschlossenen Aufbau des gegliederten Schulwesens errichtet werden soll­ten, wies das schließlich verabschiedete Gesetz Gesamtschulen neben den Schularten des gegliederten Schulsystems als gleichrangige Schulart aus 79.

Das Schulreformgesetz sollte zunächst nur als wesentlich erachtete Rechtsma­terien enthalten und zu gegebener Zeit durch ein Schulgesetz ersetzt werden. Dies begründet auch die Übernahme alten DDR-Schulrechts als Landesrecht.

76

77

78

79

152

V gl. Koalitionsvereinbarung zwischen dem Landesverband der Christlich­Demokratischen Union und dem Landesverband der Freien Demokratischen Partei Mecklenburg-Vorpommem. 0.0., o. J. (1990), S. 15. Zu den Auseinandersetzungen um das Schulreformgesetz Mecklenburg-Vorpom­mern vgl. Lorentzen 1991, S. 285ff.; Lorenz 1991, S. 32f.; In Schwerirr entfrem­den sich die Partner, in: Die Welt v. 25.4.1991; Pädagogische Freiheit reduziert, in: DLZ. Nr. 1511991; Vorbereitungen aufdie Schulreform, in: F.A.Z. v. 24.1. 1991. V gl. Entwurf Erstes Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (SRG) vom Februar 1991, hier: § 6 Abs. 2. 1991 entstanden jedoch bereits 18 Gesamtschulen in Mecklenburg-Vorpommem; vgl. Brandenburg nimmt den Spitzenplatz ein, in: DLZ. Nr. 24/1993. Vgl. Lorentzen 1991, S. 286; Schmidt, W. 1991, S. 7f. Schule muß geistiges Zentrum sein, in: DLZ. Nr. 1/1991; Schulkampf im Osten 1991, S. 5. Zu Ge­samtschulen vgl. §§ 1 (3) u. 6 SRG.

Page 151: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

§ 29 SRG enthielt Bestimmungen zur Fortgeltung von Schulrecht der DDR ohne zeitliche Beschränkung80•

Wie in Brandenburg erfolgte auch in Mecklenburg-Vorpommern die Verabschiedung eines endgültigen Schulgesetzes erst in der zweiten Legisla­turperiode des Landtages. Nach der Landtagswahl vom Oktober 1994 verän­derten sich die politischen Mehrheitsverhältnisse. Es kam zur Bildung einer CDU/SPD-Regierung und zur Übernahme des Kultusressorts durch eine von der SPD nominierte Politikerin, wodurch die Sozialdemokraten im Gegensatz zur ersten Legislaturperiode erheblichen Einfluß auf die weitere Gestaltung der Bildungspolitik und damit des Schulgesetzes ausüben konnten. Im Juni 1995 veröffentlichte das Kultusministerium einen Referentenentwurf für ein Schulgesetz, der bereits einen Monat später in überarbeiteter Fassung vorlag und noch im Sommer 1995 parlamentarisch beraten werden sollte. Tatsäch­lich kam es jedoch erst im Januar 1996 zur ersten Lesung des Gesetzentwur­fes; die im Vorfeld geführten Diskussionen hatten die mehrfache Überarbei­tung des Referentenentwurfes erforderlich gemacht81 . Am 15. Mai 1996 schließlich wurde das Schulgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (SchulG M-V)82 verkündet; es trat zum Schuljahr 1996/97 in Kraft.

Das Schulgesetz gleicht in Aufbau und Reichweite dem des Landes Brandenburg. Es umfaßt 144 Paragraphen mit Rechtsvorschriften u.a. zu Auftrag und Zielen der Schule(§§ 1-4), zu Gegenstandsbereichen des Unter­richts, Rahmenplänen und Stundentafeln (§§ 5-10), zur Struktur des Schulsy­stems (§§11-40), zu Schulpflicht und Schulverhältnis (§§ 41-69), Schulmit­wirkung (§§ 73-94), Schulverwaltung, Schulträgerschaft, Schulentwicklung und Schulfinanzierung (§§ 95-115) sowie zu Schulen in freier Trägerschaft ( § § 116-131 ). Aus dem Schulgesetz resultieren nicht unerhebliche strukturelle Veränderungen. Darüber hinaus weist das Schulgesetz Neuerungen auch in bezug auf die inneren Verhältnisse im Schulwesen auf. Der Schulkonferenz sind relevante Entscheidungskompetenzen zugewiesen, z.B. hinsichtlich

80

81

82

Als Recht des Landes Mecklenburg-Vorpommem sollten über den 30.6.1991 hinaus folgende Rechtsvorschriften Gültigkeit behalten: §§ 2-12 Verfassungsge­setz über Schulen in freier Trägerschaft v. 22.7.1990; § 1 Verordnung über die Fünf-Tage-Unterrichtswoche v. 25.1.1990; §§ 2-11 Verordnung über Mitwir­kungsgremien und Leitungsstrukturen im Schulwesen v. 30.5.1990; §§ 11-12 u. 17-20 Vorläufige Schulordnung v. 18.9.1990; §§ 1-9 Erste Durchführungsbe­stimmung zur Verordnung über Mitwirkungsgremien und Leitungsstrukturen im Bildungswesen v. 17.8.1990. § 30 Abs. 1 u. 2 SRG enthielten Bestimmungen zur Außerkraftsetzung alten DDR-Bildungsrechts. V gl. z.B. Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern, AG Schul­gesetz: Schulgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern. V. Referentenent­wurf. Schwerin, 26.10.1995. V gl. GVOBl. M-V S. 205. Zur Diskussion des Schulgesetzes vgl. Der Vorsitzen­de der Schulkonferenz soll volljährig sein, in: F.A.Z. v. 2.12.1995; Erst die Nummer sechs passierte die Hürden, in: FR v. 14.12.1995; Die Schweriner Ko­alition wieder tiefer in der Krise, in: F.A.Z. v. 25.4.1996.

153

Page 152: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

möglicher Abweichungen von der Stundentafel, der Einrichtung voller Halb­tagsschulen und der Einführung jahrgangsstufenübergreifenden Unterrichts an Grundschulen (§ 76 SchulG M-V).

Die Schulgesetzgebung in Sachsen wies gegenüber den anderen Ländern einige Besonderheiten auf. Das am 20. Juni 1991 verabschiedete und am 1. August 1991 in Kraft getretene Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SchulG)83 war das einzige nicht als vorläufig oder als Vorschaltgesetz ge­kennzeichnete Schulgesetz der neuen Bundesländer. Zudem galten die hier festgelegten Vorgaben für die strukturelle Gestaltung des Schulwesens erst ab dem Schuljahr 1992/93; die aus der DDR überkommenen Schularten blieben bis zum Sommer 1992 erhalten. "Langandauernd, heftig und kontrovers"84

waren die Diskussionen um das sächsische Schulgesetz, insbesondere um die Gesamtschule. Im Sommer 1990 hatte sich der Landesschulrat für Sachsen Rudolf Husemann für ein Schulwesen ausgesprochen, das im Sekundarbe­reich Hauptschulen in Form von W erkrealschulen, Realschulen und Gymna­sien aufweisen sollte. Im Oktober 1990 legte Husemann einen ersten Schulge­setzentwurf vor, der neben den genannten Schularten auch Gesamtschulen vorsah. Der Husemannsche Entwurf wurde als Referentenentwurf des sächsi­schen Staatsministeriums für Schule, Bildung und Sport vom 13. November 1990 der Öffentlichkeit vorgestellt; er führte dort zu heftigen Reaktionen und mußte schließlich zurückgezogen werden85. Kultusministerin Stefanie Rehm sprach sich noch um die Jahreswende 1990/91 für die Eingliederung von Ge­samtschulen in das sächsische Schulwesen aus86• Ein am 1. März 1991 von Frau Rehm vorgestellter Schulgesetzentwurf sah im Sekundarbereich hinge­gen ein Zweisäulenmodell mit Gymnasium und Mittelschule vor; er ersetzte einen älteren Entwurf, der noch die Hauptschule als Schulform enthalten hat­te. Dem Schulgesetzentwurf der SPD-Fraktion, der ebenfalls Gesamtschulen

83

84

85

86

154

SGVBI. 1991 v. 3.7. 1991, S. 213. Schmidt, W. 1991, S. 9. Zu den Auseinandersetzungen um das sächsische Schul­gesetz vgl. auch Martini 1992, S. 8 m.w.N.; Bildungsdisput in Sachsen, in: DLZ. Nr. 13/1991; Etikettenschwindel mit den neuen "Mittelschulen", in: DLZ. Nr. 21/1991; Für flexiblen Bildungs weg, in: Das Parlament. Nr. 20/1991; Rehm 1991. V gl. Die DDR-Länder sind im Kommen. Auch ihre Schulen, in: DLZ. Nr. 3311990; Auf dem Weg zum sächsischen Schulgesetz, in: DLZ. Nr. 4311990. Schmidt, W. 1991, S. 9f.; Schulkampf im Osten 1991, S. 6; Ziel der sächsischen Schule - Kreative Kinder. Interview mit Staatssekretär W. Nowak, in: Die Union v. 28.3.1991; Entwurf eines Landesschulgesetzes- Referentenentwurf des Säch­sischen Staatsministeriums für Schule, Bildung und Sport, Stand 13.11.1990 (Typoskript). Im Entwurf der Landesregierung vom 8.5.1991 waren Gesamtschu­len dann nicht mehr enthalten; vgl. auch die Pressemitteilung des Sächsischen Staatsministeriums für Schule, Bildung und Sport v. 10.4.1991, mit der die Eck­daten des geplanten Schulsystems vorgestellt wurden und in dem bereits jeglicher Hinweis auf die Gesamtschulen fehlte. Vgl. Ich werde eine von ihnen bleiben!, in: DLZ. Nr. 111991; "Aber wir brau-chen keine Parteikriege", in: FR v. 31.1.1991. ·

Page 153: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

enthielt87, stand zuletzt ein Regierungsentwurf gegenüber, der Gesamtschulen nicht vorsah. Dies begründete Frau Rehm damit, daß die vorgesehene Mittel­schule als kombinierte Haupt- und Realschule die Gesamtschule überflüssig mache88• Das schließlich am 20. Juni 1990 verabschiedete Schulgesetz war der insgesamt siebte dem Parlament vorgelegte Entwurf; er basierte auf der strukturellen Zweigliedrigkeit im Sekundarbereich und enthielt keinen Hin­weis mehr auf Gesamtschulen89• Wie in den anderen neuen Ländern war auch in Sachsen feststellbar, daß die Gesamtschuldebatte und damit strukturelle Aspekte in der Diskussion um das Schulgesetz dominierten. Die Diskussion der inhaltlichen Neugestaltung des sächsischen Schulwesens trat demgegen­über in den Hintergrund.

Seit seiner Verabschiedung wurde das Schulgesetz dreimal novelliert. Die erste Änderung vom 19. August 199390 bezog sich auf das Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen (Sä.KitaG). Der Gesetzgeber strich die auf Tageseinrichtungen für Kinder bezogenen Vorschriften des Schulgesetzes. Für Horte an Grundschulen gelten jetzt die Bestimmungen des Kindertagesstättengesetzes (§ 16 Abs. 4 SchulG). Die mit dem Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes vom 15. Juli 199491 erfolgte zweite Novellierung bezog sich im wesentlichen auf Regelungen zu Förderschulen und die Ände­rung der Rechtsträgerschaft medizinischer Fachschulen92• Eine dritte Ände­rung vom 12. Dezember 199593 schließlich wies die Schülerbeförderung bei öffentlichen und bei genehmigten Ersatzschulen freier Träger den Kreisen und kreisfreien Städten als Aufgabe zu.

87

88

89

90

91

92

93

Die Gesamtschulbefürworter in Sachsen beriefen sich auf ein Drittel der Eltern­schaft; vgl. Schmidt, W. 1991, S. 10; Ratzki 1991, S. 48f.; Entwurf eines Lan­desschulgesetzes für den Freistaat Sachsen, Stand: 12.12.1990. Eingebracht von der Fraktion der SPD im Sächsischen Landtag. Der SPD-Entwurf sah im Se­kundarbereich I neben Gesamtschulen Gymnasien und Realschulen, hingegen keine Hauptschulen vor und ähnelte insoweit dem brandenborgiseben Schulre­formgesetz. Vgl. Wenn das Gymnasium Marktführer bleibt, in: FR v. 27.6.1991. Zu den Schulgesetzentwürfen der CDU vgl. auch Friedrich/Anders 1992, S. 251f. Vgl. Schmidt, W. 1991, S. 9. Gesamtschulen wären somit allenfalls als- geneh­migungspflichtige- Schulversuche gern. § 15 SchulG möglich. Sachsen ist mitt­lerweile das einzige der neuen Länder, das keine Gesamtschulen genehmigt hat; vgl. hierzu auch Sachsen lehnt Einrichtung von Gesamtschulen grundsätzlich ab, in: DLZ. Nr. 33/1993. V gl. Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen, in: SGVBI. S. 686. V gl. Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen, in: SGVBI. S. 1434. Weitere Änderungen gab es in bezugaufFragen der Schulaufsicht bei Fachschu­len für Land-, Forst- und Hauswirtschaft sowie für Garten- und Landschaftsbau; vgl. hierzu auch Niebes 1995a; Niebes 1995b; Die Entscheidung fiel knapp aus, doch sie reichte, in: DLZ. Nr. 26/1994. Vgl. Amtsbl. SMK 1996 S. 49.

155

Page 154: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

In Sachsen-Anhalt trug der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kul­tur Werner Sobetzko im Januar 1991 dem Landtag zur Konzeption eines Schulwesens vor. Sie basierte auf der Dreigliedrigkeit im Sekundarbereich; die Errichtung einzelner Gesamtschulen sollte im Rahmen von Schulmodellen bei entsprechender Nachfrage möglich sein94. Der im Februar 1991 von Sobetzko vorgelegte Schulgesetzentwurf enthielt keine expliziten Hinweise auf Gesamtschulen mehr; der Sekundarbereich sollte nun aus Gymnasien so­wie Sekundarschulen mit integriertem Haupt- und Realschulbildungsgang bestehen. Die SPD-Opposition im Landtag drängte jedoch auf Einführung von Gesamtschulen, und die PDS reichte wegen der beabsichtigten Einfüh­rung eines gegliederten Schulwesens sogar eine Klage gegen das Bildungs­ministerium ein95. Anders als z.B. in Sachsen gab es in Sachsen-Anhalt hin­gegen keine größere öffentliche Diskussion um das Schulreformgesetz96, ob­gleich die Einrichtung von Gesamtschulen gemäß dem Schulgesetzentwurf vom 26. Februar 1991 und dessen nach einer Anhörung vom Kabinett am 16. A~ril 1991 überarbeiteten Fassung nur in Ausnahmefällen möglich sein soll­te 7. Am 24. Mai 1991 verabschiedete der Landtag das Schulreformgesetzfür das Land Sachsen-Anhalt- Vorschaltgesetz (SRG)98. Im Sekundarbereich wa­ren nun neben den Gymnasien Hauptschul- und Realschulbildungsgänge vor­gesehen, die im Rahmen der neuen Sekundarschule ab der 7. Klasse gewählt werden konnten. Wenn auch als Vorschaltgesetz gekennzeichnet, so enthielt das Schulreformgesetz dennoch schon großenteils auf Dauer angelegte Rege­lungen99; mit 86 Paragraphen war es eines der umfangreichsten Bil­dungs(reform)gesetze der neuen Länder. Es beinhaltete eine Schulverfassung mit detaillierten R~elungen u.a. zu Mitbestimmungsrechten für Lehrer, Schüler und Eltern1 . § 86 Abs. 4 SRG verpflichtete den Gesetzgeber, das Schulreformgesetz bis zum 31. Dezember 1992 zu überarbeiten. Der Landtag verabschiedete die Neufassung am 11. März 1993 als Schulgesetz des Landes

94

95

97

9R

99

Vgl. Vorbereitungen auf die Schulreform, in: F.A.Z. v. 24.1.1991. Im Oktober 1991 erklärte die PDS die Klage vor dem Kreisgericht Magdeburg aber für erledigt; vgl. Ministerium für Schulen, Erwachsenenbildung und Kultur des Landes Sachsen-Anhalt: Pressemitteilung v. 24.10.1991. V gl. Schmidt, W. 1991, S. 11. Zur parlamentarischen Diskussion des sachsen­anhaltinischen Schulreformgesetzes vgl. Schulkampf im Osten 1991, S. 7; Aus-einandersetzung um Schulpolitik, in: DLZ. Nr. 10/1991. V gl. Entwurf für das erste Schulreformgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, vorge­legt vom Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur am 26. Februar 1991; § 14 (2) u. (4) Entwurf für das erste Schulreformgesetz des Landes Sachsen-Anhalt - überarbeitete f.assung nach der Anhörung gemäß Kabinettsbeschluß vom 16. April 1991 zur Uberweisung an die Landtagsausschüsse, vorgelegt vom Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur. 0.0. (Magdeburg) 1991. GVBl. Sachsen-Anhalt S. 165. Vgl. Anders 1992, S. 284.

100 Vgl. §§ 24-29,44-62 u. 74-80 SRG.

156

Page 155: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Sachsen-Anhalt (SchulG)101 . Das Schulgesetz enthält zwar eine größere Zahl von Änderungen, die jedoch nicht zu einem substantiellen Umbau des Schul­systems führten. Der Bildungsauftrag der sachsen-anhaltinischen Schulen wurde näher bestimmt (§ 1 SchulG) und die Klassenstufe 10 an Gymnasien der Sekundarstufe II zugeordnet. Die gemäß SRG mögliche Klassenstufe 10 an Hauptschulen entfiel, Hauptschüler können nun nach Erwerb des qualifi­zierten Hauptschulabschlusses in die Klassenstufe 10 einer Realschule wech­seln102. Eine Änderung des Schulgesetzes vom 7. Dezember 1995 bezog sich auf die Einführung einer schulartunabhängigen Förderstufe103.

In Thüringen legte eine 'Arbeitsgruppe Bildung.J04 noch vor den Land­tagswahlenvom 14. Oktober 1990 einen ersten Schulgesetzentwurf vor, des­sen Erarbeitung der thüringische Landesschulrat bereits im Sommer 1990 als einen der Schwerpunkte seiner Tätigkeit bezeichnet hatte105. Im Sekundarbe­reich I sollten eine Zehnklassenschule und das Gymnasium eingerichtet wer­den. Somit war Thüringen neben Sachsen und Sachsen-Anhalt das dritte der neuen Bundesländer, in dem die strukturelle Zweigliedrigkeit der Sekundar­stufe I diskutiert wurde. Proteste gab es gegen den gemäß der Koalitionsver­einbarung vorgesehenen Aufbau eines dreigliedrigen Schulwesens106. Nach kontroversen Debatten im Landtag und in der Regierung präsentierte das Kultusministerium einen neuen Gesetzentwurf; nach dem in der Sekundarstu­fe I Gymnasien und Regelschulen aufgebaut werden sollten. Die SPD hatte einen eigenen Schulgesetzentwurf vorgelegt, der eine sechsjährige Grund­schule, das Gymnasium, die Gesamtschule und eine 'Sekundarschule' als Re­gelschulen und eine Schulbesuchsdauer von 13 Jahren bis zum Abitur vor­sah107. Sie konnte sich aber mit ihren Vorstellungen gegen die CDU/FDP­Mehrheit im Landtag nicht durchsetzen. Gesamtschulen, für deren Einrieb-

101 V gl. Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, in: GVBI. LSA v. 30.6.1993, S. 314.

102 Zur Übersicht über die Neuregelungen des SchulG vgl. Kuhn/Kramer 1993; Kramer 1996a, S. 127f. Kramer (1996a) listet zudem alle bis Mitte 1994 zur Ausgestaltung des allgemeinbildenden Schulwesens erlassenen Verordnungen auf; vgl. a.a.O., S. 129f.

103 Vgl. Drittes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt v. 7.12.1995 (GVBI. LSA S. 357); vgl. auch Kap. 3.3.3.4.

104 Leiter dieser Arbeitsgruppe war der spätere Kultusminister Dieter Altbaus. 105 V gl. Die DDR-Länder sind in Kommen. Auch ihre Schulen, in: DLZ. Nr.

3311990. 106 Vgl. Streit um die Bildungspolitik, in: F.A.Z. v. 6.12.1990; Koalitionsvereinba­

rung für die 1. Legislaturperiode des Thüringer Landtages zwischen CDU und FDP v. 6.11.1990, S. 20; Schulkampf im Osten 1991, S. 7; Die Fülle der Tradi­tionen aufnehmen, in: DLZ. Nr. 111991; Gymnasium mit Eingangsprüfung?, in: DLZ. Nr. 1311991. Auch Ministerpräsident Duchac sprach sich zunächst für ein dreigliedriges Schulwesen aus; vgl. Schuchardt 1992, S. 141.

107 V gl. Entwurf für ein Schulgesetz für das Land Thüringen. Vorgelegt von der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag. Erfurt, 25.1.1991; Aus dreigliedrig wurde zweigliedrig, in: FR v. 7.2.1991; Schuchardt 1992, S. 140f.

157

Page 156: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

tung sich auch ein Teil der Lehrer sowie Interessengruppen der Eltern ausge­sprochen hatten, waren im überarbeiteten Schulgesetzentwurf der Regierung nicht vorgesehen108• Trotz der Kontroversen konnte das Landesparlament be­reits am 21. März 1991 als erstes in den neuen Ländern sein Vorläufiges Bil­dungsgesetz (VBiG)109 verabschieden. Es war bis zum 1. August 1993 befri­stet und sollte dann automatisch außer Kraft treten (§ 31 Abs. 1 VBiG). Auch in Thüringen erfolgte entgegen den Hoffnungen und Wünschen vieler Akteu­re in der basisdemokratischen Oppositionsbewegung ein 'von oben' verordne­ter Strukturwandel110. Am 16. Juli 1993 wurde das endgültige Thüringer Schulgesetz (ThürSchulG)111 verabschiedet, das mit Wirkung vom 1. August 1993 in Kraft trat. Die Namensänderung in 'Schulgesetz' erfolgte, weil der Vorschulbereich und die Erwachsenenbildung mittlerweile durch eigene Ge­setze geregelt worden waren. Die Novellierung des Gesetzes führte nicht zu substantiellen Veränderungen im strukturellen Aufbau des Schulsystems.

Die Debatten um die Schul(reform)gesetze verdeutlichten, daß die Aus­einandersetzungen um die Einführung von Gesamtschulen in allen fünf Län­dern das zentrale bildungspolitische Problemfeld darstellten. Die Akteure stritten sich im wesentlichen um strukturelle Fragen, die in der Reformphase 1989/90 nicht im Mittelpunkt gestanden hatten. Die innere und inhaltliche Neugestaltung der Schule war in den Schulgesetzdebatten kein kontroverses Thema mehr. So erwiesen sich die Diskussionen um die Neugestaltung des Schulwesens in den ostdeutschen Ländern im wesentlichen als Fortsetzung der aus Westdeutschland bekannten Auseinandersetzung zwischen Gesamt­schulbefürwortern und Gesamtschulgegnern. Die brandenburgische Ministe­rin für Bildung war eine erklärte Gesamtschulbefürworterin. In den anderen Ländern konnten sich die verantwortlichen Minister Gesamtschulen zunächst zumindest vorstellen; ihre Offenheit fiel jedoch der politischen Räson zum Opfer. Da es ihnen nicht möglich war, parlamentarische Mehrheiten zu mobi­lisieren, agierten die Gesamtschulbefürworter häufig auf der Ebene der Schulen, in den Lehrerkollegien, in Elterninitiativen sowie im publizistischen Bereich. Sie versuchten auf diese Weise, ihre Vorstellungen 'von unten'

108 Zur Diskussion um das Thüringer VBiG vgl. Zwischen Entschlossenheit und Verständnis, in: F.A.Z. v. 21.1.1991; Viel diskutiert und nun?, in: DLZ. Nr. 15/1991; Schmidt, W. 1991, S. 13f.; Schulkampfirn Osten 1991, S. 7; Keine Ge­samtschulen in Thüringen, in: dpa-Dienst für Kulturpolitik. Nr. 11/91 v. 11.3.1991, S. 8; Thüringen profitiert von seiner günstigen Lage, in: F.A.Z. v. 2.1 0.1991. 1993 gab es in Thüringen drei Gesamtschulen; vgl. Brandenburg nimmt den Spitzenplatz ein, in: DLZ. Nr. 2411993.

109 Vgl. GVBI. ThüringenS. 61. 110 Vgl. Köhler 1993, S. 26ff. 111 Vgl. Thüringer Schulgesetz (ThürSchulG) v. 6.8.1993, in: GVBI. S. 445. Zur

Diskussion um die Gestaltung des ThürSchulG vgl. Streit um offene Orientie­rungsstufe, in: DLZ. Nr. l/1993; Thüringen: SPD will Abitur nach 13. Schuljahr. Brandenburg: CDU will Hauptschule einführen, in: DLZ. Nr. 8/1993; Neues Schulgesetz in Thüringen, in: F.A.Z. v. 20.3.1993; Köhler 1993, S. 12.

158

Page 157: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

durchzusetzen und machten geltend, daß die Mehrzahl der Eltern Gesamt­schulen wünschte. Die Gesamtschulinitiativen äußerten häufig den Vorwurf, die Landesregierungen übergingen die Elternwünsche und die Vorstellungen der Pädagogen vor Ort. Gesamtschulvertreter argumentierten mit pädago­gisch-politischen Zielen wie dem der Chancengleichheit, das aber auch die Befürworter eines gegliederten Schulwesens für sich in Anspruch nahmen, sowie mit der geringen Bevölkerungsdichte, die den Aufbau eines geglieder­ten Schulwesens nicht sinnvoll erscheinen lasse. In der Tat war von den Ver­antwortlichen in den Administrationen nur wenig zu der Frage zu vernehmen, wie bei dem sich abzeichnenden Geburtenrückgang ein nach Schularten ge­gliedertes Sekundarschulwesen bei vorhandenem Baubestand und gegebener Lehrerzahl in teilweise dünnbesiedelten Flächenländern aufgebaut werden sollte, ohne den Schülern lange Schulwege zuzumuten und erhebliche Gelder für die Schülerbeförderung zu binden, die dringender z.B. für die Sachausstat­tung der Schulen benötigt würden.

Die Diskussion um die Schulgesetze vermittelte den Eindruck, als würden die alten Kontroversen auf neuem Territorium nochmals geführt. Auch die Akteure und die Rollenverteilung waren aus der westdeutschen Gesamtschul­debaue bekannt. Auf Seiten der Gesamtschulbefürworter waren es wesentlich GEW- und GGG-Vertreter, die seit Anfang 1990 in den neuen Bundesländern intensiv für ihre Ideen warben. Sie trafen auf eher konservative Lehrerver­bände, die sich für das gegliederte Schulsystem einsetzen. Die westdeutschen Berater bevorzugten meist das in 'ihrem' Herkunftsbundesland vorhandene Schulsystem.

Die Schulreformgesetzdebatten fokussierten auf strukturellen Aspekten. Fragen wie die nach Angemessenheit der angestrebten Lösungen für die Be­dürfnisse der neuen Länder und ihrer ganz spezifischen Bedingungen oder die Mängel der westdeutschen Modelle wurden kaum erörtert. Alternativen zum westdeutschen System wie die Berliner sechsjährige Grundschule, die man­cher Bildungsforscher für eine pädagogisch sinnvolle Lösung hält112, fanden nur am Rande Beachtung. Die Einführung der sechsjährigen Grundschule in Brandenburg dürfte hauptsächlich vorausschauenden Kompatibilitätserwä­gungen hinsichtlich einer möglichen Vereinigung mit Berlin geschuldet gewe­sen sein. Eine bei Gesamtschulbefürwortern wiederkehrende Argumentati­onslinie ging dahin, die Umsetzung reformpädagogischen Gedankengutes ausschließlich für Gesamtschulen zu reklamieren, obwohl nicht wenige der Reformpädagogik entstammende Unterrichtskonzepte mittlerweile in den meisten Schulen umgesetzt werden. Gesamtschulgegner argumentierten, daß gerade das deutsche differenzierte Schulsystem jedem Schüler individuell an­gemessene Entwicklungsmöglichkeiten böte, weswegen es gerade im Ausland so angesehen wäre.

112 Vgl. z.B. Wenn das Gymnasium Marktführer bleibt, in: FR v. 27.6.1991.

159

Page 158: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die Diskussionen um die Neugestaltung des Schulwesens in den neuen Ländern vermittelten bisweilen den Eindruck, die Länder wären frei von poli­tischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Aufgrund dieser äußeren Rahmenbedingungen waren die Schulgesetzgeber gehalten, zügig zu Ergebnissen zu gelangen, die zumindest ansatzweise und kompromißhaft Positionen der unterschiedlichen Lager beinhalteten. Die Zusammenführung von Haupt- und Realschulbildungsgang in einer kombinierten Schulart in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen kann aber auch als Versuch gewertet werden, angesichts der in den westdeutschen Bundesländern wahrgenomme­nen Probleme Handlungsspielräume zu nutzen. Zu berücksichtigen war, daß sich in allen neuen Ländern ein Großteil der Eltern für das Gymnasium als Schule der Wahl im Sekundarbereich aussprach. An der Wiedererrichtung von Gymnasien führte daher kein Weg vorbei, was die in den westdeutschen Ländern bekannten Probleme von Gesamtschulen für die neuen Länder be­reits wieder vorzeichnete. Bei Existenz eigenständiger Gymnasien in der Se­kundarstufe I stellt die Gesamtschule letztlich keine Gesamtschule mehr dar; der 'Crearning-Effekt' hat sich für viele der mit Gymnasien konkurrierenden Gesamtschulen als erhebliches Problem erwiesen113. Die Verengung der Schulreformgesetzdebatte auf die Gesamtschuldiskussion zeigte den nachhal­tigen Einfluß, den westdeutsche Akteure sowohl auf Seiten der Gesamtschul­befürworter als auch bei ihren Gegnern auf den Gang der Diskussion auszu­üben in der Lage waren. Im Vergleich zu der ungleich stärker an inneren Re­formen orientierten Diskussion der Jahre 1989/90 tritt diese Überlagerung deutlich hervor. Die angesichts der spezifischen ostdeutschen Situation und Bedürfnisse ebenso wichtige Verständigung über eine innere Reform des Schulwesens, über die Qualifizierung der Lehrerschaft und eine grundlegende inhaltliche und methodische Erneuerung des Unterrichts und deren Bedin­gungen trat in dieser Phase in den Hintergrund.

3.3.2 Allgemeine Bildungs- und Erziehungsziele und der Auftrag der Schule in den neuen Bundesländern

Die Neuformulierung der allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele sowie des Auftrages der Schulen bedeuteten einen wichtigen Schritt auf dem Weg der Neugestaltung des Schulwesens. In den allgemeinen Bildungs- und Erzie­hungszielen drückt sich das politisch-gesellschaftliche und pädagogische Grundverständnis des Staates aus. Dies war im einheitlichen sozialistischen Bildungssystem besonders deutlich hervorgetreten und bedurfte einer von nie­mandem ernstlich angezweifelten grundsätzlichen Revision. Die Frage, in-

113 Vgl. hierzu Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungs­forschung 1994, S. 526f.

160

Page 159: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

wieweit staatliche Schulen in einer von Pluralismus geprägten Gesellschaft überhaupt erzieherisch wirken können und sollen, stellte sich in den neuen Ländern augenscheinlich nicht; alle Länder haben mehr oder weniger explizit Erziehungs- und Bildungsziele für die Schulen formuliert. Obgleich in der Diskussion um Erziehung in der Schule auch die Ansicht vertreten wird, der Staat habe sich in den Schulen auf die Vermittlung von Wissensbeständen zu beschränken, ist kaum strittig, daß die grundgesetzlich verankerte staatliche Schulaufsicht das Recht zur Setzung von Bildungs- und Erziehungszielen um­faßt. Zudem ist der staatliche Erziehungsauftrag "dem elterlichen Erziehungs­recht nicht nach-, sondern gleichgeordnet"114• Neben den Länderverfassun­gen, die in den ostdeutschen Ländern zwischen 1993 und 1994 in Kraft traten, enthalten die Schulgesetze solche allgerneinen Erziehungs- und Bildungsziele, die durch je eigene Zielsetzungen für die Schularten und-fächersowie Lehr­und Rahmenpläne ergänzt werden. Im Grundgesetz sind Ziele für Bildung und Erziehung in der Schule explizit nicht enthalten. Aus den in der Verfas­sung niedergelegten Grundwerten und Grundrechten lassen sich aber Bil­dungs- und Erziehungsziele auch für die Schule ableiten. Dies sind insbeson­dere die Unantastbarkeit der Menschenwürde als höchstes Schützenswertes Gut sowie die Freiheits- und Gleichheitsrechte, die im Grundrechtskanon des Grundgesetzes enthalten sind115•

Die Schulreformgesetze der Länder enthielten zumeist allgerneine Erzie­hungsziele in mehr oder weniger ausführlicher Form. Im Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern fanden sich lediglich in der Präambel in knapper Form Ziele von Bildung und Erziehung116• In den inzwischen in allen Ländern verabschiedeten endgültigen Schulgesetzen sind Ziele und Grundsätze von Bildung und Erziehung ausführlicher formuliert. Alle Gesetze enthalten Verweise auf die Wertordnung des Grundgesetzes und die jeweilige Landesverfassung als Grundlagen des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schulen 117•

Alle Länder sehen sich dem Ziel verpflichtet, gleiches Recht auf Bildung für alle jungen Menschen zu gewährleisten. Das brandenburgische Schulge­setz bestimmt, daß grundsätzlich jeder junge Mensch ein Recht auf schulische Bildung hat, die durch ein öffentliches Schulwesen zu gewährleisten ist. Der Verlauf des Bildungsganges und der Zugang zu den Einrichtungen soll nur von den Fähigkeiten und Neigungen des Schülers und dem Willen der Eltern abhängig sein, unabhängig von dessen Herkunft oder der wirtschaftlichen und

114 HeckeUAvenarius 1986, S. 41. 115 Vgl. Art. 1-5 u. 12 GG; Staupe 1988, S. 39; ausführlich vgl. Reuter 1975. Zu den

Erziehungs- und Bildungszielen der Schulen in den neuen Bundesländern vgl. Martini 1992, S. 9f.

116 Dies monierten Wissenschaftler schon kurz nach der Verabschiedung des Geset­zes; vgl. Pädagogische Freiheit reduziert, in: DLZ. Nr. 1511991.

117 Vgl. § 2 Abs. 2 SchulG Sachsen; § 1 Abs. 2 SRG Sachsen-Anhalt; § 2 Abs. 2 VBiG Thüringen.

161

Page 160: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gesellschaftlichen Stellung der Eltern(§ 3 BbGSchulG). Diese Regelung steht in deutlicher Abgrenzung zur rechtlichen und faktischen Ausgestaltung des Zuganges zur Abiturbildung in der DDR. In der Präambel des SRG Mecklen­burg-Vorpommern war die Absicht des Gesetzgebers formuliert, ein Schul­wesen zu schaffen, das jedem jungen Menschen ein gleiches Recht offenhält, eine seiner Leistungsfähigkeit entsprechende Bildung zu erlangen und gleich­zeitig jedem gleiche Bildungschancen zu ermöglichen. Auch im Schulgesetz vom Mai 1996 ist dieses Recht auf schulische Bildung für jeden festgeschrie­ben. Im sächsischen Schulgesetz wird jedem jungen Menschen das Recht auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung ohne Berücksichtigung seiner Herkunft oder seiner wirtschaftlichen Lage zu­gesprochen (§ 1 Abs. 1 SchulG). Das sachsen-anhaltinische SRG und das thüringische VBiG enthielten sinngemäße Formulierungen (§ 1 Abs. 3 SRG und § 1 VBiG), die im Schulgesetz Sachsen-Anhalt und im Thüringer Schul­gesetz weiter ausgeführt werden (§ 1 Abs 1 SchulG und § 1 Abs. 2 Thür­SchulG). Im Unterschied zur DDR, in der neben individueller Leistungsfa­higkeit der gesellschaftliche, insbesondere der volkswirtschaftliche Bedarf und die politische Zuverlässigkeit ausschlaggebende Kriterien für die Zulas­sung zu weiterführender Bildung darstellten und dieser entsprechend gesteu­ert wurde, sollen in allen neuen Bundesländern nur noch individuelle Leistung und Neigung für die Wahl des Bildungsweges ausschlaggebend sein. Die Pflicht des Staates, ein Schulwesen bereitzustellen, durch welches das Zu­gangsrecht für alle Schüler gesichert werden kann, wirkt sich konstituierend auf die Gestaltung dieses Schulwesens aus.

In den 1991 verabschiedeten Schulreformgesetzen wie auch in den nach­folgend erlassenen Schulgesetzen wurden nicht nur die grundsätzlichen Ziele, sondern darüber hinaus auch die Aufgaben, um deren Erfüllung sich die Schulen im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages zu bemühen haben, definiert. In den Schulen des Landes Brandenburg sollen die in der Landesverfassung niedergelegten allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele verwirklicht werden. Zu dem Zeitpunkt, als das 1. Schulreformgesetz erlassen wurde, lag jedoch in Brandenburg wie in den anderen neuen Ländern noch keine verabschiedete Verfassung vor. Das Schulreformgesetz nahm insoweit im Vorgriff hierauf Bezug118 und führte selbst einige Zielvorgaben auf: "Dazu gehört insbesondere die Erziehung zur Bereitschaft zum sozialen Handeln, zur Anerkennung der Grundsätze der Menschlichkeit, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zum friedlichen Zusammenleben der Völker und zur Verantwortung für die Erhaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt sowie zu der Fähigkeit und Bereitschaft, für sich allein und gemein­sam mit anderen Leistung zu erbringen"(§ 2 Abs. 1 - 1. SRG). In Fortführung

118 Art. 28 der Verfassung des Landes Brandenburg-Entwurf vom 22. April 1992-GVBI. I S. 122- wiederholt als Grundsätze der Erziehung und Bildung die in § 2 Abs. 1 - 1. SRG niedergelegten Inhalte sinngemäß.

162

Page 161: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

der bereits im Schulreformgesetz enthaltenen Aussagen ist im brandenburgi­schen Schulgesetz ein umfangreicher Katalog der Bildungs- und Erziehungs­ziele vorzufinden(§ 4 BbGSchulG).

Gemäß der Präambel des bis 1996 gültigen Schulreformgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern waren in den Schulen Leistungsbereit­schaft, soziales Engagement und eine freie demokratische Gesinnung der Schüler zu fördern. In der Koalitionsvereinbarung der CDU/FDP-Regierung für die erste Legislaturperiode waren Bildungsziele hingegen weitaus deutli­cher formuliert. Die Koalitionspartner hatten sich darauf verständigt, ein Bil­dungswesen verwirklichen zu wollen, "das eine Erziehung im Geiste der To­leranz und der Menschlichkeit, der Bewahrung der Schöpfung unter Aus­schluß von Rassismus und Nationalismus sichert und das alle Formen der Diskriminierung auf Grund unterschiedlicher weltanschaulicher Haltungen ausschließt"119• Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 23. Mai 1993120 ergänzte die genannten Ziele. Gemäß Art. 8 Verfassung wird jedem nach seiner Begabung die Möglichkeit des freien Zuganges zu allen öf­fentlichen Bildungseinrichtungen zugesichert. Das Ziel schulischer Erziehung soll eine freie Persönlichkeit sein, die bereit ist, "Verantwortung für die Ge­meinschaft mit anderen Menschen und Völkern sowie gegenüber künftigen Generationen zu tragen" (Art. 15 Abs. 4 Verfassung). Art. 15 Abs. 5 der Ver­fassung enthält eine Verpflichtung der Schulen auf Achtung der religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen von Schülern, Eltern und Lehrern. In dem seit dem Schuljahr 1996/96 gültigen Schulgesetz sind neben 16 z.T. aus den Bestimmungen der Landesverfassung abgeleiteten Lernzielen Grundsätze für die Verwirklichung des Auftrages der Schulen vorzufinden (§§ 3 u. 4 SchulG M-V). Es enthält darüber hinaus u.a. den Verweis auf die Pflege der niederdeutschen Sprache als Teil des Bildungsauftrages mecklenburg­vorpommerscher Schulen(§ 2 Abs. 3 SchulG M-V).

Im sächsischen Schulgesetz wird der Beitrag schulischer Erziehung zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft betont. In den Schulen sollen Kenntnisse, Fähigkeiten und Werthaltungen vermittelt werden, um Erziehungs- und Bildungsziele zu verwirklichen(§ 1 Abs. 2 SchulG), die jedoch im Schulgesetz selbst nicht wiedergegeben sind. § 2 Abs. 2 SchulG verweist auf das Grundgesetz. Zugleich wurde, ebenso wie in Brandenburg, bereits im Vorgriff auf die Landesverfassung verwiesen, die der sächsische Landtag im Mai 1992 verabschiedete. Art. 101 der Verfassung formuliert als Ziel schulischer Erziehung: "Die Jugend ist zur Ehrfurcht vor allem Lebendi­gen, zur Nächstenliebe, zum Frieden und zur Erhaltung der Umwelt, zur Heimatliebe, zu sittlichem und politischem Verantwortungsbewußtsein, zu

119 Koalitionsvereinbarung zwischen dem Landesverband der Christlich-Demokra­tischen Union und dem Landesverband der Freien Demokratischen Partei Meck­lenburg-Vorpommern über die Bildung einer Landesregierung. 0.0., o.J., S. 15.

120 Vgl. GVOBL M-V. S. 372.

163

Page 162: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Gerechtigkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zu berufli­chem Können, zu sozialem Handeln und zu freiheitlicher demokratischer Haltung zu erziehen"121 .

Die aus dem Grundgesetz ableitbaren Wertvorstellungen bildeten die Basis des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schulen in Sachsen-Anhalt, wie er in § 1 Abs. 2 des Schulreformgesetzes formuliert war. Die Schulen wurden beauftragt, durch Bildung und Erziehung einen Beitrag zu leisten, die Schülerinnen und Schüler zu selbständigem Denken und Handeln zu befähi­gen und auf ein Leben in eigener Verantwortung, das zugleich der Gesell­schaft und der Umwelt verpflichtet ist, vorzubereiten (§ 1 Abs. 1 SRG). Art. 27 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juli 199i22 ergänzte die genannten Bestimmungen mit einer Formulierung, die sich nahezu wort~leich auch in der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern findet1 3. Im Schulgesetz vom Juni 1993 sind die Bildungsziele der Schule umfassend neu formuliert. Gegenüber dem Schulreformgesetz enthält § 1 SchulG einen acht Punkte umfassenden Aufgabenkatalog, der den grundsätzlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, jedem jungen Menschen ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage eine seinen Begabungen, Fähigkeiten und Neigungen gemäße Bildung, Ausbildung und Erziehung zukommen zu lassen, näher ausführt (§ 1 Abs. 1 SchulG). Hierzu gehören die Erziehung zur Bin­dung an ethische Werte, zur Achtung der Würde des Menschen und zum ver­antwortlichen Gebrauch der Freiheit, die Befähigung zur Übernahme politi­scher und sozialer Verantwortung im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Förderung des Buropagedankens (§ 1 Abs. 2 SchulG).

Auch im Thüringer Vorläufigen Bildungsgesetz wurde auf die aus dem Grundgesetz ableitbare Rechts- und Wertordnung als Grundlage des Bil­dungs- und Erziehungsauftrages für die Thüringer Schulen verwiesen (§ 2 Abs. 1 VBiG). Erziehung und Bildung sollen sich an einem auf Humanismus, Freiheit, Toleranz und Individualität ausgerichteten Menschenbild orientie­ren. Das VBiG verpflichtete die Lehrkräfte, Schüler zur Übernahme von Ver­antwortung und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zu erziehen; die weltanschaulichen und religiösen Grundsätze elterlicher Erziehung waren seitens der Schule zu respektieren(§ 2 Abs. 1 VBiG). Das Thüringer Schul­gesetz enthält zum Auftrag der Schulen in Thüringen einen gegenüber dem VBiG erheblich erweiterten Passus. In § 2 ThürSchulG wird auf die aus dem Grundgesetz und der Landesverfassung ableitbaren Wertvorstellungen ver­wiesen. Zudem findet sich hier ein Katalog von Bildungs- und Erziehungszie­len, zu denen auch die Förderung europäischen und Universalistischen Den­kens gehört. Schülerinnen und Schüler in Thüringen sollen lernen, ihre Be-

121 Art. lOI Abs. I Verfassung des Freistaates Sachsen, in: SGVBI. S. 243. 122 Vgl. GVBI. LSA S. 600. 123 Vgl. Art. 27 Abs. I Verfassung Land Sachsen-Anhalt und Art. I5 Abs. 4 Verfas­

sung Land Mecklenburg-Vorpommem.

164

Page 163: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ziehungen zu anderen Menschen nach den Geboten der Gerechtigkeit, der Solidarität und im Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestal­ten. Sie sollen zur Bereitschaft erzogen werden, Aufgaben in Familie, Gesell­schaft und Staat zu übernehmen. Art. 22 der thüringischen Verfassung vom 25. Oktober 1993124 enthält ebenfalls Bestimmungen zum Ziel der Schule, die jedoch inhaltlich nicht über das Thüringer Schulgesetz hinausreichen.

In Brandenburg und Sachsen nehmen die Schulgesetze Bezug auf die in diesen Ländern lebende sorbische Minderheit. Den im deutschsorbischen Gebiet lebenden Kindern und Jugendlichen ist auf Wunsch der Eltern die Möglichkeit zum Erwerb der sorbischen Sprache und von Kenntnissen der sorbischen Geschichte und Kultur zu eröffnen (§ 2 Abs. 3 - 1. SRG/§ 5 BbGSchulG). Mit dieser Bestimmung wird das Recht der sorbischen Minder­heit auf Schutz, Erhaltung und Pflege ihrer nationalen Identität und auf Be­wahrung und Förderung der sorbischen Kultur und Sprache nach Art. 25 der brandenburgischen Verfassung konkretisiert. Eine vergleichbare Regelung enthält Art. 6 Verfassung des Freistaates Sachsen. Danach hat die sorbische Bevölkerung das Recht auf Pflege von Sprache und Kultur und den Anspruch auf deren Gewährleistung. · Im sächsischen Schulgesetz ist die Vermittlung von Grundkenntnissen sorbischer Kultur und Geschichte als Aufgabe aller Schulen ausgewiesen (§ 2 Abs. 3 SchulG).

3.3.3 Zur strukturellen Neugestaltung des Schulwesens

3.3.3.1 Die Primarstufe

Alle neuen Länder richteten Grundschulen gemäß dem Hamburger Abkom­men der KMK als gemeinsame Schulen für alle Schüler im Primarbereich ein. Sie umfassen die Klassenstufen 1 bis 4, in Brandenburg - analog zu Berlin -die Klassenstufen 1 bis 6. Die Grundschulen sollen vom spielerischen zum schulisch-fachlichen Lernen hinführen und auf den Übergang zu den Schulen des Sekundarbereichs vorbereiten.

In Brandenburg können Grundschulen an zwei verschiedenen Standorten geführt werden, wenn dies die räumlichen Verhältnisse erfordern und jeder Schulteil mindestens zweizügig mit zwei Klassenstufen geführt werden kann. Schulen können jahrgangsübergreifende Klassen bilden, wenn die Schüler­zahl für die Bildung jahrgangsbezogener Klassen nicht ausreicht oder Schulen nach besonderen pädagogischen Konzepten arbeiten (§ 19 Abs. 2 u. 3 BbG SchulG). Die genannten Regelungen fanden sich nahezu wortgleich bereits im 1. Schulreformgesetz (§ 6 Abs. 2 u. 3 - 1. SRG). Das SRG Mecklenburg­Vorpommern enthielt zur Grundschule lediglich die Bestimmung, daß diese

124 Vgl. Verfassung des Freistaates Thüringen, in: GVBI S. 625.

165

Page 164: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

die gemeinsame Grundstufe des Schulwesens bildet und vier Klassenstufen urnfaßt (§ 2 Abs. 1. SRG). Im Schulgesetz finden sich weitergehende Ausfüh­rungen zu den Grundschulen. Unterricht kann jahrgangsstufenübergreifend erteilt werden, sofern dies zur Erhaltung einer wohnortnahen Schule notwen­dig ist. Der Übergang von der Jahrgangsstufe 1 zur Jahrgansstufe 2 erfolgt ohne Versetzung; ab Klassenstufe 3 soll Fremdsprachenunterricht angeboten werden. (§ 13 SchulG M-V). In sächsischen Grundschulen soll spielerisches Lernen in den Unterricht einfließen(§ 5 Abs. 1 SchulG). Für schulpflichtige, aber noch nicht schulfähige Kinder können in Sachsen und Sachsen-Anhalt Vorklassen eingerichtet werden, in denen diese Kinder zur Schulfähigkeit ge­führt werden sollen (§ 5 Abs. 3 SchulG Sachsen; § 4 Abs. 4 SchulG Sachsen­Anhalt)125. Auch in Thüringen waren gemäß VBiG Vorklassen vorgesehen; diese wurden nach der Verabschiedung des Thüringer Schulgesetzes vom August 1993 durch "Diagnose- und Förderklassen mit den Klassenstufen 1, 1a und 2" (§ 5 Abs. 1 ThürSchulG) ersetzt. In Thüringen rücken Schüler der ersten Klassen ohne Versetzung in die zweite Klassenstufe auf; ab Klassen­stufe 3 kann, soweit die personellen und sächlichen Voraussetzungen vorlie­gen, mit dem Unterricht in einer Fremdsprache ohne Notengebung begonnen werden (§ 5 Abs. 3 ThürSchulG).

3.3.3.2 Schulhorte und Ganztagsbetreuung

Im Gegensatz zu den alten Ländern ist die Möglichkeit der Ganztagsbetreu­ung in allen neuen Bundesländern vorgesehen; dies kann als Element der Kontinuität zum Bildungssystem der DDR angesehen werden126. Rechtsrege­lungen zu den Horten finden sich in den Kindertagesstättengesetzen. In Bran­denburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sind Schulhorte und Hort­gruppen dem Bereich Jugendhilfe zugeordnet; in Sachsen-Anhalt und Thürin­gen zählen die Horte zum Bildungsbereich; die Einrichtung schulunabhängi­ger Horte ist jedoch auch in diesen Ländern möglich127• Der Besuch eines Hortes oder die Teilnahme an außerunterrichtlichen Bildungs- und Betreu­ungsan~eboten ist grundsätzlich freiwillig und nur dem Elternwunsch unter­worfen 28•

In Brandenburg sollen Schulen im Primarbereich Ganztagsangebote un­terhalten129. Ganztagsangebote sollen zu einer für die Eltern verläßlichen Be-

125 In Mecklenburg-Vorpommern Vorklassen und Diagnoseförderklassen gern.§ 14 SchulG M-V.

126 Zur Situation in den alten Bundesländern vgl. z.B. Klemm u.a. 1990, S. 122f. 127 V gl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 527. 128 Vgl. in diesem Sinne z.B. § 2 Abs. 2 SäKitaG v. 10.9.1993. 129 "Schulen der Sekundarstufe I können Ganztagesangebote umfassen, wenn dafür

ein Bedürfnis besteht und wenn die personellen, sächlichen und schulorganisato­rischen Voraussetzungen erfüllt werden können"; § 18 (3) BbGSchulG. Im

166

Page 165: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

treuung ihrer Kinder führen. Unterricht und außerunterrichtliche Betreuung werden verbunden; die Teilnahme an vor- und nachunterrichtlichen Angebo­ten ist freiwillig. Ganztagsbetreuung kann angeboten werden, wenn ausrei­chende räumliche, personelle und organisatorische Voraussetzungen vorlie­gen; die Schulaufsichtsbehörde hat hierüber zu entscheiden (§ 18 BbG SchulG). Kinder können während der Dauer ihrer Grundschulzeit auch in Horten betreut werden(§ 18 Abs. 1 BbGSchulG)130• Kindertagesstätten haben in Brandenburg einen gegenüber den Schulen eigenständigen Bildungs- und Erziehungsauftrag, der in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten erfüllt werden soll. Durch die Arbeit im Hort sollen die elterlichen Erziehungsbemühungen ergänzt und unterstützt sowie den Kindern Erfahrungen über den familiären Rahmen hinaus ermöglicht werden (§ 3 Abs. 1 u. § 4 Abs. 1 KitaG).

Gemäß § 2 Abs. 1 des Schulreformgesetzes war nach dem festgestellten Bedarf darüber zu entscheiden, ob an Grundschulen in Mecklenburg­Vorpommern ein Schulhort angzugliedern war, näheres ging aus dem Schul­reformgesetz nicht hervor. Das Schulgesetz führt hierzu aus, daß an Grund­schulen und Förderschulen durch den Schulträger in Zusammenarbeit mit Horten, Kindertagesstätten und freien Trägern Betreuungsangebote einzurich­ten sind, die zu einer für Erziehungsberechtigte verläßlichen Betreuung der Kinder vor und nach dem Unterricht führen(§ 39 Abs. 1 SchulG M-V). Wie in Brandenburg ist die Teilnahme an solchen Angeboten freiwillig. Daneben bestehen in Mecklenburg-Vorpommern Kinderbetreuungseinrichtungen un­abhängig von den Schulen; Trägerpluralismus ist im KitaG als Sollvorgabe enthalten. 'Bedarf' besteht, wenn "mindestens zwölf Anträge zur Förderung von Kindern beim örtlichen Träger vorliegen" (§ 5 Abs. 3 KitaG). Im Kinder­tagesstättengesetz ist der gegenüber der Schule eigenständige Erziehungs­und Bildungsauftrag der Kindertagesstätten hervorgehoben (§ 1 Abs. 4 a) KitaG), dem diese in kindgerechter Weise nachkommen sollen.

In § 16 SchulG des Freistaates Sachsen vom 20. Juni 1991 wurde be­stimmt, daß die Schulträger Schulhorte an Grundschulen einrichten sollten. Mit der Änderung des Schulgesetzes vom 19. August 1993131 und nach Ver-

Schuljahr 1996/96 existierten in Brandenburg 94 Schulen mit Ganztagesbetreu­ung; vgl. MBJS: Pressemitteilung v. 6.11.1996.

130 Ursprünglich lautete diese Regelung im 1. SRG: "Horte sind räumlich und orga­nisatorisch Grundschulen angegliedert" (§ 4 Abs. 2 - 1. SRG i.d.F. v. 28.5. 1991). Durch§ 26 Abs. 2 KitaG veränderte sich die organisatorische Anhindung der Horte. Damit sollte den Schulträgern die Möglichkeit gegeben werden, Horte wahlweise an Schulen oder als von den Schulen räumlich und organisatorisch getrennte Einrichtungen zu führen; vgl. Betreuung von Schulkindern in Schul­horten und Kindertagesstätten v. 20.10.1992, in: ABI. MBJS Brandenburg, Nr. 11, S. 518 (Rundschreiben Nr. 77/92).

131 Vgl. SGVBI. 1993 S. 686, S. 688.

167

Page 166: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

abschiedung des Gesetzes über Kindertageseinrichtungen (SäKitaG)132 vom 10. September 1993 fallen die Horte, auch wenn sie an Grundschulen einge­richtet sind oder werden, unter das SäKitaG (§ 1 Abs. 4 SäKitaG). In Kinder­tageseinrichtungen sollen Kinder ergänzend zur familiären Erziehung sozial­pädagogisch betreut werden (§ 2 Abs. 1 SäKitaG). Eine Ganztagsbetreuung im Grundschulbereich ist in Sachsen nur bei Förderschulen vorgesehen, dann allerdings als vom Schulträger bereitzustellendes Pflichtangebot (§ 16 Abs. 2 u. 3 SchulG). An allgemeinbildenden Schulen sind Ganztagsangebote alter­nativ zu Horten nicht vorgesehen.

In Sachsen-Anhalt bestehen Schulhorte als Regeleinrichtung an Grund­schulen; dies war zunächst in § 4 Abs. 4 SRG geregelt. Parallel zur Erarbei­tung des Schulgesetzes wurden die rechtlichen Grundlagen auch für die Horte neu geregelt und ein eigenes Hortgesetz erlassen133 • Horte sind im Schulge­setz vom Juni 1993 nicht mehr erwähnt; die Trägerschaft der Horte hat sich durch die veränderte Rechtslage jedoch nicht verändert. Die Träger der Grundschulen bleiben gleichzeitig Träger der Horte; freie Träger sind zuge­lassen. Die Bestimmungen des Hortgesetzes verpflichten Grundschulen und Horte zu enger Zusammenarbeit. So kann bei Veranstaltungen in der Grund­schule oder vor und nach den Unterrichten das Personal des organisatorisch zugehörigen Hortes, der räumlich mit der Schule nicht zusammenliegen muß, die Schüler auch in der Schule betreuen (§ 10 Abs. 1 HortG). Die Schulen können außerunterrichtliche Bildungsangebote unterbreiten (§ 12 SchulG); hierzu müssen die sächlichen und personellen Voraussetzungen und die Ge­nehmigung der Schulbehörde vorliegen.

In Thüringen waren Horte zunächst als Regeleinrichtungen an Grund­schulen vorgesehen. Auch die Schulen im Sekundarbereich I sollten für ein nachmittägliches Betreuungsangebot sorgen, sofern sie sich dazu in der Lage sehen und Eltern dies wünschten(§ 19 VBiG). Das Schulgesetz vom August 1993 schwächte diese Regelung dahingehend ab, daß Schulhorte nun an Grundschulen eingerichtet werden können (§ 10 ThürSchulG). Soweit vor­handen, sind sie Teil der Grundschule; ihr Besuch ist freiwillig. Unter Be­rücksichtigung des Angebotes freier Träger können zudem an allen Schulen außerunterrichtliche Angebote an Nachmittagen ermöglicht werden (§ 11 ThürSchulG).

Aufgrund der finanziellen Situation der Träger ist das Platzangebot im Hortbereich seit 1990 rückläufig134• Die Probleme, die der Rückgang der Ge-

132 Vgl. SGVBL 1993 S. 999. 133 Vgl. Gesetz über die Horte an Grundschulen in Sachsen-Anhalt (Hortgesetz) v.

31.8.1993. GVBL LSA S. 523. 134 Hier lagen nicht für alle Länder aussagekräftige Zahlen vor. Die für den 9. Ju­

gendbericht erhobenen Daten weisen z.B. bezogen auf das Territorium des Lan­des Brandenburg im Jahr 1989 139.501 Plätze aus, was einer Versorgungsquote von 86,8% des Jahrganges entsprach. Die Zahl der Hortplätze ging im Jahr 1990 auf 127.100 zurück; zum 31.12.1991 waren noch 91.224 Plätze verfügbar. Im

168

Page 167: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

hurtenzahlen im Grundschulbereich verursacht, treffen in vergleichbarer W ei­se auch auf die außerunterrichtlichen Betreuungsangebote zu; eine anhaltende Verringerung ihres Platzangebotes ist somit wahrscheinlich135.

3.3.3.3 Die Neuregelung des Überganges in die Sekundarstufe

In allen neuen Ländern haben Eltern das Recht, die Wahl einer weiterführen­den Schule für ihre Kinder zumindest zu beeinflussen. In Brandenburg ist das Recht der Eltern, den weiterführenden Bildungsgang ihrer Kinder zu wählen, sowohl in der Verfassung (Art. 30 Abs. 4) als auch im Schulgesetz festgelegt (§ 53 Abs. 1 BbGSchulG)136• Eltern, deren Kinder die Klassenstufe 6 der Grundschule besuchen, werden über die Schularten der Sekundarstufen, deren Ziele und Abschlüsse informiert. Der Klassenlehrer teilt den Eltern im Ein­zelgespräch mit, welchen Bildungsweg er für ihr Kind als sinnvoll ansieht. Er erstellt ein Gutachten, das eine Einschätzung der weiteren schulischen Ent­wicklung des Kindes enthält, mit einer Empfehlung hinsichtlich der in der Se­kundarstufe zu besuchenden Schule versehen, von der Klassenkonferenz be­schlossen und den Eltern übergeben wird. Das Gutachten und die Schulemp­fehlung hatten jedoch bis 1994 keinerlei rechtliche Bindewirkung für die El­tern137. Da viele Eltern- wie in anderen Ländern auch- für ihre Kinder einen möglichst hohen Bildungsabschluß anstreben, führte dies z.B. im Schuljahr 1994/95 dazu, daß für die Eingangsklassen der Gymnasien mehr Anmeldun­gen vorlagen als Plätze zur Verfügung standen138• Die hierdurch als notwen-

Verhältnis zur Zahl der Schülerinnen und Schüler der Klassen 1 bis 4 standen zum 1.4.1992 in Brandenburg für 35% dieser Population Hortplätze zur Verfü­gung. In Mecklenburg-Vorpommem sank die Zahl der Hortplätze von 155.851 im Jahr 1989 auf 92.100 im September 1990 und auf 48.704 zum 31.12.1991; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 526, s. 530.

135 y gl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 531. Uber die dargestellten Aspekte hinaus traten auch in bezug auf Gruppenstärken, Personalausstattung und Finanzierungsregelungen, hier insbesondere hinsichtlich der Eltembeiträge, im Vergleich zur DDR relevante Veränderungen im Hortbe­reich der neuen Bundesländer auf. Diese im Detail zu untersuchen würde jedoch den Rahmen der Studie sprengen, daher sei auf die entsprechenden Ausführun­gen im 9. Jugendbericht verwiesen; vgl. a.a.O., S. 526ff.

136 Bis 1996 § 1 Abs. 2 u. § 35 Abs. 1 1. SRG. 137 Vgl. Stamm 1994, Ordnungszahl 72, S. 2f.; Brandenburg setzt auf Beratung, in:

DLZ. Nr. 6/1993. 138 Dies, obwohl sich das Ministerium für Bildung bemühte, der beschriebenen

Entwicklung entgegenzuwirken, z.B. durch eine entsprechende Interpretation der gesetzlichen Vorgaben; vgl. die Broschüre '6. Klasse und wie weiter?' des Mini­steriums für Bildung, Jugend und Sport (4., aktual. Aufl. v. Dezember 1994), in der es u.a. heißt: "Eltern üben ihr Wahlrecht in erster Linie in bezugauf die Wahl eines Bildungsganges aus, nicht aber in bezug auf eine bestimmte Schulform oder gar eine bestimmte Schule. Je nachdem, für welchen Bildungsgang sie sich

169

Page 168: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

dig angesehene Auswahl der Bewerber erfolgte vorrangig nach dem 'Wohn­ortprinzip', d.h. nach der Nähe des Wohnortes eines Schülers zum Gymnasi­um. Nach heftigen Protesten von Eltern und Schülern bis hin zu Klagen vor dem Verwaltungsgericht Potsdam wurde schließlich allen Bewerbern der Zu­gang zum Gymnasium ermöglicht139• Das Bildungsministerium regelte dar­aufhin den Übergang in die Schulen der Sekundarstufe I zum Schuljahr 1995/96 mit einer Aufnahmeverordnung (AufnV) neu140. Will ein Schüler nach Abschluß der 6. Klasse an ein Gymnasium wechseln, sind die Anmel­dung und ein Grundschulgutachten vorzulegen. Das Grundschulgutachten und ggf. das Halbjahreszeugnis der 6. Klasse bilden die Basis eines möglichen Auswahlverfahrens. Bewerben sich an einem Gymnasium mehr Schüler als Plätze zur Verfügung stehen, haben die Schulleitungen auf der Basis der ein­gereichten Unterlagen und gegebenenfalls ergänzender Gespräche mit Eltern und Schülern ein Auswahlverfahren durchzuführen und die geeignetsten Schüler auszuwählen (§ 7 (2) AufnV)141• Ziel des Auswahlverfahrens ist es jedoch nicht, die grundsätzliche Eignung eines Schülers für einen Gymnasi­albildungsgang zu ermitteln, sondern im Falle der Übernachfrage die befä­higtsten Schüler auszuwählen. Dies könnte dazu führen, daß Schülern der Zu­gang zu einer Schulart, in diesem Falle des Gymnasiums, verwehrt würde, obwohl im Grundschulgutachten der Bildungsgang zum Erwerb der Allge­meinen Hochschulreife empfohlen wurde. Dies widerspräche dem Grundsatz des elterlichen Entscheidungsvorrechts hinsichtlich der Wahl des Bildungs­we~es und wäre ein auch verfassungsrechtlich nicht unbedenkliches V erfah­ren 42• Das Schulgesetz vom April 1996 erhält hierzu ergänzende Bestim­mungen(§§ 53 u. 54 BbGSchulG). Die Aufnahmeverordnung vom Dezember 1994 wurde hierdurch in Teilen außer Kraft gesetzt, die Regelung zur Aus­wahl blieb allerdings in Kraft143 .

entschieden haben, wird in einem zweiten Schritt zu sehen sein, an welcher Schul~,dies möglich ist"; vgl. a.a.O., S. 6.

139 Vgl. Anderung des Schulreformgesetzes durch Eltemproteste, in: DLZ. Nr. 2311994; Ein Minister schraubt zurück, in: Rheinischer Merkur. Nr. 23/1994.

140 V gl. Verordnung über die Aufnahme in weiterführende Schulen des Landes Brandenburg (Aufnahmeverordnung- AufnV) v. 23.12.1~.94, in: GVBL II 1995, S. 66. Vgl. auch MBJS: Rundschreiben Nr. 87/94 betr. Ubergang aus der Jahr­gangsstute 6 der Primarstufe in die Jahrgangsstufe 7 einer Schule der Sekundar­stufe I(§ 11 AO- GS v. 21.6.1991), in: ABI. MBJS 1995, Nr. 2, S. 54; MBJS: Pressemitteilung v. 4.1.1995.

141 Vgl. auch Lust und Grips zum Lernen, In: Rheinischer Merkur. Nr. 311995. 142 Die Aufnahmeverordnung ist nicht eindeutig formuliert; die Ausführungen zum

Auswahlverfahren für die Jahrgangsstufe 7 (Abschnitt 2) lassen diesen Schluß jedoch ebenso zu wie Vorschriften des§ 53 BbGSchulG.

143 V gl. Fortgeltung von Vorschriften nach Irrkrafttreten des Brandenburgischen Schulgesetzes. RdSchr. 42/1996 v. 13.6.1996, in: ABI. MBJS Nr. 9 S. 350, hier: lfd. Nr. 8.1. Außer Kraft traten§ 2 Abs. 1 u. 2 AufnV (ersetzt durch§ 53 Abs. 4 BbGSchulG), § 8 Abs. 2 AufnV (ersetzt durch § 53 Abs. 5 BbGSchulG) und § 16 AufnV (ersetzt durch§ 55 BbGSchulG); vgl. a.a.O.

170

Page 169: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Hinsichtlich der Wahl der weiterführenden Schule ergaben sich vom Schuljahr 1992/93 bis zum Schuljahr 1994/95 nur geringe Verschiebungen. Der Schulwunsch Gesamtschule nahm von 51,5 % (1992/93) auf 48,2 % (1994/95) ab, der Schulwunsch Gymnasium stieg von 29,6 % (1992/93) auf 32,0% (1994/95). Zum Schuljahr 1992/93 nahmen 20.812 und zum Schuljahr 1994/95 19.605 Schülerinnen und Schüler den Unterricht in der 7. Klasse ei­ner Gesamtschule auf. Die Klassenstufe 7 eines Gymnasiums wurde von 9.944 (1992/93) bzw. 10.748 (1994/95) Schülerinnen und Schülern besucht. Der Vergleich zwischen dem Elternwunsch und den Schülerzahlen in den Klassenstufen 7 zeigt, daß an Gesamtschulen jeweils mehr, an Gymnasien hingegen jeweils weniger Schülerinnen und Schüler den Unterricht in der Klassenstufe 7 aufnahmen, als Eltern dies vorher für ihre Kinder wünsch­ten144.

Bereits das Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern enthielt eindeutige Aussagen zum Vorrang des Elternwunsches hinsichtlich der Wahl des Bildungsganges (§ 2 SRG); diese Re~elung findet sich sinnge­mäß im Schulgesetz wieder (§ 66 SchulG M-V)1 . Die abgebende Schule unterbreitet zunächst einen Vorschlag zum weiteren Bildungsgang des Schü­lers. Die Eltern können die Aufnahme ihres Kindes an einer der angebotenen Schularten aber unabhängig von der Empfehlung der Grundschule beantra­gen. Weichen Antrag und Empfehlung voneinander ab, ist im Gespräch mit den Eltern eine einvernehmliche Entscheidung anzustreben. Ist diese nicht möglich, wird das Kind gemäß der elterlichen Schulwahlentscheidung einge­schult. Zum Schuljahr 1994/95 betrug die Übergangsauote an Gymnasien 22 %des zum Schulwechsel heranstehenden Jahrganges14 •

Das sächsische Schulgesetz besagt zur Wahl des Bildungsweges: "Über alle weiteren Bildungswege im Anschluß an die Grundschule entscheiden die Erziehungsberechtigten auf Empfehlung der Schule"(§ 34 Abs. 1 SchulG). In Sachsen erhalten Schüler zwei Laufbahnempfehlungen: Zum einen in der

144 Alle Daten vgl. MBJS, Ref. 31 - Betr.: Auswertung des Übergangsverhaltens von Klasse 6 nach Klasse 7 im Vergleich mehrerer Schuljahre- v. 30.9.1994 (unver­öff. Typoskript). Für das Schuljahr 1995/96 wurde die Zahl der Schüler, die nach dem Willen der Eltern in Gymnasien (Klassenstufe 7) eingeschult werden sollten, mit 11.298 angegeben. Dies entsprach 31,8% des Jahrganges; vgl. Zahlen, Da­ten, Fakten zum Aufnahmeverfahren 1995, in: Schulverwaltung MO. H. 10/1995, s. 276.

145 § 66 (1) SchulG M-V lautet: "Nach dem Besuch des Primarbereichs und der Ori­entierungsstufe treffen die Erziehungsberechtigten im Rahmen der Regelungen über die Schularten und Bildungsgänge sowie des § 56 die Entscheidungen über den Bildungsweg ihrer Kinder. Dieses gilt auch für die Ersteinstufung in lei­stungsdifferenzierte Kurse. Volljährige Schüler entscheiden selbst. Die Schule berät und unterstützt die Erziehungsberechtigten und die Schüler bei ihren Ent­scheidungen". § 56 regelt die Dauer des Schulbesuchs.

146 Vgl. Schulabschlüsse an Realschulen und Gymnasien, in: Schulverwaltung MO. H. 1211995, S. 338.

171

Page 170: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Klassenstufe 4, zum anderen am Ende der Orientierungsphase in der Klas­senstufe 6. Eltern sollen die Empfehlungen der Schule beachten. Das Recht zur Wahl der weiterführenden Schule verbleibt aber grundsätzlich bei den Eltern147, es ist jedoch mit der Leistung des Schülers verkoppelt. Bis zum Schuljahr 1992/93 mußten Schüler einen bestimmten Notendurchschnitt in der 4. Grundschulklasse erreichen, um auf ein Gymnasium wechseln zu kön­nen. Seit dem Schuljahr 1993/94 können Eltern ihre Kinder unmittelbar am Gymnasium anmelden, wenn diese in der Klassenstufe 4 der Grundschule ei­ne Gymnasialempfehlung erhalten. Schüler, für die keine solche Empfehlung durch die Grundschule ausgesprochen wurde, haben sich einer schriftlichen Aufnahmeprüfung zu unterziehen148.

Auch in Sachsen-Anhalt erhalten die Erziehungsberechtigten Empfehlun­gen zur Wahl eines weiterführenden Bildungsganges für ihre Kinder nach den Klassenstufen 4 und 6 (§ 4 Abs. 3 u. § 5 Abs. 2 SchulG). Im Gegensatz zur obligatorischen Beratung in Brandenburg ist in Sachsen-Anhalt eine indivi­duelle Beratung der Erziehungsberechtigten auf Wunsch vorgesehen149. Der Übergang zum Gymnasium ist nicht an das Bestehen einer Aufnahmeprüfung gebunden; die Eltern entscheiden allein über den weiterführenden Bildungs­gang.

In Thüringen enthält das Schulgesetz Regelungen zur Verbindung von Elternwunsch und Schülerleistung hinsichtlich des Überganges an weiterfüh­rende Schulen. Eltern haben zwar die Wahl zwischen den zur Verfügung ste­henden Schularten (§ 4), Schulformen (§ 8) und Bildungsgängen sowie deren jeweiligen Bildungsmöglichkeiten (§ 3 Abs. 1 ThürSchulG), dies jedoch le­diglich im Rahmen der jeweiligen Bestimmungen nach Maßgabe der Befähi­gung und Leistung des Schülers (§ 3 Abs. 1 ThürSchulG)150• Schüler werden nach Abschluß der 4. Klasse automatisch in eine Regelschule aufgenommen, sofern die Eltern sich nicht ausdrücklich für die Einschulung in ein Gymnasi­um entscheiden. Ein Grundschüler kann in Thüringen nur dann auf ein Gym­nasium wechseln, wenn er im Halbjahreszeugnis der 4. Klasse in den Fächern Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachkunde mindestens gute Zensu­ren erreicht hat. Ist dies nicht der Fall, können die Eltern eine Empfehlung zum Übergang auf ein Gymnasium beantragen. Diese kann erteilt werden, wenn in maximal zwei der genannten Fächer die Note 'befriedigend' erreicht wurde, ein Schüler aufgrund des bisherigen Lernverhaltens aber erwarten läßt, daß er ein Gymnasium erfolgreich besuchen kann. Erteilt die Klassenkonfe-

147 Vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus 1994, S. 2ff. 148 Vgl. § 1 Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über das

Aufnahmeverfahren an Gymnasien v. 12.2.1993 (SGVBL S. 163) i.d.F. v. 30.11. 1993, in: ABL des Sächs. Staatsmin. f. Kultus Nr. 1 v. 10.1.1994, S. 1; CDU: Mehr als 40000 Lehrer nötig, in: Die Realschule. H. 3/1992, S. 106; Sachsen re­gelt die Aufnahme für das Gymnasium neu, in: DLZ. Nr. 15/1993.

149 Vgl. Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, o.J. (1992), S. 10. 150 § 6 Abs. 1 VBiG hatte eine gleichlautende Regelung enthalten.

172

Page 171: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

renz keine Empfehlung, haben sich Schüler einer Aufnahmeprüfung zu un­terziehen, wenn die Eltern trotz fehlender Voraussetzungen die Einschulung in ein Gymnasium beantragt haben. Hier muß der Schüler in jedem der ge­prüften Fächer mindestens gute Leistungen erzielen. Erreicht ein Schüler auch nach der Prüfung nicht die Aufnahme in ein Gymnasium, verbleibt den Eltern nur noch die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten151 • Trotz dieser re­striktiven Regelung meldeten für das Schuljahr 1994/95 die Eltern von 31 % der Schüler der 4. Klassen ihre Kinder an Gymnasien an152.

3.3.3.4 Die Neuordnung der Sekundarstufe I

In den ostdeutschen Ländern wurde das Schulwesen der Sekundarstufe I strukturell gegliedert. Die Sekundarstufe I beginnt in allen Ländern außer Brandenburg mit Klasse 5, in Brandenburg mit Klasse 7. Alle Länder richte­ten Gymnasien ein. In Brandenburg existieren in der Sekundarstufe I drei pa­rallele Schulformen; das Gymnasium, die Gesamtschule und die Realschule. Die Gesamtschule ist Regelschule und führt die Klassenstufen 7 bis 10. Ge­samtschulen und Grundschulen können, wo die räumlichen Verhältnisse dies erlauben, in einer Schule zusamrnengefaßt werden. Die Gesamtschulen sollen eine pädagogische und organisatorische Einheit bilden. Sie ermöglichen alle Abschlüsse der Sekundarstufe I (§ 20 Abs. 4 BbGSchulG). Realschulen vermitteln in den Klassen 7 bis 10 eine allgemeine Bildung. Hier kann die Fachoberschulreife erworben werden, die zum Besuch weiterführender Schulen des Sekundarbereichs II berechtigt; ebenso ist die Aufnahme einer Berufsausbildung möglich (§ 22 BbGSchulG). Gymnasien umfassen durch­gängig die Sekundarstufe I und die gymnasiale Oberstufe(§ 21 BbGSchulG).

In Mecklenburg-Vorpommern wurden im Sekundarbereich I zunächst die Hauptschule, die Realschule, das Gymnasium und die Gesamtschule als je­weils selbständige Schularten eingerichtet(§ 2 SRG). Diese zunächst gesetz­lich fixierte strukturelle Drei- bzw. Viergliedrigkeit verdeckte, daß in der Praxis bereits Anfang der neunziger Jahre die überwiegende Zahl der Haupt­und Realschulen organisatorisch zusamrnengefaßt war und somit faktisch eine kombinierte Schulart mit gemeinsamer Leitung darstellte. Diese Lösung wur-

151 Vgl. §§ 124- 132 Thüringer Schulordnung für die Grundschule, die Regelschule, das Gymnasium und die Gesamtschule (ThürSchulO) v. 20.1.1994 (GVBI. S. 185), geä. durch VO v. 4.10.1994 (GVBI. S. 1144), v. 4.10.1995 (GVBI. S. 332) u. v. 22.1.1996 (GVBI. S. 13); Thüringer Kinder lernen für ihre Zukunft. Eine Information des Thüringer Kultusministers für die 4. Klassen 1993/94. 0.0., o.J. (1993). Für den Ubertritt von der Regelschule an das Gymnasium nach den Klas­senstufen 5 und 6 gilt die geschilderte Regelung sinngemäß; vgl. auch Ein- und Umstufungen sowie Versetzungen in der Thüringer Regelschule, in: Schulver­waltung MO. H. 6/1996, S. 191.

152 Vgl. Run auf das Gymnasium schwächt sich ab, in: DLZ. Nr. 35/94; §§ 124-135 ThürSchulO.

173

Page 172: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

de hauptsächlich mit Vorteilen in der Schul- und Unterrichtsorganisation be­gründet153. Gemäß § 16 SchulG M-V ist die verbundene Haupt- und Real­schule nun die Regel; Hauptschulen und Realschulen können in Ausnahmefäl­len mit Genehmigung des Kultusministeriums selbständig geführt werden (§ 16 Abs. 7 SchulG M-V). Der Hauptschulbildungsgang endet mit dem Ab­schluß der Klassenstufe 9, der Besuch der Klassenstufe 10 ist möglich. Der Realschulbildungsgang führt nach sechsjährigem Schulbesuch zum mittleren Abschluß. Im Rahmen der Zusammenarbeit, die auch auf inhaltliche Aspekte ausgedehnt werden soll, ist in der verbundenen Haupt- und Realschule "ein Höchstmaß an Kooperation und Durchlässigkeit zu sichern" (§ 16 Abs. 1 SchulG M-V). Mit dieser kombinierten Schulart trägt der Gesetzgeber den in Mecklenburg-Vorpommern besonders gravierenden demographischen Pro­blemen Rechnung. Unterricht kann bildungsgangübergreifend erteilt werden, wenn dies für die Erhaltung eines wohnortnahen Schulangebotes notwendig ist, insbesondere wenn einer der Bildungsgänge einzügig ist und die festge­legte Mindestschülerzahl unterschreitet (§ 16 Abs. 5 SchulG M-V). Dem gleichen Zweck dient die Möglichkeit, Progymnasien einzurichten. Sie dienen ebenfalls dazu, eine wohnortnahe Unterrichtsversorgung sicherzustellen, wenn insbesondere im ländlichen Raum die Schülerzahl für ein Gymnasium mit gymnasialer Oberstufe nicht ausreicht (§ 20 Abs. 1 SchulG M-V). Pro­gymnasien umfassen die Jahrgangsstufen 5 bis 9. Der gymnasiale Bildungs­gang umfaßt die Klassenstufen 5 bis 12; er leitet nach erfolgreichem Besuch der Klassenstufe 10 grundsätzlich in die gymnasiale Oberstufe über (§ 19 u. 21 SG). Zum Schuljahr 2000/01 soll der gymnasiale Bildungsgang um ein Jahr verlängert werden; er umfaßt dann 9 Schuljahre(§ 21 Abs. 5 SchulG M­V). Die gymnasiale Oberstufe verlängert sich dadurch um ein Jahr und umfaßt dann die Jahrgangsstufen 11-13. Der Bildungsgang des Progymnasiums ver­längert sich ebenfalls um ein Jahr (Klassenstufen 5-10). Irrfolge dieser Rege­lung wird die gymnasiale Oberstufe an das ebenfalls zur allgemeinen Hoch­schulreife führende Fachgymnasium mit seinem schon jetzt dreijährigen Bil­dungsgang angeglichen. Die Gesamtschule, deren Einrichtung nach § 6 SRG unter bestimmten Bedingungen möglich war, ist nun Regelschule; sie kann in kooperativer oder integrierter Form eingerichtet werden(§§ 17 u. 18 SchulG M-V)Is4.

In Sachsen umfaßt die Sekundarstufe I das Gymnasium und die Mittel­schule. Mittelschulen, eine differenzierte Schulart, führen die Klassen 5 bis

153 Vgl. Der Andrang zu den Gymnasien ist groß, in: F.A.Z. v. 16.10.1993. Zum Schuljahr 1994/95 gab es in Mecklenburg-Vorpommern nur zwei eigenständige Hauptschulen. 30 Hauptschulen waren mit Grundschulen und 271 Hauptschulen mit Realschulen organisatorisch zusammengeiaßt Zudem gab es vier Gesamt­schulen, die auch Hauptschüler besuchten; vgl. Innere Reform soll Image der Hauptschule verbessern, in: DLZ. Nr. 26/1994.

154 Vgl. auch Die Schwerirrer Koalition wieder tiefer in der Krise, in: F.A.Z. v. 25.4. 1996.

174

Page 173: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

1 0; in ihnen werden sowohl allgemeinbildende als auch berufsvorbereitende Kenntnisse vermittelt(§ 6 SchulG). Mittelschulen sollen mindestens zweizü­gig und möglichst nicht mehr als fünfzügig geführt werden; die Errichtung einzügiger Mittelschulen ist in Ausnahmefällen möglich155•

In der sachsen-anhaltinischen Sekundarschule, die in der Sekundarstufe I als zweite Schulform neben dem Gymnasium eingerichtet wurde, werden nach fünf- und sechsjährigem Schulbesuch Abschlüsse vermittelt. Vergleich­bar der sächsischen Mittelschule sind die Sekundarschulbildungsgänge stär­ker auf die Vermittlung berufspraktischen Wissens hin orientiert. In Klassen­stufe 7 erfolgt die Trennung in einen Hauptschul- und einen Realschulbil­dungsgang von drei- bzw. vierjähriger Dauer(§ 5 SchulG). In den regelmäßig mindestens dreizügig geführten Gymnasien des Landes Sachsen-Anhalt schließt die Sekundarstufe I mit der Klassenstufe 9 ab, ab Klasse 10 beginnt die gymnasiale Oberstufe(§ 6 SchulG).

In Thüringen urnfaßt die Sekundarstufe I das Gymnasium und die Regel­schule. In der Regelschule wird nach der Klassenstufe 6 in auf den Raupt­schulabschluß bezogene und auf den Realschulabschluß bezogene Klassen oder Kurse differenziert (§ 6 ThürSchulG). Neue Fächer wie 'Wirtschaft­Umwelt-Europa' oder 'Wirtschaft und Recht' sollen zur inhaltlichen Profilie­rung der Regelschulen beitragen156• Wie in Sachsen-Anhalt führt auch in Thüringen die Sekundarstufe I an Gymnasien bis zum Abschluß der 9. Klas­se; ab Klassenstufe 10 beginnt die hier so genannte 'Thüringer Oberstufe' (§ 7 ThürSchulG). Mit der Verabschiedung des Thüringer Schulgesetzes verän­derte sich der Status der Gesamtschule. War die Errichtung von Gesamtschu­len gemäß VBiG nur im Rahmen von Schulversuchen möglich, so ist dies nun grundsätzlich möglich, soweit Bedarf besteht und das Angebot der anderen allgemeinbildenden Schulen gewährleistet bleibt(§ 4 Abs. 1 ThürSchulG)157•

Eine Orientierungsstufe ist in Brandenburg aufgrund der sechsjährigen Grundschuldauer nicht erforderlich. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt sind mit weitgehend identischer Zielsetzung Orientie­rungsstufen (in Sachsen-Anhalt: Förderstufe) eingerichtet. Sie umfassen die Klassenstufen 5 und 6. Mit der Orientierungsstufe soll die Durchlässigkeit der Bildungswege im gegliederten Schulwesen verbessert werden, dies u.a. durch einen weitgehend abgestimmten Unterricht in den verschiedenen Schularten

155 Vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus 1992; Marx/Berenbruch 1992; Nowak 1992; Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Schulentwicklungsplanung v. 13.11.1991; in: ABI. SMK Nr. 2/1992, s. 1.

156 Vgl. Weishaupt!Böttcher/Plath 1994, S. 7. 157 Allerdings bestanden zum Schuljahr 1995/96 in Thüringen lediglich fünf Ge­

samtschulen, darunter drei kooperative Einrichtungen; vgl. Weishaupt!Bött­cher/Plath 1994, S. 5; Wer bemogelt wen?, in: DLZ. Nr. 27/1994; Neues im Schuljahr 1995/96, in: Schulverwaltung MO. H. 10/1995, S. 286.

175

Page 174: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

sowie die Möglichkeit, nach Abschluß der Klassenstufe 6 unter bestimmten Bedingungen einen Schulartwechsel vornehmen zu können.

In Mecklenburg-Vorpommern soll in der Orientierungsstufe in einem Zeitraum der Erprobung, der Förderung und Beobachtung in Zusammenarbeit mit den Eltern die für den Schüler geeignete Schulart ermittelt werden (§ 15 Abs. 2 SchulG M-V). In besonderen Fällen kann die Orientierungsstufe auch mit einer Grundschule organisatorisch verbunden werden (§ 15 Abs. 1 SchulG M-V); insoweit ist es rechtlich möglich, vom Prinzip der Schulartab­hängigkeit abzuweichen. Nach Abschluß der Klasse 5 rücken die Schüler oh­ne Versetzung in die Klassenstufe 6 auf, an deren Ende eine Schullauf­bahnempfehlung ausgesprochen wird(§ 15 Abs. 3 SchulG M-V).

In Sachsen haben die Klassenstufen 5 und 6 an den Schulen der Sekun­darstufe I 'Orientierungsfunktion' (§ 6 Abs. 2 u. § 7 Abs. 2 SchulG). Die Stundentafeln und Lehrpläne für die Klassenstufen 5 und 6 an Mittelschulen und Gymnasien sind weitgehend aufeinander abgestimmt, um in Klassenstufe 4 getroffene Bildungswegentscheidungen gegebenenfalls korrigieren zu kön­nen. Schüler können nach Abschluß der Klassenstufe 5 und 6 sowie nach Ab­schluß der 10. Klasse an ein Gymnasium wechseln158.

Im sachsen-anhaltinischen Schulwesen war bislang die hier so genannte 'differenzierende Förderstufe' für die Klassenstufen 5 und 6 der Sekundar­schulen vorgesehen, nichtjedoch für Gyrnnasien159• Aufgrund einer Änderung des Schulgesetzes vom 7. Dezember 1995160 wird zum 1. August 1997 eine schulartunabhängige Förderstufe an Sekundarsschulen eingeführt. Alle Schü­ler wechseln nach Abschluß der Grundschule in die Förderstufe, in der ein binnendifferenzierter Unterricht duchgeführt werden soll. Am Ende der Klas­senstufe 6 können die Erziehungsberechtigten über den weiteren Bildungsweg ihres Kindes entscheiden. In der Förderstufe sollen Schüler mit den jeweili­gen Schwerpunkten und Anforderungen der weiterführenden Bildungsgänge vertraut gemacht werden. Bereits hier soll der Unterricht in leistungsdiffe­renzierten Lerngruppen durchgeführt werden. Die Erziehungsberechtigten er-

158 Der Wechsel von einer Mittelschule an ein Gymnasium nach Abschluß der Klas­senstufen 5 und 6 setzt eine entsprechende Bildungswegempfehlung voraus, die auf Antrag der Eltern durch die Klassenkonferenz erteilt werden kann, wenn der Schüler bestimmte Leistungsanforderungen erfüllt hat; vgl. hierzu Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über das Aufnahmeverfahren an Gymnasien v. 12.2.1993 (SGVBl. S. 163) i.d.F. v. 30.11.1993, in: ABl. des Sächs. Staatsmin. f. Kultus Nr. 1 v. 10.1.1994, S. 1, insb. § 4.

159 § 6 Schu1G i. d. Neufassung v. 30.6.1993 ('Gymnasium') enthält im Gegensatz zu§ 5 'Sekundarschule' keinen Hinweis auf die differenzierende Förderstufe.

160 Vgl. Drittes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt. GVBl. LSA S. 357.

176

Page 175: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

halten eine Empfehlung, die als Grundlage für die Wahl des Bildungsganges nach der Klassenstufe 6 dient (§ 5 Abs. 2 u. 3 SchulG)161 •

An den Thüringer Regelschulen ist der Unterricht in den Klassenstufen 5 und 6 von allen Schülern in allen Fächern gemeinsam zu besuchen, eine Ori­entierungsstufe ist jedoch im Schulgesetz nicht explizit ausgewiesen. Der ge­meinsame Unterricht wird als "Phase der Orientierung" (§ 6 Abs. 1 Thür­SchulG) bezeichnet, an die sich die Differenzierung ab Klassenstufe 7 an­schließt. (§ 7 Abs. 1 ThürSchulG). In den Klassenstufen 5 und 6 besteht die Möglichkeit, an ein Gymnasium zu wechseln. Für Gymnasien selbst ist, ver­gleichbar Sachsen, keine Aussage zu einer Orientierungsstufe getroffen162•

Für die Schulen der Sekundarstufe I sind in unterschiedlicher Weise Formen der inhaltlichen Differenzierung und Leistungsdifferenzierung vorge­sehen. Neben der Differenzierung, die sich durch unterschiedliche Schulfor­men ergibt, ist insbesondere die Differenzierung innerhalb einer Schulform von Interesse.

In Brandenburg ist die Fachleistungsdifferenzierung in der Gesamtschule die Voraussetzung für die Vergabe von Abschlüssen unterschiedlicher Ni­veaus nach Abschluß der 9. und 10. Klassenstufe (§ 20 BbGSchulG). Ab dem zweiten Halbjahr der 7. Klasse erfolgt der Unterricht in Gesamtschulen nach Leistungs- und nach Neigungsdifferenzierung; dies führt zu Abschlüssen un­terschiedlicher Niveaus. Eine vergleichbare Regelung gilt für Realschulen. Gymnasien weisen die übliche Fachdifferenzierung im Fremdsprachenbereich auf. Die nähere Ausgestaltung der Bildungsgänge in der Sekundarstufe I ob­liegt dem MBJS, das durch das Schulgesetz hierzu ermächtigt ist (§ 23 BbGSchulG). Die Einrichtung von Schulen mit besonderer inhaltlicher Prä­gung oder abweichender Organisationsform ist möglich(§ 8 BbGSchulG).

Die Bildungsgänge der Sekundarstufe I in Mecklenburg-Vorpommern sind durch die Gliederung nach Schulformen differenziert. Die verbundene Haupt- und Realschule bietet regelmäßig getrennte Haupt- und Realschulbil­dungsgänge ab Klasse 5 an, die zu den jeweiligen bildungsgangbezogenen Abschlüssen führen. Eine bildungsgangübergreifende Gestaltung des Unter­richts ist möglich, sofern dies zur Erhaltung eines wohnortnahen Unterrichts­angebotes notwendig ist(§ 16 Abs. 5 SchulG M-V). In integrierten Gesamt­schulen erfolgt der Unterricht sowohl im Klassenverband als auch getrennt nach Ieistungs- und neigungsdifferenzierenden Kursen, die zu den niveauver­schiedenen Abschlüssen führen(§ 18 SchulG M-V).

Die sächsische Mittelschule ist eine differenzierte Schulart (§ 6 Abs. 1 SchulG). Ab Klasse 7 beginnt eine auf unterschiedliche Abschlüsse und Lei-

161 Vgl. Einführung der Förderstufe, in: Schulverwaltung MO. H. 1/1996, S. 28; Schule mit Zukunft. Förderstufe. Der sichere Weg. Information des Kultusmini­steriums Sachsen-Anhalt. 0.0., o.J.; Kramer 1996b.

162 V gl. Das Thüringer Schulgesetz schreibt das gegliederte System fest, in: DLZ. Nr. 29/1993.

177

Page 176: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

stungsentwicklung bezogene Differenzierung(§ 6 Abs. 2 SchulG), die zu den nach erfolgreichem Besuch der 9. und 10. Klasse vergebenen Abschlüssen führt. Es besteht die Möglichkeit, besondere fachliche, z.B. musische, ma­thematisch-naturwissenschaftliche oder sprachliche, Profile einzurichten (§ 6 Abs. 3 SchulG); auch Gymnasien können nach Fachrichtungen profiliert sein (§ 7 Abs. 4 SchulG).

Das Schulgesetz Sachsen-Anhalts weist die Klassenstufen 5 und 6 der Sekundarschule als differenzierende Förderstufe aus, in der die Schüler in Lernschwerpunkte und Anforderungen der nachfolgenden unterschiedlichen Bildungsgänge eingeführt werden sollen. Ab Klasse 7 besuchen Schüler der Sekundarschule leistungsdifferenzierende und unterschiedlich fachprofilierte Hauptschul- und Realschulbildungsgänge. Das Schulgesetz definiert diese unterschiedlich; der Hauptschulbildungsgang soll vorwiegend Schüler an­sprechen, "die den Schwerpunkt ihrer Anlagen und Leistungen im anschau­lich-konkreten Denken und im praktischen Umgang mit den Dingen haben" (§ 5 Abs. 3 SchulG); der Realschulbildungsgang soll auf qualifizierte Tätig­keiten mit erhöhten theoretischen Anforderungen vorbereiten (§ 5 Abs. 3 SchulG). Sofern es nicht möglich ist, Sekundarschulen mindestens zweizügig zu führen, können Schüler bildungsgangübergreifend mit abschlußbezogener Differenzierung unterrichtet werden(§ 5 Abs. 5 SchulG); in diesem Fallließe sich von einer kleinen Gesamtschule sprechen. Gymnasien können mit Zu­stimmung des Kultusministeriums besondere inhaltliche Profile entwickeln (§ 6 Abs. 2 SchulG).

In der Thüringer Regelschule setzt nach den Klassenstufen 5 und 6, die von den Schülern in allen Fächern gemeinsam besucht werden, eine Diffe­renzierung ein(§ 6 Abs. 1 ThürSchulG)163 . Die Schulkonferenz kann darüber entscheiden, ob in einer Regelschule ab der Klassenstufe 7 abschlußbezogene Klassen eingerichtet werden oder ob eine Differenzierung nach Kursen er­folgt (§ 6 Abs. 2 ThürSchulG). Diese Kurse oder Klassen müssen deutlich unterscheidbar auf den Hauptschul- oder den Realschulabschluß hinführen. Ein Wechsel zwischen den niveauverschiedenen Klassen oder Kursen ist bis zum Beginn der Klassenstufe 9 möglich (§ 6 Abs. 4 ThürSchulG). In Thürin­gen besteht die Möglichkeit zur Einrichtung von Spezialgymnasien, z.B. für Musik und Sport. Den Spezialgymnasien für Sport können ab Klassenstufe 7 Klassen angegliedert werden, die zum Hauptschul- oder zum Realschulab­schluß führen(§ 7 Abs. 6 ThürSchulG); dies stellt eine interessante Variante der Leistungs- wie der Neigungsdifferenzierung dar.

Infolge des im Rahmen der KMK am 26. Juni 1992 vereinbarten Kom­promisses über die bundesweite Anerkennung mittlerer Schulabschlüsse wa­ren Sachsen und Thüringen in bezug auf die Mittel- und Regelschule ge­zwungen, die Profilierung der Bildungsgänge ab Klassenstufe 7 in Haupt- und

163 Das VBiG hatte von einer "Differenzierung nach Schwerpunkten" (§ 4 Abs. 3 VBiG) gesprochen.

178

Page 177: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Realschulbildungsgang stärker hervorzuheben164. Unter der Voraussetzung, daß an den neuen Schultypen der Hauptschul- und der Realschulabschluß er­worben werden können und spätestens ab Klasse 7 in auf diese Abschlüsse bezogenen Bildungsangeboten unterrichtet wird, erklärte die KMK die neuen Schulformen für mit der im Hamburger Abkommen vereinbarten Grundstruk­tur der Sekundarstufe vereinbar. Über die Profliierung nach Bildungsgängen in der Sekundarstufe I hinaus ist in den Ländern, die neue Schultypen einge­richtet haben, das Bemühen um Differenzierung innerhalb der Bildungsgänge erkennbar, z.B. durch Einführung von sprachlichen, naturwissenschaftlichen, sportlichen oder anderen Fachprofilen. Im Dezember 1993 verabschiedete die KMK schließlich die Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich 1165• Gemäß dieser Vereinbarung sind die sächsische Mittelschule, die sachsen-anhaltinische Sekundarschule und die thüringische Regelschule nun als gleichwertige Schulformen in der Sekundarstufe I aner­kannt. Mit der Vereinbarung einigten sich die Länder auf gemeinsame Grundmerkmale der Schulen im Sekundarbereich I, so auf einen gemeinsa­men Stundenrahmen, auf eine Struktur der Abschlüsse nach Klasse 9 und Klasse 10 und insbesondere auf deren gegenseitige Anerkennung, soweit sich der Unterricht an den in der Vereinbarung festgelegten Grundsätzen orien­tiert. Damit sind die in den neuen Ländern erworbenen Schulabschlüsse nicht nur mit den KMK-Regelungen prinziEiell vereinbar, sondern werden auch von anderen Bundesländern akzeptiert1 6.

In allen Ländern können im Rahmen der Sekundarstufe I Abschlüsse so­wohl nach der 9. als auch nach der 10. Klasse erworben werden, die entweder nach Art der besuchten Schule oder nach der erworbenen Qualifikation ('Reife') benannt werden. In Brandenburg können Schüler nach erfolgrei­chem Abschluß der 9. Klassenstufe an Gesamtschulen die 'Berufsbil­dungsreife' erhalten, obftleich die Vollzeitschulpflicht zehn Jahre beträgt (§ 20 Abs. 3 BbGSchulG) 67• Eine vergleichbare Regelung gilt für Schüler an

164 Vgl. KMK: Pressemitteilung v. 26.6.1992 über die 259. Plenarsitzung, Anlage I (Beschluß der Kultusministerkonferenz über Schularten/Schulformen und Bil­dungsgänge im Sekundarbereich I); Einigung über Schulabschlüsse, in: F.A.Z. v. 27.6.1992. In Sachsen-Anhalt hatte bereits das Schulreformgesetz vom Juli 1991 für die Sekundarschule ab Klasse 7 in Hauptschul- und Realschulbildungsgang unterschieden.

165 V gl. Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I. Beschluß der 266. Kultusministerkonferenz vom 3.12.1993 (sg22Fu5).

166 Kultusminister einigten sich auf ein "Toleranzedikt", in: F.A.Z. v. 4.12.1993. 167 In § 20 Abs. 3 BbGSchulG heißt es: "Bei Vorliegen der Voraussetzungen für ei­

ne Versetzung in die Jahrgangsstufe 10 wird die Berufsbildungsreife erworben". Der mit dem Hamburger Abkommen der KMK nicht in Einklang stehende Be­griff der 'Berufsbildungsreife', sprachlich angelehnt an die 'mittlere' oder die 'Hochschulreife', entspricht bezogen auf das Abschlußniveau dem Hauptschul­abschluß. Er stellt insofern eine brandenburgische Besonderheit dar, als hier ein Abschluß vergeben wird, für den es in Brandenburg weder eine entsprechende

179

Page 178: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Realschulen und Gymnasien, denen nach erfolgreichem Abschluß der 9. Klasse ein der Berufsbildungsreife vergleichbarer Abschluß zuerkannt wer­den kann(§ 21 Abs. 3 u. § 22 Abs. 3 BbGSchulG/68. In der Sekundarstufe I können je nach Schülerleistung und besuchter Schulart neben der Berufsbil­dungsreife die Erweiterte Berufsbildungsreife, die Fachoberschulreife (Real­schulabschluß) oder die Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe zuerkannt werden (§ 15 Abs. 3 BbGSchulG). Mit Abschluß der Klasse 10 können sich Schüler an Gymnasien auch die Fachoberschulreife (Realschul­abschluß) zuerkennen lassen und eine Berufsausbildung aufnehmen.

In Mecklenburg-Vorpommern werden die Abschlüsse entsprechend der besuchten Schule bzw. des besuchten Bildungsganges nach Abschluß der Klassenstufe 9 (Hauptschulabschluß) bzw. 10 (qualifizierter Hauptschulab­schluß; Realschulabschluß; qualifizierter Realschulabschluß) vergeben (§ 16 Abs. 2 u. 4 SchulG M-V). Die an integrierten Gesamtschulen in der Sekun­darstufe I vergebenen Abschlüsse entsprechen denen der verbundenen Haupt­und Realschule; Schüler an Gymnasien können nach Abschluß der Klassen­stufe 9 bzw. 10 einen dem Hauptschul- bzw. Realschulabschluß gleichgestell­ten Abschluß erwerben(§ 18 Abs. 2 u. § 19 Abs. 3 SchulG M-V). Im Schul­jahr 1993/94 hatten Schüler am Ende der Sekundarstufe I erstmals Abschluß­prüfungen abzulegen. Betroffen waren Gymnasiasten, die nach Abschluß der Klassenstufe 10 das Gymnasium verließen, Realschüler sowie Hauptschüler, die freiwillig die 10. Klasse besuchten und einen Erweiterten Hauptschulab­schluß erwerben wollten. Die Prüfungen, denen der für Realschulen vorgese­hene Unterrichtsstoff zugrunde lag, waren für alle genannten Schülergruppen einheitlich169.

An sächsischen Mittelschulen wird nach der 9. Klasse der Hauptschulab­schluß vergeben; ein qualifizierter Hauptschulabschluß erfordert eine zusätz­liche "besondere Leistungsfeststellung" (§ 6 Abs. 2 SchulG). Der Realschul­abschluß wird nach erfolgreichem Besuch der Klasse 10 und einer bestande­nen Abschlußprüfung erteilt(§ 6 Abs. 2 SchulG).

Der Abschluß des Hauptschulzweiges der sachsen-anhaltinischen Sekun­darschule wird ähnlich wie in Brandenburg als Berufsreife bezeichnet; er wird nach erfolgreichem Abschluß der 9. Klasse zuerkannt. Vergleichbar der säch­sischen Regelung kann nach Ablegen einer zusätzlichen Prüfung der qualifi-

Schulform (Hauptschule) noch eine abschlußbezogene Profliierung in der Ge­samtschule gibt; vgl. hierzu auch: Das Hamburger Abkommen und die neuen Schulgesetze - Irrungen und Wirrungen, in: DLZ. Nr. 38/1991 (Teil 1), Nr. 39/1991 (Teil 2).

168 Die Berufsbildungsreife kann zwar nach Abschluß der Klassenstufe 9 zuerkannt werden, dies jedoch nur "unter der Voraussetzung, daß die Vollzeitschulpflicht (10 Jahre) erfüllt wurde"; MBJS o.J., S. 5. Die Berufsbildungsreife - ein Ab­schluß für Sitzenbleiber?

169 Vgl. Mecklenburg-Vorpommem führt Schulabschlußprüfung in der 10. Klasse ein, in: Schulverwaltung MO. H. 12/1993, S. 253.

180

Page 179: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

zierte Hauptschulabschluß erworben werden, der zum Wechsel in die Klas­senstufe 10 des Realschulbildungsganges berechtigt (§ 5 Abs. 3 SchulG). Zum Erwerb des Realschulbildungsganges ist ebenfalls eine Abschlußprüfung zu absolvieren. Liegen im Schulgesetz nicht näher definierte besondere Lei­stungen vor, kann ein erweiterter Realschulabschluß zuerkannt werden (§ 5 Abs. 3 und 4 SchulG).

In Thüringen werden die Abschlüsse ebenfalls nach den besuchten Bil­dungsgängen differenziert. Nach der 9. Klassenstufe kann der Hauptschulab­schluß, nach Ablegen einer zusätzlichen freiwilligen Prüfung der qualifizierte Hauptschulabschluß170 erworben werden. Den Realschulabschluß können Schüler nach erfolgreichem Besuch der 10. Klasse des Realschulbildungs­ganges und einer zusätzlichen Prüfung erlangen (§ 67 ThürSchulO).

Die Durchlässigkeit der Bildungsgänge, d.h. die Möglichkeit, aus einem Bildungsgang in einen anderen Bildungsgang 'umzusteigen' bzw. durch den Umstieg auch 'aufzusteigen', ist einem gegliederten Schulwesen ein wichtiges Kriterium, an dem die Verwirklichung des Chancengleichheitspostulates ge­messen werden kann. Die Durchlässigkeit der Bildungsgänge kann als Grad­messer für die Frage gesehen werden, wie 'demokratisch' ein Bildungswesen verfaßt ist. In Brandenburg ist die Durchlässigkeit innerhalb der Bildungs­gänge an der Gesamtschule aufgrund ihrer inneren Organisation gegeben. Haben Gesamtschüler oder Realschüler besondere Leistungen erzielt, erhalten sie die Zugangsberechtigung zur gymnasialen Oberstufe(§ 20 Abs. 3 u. § 22 Abs. 3 BbGSchulG)171 . Da die allgemeine Hochschulreife in Brandenburg im Gegensatz zu den anderen neuen Ländern nach 13 Schuljahren vergeben wird, beginnt die Oberstufe hier mit der Klassenstufe 11; somit ist der über die Realschule zur Hochschulreife führende Bildungsgang im Gegensatz z.B. zu Thüringen nicht um ein Jahr verlängert.

Da das Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern keine weiterführenden Bestimmungen hinsichtlich der Übergänge zwischen den Schularten und Schulstufen enthielt, erließ das Kultusministerium gemäß § 24 Abs. 1 SRG Anfang 1992 eine Durchlässigkeitsverordnung172• Dergemäß konnte ein Hauptschüler in die nächsthöhere Klassenstufe einer Realschule wechseln, wenn er im Jahreszeugnis in den Fächern Mathematik, Deutsch und der gewählten Fremdsprache einen Notendurchschnitt von 2,5 oder besser er­reicht hatte und die Klassenkonferenz die Eignung des Schülers für die Real-

170 Diesen bezeichnete § 3 Abs. 3 VBiG zudem als 'Berufsreife'. 171 Hierzu müssen Gesamtschüler zum Abschluß der Klassenstufe 10 mit den Ab­

schlußnoten eine festgelegte Mindest-Punktsumme erzielt und in bestimmten Fä­chern den Erweiterungskurs besucht haben; Realschüler müssen in bestimmten Fächern gute oder befriedigende Leistungen erzielt haben; vgl. Ausbildungs- und Abschlußordnung der Sekundarstufe I im Land Brandenburg v. 3.9.1992, in: GVBl. II S. 600, hier:§ 15 Abs. 7 (Gesamtschule),§ 21 Abs. 3 (Realschule).

172 V gl. Verordnung zur Regelung der Übergänge zwischen den Schularten -Durchlässigkeitsverordnung v. 15.1.1992, in: GVOBL M-V Nr. 2, S. 22.

181

Page 180: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schule bestätigte. Dies galt auch für Schüler mit Hauptschulabschluß, die in die Klassenstufe 10 der Realschule wechseln wollten (§ 2 Abs. 3 Durchläs­sigkeitsverordnung). Eine vergleichbare Regelung traf auf Realschüler zu, die in ein Gymnasium wechseln wollten, wobei für den Übertritt in die Klassen­stufe 9 und höher erforderlich war, daß der betreffende Schüler ab Klasse 7 am Wahlpflichtunterricht in einer zweiten Fremdsprache teilgenommen hatte (§ 2 Abs. 4 Durchlässigkeitsverordnung). Die Einrichtung von Aufbauklassen für Hauptschüler zum Übergang in die Klassenstufe 10 einer Realschule so­wie für Realschüler zum Übergang in die Klassenstufe 11 eines Gymnasiums war möglich (§ 5 Durchlässigkeitsverordnung). Die Durchlässigkeitsverord­nung wurde mit Erlaß des Schulgesetzes obsolet, in das Übergangsregelungen aufgenommen wurden(§ 16 Abs. 3 u. 4 SchulG M-V).

Hat ein Schüler an einer sächsischen Mittelschule den Realschulbil­dungsgang mit sprachlichem Profil erfolgreich absolviert, ist der Übergang in die gymnasiale Oberstufe möglich. Bei Abschlüssen mit anderen Profilierun­gen kann der Bildungsgang an beruflichen Gymnasien fortgesetzt werden, die ebenfalls eine allgemeine Hochschulreife vermitteln173• Realschulabsolventen müssen einen dreijährigen Bildungsgang durchlaufen, d.h. die Klassenstufe 10 wiederholen174.

In Sachsen-Anhalt berechtigt der Erweiterte Realschulabschluß zum Übergang auf ein Fachgymnasium oder in die Klassenstufe 10 des Gymnasi­ums, wodurch sich der Weg zur allgemeinen Hochschulreife für Absolventen des Realschulbildungsganges auf 13 Schuljahre verlängert (§ 5 Abs. 4 SchulG). Mit dem qualifiziertem Hauptschulabschluß der Sekundarschule ist ein Übergang in die 10. Klasse des Realschulbildungsganges möglich. Schü­ler mit erweitertem Realschulabschluß können in die 10. Klasse des Gymna­siums übertreten oder einen dreijährigen Bildungsgang an einem Fachgym­nasium aufnehmen(§ 5 Abs. 4 SchulG)175•

In Thüringen können Schüler der Regelschule nach Abschluß der Klas­senstufen 5 und 6 ebenso wie nach Abschluß der 10. Klasse in das Gymnasi­um übertreten. Vergleichbar dem Übergang aus der Grundschule ist die Auf­nahme vom Erreichen eines festgelegten Notendurchschnitts, von einer Bil­dun~swegempfehlung oder vom Bestehen einer Aufnahmeprüfung abhän­gig1 6• Für Schüler mit qualifiziertem Hauptschulabschluß können besondere

173 Schüler, die die Voraussetzungen für die zweite Fremdsprache noch nicht durch Unterricht in der Sekundarstufe I erfüllt haben, erhalten entsprechenden Fremd­sprachenunterricht im beruflichen Gymnasium; vgl. Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über berufliche Gymnasien im Freistaat Sachsen v. 24.1l.l993, in: SGVBI. S.1185 (Berichtigung v. 1.2.1994 [SGVBI. S. 292]), hier: §§ 11 u. 12.

174 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 121. 175 Vgl. a.a.O. 176 Die Modalitäten für den Übertritt in ein Gymnasium sind im Detail in der Thü­

ringer Schulordnung festgelegt; vgl. §§ 124- 135 ThürSchulO.

182

Page 181: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Klassen eingerichtet werden, die zum Realschulabschluß führen (§ 6 Abs. 6 ThürSchulG). Der Realschulabschluß berechtigt zum Übergang in die Klas­senstufe 10 des Gymnasiums, mit der die Oberstufe beginnt(§ 7 Abs. 1 u. 3 ThürSchulG). Dieser Weg zum Abitur verlängert wie in Sachsen und Sach­sen-Anhalt die Schuldauer auf 13 Jahre.

3.3.3.5 Die Neustrukturierung der gymnasialen Oberstufe

Nach Abschluß der Sekundarstufe I können Schüler ihren Bildungsweg in der Sekundarstufe II fortsetzen. Hierzu zählen neben der gymnasialen Oberstufe die Einrichtungen der beruflichen Bildung. Die berufsbildenden Schulen (z.B. Berufsschulen, Fachschulen, Berufsfachschulen, berufliche Gymnasien) und die gymnasiale Oberstufe bilden den Kern der Sekundarstufe II. Aufgrund der bestehenden KMK-Beschlußlage boten sich den neuen Bundesländern hier nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten eigener Gestaltung und Akzentset­zung. Im Unterschied zur gymnasialen Oberstufe in den westdeutschen Bun­desländern besteht die Möglichkeit, bereits nach zwölf Schuljahren eine all­gemeine Hochschulreife erwerben zu können (Ausnahme: Brandenburg). Die gymnasiale Oberstufe ist prinzipiell Bestandteil aller Gymnasien. Ihr wesent­liches Kennzeichen ist die Aufhebung der Klassenverbände und die Eintei­lung der Fächer in Grund- und Leistungskurse sowie in Pflicht- und Wahlkur­se in den letzten beiden Jahrgängen. Der Erwerb des Abschlusses, der allge­meinen oder fachgebundenen Hochschulreife, ist mit einer Prüfung verbun­den.

In Brandenburg verfügen neben den Gymnasien in der Regel auch die Gesamtschulen über eine gymnasiale Oberstufe (§§ 20, 21 u. 24 BbG SchulG). Darüber hinaus ist die Einrichtung von Oberstufenzentren möglich wie auch die Koppelung gymnasialer Bildung mit beruflichen Ausbildungs­gängen. Schüler der gymnasialen Oberstufe können zwischen unterschiedlich profilierten Aufgabenfeldern wählen; ein sprachlich-literarisch-künstlerisches, ein gesellschaftswissenschaftliches und ein mathematisch-technisch-naturwis­senschaftliches Aufgabenfeld stehen zur Auswahl. Durch die Zuordnung von Pflicht- und Wahlkursen in den Aufgabenfeldern sollen sowohl eine gemein­same Grundbildung als auch eine individuelle Schwerpunktsetzung mit ver­tiefter Bildung möglich sein. Der Erwerb des schulischen Teils der Fachhoch­schulreife ist möglich (§ 24 Abs. 2 u. 3 BBGSchulG).

Auch in Mecklenburg-Vorpommern können Gesamtschulen wie Gymna­sien eine gymnasiale Oberstufe haben(§§ 17 -19 u. 21 SchulG M-V). Schüler können darüber hinaus an Fachgymnasien mit stärker berufsbezogener Orien­tierung und in Einrichtungen des zweiten Bildungsweges (Abendgymnasien) die Hochschulreife erlangen (§§ 22 u. 31 SchulG M-V).

Die gymnasiale Oberstufe in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beginnt in der Klassenstufe 10. In der Einführungsphase wird der Unterricht

183

Page 182: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

im Klassenverband und in den Klassenstufen 11 und 12 im Kurssystem erteilt, in Sachsen-Anhalt auch im Klassenverband. In allen Ländern außer Branden­burg wird die schriftliche Abiturprüfung in Form eines Zentralabiturs durch­geführt177. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern beginnt die gym­nasiale Oberstufe mit dem Eintritt in die Klassenstufe 11; sie umfaßt somit in Mecklenburg-Vorpommern nur zwei Jahre.

Der Erwerb der allgemeinen Hochschulreife nach 12 Unterrichtsjahren entsprach bis 1996 nicht den KMK-Vereinbarungen und war deshalb ein Streitpunkt zwischen den alten und den neuen Ländern. Den vier neuen Bun­desländern, die diese Regelung einführten, wurde zunächst eine Übergangs­frist bis 1996 eingeräumt, bis zu der sie die Abiturbildungsgänge strukturell an die der alten Länder und Brandenburgs anpassen sollten. Nicht zuletzt, weil einige der westdeutschen Länder ihre grundsätzliche Ablehnung des zwölfjährigen Bildungsganges zum Abitur nach und nach aufgaben, wurde die Möglichkeit der Zuerkennung von Hochschulreifezeugnissen nach einem zwölfjährigen Bildungsgang mit einem KMK-Beschluß vom Februar 1994 übergangsweise bis zum Jahr 2000 verlängert178• Vertreter der neuen Länder verteidigen den zwölfjährigen Weg zur allgemeinen Hochschulreife mit dem Argument, ein Vergleich der Stundentafeln zeige, daß in ihren Schulen in zwölf Jahren die gleiche Zahl an Unterrichtsstunden erteilt werde wie in man­chem westdeutschen Bundesland in dreizehn Schuljahren179• Unterstützung erhalten sie dabei von Vertretern der Wirtschaft, die schon seit längerem eine Verkürzung der Bildungszeiten fordern180• Mit zwei Beschlüssen vom 1. De­zember 1995 und vom 24./25. Oktober 1996 einigten sich die in der KMK versammelten Kultusminister schließlich auf eine Regelung, dergemäß das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife zukünftig nach zwölf oder nach 13 Schuljahren vergeben werden kann, wenn in der Sekundarstufe I und in der

177 In Brandenburg erarbeiten diejenigen Lehrkräfte die Abituraufgaben, die in den Abiturprüfungsfächern in der Jahrgangsstufe 13 regelmäßig unterrichtet haben; vgl. § 17 Abs. 1 Prüfungsordnung für die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe (PO-GüST) v. 27.7.1993 (GVBl. II S. 592), geä. durch VO v. 2.3. 1994 (GVBl. II S. 272).

178 Auf der 267. Plenarsitzung der KMK am 24./25.2.1994 kamen "die Ministerin­nen und Minister in Verlängerung des bisherigen Moratoriums überein, daß die Zeugnisse der allgemeinen Hochschulreife, die in den Ländern Mecklenburg­Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach 12jähriger Schulzeit bis zum Jahr 2000 unter den vereinbarten Bedingungen erworben werden, zum Studium aller Fachrichtungen an den deutschen Hochschulen berechtigen"; KMK: Pressemitteilung v. 25.2.1994, S. 4 (Hervorh. i. Orig.). Vgl. auch Ent­scheidung über kürzere Schulzeit?, in: F.A.Z. v. 25.3.1993.

179 So z.B. der thüringische Kultusminister Althaus; vgl. Kritik an der Oberstufenre­form, in: F.A.Z. v. 17.12.1994.

180 Vgl. z.B. Differenzierung, Durchlässigkeit, Leistung 1992, S. 10.

184

Page 183: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gymnasialen Oberstufe eine Gesamtzahl von mindestens 265 Wochenstunden erteilt wurde181 •

3.3.3.6 Möglichkeiten besonderer Profilierung von Schulen

Der Profliierung einer Schulart dient nicht nur die Möglichkeit, Wahl- oder Vertiefungsmöglichkeiten zuzulassen, wie dies z.B. an Gesamtschulen, ge­samtschulähnlichen Schulen wie den Mittel-, Sekundar- oder Regelschulen oder an gymnasialen Oberstufen der Fall ist. Zur Profilierung des Schulwe­sens eines Bundeslandes können darüber hinaus die Förderung von Schulver­suchen, die Zulassung und Unterstützung von Schulen in freier Trägerschaft, die besonderen pädagogischen, methodischen oder didaktischen Ansätzen verpflichtet sind, und die Einrichtung staatlicher Schulen mit besonderen All­forderungsprofilen als Möglichkeit zur Begabtenförderung beitragen.

Hinsichtlich der besonderen Profilierung von Schulen haben die neuen Bundesländer gesetzgeberisch in unterschiedlicher Weise reagiert. Das bran­denburgische 1. SRG hatte eine Regelung enthalten, dergemmäß ehemalige Kinder- und Jugendsportschulen sowie Spezialschulen "als Gesamtschulen, Gymnasien oder Realschulen eigener Art fortgeführt werden" konnten (§ 21 Abs. 3 - 1. SRG), sofern ihr pädagogisches und organisatorisches Konzept genehmigt wurde. Im Schulgesetz vom April 1996 ist eine solche Bestim­mung nicht mehr enthalten; die bereits genehmigten Schulen können als Schulen mit besonderer Prägung fortgeführt werden182• Im Rahmen von Schulversuchen können Versuchsschulen errichtet werden, die sich in Aufbau und Gliederung sowie in der Unterrichtsorganisation und den didaktisch­methodischen Konzepten von den vorhandenen Schulen unterscheiden (§ 8 BbGSchulG)183 • 1994 gab es in Brandenburg 18 Modellversuche, 15 von ih­nen BLK-gefördert. Die Projekte reichen vom Umweltlernen in der Grund­schule über die Berufsausbildung nach BBiG mit Fachhochschulreife bis hin zu einer im Jahr 1994 genehmigten Jena-Plan-Versuchsschule. Die Modell­versuche sind zum Teil wissenschaftlich begleitet184• Für Schülerinnen und

181 So lautete die Kernaussage des 'Mainzer Beschlusses' der KMK v. 1.12.1995: "Unter folgenden Voraussetzungen wird das Abitur nach einer Gesamt-Schulzeit von 12 Jahren anerkannt: Zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife ist ein Gesamtstundenvolumen von mindestens 265 Wochenstunden ( ... ) für die Sekun­darstufe I und die gymnasiale Oberstufe nachzuweisen. Dabei ist den einschlägi­gen Vereinbarungen der KMK in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu ent­sprechen". KMK: Pressemitteilung v. 25.10.1996, S. 4.

182 Vgl. § 143 BbGSchulG: "Schulen, denen eine Genehmigung gemäߧ 21 Abs. 3 des Ersten Schulreformgesetzes erteilt worden ist, können abweichend von § 8 Abs. 4 Satz 1 als Schulen mit besonderer Prägung fortgeführt werden".

183 Bis 1996 § 20- l. SRG. 184 Vgl. Modellversuche im Land Brandenburg (Stand: September/Oktober 1994).

Information des MBJS Brandenburg mit Schreiben an den Verfasser v. 20.4. 1995.

185

Page 184: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Schüler im Siedlungsgebiet der Sorben gelten besondere Regelungen hin­sichtlich der Vermittlung von Sprache, Geschichte und Kultur dieser Volks­gruppe im Rahmen schulischen Unterrichts(§ 5 BbGSchulG).

Das Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern enthielt keine Regelungen zur Erhaltung, Einrichtung oder Förderung von Klassen oder Schulen mit besonderem LeistungsprofiL Die Zulassung von Schulen in freier Trägerschaft richtete sich bis 1996 nach dem fortgeltenden DDR­Verfassungsgesetz über Schulen in freier Trägerschaft vom 22. Juli 1990, zu dem im Juli 1992 eine Ordnung für Schulen in freier Trägerschaft erlassen wurde185• Zu Schulversuchen und deren möglicher wissenschaftlicher Beglei­tung traf das Schulreformgesetz ebenfalls keine Aussagen. Aber auch auf der Basis der vorhandenen Rechtsregelungen konnten seit 1991 aus ehemaligen Spezialschulen hervorgegangene fachlich profilierte Gymnasien eingerichtet und Schulversuche, beispielsweise zu ökologischen und informationstechni­schen Fragestellungen, aufgenommen werden186• Das Schulgesetz vom Mai 1996 enthält ausführliche Bestimmungen zur Einrichtung von Schulversuchen und Versuchsschulen sowie zu deren wissenschaftlicher Begleitung (§ 38 SchulG M-V).

An säebischen Mittelschulen und Gymnasien können, abhängig von der Schulgröße und der Zahl der Züge, besondere, z.B. sprachliche, mathema­tisch-naturwissenschaftliche, musische oder sportliche Profile entwickelt wer­den (§ 6 Abs. 3 und § 7 Abs. 3 SchulG). An Schulen im deutsch-sorbischen Gebiet kann Sorbisch als Muttersprache, als Zweitsprache oder als Fremd­sprache angeboten und zudem in ausgewählten Fächern Unterricht in sorbi­scher Sprache erteilt werden, soweit die Erziehungsberechtigten dies wün­schen (§ 2 Abs. 2 SchulG)187. Schulversuche sind zu genehmigen und regel­mäßig wissenschaftlich zu begleiten (§ 15 SchulG). Ende 1994 gab es in Sachsen zwölf BLK-geförderte Modellversuche sowie drei Projekte, die bei der BLK zur Förderung durch den Bund angemeldet waren. Einige der Mo-

185 V gl. Ordnung für Schulen in freier Trägerschaft Runderlaß der Kultusministerin v. 31.7.1992, in: Mittbl. M-V KM 1993 Nr. 6 S. 126.

186 Im Land Mecklenburg-Vorpommem gab es (Stand: 1995) sieben Modellversu­che in allgemeinbildenden und fünf Modellversuche in berufsbildenden Schulen; Information des Kultusministeriums Mecklenburg-V orpommem mit Schreiben an den Verfasser v. 13.4.1995; Modellversuche verbessern die Qualität des Bil­dungsangebots, in: Schulverwaltung MO. Nr. 10/1992, S. 214.

187 Zudem enthält § 2 Schu1G die Regelung, daß an allen sächsischen Schulen Grundkenntnisse der sorbischen Geschichte und Kultur zu vermitteln sind. Bran­denburg und Sachsen haben in Cottbus (BB) und Bautzen (SN) je ein sorbisches Gymnasium eingerichtet (Stand: 1993); vgl. Schüler drängen in sorbisches Gym­nasium, in: DLZ. Nr. 4611993.

186

Page 185: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

deliversuche werden in Kooperation mit anderen Bundesländern, z.B. mit Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, durchgeführt188.

Mit Genehmigung des Kultusministeriums konnten in Sachsen-Anhalt ehemalige Spezialschulen in Gymnasien mit besonderen inhaltlichen Schwer­punkten überführt werden(§ 6 Abs. 2 SchulG). Der Zugang zu diesen Schu­len kann vom Bestehen einer besonderen Aufnahmeprüfung abhängig sein189.

Die Zulassung von Schulversuchen bedarf in Sachsen-Anhalt der Genehmi­gung durch die oberste Schulaufsichtsbehörde (§ 11 SchulG). Zur wissen­schaftlichen Begleitung von Schulversuchen trifft das Schulgesetz keine Aus­sage. Sieben BLK-Versuche wurden Ende 1994 durchgeführt, u.a. zur Um­welterziehung oder zum kooperativen Lernen im Berufsschulunterricht Auch die Einrichtung einer Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen (RAA) gehörte zu den von der BLK unterstützten Projekten190. Zusätzlich unterhält das Land fünf weitere Modellversuche, mit denen Möglichkeiten des Sprach­unterrichts an Grundschulen und berufsbildenden Schulen, der erweiterte Ein­satz informationsverarbeitender Technologien im Unterricht und die Ausge­staltung des Hauptschulbildungsganges an Sekundarschulen untersucht wer­den191.

In Thüringen können Spezialklassen an Gymnasien oder anderen Schulen eingerichtet werden, die ausdrücklich der Begabtenförderung dienen (§ 4 Abs. 5 ThürSchulG)192• Die Bildungsgänge an Spezialgymnasien für Musik und Sport können gegenüber Normalgymnasien um ein Jahr verlängert wer­den, Sportgymnasien können darüber hinaus ab Klassenstufe 7 auf den Real­schulabschluß oder auf den Hauptschulabschluß bezogene Klassen angeglie­dert werden(§ 7 Abs. 6 ThürSchulG). Die Aufnahme in ein Spezialgymnasi­um ab Klasse 5 oder in eine Spezialklasse ab Klasse 9 ist vom Bestehen einer Eingangsprüfung abhängig. Spezialgymnasien bestehen in Thüringen für Musik und für Sport; Spezialklassen an Gymnasien sind ebenfalls für Musik und für erweiterten mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht einge­richtet193. In Thüringen sind Schulversuche möglich, die an besonderen Ver-

188 Information des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus mit Schreiben an den Verfasser v. 11.4.1995. Vgl. auch Modellversuche im Schuljahr 1995/96, in: Schulverwaltung MO. H. 1111995, S. 315.

189 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 122. 190 Die RAA e.V. hat insgesamt 17 regionale Arbeitsstellen eingerichtet, deren Ar­

beit von Berlin aus koordiniert und beaufsichtigt wird. Innerhalb der einzelnen RAA werden verschiedene BLK-geförderte Projekte durchgeführt.

191 Information des Kultusministeriums Sachsen-Anhalt mit Schreiben an den Ver­fasser v. 28.4.1995; vgl. auch Weit über den Lehrplan hinaus, in: F.A.Z. v. 2.11.1994.

192 Vgl. § 140 ThürSchulO. 193 Vgl. §§ 143 - 147 ThürSchulO sowie die Anlagen 6 - 9 (Stundentafeln) zur

ThürSchu10. Der Spezialmusikunterricht an Musikgymnasien wird von Hoch­schullehrern und Lehrbeauftragten der Hochschule für Musik erteilt; vgl. § 143 ThürSchulO.

187

Page 186: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

suchsschulen durchgeführt werden. Sie sind grundsätzlich wissenschaftlich zu begleiten und nur zulässig, wenn in die Schulversuche einbezogene Schüler die auch an anderen Schulen vergebenen oder vergleichbare Abschlüsse er­werben können (§ 12 ThürSchulG). Ende 1994 liefen in Thüringen sechs Modellversuche, die Mehrzahl von ihnen an Berufsschulen194•

3.3.3.7 Schulen in freier Trägerschaft

Bis die Länder in der Lage waren, selbst gesetzgeberisch tätig zu werden, lag mit dem Verfassungsgesetz über Schulen in freier Trägerschaft vom Juli 1990 eine rechtliche Basis für die Errichtung von Schulen in nichtstaatlicher Trä­gerschaft vor195 . Als praktisches Problem stellte sich jedoch bald die prekäre Haushaltslage der neuen Bundesländer heraus, auf deren Unterstützung priva­te Schulen angewiesen waren, zumal zunächst nicht zu erwarten war, daß El­tern private Schulen mit größeren finanziellen Zuwendungen unterstützen konnten. Vertreter nichtstaatlicher Schulen empfanden zudem die aus ihrer Sicht restriktive Schulreformgesetzgebung in den neuen Ländern als Hemm­nis; durch sie würde die Neugründung privater Schulen in einem Umfang, der der hohen Nachfrage gerecht werden könne, verhindert196 . Die in den neuen Bundesländern geschaffenen rechtlichen Grundlagen für Schulen in nicht­staatlicher Trägerschaft entsprechen im wesentlichen den westdeutschen Pri­vatschulgesetzen.

Das Land Brandenburg hatte bis zur Ablösung des Ersten Schulreformge­setzes durch das Schulgesetz das Gesetz über die Privatschulen des Landes Berlin einschließlich der diesbezüglichen Verordnungen übernommen(§ 62-1. SRG)197. Seit Irrkrafttreten regelt das brandenburgische Schulgesetz in den §§ 117 - 128 Stellung, Trägerschaft, Genehmigung, Aufsicht und Finanzie­rung der Schulen in freier Trägerschaft In Mecklenburg-Vorpommern wur­den zunächst Teile des DDR-Verfassungsgesetzes über Schulen in freier Trä­gerschaft als fortgeltendes Recht übernommen (§ 29 SRG); eine ergänzende Ordnung über Schulen in freier Trägerschaft wurde im Jahr 1992 erlassen198.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurden, vergleichbar Brandenburg, aus-

194 Information des Thüringer Kultusministeriums mit Schreiben an den Verfasser v. 12.4.1995.

195 Das Verfassungsgesetz galt nach Art. 9 EV als Landesrecht unbefristet fort und erfüllte auch die an fortgeltendes Recht zu stellenden Kriterien; vgl. Welchen Geist atmen die neuen Schulgesetze?, in: DLZ. Nr. 22/1991; Hage 1991.

196 Vgl. Waldorf-Schulen sehen sich im Osten benachteiligt, in: FR v. 29.4.1991; Schulgründer haben es schwer, in: F.A.Z. v. 11.7.1994

197 Vgl. Gesetz über die Privatschulen und den Privatunterricht (Privatschulgesetz) i.d.F. v. 13.10.1987 (GVBl. Berlin S. 2458), zuletzt geändert am 10.12.1990 (GVBl. S. 2291). § 63- 1. SRG regelt einige Maßgaben zu diesem Gesetz.

198 Vgl. Ordnung über Schulen in freier Trägerschaft RdErl. der KM v. 31.7.1992 (Mittbl. M-V KM 1993 Nr. 6 S. 126).

188

Page 187: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

führliehe Bestimmungen zu Schulen in nicht-staatlicher Trägerschaft in das Schulgesetz aufgenommen (§§ 116 - 131 SchulG M-V). In Sachsen ~ibt es das Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft vom 4. Februar 19921 9, das die Bestimmungen des Schulgesetzes zu den nichtstaatlichen Schulen ergänzt. Die von Betroffenen als ungenügend empfundene finanzielle Unterstützung der nichtstaatlichen Bildungseinrichtungen in Sachsen waren bereits Gegen­stand der Kritik200. Die im sachsen-anhaltinischen Vorschaltgesetz zum Schulgesetz bereits enthaltenen ausführlichen Regelungen zu Schulen in freier Trägerschaft (§§ 14-18 SRG) wurden im Schulgesetz vom 30. Juni 1993 er­gänzt; daher gibt es kein eigenes Privatschulgesetz. Insbesondere schrieb das Schulgesetz den Grundsatz der Gleichrangigkeit von Schulen in freier Träger­schaft und öffentlichen Schulen fest. In Sachsen-Anhalt erhalten Schulen in freier Trägerschaft Finanzhilfen erst nach erfolgter staatlicher Anerkennung, die, sofern nicht ein öffentliches Interesse besteht oder ein Schulträger die Anerkennungsvoraussetzungen nicht bereits an einer anderen Schule im Land erbracht hat, regelmäßig nach dreijährigem ununterbrochenem Betrieb erteilt wird (§ 17 Abs. 1 u. 2 SchulG). Als Finanzhilfe werden 90 % der laufenden Personalkosten vom Land übernommen sowie Sachmittelzuschüsse gewährt (§ 18 Abs. 2 SchulG). In Thüringen wurde zunächst eine Rechtsvorschrift zu Schulen in freier Trägerschaft in das Vorläufige Bildungsgesetz aufgenom­men (§ 14 VBiG), nach der nichtstaatliche Schulen als Ersatz- oder Ergän­zungsschulen errichtet werden konnten. Finanziell waren sie nach Maßgabe des Landeshaushaltes durch Übernahme der Personalkosten in der Höhe, wie sie auch für Schüler an staatlichen Schulen entstanden, zu unterstützen (§ 14 Abs. 4 VBiG). Diese Regelung war bis zum Erlaß des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft (ThürSchiTG) am 23. März 1994 gül­tig201. Demgemäß müssen Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft (Ersatz­oder Ergänzungsschulen) eine zweijährige Wartefrist erfüllen, bis sie Fi­nanzhilfe beantragen können (§ 15 Abs. 2 ThürSchiTG). Die Wartefrist ent­spricht der in Sachsen geltenden Regelung. Schulen, die Finanzhilfen bean­tragen können, erhalten Zuschüsse zu den Personal-, Bau- und Sachkosten (§ 15 Abs. 1 ThürSchiTG).

199 Vgl. Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (SächsFrTrSchulG) v. 4.2.1992 (SGVBI. Nr. 4 S. 37), geändert durch Gesetz v. 15.7.1994 (SGVBI. Nr. 48 S. 1435).

200 Vgl. z.B. Verordnung gefährdet Sachsens Freie Schulen, in: DLZ. Nr. 41/1992. Die Höhe der Zuschüsse richtet sich nach der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die Gewährung von Zuschüssen für Schulen in freier Trä­gerschaft v. 29.7.1993; in: SGVBI. S. 617. Die Kritik richtet sich vornehmlich gegen§ 14 Abs. 2 SächsFrTrSchulG, nach dem Zuschüsse erst zwei Jahre nach Aufnahme des Unterrichtsbetriebes gewährt werden.

201 Vgl. Thüringer Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (ThürSchffG) v. 23.3.1994 (GVBI. S. 323). Die Höhe der finanziellen Unterstützung wurde ge­genüber der vorher bestehenden Regelung nicht verändert; vgl. § 16 Thür SchffG.

189

Page 188: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Wie in verschiedenen westdeutschen Bundesländern ist es für potentielle Privatschulgründer in den neuen Bundesländern äußerst problematisch, daß ihre Schulen nicht bereits mit Genehmigung Anspruch auf finanzielle Unter­stützung haben202. Steht in solchen Fällen hinter den Gründern keine Organi­sation, die, falls notwendig, eine Zwischenfinanzierung ermöglicht, kann dies ein Privatschulprojekt bereits im Ansatz gefährden. Es ist realistischerweise nicht zu erwarten, daß Eltern in der Lage sind, in dieser Phase die Finanzie­rung zu übernehmen. Dennoch haben sich im Bereich des allgemeinbildenden Schulwesens einige kirchlich getragene Schulen, freie Waldorfschulen und sonstige nichtstaatliche Schulen zu etablieren vermocht203.

Ende 1994 gestaltete sich die Situation der allgemein- und berufsbilden­den Schulen in den neuen Ländern wie folgt: In Brandenburg gab es 55 Schulen in freier Trägerschaft, davon 35 genehmigte Ersatzschulen und 13 Ergänzungsschulen. Unter den Ersatzschulen befanden sich vier Gymnasien, acht Grund- und Gesamtschulen, darunter vier Freie Waldorfschulen, sowie acht Fachschulen204. In Mecklenburg-Vorpommern wurden bis Ende 1994 im allgemeinbildenden Bereich zwei Grundschulen (beide Waldorfschulen), eine Hauptschule, zwei Gymnasien und sechs sonderpädagogische Einrichtungen sowie zehn berufsbildende Schulen und ein Berufsvorbereitungsjahr in nichtstaatlicher Trägerschaft eingerichtet205. In Sachsen existierten insgesamt 53 Bildungseinrichtungen in nichtstaatlicher Trägerschaft, darunter drei Wal­dorfschulen. 22 der nichtstaatlichen Schulen waren berufsbildende Einrich­tungen206. In Sachsen-Anhalt gab es eine Montessori-Schule, zwei Waldorf­schulen, fünf Gymnasien, drei Sonderschulen und ein Kolleg in privater Trä-

202 Vgl. Schulgründer haben es schwer, in: F.A.Z. v. 11.7.1994; Nachteile gegen­über Landesschulen kritisiert, in: DLZ. Nr. 711994. Allerdings kann z.B. in Sach­sen von diesem Grundsatz abgewichen werden, wenn "es sich um einen Schul­träger handelt, der bereits Träger einer genehmigten Ersatzschule im Freistaat Sachsen ist"(§ 14 Abs. 2 SächsFrTrSchulG), was zumindest auf die katholische und die evangelischen Kirchen zutreffen dürfte.

203 Ein Vergleich mit den alten Bundesländern verdeutlicht jedoch den erheblichen Nachholbedarf, den die neuen Länder hinsichtlich der Schulen in freier Träger­schaft aufweisen. Im Jahr 1994 besuchten in Westdeutschland 458.600 Schüler private allgemeinbildende Schulen, in den neuen Ländern lag ihre Zahl bei 14.600. Etwas günstiger war die Relation bei den privaten beruflichen Schulen mit 122.000 (alte Länder) zu 9.500 (neue Länder) Schülern. Bei den Schulen be­trug das Verhältnis (1994) 1.968 zu 114 bei allgemeinbildenden und 1.205 zu 140 bei berufsbildenden Einrichtungen; vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.) 1995b, S. 42f., S. 64f.

204 Stand: 1.9.1994. Information des MBJS Brandenburg mit Schreiben an den Ver­fasser v. 20.4.1995.

205 Information des Kultusministeriums Mecklenburg-Vorpommern mit Schreiben an den Verfasser v. 13.4. 1995.

206 Information des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus mit Schreiben an den Verfasser v. 11.4.1995.

190

Page 189: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gerschaft. Hinzu kamen 122 nichtstaatliche berufsbildende Einrichtungen207 .

In Thüringen existierten Ende 1994 27 allgemeinbildende und 47 berufsbil­dende Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft. Die Zahl der allgemein­bildenden Schulen setzt sich aus 16 Förderschulen, zwei katholischen und drei evangelischen Gymnasien, zwei Freien Waldorfschulen und vier Grund­und Regelschulen, davon einer Montessori-Schule, zusammen208.

Ein großer Teil der allgemeinbildenden Schulen in freier Trägerschaft sind Sonder- bzw. Förderschulen, die ganz überwiegend von den Kirchen ge­tragen werden und sich teilweise schon vor 1990 in kirchlicher Trägerschaft befanden209• Die neu- oder wiedergegründeten Einrichtungen sind überwie­gend kirchliche Einrichtungen210, Waldorfschulen und berufsbildende Schu­len, wobei der Betrieb letzterer oftmals von den finanziellen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit abhängig ist211 • Gerade bei den neugegründeten und sich noch im Aufbau befindlichen Schulen darf nicht übersehen werden, daß der Unterricht oft erst mit einzelnen Klassen aufgenommen wurde und im Verlauf der kommenden Schuljahre sukzessiv um weitere Klassenstufen er-

207 Stand: Schuljahr 1994/95. Information des Kultusministeriums Sachsen-Anhalt mit Schreiben an den Verfasser v. 28.4.1995 (Nichtstaatliche berufsbildende Einrichtungen: Stand 1995). Im Jahr 19?.5 stieg die Zahl der allgemeinbildenden Privatschulen von zwölf auf 13; vgl. Uber 130 genehmigte Privatschulen, in: Schulverwaltung MO. H. 1211995, S. 340.

208 Stand: 1.3.1995. Information des Thüringer Kultusministeriums mit Schreiben an den Verfasser v. 12.4.1995.

209 Anfang 1992 waren etwa die Hälfte der bestehenden Schulen in freier Träger­schaft sonderpädagogische Einrichtungen; vgl. Markgraf 1992, S. 115f.

210 So verfügt die katholische Kirche in den neuen Bundesländern über insgesamt 33 Bildungseinrichtungen, darunter drei Grundschulen, neun Gymnasien, sieben Sonderschulen und sechs berufsbildende Schulen; vgl. Katholische Schulen in den neuen Bundesländern. Information der Zentralstelle Bildung der Deutschen Bischofskonferenz mit Schreiben an den Verfasser v. 11.4.1995; Zum Beispiel Schulen, in: DS. Nr. 3311994. Die Situation der evangelischen Kirchen ist in be­zug auf Bildungseinrichtungen in ihrer Trägerschaft als heterogen zu bezeichnen. Während die Evangelisch-Lutherische Kirche Sachsen u.a. eine Fachhochschule und eine Zahl von Bildungseinrichtungen im Bereich des Fachschulwesens trägt und darüber hinaus in der Lage war, seit 1990 mehrere allgemeinbildende Schu­len zu eröffnen, verfügen die Evangelische Landeskirche Anhalts, die Pommer­sehe Evangelische Kirche und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Meck­lenburgs noch nicht über allgemeinbildende Schulen in eigener Trägerschaft Die Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz hat 1992 ein Gymnasium in Hoyerswerda gegründet; Information der genannten Kirchen mit Schreiben an den Verfasser v. 9.5.1995 (Anhalt), 10.4.1995 (Pommern), 6.4. 1995 (Mecklen­burg), 29.6.1995 (Oberlausitz).

211 Vgl. Privatschulen - Verband setzt auf Qualität, in: DLZ. Nr. 4811992. Im Jahr 1993 wurden bei 30 bestehenden Schulen in freier Trägerschaft im Land Thürin­gen alleine für die Zulassung berufsbildender Schulen in freier Trägerschaft über 100 Anträge eingereicht; vgl. Gesetzentwurf für freie Schulen, in: DLZ. Nr. 5111993; Thüringer Landtag verabschiedete Privatschulgesetz, in: DLZ. Nr. 11/1994.

191

Page 190: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

weitert werden soll212• So gestaltet sich der Wiederaufbau einer bunten Land­schaft nichtstaatlicher Schulen in den neuen Bundesländern langwierig und schwierig. Weniger rechtliche als ökonomische Probleme sind die Ursache dafür, daß der Anteil nichtstaatlicher Schulen an der Gesamtzahl der Bil­dungseinrichtungen noch immer marginal ist213 • Daß es nur mühsam gelingt, an die regionalen reformpädagogischen Traditionen der ostdeutschen Länder anzuknüpfen, mag auch darin begründet liegen, daß diesbezügliche Traditi­onslinien durch die nationalsozialistische und die sich hieran anschließende 'Diktatur des Proletariats' mehr als fünfzig Jahre unterbrochen waren214.

3.3.3.8 Die Folgen des strukturellen Umbaus und die Veränderung der Rahmenbedingungen

Der strukturelle Umbau des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems und die veränderten Rahmenbedingungen betrafen und betreffen die neuen Länder in unterschiedlicher Weise. Vielfach fanden die Länder aber auch vergleich­bare Probleme vor, die nach und nach gelöst werden mußten. Die Gebäude der Schulen, als ehemalige POS überwiegend auf Zweizügigkeit ausgelegt, besaßen durchschnittlich ca. 25 Unterrichtsräume; sie waren den Bedürfnis­sen der neuen Schularten anzupassen und einzurichten. An nicht wenigen Ge­bäuden waren Bauschäden zu beseitigen. Häufig fehlten Schulen die erfor­derlichen Fachunterrichtsräume. Fachunterricht mußte daher oftmals in ande­ren Gebäuden außerhalb einer Schule erteilt werden, was pädagogische, or­ganisatorische und aufsichtsrechtliche Probleme mit sich brachte. Eltern wa­ren über die Neuordnung des Schulwesens, über die Aufgaben und Anforde­rungsprofile der Schultypen, über Zugangsvoraussetzungen, Übergänge und Abschlüsse zu informieren, um für ihre Kinder die jeweils angemessene Schulform auswählen zu können215•

212 So wurde z.B. die Schülerzahl eines katholischen Gymnasiums in Erfurt für das Schuljahr 1992/93 mit 152 angegeben, die sich auf die Klassenstufen 5 und 6 verteilten; vgl. Wird an katholischen Schulen mehr gelernt?, in: DLZ. Nr. 1211993.

213 Dies zeigt der Vergleich mit den westdeutschen Bundesländern am Beispiel all­gemeinbildender Schulen. In den alten Ländern lag der Anteil nichtstaatlicher Einrichtungen im Jahr 1994 bei 1.968 von 33.400 Schulen insgesamt (5,9 %); in den neuen Ländern betrug ihr Anteil ca. 1,1 % (114 von 9.850 Schulen); vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.) 1995c, S. 42 u. eig. Berechnungen.

214 Zur Kritik an den rechtlichen Rahmenbedingungen der Schulen in freier Träger­schaft in den neuen Bundesländern vgl. Vogel 1992. Auch der Hinweis auf die Unterbrechung der Traditionslinien findet sich dort; vgl. a.a.O., S. 305.

215 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S.113f.; zu den Schulgebäuden vgl. Klemm/Böttcher/Weegen 1992, S. 105ff.; Baumbach 1992, s. 262.

192

Page 191: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die Schulentwicklungsplanung für ein differenziertes Schulsystem berei­tet in dünnbesiedelten Regionen besondere Probleme. Werden im Sekundar­bereich I zwei bis vier unterschiedliche Schulformen angeboten, so erfordert dies große Schülerpopulationen, sofern nicht einzügige Schulen in Kauf ge­nommen werden. In dünn besiedelten Flächenländern, und alle neuen Länder mit Ausnahme Sachsens und einiger dichter besiedelter Regionen in Thürin­gen und Sachsen-Anhalt haben eine unterdurchschnittliche Besiedlungsdichte, führt dies zu großen Schuleinzugsgebieten, langen Schulwegen und hohen fi­nanziellen Belastungen der Kommunen durch den Schülertransport Eine Al­ternative hierzu bestände in der Errichtung kleinerer, wohnortnaher integrier­ter Schulen. Diese führen, auch bei einer - nicht unumstrittenen - Einführung jahrgangsübergreifenden Unterrichts wiederum zu einem größeren Perso­nalbedarf, aber nicht zu der erwünschten Kostenreduzierung2u'.

Das geringe Zeitbudget, das für die Planung, Gesetzgebung und prakti­sche Umsetzung der Strukturreformen in den neuen Ländern zur Verfügung stand, erforderte eine Vielzahl von Übergangslösungen. Sachsen hatte zwar als erstes der neuen Länder bereits 1991 ein Schulgesetz verabschiedet; die Umstrukturierung des Schulwesens geschah hier jedoch erst zum Schuljahr 1992/93. Somit wurden die überkommenen Strukturen des DDR-Schulwesens durchgängig ein Jahr länger als in den anderen Ländern beibehalten. Auch in Brandenburg blieben die Klassenstufen 9 und 10 der POS zunächst bestehen; das Land vollzog die Neuordnung der EOS zur gymnasialen Oberstufe erst zum Beginn des Schuljahres 1992/93. Generell erfolgte die Einrichtung von Gymnasien in den neuen Ländern durch Umwandlung der EOS zu gymnasia­len Oberstufen, die anschließend um die niedrigeren Klassenstufen ergänzt wurden. In einigen der neuen Länder wurde noch bis 1993 die Abiturprüfung nach der EOS-Prüfungsordnung abgelegt, was manchen Betroffenen befürch­ten ließ, sein Abiturzeugnis werde möglicherweise nicht als vollwertig aner­kanne17.

Lehrerinnen und Lehrer waren fachlich und politisch zu evaluieren, auf die Anforderungen der neuen Schulformen vorzubereiten und für die neuen Fächer, insbesondere die FremdsJ'rachenangebote und die historisch­politische Bildung, weiterzubilden21 • Zudem waren diejenigen Lehrerinnen und Lehrer auszuwählen, die aufgrund fehlender fachlicher oder persönlicher Eignung oder - sehr viel schwieriger - aufgrund fehlenden Bedarfs entlassen

216 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 114. 217 Vgl. zu Brandenburg § 21 - 1. SRG, zu Sachsen Ein Reifezeugnis der alten

Schule, in: Leipziger Volkszeitung v. 15.3.1993. 218 Zur strukturellen und organisatorischen Gestaltung der Lehrerfortbildung in den

neuen Ländern und Berlin vgl. Fuhrmann/Röpke 1995. Zu den besonderen Pro­blemen der Neu- und Nachqualifizierung von Lehrkräften im Bereich politisch­sozialkundlicher Bildung vgl. Krause/v. Olberg 1996.

193

Page 192: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

werden sollten219• Mangelnder Bedarf und politische Disqualifizierung waren die überwiegenden Begründungen für die ausgesprochenen Kündigungen. Der Abbau von Lehrerstellen vollzog sich im wesentlichen zwischen 1991 und 1993 und betraf außer in Brandenburg durchschnittlich rund 20 % des Personalbestandes von 1990. Die in den anderen neuen Ländern vorgesehene Zahl von Stellenkürzungen konnte teilweise durch Teilzeitregelungen aufge­fangen werden220. Das brandenburgische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport erreichte 1991 in einer nicht unumstrittenen 'Solidaritätsaktion', daß auf bedarfsbedingte Kündigungen weitestgehend verzichtet werden konnte221 . Die Lehrer erhielten das 'Angebot', ihr Stundendeputat bei anteili­ger Gehaltskürzung auf 80 % zu reduzieren. 94 % der Lehrer stimmten schließlich dieser Lösung zu. Umstritten war insbesondere, daß die Ministerin in ihrem Ankündigungsschreiben die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei etwaiger Ablehnung des Vertrages angedroht hatte222•

219 Im Detail zu den Lehrerüberprüfungen und Stellenreduzierungen, insb. zu deren rechtlichen Grundlagen vgl. Schmidt, W. 1992.

220 In Mecklenburg-Vorpommern wurden von ehemals ca. 25.000 Lehrern etwa 4.200 entlassen. Zum 30.3.1993 wurde die Lehrerzahl in Mecklenburg­Vorpommern mit 20.803 angegeben; vgl. 4.200 Kündigungen in Mecklenburg, in: DLZ. Nr. 1411992; Kultusministerium Mecklenburg-Vorpommern: Pressemit­teilung v. 5.7.1993. Nachdem sich die Lehrerzahl in Sachsen von 1989 bis Mitte 1991 bereits von 56.000 auf 52.000 verringert hatte, beabsichtigte die Landesre­gierung, bis zum Jahresende 1991 weitere 10.000 Lehrer zu entlassen; für das Jahr 1992 war die Einrichtung von 41.500 festen Planstellen vorgesehen. Durch Teilzeitangebote war es einer insgesamt höheren Zahl von Lehrern möglich, im Schuldienst zu verbleiben; vgl. Sachsen entläßt 10.000 Lehrer, in: FAZ v. 10.9.1991; 41500 Lehrerstellen für Sachsen, in: F.A.Z. v. 6.5.1992; Sachsen: Künftig 41.500 Lehrerstellen, in: Schulverwaltung MO. Nr. 617/1992; Teilzeitbe­schäftigung "rettet" Lehrer, in: DLZ. Nr. 26/1992. Durch Vorruhestandsregelun­gen und Entlassungen reduzierte Sachsen-Anhalt die Lehrerzahl im Jahr 1991 von 38.000 zunächst auf 32.000. In den Folgejahren wurden weitere Lehrer ent­lassen; Mitte 1993 wurde die Lehrerzahl in Sachsen-Anhalt mit rund 28.000, zum Schuljahr 1994/95 mit 27.000 angegeben; vgl. Viele neue Gymnasien in Sachsen-Anhalt, in: F.A.Z. v. 4.10.1991; Stellenabbau durch Teilzeitbeschäfti­gung, in: DLZ. Nr. 4711992; Untersuchungsausschuß prüft Lehrerentlassungen, in: DLZ. Nr. 511993; Gewerkschaft befürchtet Entlassungen, in: DLZ. Nr. 2911993; Daten und Fakten zum Schulanfang 1995/96, in: Schulverwaltung MO. H. 10/1995, S. 283; Kramer 1996a, S. 130. In Thüringen sank die Lehrerzahl um rund 2.200. Die Reduzierung wurde wesentlich durch Altersübergangsregelungen und Teilzeitverträge erreicht, so daß Bedarfskündigungen in größerem Umfang nicht erforderlich waren; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 120ff.

221 Dennoch waren bis Anfang 1993 ca. 6.300 Lehrer durch Kündigung oder Auflö­sungsverträge aus dem Schuldienst ausgeschieden, dies war rund ein Sechstel der ehemaligen Lehrerschaft Brandenburgs; vgl. Brandenburg blieb bei strikten Ein­zelfallprüfungen, in: DLZ. Nr. 3/1993.

222 Vgl. Brandenburg beschäftigt alle Lehrer weiter, in: Die Welt v. 26.4.1991. In einem faksimilierten Ausriß des von Ministerin Birthler an die Lehrer übersand­ten Schreibens, das in dem Artikel wiedergegeben ist, heißt es: "Sollten Sie das

194

Page 193: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die Erhöhung der Klassenfrequenzen verstärkte den schon in der DDR vor­handenen Lehrerüberhang. Dies und die z.T. langwierigen politischen Über­prüfungen führten zu einer Verunsicherung in der Lehrerschaft in bezug auf die berufliche und damit auch persönliche Zukunfe23• Die Verunsicherung hält an, da der Geburtenrückgang seit 1990 zu einem weiteren großen Über­hang an Lehrern führen wird. Seit 1993 mahnten Landesrechnungshöfe weite­re Stellenverringerungen an, die sie mit den nach wie vor außerordentlich ge­ringen finanziellen Spielräumen der Länder begründeten224• Trotz der um­fangreichen Stellenreduzierungen stellen Lehrkräfte ein Element der Konti­nuität dar; die Lehrer, die sich heute im Schuldienst befinden, sind mit weni­gen Ausnahmen die Gleichen, die schon vor 1990 unterrichteten225•

Dem Lehrerüberhang steht nach wie vor ein Mangel an Fachlehrern ins­besondere in alten und neuen Sprachen, in den Fächern des musisch­künstlerischen Bereiches, in der politischen Bildung und im Religions- und Ethikunterricht gegenüber. Dies führte und führt in einigen Fächern bis heute dazu, daß ein Teil des Pflichtangebots nicht ausreichend abgedeckt werden kann226• Hinzu trat der Bedarf an (Nach-)Qualifizierungsmöglichkeiten für die im Schuldienst verbliebenen Lehrkräfte. Viele Lehrer konnten nur noch ein

Vertragsangebot nicht annehmen, sähe ich mich gezwungen, den bestehenden Arbeitsvertrag zu kündigen"; a.a.O. Vgl. auch Schmidt, W. 1991, S. 15; Ein "kleines Wunder" der Solidarität in Brandenburg, in: F.A.Z. v. 17.6.1991. Der 'Solidarpakt' gab auch in den Folgejahren Anlaß zu Kritik, insbesondere durch die GEW, die allerdings auch maßgeblich an dessen Zustandekommen beteiligt war; vgl. Solidarpakt droht Auszehrung, in: DLZ. Nr. 711993.

223 So lagen z.B. dem Kultusministerium Mecklenburg-Vorpommern Ende 1992 für rund 10.000 Lehrer Bescheide der 'Gauck-Behörde' vor. In Brandenburg waren im August 1993 21.000 von rund 30.000 Lehrern durch die 'Gauck-Behörde' überprüft; vgl. Mecklenburg-Vorpommern: Gauck-Behörde überprüft 10000 Lehrer, in: DLZ. Nr. 46/1992; Bildungsminister Resch: 352 Einzelfälle bei Leh­rern überprüft, in: DLZ. Nr. 3911993; Arbeitszeit soll nicht erhöht werden, in: DLZ. Nr. 411994. In Sachsen waren bis zum Herbst 1993 erst etwa 40% der im Schuldienst verbliebenen Lehrer durch die 'Gauck-Behörde' überprüft; vgl. Überprüfungen weitgehend abgeschlossen, in: DLZ. Nr. 4011993.

224 Der sachsen-anhaltinische Landesrechnungshof errechnete 1993, daß sich unter Zugrundelegung von Vergleichswerten westdeutscher Länder in Sachsen-Anhalt weitere 4.000 Lehrer einsparen ließen; vgl. Schulleitervertretung bringt bis zu 16 Wochenstunden, in: DLZ. Nr. 2711993. Der sächsische Landesrechnungshofhielt in seinem Jahresbericht 1994 aufgrund des Geburtenrückganges alleine im Grundschulbereich eine Reduzierung der Lehrerzahl um 2.000 bis 3.500 für er­forderlich; vgl. Zuviel Personal, seltsame Subventionen, in: F.A.Z. v. 4.11.1994.

225 "Die Lehrerschaft ist die einzige a) im Geruch einstiger besonderer 'Staats- und Systemnähe' stehende Berufsgruppe der DDR mit (größtenteils) akademischen Qualifikationen und b) einem zumindest kontrovers diskutierten Leistungsbeitrag (in Gestalt relativer Sozialisationserfolge bzw. -mißerfolge), der es zugleich be­schieden war, als soziale wie Berufsgruppe mehrheitlich am Umbau der Institu­tionen teilzuhaben, in den umgebauten Institutionen zu verbleiben bzw. in sie überführt zu werden"; Koch/Schröter/Woderich 1994, S. 14.

226 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 116.

195

Page 194: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Fach unterrichten, da ihr zweites Fach weggefallen war oder nur noch in ge­ringem Umfang nachgefragt wurde. Um weiter unterrichten zu können, war der Erwerb einer Lehrberechtigung in einem neuen Zweitfach erforderlich. Lehrkräfte, die in Fächern wie Deutsch, Geschichte oder Geographie unter­richtet hatten, sahen sich mit nahezu vollständig ausgewechselten Stoffinhal­ten konfrontiert; im Bereich Polytechnik-Arbeitslehre veränderte sich nicht nur die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts, sondern auch dessen Zielset­zung. Trotz großer, auch finanzieller Anstrengungen der Bildungsministerien, der Lehrer-Fortbildungsinstitute und der westdeutschen Partnerländer bis hin zu privaten Bemühungen einzelner Lehrerinnen und Lehrer übersteigt die Nachfrage nach Weiterbildung nach wie vor das vorhandene Angebot.

Für die im Schuldienst verbliebenen Lehrer stellte sich die besoldungs­rechtliche, vor allem aber die statusrechtliche Ungleichbehandlung gegenüber den in Westdeutschland tätigen Lehrern als weiteres Problem dar, dessen Esy­chologische und motivatorische Folgen nicht unterschätzt werden sollten2 •

Parallel zur Stellenreduzierung waren die verbleibenden Lehrkräfte auf die neuen Schularten zu verteilen. Hierfür standen außer in Sachsen nur rund fünf Monate zur Verfügung, in denen die Auswahl getroffen und die Lehrer den Schulen zugewiesen werden mußten. Da die Kultus- und Bildungsmini­sterien zum Jahresbeginn 1991 erst eingeschränkt arbeitsfähig waren, gab es­wiederum außer in Sachsen - keine ministeriellen Anweisungen für das Aus­wahl- und Verteilungsverfahren. Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen gingen nach einem sich ähnelnden Modus vor. Auf der Ebene der kommunalen Schulaufsicht wurden Auswahlausschüsse gebildet, denen Vertreter der städtischen oder Kreisschulämter, Vertreter der Schulträger, zukünftige Schulleiter, und, soweit vorhanden, Angehörige der Personalräte angehören konnten. Die Lehrkräfte konnten sich für einen be­stimmten Schultyp formal bewerben wie z.B. in Sachsen-Anhalt oder zumin­dest Wünsche hinsichtlich der Schule äußern, an der sie ab dem Schuljahr 1991/92 tätig sein wollten. Im zweiten Quartal des Jahres 1991 traten die Kommissionen zusammen, um die Auswahl und Verteilung der Lehrerinnen und Lehrer vorzunehmen. Insbesondere bei Lehrkräften, die an Gymnasien unterrichten wollten, standen fachliche Kriterien im Mittelpunkt, z.B. die Fä-

227 Vgl. Hoffen auf heftige Auseinandersetzungen, in: DLZ .. Nr. 47/1992; Stolper­steine auf dem Weg zur Einheit, in: Der Tagesspiegel v. 17.3.1992; Was in Greifswald beschlossen wurde, in: DLZ. Nr. 19/1993; Krzyweck 1993c; Reh!fillmann 1994, S. 229f.; Zum Status des Lehrers in den neuen Ländern 1993; Putzhammer 1995. Einige Fragen, z.B. zur laufbahnrechtlichen Einord­nung der ostdeutschen Lehrer, konnten in der Folgezeit gelöst werden; vgl. Ver­einbarung über die Anerkennung und Zuordnung der Lehrerausbildungsgänge der ehemaligen DDR zu herkömmlichen Laufbahnen - Beschluß der Kultusmini­sterkonferenz vom 7.5.1993, in: Sammlung der Beschlüsse der Ständigen Konfe­renz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Lose­blattsammlung. Ordnungsnummer 719, S. lff.; Krzyweck 1993a, S. 149f.

196

Page 195: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

cherkombination oder die aus den Personalunterlagen hervorgehende fachli­che Beurteilung, aber auch die Examensnoten und die abgeleisteten Dienst­jahre. Die persönliche Eignung trat demgegenüber in den Hintergrund228. Die Kommissionen bemühten sich, die Wünsche und Anträge der Lehrerinnen und Lehrer auf Zuweisung zu einer bestimmten Schule so weit wie möglich zu erfüllen; in Zweifelsfällen gab die Entscheidung des zuständigen Schulra­tes den Ausschlag. Ehemalige EOS-Lehrer wurden, soweit ihre Fächerkombi­nation dies zuließ, an die neugegründeten Gymnasien übernommen229. Wenn Lehrer an einer bestimmten Schule verbleiben wollten, konnte auch dies durchweg ermöglicht werden; sie wurden dann zu Lehrkräften derjenigen Schulart, der die Schule zugewiesen wurde, also z.B. zu Sekundar- oder Ge­samtschullehrern230.

Nur in Sachsen erfolgte die Verteilung der Lehrer auf die zum Schuljah­resbeginn 1992/93 neu eingerichteten Schulformen zentral und auf dem Ver­ordnungsweg231. Lehrer konnten sich im ersten Quartal des Jahres 1992 für die Tätigkeit in einer der neuen Schulformen bewerben. Die Schulleiter hatten daraufhin im Unterricht zu hospitieren und die Bewerbung, versehen mit ihrer Stellungnahme, dem Schulamt zuzuleiten. Das Schulamt konnte eine weitere Stellungnahme abgeben und übersandte die Bewerbung an das Oberschulamt, welches schließlich die Auswahl traf. Vorrangige Auswahlkriterien waren auch hier die fachliche Eignung eines Bewerbers und der Bedarf an den je­weiligen Fächerkombinationen. Aus dem Prädikat der Lehrbefähigung, dem Dienstalter und der Bewertung der pädagogischen Qualifikation ergab sich

228 Die Zusammenarbeit von Lehrkräften mit dem MfS/AtNS war der Kernpunkt bei der Beurteilung persönlicher Eignung. Bei denjenigen Lehrerinnen und Lehrern, denen eine solche Zusammenarbeit nicht unmittelbar nachzuweisen war, konnte sich die Überprüfung durch die 'Gauck-Behörde' über mehrere Jahre hinziehen. So dauerte z.B. die Uberprüfung von in Mecklenburg-Vorpommern tätigen Lehr­kräften durch die 'Gauck-Behörde' auch im Jahr 1995 noch an; fernmündliche Information des Kultusministeriums Mecklenburg-Vorpommern an den Verfas­ser v. 21.11.1995. Lehrer, deren Zusammenarbeit mit dem MfS/AtNS bekannt war oder die sich dazu bekannten sowie die sogenannten 'Modrow-Lehrer' wur­den beginnend bereits im Jahr 1990 aus dem Schuldienst entlassen.

229 V gl. Schmidt, W. 1992; fernmündliche Information des Staatlichen Schulamtes Brandenburg an der Havel und des Staatlichen Schulamtes für den Landkreis Potsdam-Mittelmark an den Verfasser v. 28.11.1995; fernmündliche Information des Kultusministeriums Mecklenburg-Vorpommern an den Verfasser v. 21.11. 1995; Information des Thüringer Kultusministeriums mit Schreiben an den Ver­fasserv.13.11.1995.

230 Dies war z.B. in Brandenburg der Fall; fernmündliche Information des Staatli­chen Schulamtes Brandenburg an der Havel und des Staatlichen Schulamtes für den Landkreis Potsdam-Mittelmark an den Verfasser v. 28.11.1995

231 Grundlage des Auswahlverfahrens waren die Verwaltungsvorschrift zur Rege­lung des Verfahrens für die personelle Besetzung der zukünftigen Gymnasien im Freistaat Sachsen (PBG-VwV) v. 28.1.1992 sowie eine vergleichbare Vorschrift für die Auswahl der Lehrkräfte für Grund- und Mittelschulen; vgl. Marx/ Maier 1992, s. 62f.

197

Page 196: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

eine Punktzahl, die in eine Rangreihenfolge eingeordnet wurde. Nach dieser Reihung erfolgte die Auswahl und Zuweisung der Lehrkräfte an die Schulen. Lehrkräfte, die für den Dienst an Gymnasien abgelehnt wurden, kamen auto­matisch in den Lehrerpool für Mittelschulen. Für Grund- und Mittelschulen galt ein vergleichbares Auswahlverfahren232•

Seit der Einführung des gegliederten Schulwesens deutet sich ein Trend zu höheren Bildungsabschlüssen an. Lag die durchschnittliche Besuchsquote der Gymnasien in den ostdeutschen Ländern im Schuljahr 1992/93 bereits bei über 30% der Jahrgangsstärken, so wiesen die Trends für die Folgejahre aus, daß 40 % und mehr eines Schülerjahrgan~es nach Beendigung der Grund­schule in die Gymnasien wechseln wollten 33• Hinsichtlich des Zuganges zu den Schulen der Sekundarstufe I ist inzwischen das Bemühen erkennbar, ins­besondere den Übertritt zu den Gymnasien zu lenken wie z.B. in Thüringen und in Brandenburg234• Am Beispiel Brandenburgs wird überdies deutlich, wie das Wahlverhalten der Eltern bildungspolitische Absichten konterkarie­ren kann. In Brandenburg war (und ist) die Gesamtschule als Raupt­Schulform in der Sekundarstufe I politisch intendiert235 . Der Anteil der Schü­ler an Gesamtschulen nahmjedoch vom Schuljahr 1991/92 bis zum Schuljahr 1994/95 von 59,2 % auf 52,1 % ab (Jahrgangsstufe 7); gleichzeitig erhöhte sich der Schüleranteil der Gymnasien und Realschulen. Mit einer durch­schnittlichen Übergangsquote von 28,6 % der Grundschulabgänger (Schuljahr 1994/95) in die Klassenstufe 7 des Gymnasiums lag Brandenburg zwar noch unter den Vergleichszahlen der anderen neuen Länder. Einige Regionen wie­sen aber weit höhere Übergangszahlen auf. Rechnet man den Anteil der Real­schüler hinzu, der durchschnittlich bei rund 15 % , teilweise aber auch bei über 20 % liegt, so zeigt sich, daß sich der Anteil der Gesamtschüler in man­chem Kreis einem Wert von 40 % nähert. Diese Entwicklungen haben regio­nal zu einer "Entmischung der Schülerschaft geführt, die von den Gesamt­schulen ( ... ) als langfristige Bedrohung ihrer Schulperspektive gesehen wird"236.

232 Vgl. Marx/Maier 1992; Schmidt, W. 1992, S. 68f. 233 V gl. Geburtenrückgang in den neuen Ländern hinterläßt tiefe Spuren, in: DLZ.

Nr. 9/1994; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, s. 117f.

234 Zu Thüringen vgl. z.B. §§ 124-135 ThürSchulO; Thüringer Kultusministerium (Hrsg.) 1994; zu Brandenburg vgl. Verordnung über die Aufnahme in weiterfüh­rende Schulen des Landes Brandenburg (AufnV) v. 23. 12.1994 (GVBI. II 1995 S. 66); §53 BbGSchu1G. Vgl. auch Kap. 3.3.3.3.

235 Vgl. Birth1er 1992; Birth1er 1991b, S. 37 ... 236 MBJS, Ref. 31 - Betr.: Auswertung des Ubergangsverhaltens von Klasse 6 nach

Klasse 7 im Vergleich mehrerer Schuljahre- v. 30.9.1994 (unveröff.), S. 2. Wei­ter heißt es in diesem Dokument: "Tatsächlich hat es( ... ) in der Gegend um Ky­ritz und Wittstock eine Entmischung nach der Jahrgangsstufe 6 gegeben, die die Gesamtschule dort in eine randständige Situation führt"; vgl. hierzu auch Kuhn 1993.

198

Page 197: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

3.3.4 Die inhaltliche Neugestaltung des Unterrichts und die Einführung neuer Fächer

Da die Analyse aller neugestalteten Unterrichtsinhalte über den Rahmen der Untersuchung weit hinausführen würde, beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf diejenigen Fächer und Fächergruppen, in denen nachhalti­ge inhaltliche und z.T. fachstrukturelle Veränderungen vorgenommen wur­den.

Sprachen: Die Neugestaltung des Sprachenunterrichts für POS-Schüler hatte bereits zum Schuljahr 1990/91 begonnen. Für Schüler der EOS verän­derte sich das Fremdsprachenangebot zunächst nicht. Sie hatten weiterhin ob­ligatorischen Unterricht in Russisch als erster sowie in einer zweiten Fremd­sprache - Englisch oder Französisch. Dies lag darin begründet, daß die Schü­ler, die zum Schuljahr 1990/91 in die Klassenstufe 11 der EOS eintraten, die bislang in der POS obligatorische Sprachenfolge absolviert hatten und die Anforderungen der Abiturprüfung nur erfüllen konnten, wenn sie diese in der EOS weiterführten. Allerdings konnte die Gewichtung der Stundenanteile zwischen der ersten und der zweiten Fremdsprache verändert werden. Die Wahl einer dritten Fremdsprache war möglich237• Mit dem Auslaufen der Übergangsregelungen - in der Regel mit dem Schuljahresbeginn 1992/93 -wurden die Fremdsprachenangebote in den allgemeinbildenden Schulen den Vorgaben der KMK-Abkommen angepaßt. Somit ist nun regelmäßig Englisch die erste Fremdsprache ab Klasse 5, an Gymnasien können u.a. auch Latein, Französisch oder Russisch als erste Fremdsprache genehmigt werden. Ist Englisch nicht erste Fremdsprache, so ist sie als zweite Fremdsprache ab Klassenstufe 7 in Realschulen, Realschulbildungsgängen oder Gymnasien zu belegen. Spanisch, Griechisch oder Sprachen, die in den Nachbarstaaten der ostdeutschen Länder gesprochen werden (Schwedisch, Polnisch, Tsche­chisch), können fakultativ erlernt werden. Für Gymnasien mit besonderem sprachlichem Profil gelten bezüglich der Wahl der Sprachenfolge und der unterrichteten Stundenzahl Sonderregelungen238• An den sorbischen Schulen

237 Vgl. Helle 1993, S. 90. .. 23R Die Ausführungen können nur einen allgemeinen Uberblick über das differen­

zierte Sprachangebot der allgemeinbildenden Schulen in den neuen Ländern bieten. Zur Neuregelung des Fremdsprachenunterrichts vgl. u.a. zu Brandenburg: Regelung für den Fremdsprachenunterricht im Land Brandenburg für das Schul­jahr 1995/96. RdSchr. Nr. 35/95 v. 3.7.1995, in: ABI. MBJS Nr. 10 S. 373; Ausbildungsordnung der Grundschule im Land Brandenburg (AO-GS) v. 21.6.1991, in: GVBI. S. 324, geändert durch VO v. 20.5.1994 (GVBI.II S. 486), hier insb. § 6 Abs. 6; zu Mecklenburg-Vorpommern: Helle 1993, S. 95ff.; Die Arbeit an den allgemeinbildenden Schulen. Runderlaß der Kultusministerin v. 10.7.1992, in: Mittbl. M-V KM Nr. 10 S. 507- geä. v. 4.8.1993 (RdErl. KM Mittbl. M-V KM Nr. 11 S. 451) - v. 5.10.1993 (Mittbl. M-V KM S. 470) - v. 28.5.1995 (MittBl. M-V KM S. 173) u. v. 24.1.1996 (MittBl. M-V KM S. 63); zu Sachsen: Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über

199

Page 198: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

in Brandenburg und Sachsen kann Sorbisch als Muttersprache oder als Zweitsprache neben Deutsch unterrichtet werden; ebenso ist die Durchfüh­rung des gesamten Unterrichts in sorbischer Sprache möglich239• In einigen der neuen Länder wurde durch Gesetz oder auf dem Verordnungsweg die Möglichkeit geschaffen, unbenoteten Fremdsprachenunterricht ab Klassenstu­fe 3 anzubieten (Begegnungssprache)240•

Sozialkunde/Gesellschaftslehre: Die für das Schuljahr 1990/91 neu ein­geführten Rahmenpläne für das Fach Gesellschaftskunde waren inhaltlich weitgehend an die sozialkundliehen Lehrpläne westdeutscher Länder ange-

Grundschulen im Freistaat Sachsen v. 2.5.1994, in: SGVBL S. 117; Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über Mittelschulen im Freistaat Sachsen v. 10.9.1993, in: SGVBl. S. 879; Verordnung des Sächsischen Staats­ministeriums für Kultus über allgemeinbildende Gymnasien im Freistaat Sachsen v. 15.12.1993, in: Amtsblatt SMK Nr. 5/1994 S. 97; zu Sachsen-Anhalt: Die Ar­beit in der Sekundarschule. RdErl. des MK v. 22.7.1993, in: MBL LSA S. 2158-geä. durch RdErl. v. 8.11.1993 (MBl. LSA S. 2824); Die Arbeit in den Schul­jahrgängen 5 bis 9 des Gymnasiums v. 23.7.1993, in: MBL LSA S. 2163; zu Thüringen: Anlagen I bis 11 zur ThürSchulO v. 20.1.1994, in: GVBL S. 185 -geändert durch Verordnung v. 4.10.1994 (GVBL S. 1144); "Bei den Kindem muß man beginnen", in: F.A.Z. v. 14.12.1994; Im Schillergymnasium Pima ist Tschechisch Trumpf, in: DLZ. Nr. 35/1994.

239 Vgl. zu Brandenburg: § 5 BbGSchulG; Verwaltungsvorschriften über die Arbeit an sorbischen und anderen Schulen im deutsch-sorbischen Gebiet v. 22.6.1992, in: ABI. MBJS Nr. 6 S. 376; zu Sachsen: § 2 SchulG v. 3.7.1991, in: SGVBl. S. 213 - geä. durch Gesetz v. 19.8.1993 (SGVBl. S. 686, 688) - u. v. 15.7.1994 (SGVBL S. 1434); Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über die Arbeit an sorbischen und anderen Schulen im deutsch-sorbischen Gebiet v. 22.6.1992, in SGVBl. S. 307; Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staats­ministeriums für Kultus zur Geltung von Stundentafeln an Grundschulen, Mittel­schulen, Förderschulen, Schulen im deutsch-sorbischen Gebiet und Gymnasien (Sekundarstufe I) im Freistaat Sachsen v. 10.7.1992, in: ABI. SMK Nr. 10 S. 5-Ber. v. 15.10.1992 (ABI. SMK Nr. 15 S. 5), Anlagen 2.1 bis 2.3.

240 V gl. zu Brandenburg: Regelungen für den Fremdsprachenunterricht im Land Brandenburg für das Schuljahr 1995/96. RdSchr. Nr. 35/95 v. 3.7.1995, in: ABI. MBJS Nr. 10 S. 373; zu Mecklenburg-Vorpommem: Einrichtung und Durchfüh­rung von frühbeginnendem Fremdsprachenunterricht ab dem Schuljahr 1992/93. Runderlaß der Kultusministerin v. 31.7.1992 (Mittbl. M-V KM S. 467); zu Sach­sen: Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus zur Geltung von Stundentafeln an Grundschulen, Mittelschulen, Förderschulen, Schulen im deutsch-sorbischen Gebiet und Gymnasien (Sekundarstufe I) im Freistaat Sachsen v. 10.7.1992, in: ABI. SMK Nr. 10 S. 5 - Ber. v. 15.10.1992 (ABI. SMK Nr. 15 S. 5), Anlage 1.1; Helle 1993, S. 112; zu Sachsen-Anhalt: Die Arbeit in der Grundschule. RdErl. des MK v. 21.7.1993, in: MBL LSA S. 2155, lfd. Nr. 5.4; zu Thüringen§ 5 Abs. 3 ThürSchulG v. 6.8.1993, in: GVBl. S. 445. Es gibt jedoch Hinweise darauf, daß insbesondere in Brandenburg und Thüringen der frühe Fremdsprachenunterricht ab Klasse 3 nach erfolgversprechenden An­fängen durch die Ministerien wieder eingeschränkt wurde; vgl. Helle 1993, S. 111, s. 119.

200

Page 199: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

lehnt241 • Dennoch übten westdeutsche Fachdidaktiker schon kurz nach deren Veröffentlichung Kritik an ihrer konzeptionellen Gestaltung. Bemängelt wur­de insbesondere, daß Bezüge zur aktuellen Lebenssituation der Schüler fehl­ten, daß die Programme stofflich überfrachtet wären und weitgehend auf ko­gnitive Wissensaneignung abzielten242• Auch die Gemeinsame Einrichtung der Länder hielt in ihrem abschließenden Tätigkeitsbericht fest, daß die Rah­menpläne Gesellschaftskunde im laufenden Schuljahr 1990/91 den Anforde­rungen nicht entsprochen hätten243 .

Zum Beginn des Schuljahres 1991192 bildeten in allen ostdeutschen Län­dern neue, teilweise vorläufige Lehrpläne für die Fächer Politische Bildung als Teil des Lernbereichs Gesellschaftslehre (Brandenburg), Sozialkunde (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen) oder Gemein­schaftskunde/Rechtserziehung244 (Sachsen) die Grundlage des politischen Unterrichts. Auch diese Lehrpläne lehnten sich in ihrer didaktischen Gestal­tung und den Lernzielvorgaben mehr oder weniger eng an entsprechende Do­kumente westdeutscher Partnerländer an245• In den Lehrplänen für das Lern­feld Politik sind überwiegend allgemeine politische und soziale Fragestellun-

241 Vgl. Rahmenpläne für den Gesellschaftskundeunterricht Hrsg. v. Ministerium für Bildung, März 1990, S. lff.

242 Vgl. Mickell990, S. 109. Vgl. auch Nicht mehr lügen. Wie soll der neue Politik­Unterricht aussehen, in: Die Zeit. Nr. 44/l990.

243 V gl. GEL 1991: Anlagen zum Tätigkeitsbericht des Bereiches 2 der GEL, Band 2 (unveröff. Typoskript).

244 Eingeführt im Schuljahr 1992/93; für Gymnasien ergänzt um das Fachgebiet Wirtschaft. Für das Schuljahr 1991/92 galt der Lehrplan Gesellschaftskun­de/Philosophie.

245 Eine detaillierte inhaltsanalytische und vergleichende Untersuchung der Lehr­und Rahmenpläne kann im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden; sie würde ein nach Ansatz und Umfang eigenständiges Forschungsprojekt erfordern. Zu den im Schuljahr 1991/92 neu eingeführten Lehrplänen vgl. zu Brandenburg: Vorläufiger Rahmenplan Politische Bildung. Lernbereich Gesellschaftslehre. Hrsg. v. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport. Potsdam 1991; zu Meck­lenburg-Vorpommern: Vorläufige Rahmenrichtlinien Sozialkunde. Hauptschule -Realschule- Gymnasium. Hrsg. v. Kultusminister des Landes Mecklenburg-Vor­pommern. Schwerin 1991; zu Sachsen: Lehrplan Gesellschaftskunde/Philosophie der Klassen 7 -12. Allgemeinbildende Schulen, Schuljahr 1991192. Hrsg. v. Sächsischen Staatsministerium für Kultus. Dresden 1991; zu Sachsen-Anhalt: Vorläufige Rahmenrichtlinien, Sekundarschule: Bildungsgang Hauptschule, So­zialkunde. Vorläufige Rahmenrichtlinien Sekundarschule: Bildungsgang Real­schule, Sozialkunde. Vorläufige Rahmenrichtlinien Gymnasium, Sozialkunde. Alle hrsg. v. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Sachsen-Anhalt. Magdeburg 1991. Zu den Veränderungen im gesellschafts­kundlichen Unterricht in den Schulen der neuen Bundesländer vgl. Cremer 1992; George/Cremer 1992. Mickel verweist bei seinen Analysen auf strukturelle, ins­besondere aber auf inhaltliche Parallelen in der Lehrplangestaltung zwischen neuen Bundesländern und ihren westdeutschen Partnerländern, so z.B. zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, Thüringen und Hessen oder Sachsen und Baden-Württemberg; vgl. Mickel1992a, S. 325; Mickel1992b, S. 546, S. 553.

201

Page 200: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gen enthalten. Der politische Umbruch in der DDR und der Prozeß der Ver­einigung beider deutscher Staaten, nehmen, sofern vorhanden, nur einen ge­ringen Raum ein; dies belegen inhaltsanalytische Untersuchungen der Lehr­pläne246. Das weitgehende Fehlen spezifischer ostdeutscher Themen kann darin begründet liegen, daß die Lehrpläne unter großem Zeitdruck erarbeitet werden mußten und daß zudem nur wenige qualifizierte ostdeutsche Fachdi­daktiker verfügbar waren, die möglicherweise stärker darauf gedrängt hätten, solche Themenbereiche in die Lehrpläne aufzunehmen. Im gesellschafts­kundlichen Unterricht sollen die bei den Schülern vorhandenen politischen Orientierungen und gesellschaftlichen Einstellungen berücksichtigt werden; dies stellt eine Grundprämisse politischer Bildung dar. Zumindest in der An­fangsphase dürfte der auf den vorhandenen Leh!Plänen basierende Unterricht diesem Grundsatz nicht gerecht geworden sein247•

Geschichte: Auch an den zum Schuljahr 1990/91 inhaltlich neugestalte­ten Lehrplänen für den Geschichtsunterricht gab es Kritik, da einige der Auto­ren und Leiter der Lehrplankommissionen noch Vertreter des historisch­materialistischen Geschichtsbildes waren. Ihren Einfluß belegte die in einigen Lehrplänen vorzufindende Begrifflichkeit ('Klassencharakter') und die Do­minanz ökonomischer Aspekte in den Fachinhalten, die eine erneute Überar­beitung der Lehrpläne zum Schuljahr 1991/92 erforderlich machten. Die Ei­genverantwortlichkeit der Länder für die didaktische und methodische Gestal­tung des Geschichtsunterrichts führte allerdings zu einer großen Ungleichheit im Angebot und in der Gestaltung der Lehrpläne. Insbesondere hinsichtlich des Unterrichts in der gymnasialen Oberstufe und der Prüfungsgestaltung be­achteten einige Länder nicht im erforderlichen Maß die KMK-Vereinbarun­gen248. Einen bemerkenswerten, die Erfahrungen mit vierzig Jahren Ge­schichtsunterricht in der DDR widerspiegelnden Passus enthält die Verfas­sung des Freistaats Thüringen: "Der Geschichtsunterricht muß auf eine unver-

246 V gl. Cremer 1992; Micke1 1992a; Micke1 1992b. Eine Ausnahme bildet Bran­denburg insoweit, als für die Sekundarstufe I auch Themen wie 'Wandel der Machtverhältnisse in der ehern. DDR' und 'Hineinwachsen in ein anderes Sy­stem' angeboten werden. Weiterführende Themen wie z.B. 'Die Gestaltung der inneren Einheit' konnten hingegen nirgendwo identifiziert werden; vgl. Cremer 1992, S. 559. Der von Cremer nicht untersuchte Lehrplan Gemeinschaftskun­de/Rechtserziehung/Wirtschaft für das Gymnasium in Sachsen, gültig seit dem 1. August 1992, enthält für die Klasse 9 einen Lernbereich 'Die Wiedervereinigung Deutschlands'; vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hrsg.): Lehrplan Gymnasium Gemeinschaftskunde/Rechtserziehung/Wirtschaft Klassen 9 bis 12. Dresden 1992, S. 13f.

247 Vgl. Both 1992, S. 15f. Aussagekräftige und empirisch abgesicherte Studien zur Wirkung und zur Einschätzung der Inhalte schulischer politischer Bildung in den neuen Bundesländern, die Aufschluß hierüber hätten geben können, lagen dem Verfasser nicht vor. Zur Situation der diese Fächer unterrichtenden Lehrer vgl. Denkewitz 1992.

248 Vgl. Petersen 1992, S. 263f.

202

Page 201: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

fälschte Darstellung der Vergangenheit gerichtet sein" (Art. 22 Abs. 2 Thür. Verfassung).

Polytechnik/Arbeitslehre: Der polytechnische Unterricht bedurfte einer grundlegenden Erneuerung, da er inhaltlich und methodisch auf die Bedürf­nisse einer sozialistischen Planwirtschaft zugeschnitten war249• Westdeutsche Wissenschaftler hatten gehofft, die in Ostdeutschland notwendige Verände­rung des polytechnischen Unterrichts ließe sich zu einer Revision auch des Faches Arbeitslehre und zu dessen Weiterentwicklung nutzen. Die Defizite beider Fächer sollten analysiert und die jeweils positiven Erfahrungen in eine Neukonzeption eingebracht werden250. Die Erneuerung der Polytechnik in den neuen Ländern führte indes nicht zur Reform der als defizitär empfundenen Arbeitslehre an den westdeutschen Schulen. Eine Neukonzeption für die Schulen aller Länder, die sich von den strukturellen, didaktischen und me­thodischen Grundlagen des Faches bis hin zu Veränderungen in der Ausbil­dung der Lehrkräfte hätte erstrecken können251 , ist bislang nicht erfolgt. Auch dies mag darin begründet liegen, daß die Auseinandersetzungen um die Neu­gestaltung des Schulwesens in den neuen Ländern mehr um Strukturen als um Inhalte geführt worden waren.

Im Primarbereich bieten alle Länder außer Brandenburg Werkunter­riche52 an. Für die Sekundarstufe übernahmen die Länder den Lernbereich Arbeitslehre weitgehend nach westdeutschem Muster. Auffällig ist die unter­schiedliche Namensgebung wie 'Technik/Arbeitslehre' in Brandenburg, 'Ar­beit/Wirtschaft!Technik' in Mecklenburg-Vorpommern oder 'Wirtschaft und Technik' als Profilfach für den Hauptschulzweig der thüringischen Regel­schule. Der Heterogenität in der Namensgebung entsprechen die inhaltlich und strukturell unterschiedlichen Ansätze. Die dem Bereich Arbeitslehre zu­zuordnenden Fächer werden nicht mehr verbindlich und weitgehend inhalts­gleich für alle Schüler der Sekundarstufe I vermittelt, wie dies bei der Poly­technik der Fall war. So wird z.B. das Fach 'Wirtschaft und Recht' in den thüringischen Gymnasien einstündig für die Klassenstufen 8 bis 10 unterrich­tet, Gymnasien in Brandenburg erteilen 'Technik/Arbeitslehre' zweistündig in den Klassenstufen 9 und 10. Auch in Sachsen-Anhalt zählen die Fächer Wirt­schaft und Technik zum gymnasialen Pflichtfächerkanon253 . Der Schwerpunkt

249 Vgl. Schilling 1990; Messmer 1990, der eine kurze, aber inhaltsreiche Analyse der Polytechnik und ihrer systemimmanenten Probleme bietet. Hörner erwähnt, daß die Polytechnik-Lehrpläne schon im Verlauf des Jallres 1990 denen der westdeutschen Arbeitslehre angeglichen worden seien; vgl. Hörner 1992, S. 99.

250 Vgl. Kuhrt/Oberliesen 1992, insb. S. 234ff. 251 V gl. in diesem Sinne z.B. Kaminski 1991, insb. S. 170ff. 252 In Brandenburg 'Sachunterricht' in den Klassenstufen 3 und 4. 253 V gl. Unterrichtsorganisation der Sekundarschulen im Schuljallr 1993/94, Hier:

Klassenbildung und Stundenzuweisung- RdErl. des MK vom 31.3.1993 - 32-84003 in: MBl. LSA S. 1110; Unterrichtsorganisation der Gymnasien im Schul­jahr 1993/94; hier: Klassenbildung und Stundenzuweisung- RdErl. des MK v.

203

Page 202: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

des Arbeitslehreunterrichts liegt in den Schulen der Sekundarstufe I, die nicht primär zur Hochschulreife führen. Hauptschulen, Realschulen, Gesamtschu­len und kombinierte Schulen vermitteln die Inhalte des Bereiches Arbeitsleh­re mit durchschnittlich fünf bis sechs Wochenstunden. Der größere Teil des Stundenansatzes ist jedoch Wahl- oder speziellen Profilbereichen zugeordnet. Im Gegensatz zur Polytechnik werden Schüler im Lernbereich Arbeitslehre nur in einer vergleichsweise geringen, in den Ländern unterschiedlichen Pflichststundenzahl unterrichtet. Die Neuordnung dieses Lernfeldes verdeut­licht, daß die neuen Bundesländer kein umfassendes, die Einzelfächer Wer­ken, Arbeit, Wirtschaft, Technik, Hauswirtschaft, Informatik etc. integrieren­des Arbeitslehrekonzept verfolgen. Die geringe Stundenzahl, die an Gymna­sien für das Fach Arbeitslehre vorgesehen ist, verdeutlicht, daß Arbeitslehre vornehmlich als ein berufsorientierendes und berufsvorbereitendes Fachgebiet für Schüler, die mittlere Bildungsabschlüsse anstreben, angesehen wird. Zum Schuljahr 1994/95 veränderte Mecklenburg-Vorpommern das Konzept des Faches Arbeit-Wirtschaft-Technik/ Hauswirtschaft an Hauptschulen, das nun Leitfach des Hauptschulbildungsganges sein soll. Trotz dieser Hervorhebung verblieb der Stundenansatz bei zwei Wochenstunden in den Klassenstufen 5 bis 9 und einer Wochenstunde in der (freiwilligen) Klassenstufe 10254.

Religion!Religionskunde/Ethik: Seit dem Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland forderten die Kirchen unter Verweis auf Art. 7 Abs. 3 GG die Einrichtung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehr­fach in den Schulen. Gleichzeitig sprachen sich andere Akteure gegen die Wiedereinführung des schulischen Religionsunterrichts aus. Sie beriefen sich auf Art. 141 GG, demgemäß Art. 7 Abs. 3 GG nicht gilt, wenn in einem Land vor dem 1. Januar 1949 eine dieser Vorschrift zuwiderlaufende landesgesetz­liche Regelung bestanden hatte. Sowohl die Befürworter als auch die Gegner des schulischen Religionsunterrichts konnten sich auf namhafte Staatsrechtier berufen; diese vermochten sich über die diesbezügliche Interpretation des Grundgesetzes nicht zu einigen. Ihre Einschätzungen reichten von der Aussa­ge, daß nur Art. 7 Abs. 3 GG oder nur Art. 141 GG Anwendung zu finden hätten, bis hin zu der Ansicht, daß die Länder die für sie verbindliche Rege­lung selbst wählen könnten255• Vertreter der evangelischen Kirchen wiesen im

1.4.1993 - 33-84003, in: a.a.O., S. 1114; Waseher 1992a, S. 26f.; Waseher 1992b, S. 276, S.283ff.

254 V gl. Die Kultusministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern: Unsere Hauptschule in Mecklenburg-Vorpommern. Ein sicherer Weg mit Zukunft. In­formationen zur Bildung Nr. 8 v. August 1994; Neues Hauptschulkonzept, in: Schulverwaltung MO. H. 9/1994, S. 246; Innere Reform soll Image der Haupt­schule verbessern, in: DLZ. Nr. 26/1994.

255 Zur Auseinandersetzung um die Anwendung von Art. 7 Abs. 3 GG oder Art. 141 GG auf die neuen Bundesländer, insb. im Hinblick auf die Situation im Land Brandenburg vgl. z.B. Leistikow/Krzyweck 1991, S. 309; Biwak hinterm Grund­gesetz, in: Die Zeit. Nr. 5211991; v. MangoldUKleinlv. Campenhausen 1991, S.

204

Page 203: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Verlauf der Diskussion darauf hin, daß sich Kirchen und Religion in den neu­en Ländern in einer randständigen Position befänden und religionsgruppen­gebundener Unterricht zu einer unerwünschten Marginalisierung des Unter­richts selbst und damit auch der christlichen Schüler führen könnte. Zudem wäre damit zu rechnen, daß bei flächendeckender Einführung kirchengebun­denen Religionsunterrichts für eine lange Übergangsperiode nicht in ausrei­chender Anzahl adäquat ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung ständen256•

Die teilweise heftige öffentliche Diskussion um die Einführung des Religi­onsunterrichtes ebbte auch nach der Phase der Schulreformgesetzgebung im Jahr 1991 nicht ab257 . Sie ist insofern bemerkenswert, als es Eltern jederzeit freisteht, darüber zu befinden, ob sie ihre Kinder am Religionsunterricht teil­nehmen lassen wollen258•

Die Länder haben zum Religions- bzw. religionskundliehen Unterricht sowie zum Ethikunterricht unterschiedliche Regelungen getroffen. Insbeson­dere im Land Brandenburg wurde versucht, einen eigenen Weg zu beschrei­ten. Das brandenburgische 1. SRG enthielt zu Religion und Ethik lediglich die Aussage, daß Regelungen in bezug auf diese Fächer einem Landessehut­gesetz vorbehalten blieben(§ 26 - 1. SRG). Als Übergangslösung wurde das weltanschaulich neutrale Fach 'Lebensgestaltung/Ethik/Religion' (LER)259

ohne Alternativfach im Rahmen eines Modellversuches eingerichtet. Der Mo-

305; Avenarius 1992, S. 126; Darf Brandenburg im Ethik- und Religionsunter­richt eigene Wege gehen?, in: DLZ. Nr. 811994; Hanßen 1996, S. 276; Muk­kelffillmanns 1996; Wißmann 1996.

256 Vgl. Friemel1992, insb. S. 152f.; Reiher 1992b, S. 11. In der Tat befinden sich die beiden großen christlichen Kirchen in den neuen Bundesländern in einer be­völkerungsstatistisch schwierigen Situation. Zum Anteil christlich gebundener Menschen in den neuen Ländern existieren in der Literatur unterschiedliche Zahlen. Das letzte statistische Jahrbuch der DDR gab die Mitgliederzahl in den Evangelischen Kirchen mit 5.104.000 an, die der Katholischen Kirche mit 1.090.300; vgl. Statistisches Amt der DDR 1990, S. 451. Dies entsprach einem Bevölkerungsanteil von ca. 30 % bei den evangelischen und von 6,1 % bei den katholischen Kirchenmitgliedern, bezogen auf das Jahr 1989; vgl. Winkler (Hrsg.) 1990, S. 308. Einen besonders hohen katholischen Bevölkerungsanteil weisen bestimmte Regionen in Thüringen auf, während in Sachsen ein relativ hoher evangelischer Bevölkerungsanteil vorzufinden ist. Eine neuere Schätzung gibt die Zahl der 16-29jährigen, die einer Religionsgemeinschaft angehören, mit etwa 20 % an. Die katholische Kirche stellt - mit den genannten Ausnahmen -traditionell in den ostdeutschen Ländern und Regionen eine Diasporakirche dar. Friemel zeigt dies am Beispiel der Stadt Rostock, wo es 70 allgemeinbildende Schulen, pro Jahrgang aber nur etwa 60 katholische Schüler gibt; vgl. Friemel 1992, s. 155.

257 Vgl. Barz 1994, S. 26; Eggers/Köpp/Reck 1993, S. 169f.; Friemel1992, S. 154f. 258 Vgl. Art. 7 Abs. 2 GG. Mit Vollendung des 14. Lebensjahres können Schüler

selbst über diese Frage entscheiden. 259 Zu den Zielen und Inhalten dieses Faches vgl. Gemeinsam leben lernen 1991.

Zur Diskussion um Religion und/oder LER in den Schulen des Landes Branden­burg allgemein vgl. auch Nipkow 1996; Otto 1996.

205

Page 204: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

deliversuch sollte drei Jahre dauern; seine Ergebnisse sollten in die Diskussi­on des brandenburgischen Schulgesetzes einfließen260• Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport bot den Kirchen eine Beteiligung an der inhaltli­chen Gestaltung von LER an; die evangelische wie die katholische Kirche lehnten dies zunächst ab und machten ihre Zustimmung von der Möglichkeit abhängig, parallel zu LER konfessionell gebundenen Religionsunterricht an den Schulen erteilen zu können261 • Nach einer langen Kontroverse zwischen dem Ministerium und den Kirchenleitungen262 beschloß die Landesregierung, beginnend mit dem Schuljahr 1992/93 an 44 Schulen- 21 Gesamtschulen, 17 Gymnasien und sechs Realschulen- unbenoteten LER-Unterricht in den Klas­sen 7 bis 10 mit wöchentlich zwei Unterrichtsstunden durchzuführen263 . Wäh­rend es die katholische Kirche im August 1993 endgültig ablehnte, an dem Modellversuch teilzunehmen264 , ließ sich die evangelische Kirche Berlin­Erandenburg schließlich für eine Mitarbeit am Unterricht in einem Teil der ausgewählten Schulen gewinnen. Sie akzeptierte das Angebot des Ministeri­ums, gleichzeitig die Einführung evan~elischen Religionsunterrichts an ande­ren Schulen materiell zu unterstützen 65• Die evangelische Kirche beteiligte

260 Allgemein zur Einrichtung des Religionsunterrichts in den neuen Ländern und zur Haltung der (evangelischen) Kirchen in dieser Frage vgl. Reiher 1992b; Schwerin 1992a; Schwerin 1992b. Zu den Ergebnissen des Modellversuchs vgl. auch Leschinsky 1995.

261 Vgl. Stellungnahme der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg zu den Arbeitsstand­punkten des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport im Land Brandenburg betr. Unterrichtsfach "Lebensgestaltung!Ethik/ Religion" - Beschluß des Kollegi­ums vom 9.4.1991; Stellungnahme der Katholischen Kirche zu den Arbeits­standpunkten des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport im Land Branden­burg zum Unterrichtsfach "Lebensgestaltung!Ethik/Religion" - Bischöfliches Ordinariat Berlin vom 25.4.1991.

262 Vgl. z.B. Für Kirche kein Platz in der Schule, in: Rheinischer Merkur. Nr. 1611992; Sternstunde in der Schule, in: Der Spiegel. .. Nr. 2211992; Lebensgestal­tung als Unterrichtsfach, in: Die Zeit. Nr. 2711992; Uber Religionsunterricht un­eins, in: F.A.Z. v. 22.8.1992. Zur Kontroverse aus Sicht der Befürworter des Fa­ches Lebensgestaltung vgl. Eggers 1993. Für die Ziele des Unterrichtsfaches 'Lebensgestaltung!Ethik/ Religion' setzte sich insbesondere die 'Arbeitsgemein­schaft Bildung und Lebensgestaltung ein', eine im Herbst 1989 ins Leben geru­fene, aus der 'Volksinitiative Bildung' hervorgegangene Interessengemeinschaft; vgl. Eggers 1992.

263 Vgl. Leschinsky 1995, S. 2; Durchführung des Modellversuchs "Lebensgestal­tung-Ethik-Religion" v. 9.7.1992, in: RdSchr. Nr. 58/06/92, ABI. MBJS 1993 Nr. 12 S. 561; Ergänzung zum Rundschreiben zur Durchführung des Modellver­suchs "Lebensgestaltung-Ethik-Religion" (Nr. 58/06/92) v. 11.9.1992, in: RdSchr. Nr. 73/92, ABI. MBJS Nr. 12 S. 563.

264 Vgl. Über Religionsunterricht uneins, in: F.A.Z. v. 22.8.1992; Modellversuch ohne katholische Kirche, in: F.A.Z. v. 4.9.1992; Kardinallehnt Modellversuch ab, in: DLZ. Nr. 30/1992; MBJS: Pressemitteilung v. 26.3.1996.

265 Vgl. Modellversuch ohne katholische Kirche, in: F.A.Z. v. 4.9.1992; Bewegung im Potsdamer "Religionsstreit" gestoppt, in: FR v. 11.6.1992; Der Modellver­such beginnt, in: DLZ. Nr. 2511992; Vorreiter für neue Modelle, in: DS. Nr.

206

Page 205: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

sich mit eigenen Mitarbeitern an der Unterrichtsdurchführung, die den Teil 'Religion' des Faches bestritten. Gleichzeitig begannen die evangelischen Kirchen mit dem Aufbau eines eigenen Angebotes an bekenntnisgebundenem Religionsunterricht, der aufgrund des eklatanten Lehrermangels bislang je­doch nur an wenigen Schulen angeboten werden kann266• Weitere Verhand­lungen mit der katholischen Kirche über eine Teilnahme am laufenden Mo­dellversuch blieben ergebnislos. Die gesamte Durchführungsphase, die mit dem Schuljahr 1994/95 abgeschlossen wurde, war von kontroversen Diskus­sionen begleitet267 . Gemäß § 141 BbGSchulG begann mit dem Schuljahr 1996/97 die schrittweise Einführung des Faches Lebensgestaltung - Ethik -Religionskunde als Pflichtfach. Die Unterrichtsinhalte sollen "bekenntnisfrei, religiös und weltanschaulich neutral" unterrichtet werden (§ 11 Abs. 3 BbG SchulG)268. Die zur Ausgestaltung des Faches erforderlichen Rechtsvorschrif­ten sind durch das MBJS zu erlassen(§ 11 Abs. 4 u. § 141 BbGSchulG). Die Kirchen und Religionsgemeinschaften behalten aber "das Recht, Schülerinnen und Schüler in den Räumen der Schule nach ihrem Bekenntnis zu unterrichten (Religionsunterricht)" (§ 9 Abs. 2 BbGSchulG). Die letztgenannte Bestim­mung kann als Beleg dafür angesehen werden, daß die Landesregierung mit dem Versuch, LER alternativlos als Pflichtfach zu verankern, letztlich ge­scheitert ist. Die den Kirchen eingeräumte Möglichkeit, in den Schulen kon­fessionsgebundenen Religionsunterricht anzubieten, stellt den Versuch eines Kompromisses dar; die Kirchen sind jedoch mit dieser Regelung nicht ein­verstanden. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben gegen die genannten Bestimmungen des Schulgesetzes Verfassungsbeschwer­de eingelegt, dies u.a. mit der Begründung, Religion werde nicht als ordentli-

4111993. Im Mai 1995 kündigte jedoch auch die Evangelische Kirche Berlin­Erandenburg die weitere Mitarbeit am Modellversuch auf; vgl. Fauth 1996, S. 92; MBJS: Pressemitteilung v. 26.3.1996.

266 V gl. Tausend Fragen zum Sinn des Lebens, in: Rheinischer Merkur. Nr. 1811993; Katholische Kirche lehnt Teilnahme am Schulversuch in Brandenburg ab, in: DLZ. Nr. 3411993; Katholische Kirche bei LER aus dem Spiel, in: Märkische Allgemeine Zeitung v. 8.9.1993; Als Orientierungshilfe gedacht, in: Märkische Allgemeine Zeitung v. 27.9.1993; Kirche beteiligt sich am Modellversuch, in: DLZ. Nr. 29/1993; Gemeinsam leben lernen, in: DLZ. Nr. 8/1994.

267 Vgl. Hartmann 1995; PLIB 1995a; PLIB 1995b; Leschinsky/Schnabel 1996; Evangelische Kirche in Berlin-Erandenburg (EKiBB): Abschlußbericht zum Modellversuch "Lebensgestaltung- Ethik-Religion". Von der Kirchenleitung der EKD verabschiedet am 9.6.1995 (Typoskript).

268 Zu Zielen, Aufgaben und Inhalten des Faches LER aus Sicht der Landesregie­rung vgl. MBJS (Hrsg.) 1996a; MBJS (Hrsg.) 1996c. Zur Diskussion der Mög­lichkeiten einer Verankerung von LER und Religionsunterricht im Schulgesetz vgl. Carmesin 1996. Zur praktischen Ausgestaltung des Faches im Unterricht vgl. Verstehen, warum der andere anders denkt, in: Die Zeit v. 15.11.1996. Für Schulen in Trägerschaft der Kirchen besteht keine Verpflichtung zur Einführung des Faches LER; vgl. Peter: Konfessionelle Schulen müssen LER nicht einfüh­ren, in: F.A.Z. v. 24.4.1996.

207

Page 206: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ches, sondern nur als freiwillig zu besuchendes Unterrichtsfach vermittelt, was gegen Art. 7 Abs. 3 GG verstoße. Gleichzeitig haben beide Kirchen mit Beginn des Schuljahres 1996/97 die Schülerinnen und Schüler bzw. deren Eltern aufgefordert, die - grundsätzlich mögliche - Befreiung von der Teil­nahme am LER-Unterricht zu beantragen und sich bzw. ihre Kinder zum Re­ligionsunterricht anzumelden269• Im Oktober 1996 vereinbarte das Erzbi­schöfliche Ordinariat Berlin mit dem MBJS, daß der Religionsunterricht für katholische Schüler in den Räumen der Kirche durchgeführt und als dem schulischen Religionsunterricht .ßleichgestellt (§ 9 Abs. 3 Ziff. 4. BbG SchulG) anerkannt werden kann2 • Inwieweit aufgrund der demographischen und sonstigen Probleme ein eigenständiger Religionsunterricht flächendek­kend und dauerhaft etabliert werden kann, bleibt abzuwarten271 •

Das Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern enthielt Bestimmungen sowohl zum Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften als auch zur Vermittlung religionskundlieber Kenntnisse als Gegenstand fächerübergreifenden Unterrichts (§ 15 SRG); Ethikunterricht fand hingegen keine Erwähnung. Da im Schuljahr 1991192 die sächlichen, insbesondere aber die personellen Voraussetzungen noch nicht vorlagen, begann die Erteilung des Religionsunterrichts erst im Schuljahr 1992/93 in rund 200 4. und 5. Klassen, wobei nach Angaben des Kultusmini­steriums etwa die Hälfte der Schüler dieser Klassen am Unterricht teilnahm. Das Unterrichtsangebot soll ausgeweitet werden, sobald qualifizierte Lehr­kräfte zur Verfügung stehen272• Die Regelung zum Religionsunterricht wurde

269 V gl. Beide Kirchen kündigen Verfassungsbeschwerde gegen LER an, in: F.A.Z. v. 30.6.1996; Auch die evangelische Kirche erhebt Verfassungsbeschwerde, in: F.A.Z. v. 6.7.1996; LER als Pflichtfach eingeführt, in: F.A.Z. v. 5.8.1996; "Schüler sollen sich von LER befreien lassen", in: F.A.Z. v. 10.8.1996. Neben den Kirchen strengte die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages eine Normenkontrollklage gegen das Schulgesetz, soweit es LER zum Pflichtfach macht, an; vgl. Der Erste Senat entscheidet über LER, in: F.A.Z. v. 15.8.1996.

270 Vgl. MBJS: Pressemitteilung v. 24.10.1996; Religionsunterricht statt LER aner­kannt, in: F.A.Z v. 25.10.1996.

271 Carrnesin gibt die Zahl der Katholiken im Land Brandenburg mit 85.000 (3,4 % der Bevölkerung) an, die der Angehörigen der evangelischen Kirche mit 25 % der Bevölkerung; vgl. Carrnesin 1996, S. 353 (FN 5). Im Schuljahr 1996/97 soll LER für ca. 13.500 Schüler an 71 Schulen angeboten werden; 170 Lehrerinnen und Lehrer stehen zur Unterrichtsdurchführung zur Verfügung. In der Einfüh­rungsphase soll der Unterricht noch nicht benotet, lediglich die Teilnahme im Zeugnis vermerkt werden; vgl. MBJS: Pressemitteilung v. 7.6.1996, S. 2.

272 V gl. Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommem: Pressemitteilung v. 11.7.1991; Pressemitteilung v. 28.10.1993. Die Angaben zur Teilnahme in den folgenden Schuljahren schwanken nicht unerheblich. Laut 'Aufruhr unter Thü­ringens Pfarrern' (F.A.Z. v. 8.7.1995) nahmen im Schuljahr 1994/95 nur rund 8.200 von 297.000 Schülern in Mecklenburg-Vorpommem am Religionsunter­richt teil. Überdies boten im genannten Schuljahr nur 187 von 963 allgemeinbil­denden Schulen Religionsunterricht an; vgl. a.a.O. Das Kultusministerium gab die Zahl der im Schuljahr 1994/95 teilnehmenden Schülerinnen und Schüler mit

208

Page 207: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

in das Schulgesetz übernommen(§ 7 Abs. 1 SchulG M-V). Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, erhalten in der Primarstufe und der Se­kundarstufe I Unterricht im Fach 'Philosophieren mit Kindern', in der Sekun­darstufe II Unterricht in Philosophie (§ 7 Abs. 2 SchulG M-V).

In Sachsen ist Religionsunterricht an allen öffentlichen Schulen mit Aus­nahme der Fachschulen ordentliches Lehrfach. Schüler, die nicht am Religi­onsunterricht teilnehmen, haben Ethikunterricht zu besuchen, in dem neben anderem auch religionskundliebes Wissen vermittelt und religiöse Fragen an-gesprochen werden sollen(§§ 18- 20 SchulG)273• .

Die in Sachsen-Anhalt zum Religions- und Ethikunterricht getroffene Re­gelung entspricht der des Freistaats Sachsen. Die auf Religions- und Ethik­unterricht bezogenen§§ 19- 21 des sachsen-anhaltinischen Vorschaltgesetzes wurden bei der 1993 erfolgten Novellierung nicht verändert. Das Schulgesetz Sachsen-Anhalt enthält im Gegensatz zum sächsischen Schulgesetz eine Übergangsregelung, wonach Unterricht in Religion und Ethik erst dann erteilt wird, wenn geeignete Lehrer und die erforderlichen Unterrichtsangebote zur Verfügung stehen (§ 19 Abs. 5 SchulG). Deutlicher als die anderen Länder hat Sachsen-Anhalt im Schulgesetz die Option für Schüler formuliert, zwi­schen Religion und Ethikunterricht wählen zu können. Neben Religion ist auch Ethik ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen; die Schüler neh­men entweder am Religionsunterricht oder am Ethikunterricht teil(§ 19 Abs. 2 SchulG). Die beiden Fächer werden in den Klassenstufen 1 bis 6, in der gymnasialen Oberstufe und berufsbildenden Schulen mit zwei, im Sekundar­bereich ab Klassenstufe 7 bis zur Abstellung des noch bestehenden Lehrer­mangels mit einer Wochenstunde unterrichtet. Religionsunterricht wird dann erteilt, wenn sich mindestens acht interessierte Schüler zusammenfinden, wo­bei die Zusammenfassung von Schülern in klassen- oder klassenstufenüber­greifenden Lerngruppen möglich ist. In den sachsen-anhaltinischen Schulen wurden zum Schuljahr 1994/95 erstmalig versetzungsrelevante Zensuren in Religion und Ethik erteilt274•

§ 18 VBiG des Landes Thüringen enthielt zum Religionsunterricht ledig­lich die Bestimmung, daß nicht am Religionsunterricht teilnehmende Schüler statt dessen am Ethikunterricht teilzunehmen hätten. Im Schulgesetz vom Au­gust 1993 finden sich erheblich erweiterte Aussagen zum Religions- und Ethikunterricht Der weltanschaulich neutrale Ethikunterricht erhielt inhaltli­che Vorgaben; er ist von Schülern zu besuchen, die keiner Kirche oder Reli-

15.220 (evang.) und 4.300 (kath.) an. Zur Erteilung des evangelischen Religi­onsunterrichts waren 165 Lehrkräfte verfügbar, davon 45, die sich noch in einer berufsbegleitenden Weiterbildung befanden. Rund 120 Lehrkräfte, meist kirchli­che Mitarbeiter, unterrichteten katholische Religion; vgl. Religionsunterricht in Mecklenburg-Vorpommern, in: Mittbl. KM MV 1995 S. 374.

273 V gl. Deppe 1992. 274 Vgl. Wolff/Bode 1994, S. 344.

209

Page 208: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gionsgemeinschaft angehören und die nicht am Religionsunterricht teilneh­men. "Sein Inhalt orientiert sich an den sittlichen Grundsätzen, wie sie im Grundgesetz niedergelegt sind. Im übrigen berücksichtigt er die Pluralität der Bekenntnisse und Weltanschauungen" (§ 46 Abs. 4 ThürSchulG). Mit dem Schuljahr 1991/92 begann der Religionsunterricht in Thüringen regional be­grenzt und nur dort, wo sich wie in Sachsen-Anhalt mindestens acht Schüler für das Fach anmeldeten. Klassen- oder klassenstufenübergreifender Unter­richt ist möglich.

In allen Ländern verlief die Einführung des Religions-, des religions­kundlichen und des Ethikunterrichts nur schleppend und mit erkennbaren re­gionalen Unterschieden in der Angebotsdichte. Die praktische Unterrichts­durchführung bereitet nach wie vor große Probleme. Das Haupthindernis bil­det der fortdauernde Mangel an adäquat ausgebildeten Lehrkräften. Das Schülerinteresse am Religionsunterricht ist regional unterschiedlich. Proble­me gab es vielfach bei der Zusammenführung ausreichend großer Lerngrup­pen, obgleich, wie in Sachsen-Anhalt und Thüringen, klassen- oder klassen­stufenübergreifender Unterricht zugelassen werden kann, um die hier gefor­derte Mindestzahl von acht Schülern zu erreichen275•

Eine Erhebung in Mecklenburg-Vorpommern zeigte, daß die teilnehmen­den Schüler insbesondere an der Behandlung sozialethischer und religions­kundlicher Fragestellungen interessiert waren; bekenntnisgebundene Themen standen demgegenüber zurück276•

3.3.5 Die Neugestaltung der inneren Verhältnisse im Schulwesen

Die Veränderungsprozesse in den inneren Verhältnissen der Schulen, die sich parallel zur strukturellen Umgestaltung vollzogen und noch andauern, werden auch in bezug auf die ostdeutschen Länder weitgehend mit dem Begriff der

275 Allgemein vgl. Ruh 1991; Aufruhr unter Thüringens Pfarrern, in: F.A.Z. v. 8.7.1995. Zu Sachsen vgl. Kaum Religionsunterricht, in: DLZ. Nr. 25/1992; Die Absicht seh' ich wohl, allein es fehlt der Glaube, in: Leipziger Volkszeitung v. 15.3.1993; Eltern wollen Religionsunterricht Aber der Pfarrer will kein Religi­onslehrer sein, in: DLZ. Nr. 3111993; Kirchen in Sachsen kooperieren beim Re­ligionsunterricht, in: F.A.Z. v. 8.9.1994. Zu Sachsen-Anhalt vgl. Gemeinsamer Unterricht (SPD) versus Ersatzfach (Kirchen), in: DLZ. Nr. 711993; Der Staat ist religiös neutral, in: Rheinischer Merkur. Nr. 38/1993; Für katholische Geistliche sind die Schulpforten weit geöffnet, in: DLZ. Nr. 23/1994. Zu Thüringen vgl. Ethikunterricht wird reguläres Schulfach, in: DLZ. Nr. 2711993; Drößler 1994; Vertragsloser Zustand beendet, in: DLZ. Nr. 25/1994; Thüringer Kultusministe­rium: Pressemitteilung v. 21.6.1995.

276 V gl. Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern: Pressemitteilung V. 28.10.1993.

210

Page 209: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

inneren Schulreform gekennzeichnet277• Dieser aus der westdeutschen Schul­reformdiskussion entlehnte Begriff soll im Folgenden beibehalten werden; er verleitet aber möglicherweise zu der Annahme, daß es sich bei den Entwick­lungen in den Schulen der neuen Bundesländer um Reformen innerer Aspekte von Schule handele, die mit Prozessen in westdeutschen Schulen vergleichbar seien. Angesichts der Reichweite dieser inneren Veränderungen, die der strukturell-organisatorischen Umgestaltung nicht nachstehen, wäre jedoch der allerdings sperrige und wenig gebräuchliche Begriff der inneren Transforma­tion die präzisere Kennzeichnung der Prozesse, die sich seit Ende 1989 in den ostdeutschen Schulen vollziehen.

Im Zusammenhang mit den inneren Reformen im ostdeutschen Schulwe­sen ist zu fragen, welche Auswirkungen der gesellschaftliche Transformati­onsprozeß in den Schulen hatte, wie sich das Rollenbild und das Verhalten der Lehrerschaft veränderten, welche Anforderungen die neuen Lehrpläne und die veränderte Methodik an die Lehrkräfte stellen, wie sie diese Anforde­rungen bewältigen, und nicht zuletzt, wie die Veränderungen aus Schülersicht beurteilt werden. Zudem ist der Blick auf die Mitbestimmungs- und Mitge­staltungsrechte für Schüler, Eltern und Lehrer zu richten und einzuschätzen, inwieweit die Beteiligungsrechte genutzt werden. Obgleich seit der Vereini­gung mehr als sechs Jahre vergangen sind, liegen bislang nur wenige Unter­suchungen zu den inneren Veränderungen im ostdeutschen Schulwesen vor. Empirisch abgesicherte und damit am ehesten verallgemeinerungsfähige Er­kenntnisse gibt es zu den Aspekten, die die Lehrkräfte und die von ihnen zu bewältigenden Probleme betreffen278 . Die Aussagen zu der Frage, wie Schüler die Veränderungen beurteilen, haben hingegen eher den Charakter erster Ein-

277 Vgl. z.B. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 123ff. Zum Begriff der inneren und äußeren Schulreform vgl. Furck 1989; Roe­der 1989. Die unter dem Begriff 'innere Schulrefonn' gefaßten Materien sind nicht deckungsgleich mit jenen, die unter den Terminus 'innere Schulangelegen­heiten' fallen. Zu den inneren Schulangelegenheiten i.e.S. zählen diejenigen Tä­tigkeitsfelder, die Unterricht und Erziehung betreffen, seien dies Bildungs- und Erziehungsziele, die didaktische und methodische Gestaltung des Unterrichts, die Auswahl des Lehrpersonals, Prüfungen und Zeugnisse. Unter äußeren Schulange­legenheiten sind Aufgaben zu verstehen, die mit dem Bau und der Unterhaltung von Schulen, der Einstellung des nichtlehrenden Personals und der Versorgung mit Lehr- und Lernmitteln im Zusammenhang stehen; vgl. Klemmffillmann 1984; S. 283ff.; Heckel/Avenarius 1986, S. 7f., S. 102.

278 Stand: Mitte 1995; vgl. Lenhardt/Stockffiedtke 1991; Forschungsgruppe Schul­strukturwandel in Thüringen 1993; Koch/Schröter/Woderich 1994; Rehffillmann 1994; Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend 1994, S. 123ff. (teilidentisch mit Reh/Tillmann 1994); Döbert!Rudolf 1995. Insbesondere die Befragung von Döbert und Rudolf ist die nach Tiefe und Breite aussagekräf­tigste der vorgefundenen Untersuchungen; sie berücksichtigt Lehrer aller (allge­meinbildenden) Schularten in Ost-Berlin, Brandenburg und Sachsen.

211

Page 210: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schätzungen279• Die gleiche Einschränkung gilt für die Aussagen zur Mitwir­kung in den Schulen, soweit sie über die dargestellten Rechtsgrundlagen hin­ausreichen280.

Im Transformationsprozeß sahen sich die Lehrkräfte mit Veränderungen erheblichen Ausmaßes konfrontiert. Noch weitaus stärker als die strukturelle Neugestaltung des Schulwesens beeinflußte der Wandel des Berufsbildes und des Rollenverständnisses281 die Tätigkeit der Lehrkräfte, die ihre Einstellun­gen und Wertorientierungen, aber auch ihr Verhalten im Umgang mit den Schülern an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen hatten282. Bis 1989 war von den Lehrern gefordert worden, sich mit der marxistisch­leninistischen Ideologie zu identifizieren und diese im Unterricht zur Geltung zu bringen283 . Es ist davon auszugehen, daß ein nicht unerheblicher Teil der Lehrerschaft dies nicht als Zwang empfand, sondern den Sozialismus als Idee und gesellschaftliches Ordnungsprinzip durchaus befürwortete. Dieser Perso­nenkreis erlebte das Ende der sozialistischen Ordnung in der DDR nicht als eine Art innerer und äußerer Befreiung, sondern als Zusammenbruch eines für das eigene Leben bestimmenden Orientierungsrahmens. Zu der Frage, inwie­weit dies zu einer tiefgehenden Persönlichkeitskrise bei Lehrern führte und welche Auswirkungen auf den Unterricht hieraus resultierten, liegen keine weiterführenden Studien vor, nicht zuletzt, weil sich die betroffenen Lehrer einer wissenschaftlichen Untersuchung dieses Themas nur sehr eingeschränkt öffnen284.

279 Die Aussagen zu diesem Aspekt entstammen weitgehend der für den 9. Jugend­bericht (vgl. Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend 1994) erarbeiteten Kurzexpertise 'Situation der Schuljugend in Jena'; vgl. a.a.O., S. 128ff.

280 Sie sind ergänzt um nichtrepräsentative Befunde aus Vor-Ort-Gesprächen. Die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten im Schulwesen der neuen Länder ist ein weiteres Forschungsdesiderat, da repräsentative, empirisch abgesicherte Aussa­gen zu diesem Thema noch immer nicht vorliegen.

281 Zum Rollenverständnis des Lehrers in der DDR vgl. Lenhardt/Stock!Tiedtke 1991.

282 Vgl. z.B. Treffpunkt Schule '94/95. Sonderveröffentlichung der Märkischen All­gemeinen Zeitung in Zusammenarbeit mit dem MBJS Brandenburg v. 6.9.1994, hier u.a.: Rahmenpläne sind das Kernstück der inneren Schulreform, in: a.a.O., S. 1.

283 Die Pflicht zur Teilnahme am 'Parteilehrjahr' unabhängig von einer Mitglied­schaft in der SED belegt die an Lehrer gerichteten Konformitätserwartungen; vgl. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1988; Reh/Tillmann 1994, s. 225f.

284 "Über die Frage, in welchem Ausmaß ( ... ) Identitäten erschüttert wurden, welche subjektiven Prozesse der politischen Neuorientierung und der Identitäts-Stabili­sierung daran anknüpfen, kann man nur sehr wenig aussagen. Gespräche darüber erfordern ein Maß an Vertrautheit, das sich( ... )- zumal zwischen 'Ostlern' und 'Westlern' - nur sehr schwer einstellt; und Forschung dazu liegt bisher noch nicht vor. Festgestellt werden kann aber eine deutliche Abneigung, die politische Vergangenheit der DDR-Schulen und die damit verbundene Rolle der Lehrer und

212

Page 211: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

In bezug auf die Frage, wie die Lehrer auf die Veränderungen in den Schulen reagierten, weist Klaus-Jürgen Tillmann darauf hin, daß es Lehrkräf­ten trotz erkennbarer Verhaltensunsicherheiten gelungen wäre, sich schon in der Umbruchphase 1989/90 weitgehend von den bis dahin verbindlichen po­litischen Vorgaben zu lösen. Dies zeige, daß es ungeachtet des ständigen Be­mühens, auf die Lehrerschaft und den Unterricht in der DDR massiv Einfluß zu nehmen, vom ideologischen Moment unabhängige Strukturen und spezifi­sche Orientierungen in den Schulen gegeben haben müsse, die stabilisierend wirkten und denen die Lehrerschaft auch nach dem Wegfall der verbindlichen ideologischen Vorgaben folgen konnte. So wäre es den Lehrkräften mö~lich gewesen, mit individueller und professioneller Unsicherheit umzugehen28 .

Hans Döbert und Roland Rudolf286 stellten in einer Untersuchung zur Befindlichkeit von Lehrern in den neuen Ländern fest, daß sich ostdeutsche Lehrerinnen und Lehrer fünf Jahre nach der 'Wende' kaum noch mit der DDR-Schule und -Pädagogik und ihrer eigenen Rolle darin beschäftigten. Sie deuten dies weniger als Ausdruck mangelnden Interesses, sondern vielmehr als Anzeichen von Überforderung und Unsicherheit, die bei Lehrkräften dazu geführt hätten, sich nahezu ausschließlich auf ihr gegenwärtiges Handeln und die Bewältigung aktueller Anforderungen zu konzentrieren. Die im Schul­dienst verbliebenen Lehrerinnen und Lehrer hätten kaum Zeit zu kritischer Reflexion und Aufarbeitung des V ergangenen gehabt, was es ihnen erleichtert hätte, das Gewesene zu verdrängen. Die Notwendigkeit, die vielfältigen Neuerungen zu bewältigen, habe dazu geführt, daß Lehrerinnen und Lehrer wo immer möglich auf bekannte und aus ihrer Sicht bewährte Rollen- und Handlungsmuster zurückgegriffen und dabei neue Anforderungen ignoriert hätten. Insgesamt hätte ein nicht unerheblicher Teil der ostdeutschen Lehrer­schaft noch immer mit Unsicherheiten im Schulalltag zu kämpfen287• Dies führte bisweilen zu der Einschätzung, die Lehrkräfte täten sich schwer mit dem Wandel und den neuen Anforderungen, die dieser an sie stelle88•

Die Lehrer hatten nicht nur ihre individuellen, aus der 'Wende' resultie­renden Probleme zu bewältigen, sondern mußten sich gleichzeitig mit den in­haltlichen, methodischen und pädagogischen Veränderungen in der Unter­richtsgestaltung auseinandersetzen. Nach Auflösung der POS/EOS hatten sie

Lehrerinnen zum Thema zu machen"; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 125.

285 Zudem vermutet Tillmann, daß Schule grundsätzlich nur in Grenzen politisch­ideologisch instrumentalisierbar sei; vgl. Tillmann 1993b, S. 23ff. V gl. auch Tillmann 1993a; Tillmann 1994; Koch!Schröter/Woderich 1994, S. 18ff.

286 Vgl. Döbert/Rudolf 1995. Befragt wurden Lehrerinnen und Lehrer in Branden­burg, Sachsen und Ost-Berlin.

287 Vgl. Döbert/Rudolf 1995, S. 189ff. 288 So wurde z.B. der ehemalige brandenburgische Kultusminister Resch zitiert; vgl.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 117. Vgl. auch Einfach Ruhe, in: Der Spiegel. Nr. 2511996, S. 51f.

213

Page 212: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

sich mit den besonderen Bedingungen des Unterrichts in den neuen Schular­ten vertraut zu machen. Zum Beginn des Schuljahres 1991/92 wurden neue Rahmenlehrpläne eingeführt, die den kreativen Umgang mit pädagogischen Freiräumen nicht bloß ermöglichten, sondern geradezu notwendigerweise voraussetzten. Die Lehrer mußten lernen, sowohl mit der Stoffdichte der Rahmenpläne als auch mit den inhaltlichen W abimöglichkeiten umzugehen. Mit den didaktischen korrespondierten neue methodische Freiheiten. Der bis­herige Zwang, nach der starren, kleinschrittigen und lehrerzentrierten DDR­Unterrichtsmethodik vorzugehen, wich einem vielfältigen Methodenangebot, das unterschiedliche Lehrmethoden im Rahmen des stundenweisen Unter­richts, aber auch stunden- und fachübergreifende Unterrichtsprojekte um­faßt289. Die Anforderungen, die der Umgang mit den neuen didaktischen und methodischen Konzeptionen an die Lehrkräfte stellte, erschütterte vielfach das berufliche Selbstbild von Lehrern hinsichtlich ihrer fachlichen und me­thodischen Kompetenz290. Döbert/Rudolf schätzen, daß die Lehrkräfte in den neuen Ländern und Berlin in bezug auf die Anpassung ihrer methodischen Fähigkeiten noch eine längere Übergangsphase benötigen: "Die derzeitige Situation legt die Vermutung nahe, daß die meisten Lehrer ihren Unterricht im wesentlichen so gestalten wie früher"291 . Ihre Untersuchungen zur Unter­richtsdurchführung ergaben, daß viele Lehrer ihren Unterricht nach wie vor überwiegend lehrerzentriert und stofforientiert gestalteten; betroffene Schüler beklagten die geringen Möglichkeiten der Mit- und Eigentätigkeit im Unter­richt. Erklärt wird dieser Befund mit der noch immer bestehenden Unsicher­heit vieler Lehrer im Umgang mit einer für sie neuen Methodik, die zu einer stärkeren Orientierung am Stoff und zum Rückbezug auf vertraute Verhal­tensschemata führt. Allerdings kritisierten viele Fachlehrer naturwissen­schaftlicher Fächer das in ihrer Wahrnehmung rückläufige Anforderungsni­veau in den von ihnen unterrichteten Fächern. Sehr zufrieden wären hingegen Lehrkräfte an Grundschulen, deren Tätigkeit sich offenbar am wenigsten ver­ändert hätte292.

Schüler äußerten sich insgesamt durchweg positiv zu den Veränderungen in den Schulen. Sie schätzten das Verhältnis untereinander und im Klassen­verband als gut ein; hier ergaben sich im Vergleich zur Situation in der DDR nur marginale Differenzen. Seit 1990 verschlechterten sich allerdings generell die erzielten Notendurchschnitte, womit sich eine der Forderungen des Herb­stes 1989 erfüllte: die Beendigung der Noteninflation. Ein Vergleich zwi­schen West- und Ostberliner Schulen in den Jahren 1991192 zeigte aber, daß trotzder grundsätzlichen Tendenz zur Verschlechterung des Notenbildes die

289 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 123f.; Helle 1993, S. 117f. in bezugauf den Fremdsprachenunterricht

290 Vgl. Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 126. 291 Döbert!Rudolf 1995, S. 193. Vgl. a.a.O., S. 25ff. 292 Vgl. Döbert!Rudolf 1995, S. 131ff.

214

Page 213: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Leistungen Ostberliner Schüler im Durchschnitt signifikant besser bewertet wurden als die von Westberliner Schülern. Allgemein war festzustellen, daß die Schüler in allen Schularten gestiegenen Leistungsanforderungen ausge­setzt waren und daß sich insbesondere die neu errichteten Gymnasien erkenn­bar an Lern- und Leistungskriterien orientierten. Aufgrund der unterschiedli­chen Schultypen in der Sekundarstufe und deren Wertigkeit, der veränderten Notengebung und des im Gegensatz zur DDR-Schule mehr auf Wettbewerb und Leistungsvergleich angelegten Unterrichts wuchs die mit dem Begriff 'Schulstreß' gekennzeichnete psychische Belastung der Schüler293• Während Lehrer bei Schülern gesunkene Disziplin monierten, stellten viele Schüler im Verhältnis zu Lehrkräften allgemein positive Veränderungen fest, da Lehr­kräfte nicht mehr so autoritär aufträten, wie dies bis 1989 der Fall gewesen

•• 294 ware . Die Möglichkeiten für Eltern, Schüler und Lehrer, auf schulische Ange­

legenheiten Einfluß nehmen können, haben sich im Vergleich zur DDR­Schule erheblich erweitert. Im Land Brandenburg regelte zunächst eine das Erste Schulreformgesetz ergänzende Mitwirkungsverordnung295 die Beteili­gungsrechte von Lehrkräften, Schülern und Eltern. Mit ihr wurde das Ziel verfolgt, "die Eigenverantwortung jeder Schule zu fördern und das notwendi­ge partnerschaftliehe Zusammenwirken aller Beteiligten in der Bildungs- und Erziehungsarbeit zu stärken"(§ 1 MitwirkungsVO). Schülerinnen und Schü­ler sollten ihrem Alter entsprechend an der Planung und Gestaltung des Un­terrichts beteiligt werden (§ 10 Abs. 1 Mitwirkungs-VO). Mit Inkrafttreten des Schulgesetzes zum Schuljahr 1996/97 wurde die Mitwirkungsverordnung obsolet; Mitwirkungsrechte wurden in ausführlicher Form in das Schulgesetz aufgenommen (§§ 74 -98 BbGSchulG). Schülerzeitungen werden als Druk­kerzeugnisse im Sinne des Presserechts angesehen. Ihre Herausgabe bedarf keiner Genehmigung; sie unterliegen keiner Zensur seitens der Schule. Jeder Schüler hat das Recht auf freie Äußerung seiner Meinung in Wort, Bild und Schrift(§§ 47 u. 48 BBGSchulG).

Die Mitwirkungsmöglichkeiten in den Schulen des Landes Mecklenburg­Vorpommern waren bis zum Inkrafttreten des Schulgesetzes durch die Ver­ordnung über Mitwirkungsgremien und Leitungsstrukturen im Schulwesen

293 Vgl. die für den 9. Jugendbericht erarbeitete Expertise von Kirchhöfer/Steiner, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 127ff.; zum Notenvergleich West-/Ost-Berlin vgl. insb. die Tabellen III 2.7a und III 2.7b; Noch ist der Schulalltag im Osten weniger stressig als im Westen, in: DLZ. Nr. 15/1993.

294 Vgl. Döbert!Rudolf 1995, S. 131ff. 295 V gl. Verordnung über die Mitwirkung der Eltern, der Schülerinnen und Schüler

und der Lehrkräfte (Mitwirkungs-VO) v. 26.6.1991 (GVBL S. 293)- geä. durch VO v. 17.6.1993 (GVBL II S. 276); Mehr Demokratie in Brandenburgs Schulen, in: DLZ. Nr. 25/1991; Schulische Mitwirkung im Land Brandenburg, in: Schul­verwaltung MO. Nr. 1/1994, S. 23f.

215

Page 214: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

vom 30. Mai 1990 geregelt, die gemäß § 29 SRG in Teilen als fortgeltendes Recht der DDR weitergalt Das SRG selbst enthielt lediglich einen Passus zur Bildung eines Landesschulbeirates bei der obersten Schulaufsichtsbehörde, dem Vertreter der Lehrer, Eltern und Schüler angehören (§ 28 SRG). Über die Aufgaben, Pflichten und Rechte des Landesschulbeirates sagte das SRG nichts aus. Seit dem Schuljahresbeginn 1996/97 gelten die Bestimmungen des Schulgesetzes zur Schulmitwirkung (§§ 73- 94 SchulG). Hier sind Vorschrif­ten zur Selbstverwaltung der Schulen, zu Schul-, Lehrer-, Klassen- und Fach­konferenzen, zu Schüler- und Elternräten und zu Schülerzeitungen zusam­mengefaßt.

Das Schulgesetz des Freistaats Sachsen enthält eine Schulverfassunf, die die Lehrer-, Eltern- und Schülermitwirkung regelt (§§ 43-57 SchulG)29 • Der Schulkonferenz, der Vertreter aller drei genannten Gruppen angehören, ist die Einflußnahme auf die Erziehungs- und Unterrichtsarbeit möglich. Darüber hinaus kann sie wichtige interne Angelegenheiten beeinflussen, die von der Hausordnung über die Verwendung der einer Schule zur eigenen Bewirtschaf­tung zugewiesenen Haushaltsmittel bis hin zu Stellungnahmen zur Namens­gebung der Schule reichen (§ 43 Abs. 2 SchulG). Eltern sind auf Ebene der Klasse, der Schule, des Kreises und des Landes durch gewählte Elternräte vertreten; diese können Beratungs-, Informations- und Beschwerderechte wahrnehmen und in den die schulischen Interessen der Eltern betreffenden Angelegenheiten Stellungnahmen abgeben(§§ 45-50 SchulG). Schüler verfü­gen über Mitwirkungsrechte auf den gleichen Ebenen und in den Elternrech­ten vergleichbarer Reichweite(§§ 51-56 SchulG). Das Recht der Verbreitung von Schülerzeitschriften auf Schulgrundstücken ist gewährleistet (§ 56 SchulG). Auch in Sachsen sind Schülerzeitungen Druckerzeugnisse nach dem Presserecht297•

In Sachsen-Anhalt enthielt schon das Vorschaltgesetz ausführliche Be­stimmungen zur Mitwirkung im Schulwesen (§§ 44-62 u. §§ 74-80 SRG). Hier handelte es sich im wesentlichen um Anhörungs-, Auskunfts- und Vor­schlagsrechte. Im Schulgesetz vom 30. Juni 1993 wurden die Mitwirkungs­rechte nochmals erweitert. Schüler- und Elternrat auf Schulebene haben das

296 Ergänzende Regelungen zu Eltern- und Schülervertretungsrechten sowie zu den Schul- und Lehrerkonferenzen enthalten: Verordnung des Sächsischen Staats­ministeriums für Kultus über die Mitwirkung der Eltern in den Schulen im Frei­staat Sachsen v. 10.9.1992 (SGVBI. S. 420); Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über die Mitwirkung der Schüler in den Schulen im Freistaat Sachsen v. 10.9.1992 (SGVBI. S. 424); Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über Schulkonferenzen (Schulkonferenzenord­nung - SchuKO) v. 1.8.1994 (SGVBI. S. 1450); Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über die Lehrerkonferenzen (Lehrerkonfe­renzordnung- LKonfO) v. 12.7.1994 (SGVBI. S. 1452).

297 Vgl. § 1 Abs. 4 der Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über Schülerzeitschriften im Freistaat Sachsen v. 10.9.1992 (SGVBI. S. 429).

216

Page 215: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Recht, Anträge an die Gesamtkonferenz zu stellen, die von dieser zu behan­deln sind(§ 49 Abs. 3 u. §59 Abs. 3 SchulG)298• Schülerzeitungen stehen au­ßerhalb der Verantwortung der Schule und sind den presserechtliehen und sonstigen allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen unterworfen (§ 54 SchulG).

§ 26 Abs. 1 des Thüringer Schulgesetzes mißt Schülern das Recht auf freie Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild mit der Maßgabe zu, daß diese die Sicherung des Bildungsauftrages nicht gefährdet. Schülerzeitungen unterliegen auch in Thüringen dem Presserecht (§ 26 Abs. 3 ThürSchulG). Die Schülervertretung besitzt Anhörungs-, Auskunfts- und Initiativrechte ein­schließlich der Pflicht der für ihre Bearbeitung zuständigen Stellen, zu Vor­schlägen innerhalb einer gesetzten Frist Stellung zu nehmen und die eventuel­le Ablehnung von Vorschlägen zu begründen(§ 28 Abs. 2 ThürSchulG). El­tern haben neben Informations- und Beratungsrechten bezüglich ihrer schul­pflichtigen Kinder ( § 31 ThürSchulG) die Möglichkeit zur Mitwirkung in schulischen Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutuni? auf Klassen- sowie auf Schul-, Kreis- und Landesebene(§ 32 ThürSchulG)29 •

Die Möglichkeiten, die die Gestaltungs- und Einflußrechte bieten, werden allgemein anerkannt und - bei Kritik im Detail - durchweg positiv einge­schätzt. Insbesondere finden Schüler es erfreulich, auf die Unterrichtsgestal­tung Einfluß nehmen zu können. Mädchen nehmen Mitwirkungsrechte stärker wahr als Jungen. Meinungsfreiheit wird weitgehend als gewährleistet angese­hen; hier erkennen viele Schüler einen besonders deutlichen Unterschied zur Schule in der DDR. Zudem sehen Schüler 'Schule' im Vergleich zur DDR heute als demokratischer und 'freier' an. Hinsichtlich der Mitarbeit in den Gremien ist aber nicht selten auch eine Verweigerungshaltung festzustellen, die mit einem individuellem Hang zur Bequemlichkeit, aber auch mit negati­ven Erfahrungen aus der DDR-Schule begründet wird300• Gespräche vor Ort führten zu der Vermutung, daß Eltern die ihnen gebotenen Möglichkeiten, auf schulische Angelegenheiten Einfluß zu nehmen, oftmals nicht nutzen. Einige Eltern sind sehr aktiv, viele andere wiederum nehmen ihre Beratungs- und Teilhaberechte überhaupt nicht wahr.

Es dürfte noch einige Zeit dauern, bis in den ostdeutschen Schulen eine den westdeutschen Schulen vergleichbare 'Normalität' eintritt. Die vorliegen-

298 Weitere Regelungen erfolgten über Erlasse und Verordnungen; vgl. z.B. Zusam­menarbeit von Elternhaus und Schule. RdErl. des MK v. 12.4.1994 (MBI. LSA s. 1240).

299 Zur Mitwirkung in Schulangelegenheiten vgl. auch Vorläufige Thüringer Ver­ordnung über die Mitwirkung der Landesschülervertreter, Landeselternvertreter und des Landesschulbeirates (Vorläufige Thüringer Mitwirkungsverordnung -VThürMitVO) v. 13.11.1992 (GVBI. S. 578), die nochmals auf die Ziele der Mitwirkung Bezug nimmt.

300 V gl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 136ff.

217

Page 216: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

den ersten Ergebnisse und vorläufigen Befunde deuten darauf hin, daß es für die Lehrer wichtig wäre, weitere Verhaltenssicherheit zu gewinnen, dies auch, um die vorhandenen didaktischen und methodischen Spielräume im Unterricht besser nutzen zu können. Hier deutet sich Weiterbildungsbedarf an. Zudem bedürfte die pädagogische Arbeit in den Schulen zukünftig eines gewissen Maßes an Ruhe und Planungssicherheit. Aus der demographischen Entwicklung in den neuen Ländern resultiert aber eine unsichere Zukunfts­perspektive für die Lehrkräfte; somit wird es an vielen Schulen weiter unru­hig bleiben.

3.4 Die Neuordnung des beruflichen Bildungswesens301

3.4.1 Der Übergang zum westdeutschen Berufsbildungsrecht

Die DDR hatte noch im Sommer 1990 wesentliche Elemente des westdeut­schen Berufsbildungsrechts wie das Berufsbildungsgesetz (BBiG) und die Handwerksordnung (HwO) übernommen302• Zum 1. September 1990 löste das Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe der Bundesrepublik Deutschland die bisherige Systematik der Facharbeiterberufe der DDR ab; weitere berufsbildungsrelevante Rechtsvorschriften wurden mit der Vereini­gung in den neuen Ländern gültig303• Ziel der verzuglosen Übertragung west­deutscher Rechtsvorschriften der praktischen Berufsausbildung auf die DDR war es, die berufliche Bildung schnellstmöglich an die in den alten Bundes­ländern gegebenen Bedingungen anzupassen. Da das Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung hohe Anforderungen an die Qualität der ausbil­denden Betriebe und die Qualifikation der eingesetzten Ausbilder stellen, wa­ren Übergangsregelungen unumgänglich304• Überdies bereitete es vielen Be-

301 Nicht erfaßt sind sonderpädagogische berufsbildende Einrichtungen und Schu­len.

302 Vgl. Kap. 2.3.4. 303 Was dies konkret für ausbildende Betriebe bedeutete, schildert Buchholz am Bei­

spiel eines Unternehmens der Metall- und Elektrobranche, das, seit die westdeut­schen Rechtsgrundlagen für die Ausbildung von Lehrlingen gültig waren, u.a. folgende Bestimmungen zu beachten hatte: das BBiG, das Berufsbildungs­Förderungsgesetz (BerBiFG), die Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO), das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG), Verordnungen über die Berufsausbil­dung, Unterlagen zur Neuordnung der Metallberufe, die Unfallverhütungsvor­schriften und die Normenvorschriften nach DIN; vgl. Buchholz 1993, S. 108f. Hinzu traten das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVerfG) und weitere arbeits­rechtliche Vorschriften, die Ausbildungsordnungen der einzelnen Berufe u.v.m.

304 Zu beachten ist, daß durch die Übertragung des westdeutschen Berufsbildungs­rechts einschließlich der Ausbildungsordnungen insgesamt ca. 375 Rechtsvor-

218

Page 217: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

trieben große Probleme, die Ausbildung auf die westdeutschen Ausbildungs­ordnungen umzustellen, da sie oftmals nicht über die erforderliche technische Ausstattung verfügten, um alle vorgegebenen Inhalte vermitteln zu können305.

Eine große Zahl ausbildungswilliger Betriebe hätte bei strikter Anwendung der Gesetze aufgrund fehlender sächlicher oder personeller Voraussetzungen nicht ausbilden dürfen, was die angespannte Situation auf dem Ausbildungs­stellenmarkt weiter verschärft hätte. Daher wurden verschiedene Bestimmun­gen wie z.B. die Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO) für die gewerbliche Wirtschaft zunächst ausgesetzt; die AEVO trat erst zum 1. Januar 1992 in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin in Kraft306• Zudem können sich Ausbil­der in den neuen Ländern auch mit Wirkung für die alten Bundesländer durch die zuständigen Stellen von der Ausbilder-Eignungsprüfung befreien lassen. Ausbilder, die einen Abschluß als Ingenieurpädagoge oder Ökonompädagoge sowie eine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen, müssen bis zum 31. August 1997 einen Lehrgang absolviert haben, der die Rechtsgrundlagen der beruflichen Bildung vermittelt; sie sind dann auf Dauer berufs- und arbeits­pädagogisch geeignet. Die zuständigen Industrie- und Handelskammern kön­nen in Ausnahmefällen einer Befreiung von der Prüfung gemäß AEVO bis zum 31. August 1999 zustimmen307•

3.4.2 Strukturelle und inhaltliche Veränderungen in der praktischen Berufsausbildung

Mit den rechtlichen veränderten sich in erheblichem Maß auch die strukturel­len Rahmenbedingungen für die berufliche Bildung. Die bisherige straffe Or­ganisation des Überganges von der POS in ein berufliches Ausbildungsver­hältnis entfiel ebenso wie die schon früh einsetzende Berufsorientierung und Bedarfslenkung, ein großer Teil der Fachschulbildungsgänge und die Berufs­ausbildung mit Abitur. Die Bewerbung um und die Vergabe von Lehrstellen orientierte sich seit 1990 an marktwirtschaftliehen Bedingungen. An die Stelle der quasi-automatischen Überleitung von der Schule in ein Ausbil­dungs- und ein sich daran anschließendes Beschäftigungsverhältnis trat die mit Eigenaktivität und Risiken verbundene Suche nach dem gewünschten Ausbildungsplatz. Anbieter von Lehrstellen konnten nun nach eigenen Mög-

schriften quasi 'über Nacht' in der DDR Verbindlichkeit erlangten; vgl. Pütz 1991, S. 4. Eine synoptische Darstellung der im Einigungsvertrag niedergelegten Regelungen und Ubergangsvorschriften enthält: Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.) 1990. Zu den Bedingungen, unter denen zuständige Stellen befristete Ausnahmen von Bestimmungen des BBiG erlassen konnten, vgl. Weissflog 1992, S. 110f.

305 Vgl. Zedler 1991, S. 95f. 306 Vgl. Wordelmann 1992, S. 16. 307 V gl. Ausbilder-Eignungs-Verordnung gewerbliche Wirtschaft, in: Informationen

Bildung Wissenschaft. Nr. 12/1991, S. 161f.

219

Page 218: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

lichkeiten und Bedarf planen und ihren Nachwuchsbedarf je nach wirtschaft­licher Situation und individuellen Zukunftserwartungen steuern. Lehrstellen­bewerbern erschwerte dies die Suche eines geeigneten Ausbildungsplatzes in zuvor nicht gekannter Weise. Als Reaktion auf die mit der Umstellung ver­bundenen Probleme zögerten viele Jugendliche ihre Berufswahlentscheidung hinaus, indem sie den Schulbesuch verlängerten. In geringerem Umfang wur­de vom Angebot berufsvorbereitender Bildungsgänge Gebrauch gemache08.

Der rapide Rückgang großbetrieblicher Ausbildungskapazitäten war eine unmittelbare Folge des weitgehenden Zusammenbruchs der ostdeutschen In­dustriestrukturen; er hatte und hat nach wie vor erhebliche Auswirkungen auf das vorhandene Ausbildungsplatzangeboe09• Sich neu etablierende kleine und mittelständische Unternehmen waren zunächst kaum in der Lage, die in den Großbetrieben weggefallenen Ausbildungskapazitäten zu ersetzen. Durch die Auflösung der planwirtschaftliehen Strukturen wurden erhebliche Teile der betrieblichen Verwaltungsapparate überflüssig. Hinzu kam, daß viele Betrie­be die von ihnen getragenen Sozialeinrichtungen wie Kinderkrippen und Kin­dergärten schlossen; beides führte zum Abbau einer großen Zahl von Arbeits­und Ausbildungsplätzen. Der Verlust von Ausbildungs- und Berufsperspekti­ven traf bestimmte Gruppen in besonderem Maß. Behinderte oder aus ande­ren Gründen 'marktbenachteiligte' Jugendliche und Erwachsene hatten sich einem nun durch Ausgleichsmaßnahmen nur wenig gebremsten Konkurrenz­druck des Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarktes zu stellen310.

Die Neuordnung der betrieblichen Berufsausbildung verursachte Friktio­nen insbesondere bei neu gegründeten, aber auch bei kleineren, bereits beste­henden Betrieben. Großbetriebe, die bislang den überwiegenden Anteil der beruflichen Ausbildung übernommen hatten, waren, soweit sie in der Markt­wirtschaft 'überleben' konnten, durch ihr Ausbilderpotential und ihre Erfah­rungen mit der Berufsausbildung eher in der Lage, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen. Die Arbeitskräfte kleinerer Betriebe waren bis 1990 häufig in Großbetrieben ausgebildet worden. Diesen Betrieben fehlten neben den materiellen oftmals auch die personellen Voraussetzungen, die nach dem Berufsbildungsrecht vorliegen müssen, bevor eine Lehrlingsausbil­dung genehmigt wird. Dennoch ist hinsichtlich der Bereitstellung von Ausbil­dungsplätzen in Industrie und Handwerk sowie bei Klein- und Großbetrieben ein Wechsel in der Rangfolge eingetreten. Mittlerweile wird etwa ein Drittel der Auszubildenden im Handwerk ausgebildet, wogegen sich der Anteil der Industrieausbildungsplätze auf unter 20 % verringert hat. Hatte der Anteil der Lehrlinge, die in Betrieben mit über 1000 Beschäftigten ausgebildet wurden,

308 V gl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 151 f. 309 Zu den Auswirkungen des ökonomischen Transformationsprozesses auf die be­

rufliche Bildung vgl. Degen 1993a, S. 13ff. 310 V gl. Walfinger 1993, S. 186f.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen

und Jugend 1994, S. 140f.

220

Page 219: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

bis 1990 bei rund einem Drittel gelegen, so sank dieser bis Ende 1992 auf et­wa 10 %. Der Anteil der Auszubildenden in Betrieben unter 20 Beschäftigten ist hingegen von 9 % im Jahr 1989 auf 34 % im Jahr 1992 angestiegen. Die Verteilung der betrieblichen Ausbildungsplätze nach der Größe der ausbil­denden Betriebe hatte sich damit bereits Ende 1992 weitgehend den Ver­gleichswerten der alten Bundesländer angepaßt3ll.

Um in der Marktwirtschaft bestehen zu können, mußten die ostdeutschen Betriebe schnellstmöglich gegenüber den westdeutschen Mitbewerbern kon­kurrenzfähig werden; und Ausbildung galt diesen seit der Wirtschafts- und Währungsunion überwiegend als Kostenfaktor und weniger als Element der Nachwuchs- und Zukunftssicherung312• Ende 1990 hatten sich insgesamt noch etwa 200.000 Auszubildende in Betrieben befunden, die von der Treu­handanstalt (THA) verwaltetet wurden; ihre Zahl sank bis 1993 auf 83.000. Das Ausbildungsplatzangebot konnte seither trotz großer Anstrengungen we­der durch Firmenneugründungen noch durch ein überdurchschnittliches Ausbildungsengagement der Verwaltungen der vorhandenen Nachfrage an­geglichen werden. Da sich durch die Umstellung der Berufsausbildung im Jahr 1990 die Ausbildung von 24 auf bis zu 42 Ausbildungsmonate verlänger­te, können Lehrstellen nur noch alle drei- bis dreieinhalb Jahre neu besetzt werden; dies führte zu einer zusätzlichen Verknappung der verfügbaren Ka­pazitäten313.

Ein insbesondere in den Jahren 1991 und 1992 aufgetretenes Problem des Transformationsprozesses, das in den Folgejahren weitgehend entschärft wer­den konnte, bestand in der großen Zahl sogenannter Konkurslehrlinge; sie verloren ihren Ausbildungsplatz, weil der ausbildende Betrieb aufgelöst oder ihr Ausbildungsvertrag durch den Betrieb gekündigt wurde314. Vom Oktober 1990 bis zum August 1991 wurden 26.000 Fälle registriert, in denen es zu Vertragsauflösungen aus den genannten Gründen kam. Häufig fanden Betrof­fene eine neue Ausbildungsmöglichkeit in von der Bundesanstalt für Arbeit organisierten und finanzierten außerbetrieblichen Ausbildungsgängen. Nach­dem das Landesarbeitsgericht Berlin durch ein Urteil vom 22. Februar 1991 nochmals bestätigt hatte, daß die betriebsseitige Auflösung von Ausbildungs­verhältnissen gesetzwidrig sei, untersagte die Treuhandanstalt den von ihr

311 Soweit nicht anders vermerkt, basieren die genannten Zahlen auf dem StandEn­de 1992; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 145ff., insb. Tab. III 3.3a, III 3.3b und III 3.4.

312 Vgl. Schulz 1991, S. 12. 313 V gl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S.

147ff., insb. Tab. III 3.5a und III 3.5b. Dort finden sich auch detaillierte Zahlen­angaben zum Ausbildungsstellenangebot

314 Dies, obgleich die betriebsseitige Kündigung von Ausbildungsverträgen grund­sätzlich unzulässig ist; vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1991, S. 19f.

221

Page 220: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

verwalteten Betrieben ein solches Vorgehen315. Die Zahl registrierter Fälle nahm bis Mitte 1993 auf 1.500 ab316•

Da die Lehrstellenbilanzen laufend einen Mangel an Ausbildungsplätzen auswiesen, riefen die Bundesregierung, die Bundesanstalt für Arbeit, Arbeit­geber- und Arbeitnehmerorganisationen, Kammern und andere Verbände je­weils zum Jahresbeginn eine Lehrstellenkampagne aus. Aufrufe ergingen an Industrie, Handwerk, Dienstleistungsgewerbe und Verwaltung, die alle An­strengungen unternehmen sollten, um jedem Lehrstellenbewerber zu einer Ausbildungsmöglichkeit zu verhelfen317. Die genannten Akteure warteten je­weils zum Oktober eines Jahres mit Meldungen auf, nach denen ihre Bemü­hungen erfolgreich gewesen und es gelungen wäre, "jedem Jugendlichen in Ostdeutschland eine Ausbildungschance zu bieten"318• In der Tat erhöhte sich die Zahl der in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin angebotenen Aus­bildungsstellen von 109.135 im September 1992 auf 122.022 im September 1994; zum Ende des Berichtsjahres 1994/95 betrug sie 120.129. Gleichzeitig erhöhte sich jedoch auch die Zahl der gemeldeten Lehrstellenbewerber von 138.342 (1992) auf 191.692 (1995)319• Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse betrug im Jahr 1991 rund 95.000; sie erhöhte sich im Jahr 1992 auf 95.230, im Jahr 1993 auf 98.958, im Jahr 1994 auf 117.630

315 Dies ist nach Einschätzung von Lüdtke/Quast jedoch weniger auf eine von der THA gesehene soziale Verpflichtung zurückzuführen, die ohnehin schwierige Ausbildungsstellensituation in den neuen Bundesländern zu stabilisieren, son­dern auf den im Jahr 1991 auf der THA lastenden großen öffentlichen Druck, die Lehrvertragslösungen zu unterbinden, nachdem die THA im Jahr 1990 die in den von ihr verwalteten Betrieben erfolgten Kündigungen "zunächst eher passiv­abwartend beobachtete"; Lüdtke/Quast 1992, S. 137. Im August 1991 drohte die THA dann Personalverantwortlichen in Betrieben personelle Konsequenzen für den Fall weiterer nichtlegaler Lehrvertragsauflösungen an; vgl. a.a.O.

316 Vgl. Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin: Schutz bestehender Ausbildungs­verhältnisse bestätigt, in: Informationen Bildung Wissenschaft. H. 6/1991, S. 81; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 147.

317 Vgl. z.B. Lehrlingskampagne Ost, in: BMBW. Presseinformation v. 25.2.1991; Jugendarbeitslosigkeit und Qualifizierungsoffensive in den neuen Bundeslän­dern, in: Die berufsbildende Schule. H. 911991, S. 561f.; Nur ein Kraftakt schafft ausreichende Ausbildungsplätze in Ostdeutschland, in: Die Welt v. 1.3.1992; Lehrstellenmangel in Ostdeutschland, in: F.A.Z. v. 3.7.1992; Im Osten große Ausbildungslücke befürchtet, in: Berufsausbildung - Jugendarbeitslosigkeit. H. 411993; Noch 6000 fehlende Lehrstellen im Osten, in: F.A.Z. v. 22.9.1994.

318 So z.B. Bundesbildungsminister Rainer Ortleb mit Blick auf die Lehrstellenbi­lanz zum 30. September 1992; zit. nach: Bundesbildungsministerium: Erfreuliche Lehrstellenbilanz in Ostdeutschland, in: Berufsausbildung - Jugendarbeitslosig­keit. H. 1111992. Für die Folgejahre gilt Vergleichbares.

319 Kumulierte Zahlen der Lehrstellenbewerber; vgl. Amtliche Nachrichten der Bun­desanstalt für Arbeit. H. 1111994, S. 1736; Amtliche Nachrichten der Bundesan­stalt für Arbeit. Arbeitsstatistik 1995 - Jahreszahlen. Sondernummer v. 30.9. 1996, S. 241ff.; Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.) 1996, S. 5.

222

Page 221: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

und im Jahr 1995 auf 122.646320. Trotzdem war die Versorgungsquote mit betrieblichen Ausbildungsplätzen von 1992 (79 %) bis 1995 (65,5 %) rück­läufig321, denn die seit 1991 gestiegenen Bewerberzahlen glichen das gleich­zeitig erhöhte Lehrstellenangebot mehr als aus322• Obgleich sich Bund und Länder bemühten, durch finanzielle Zuwendungen für Betriebe Anreize zur Ausweitung des Ausbildungsplatzangebotes zu geben323, ist es seit 1990 in keinem Jahr gelungen, alle Ausbildungsplatzbewerber in betriebliche Lehr­stellen zu vermitteln. Die Ausbildungsplatzsituation hat sich daher bislang

320 Gemeldete Bewerber bei den Arbeitsämtern in den neuen Ländern: 1991: 145.693, 1995: 191.692; vgl. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.) 1994, S. 47; Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Ar­beit. Arbeitsstatistik 1995 - Jahreszahlen. Sondernummer v. 30.9.1996, S. 241. Zu den vermittelten Lehrstellenbewerbern vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.) 1995b, S. 4.

321 Zahlen einschl. über-/außerbetrieblicher Ausbildungsstellen; vgl. Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit. H. 11/1994, S. 1738; Amtliche Nach­richten der Bundesanstalt für Arbeit. Arbeitsstatistik 1995 - Jahreszahlen. Son­dernummer v. 30.9.1996, S. 241 u. eig. Berechnungen. Die Zahl nicht vermittel­ter Bewerber betrug im September 1992 1.219 gegenüber 3.232 nicht besetzten Ausbildungstellen; im September 1995 war das Verhältnis 5.556 zu 983. Aus­kunft über den tatsächlichen Verbleib der Bewerber gibt die Aufschlüsselung der Daten am Beispiel der Bewerbungsphase 1994/95: Von den zwischen Oktober 1994 und September 1995 gemeldeten 191.692 Stellenbewerbern nahmen 104.981 eine betriebliche Berufsausbildung auf. Für 20.504 Stellenbewerber, wurden nach § 40c Abs. 2 AFG sowie den Gemeinschaftsinitiativen Ost 1994 und 1995 geförderte außerbetriebliche Ausbildungsplätze bereitgestellt. Weitere 3.968 Stellenbewerber besuchten berufsvorbereitende Maßnahmen nach § 40 AFG, das BVJ oder das BGJ; 28.968 entschieden sich für weiteren Schulbesuch, und 4.804 traten direkt in ein Arbeitsverhältnis über. Für weitere 22.901 Stellen­bewerber gab die Statistik 'sonstigen Verbleib' an. Hierunter fallen u.a. Wehr­dienst, Ersatzdienst und freiwilliges soziales Jahr sowie Lehrstellenbewerber, de­ren weiterer Verbleib durch die Arbeitsämter nicht geklärt werden konnte (vgl. Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit. Arbeitsstatistik 1995 - Jah­reszahlen. Sondernummer v. 30.9.1996, S. 241). Somit verblieben 5.556 der ge­meldeten Jugendlichen, die Ende September 1995 noch nicht vermittelt waren.

322 Das Lehrstellenangebot verringerte sich von 122.022 (Berichtsjahr 1993/94) auf 120.129 (Berichtsjahr 1994/95), die Bewerberzahl erhöhte sich hingegen im glei­chen Zeitraum von 171.103 auf 191.692; vgl. Amtliche Nachrichten der Bundes­anstalt für Arbeit. Arbeitsstatistik 1995 - Jahreszahlen. Sondernummer v. 30.9. 1996, s. 243.

323 So waren z.B. für die Jahre 1991/92 250 Mio. DM aus dem Bundeshaushalt vor­gesehen, um Betrieben mit unter 20 Beschäftigten eine Prämie von DM 5.000.­für zusätzlich bereitgestellte Ausbildungsplätze zahlen zu können; daneben ge­währten die Länder auch in den Folgejahren Finanzhilfen für ausbildende Betrie­be vgl. Krekel-Eiben/Ulrich 1993, S. 16; 5000 Mark pro neue Lehrstelle, in: SZ v. 25.4.1991. Allgemein zu den durch das BMBW geförderten Ausbildungs­platzsicherungs- und Weiterbildungsprogrammen vgl. Bundesminister für Bil­dung und Wissenschaft 1991. Im Berichtsjahr 1994/95 gaben Bund und Länder 860 Mio. DM für die Schaffung von 14.500 zusätzlichen überbetrieblichen Aus­bildungsplätzen in Ostdeutschland aus; vgl. BMBF (Hrsg.) 1996, S. 17.

223

Page 222: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

noch nicht entspannt, zumal von den z.B. im Jahr 1994 in den neuen Ländern und Ost-Berlin rund 118.000 abgeschlossenen inner- und außerbetrieblichen Ausbildungverhältnissen insgesamt 70.000, somit ca. 60 % staatlich gefördert wurden: "Vor diesem Hintergrund ist eine Entwicklung zugunsten einer von der Wirtschaft selbst verantworteten Ausbildung in den neuen Ländern noch nicht zu erkennen. 1994 ist eher eine gegenläufige Entwicklung eingetre­ten"324.

In der Versorgung mit Ausbildungsplätzen sind erhebliche regionale Un­terschiede erkennbar. Kann das Ausbildungsplatzangebot in städtischen Bal­lungszentren, im Berliner Umland und in den Grenzregionen zu westdeut­schen Bundesländern noch als relativ günstig angesehen werden, so bestehen insbesondere in dünnbesiedelten ländlichen Regionen große Probleme bei der Bereitstellung betrieblicher Lehrstellen. In den Arbeitsamtsbezirken Neu­brandenburg, Bautzen und Annaberg konnte zeitweilig nur jedem dritten bis vierten Bewerber ein betrieblicher Ausbildungsplatz angeboten werden325•

Viele potentielle Lehrstellenbewerber entschlossen sich in dieser Situation, den Schulbesuch fortzusetzen, was den Ausbildungsstellenmarkt erheblich entlastete. Es darf jedoch nicht verkannt werden, daß viele Jugendliche, die diesen Weg einschlugen, einen zusätzlichen schulischen Bildungsgang im Sinne einer 'Warteschleife' absolvieren und sich nach dessen Abschluß mög­licherweise erneut um eine Lehrstelle bewerben326.

Schon im Jahr 1990 war aufgrund der sich abzeichnenden immensen Strukturveränderungen in der ostdeutschen Volkswirtschaft erkennbar, daß bisherige Ausbildungsplatzkapazitäten verloren gehen würden; nicht absehbar war zunächst deren Umfang. Zur Kompensation abnehmender Ausbildungs­kapazitäten unterstützen Bund, Länder und die Europäische Union seit 1990 den Neuaufbau des Ausbildungsplatzangebotes in den neuen Ländern und Ost-Berlin327 • Der Einigungsvertrag sah die Möglichkeit einer zeitlich befri­steten Förderung der außerbetrieblichen328 Ausbildung vor. Anlage II zum

324 Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.) 1995b, S. 6; vgl. auch Helwig 1995.

325 Vergleichsdaten bezogen auf das Jahr 1993; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 154f. Für Annaberg wurde die Zahl der über-/außerbetrieblichen Lehrstellen im Jahr 1991 mit 72 % des Gesamtangebo­tes an Ausbildungsplätzen angegeben, vgl. Kreke1-Eiben/Ulrich 1993, S. 16.

326 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.) 1993, S. 27; Schober 1993, S. 164ff. Zur Situation im Jahr 1995 vgl. auch das Minder­heitsvotum der Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer zum Entwurf des Be­rufsbildungsberichts 1996, in: BMBF (Hrsg.) 1996, S. 17f.

327 Zur Übersicht über Unterstützungsmaßnahmen zur Förderung der beruflichen Bildung in den neuen Ländern und Ost-Berlin vgl. Degen/Waiden 1995c; vgl. auch Degen/Waiden 1995a.

328 Zur Definition und begrifflichen Abgrenzung von überbetrieblicher und außerbe­trieblicher Ausbildung vgl. Autsch 1993, S. 72; Burkhardt 1992, S. 363f. Die nachfolgende Darstellung bezieht sich nicht auf solche - auch in den alten Län-

224

Page 223: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

EV ( weitergeltendes Recht der DDR) erlaubte es, Teile des noch in der DDR in Kraft gesetzten Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) beizubehalten329. Über den weitergeltenden § 40c Abs. 4 AFG/DDR konnte, befristet bis zum Aus­bildungsjahr 1992/93, berufliche Ausbildung in anerkannten Ausbildungsbe­rufen gefördert werden, die nicht in Betrieben, sondern in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten stattfand und von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert wurde. Auszubildende konnten unterstützt werden, wenn ihr Ausbildungsver­trag seitens des Betriebes gelöst worden war oder wenn auf andere Weise keine Möglichkeit zur Vermittlung einer Lehrstelle bestand. Träger dieser Ausbildungsmaßnahmen konnten private oder von Kammern, Wirtschaftsver­bänden, Gewerkschaften und Kirchen getragene Einrichtungen sowie Wohl­fahrtsverbände sein. Es entstanden sogenannte Ausbildungsringe und -ver­bünde330, die die Träger außerbetrieblicher Ausbildungsangebote zusammen­faßten. Ziel dieser Organisationsform war es, bei Auflösung eines Unterneh­mens dessen Ausbildungskapazitäten zu erhalten. Damit konnte die Ausbil­dung, gestützt auf einen der neuen Träger, weitergeführt werden. Da die Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze nach dem Auslaufen der Befristung noch nicht dem Bewerberaufkommen entsprach, beschlossen die Bundesregierung und die Regierungen der ostdeutschen Bundesländer, au­ßerbetriebliche Ausbildungsplätze auch weiterhin finanziell zu unterstüt­zen33t.

Die außerbetriebliche Förderung der beruflichen Erstausbildung entwik­kelte sich zu einem wichtigen Element der Sicherung von Berufsbildungska­pazitäten. Bis zum Ausbildungsjahr 1993/94 nahmen insgesamt mehr als 75.000 Jugendliche eine Ausbildung in einer nach § 40c Abs. 4 AFG/DDR geförderten Einrichtung auf, im Ausbildungsjahr 1994/95 nochmals rund 26.000332• Die Aufwendungen für Personal, Sachrnittel, Verwaltung und Prü-

dem existierenden - außerbetrieblichen Berufsbildungsstätten, die der Ausbil­dung und Förderung behinderter oder sozial benachteiligter Jugendlicher dienen, wie z.B. Berufsbildungswerken o.ä. Allgemein zum Stellenwert außerbetriebli­cher Berufsbildung in den neuen Bundesländern vgl. Schierholz 1993; im Detail zu Trägern, Finanzierung, Organisation und Tätigkeit über- und außerbetriebli­cher Ausbildungsstätten in den neuen Bundesländern vgl. Autsch 1993; desgl. am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns vgl. Bönisch 1992.

329 Vgl. Anl. li z. EV, Kap. VIII, SachgebietE, Abschnitt III, 1., b), aa). 330 Vgl. Burkhardt 1992, S. 373. 331 So förderten sie die Einrichtung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze im Aus­

bildungsjahr 1994/95 mit 1,2 Mrd. DM; vgl. Nur noch 6000 fehlende Lehrstellen im Osten, in: F.A.Z. v. 22.9.1994; Autsch 1995, S. 27f. Zur Übersicht über Maß­nahmen zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebotes durch den Bund, die Län­der und die EU vgl. BLK 1993b, S. 6ff.

332 In dem zum I. September 1994 beginnenden Ausbildungsjahr 1994/95 konnten von den insgesamt 171.100 Bewerbern aus den neuen Ländern und Ost-Berlin knapp 118.000 in Ausbildungsverhältnisse vermittelt werden. Die Zahl außerbe­trieblicher Ausbildungsplätze (26.000) bedeutete gegenüber dem Jahr 1993 einen Anstieg um 94,6 %, damit nahmen außerbetriebliche Ausbildungsverhältnisse im

225

Page 224: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

fungsaufwand werden anteilig durch die Bundesanstalt für Arbeit, Bund und Länder im Rahmen der 'Gemeinschaftsinitiative Ost' sowie den Europäischen Sozialfonds getragen, die bis September 1994 insgesamt 1,8 Mrd. DM zur Verfügung stellten.

Durch das Angebot außerbetrieblicher Ausbildungsplätze kann eine Pha­se überbrückt werden, in der potentielle Ausbildungsbetriebe noch nicht die rechtlichen, personellen und sächlichen Voraussetzungen zur eigenständigen Ausbildung erfüllen; insoweit nimmt dieses Instrument eine notwendige Überbrückungsfunktion wahr. Außerberufliche Ausbildung trägt zur Verrin­gerung von Jugendarbeitslosigkeit bei und gleicht Probleme in strukturschwa­chen Regionen aus333. Es gibt allerdings die Befürchtung, außerbetriebliche Berufsbildungseinrichtungen könnten zu einem festen Bestandteil des berufli­chen Bildungssystems werden334• Der gewerblichen Wirtschaft könnten damit Anreize zur eigenständigen Durchführung einer bedarfsgerechten beruflichen Erstausbildung genommen werden; Betriebe könnten sich aufgrund des An­gebots außerbetrieblicher Ausbildungsstätten von ihrer originären Verantwor­tung entbunden fühlen, für die Qualifizierung des erforderlichen Nachwuch­ses selbst Sorge zu tragen "und sich in der Fol~e die für das duale System untypischen Ausbildungsstrukturen verfestigen" 35 • Überdies verursacht die direkte Subventionierung betrieblicher Ausbildungsplätze geringere Kosten als die Förderung außerbetrieblicher Ausbildung336• Kritiker monierten zudem das Fehlen einer betrieblichen Realität, die bei der Ausbildung in der 'Ernst­situation' eines möglichen späteren Arbeitsplatzes vorliegt, nicht jedoch in einem außerbetrieblichen Ausbildungsverhältnis337•

Ein weiteres Element zur Sicherung des Ausbildungsplatzangebotes sind überbetriebliche Berufsbildungseinrichtungen. Insbesondere kleinere Hand­werksbetriebe sind auf die Bereitstellung von Ausbildungskapazitäten in sol-

Jahr 1994 einen Anteil von 22,1 %aller in diesem Jahr abgeschlossenen Ausbil­dungsverhältnisse ein; vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, For­schung und Technologie (BMBF) (Hrsg.) 1995b, S. 4f. Zur Verteilung der au­ßerbetrieblichen Ausbildungsplätze auf die Länder und Ost-Berlin vgl. a.a.O., S. 6.

333 Ulrich 1995, S. 61f.; Berger 1995, S. 33ff. 334 Zur Problematik staatlich finanzierter Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Be­

schäftigungsprogramme vgl. BLK 1993b, S. 18; Ulrich 1995, S. 62. 335 Autsch 1991, S. 35; vgl. auch Kielwein 1992, S. 420; Bundesministerium für Fa­

milie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 151. Zu weiteren, ausbildungsprak­tischen Argumenten, die gegen eine außerbetriebliche Ausbildung sprechen, vgl. Bönisch 1992, S. 384f.

336 Hierauf bezieht sich die Kritik insbesondere der Industrie. So ist z.B. nach An­sicht des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall die staatliche Förderpolitik trotz der Unterstützung von Betrieben zu sehr auf die Förderung der außerbetriebli­chen Berufsausbildung konzentriert; vgl. Arbeitgeberverband Gesamtmetall (Hrsg.) 1995, S.7.

337 Vgl. Schierholz 1993, S. 167.

226

Page 225: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

chen zumeist von Kammern und Innungen getragenen Bildungsstätten ange­wiesen. In überbetrieblichen Ausbildungsstätten werden diejenigen Teile der berufspraktischen Ausbildung vermittelt, die die Betriebe aufgrund fehlender technischer Ausstattung nicht selbst durchführen können. Überbetriebliche Ausbildungsstätten schaffen für viele Betriebe überhaupt erst die Vorausset­zung, ausbilden zu können338• Das BMBW beteiligte sich mit insgesamt 560 Mio. DM an einem bis 1994 befristeten Programm zum Aufbau überbetriebli­cher Berufsbildungsstätten. Die überwiegend als Träger fungierenden zu­ständigen Stellen, aber auch die anderen Träger waren aus organisatorischen und finanziellen Gründen nicht in der Lage, diese Ausbildungsstätten ohne staatliche Unterstützung einzurichten339.

Die in den neuen Ländern bestehenden Ausbildun~~latzstrukturen wir­ken sich insbesondere für junge Frauen ungünstig aus 4 . Eine Analyse des BIBB aus dem Jahr 1992 zeigte, daß in dem nach Branchen aufgeschlüsselten Lehrstellenangebot in West- und Ostdeutschland erhebliche Unterschiede er­kennbar waren, deren Überwindung noch geraume Zeit in Anspruch nehmen dürfte. So bestand auf dem Ausbildungsstellenmarkt der neuen Bundesländer ein im Vergleich zu den alten Ländern prozentual höheres Angebot an Lehr­stellen in industriellen, gewerblichen und landwirtschaftlichen Berufen. Für kaufmännische und Dienstleistungsberufe, im Öffentlichen Dienst sowie bei freien Berufen (Angestellte bei Ärzten, Apothekern, Anwälten, Steuerberatern usw.), in denen in den alten Ländern überdurchschnittlich viele Frauen be­schäftigt sind, bestand hingegen nur ein relativ geringes Lehrstellenange­bot34I.

Neben dem Problem, überhaupt eine Lehrstelle erhalten zu können342,

erwies sich für viele Jugendliche das vorgefundene Angebot als enttäuschend.

338 Vgl. Autsch 1993, S. 70f.; Kielwein 1992, S.420. 339 Die Summe der bereitgestellten Mittel bezog sich auf das gesamte Bundesgebiet;

vgl. Zedler 1991, S. 101. Allgemein zur Entwicklung und Förderung überbe­trieblicher Ausbildungsstätten in den neuen Bundesländern vgl. Autsch 1991, S. 34f.; Burkhardt/Kielwein 1992.

340 Zur grundsätzlichen Veränderung der Ausbildungs- und Arbeitssituation von Frauen in den neuen Bundesländern vgl. auch Werner 1991; Wald 1992; Bun­desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 261 ff.

341 V gl. Starkes Engagement von Industrie und Handwerk für die Berufsausbildung in den neuen Bundesländern, in: Schulverwaltung MO. Nr. 1/1993, S. 16. Der Ausbildungsplatzanteil der freien Berufe lag 1992 bei rund 4 % gegenüber 1 0 % in den alten Ländern; vgl. Berger 1995, S. 37. Zur Situation junger Frauen in der Berufsausbildung vgl. auch Jäckel 1992, S. 7. Mit der Lehrstellenproblematik korrespondiert die allgemein schwierige Arbeitsplatzsituation für Frauen auf dem ostdeutschen Teilarbeitsmarkt; hierzu vgl. Jasper 1992; Berger 1995, S. 38.

342 Vgl. hierzu die bei Schweikert (1993) dargestellten Ergebnisse einer Befragung des BIBB von 1992, nach denen von den Absolventen der 9. und 10. Klassen allgemeinbildender Schulen in den neuen Bundesländern durchschnittlich 61 % eine Lehrstelle erhielten - davon wiederum 80 % in den neuen Ländern, 20 % in den alten Ländern- und 24% den Schulbesuch fortsetzen wollten. Durchschnitt-

227

Page 226: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

In vielen Fällen entsprachen die angebotenen Lehrstellen nicht den Wünschen und Erwartungen von Ausbildungsplatzbewerbern. Stark nachgefragt waren als zukunftssicher angesehene Berufe im Dienstleistungssektor sowie in sozia­len und Gesundheitsberufen; hier konnte die Nachfrage meist nicht befriedigt werden. Bei Metall- und Elektroberufen war hingegen das Angebot an Aus­bildungsplätzen in manchen Regionen zunächst höher als die Nachfrage343 •

Die Gesamtsituation auf dem Ausbildungsstellenmarkt ließ indes wenig Spiel­raum für die Verwirklichung individueller Wünsche, und nicht wenige Aus­zubildende erklärten sich schließlich mit dem Ausbildungsplatz, den sie erhal­ten konnten, zufrieden344• Im Hinblick auf den zukünftig erwarteten höheren Arbeitskräftebedarf im Dienstleistungssektor bemühte sich die Bundesanstalt für Arbeit, die Ausbildung in Dienstleistungsberufen im Rahmen der außerbe­trieblichen Ausbildungsplatzangebote verstärkt zu fördern345•

Für viele Auszubildende ergaben sich weitere Probleme mit dem Ende ih­rer Ausbildung. Nach Ergebnissen eines Forschungsprojektes des BIBB zeichnete sich ab, daß von den Auszubildenden, die 1994 ihre Abschlußprü­fung ablegten, etwa zwei Drittel nicht im ausbildenden Betrieb verbleiben konnten. Überdies erfolgte die Anstellung eines Teils der von den Betrieben übernommenen Auszubildenden nur befristet. Die Aussicht auf Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis war in Kleinbetrieben, z.B. im Handwerk, er­heblich höher als bei Großbetrieben des Handels und der Industrie. Seitens der Betriebe wurden mangelnder Arbeitskräftebedarf, der Übergang in den Wehr- oder Zivildienst sowie mangelnde Leistungen und Belastbarkeit des Auszubildenden die Hauptgründe für eine Nichtanstellung genannt346•

Die Neustrukturierung des beruflichen Bildungssektors betraf auch die Kammern in ihrer Funktion als zuständige Stellen. Die Organisation und Durchführung von Prüfungen, in den alten Bundesländern eine wichtige Auf­gabe der Kammern, geschah in der DDR durch die ausbildenden Betriebe selbst. Vergleichbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen, die diese und weite­re den Kammern als zuständigen Stellen zufallenden Aufgaben hätten über­nehmen können, fehlten347• Parallel zum Organisationsaufbau der Kammern war es notwendig, die Eignung von Betrieben zur Ausbildung zu prüfen und zu bescheinigen, um das Angebot an Ausbildungsplätzen nicht durch admini-

lieh 13 % der befragten Schüler, mit Schwankungen von 5 % in Thüringen bis zu 24 % in Berlin-Ost, gaben Mitte 1992 an, noch unversorgt zu sein. Die Chancen junger Frauen, eine Lehrstelle zu erhalten, waren um etwa ein Viertel niedriger als die männlicher Bewerber; vgl. Schweikert 1993, S. 19f.

343 Vgl. Dieser Trend setzte sich auch 1993 fort, vgl. Bundesministerium für Fami­lie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 155ff.; Neue Chancen erkennen und nutzen, in: Das Parlament. Nr. 1611992.

344 Vgl. Schober 1992, insb. S. 244f.; Beer/Granato/Schweikert 1995. 345 Vgl. Krekel-Eiben!Ulrich 1993, S.16. 346 Vgl. Degen/Waiden 1995b, S. 17f. 347 Vgl. Watzlaw 1992; Weissflog 1992, S. 107; Zedler 1991, S. 94.

228

Page 227: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

strative Probleme zusätzlich zu verknappen. Besonders schwierig gestaltete sich dies bei der Ausbildung in Berufen, die in der DDR nicht existierten, z.B. im Dienstleistungssektor. Hier lagen, gerade bei neugegründeten Betrie­ben, häufig die Voraussetzungen zur Erteilung einer Ausbildungserlaubnis nicht vor. So mußten Komprornißlösungen gefunden werden, um die rechtli­chen Vorgaben und gewisse Mindeststandards im Sinne der Auszubildenden einzuhalten und trotzdem eine möglichst große Zahl an Ausbildungsplätzen zu erhalten. Auch die Prüfungsorganisation mußte neu aufgebaut werden; es waren Prüfungsausschüsse zu bilden und Prüfungsordnungen zu erarbeiten. Sowohl die Betriebe als auch die Kammern erhielten auf vielfältige Weise personelle und materielle Unterstützung aus Westdeutschland. Dennoch ver­lief die Anfangsphase nicht so reibungslos, wie dies im Sinne der Beteiligten und Betroffenen wünschenswert gewesen wäre348•

Die Neuordnung der beruflichen Ausbildung erforderte nicht nur die strukturelle, sondern auch eine inhaltliche Veränderung der bis 1990 gültigen Ausbildungsgrundlagen. Diese betraf die Berufsgruppen in unterschiedlicher Weise. Während die Ausbildung in kaufmännischen Berufen vollständig er­neuert werden mußte, konnte bei Metall- und Elektroberufen auf V orhande­nem aufgebaut werden, wenn auch die Anpassung an moderne, EDV-unter­stützte Produktionstechnologien von den Ausbildern Anpassungsfortbildung in großem Umfang erforderte. Eher geringerer inhaltlicher Veränderungen bedurften die Ausbildungsordnungen für einzelne Dienstleistungsberufe, so­weit sie nicht kaufmännisch ausgerichtet waren, und für die Berufe in der Land wirtschafe49•

Die Umstrukturierung der beruflichen Bildung verursachte einen hohen Um- und Nachschulungsbedarf bei betrieblichen Ausbildern und bei Lehr­kräften für den berufstheoretischen Unterriche50• Die Erneuerung der häufig unzureichenden materiellen Ausstattung an Ausbildungsplätzen und in Lehr­werkstätten verlangte von den Ausbildenden die Bereitschaft zur Erweiterung ihrer methodischen Kenntnisse und Fertigkeiten. Die betroffenen Betriebe und Berufsschulen schätzten die personellen Bedingungen für die Neuord­nung der beruflichen Bildung jedoch insgesamt als günstig ein. Im Rahmen der BIBB/ZIB-Umfrage vom Spätsommer 1990 gaben 60 % der Befragten aus Betrieben an, die personellen Voraussetzungen für die Ausbildung nach den neuen Ausbildungsordnungen seien in ausreichendem Maß gegeben, und 27 % glaubten, diese bis zum Beginn des Ausbildungsjahres 1991192 errei­chen zu können. Die in erheblichem Umfang notwendigen Qualifizierungs­maßnahmen setzten bereits im Lauf des Jahres 1990 ein. Berufsfachliche,

348 V gl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 144f.; Guder 1991, S. 149. Die Probleme der Kammern verdeutlicht exempla­risch: Lehrstellenbilanz lückenhaft, in: FR v. 4.1.1992.

349 Vgl. Guder 1991, S. 150; BLK 1993b, S. 27f. 350 Zur Qualifikation der betrieblichen Ausbilder vgl. BLK 1993b, S. 38f.

229

Page 228: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

methodische und didaktische Inhalte sowie politische Bildung waren vorran­gig zu vermitteln; die Partnerorganisationen aus den alten Ländern wie Indu­strie- und Handelskammern oder Handwerkskammern unterstützten auch hier351 • Ein Angebot grenznaher Hilfe trat hinzu, so in der Weiterbildung thü­ringischer Ausbilder in hessischen Weiterbildungsstätten oder im Großraum Berlin. Zusätzlich unterstützte das BIBB den Aufbau sogenannter Ausbilder­qualifizierungszentren in den neuen Bundesländern, die zum Innovations­transfer und zur Sicherung der Ausbildungsqualität beitragen sollten352• Im Jahr 1992 übertrug das BMBW dem Bundesinstitut für Berufsbildung die Verantwortung für die Durchführung des Programms zur Personal-Qualifi­zierung in Ostdeutschland (PQO), welches das BMBW seit 1990 finanziell förderte353 • Im Rahmen dieses Programms werden Kammern, Bildungswerke der Wirtschaft und der Gewerkschaften sowie von freien Trägern angebotene Qualifizierungsmaßnahmen für das in der beruflichen Bildung eingesetzte Fachpersonal unterstützt. Im Vordergrund steht die Qualifizierung von Mul­tiplikatoren. Fortbildungsmaßnahmen beinhalten neben übergreifenden The­men, beispielsweise zum Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland, In­formationen zur inhaltlichen Gestaltung der Ausbildungsordnungen und zu modernen Formen der Stoffvermittlung wie der Projekt- oder der Leittextme­thode. Die Zieldimension der Ausbildung, z.B. hinsichtlich der Ausprägung von Schlüsselqualifikationen, gehörte ebenso zu den Inhalten wie Fragen ei­nes angemessenen Umganges der Ausbilder mit den Auszubildenden354.

3.4.3 Die Neuordnung der schulischen Berufsausbildung

Die neuen Bundesländer verfügen heute über eine den westdeutschen Ländern vergleichbare Vielfalt berufsbildender Schulen und schulischer Ausbildungs­gänge. Die Bildungseinrichtungen ermöglichen die Erst- und Ergänzungs­ausbildung sowie die auf einer Erstausbildung aufbauende W eiterqualifikati­on auf unterschiedlichen Niveaus. Die neuen Länder haben, mit strukturellen Unterschieden im Detail, ein System beruflicher Bildungseinrichtungen als staatliche Regelangebote aufgebaut. Die nach den Schulgesetzen für das all­gemeinbildende Schulwesen gültigen allgemeinen Bildungs- und Erzie­hungsziele gelten auch für berufsbildende Schulen. Die berufsbildenden

351 Vgl. Pütz 1991, S. 44f. 352 Vgl. Neubert 1991, S. 51f. 353 Vgl. Neubert 1993, S.151. Im Detail zu Personalqualifizierungsmaßnahmen in

den neuen Bundesländern vgl. Neubert/Steinborn (Hrsg.) 1993. 354 Vgl. Wardeimann 1992, S. 21; Lüdtke/Quast 1992, S. 147f.; Neubert/Steinborn

1995, S. 37ff. Trotz der früh einsetzenden und umfangreichen Nach-Qualifizie­rungsbemühungen wurden hinsichtlich der Ausbilderqualifikation und der Aus­bildungsqualität im Bereich der gewerblichen Wirtschaft fortdauernde Mängel konstatiert.

230

Page 229: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Schulen, die die berufspraktische Ausbildung zum Dualen System ergänzen, vermitteln neben berufstheoretischen auch allgemeinbildende Kenntnisse.

In Brandenburg wurden neben der berufsbildenden Teilzeitschule die Berufsfachschule, die Fachoberschule und die Fachschule eingerichtet(§§ 25-28 BbGSchulG). Der berufsschulische Bildungsgang gliedert sich in eine einjährige Grundstufe und eine hierauf aufbauende Fachstufe, deren Länge je nach Gesamtdauer der Ausbildung variiert. Die Grundstufe, die Kenntnisse in einem Berufsfeld vermitteln soll, kann als Berufsgrundbildungsjahr eingerich­tet werden(§ 25 BbGSchulG). Berufsfachschulen vermitteln in vollzeitschuli­scher Form Abschlüsse in Assistentenberufen, die als Berufsabschlüsse nach Landesrecht gekennzeichnet sind. Die Einrichtung vollzeitschulischer Be­rufsbildungsgänge für Berufe nach dem BBiG ist möglich; hierzu ist die Ab­stimmung mit den Sozialpartnern erforderlich(§ 26 BbGSchulG). Schüler mit Fachoberschulreife können sowohl mit als auch ohne abgeschlossene Berufs­ausbildung Fachoberschulen besuchen und auf diesem Weg die Fachhoch­schulreife erlangen. Für Schüler mit abgeschlossener Berufsausbildung be­trägt die Ausbildungsdauer ein Jahr in Vollzeitform, Schüler ohne Berufs­ausbildung können die Fachhochschulreife in einem zweijährigen Bildungs­gang erwerben, der fachpraktische Anteile beinhaltet (§ 27 BbGSchulG). Fachschulausbildungsgänge werden für die Bereiche Technik, Wirtschaft und Sozialwesen angeboten. Die in Vollzeitform i.d.R. zwei Jahre dauernde Ausbildung baut auf einer abgeschlossenen Berufsausbildung und einer mehrjährigen Berufspraxis auf(§ 28 BbGSchulG).

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es die Teilzeit-Berufsschule, die Be­rufsfachschule, die Höhere Berufsfachschule, die Fachoberschule, die Fach­schule und das Fachgymnasium. Berufsschulklassen werden je nach Zahl der Schüler eines Ausbildungsberufes oder einer Berufsgruppe in Fachklassen auf Ebene der Schule, des Bezirkes oder, bei seltenen Berufen, als Landesfach­klassen eingerichtet. Das erste Ausbildungsjahr an Berufsschulen kann bei Bedarf als Berufsgrundbildungs- oder Berufsvorbereitungsjahr durchgeführt werden. Wie in Brandenburg gliedert sich der berufsschulische Ausbildungs­gang in eine einjährige Grundstufe und eine hierauf aufbauende zwei- bis zweieinhalbjährige Fachstufe (§ 25 SchulG M-V). Berufsfachschulen bieten Möglichkeiten zum Erwerb von Abschlüssen in Berufen, die nur an Schulen erworben werden können, von Teilen einer Berufsausbildung und von Ab­schlüssen in anerkannten Ausbildungsberufen (§ 26 SchulG M-V). Der Auf­bau der Ausbildungsgänge an Fachschulen und Fachoberschulen entspricht dem des Landes Brandenburg. Im Fachgymnasium, das zur allgemeinen Hochschulreife führt, werden neben allgemeinen auch berufsbildende Inhalte vermittelt; sein Besuch ist mit abgeschlossenem Realschulbildungsgang oder einer gleichwertigen Qualifikation möglich(§ 22 SchulG M-V). In Mecklen­burg-Vorpommern sind die berufsbildenden Schulen eines Schulträgers, i.d.R. des Kreises, in Schulzentren zusammenzufassen (§ 29 SchulG M-V).

231

Page 230: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

In Sachsen wurden, vergleichbar Mecklenburg-Vorpommern, die Berufs­schule mit Berufsvorbereitungs- und Berufsgrundbildungsjahr, die Berufs­fachschule, die Fachschule, die Fachoberschule und das berufliche Gymnasi­um eingerichtet (§§ 8-12 SchulG). Absolventen mit qualifiziertem Haupt­schulabschluß oder gutem Berufsschulabschluß kann, wenn sie auch in der praktischen beruflichen Ausbildung gute Ergebnisse nachweisen können, ein besonderer, 'qualifizierter' Berufsabschluß zuerkannt werden, der mit einem mittleren Bildungsabschluß verbunden ist(§ 8 Abs. 4 SchulG)355• Berufsfach­schulen sind Vollzeitschulen mit mindestens einjährigen Bildungsgängen. Dort können Schulabschlüsse erworben werden, die es beispielsweise erlau­ben, einen Bildungsgang der Sekundarstufe II aufzunehmen (§ 9 SchulG). In Sachsen kann eine Ausbildung an einer Fachschule auch dann aufgenommen werden, wenn statt einer abgeschlossenen Berufsausbildung und anschließen­der Praxiserfahrung der Nachweis einer einschlägigen beruflichen Tätigkeit erbracht wird (§ 10 Abs. 1 SchulG). Mit einer der abgeschlossenen Berufs­ausbildung entsprechenden beruflichen Tätigkeit ist an Fachoberschulen das Überspringen der Klassenstufe 11 möglich(§ 11 Abs. 3 SchulG). Das beruf­liche Gymnasium, das hier in Form einer dreijährigen gymnasialen Oberstufe besteht, verleiht die allgemeine Hochschulreife. Da ein Übertritt auf das be­rufliche Gymnasium einen mittleren Bildungsabschluß voraussetzt, umfaßt dieser Weg zum Abitur im Gegensatz zu dem der allgemeinbildenden Gym­nasien 13 Schuljahre(§ 12 SchulG).

In Sachsen-Anhalt können Schüler neben den Teilzeit-Berufsschulen, die je nach Bedarf auch das Berufsgrundbildungsjahr und das Berufsvorberei­tungsjahr anbieten, Berufsfachschulen, Berufsaufbauschulen, Fachschulen, Fachoberschulen oder Fachgymnasien besuchen (§ 9 SchulG). Das Berufs­grundbildungsjahr kann auch an Berufsfachschulen eingerichtet werden. Die Berufsaufbauschule, die in den neuen Ländern außer in Sachsen-Anhalt noch in Thüringen angeboten wird, hat zum Ziel, Schülern während oder nach ihrer Berufsausbildung eine über den Bildungsauftrag der Berufsschule hinausge­hende berufstheoretische und allgemeine Bildung zu vermitteln. Hier können Abschlüsse erworben werden, mit denen die Ausbildung an anderen Schulen der Sekundarstufe II fortgesetzt werden kann (§ 9 Abs. 4 SchulG). Die ge­setzlichen Vorschriften zur Fachschule und zur Fachoberschule entsprechen weitestgehend denen des Landes Sachsen. Fachgymnasien können von Schü-

355 Diese Regelung folgt der Vereinbarung der KMK über den Abschluß der Berufs­schule vom 26.6.1992. Die Voraussetzungen beinhalten: den Abschluß der Be­rufsschule mit einem Gesamtnotenschnitt von mindestens 2,5, eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung und Kenntnisse in einer Fremdsprache, die durch mindestens fünfjährigen Fremdsprachenunterricht, der mit befriedigenden Leistungen abgeschlossen wurde, nachzuweisen sind; vgl. Vereinbarung über den Abschluß der Berufsschule. Beschluß der KMK v. 1.6.1979 i.d.F. v. 26.6. 1992, in: Sammlung der Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Ordnungszahl 324, S. lf.

232

Page 231: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

lern besucht werden, die eine Berechtigung zum Eintritt in die Klasse 10 des Gymnasiums erworben haben. Die Abiturprüfung sieht für bestimmte Fächer zentral gestellte Aufgaben vor (§ 9 Abs. 7 SchulG).

In Thüringen wurden die in den anderen Ländern vorfindliehen berufs­bildenden Schultypen - Berufsschule, Berufsfachschule, Fachoberschule, Fachschule und berufliches Gymnasium- und, wie in Sachsen-Anhalt, Berufs­aufbauschulen eingerichtet. Zudem existieren in Thüringen als derzeit einzi­gem ostdeutschen Bundesland höhere Fachschulen als eigenständige Schul­form(§ 8 Abs. 1 und 3 ThürSchulG). Wie in Sachsen kann auch in Thüringen Berufsschulabsolventen mit Hauptschulabschluß und abgeschlossener Berufs­ausbildung unter bestimmten Voraussetzungen ein dem Realschulabschluß gleichgestellter Abschluß zuerkannt werden (§ 8 Abs. 2 ThürSchulG). Kön­nen Jugendliche zum Beginn ihrer Berufsschulpflicht keinen Ausbildungs­platz nachweisen, haben sie das Berufsgrundbildungsjahr in Vollzeitform an Berufsschulen oder Berufsfachschulen zu besuchen. Das Berufsvorberei­tungsjahr ist für Jugendliche ohne Hauptschulabschluß vorgesehen (§ 8 Abs. 3 ThürSchulG). Durch den Besuch einer Berufsfachschule, der den Raupt­schulabschluß voraussetzt, kann neben einer beruflichen Qualifikation oder Teilqualifikation ein der mittleren Reife gleichgestellter Schulabschluß er­worben werden. Die höhere Berufsfachschule setzt den Realschulabschluß voraus und führt zu einer beruflichen Qualifikation; der Erwerb der Fach­hochschulreife ist möglich(§ 8 Abs. 4 ThürSchulG). Berufsaufbauschulen in Thüringen bieten entweder einjährige Vollzeitausbildungsgänge oder drei­jährige Teilzeitausbildungsgänge an, die parallel zur Berufsausbildung be­sucht werden können. Sie vergeben einen dem Realschulabschluß gleichwer­tigen Abschluß. Schüler mit mittlerer Reife können in einem zweijährigen Fachoberschulbildungsgang die Fachhochschulreife erwerben; verfügen sie über eine abgeschlossene Berufsausbildung, verkürzt sich die Ausbildung um ein Jahr. Der Bildungsgang des beruflichen Gymnasiums führt Schüler mit Realschul- oder vergleichbarem Abschluß in drei Jahren zum Abitur. Somit sind auch in Thüringen auf diesem Weg 13 Schuljahre zu absolvieren, um zur allgemeinen Hochschulreife zu gelangen. Schüler allgemeinbildender Gym­nasien, die die Klassenstufe 10 erfolgreich abgeschlossen haben, können al­lerdings direkt in die Klasse 12 eines beruflichen Gymnasiums wechseln, so daß es für diese Gruppe möglich bleibt, das Abitur nach zwölf Schuljahren zu erreichen (§ 8 Abs. 7 ThürSchulG). In thüringischen Fachschulen wird so­wohl nach Fachrichtungen als auch nach Bildungsniveaus getrennt. In den Fachrichtungen Agrarwirtschaft sowie städtische und ländliche Hauswirt­schaft ist die Aufnahme eines Bildungsganges mit Hauptschulabschluß mög­lich. Der Besuch anderer Bildungsgänge setzt einen Abschluß auf Realschul­niveau voraus (§ 8 Abs. 8 ThürSchulG).

Keines der neuen Bundesländer hat den Bildungsgang Berufsausbildung mit Abitur weitergeführt, obgleich noch 1990 Übergangsregelungen erarbeitet

233

Page 232: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

worden waren, die die Anpassung des Bildungsganges an das westdeutsche Berufsbildungsrecht ermöglichen sollten. Die Volkskammer ging bei Verab­schiedung des Gesetzes über Berufsschulen noch davon aus, daß die Berufs­ausbildung mit Abitur weitergeführt würde. Auch der Einigungsvertrag ent­hielt einen Passus, der auf die Berufsausbildung mit Abitur Bezug nahm356•

Auszubildende konnten letztmalig zum Schul- bzw. Ausbildungsjahr 1990/91 die dreijährige Berufsausbildunf mit Abitur aufnehmen; der Bildungsgang wurde im Jahr 1993 eingestelle5 .

In allen neuen Ländern wurden die Berufsschulen analog zu entsprechen­den Regelungen in den westdeutschen Ländern dem Sekundarbereich II zuge­ordnet. In Brandenburg wurden die berufsbildenden Schulen in das Konzept des stufenweisen Aufbaus des Bildungswesens integriert. Die hier vorzufin­dende enge Verzahnung von all~emeiner und beruflicher Bildung im Se­kundarbereich II ist beabsichtige5 • Die anderen Bundesländer haben sich im wesentlichen für den Aufbau eines Netzes berufsbildender Schulen entschie­den, auch hier meist in Form von Oberstufenzentren, strukturell jedoch vom allgemeinbildenden Schulwesen getrennt. Fachoberschulen und Berufsfach­schulen sind Schultypen, die es in der DDR nicht gegeben hatte. Zu den all­gemeinen Problemen beim Neuaufbau dieser Schulen trat zunächst die man­gelnde Annahme durch potentielle Schülerinnen und Schüler hinzu. Von der Erhöhung des Bekanntheitsgrades dieser Schultypen und der in ihnen vermit­telten Inhalte erhoffen sich die Länder mittelfristig jedoch eine verbesserte Akzeptanz359•

Um den im Jahr 1990 vorhandenen Bestand an berufsbildenden Schulen an die neuen rechtlichen und strukturellen Bestimmungen anzupassen, waren umfangreiche Vorarbeiten notwendig. Die Lernorte Betrieb und Berufsschule waren rechtlich, strukturell und vielfach auch räumlich zu trennen. Die Be­triebsberufsschulen waren aus den bisherigen Trägerbetrieben, deren Gebäu­de teilweise auf Betriebsgeländen und zwischen Produktionsstätten lagen, herauszulösen und auf die Kommunen als neue Schulträger zu übertragen; dies gestaltete sich nicht nur aufgrund häufig ungeklärter Eigentumsverhält­nisse bisweilen äußerst schwierig. Ein Problem bestand z.B. in der Größe der Schulen. Viele der zu überführenden Betriebsberufsschulen bestanden nur aus wenigen Räumen innerhalb eines betrieblich genutzten Gebäudes, indem eine kleine Zahl von Lehrern Unterricht erteilte360•

356 Vgl. Anlage I zum EV, Kap. XVI, Sachgebiet C, Abschnitt III, 1., e). 357 Vgl. Dehnbostell992, S. 437ff. 358 In Brandenburg bestehen 33 Oberstufenzentren, die gymnasiale Oberstufen, Be­

rufsschulen, Berufsfachschulen und Fachschulen vereinen (Stand: Schuljahr 1995/96); vgl. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Branden­burg 1995, S. 7ff., S. 27f.; vgl. auch Glöde 1992, S. 263.

359 Vgl. Glöde 1992, S. 263. 360 Gemäß der gemeinsamen Umfrage von BIBB und ZIB verfügten 1990 nur 7 %

der Berufsschulen über mehr als 20 Unterrichtsräume; vgl. Autsch/Brandes/ Wal-

234

Page 233: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Das Ausstattungsniveau der Berufsschulen variierte erheblich. Bisweilen wurden nur 'Schulen' im engeren Sinne, d.h. Gebäude, Tische, Stühle und Tafeln übergeben. Diesen Schulen fehlte es zunächst gänzlich an der not­wendigen Ausstattung mit Lehr- und Lernmitteln. Soweit Ausstattungsteile übergeben wurden, waren diese oftmals völlig veraltet361 • Im Gegensatz zu den in den alten Bundesländern vielfach anzutreffenden großen Berufsschul­zentren übernahmen die ostdeutschen Länder eine relativ große Zahl kleiner und kleinster Einheiten. Sie bemühen sich aber bereits seit Ende 1990, Be­rufsschulen zu Berufsschulzentren zusammenzufassen und deren bauliche Substanz dem westdeutschen Niveau anzugleichen. Ein weiteres großes Pro­blem stellte die vorhandene Bausubstanz dar. 20 % der vorhandenen Schul­gebäude hatten schwere Schäden oder wurden als unbrauchbar zur Durchfüh­rung von Unterricht eingestuft362. Um diese Mängel abzustellen, sind erhebli­che Investitionen bis über das Ende des Jahrzehnts hinaus erforderlich. Laut einer Studie der KMK sind nur 11 % der für Berufsschulunterricht verfügba­ren Gebäude auf Dauer nutzbar363 .

Die BIBB/ZIB-Umfrage bei ostdeutschen Berufsschulen vom Sommer 1990 ergab, daß die Befragten über die ungenügenden räumlichen Vorausset­zungen und die mangelhafte Bausubstanz hinaus insbesondere die nicht den Anforderungen entsprechende technische Ausstattung sowie fehlende Lehr­und Lernmittel als vorrangig zu lösende Problemfelder ansahen364. Die unzu­reichenden sächlichen Voraussetzungen in den berufsbildenden Schulen gal­ten als eine der Ursachen für die bei Berufsschülern festgestellten mangeln­den Lernleistungen365• Parallel zur Verbesserung der Bausubstanz mußten da­her die materiellen Ausbildungsgrundlagen erneuert werden. Überdies war der Unterricht an die Anforderungen der Ausbildungspläne für den prakti­schen Teil der Berufsausbildung anzupassen, woraus nachhaltige inhaltliche Veränderungen resultierten. In der Anfangsphase mangelte es an Lehrkräften, die berufstheoretischen Unterricht in den neu eingeführten Berufsbildern er­teilen konnten. Finanzielle Engpässe auf Seiten der neuen Schulträger und die Bevorzugung der allgemeinbildenden Schulen führten zu der Einschätzung, daß "die Berufsschulen am härtesten von der Umstrukturierung der Berufs­bildung betroffen"366 gewesen wären.

den 1991, S. 14. Zur Problematik der Herauslösung von Berufsbildungsein­richtungen aus den Betrieben vgl. auch BLK 1993b, S. 26.

361 Vgl. Kusch/Beckmann 1993, S. 40f. 362 Vgl. Autsch/Brandes/Walden 1991, S. 14. 363 Kusch/Beckmann zitieren diese Studie, in der der Bedarf an Bauinvestitionen bis

etwa zum Jahr 2005 auf mehr als 18 Mrd. DM geschätzt wird; vgl. Kusch/ Heckmann 1993, S. 41. Vgl. auch Munding 1995, S. 513.

364 Vgl. Autsch/Brandes/Walden 1991, S. 14f. 365 Vgl. Ansturm auf Berufsschulen, in: DLZ. Nr. 1111993. 366 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 144.

235

Page 234: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die Qualifikation der Lehrer an berufsbildenden Schulen entsprach häu­fig nicht den aktuellen Erfordernissen. Beispielsweise stand einer zu großen Zahl an Lehrkräften im landwirtschaftlichen Bereich ein zunächst nicht zu deckender Bedarf an Lehrenden in kaufmännischen Fächern gegenüber367. Ein weiteres Problem bestand in der Heterogenität der Ausbildung und der Abschlüsse des Lehrpersonals an den berufsbildenden Schulen368. Durch die Trennung der Lernorte kam es in der Anfangszeit zu bislang nicht gekannten Koordinierungs- und Kooperationsproblemen zwischen dem Lehr- und Aus­bildungspersonal in Schulen und Betrieben. Berufsschullehrer waren häufig nicht damit vertraut, Schüler aus unterschiedlichen Betrieben in einer Klasse unterrichten zu müssen, was die Kooperation mit mehreren Betrieben und Ausbildern erforderte369. Aus den vielfältigen Veränderungen im berufsbil­denden Schulwesen resultierte ein hoher Bedarf an Weiterbildung für die Be­rufsschullehrer370. Wie im allgemeinbildenden Schulwesen begannen die Bil­dungs- und Kultusministerien parallel zur Nach~ualifizierung der Berufs­schullehrer damit, das Lehrpersonal zu reduzieren3 .

3.5 Die Erneuerung des Hochschul- und Forschungssektors

Wie auch in den anderen Bereichen des Bildungssystems erfolgte die rechtli­che, strukturelle, organisatorische, inhaltliche und insbesondere die personelle Erneuerung des Hochschul- und Forschungssektors parallel zum weiterlau­fenden Studien-, Ausbildungs- und Forschungsbetrieb. Die Länder versuch­ten, trotz der durchgängig knappen Finanzausstattung eine Neuordnung des Hochschulwesens zu erreichen, die ihren regionalen Bedürfnissen und Be­sonderheiten Rechnung trug. Im Vordergrund der Transformationsprozesse im Hochschulbereich standen die Rechtsentwicklung, der strukturelle und binnenorganisatorische Neuaufbau der Hochschulen und Forschungseinrich­tungen, die personelle Erneuerung sowie die inhaltliche Neugestaltung der

367 Vgl. Berger 1993, S. 62. Berger verweist auf weitere Umstellungsprobleme aus Sicht von Berufsschulen in den neuen Bundesländern.

368 Zu den verschiedenen Qualifikationsniveaus des Lehrpersonals vgl. BLK 1993b, S. 37; Das Bildungswesen in der Deutschen Demokratischen Republik 1989, S. 120ff.; Schäfer 1990a, S. 333f.

369 Vgl. Kudella 1992, S. 461. 370 Zur (Nach-)Qualifizierung von Berufsschullehrern vgl. Goldschmidt 1995. 371 Zum Umfang der Personalreduzierung bei Berufsschullehrern seit 1991 lagen

dem Verfasser keine Angaben vor. Vor dem Vereinigungsdatum waren bereits ca. 5.600 Personen entlassen worden; vgl. Autsch!Brandes/Wa1den 1991, S. 15.

236

Page 235: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Studiengänge372• Mit der Umgestaltung der ostdeutschen Hochschulen nach westdeutschen Maßstäben war das Risiko verbunden, die im westdeutschen Hochschulwesen unzweifelhaft vorhandenen Probleme zu importieren. Diese Gefahr wurde zwar erkanne73; sie spielte aber für die am Umbau des ostdeut­schen Hochschulwesens beteiligten Akteure nur eine untergeordnete Rolle.

3.5.1 Die Entwicklung neuen Hochschulrechts

Die rechtliche Neuordnung des Hochschulwesens basierte auf den von der Regierung de Maiziere erlassenen Übergangsregelungen sowie den Vorgaben der Verträge zur Einheit Deutschlands. Die Vorläufige Hochschulordnung, die zum 1. Oktober 1990 in Kraft trat, war bereits an den Grundsätzen des Hochschulrahmengesetzes orientiert. Sie galt bis zum Erlaß Iändereigenen Hochschulrechts, längstens bis zum 30. Juni 1991. Die Vorläufige Hochschul­ordnung ermöglichte die strukturelle, binnenorganisatorische und inhaltliche Neuordnung der Hochschulen und ihrer Aufgaben. Für die personelle Erneue­rung hingegen bildete der EV die wesentliche Rechtsgrundlage. Er wies den Ländern die Aufgabe der Weiterführung oder Abwicklung der in ihre Ver­antwortung übergehenden Institutionen zu; hierzu zählten auch Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, soweit sie nach der Kompe­tenzordnung des Grundgesetzes nicht dem Bund zugeordnet waren (Art. 13 Abs. 1 u. 2 EV)374•

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erneuerung der Hochschulen war der Erlaß Iändereigenen Hochschulrechts375. In Brandenburg wurde am 24. Juni 1991 ein bereits in wesentlichen Teilen mit dem HRG vereinbares Hoch­schulgesetz erlassen, das die Vorläufige Hochschulordnung vollständig ablö­ste376. Das Hochschulerneuerungsgesetz Mecklenburg-Vorpommerns (HEG)

372 Zur Bilanz de~ Hochschulerneuerung allgemein vgl. Buck-Bechler/Jahn (Hrsg.) 1994. Einen Uberblick über die Neustrukturierung der Bereiche Hochschulen und Forschung in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin aus Sicht der Bun­desregierung bietet der Bericht der Bundesregierung zur Stärkung der Wissen­schafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland- BT-Drs. 12/4629 v. 24.3.1993. Zum Hochschulwesen vgl. insbe­sondere S. 2ff.

373 Vgl. Meyer, H. 1993, S. 20, S. 71ff. WZB-Forschungsgruppe Wissenschaftssta-tistik (Berlin) 1993, S. 122.

374 Vgl. Konegen-Grenier 1991, S. 150. 375 Allgemein zur Hochschulgesetzgebung in den neuen Ländern vgl. Hall1994. 376 V gl. Gesetz über die Hochschulen des Landes Brandenburg - Brandenburgisches

Hochschulgesetz v. 24.6.1991, in: GVBI. S. 156. Das Hochschulgesetz bestand im wesentlichen aus einer Mischung von Regelungen, die von den Ländern Ba­den-Württemberg und Nordrhein-Westfalen übernommen worden waren; vgl. Hall1994, S.173.

237

Page 236: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

vom 19. Februar 1991377 bestand aus drei Artikeln, die das Verfahren zur per­sonellen Erneuerung an den staatlichen Hochschulen des Landes regelten sowie die Vorläufige Hochschulordnung mit den in dem HEG genannten Streichungen, Änderungen und Ergänzungen als Landesrecht fortschrieben. Nach einer Änderung vom März 1992 löste das gegen studentische Proteste und gegen die Stimmen der Landtagsopposition verabschiedete Landeshoch­schulgesetz (LHG) vom 9. Februar 1994 schließlich das HEG ab378• Die Festlegung einer Regelstudienzeit von durchschnittlich neun Semestern und die damit im Zusammenhang stehende Pflicht zur Prüfungsteilnahme späte­stens zwei Semester nach Ende der Regelstudienzeit wurden besonders heftig kritisiert379• Als Ausnahmeregelung blieb § 2 Abs. 1 HEG bis zum 31. De­zember 1996 in Kraft; er enthielt Aussagen zur Bildung von Ehrenkommis­sionen, welche das Verhalten der Hochschulangehörigen vor Inkrafttreten des HEG zu beurteilen hatten.

Das Vorläufige Thüringer Hochschulgesetz vom 14. Mai 1991380, das in seiner Geltungsdauer bis zum 29. Februar 1992 befristet war, enthielt Ände­rungen und Ergänzungen zur Vorläufigen Hochschulordnung, die auch in Thüringen bis zur Verkündung eines Hochschulgesetzes als vorläufiges Lan­desgesetz weiter galt. Der Minister für Wissenschaft und Kunst wurde er­mächtigt, eine Evaluationsordnung zu erlassen, die die Kriterien für eine Überprüfung der persönlichen und fachlichen Eignunf von Hochschullehrern und wissenschaftlichen Mitarbeitern festlegen sollte38 • Das Thüringer Hoch­schulgesetz als nun dauerhafte Grundlage für die Neugestaltung einer Hoch­schullandschaft in Thüringen wurde am 7. Juli 1992 erlassen382•

In Sachsen und Sachsen-Anhalt wurde die Vorläufige Hochschulordnung im Juli 1991 durch Hochschulerneuerungsgesetze ersetzt, die ausführliche Regelungen zur personellen Erneuerung enthielten383 • Das Gesetz über die

377 V gl. Gesetz zur Erneuerung der Hochschulen des Landes Mecklenburg-Vorpom­mern- Hochschulerneuerungsgesetz (HEG) v. 19.2.1991, in: GVOBI. 1991, Nr. 5, s. 34.

378 V gl. Gesetz über die Hochschulen des Landes Mecklenburg-Vorpommern - Lan­deshochschulgesetz (LHG) v. 9.2.1994, in: GVOBI. S. 293; Schwerin verab­schiedet Hochschulgesetz, in: F.A.Z. v. 28.1.1994.

379 Vgl. § 8 LHG in Verbindung mit§ 15 LHG. Überschreiten Studierende die Frist zur Teilnahme an der Abschlußprüfung um mehr als zwei Semester aus von ih­nen zu vertretenden Gründen, so gelten Prüfungen als abgelegt und nicht bestan­den; vgl. § 15 (1) LHG.

380 Vgl. Vorläufiges Thüringer Hochschulgesetz vom 14.5.1991, in: GVBI. S. 79. 381 Vgl. Art. 1 Nr. 16. Abs. 2 Vorläufiges Thüringer Hochschulgesetz. 382 Vgl. Thüringer Hochschulgesetz (ThürHG) v. 7.7.1992, in GVBI. S. 315. 383 Vgl. Sächsisches Hochschulerneuerungsgesetz v. 25.7.1991, in: SGVBI. S. 261;

Gesetz zur Erneuerung der Hochschulen des Landes Sachsen-Anhalt (Hoch­schulerneuerungsgesetz- HEG LSA) v. 31.7.1991, in: GVBI. S. 197. Zur perso­nellen Erneuerung vgl. §§ 75-81 Sächsisches HEG; §§ 64-68 HEG LSA.

238

Page 237: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Hochschulen im Freistaat Sachsen vom 4. August 1993384, das zum 3. Okto­ber 1993 in Kraft trat, löste mit Ausnahme einiger z.T. befristet weitergelten­der Vorschriften das HEG ab. Damit war eine Vorschrift des Einigungsver­trages erfüllt, nach der die vollständige Umsetzung des HRG in das Hoch­schulrecht der neuen Länder bis zum 3. Oktober 1993 abzuschließen war385•

In Sachsen-Anhalt wurde schließlich am 7. Oktober 1993 ein Hochschulge­setz erlassen, welches das HEG ablöste386•

3.5.2 Die strukturelle und organisatorische Hochschulerneuerung

Kommissionen und Arbeitsgruppen des Wissenschaftsrates begannen im Sommer 1990 mit der Bestandsaufnahme der in der DDR existierenden Uni­versitäten und Hochschulen. Sie verabschiedeten bis zum Sommer 1992 um­fangreiche Empfehlungen, u.a. zur Bildung von Hochschulstrukturkommis­sionen, zur Neuordnung von Universitäten und Hochschulen, zur Errichtung von Fachhochschulen, zur Erneuerung von Forschung und Lehre in bestimm­ten Fachgebieten sowie zur Lehrerbildung387• An der Erarbeitung der Empfeh­lungen wirkten etwa 200 Sachverständige in 16 Arbeitsgruppen mit. Die Grundlage ihrer Tätigkeit bildeten Leitlinien, die ein einheitliches Vorgehen der Arbeitsgruppen ermöglichen sollten. Der Wissenschaftsrat empfahl, Aka­demiewissenschaftler in Hochschulen zu integrieren sowie die Zusammenar­beit von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu verbessern und dadurch die Hochschulforschung zu stärken. Spezialhochschu­len sollten soweit wie möglich in Universitäten integriert oder zu Fachhoch­schulen mit breiterem Fächerangebot entwickelt werden. Das inhaltliche Profil bislang hochspezialisierter Studiengänge sollte verbreitert, die Grund­lagenausbildung gleichzeitig verstärkt werden. Ungeachtet der besonderen Probleme der auch hinsichtlich des Hochschulwesens strukturschwachen Länder wie Brandenburg schlug der Wissenschaftsrat vor, die Erneuerung bestehender Einrichtungen der Neugründung von Hochschulen vorzuziehen, dies nicht zuletzt aus infrastrukturellen und finanziellen Gründen. Und

384 V gl. Gesetz über die Hochschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschul­gesetz - SHG), in: SGVBI. S. 691. Zum Sächsischen Hochschulgesetz vgl. auch Meyer, H. J. 1993.

385 Vgl. Anl. I z. EV, Kap. XVI, Sachgebiet A, Abschnitt II, Abs. 2 e). 386 Vgl. Hochschulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt v. 7.10.1993, in: GVBI. S.

613. Zur Kritik am Hochschulgesetz vgl. Klein 1993. 387 Die zwischen November 1990 und Juli 1992 veröffentlichten Empfehlungen des

Wissenschaftsrates zu Hochschulen, Wissenschaft und Forschung in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin dokumentiert: Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a (4 Teilbände). Zur Errichtung von Fachhochschulen in den neuen Bundesländern vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1991a. Zur Tätigkeit des Wissenschaftsrates in den neuen Bundesländern vgl. Krull1992; Krull1994; Benz 1994.

239

Page 238: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schließlich empfahl er die Neuordnung des ostdeutschen Hochschulwesens in zwei Phasen. In der ersten Phase an, deren Dauer er bis etwa 1995/96 schätz­te, sollten vorrangig die Arbeitsfahigkeit der weiterbestehenden Hochschulen gesichert und Fachhochschulen aufgebaut werden. Hieran sollte sich, abhän­gig vom Bedarf und den vorhandenen finanziellen Spielräumen, der Ausbau bestehender Einrichtungen und die Neugründung von Hochschulen anschlie­ßen388. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates sollten von den Landesre­gierungen und Landtagen sowie von den parallel zum Wissenschaftsrat ta­genden Hochschulstrukturkommissionen der Länder bei deren Planungen be­rücksichtigt werden389.

Der Wissenschaftsrat hatte sich dafür ausgesprochen, in den neuen Län­dern und Ost-Berlin zwölf Universitäten mit einem jeweils breiten Fächer­spektrum, zwölf Kunst- und Musikhochschulen sowie 20 Fachhochschulen zu gründen. Einige Fachhochschulen sollten mehrere Standorte umfassen. Der Wissenschaftsrat schlug vor, die Fachhochschulen überwiegend aus beste­henden, auf wenige Fächer spezialisierten Technischen Hochschulen zu ent­wickeln und das vorhandene Fächerspektrum um Bereiche wie Sozialwissen­schaft und Betriebswirtschaft zu erweitern. Darüber hinaus empfahl er die Neugestaltung von Ausbildungsgängen, die der angestrebten strukturellen Kompatibilität auf gesamtdeutscher Ebene nicht entsprachen wie die bisheri­ge Unterstufenlehrerausbildung, sowie von Fächern, deren Inhalte aufgrund ihrer ideologischen Überfrachtung nicht mehr gelehrt werden sollten390.

Ziel der Empfehlungen war es, zu einer strukturellen, organisatorischen und inhaltlichen Kompatibilität der Hochschulsysteme in den alten und neuen Bundesländern zu gelangen, wobei die in den neuen Bundesländern vorhan­denen Kapazitäten weiter genutzt und ausgebaut werden sollten. Von der an­gestrebten ausgewogenen geographischen Verteilung der Universitäten und Hochschulen in den Regionen erhofften sich die beteiligten Akteure positive Effekte auf die ökonomische Entwicklung des jeweiligen Umlandes der Hochschulen391 .

Die Länder bildeten eigene Hochschulstrukturkommissionen, die die Empfehlungen des Wissenschaftsrates beraten und umsetzen sollten; in Bran­denburg und Mecklenburg-Vorpommern wurden zusätzliche Fachhoch­schulstrukturkommissionen eingerichtet. Der Vergleich der Ergebnisse der Neugestaltung mit den Kommissionsempfehlungen zeigt, daß sich die Ent­scheidungsträger auf Länderebene einen großen Teil der Komissionsvor-

388 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I, S. lOf. 389 Allgemein zur Arbeit der Landeshochschulstrukturkommissionen vgl. Teichler

1994. 390 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I, S. 8f. Zu den Empfehlungen des

Wissenschaftsrates vgl. a.a.O., Teil I- IV. Zur Gründungsphase der Fachhoch­schulen in Ostdeutschland und ihrer Entwicklung aus studentischer Sicht vgl. Ramm 1994.

391 Vgl. Buck-Bechler et al. 1993b, S. 72.

240

Page 239: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schläge zu eigen machten. Nachdem die erste Phase des Neuaufbaus abge­schlossen ist, wird erkennbar, daß in der ostdeutschen Hochschullandschaft Universitäten und Fachhochschulen dominieren. Die hochgradig spezialisier­ten DDR-Hochschulen wurden nahezu vollständig abgebaut. In den neuen Bundesländern und Berlin gibt es mittlerweile 15 Universitäten, einige davon befinden sich im Aufbau. Die Zahl von zwölf Kunst- und Musikhochschulen entspricht den Empfehlungen des Wissenschsaftsrates; statt der vom Wissen­schaftsrat vorgeschlagenen 20 Fachhochschulen wurden 29 Einrichtungen ge­gründee92. Das Ziel einer Iänder- und bevölkerungsbezogen ausgewogenen Verteilung der Hochschulen wurde erreicht; dies zeigt der Vergleich mit der Verteilung der Hochschulen in der DDR, wie sie im Jahr 1989 gegeben war. 1989 existierten auf dem Gebiet des späteren Landes Brandenburg vier Hoch­schuleinrichtungen, deren Zahl auf neun anstieg. In Mecklenburg-Vorpom­mern stieg die Zahl von sechs auf sieben393, in Thüringen von sechs auf neun Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen. In Sachsen-Anhalt und Sachsen verringerte sich hingegen die Zahl der staatlichen Einrichtungen von neun auf acht (Sachsen-Anhalt) bzw. von 22 auf 13 (Sachsen)394•

Die Tätigkeit des Wissenschaftsrates wird in der Rückschau unterschied­lich bewertet. Einerseits entwickelten die durch den Wissenschaftsrat erarbei­teten Empfehlungen eine erhebliche Bindewirkung auf die Beratungs- und Entscheidungsorgane der Länder. Den neuen Ländern verblieb nur ein gerin­ger Spielraum für die Verwirklichung eigener Vorstellungen395• Der Wissen­schaftsrat selbst betonte die enge Kooperation mit den Landeshochschulstruk-

392 Vgl. Aulerich/Döbbeling 1993. Aulerich/Döbbeling nennen die Zahl von 14 Universitäten und 28 Fachhochschulen (einschl. Verwa1tungsfachhochschu1en) in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin (Stand: Mitte 1993). Hinzu kamen die Anfang 1994 wiedererrichtete Universität Erfurt und die zum 1. Oktober 1994 errichtete Fachhochschule Altmark; vgl. zu letzterer Drittes Hochschul­strukturgesetz des Landes Sachsen-Anhalt v. 5.7.1994, in: GVBl. LSA S. 799.

393 Einschließlich der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Güstrow.

394 Vgl. Buck-Bechler et al. 1993b, S. 74ff. Die Vergleichszahlen des Jahres 1989 berücksichtigen nur die 'offiziellen' Universitäten und Hochschulen. Die mehr als 20 von staatlichen, gesellschaftlichen und Parteiorganisationen unterhaltenen Einrichtungen mit Hochschulcharakter sind hierbei nicht berücksichtigt. Sie wurden im übrigen aufgelöst bzw. deren noch nutzbare Bausubstanz in neuge­gründete Hochschulen eingegliedert. So stehen z.B. die Gebäude der Juristischen Hochschule des MfS heute der Universität Potsdam zur Verfügung. Zum Ver­gleich der Hochschulstrukturen bis und nach 1990 unter Einbeziehung der DDR­Fachschulen einschließlich der gesetzlichen Grundlagen der Strukturerneuerung in den neuen Ländern und Ost-Berlin vgl. Aulerich/Döbbeling 1993.

395 In diesem Sinne äußerte sich Teichler, der in der Landeshochschulstrukturkom­mission des Landes Sachsen-Anhalt mitarbeitete; vgl. Buck-Bechler/Jahn (Bearb.) 1992, S. 13. Zu berücksichtigen ist, daß eine Mitfinanzierung von Bau­maßnahmen und Großgeräten durch den Bund über das Hochschulbauförde­rungsgesetz die Zustimmung des Wissenschaftsrates zu diesen Investitionen vor­aussetzt; vgl. Krull1992, S. 24.

241

Page 240: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schaftsrat selbst betonte die enge Kooperation mit den Landeshochschulstruk­turkommissionen, deren Einrichtung ebenfalls auf einer Empfehlung des Wis­senschaftsrates basierte396. Allerdings stellten Vertreter des Wissenschaftsra­tes auch fest, daß sich die Länder bei der Hochschulentwicklungsplanung nicht uneingeschränkt von den Empfehlungen des Wissenschaftsrates leiten ließen: "Beim quantitativen Ausbau der Universitäten hat sich die Planungs­hoheit der Länder eindeutig gegen die wissenschaftspolitische Argumentation des Wissenschaftsrates durchgesetzt"397• Außerdem ließen sich einige der vom Wissenschaftsrat aufgestellten Leitlinien im Verlauf des Umstrukturie­rungsprozesses nicht aufrechterhalten. Weder gelang es, in größerem Umfang Akademiewissenschaftler in den Hochschulen der neuen Länder unterzubrin­gen398, noch konnte der Grundsatz verwirklicht werden, die Erneuerung be­stehender Einrichtungen der Gründung neuer Hochschulen vorzuziehen. Der Vorschlag, den geplanten Ausbau des Hochschulnetzes in zumindest zwei Etappen zu vollziehen und damit zeitlich und finanziell zu strecken, ließ sich ebenfalls nicht im Sinne der Intentionen des Wissenschaftsrates umsetzen399. Die Ursachen dafür dürften in der Iändereigenen Planungshoheit und in dem Bedürfnis einiger Länderparlamente gelegen haben, "mit Universitäten Identi­tät zu stiften und an Prestige zu gewinnen"400. Allerdings darf bei den Aktivi­täten des Wissenschaftsrates nicht übersehen werden, daß ihm in bezug auf die Hochschulen der neuen Länder nur die Aufgabe zukam, bei dem Um- und Ausbau des ostdeutschen Hochschulwesens fachlich zu beraten401 •

Seit der Schließung der Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) im Jahr 1811 gab es auf dem Territorium des späteren Landes Brandenburg keine

396 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I, S. 11; Buck-Bechler et al. 1993b, S. 7lf.

397 Neuweiler 1994, S. 4. 398 Vgl. Schluchter 1994, S. 15, der den Versuch einer Erklärung hierfür präsentiert. 399 Die etwas widersprüchliche Bewertung der Bindewirkung, die die vom Wissen-

schaftsrat verabschiedeten Empfehlungen auf die Länder ausübten, faßt Schluch­ter wie folgt zusammen: "Tatsächlich wurden die teilweise sehr detaillierten Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Umbau von Einrichtungen und Fä­chern im Hochschulbereich von den nun zuständigen ostdeutschen Ländern zwar durchweg nahezu dogmatisch behandelt und beachtet, aber zugleich eher als eine Art Minimalprogramm verstanden"; Schluchter 1994, S. 17. Zu den Ursachen dieser Haltung vgl. a.a.O., S. 17ff. Wolfgang Schluchter war u.a. Mitglied der Hochschulstrukturkommission des Landes Sachsen-Anhalt.

400 Westdeutsche Fehlentwicklungen wiederholen sich im Osten, in: Das Parlament. Nr. 2411994. Der Autor des genannten Artikels äußerte die Vermutung in bezug auf Brandenburg; die Gründung weiterer Hochschulen, z.B. einer Universität in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt, von der der Wissenschaftsrat zunächst abriet, dürfte indes ähnlich motiviert sein; vgl. Universitäten im Zeichen geistiger Einheit, in: F.A.Z. v. 28.3.1994; Krulll992, S. 24.

401 Krull 1992, S. 17. Vgl. hierzu auch Sirnon 1992, S. 30. Zu den Aufgaben des Wissenschaftsrates in bezugauf die außeruniversitären Forschungseinrichtungen vgl. Kap. 3.6.

242

Page 241: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Universität, da sich die Hochschulentwicklung auf Berlin konzentrierte. 1989 existierten in Cottbus eine und in Potsdam drei Spezialhochschulen. Der Wis­senschaftsrat hatte sich in seinen Empfehlungen dafür ausgesprochen, sich auf die Gründung einer Universität in Potsdam zu beschränken, die durch vier Fachhochschulen mit insgesamt sechs Standorten ergänzt werden sollte402. Abweichend von diesen Empfehlungen gründete die brandenburgische Lan­desregierung durch Rechtsverordnung vom 4. Juli 1991 drei Universitäten in Potsdam (Universität), Cottbus (Technische Universität) und Frankfurt/Oder ('Europa-Universität' Viadrina)403. Mit Verordnung vom 22. Oktober 1991 wurden fünf Fachhochschulen an insgesamt sechs Standorten gegründet. Die Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf' in Potsdam-Babelsberg sollte neustrukturiert werden404. Der Aufbau der Hochschulen in Brandenburg sollte dem mittelfristig erwarteten Aufkommen an Studienbewerbern entspre­chen. Mit einer Zahl kleinerer Standorte sollte zudem die Entwicklung von Massenuniversitäten verhindert werden405. Es wurden Fächerschwerpunkte an den einzelnen Universitäten gebildet, und, in Abstimmung mit dem Land Berlin, auf die Einrichtung einiger Fakultäten z.B. in der Medizin verzich­tet406. Gemäß der Aufbauplanung soll bis zum Ende des Jahrzehnts die Zahl von 34.400 flächenbezogenen Studienplätzen erreicht sein, die sich etwa im Verhältnis 60 zu 40 auf Universitäten und Fachhochschulen verteilen407.

In Mecklenburg-Vorpommern, dem am dünnsten besiedelten ostdeut­schen Bundesland, wurden die beiden traditionsreichen Universitäten in Ro­stock und Greifswald erhalten und erweitert. Dies korrespondiert zum Teil mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates408. Die beiden Pädagogischen

402 Darüber hinaus machte der Wissenschaftsrat, wie auch bei den Empfehlungen für die anderen Länder, umfangreiche Vorschläge für die Etablierung bestimmter Fä­cherbereiche an den einzelnen Hochschulen. Hierauf soll jedoch nicht im Detail eingegangen werden. Vgl. hierzu Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I- IV.

403 Zu den drei neuen Universitäten Brandenburgs vgl. Brandenburgische Landes­kommission für Hochschulen und Forschungseinrichtungen (Hrsg.) 1993. Die Schrift dokumentiert die Gründungsdenkschriften der Technischen Universität Cottbus, der Universität Potsdam und der Europa-Universität Viadrina Frank­furt/Oder.

404 Vgl. Buck-Bechler et al. 1993a, S. 35ff. 405 V gl. in diesem Sinne z.B. Brandenburgische Landeskommission für Hochschulen

und Forschungseinrichtungen 1994; Hochschulen für die Region 1994; Fach­hochschulen im Land Brandenburg 1994.

406 Vgl. Buck-Bechler et al. 1993a, S. 39. 407 V gl. Brandenburgische Landeskommission für Hochschulen und Forschungsein­

richtungen 1994, S. 31. 408 Neuweiler merkt an, daß Vorschläge des Wissenschaftsrates zu einer kostensen­

kenden Differenzierung von Studiengängen an den Universitäten Rostock und Greifswald nicht berücksichtigt worden seien. Ähnliches gilt für die Universitä­ten des Landes Brandenburg; vgl. Neuweiler 1994, S. 5. Zu den Auseinanderset­zungen zwischen dem Wissenschaftsrat und dem Land Mecklenburg-Vorpom­mern in der Frage der Hochschulstrukturen vgl. "Wir haben Nazis und Kommu-

243

Page 242: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Hochschulen in Neubrandenburg und Güstrow wurden zum 1. Oktober 1991 in die Universitäten Greifswald (Neubrandenburg) und Rostock (Güstrow) eingegliedert. Am 1. September 1991 war in den Einrichtungen der Pädagogi­schen Hochschule Neubrandenburg eine Fachhochschule neugegründet und eine weitere Fachhochschule in Stralsund errichtet worden. Der Aufbau einer weiteren Fachhochschule in Wismar erfolgte durch Rechtsverordnung am 2. August 1992. Gegründet wurde ferner eine Hochschule für Musik und Thea­ter in Rostock409 . Ähnlich wie in Brandenburg soll auch in Mecklenburg­Vorpommern die räumliche Verteilung der Hoch- und Fachhochschulen zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur beitragen. Mit der Umgliederung der Universitäten und der Schließung der Pädagogischen Hochschulen wurde die Lehrerausbildung in die Universitäten zurückverlagert Das Ziel des Hochschulausbaus liegt bei 24.000 flächenbezogenen Studienplätzen. Nach Ansicht des Kultusministeriums könnte, sofern sich die Immatrikulationen in den kommenden Jahren entsprechend erhöhen, die tatsächliche Studentenzahl bis zu einem Drittel über der der vorhandenen Studienplätze liegen, ohne daß dies den Studienbetrieb nachhaltig beeinträchtigen würde. Im Wintersemester 1994/95 waren rund 16.000 Studierende an Hochschulen des Landes Meck­lenburg-Vorpommern eingeschrieben 410 .

Sachsen mit einem Bevölkerungsanteil von etwa 30 % in der DDR ver­fügte über den relativ größten Anteil an Hochschuleinrichtungen. Der Wis­senschaftsrat empfahl den Ausbau der TU Dresden sowie der Universitäten Leipzig und Chemnitz-Zwickau durch Neugründung wirtschaftswissenschaft­licher Fakultäten. In Dresden und Leipzig sollten zudem juristische Fakultä­ten aufgebaut werden, und die Lehrerausbildung sollte sich zukünftig auf die­se beiden Universitäten konzentrieren. Der Wissenschaftsrat empfahl darüber hinaus die Gründung von fünfFachhochschulen411 . Auch in Sachsen orientier­te sich die Landesregierung weitgehend an den Vorschlägen des Wissen­schaftsrates. Das Land verfügt nun über 13 Hochschulen. Neben der Universi­tät Leipzig sind dies die Bergakademie Freiberg, die TU Dresden, die TU Chemnitz-Zwickau und vier künstlerische Hochschulen in Dresden und Leip­zig sowie fünf Fachhochschulen. Neben den staatlichen Hochschulen beste­hen die in privater Trägerschaft wiedergegründete Handelshochschule Leip­zig sowie drei Hochschulen in Trägerschaft der Kirchen. Die Deutsche Hoch-

nisten überstanden, jetzt drohen wir arn Wissenschaftsrat zu scheitern", in: F.A.Z. V. 8.7.1991.

409 Vgl. Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.) o.J. (1992), S. 5; Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommem 1994, S. 8.

410 Vgl. Weniger Betten und weniger Studenten, in: Der Tagesspiegel v. 30.2.1995; Mecklenburg-Vorpommern: Neue Landeshochschulplanung vorgelegt, in: Hoch­schule Ost. H. Mai/Juni 1995, S. 128ff.

411 Diese sind in Dresden, Leipzig, Mittweida, Zittau und Zwickau angesiedelt und lösen bisherige Hochschulen ab; vgl. Buck-Bechler et al. 1993b, S. 38f.

244

Page 243: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schule für Körperkultur und Sport und das Literaturinstitut "Johannes R. Be­cher", beide in Leipzig, sowie die LPG-Hochschule in Meißen wurden 1991 geschlossen. Die Medizinische Akademie "Carl Gustav Carus" in Dresden sollte zunächst den Status einer selbständigen Einrichtung behalten; sie wurde aber im Sommer 1993 in die TU Dresden eingegliedert. Die TU Dresden entwickelte sich durch die Erweiterung um medizinische, geistes- und wirt­schaftswissenschaftliche Studiengänge zu einer Volluniversität412.

Die Studienplatzkapazitäten der sächsischen Universitäten und Fach­hochschulen sollen im Verhältnis von 70 zu 30 entwickelt werden. Im Ver­gleich zu Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg, deren Hochschu­lentwicklungspläne von einer Verdoppelung oder Vervielfachung der Studen­tenzahlen bis zum Jahr 2000 ausgehen, ist in Sachsen eine Kapazitätserhö­hung des Studienplatzangebotes um etwa 50 % geplant. Die Unterschiede re­sultieren im wesentlichen aus dem Abbau der Disparitäten zwischen den Län­dern413.

Auch in Sachsen-Anhalt verringerte sich die Zahl der Hochschuleinrich­tungen. 1989 existierten auf dem Territorium des späteren Landes Sachsen­Anhalt die Universität Halle-Wittenberg, die TU Magdeburg sowie sieben Spezialhochschulen. Für Sachsen-Anhalt empfahl der Wissenschaftsrat, das Fächerangebot der bestehenden Universitäten zu erweitern und die Lehrer­ausbildung an diesen anzusiedeln. Vier Fachhochschulen sollten mit insge­samt sechs Standorten errichtet werden. Die Hochschulstrukturkommission des Landes Sachsen-Anhalt empfahl die Gründun,r zweier zusätzlicher Fach­hochschulen im Rahmen weiterer Ausbaustufen41 . In Sachsen-Anhalt beste­hen heute die beiden Universitäten, die Hochschule für Kunst und Design Halle sowie fünf Fachhochschulen415. Hinzu kommen zwei theologische

412 Vgl. Große Visionen- lethargische Stimmung, in: Der Tagesspiegel v. 8.3.1992; Ein Schritt zur Voll-Universität, in: F.A.Z. v. 12.6.1993; Die Medizinische Aka­demie kommt in die TU, in: F.A.Z. v. 4.9.1993.

413 In Sachsen ist der Ausbau von ca. 61.000 (1989) auf ca. 90.000 Studienplätze, die etwa im Jahr 2000 verfügbar sein sollen, geplant. Durch die Auflösung von acht Hochschulen und die Eingliederung von Teilen dieser Einrichtungen in die weiterbestehenden Hochschulen vergrößerten sich diese entsprechend. Die Ver­gleichszahlen für Brandenburg lauten 6.000 (1989) und ca. 35.500 Studienplätze (mittelfristig), was rechnerisch einer Versechsfachung des Studienplatzangebotes entspräche. Aufgrund der erheblichen regionalen Disparitäten bis 1990 ergibt der Vergleich aber ein etwas schiefes Bild; vgl. Buck-Bechler et al. 1993a, S. 39; Buck-Bechler et al. 1993b, S. 41. Im Wintersemester 1996/97 waren an den sächsischen Universitäten, Kunst- und Fachhochschulen 66.845 Studierende im­matrikuliert; vgl. Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Pressemitteilung v. 24.10.1996.

414 Vgl. Buck-Bechler et al. 1993a, S. 27ff. Im Detail zu den Vorschlägen der Lan­deshochschulstrukturkommission vgl. Ministerium für Wissenschaft und For­schung des Landes Sachsen-Anhalt 1992; Ranft 1993.

415 FH Anhalt mit den Standorten Köthen, Bemburg und Dessau, FH Harz in Wer­ningerode, FH Magdeburg und FH Merseburg (vgl. Mit uns muß man rechnen

245

Page 244: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Hochschulen in Halle und Friedensau. Dem Vorschlag, die Pädagogische Hochschule in Halle-Köthen weiterzuführen, schloß sich das Landesparla­ment nicht an; es entschied sich für die Schließung beider Pädagogischen Hochschulen und die Integration der Ausbildung für Lehrämter in die Uni­versitäten Halle und Magdeburg. Die mittelfristige Planung, die Zahl der Studienplätze auf ca. 37.000 zu erhöhen - langfristig ist der Ausbau auf über 40.000 Studienplätze vorgesehen - wird in etwa zu einer Verdoppelung des Studienplatzangebotes gegenüber 1989 führen. In Sachsen-Anhalt wird ein Schwerpunkt auf den Ausbau von Fachhochschulen gelegt. Im Jahr 2000 soll das Verhältnis der Studienanfängerzahlen an Universitäten und Fachhoch­schulen - ausgehend von einer Gesamtzahl von ca. 11.000 - etwa bei 50 zu 50 liegen416•

Auf dem Territorium des heuti~en Freistaates Thüringen befanden sich 1989 sechs Hochschuleinrichtungen 17 . Der Wissenschaftsrat schlug vor, die Universität Jena weiter auszubauen und inhaltlich Schwerpunkte in den Gei­steswissenschaften zu setzen. Die beiden Hochschulen in Weimar, die Hoch­schule für Architektur und Bauwesen und die Hochschule für Musik, sowie die Technische Hochschule Ilmenau sollten erhalten bleiben. Für die Ausbil­dung in den Lehrämtern empfahl der Wissenschaftsrat ein entsprechendes Studienangebot an der Universität Jena sowie den Erhalt der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen. Zu den Hochschulen sollten Fachhochschu­len in Jena und Schmalkaiden hinzutreten.

Durch Rechtsverordnung vom September 1991 wurden Fachhochschulen in Erfurt, Jena und Schmalkaiden gegründet. Die TH Ilmenau wurde gemäß dem Thüringer Hochschulgesetz vom Juli 1992418 in Technische Universität Ilmenau umbenannt. Anfang 1994 wurde die im Jahr 1816 geschlossene Uni­versität Erfurt wiedererrichtet, die im 14. Jahrhundert gegründet worden war. Sie soll eine vorwiegend geisteswissenschaftliche Ausrichtung erhalten; Im­matrikulationen waren erstmals für das Jahr 1996 vorgesehen. Die PH Erfurt konnte unter Aufgabe des Standortes Mühlhausen zunächst weiterbestehen419 ;

1994) sowie die FH Altmark, deren Aufbau zum 1.10.1994 begann; vgl. Drittes Hochschulstrukturgesetz v. 5.7.1994, in: GVBI. LSA S. 799.

416 Vgl. Buck-Bechler 1993a, S. 30ff. 417 Vgl. hierzu den kurzen historischen Abriß in Buck-Bechler et al. 1993b, S. 9ff. 418 Vgl. ThüringerHochschulgesetz (ThürHG) v. 7.7.1992, in: GVBI. S. 315. 419 Vgl. Buck-Bechler et al. 1993b, S. 13ff. Das Vorhaben, die medizinische Aka­

demie Erfurt als Medizinische Hochschule weiterzuführen (vgl. §§ I [2], I. u. 102 ThürHG) war hingegen schon Ende 1992 aufgegeben worden. Die vorhan­denen Einrichtungen werden nun als Krankenhaus genutzt, die medizinische Ausbildung übernahm die Universität Jena; vgl. hierzu die Rede des Ministers für Wissenschaft und Kunst Ulrich Pickel vor dem Thüringer Landtag am 12.11.1992, in: Thüringer Landtag, I. Wahlperiode: Plenarprotokolll/55 v. 24.6. 1992, S. 3886ff.

246

Page 245: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

nach einem Beschluß des Thüringer Landtages vom Februar 1994 wird sie sukzessive verkleinert und in die neugegründete Universität überführt420•

Die Planungsdaten der Landesregierung gehen von einer Zahl von 42.000 Studienplätzen im Jahr 2010 aus. Dies würde gegenüber den ca. 16.500 Stu­denten im Jahr 1989 langfristig mehr als eine Verdoppelung der Studenten­zahlen bedeuten421 .

Nach dem vorläufigen Abschluß des strukturellen Erneuerungsprozesses ist erkennbar, daß insbesondere für die Fachhochschulen günstige Bedingun­gen geschaffen wurden. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die relativ große Zahl an Fachhochschul-Neugründungen, sondern auch für die in den Hoch­schulgesetzen verankerten Arbeitsbedingungen der Fachhochschullehrer. So kann an den ostdeutschen Fachhochschulen anwendungsorientiert geforscht werden. FR-Professoren können wissenschaftliche Mitarbeiter zugewiesen werden. Besonders befähigten FR-Absolventen wird in allen neuen Ländern die Möglichkeit zur Promotion eingeräumt; sie setzt die Kooperation zwi­schen der Fachhochschule und einer Universität voraus. In Mecklenburg­Vorpommern und in Sachsen können Fachhochschullehrer dabei auch Be­treuer und Prüfer möglicher Promovenden sein422. Forschungsaktiven Fach­hochschullehrern kann ein Teil ihrer Lehrverpflichtungen erlassen werden (z.B. in Sachsen-Anhalt)423 • Die Fachhochschulen in den neuen Ländern er­freuen sich nach einer schwierigen Anfangsphase einer hohen Akzeptanz bei Studienbewerbern. Zum Wintersemester 1994/95 nahmen 12.744 Studienan­fänger einen Fachhochschulstudiengang auf. Dies entspricht einer Quote von

420 Vgl. Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hrsg.), 1994a, S. 4; Erfurt ist wieder Universitätsstadt, in: F.A.Z. v. 30.4.1994. Im Detail zu den Pla­nungen für die Universität Erfurt vgl. Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hrsg.) 1994b. Vgl. hierzu auch die Stellungnahme des Wissen­schaftsrateszur Gründung einer Universität in Erfurt vom Januar 1992, in: Wis­senschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I, S. 161ff., in der sich die eingesetzte Arbeits­gruppe eher zurückhaltend zur beabsichtigten Wiedererrichtung äußerte. Sie empfahl dem Land Thüringen, "Init der Gründung Inindestens bis Mitte der 90er Jahre zu warten"; a.a.O., S. 174. Zur Eingliederung der PH in die Universität Erfurt vgl. Auf der Krämerbrücke wohnt der Forschergeist Max Webers, in: F.A.Z. v. 20.6.1995; Zufrieden Init einem kleinen Happy-End, in: Rheinischer Merkur. Nr. 29/1995.

421 Vgl. Buck-Bechler et al. 1993b, S. 14f. Zur Entwicklung der Hochschulen in Thüringen im Detail vgl. Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hrsg.) 1994c.

422 Vgl. Neie 1995, S. 34f. Hiergegen gibt es jedoch auch - substantiell durchaus ernstzunehmende- Kritik; vgl. z.B. Löwer/Braun 1995.

423 Vgl. Bericht der Bundesregierung zur Stärkung der Wissenschafts- und For­schungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland- BT-Drs. 12/4629 v. 24.3.1993, S. 5. Zum Lehrdeputat von Fachhochschullehrern in Sach­sen-Anhalt vgl. Reduzierte Lehrverpflichtungen in Sachsen-Anhalt, in: Informa­tionen-Bildung-Wissenschaft. Nr. 411992, S. 52. Zur Kritik an den Rechtsrege­lungen zu Fachhochschulen in den neuen Ländern, insb. zur Frage der Promotion von FR-Absolventen, vgl. Waldeyer 1992.

247

Page 246: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

rund 35 % aller Studienanfänger, deren Zahl bei 32.170 lag424. Die neuen Länder lagen damit näher als die alten Bundesländer an der vom Wissen­schaftsrat empfohlenen Quote von 40 % der Studienanfänger, die ein Studium an einer Fachhochschule absolvieren sollen.

Auch nichtstaatliche Träger bemühen sich darum, Hochschulen zu grün­den. Die beiden großen christlichen Kirchen, die auch in den alten Ländern über den größten Teil der nichtstaatlichen Einrichtungen verfügen, konnten auf Vorhandenem aufbauen; sie verfügten bereits in der DDR über Ausbil­dungsstätten für den eigenen Nachwuchs auf Hoch- und Fachschulniveau. Gleichwohl ist der Anteil nichtstaatlicher Hochschuleinrichtungen in den neu­en Ländern bislang gering. Neben den kirchlichen Einrichtungen -der (kath.) Fachhochschule Berlin-Karlshorst, der Evangelischen Fachhochschule für Sozialarbeit Dresden, dem (kath.) Philosophisch-Theologischen Studium Er­furt, der Theologischen Hochschule Friedensau (Sachsen-Anhalt)425, der (ev.) Kirchlichen Hochschule Leipzig und der (ev.) Kirchlichen Hochschule Naumburg - wurde 1992 als erste nichtstaatliche Wirtschaftshochschule die Handelshochschule Leiftzig wiedergegründet, die mittlerweile den Lehrbe­trieb aufgenommen hat4 6.

Die Neustrukturierung des Hochschulwesens in den neuen Bundesländern war weitgehend an den in den alten Ländern vorhandenen Strukturen orien­tiert427. Gerrau hieran, an der weitgehenden Übernahme der Strukturen und z.T. auch der inhaltlichen Gestaltung eines Hochschulwesens, das sich seit Jahren selbst in einer schweren Strukturkrise befindet, entzündete sich Kritik. Die Hoffnung, daß die aus unterschiedlichen Gründen notwendige Reform der Hochschulen in Ost- und Westdeutschland in gemeinsame Anstrengungen zur Verbesserung des gesamtdeutschen Hochschulwesens münden könnten, hat sich nicht erfüllt. Daß die neuen Länder kaum neue Wege beschritten, dürfte in den nach wie vor bestehenden finanziellen Engpässen begründet lie­gen. Zudem ließ die Notwendigkeit, die Hochschulen bei weiterlaufendem Studienbetrieb umzustrukturieren, wenig Raum für Experimente. Außerdem

424 1993 betrug die Zahl der Studienanfänger an Fachhochschulen 13.100, die der Studienaufanger insgesamt 36.900. Bei einer Gesamt-Studentenzahl in den neuen Ländern und Ost-Berlin von 128.785 zum Wintersemester 1994/95 betrug der Anteil der Fachhochschulstudenten 39.455 (30,6 %) (Zahlen der Studienanfänger an Fachhochschulen ohne interne Verwaltungsfachhochschulen); vgl. BMBF (Hrsg.) 1994, S. 136; Statistisches Bundesamt 1995, S. 8f. und eigene Berech­nungen. Mücke (1996) nennt einen Anteil von 38,5% Studienanfängern an FH'n (von allen Studienanfängern) im Studienjahr 1994, der je nach Bundesland zwi­schen 35 % (MV) und 43 % (SN) variiert; vgl. a.a.O., S. 209f.

425 Einrichtung der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten; vgl. hierzu Pfeifer 1995.

426 Vgl. BMBW (Hrsg.) 1992a; Eine Brücke zwischen Ost und West, in: F.A.Z. v. 28.5.1994; Geburtsort der Betriebswirtschaft, in: Der Tagesspiegel v. 30.8.1994; Schulze 1996.

427 Vgl. Schluchter 1994, S. 13.

248

Page 247: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

wirkten sich, ähnlich wie im allgemeinbildenden Schulwesen, auch beim Um­bau des Hochschulwesens westdeutsche 'Paten' nachhaltig aus. Es gab zwar Versuche, den durch die Umstrukturierung bewirkten Veränderungsdruck auch zur inhaltlichen und fachlichen Profilierung der Hochschulen zu nutzen. Die Spielräume, die das HRG zur Gestaltun§ der Hochschulen läßt, hätten je­doch konsequenter genutzt werden können4 8. Überdies behinderten und ver­zögerten weitere Faktoren die Umstrukturierung der ostdeutschen Hoch­schullandschaft, z.B. die zum Teil zögerliche Entscheidungstindung auf Län­derebene und die mangelnde mittelfristige Fächer- und Stellenplanung429•

Unter der Voraussetzung, daß die initiierten Vorhaben langfristig finanzierbar bleiben, wurde die Neugestaltung der ostdeutschen Hochschullandschaft an­dererseits aber auch als durchaus gelungen eingeschätzt430•

3.5.3 Die personelle Erneuerung

Die personelle Erneuerung des Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungs­sektors erfolgte auf der Basis der im Einigungsvertrag festgelegten Bestim­mungen. Nach der in der Anlage I zum EV niedergelegten Regelung gingen die Arbeitsverhältnisse der in den staatlichen Einrichtungen Beschäftigten auf Bund und Länder über, soweit der Bund oder das jeweils zuständige Land ei­ne Einrichtung übernahmen. Die Entscheidung darüber, ob der Bund oder ein Land eine Einrichtung weiterführen wollten, mußte drei Monate nach Beitritt der ostdeutschen Länder, somit spätestens am 3. Januar 1991, erfolgt sein. Für Arbeitnehmer, deren Institution nicht weitergeführt wurde, 'ruhte' späte­stens ab diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis für sechs Monate431 • Fand sich keine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in einer vergleichbaren Tä­tigkeit, erlosch das Beschäftigungsverhältnis nach Ablauf der Wartefrist ('Warteschleife')432• Der EV erlaubte die fristgerechte Kündigung bei man­gelnder fachlicher Eignung oder fehlender persönlicher Qualifikation eines

428 Vgl. in diesem Sinne Schluchter 1993, S. 29ff.; Förster 1993, der anband der sächsischen Hochschulerneuerung aufgetretene Probleme beispielhaft deutlich macht; Ein Umbau nach verblichenen Plänen, in: SZ v. 14.10.1995.

429 Vgl. Sirnon 1992, S. 34f.; Hochschulrektorenkonferenz: Zum Strukturwandel der Hochschulen in den neuen Bundesländern und Berlin. Entschließung des 166. Plenums vom 17./18.2.1992. Zu einer kritischen Einschätzung der Transformati­onsprozesse im Hochschulwesen der neuen Länder aus einer spezifisch ostdeut­schen Sicht vgl. Kiel 1993; Kiel 1996. Zu der in Ost- und Westdeutschland un­terschiedlichen Wertung des Umbaus der ostdeutschen Hochschullandschaft vgl. Relativ absurde Strukturen, in: DUZ. Nr. 13/1994, S. 18f.

430 Vgl. z.B. Neuweiler 1994, S. 5. Gerhard Neuweiler war von 1988 bis 1993 Mit­glied des Wissenschaftsrates und seit 1993 dessen Vorsitzender. Vgl. auch Uni­versitäten im Zeichen geistiger Einheit, in: F.A.Z. v. 28.3.1994.

431 Für Arbeitnehmer ab dem 50. Lebensjahr betrug die Ruhensfrist neun Monate. 432 Vgl. Anl. I z. EV, Kap. XIX, Abschn. III, 1.

249

Page 248: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Arbeitnehmers, bei ersatzloser Auflösung einer Dienststelle oder bei Zusam­menlegung von Dienststellen, wenn hierdurch eine Weiterbeschäftigung nicht mehr möglich war. Ferner konnte Arbeitnehmern außerordentlich gekündigt werden, wenn sie für das MfS/AtNS tätig waren oder ,;Begen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen" 3 hatten. Zudem war es möglich, Arbeitnehmer befristet weiterzubeschäftigen. Die sehr weitgehen­den Kündigungsmöglichkeiten - entgegenstehendes Recht war gemäß EV nicht anzuwenden - sollten die als notwendig angesehene nachhaltige Perso­nalreduzierung und eine personelle Erneuerung ermöglichen434. Die Personal­reduzierung war der von den Betroffenen wie von der Öffentlichkeit am nachhaltigsten wahrgenommene Einschnitt in den Hochschul- und Wissen­schaftsbereich. Schon das Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Regierung de Maiziere hatte mit dem Personalabbau begonnen. Minister Meyer hatte bis Ende September 1990 die Entlassung von rund 1.300 Hoch­schullehrern der Sektionen Marxismus-Leninismus und verwandter Fachge­biete (wissenschaftlicher Kommunismus. u.ä.) verfügt435 . Die Kultus- und Wissenschaftsministerien setzten die Personalreduzierung auf beiden vom Einigungsvertrag zugelassenen Wegen fort. Hierbei schien die Auflösung ganzer Sektonen oder Hochschulen der für die Verantwortlichen einfachere Weg, da auf diese Weise die Einzelfallprüfung auf fachliche oder persönliche Nichteignung oder auf Zusammenarbeit mit dem MfS/AtNS entfallen konnte. Andererseits gab es bei Betroffenen, aber auch bei Studenten und in der Öf­fentlichkeit Proteste gegen diese Form der Abwicklung, da das Personal einer Sektion oder einer Einrichtung nicht ausschließlich aus Ungeeigneten oder aus 'Belasteten' bestand und auf diese Weise regimekritische Angehörige ei­nes Arbeitsbereiches in gleicher Weise behandelt wurden wie der SED erge­bene Hochschulkader. Zudem wurden in den Geistes- und Sozialwissenschaf­ten häufig ganze Fachbereiche abgewickelt, wohingegen natur- und technik­wissenschaftliche Sektionen aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne zu­nächst weitgehend unangetastet blieben. Vertreter der Ministerien begründe­ten das Verfahren, ganze Arbeitsbereiche abzuwickeln, damit, daß die als notwendig angesehene personelle Erneuerung Personalentlassungen im gro­ßen Stil unumgänglich machte. Zudem erklärten sie ihre Vorgehensweise mit

433 Anl. I z. EV, Kap. XIX, Abschn. III, 1. (5) 1. Vgl. dort im weiteren zur detaillier­ten Definition möglicher Gründe einer außerordentlichen Kündigung.

434 Vgl. Erläuterungen zu Anl. I z. EV, Kap. XIX, Abschn. III, 1. (5), in: Erläute­rungen zu den Anlagen zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands v. 31.8.1990- BT-Drs. 1117817 v. 10.9.1990, S. 179f. Weitere Detailregelungen traf der EV zur Ernennung von öffentlich Bediensteten zu Be­amten, was u.a. auf an den Hochschulen tätige Professoren zutraf. Hierauf soll nicht im einzelnen eingegangen werden, vgl. hierzu Anl. I, Kap. XIX, Abschn. III EV.

435 Vgl. Konegen-Grenier 1991, S. 150.

250

Page 249: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

der Unerfahrenheit der sich noch im Aufbaustadium befindlichen Ministerien mit Einzelfallprüfungen und den befürchteten arbeitsrechtlichen Auseinander­setzungen436. Die Proteste richteten sich weniger gegen die Tatsache der Per­sonalreduzierung selbst, die auch viele Betroffene als unumgänglich akzep­tierten, sondern vielmehr gegen die Art und Weise ihrer Durchführung. Die große Eile, mit der die Ministerien noch im Jahr 1990 Wissenschaftseinrich­tungen auflösten, resultierte aus der Fristvorgabe des Einigungsvertrages437. Nach Ablauf des 3. Januar 1991 waren Entlassungen nur noch im Einzelfall möglich. Für das Personal der abgewickelten Einrichtungen und Sektionen trat mit dem Auflösungsbeschluß die Ruhensregelung in Kraft, nach der dann in der Regel das Beschäftigungsverhältnis erlosch. Die betroffenen Personen konnten sich an einer anderen Hochschul- oder Wissenschaftseinrichtung be­werben438. Nicht alle der abgewickelten Einrichtungen wurden ersatzlos auf­gelöst, sondern teilweise von westdeutschen Einrichtungen übernommen; ei­nige Institutionen entstanden auch mit anderem Namen neu439.

Eine weitere Voraussetzung für die personelle Erneuerung schuf die KMK durch den Beschluß zur Gleichwertigkeit von Hochschulabschlüssen vom 10./11. Oktober 1991. Für jeden Studiengang an einer Hochschule der DDR wurde eine Feststellung zur Frage der Gleichwertigkeit mit Abschlüssen westdeutscher Universitäten oder Fachhochschulen getroffen440• Zwei ergän­zende Beschlüsse vom 30./31. Januar 1992 und vom 26./27. März 1992 be­handelten Abschlüsse militärischer Bildungseinrichtungen sowie Abschlüsse von Fach- und Ingenieurschulen, die keine Entsprechung in Studiengängen an westdeutschen Fachhochschulen hatten. Eine abschließende Generalklausel

436 V gl. Konegen-Grenier 1991, S. 152ff., die die Argumentationslinien beider Sei­ten detailliert herausarbeitet.

437 So beschloß z.B. die Landesregierung Sachsen-Anhalt am 17.12.1990 die Ab­wicklung 20 'SED-naher' Sektionen und Institute; Information des Kultusmini­steriums des Landes Sachsen-Anhalt mit Schreiben an den Verfasser v. 13.9. 1994.

438 Vgl. Ammer 1991, S. 118. Über deren Erfolg kann indes nur spekuliert werden. Hierzu lagen dem Verfasser keine Zahlen vor. Ammer nennt auch eine Zahl grö­ßerer Einrichtungen, die vollständig abgewickelt wurden, so z.B. die Deutsche Hochschule für Körperkultur Leipzig, die Hochschule für Recht und Verwaltung Potsdam, das Zentralinstitut für Hochschulbildung Berlin und weitere. Von den bis Anfang 1991 erfolgten 'Abwicklungen' waren nach Schätzungen etwa 4.000 Wissenschaftler betroffen; vgl. a.a.O., S. 118f.

439 So wurde z.B. das vormals selbständige Literaturinstitut "Johannes R. Becher" als Institut für Gegenwartsliteratur in die Universität Leipzig eingegliedert (vgl. Ammer 1991, S. 119); das Deutsche Jugendinstitut München übernahm Teile des Zentralinstituts für Jugendforschung Leipzig.

440 Vgl. Kultusministerkonferenz 1991. Ein gleichzeitig mit diesem Beschluß verab­schiedetes Abkommen zwischen den Ländern regelte die Zuständigkeit der in den Ländern für das Hochschulwesen verantwortlichen Minister oder Senatoren für die Feststellung der Gleichwertigkeit der DDR-Hochschulabschlüsse mit westdeutschen Abschlüssen.

251

Page 250: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

legte den Weg und mit dem Pädagogischen Zentrum Berlin auch die Stelle fest, über welche noch nicht begutachtete Abschlüsse überprüft werden konnten441 .

Das in den Hochschulen verbleibende Personal hatte sich einer zum Teil mehrphasigen Überprüfung zu unterziehen. Die Hochschulerneuerungsgeset­ze aller neuen Länder sahen vor, daß das wissenschaftliche Personal sowohl auf fachliche Qualifikation als auch auf Verbindungen zum MfS/AtNS zu überprüfen war. Die gemäß EV vorgegebene Frist bis zum 3. Oktober 1993, zu der alle Überprüfungen abgeschlossen sein mußten, wurde im August 1992 durch ein Bundesgesetz bis zum Jahresende 1993 verlängert442.

In Brandenburg gab es Ende 1990 nur wenige Hochschuleinrichtungen; die personelle Erneuerung wurde daher als relativ unproblematisch angese­hen. Die Landesregierung verzichtete auf eigenständige Rechtsvorschriften bezüglich der Übernahme des vorhandenen Personals. Da nach Auslaufen der im Einigungsvertrag festgelegten Ausnahmebestimmungen die Personalaus­wahl nach Einzelfallregelung und gemäß Hochschulrahmengesetz (HRG) zu erfolgen hatte, legte das Wissenschaftsministerium die fachliche und perso­nelle Evaluierung weitgehend in die Hände der Hochschulen443 .

Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns hingegen betrachtete die personelle Erneuerung als zentrales Element der Neugestaltung des Hoch­schul- und Wissenschaftsbereiches. Mit Beschluß vom 19. Dezember 1990 regelte sie die Auflösung und Neustrukturierung der Hochschuleinrichtun­gen444. Ergänzend legte das Hochschulerneuerungsgesetz445 ein aufwendiges dreifaches Evaluationsverfahren fest, mit dem bis zum Spätsommer 1992 rund 15.000 wissenschaftlich und nichtwissenschaftlich in Hochschuleinrich­tungen Tätige überprüft wurden446. Zunächst war in einem Ehrenverfahren das persönliche Verhalten des/der Betroffenen- insbesondere gegenüber Stu­denten und anderen Angehörigen der Hochschule - festzustellen und zu be­werten. Stellungnahmen blieben solange unter Vorbehalt, bis eine Auskunft der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicher­heitsdienstes der ehemaligen deutschen Demokratischen Republik ('Gauck-

441 V gl. Abschließende Regelung für die DDR-Hochschulabschlüsse, in: Kultusmi­nisterkonferenz. Mitteilungen und Informationen. Nr. 2 v. 29.6.1992, S. 8ff.

442 V gl. Lange 1993, S. 217. Zur Übersicht über die gesetzlichen Regelungen zur persönlichen und fachlichen Evaluierung vgl. Tüffers 1991.

443 Vgl. Myritz 1993, S. 661. 444 Eine Übersicht der aufgrunddes Beschlusses vom 19.12.1990 nicht übernomme­

nen Einrichtungen findet sich im Hochschulentwicklungsbericht der Landesre­gierung Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin, o.J., S. 9.

445 Zu den Ehrenverfahren, zur Überleitung und Übernahme vgl. die§§ 2-7 HEG. 446 Vgl. Scheven 1992; Myritz 1993, S. 661. Zur personellen Erneuerung in Meck­

lenburg-Vorpommern vgl. auch Meyer, H. 1993, S. 24f.;..Scheven 1992. Beide nennen auch Zahlen zu den Ergebnissen der Ehren- und Uberleitungsverfahren. Zur Kritik an dem in Mecklenburg-Vorpommern geübten Verfahren vgl. Maier/ Wenske 1993.

252

Page 251: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Behörde') zu möglichen Verbindungen der überprüften Person mit dem MfS/AfNS vorlag. An das Ehrenverfahren schloß sich das Überleitungsver­fahren für die Professoren und habilitierten wissenschaftlichen Mitarbeiter an, mit dem die fachliche Eignung der genannten Personengruppe festgestellt werden sollte. Berufungsverfahren vergleichbar holten die Überleitungs­kommissionen für jeden der rund 1.200 Antragsteller je zwei Gutachten zur Entscheidungsvorbereitung ein. Übergeleitete Wissenschaftler erhielten den Status eines HRG-Professors bzw. entsprechend qualifizierten wissenschaftli­chen Mitarbeiters. Als dritter Schritt erfolgte schließlich die Auswahl derjeni­gen Wissenschaftler, die auf die nach den Struktur- und Stellenplänen vorge­sehenen Stellen übernommen werden sollten. Voraussetzung für die Über­nahme eines Professors oder habilitierten wissenschaftlichen Mitarbeiters war der erfolgreiche Abschluß des Ehren- und Überleitungsverfahrens sowie eine entsprechende Negativauskunft der 'Gauck-Behörde'. Da die Zahl der Anträ­ge auf Übernahme die der vorhandenen Stellen bei weitem übertraf, war es auch in Mecklenburg-Vorpommern unumgänglich, von der im EV vorgesehe­nen Mö,&lichkeit der Kündigung aufgrund fehlenden Bedarfs Gebrauch zu machen 7.

In Sachsen setzten die Überprüfung des Hochschulpersonals und der Per­sonalabbau im Vergleich zu den anderen Ländern erst recht spät ein. Basie­rend auf dem sächsischen Hochschulerneuerungsgesetz448 hatten Personal­und Fachkommissionen die fachliche Kompetenz und die persönliche Integri­tät derjenigen Hochschulangehörigen zu prüfen, die eine Überleitung in neues Recht beantragt hatten. Bei der Neuausschreibung aller Professuren waren die bisherigen Stelleninhaber und Neubewerber gleichgestellt. Hochschullehrer bisherigen Rechts, die im Berufungsverfahren wieder eine Professur erhalten hatten, wurden damit zu 'Professoren neuen Rechts'. Die Personal- und Fach­kommissionen sollten ihre Tätigkeit neun Monate nach Inkrafttreten des Ge­setzes abgeschlossen haben. Die Berufung von Hochschullehrern auf die über 2.000 Professorenstellen nahm jedoch einen wesentlich längeren Zeitraum in

447 Belegbare Zahlen zum Umfang der Bedarfskündigungen in Mecklenburg­Vorpommern lagen dem Verfasser nicht vor. Einen Anhalt bieten aber die im Hochschulentwicklungsbericht der Landesregierung angegebenen Zahlen zur quantitativen Personalentwicklung. Gegenüber dem zum 1.1.1992 gemeldeten Personalbestand von 5.673 Personen an den Hochschulen des Landes wiesen die Stellenpläne der Landesregierung 3.734 Stellen aus Geweils ohne medizinische Fakultäten und Universitätskliniken); vgl. Hochschulentwicklungsbericht der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin, o.J., S. 17. Zu den Eh­ren-, Überleitungs- und Übernahmeverfahren im Detail vgl. a.a.O., S. l2ff. Die Einrichtung des Ehrenverfahrens wurde erst im Februar 1996 durch die Aufhe­bung des diesbezüglichen § 130 LHG abgeschafft; vgl. Mecklenburg-Vorpom­mern: Abschaffung des Ehrenverfahrens vom Kabinett gebilligt, in: Hochschule Ost. H. 211996, S. 214f.

448 Die Tätigkeit der Personal- und der Fachkommissionen war in den §§ 75-81 des Sächsischen Hochschulerneuerungsgesetzes geregelt.

253

Page 252: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Anspruch, was sich nicht unerheblich auf den Lehrbetrieb auswirkte. Insbe­sondere in Fächern wie Jura und Wirtschaftswissenschaften, in denen das Per­sonal nahezu vollständig ausgetauscht wurde, traf eine große Studentenzahl auf eine zunächst sehr geringe Zahl neuberufener Hochschullehrer. Im Herbst 1992 waren etwa 40 % der Hochschullehrerstellen besetzt, und bis zum Herbst 1994 konnten aufgrund von Rufannahmen und Vertretungen für annä­hernd 90 % der vorhandenen Stellen Fachvertreter gefunden werden449• Von den Rufen ergingen etwa zwei Drittel an Wissenschaftler aus den neuen Bun­desländern; etwa 20 % der Stellen sind mit Hochschullehrern besetzt, die be­reits in der DDR eine Professur inne hatten450.

Die Zahl der Mitarbeiter an sächsischen Hochschulen wurde erheblich reduziert; sie sank von rund 35.000 im Jahr 1990 auf etwa 15.400 im Herbst 1992; die Zielgröße beträgt 13.500. Der Personalabbau betraf insbesondere den akademischen Mittelbau, dessen Stellenzahl von ca. 8.000 auf 3.300 ver­ringert wurde 451 .

Gemäß dem Hochschulerneuerungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt sollte die Überprüfung der fachlichen Eignung und Qualifikation des Hoch­schulpersonals innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr nach dessen In­krafttreten, somit bis zum 1. August 1992 abgeschlossen sein452. Auch in Sachsen-Anhalt mußte Personal aufgrund mangelnden Bedarfs entlassen wer­den, dies geschah jedoch nicht in dem Ausmaß wie in Sachsen. Ungewöhnlich war die Relation von wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Perso­nal an sachsen-anhaltinischen Hochschulen; für das wissenschaftliche Perso­nal war weniger als ein Drittel aller Stellen ausgewiesen453 •

Der Minister für Wissenschaft und Kunst des Landes Thüringen war durch das Vorschaltgesetz ermächtigt, eine Rechtsvorschrift zu erlassen, wel­che die Kriterien für die Überprüfung des wissenschaftlichen Personals auf persönliche und fachliche Eignung und deren weiteres Verbleiben an einer Hochschule enthalten sollte. Auf der Basis dieser Evaluationsordnung für die Thüringer Hochschulen454 wurden seit August 1991 fachliche und persönli-

449 Vgl. Myritz 1993, S. 664. Myritz nennt mit Stand vom Oktober 1992 die Zahl von 828 besetzten gegenüber 2.052 im Stellenplan ausgewiesenen Professoren­stellen; vgl. a.a.O. Für Ende 1994 (Stand: 1.11.1994) gibt H. J. Meyer bei 2.129 Professorenstellen im Stellenplan 1.698 Rufannahmen sowie 90 Vertretungen an sächsischen Universitäten und Hochschulen an; vgl. Meyer, H. J. o.J. (1995), S. 11.

450 So die Aussage des sächsischen Wissenschaftsministers Meyer; vgl. Meyer, H. J. o.J. (1995), S. 12 (Stand: Ende 1994).

451 Vgl. Myritz 1993, S. 664; Förster 1993, S. 26. 452 Vgl. Gesetz zur Erneuerung der Hochschulen des Landes Sachsen-Anhalt

(Hochschulerneuerungsgesetz- HEG LSA) v. 31.7.1991, in: GVBI. LSA S. 197, hier:§ 64.

453 Vgl. Myritz 1993, S. 665, S. 672. 454 Vgl. Evaluationsordnung für Thüringer Hochschulen v. 6.6.1991, in: GVBI. S.

130.

254

Page 253: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ehe Begutachtungen durchgeführt, die innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein sollten.

Zur personellen Erneuerung der Hochschulen wurden in allen Ländern Kommissionen eingesetzt, die sowohl die fachliche als auch die persönliche Überprüfung des Hochschulpersonals vorzunehmen hatten. Auch die Über­prüfung des Personals auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem MfS/AtNS erfolgte weitgehend einheitlich. Die Größe der eingesetzten Kommissionen, ihre Zusammensetzung, z.B. aus Hochschulangehörigen und/oder Persönlich­keiten des öffentlichen Lebens, der überprüfte Personenkreis sowie die Ver­fahrensregelungen variierten allerdings nicht unerheblich455• Mecklenburg­Vorpommern bezog bewußt auch das nichtwissenschaftliche Personal in die Überprüfung durch die Ehrenkommissionen ein, wohingegen sich die thürin­gische Evaluationsordnung unmittelbar auf das wissenschaftliche Personal bezog456 . Gemäß HEG Sachsen-Anhalt war das wissenschaftliche und in der Verwaltung tätige Personal "insbesondere zur Überwindung von Deformatio­nen und zur Vermeidung wissenschaftsfremder Einflußmöglichkeiten in der Zukunft" (§ 64)457 zu begutachten. Das sächsische Hochschulerneuerungsge­setz sah die Überprüfung der "Hochschullehrer und Mitarbeiter" (§ 75 Abs. 1) vor, wobei offen blieb, ob unter letzteren lediglich wissenschaftliche Mit­arbeiter oder auch andere an den Hochschulen tätige Personen zu verstehen waren. Das brandenburgische Hochschulgesetz enthielt überhaupt keine Re­gelungen zur personellen und fachlichen Personalevaluierung. Für die Über­leitung des vorhandenen Personals in die nach dem HRG gültigen Kategorien galt für alle Länder die durch den EV vorgegebene Frist bis zum 3. Oktober 1993. Bis zu diesem Zeitpunktdifferierte die mitgliedschaftsrechtliche Stel­lung der Professoren an den Hochschulen der neuen Länder. Unterschiede gab es sowohl zwischen den einzelnen Ländern als auch innerhalb der Län­der, wobei zwischen 'Professoren bisherigen Rechts' und 'Professoren neuen Rechts' unterschieden wurde, die jeweils unterschiedliche Rechte in Angele­genheiten der Lehre, der Forschung oder der Mitgliedschaft in Berufungs­kommissionen besaßen. Aus dem unterschiedlichen Rechtsstatus resultierten Probleme in der akademischen Selbstverwaltung und der Gremienarbeit an Hochschulen458 . In bezug auf die Durchführung der Personalüberprüfungen

455 Vgl. Webler 1992, S. 55f. 456 Gern. § 2 Abs. 1 HEG des Landes Mecklenburg-Vorpommem war "das Verhal­

ten der hauptberuflichen Mitglieder der Hochschule" zu beurteilen (Hervorh. H.­W.F.); zu Thüringen vgl. Art. I, 16. Vorläufiges Thüringer Hochschulgesetz v. 15.5.1991, in: GVBI. S. 79, geä. durch Art. 1 des Gesetzes v. 27.2.1992 (GVBI., s. 73).

457 Den Kreis der zu überprüfenden Personen legte§ 76 Abs. 1 HEG LSA fest. 458 Vgl. Weichenstellungen für eine wissenschaftliche Erneuerung, in: Informatio­

nen Bildung Wissenschaft. H. 1111991, S. 151ff.; Schramm 1993. Noch im Jahr 1995 gab es eine größere Zahl (über 650) an ostdeutschen Hochschulen tätige

255

Page 254: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

wurden bisweilen heftige Zweifel an der Rechtstaatlichkeit der Verfahren und ihrer Rahmenbedingungen laut. Einlassungen reichten von der Klage, daß Betroffene oftmals keine Gelegenheit erhalten hätten, zu den gegen sie erho­benen Vorwürfen gezielt Stellung nehmen zu können, bis hin zu der Befürch­tung, daß Kommissionsmitglieder aus der Entscheidung gegen den Verbleib einer Person an einer Hochschule möglicherweise persönliche Vorteile hätten ziehen können. Zudem wurde aufgrund fehlender einheitlicher Kriterien von Land zu Land und möglicherweise von Kommission zu Kommission unter­schiedlich interpretiert, was im konkreten Fall ein Fehlverhalten darstellte und wie dieses zu sanktionieren war - letztlich ein Verstoß gegen den Gleichheits­grundsatz459. Grundsätzlich verblieb allerdings jedem Betroffenen die Mög­lichkeit, Entscheidungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Allerdings wurden nicht nur die Tätigkeit der Personalkommissionen und die Form der personel­len Erneuerung kritisiert460, sondern auch die als nicht ausreichend angesehe­ne Reichweite des personellen Erneuerungsprozesses. Durch die in den Län­dern unterschiedliche Auslegung der Frage, wann sich eine Person durch ihr Verhalten in eine zu große Nähe zum Staat und zur SED gebracht hatte, hätte die personelle Erneuerung zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Insgesamt wäre sie unbefriedigend verlaufen, 'Selbstreinigung' habe kaum stattgefunden. Selbst in bezug auf Mecklenburg-Vorpommern, wo die Ver­strickung mit dem Staat besonders genau geprüft worden wäre, monierten Kritiker, daß die Ehrenkommissionen "nicht in der Lage gewesen seien, die individuell-korruptiven Beziehungen und Verstrickungen mit dem DDR­Partei- und Staatsapparat in Ergebnisse zu überführen, die von Menschen am Ort als Gerechtigkeit im politisch-moralischen Sinne erwartet worden wa­ren"46I.

Die Kritik an der Arbeit der Personalkommissionen beleuchtet schlag­lichtartig das Dilemma der personellen Erneuerung der Hochschulen in den neuen Bundesländern. Einerseits sollte die Personalevaluierung, deren Not­wendigkeit nicht grundsätzlich in Abrede gestellt wurde, möglichst zügig er­folgen; letztlich stellte sie nur eine der Vorbedingungen für die Überführung und Neurekrutierung des wissenschaftlichen Personals dar. Andererseits wa­ren die Kommissionen gehalten, jeden Einzelfall genau zu prüfen und zu ver-

'Hochschullehrer bisherigen Rechts'; vgl. Hochschullehrer bisherigen Rechts, in: Forschung und Lehre. H. 9/1995, S. 505.

459 Vgl. Webler 1992, S. 65f, der dort weitere Einwände gegen die Tätigkeit der Per­sonalkommissionen auflistet. Zum Vorwurf der Heterogenität im Vorgehen der einzelnen Länder vgl. auch Wenig tatsächliche Erneuerung, in: F.A.Z. v. 15.5. 1993.

460 V gl. hierzu statt vieler Otto 1993. 461 So die Aussage eines Hochschullehrers der Universität Greifswald, zit. nach:

256

Wenig tatsächliche Erneuerung, in: F.A.Z. v. 15.5.1993. In anderen Veröffentli­chungen findet sich hingegen die Aussage, die personelle Erneuerung sei durch­aus gelungen, vgl. z.B. in diesem Sinne Huber 1996.

Page 255: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

suchen, diesem soweit wie möglich gerecht zu werden. Die Personalüberprü­fungen an den Hochschulen der neuen Länder waren und blieben bis zuletzt "eine menschlich und sachlich schwierige, undankbare Aufgabe"462•

Nicht nur die personelle Evaluierung, auch die Verfahren der Neubeset­zung von Professuren differierten in den Ländern. In Brandenburg konnten die für die neu zu errichtenden Hochschulen eingesetzten Gründungskom­missionen auch Berufungsvorschläge unterbreiten. Zu ihrer Unterstützung konnten Berufungsgremien eingerichtet werden. Das Hausberufungsverbot galt nur eingeschränkt463 • Vorschläge von Kandidaten, die an derselben Hoch­schule bereits hauptamtlich tätig waren, bedurften einer besonderen Begrün­dung (§ 53 Abs. 2 Brandenb. Hochschulgesetz).

In Mecklenburg-Vorpommern setzte die Übernahme in die neue Perso­nalstruktur die erfolgreiche personelle Überleitung voraus. War das Ehrenver­fahren positiv abgeschlossen, konnte anschließend eine "mitgliedschafts­rechtliche Überleitung zum Professor im Sinne von § 44 des Hochschulrah­mengesetzes (HRG-Professor)" (§ 3 Abs. 3 HEG) vorgenommen werden. Diese erfolgte in Form eines vereinfachten berufungsähnlichen Verfahrens, bei dem die Überleitungskommission anhand zweier auswärtiger Gutachten die wissenschaftliche Qualifikation eines Bewerbers beurteilte(§ 3 Abs. 3 - 5 HEG). Nach erfolgter Überleitung durch das Kultusministerium erhielt ein Bewerber den Status eines HRG-Professors, der wiederum die Voraussetzung zur Übernahme darstellte(§ 3 Abs. 3 HEG). Grundsätzlich waren die Stellen für HRG-Professuren von den Hochschulen öffentlich auszuschreiben (§ 5 Abs. 2 HEG); für Professoren und andere Wissenschaftler bisherigen Rechts, die aufgrund einer Abwicklungsentscheidung ihren Arbeitsplatz verloren hatten, galt ein vereinfachtes Berufungsverfahren. Bei Einrichtung neuer Fachbereiche und Studiengänge konnte das Kultusministerium nach Anhö­rung der betreffenden Universität bestimmen, daß ein Teil der Stellen nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern fachlich geeigneten Hochschullehrern an­geboten werden konnte (§ 7 Abs. 2 HEG).

Die Berufung von Hochschullehrern in Sachsen war sowohl durch von den Fachbereichen oder Fakultäten der Universitäten vorgeschlagene als auch durch außerordentliche Berufungskommissionen möglich. Letztere konnten eingerichtet werden, "falls der Minister für Wissenschaft und Kunst es für die Erneuerung des Fachbereiches oder der Fakultät für erforderlich" hielt(§ 125 Abs. 1 Sächs. HEG). Den von den Fachbereichen oder Fakultäten vorge­schlagenen Berufungskommissionen gehörten auch der Dekan oder ein von ihm beauftragtes Mitglied der Hochschule an(§ 52 Abs. 2 Sächs. HEG). Bei außerordentlichen Berufungskommissionen sollten von den sechs Professoren neuen Rechts zwei aus den alten Bundesländern und aus dem Bereich der au-

462 Webler 1992, S. 52. 463 Vgl. Weichenstellungen für eine wissenschaftliche Erneuerung, in: Informatio­

nen Bildung Wissenschaft. Nr. 1111991, S. 152.

257

Page 256: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ßeruniversitären Forschung stammen (§ 125 Abs. 2 Sächs. HEG). Zur Neu­gründung eines Fachbereiches oder einer Fakultät war durch den Wissen­schaftsminister eine Gründungskornmission zu berufen, die Vertreter aus den alten und den neuen Bundesländern enthalten sollte(§ 126 Sächs. HEG).

In Sachsen-Anhalt wurde bei Neuberufungen in ähnlicher Weise verfah­ren wie in Sachsen. Auch hier konnte der Bildungs- und Wissenschaftsmini­ster außerordentliche Berufungskornmissionen einsetzen, die die fachliche Qualifikation von Bewerbern zu bewerten und Vorschläge für die Besetzung von bis zu 25 % der Professorenstellen eines Fachbereiches zu unterbreiten hatten (§ 65 HEG LSA). Für die restlichen Stellen erarbeiteten die Beru­fungskornmissionen der Fachbereiche Berufungslisten, denen für jeden Be­werber zwei vergleichende Gutachten zugrunde zu legen waren, "die zwei Professoren, die nicht aus den Beitrittsländern kommen, erstattet haben"(§ 42 Abs. 4 HEG LSA). Das Hausberufungsverbot galt eingeschränkt(§ 42 Abs. 3 HEGLSA).

In Thüringen galt als Grundlage für Neuberufungen die als Landesrecht weitergeltende Vorläufige Hochschulordnung, dergemäß Hochschullehrer auf Vorschlag der Hochschule vom zuständigen Minister zu berufen waren. Bei Bewerbern, die bereits an der Hochschule hauptberuflich tätig waren, bedurf­te der Vorschlag einer besonderen Begründung (§ 50 Abs. 2 Vorl. Hoch­schulordnung).

Im Bereich des wissenschaftlichen Personals (ohne Hochschulmedizin) wurden bis 1993 durchschnittlich 38 % der 1989 für Wissenschaftler an Hochschulen vorhandenen Stellen abgebaut. Da sich die Stellenzahl für Hochschullehrer in diesem Zeitraum nur geringfügig verändert hatte, ging der Stellenabbau wesentlich zu Lasten des sonstigen wissenschaftlichen Perso­nals, insbesondere des akademischen Mittelbaus. Der tatsächliche Personal­austausch bei Hochschullehrern war indes höher, als es die nur geringe Re­duzierung der Stellenzahl gegenüber 1989 erscheinen läßt464• In der Hoch­schulmedizin betrug der Stellenabbau bis 1993 rund 15 % der 1989 vorhan­denen Stellen465• Anfang 1994 waren durchschnittlich etwa 70 % der ausge­schriebenen Professorenstellen besetzt, wobei die Kunsthochschulen ihre Pro-

464 Vgl. Burkhardt/Scherer 1994, S. 279; Neie 1996, S. 136. H. Meyer schätzt die 'Rotationsverluste', die Zahl der zwischen 1990 und 1993 entlassenen Hoch­schullehrer (ohne Hochschulmedizin) auf 3.500 bis 4.500 Personen (von 6.548 Professoren und Hochschuldozenten, Stand: 1989); vgl. Meyer, H. 1993, S. 23. Burkhardt/Scherer!Erdner geben den Stellenrückgang bei Hochschullehrern und Hochschuldozenten zwischen dem 31.12.1989 und dem 31.12.1990 mit 744 Per­sonen an, eine Verringerung um 10,4 %; vgl. Burkhardt/Scherer!Erdner 1991, Anl. 3, Tab. 11.

465 Zu den Veränderungen im Stellenbestand an den Hochschulen der neuen Bun­desländer bis 1993 (einschl. Hochschulmedizin und nichtwissenschaftl. Personal) vgl. Burkhardt/Scherer 1993, insb. S. 16 und Tab. 3ff.; Burkhardt/Scherer 1994, S. 279; Neie 1996, S. 135ff.

258

Page 257: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

fessuren zu rund 77 %, Fachhochschulen hingegen nur zu 63 % besetzt hat­ten. Zum Anteil der aus Westdeutschland stammenden Hochschullehrer lie­gen keine einheitlichen Daten vor; es werden Zahlen von etwa 20 % bis zu einem Drittel der Hochschul- und Fachhochschullehrerstellen genannt466. Der überwiegende Teil der Stellen wurde nach den entsprechenden Modi somit an bisherige Stelleninhaber vergeben, oder es konnten Nachwuchswissenschaft­ler aus den neuen Ländern berufen werden, die zuvor noch keine Professur inne hatten. Der Anteil der aus den alten Bundesländern stammenden Hoch­schullehrer war in jenen Fachgebieten besonders hoch, die seit 1990 aufgrund ihrer 'Systemnähe' nahezu vollständig aufgelöst und inhaltlich neu aufgebaut wurden, so z.B. in rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen sowie in geistes­und sozialwissenschaftliehen Fächerbereichen. In naturwissenschaftlich­technischen und auch in den künstlerischen Fachgebieten wurden hingegen überwiegend Bewerber aus den neuen Bundesländern berufen467• Der Anteil der aus den alten Bundesländern bzw. aus dem Ausland berufenen Hochschul­lehrer schwankte nicht unerheblich in Abhängigkeit vom jeweiligen Bundes­land. Mitte 1993 stammten in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen­Anhalt jeweils rund 7,8 % und in Brandenburg 14 % der bis zu diesem Zeit­punkt berufenen Hochschullehrer aus den alten Bundesländern oder aus dem Ausland. Dies waren vergleichsweise niedrige Werte gegenüber Thüringen (35 %) und Sachsen (42 %). Eine noch größere Schwankungsbreite wiesen die einzelnen Hochschulen auf, wobei alte Universitäten im Vergleich zu neugegründeten Hochschulen in geringerem Umfang Hochschullehrer aus den alten Bundesländern beriefen468 .

Vermeintliche oder tatsächliche 'Systemnähe' des Fachgebietes stellte auch eine wesentliche Ursache für die Quote des entlassenen Personals dar. In den ideologisch weniger stark durchdrungenen Fächergruppen, z.B. in den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie in der Medizin, lag der Anteil entlassener Mitarbeiter signifikant unter dem, der für die genannten ideologie­trächtigeren Fächer festzustellen war. Regionale Disparitäten in den Entlas­sungsquoten - die Quoten waren in Sachsen besonders hoch und in Branden­burg niedrig - erklären sich wesentlich aus der räumlich ungleichen Vertei-

466 Für das Jahr 1993 wird ein Verhältnis von ca. 1.200 aus Westdeutschland beru­fenen Hochschullehrern zu etwa 5.000 Professoren, die aus den neuen Bundes­ländern stammen, genannt (Stand: Mitte 1993); vgl. Wenig tatsächliche Erneue­rung, in: F.A.Z. v. 15.5.1993. Burkhardt nennt (Stand: II. Quartall994) das Ver­hältnis von knapp zwei Dritteln ostdeutscher und einem Drittel westdeutscher Wissenschaftler sowie 2 % aus dem Ausland berufener Hochschullehrer; vgl. Burkhardt 1995, S. 109.

467 Vgl. Burkhardt/Scherer 1993, S. 32f. 468 Die Schwankungsbreite reichte von 0% (HS f. Architektur und Bauwesen Wei­

mar) bis zu rund 82 % (Universität Potsdam) der Hochschullehrer, die aus den alten Bundesländern oder aus dem Ausland stammten (Stand: 1.7.1993). Zu allen Zahlenangaben vgl. Stand der personellen Erneuerung in den neuen Ländern 1993.

259

Page 258: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

lung der Hochschuleinrichtungen in der DDR. An Hochschulen der DDR, die auf dem Territorium des späteren Landes Brandenburg lagen, arbeiteten ca. 5 % aller an Hochschulen tätigen Wissenschaftler. Der Anteil der nach 1989 entlassenen Wissenschaftler lag hier bei 7 %; die Vergleichszahlen für das Land Sachsen betrugen 38% bzw. 45 %469•

Bei der personellen Neustrukturierung der ostdeutschen Hochschulen konzentrierten sich die Ministerien wesentlich darauf, die Zahl der Professo­renstellen in Abhängigkeit von den erwarteten Studentenzahlen festzulegen. Der akademische Mittelbau, dessen Reduzierung im Vergleich zum Jahr 1989 den prozentual höchsten Anteil an allen Beschäftigtengruppen einnimmt, wurde hingegen in den Personalplanungen oftmals nicht spezifiziert470. Die personelle Erneuerung der Hochschulen dauerte auch im Jahr 1995 noch an471

Die Entlassung überwiegend älterer Wissenschaftler aus den Hochschu­len sollte auch zu einer geistigen Erneuerung beitragen. Gleichzeitig ging mit diesem Schritt aber auch Erfahrungswissen in großem Umfang verloren. Die starke Reduzierung der Stellen im akademischen Mittelbau472 - auch dies eine Angleichung an die an westdeutschen Hochschulen üblichen Relationen - gibt Anlaß zu der Befürchtung, daß sich befahigte Nachwuchswissenschaftler auf­grund mangelnder Zukunftschancen nach Westdeutschland orientierten und damit dem ostdeutschen Wissenschaftsbetrieb auf Dauer verloren gehen. Nicht zuletzt besteht die Gefahr, daß sich die ungünstige Personalstruktur der ostdeutschen Hochschulen, die mit den nach wie vor durchweg niedrigen Stu­dentenzahlen begründet wird473, insbesondere aufgrunddauerhafter finanziel­ler Engpässe zu verstetigen droht. Sobald die Studentenzahlen - wie progno­stiziert- in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ansteigen, kann dies zu ei­ner Verschärfung der Personalsituation vieler ostdeutscher Hochschulen füh-

469 Vgl. Burkhardt/Scherer 1993, S. 23ff. 470 Vgl. WZB-Forschungsgruppe Wissenschaftsstatistik (Berlin) 1993, S. 124, S.

128. Nach den hier vorgestellten Berechnungen führte die personelle Neustruk­turierung der Hochschulen zwischen 1989 und 1993 bei Professoren und Dozen­ten zu einer Reduzierung um 2,3 % der 1989 vorhandenen Stellen, beim akade­mischen Mittelbau lag der Rückgang bei 58,2% (1989: 24.400 Personen; 1993: 14.200 Personen); vgl. a.a.O.

471 V gl. z.B. Meyer, H. J. o. J. (1995), S. 11. 472 Vgl. z.B. Einstürzende Mittelbauten, in: Die Zeit Nr. 4811992; Klinzing 1993.

Angemerkt sei, daß die Bezeichnung 'akademischer Mittelbau' für wissenschaft­liche Mitarbeiter unterhalb der Ebene der Hochschullehrer in der DDR nicht üb­lich war. Mit dem Abbau der Mittelbaustellen ging ein deutlicher Rückgang der Promotionen und Habilitationen einher; vgl. Laermann 1994, S. 14f.

473 So studierten z.B. im Sommersemester 1994 an den sieben staatlichen Hochschu­len des Landes Sachsen-Anhalt 21.444 Personen, davon an der Universität Ralle­Wütenberg 10.393 Personen. Die vier bestehenden Fachhochschulen wiesen zwi­schen 405 und 1.959 Studierende aus; Information des Kultusministeriums Sach­sen-Anhalt mit Schreiben an den Verfasser v. 13.9.1994.

260

Page 259: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ren, die Rückwirkungen auch auf die westdeutschen Hochschulen haben könnte474 •

3.5.4 Die Unterstützung der Erneuerung von Hochschulen und Forschung durch Sonderprogramme des Bundes und der Länder

Die Kontaktaufnahme von ost- und westdeutschen Hochschulen und Wissen­schaftlern hatte zu den ersten, noch Ende 1989 eingeleiteten Maßnahmen ge­hört. Im Verlauf des Jahres 1990 wurden die bestehenden Verbindungen dann vielfach verstärkt und z.T. institutionalisiert. Zugleich legten westdeutsche Wissenschafts- und Forschungsförderungsorganisationen, beginnend im Jahr 1990, Programme zur Förderung und Unterstützung der Lehre an ostdeut­schen Hochschulen auf, so z.B. die DFG oder der DAAD mit einem zum Wintersemester 1990/91 anlaufenden Sonderprogramm Hochschulförderung Ostdeutschland. Die finanzstärkste Unterstützungsmaßnahme für Forschung und Lehre und für den Aufbau von Fachhochschulen in den neuen Bundes­ländern war das im Jahr 1991 beschlossene Hochschulerneuerungsprogramm (HEP)475 mit einem Betrag von zunächst 1,76 Mrd. DM, der 1992 auf über 2,4 Mrd. DM aufgestockt wurde. Bis 1996 sollten die personelle Erneuerung in Hochschulen und Forschung sowie infrastrukturelle Verbesserungen, so­weit sie nicht unter die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau fallen, gefördert werden. Die HEP-Mittel waren zu 75 %durch den Bund und zu 25 %durch die neuen Länder und Berlin aufzubringen (Art. 1 Abs. 4 HEP)476• Die finan­zierten Einzelprojekte hatten im wesentlichen zum Ziel, Soforthilfen zur per­sonellen Erneuerung der Hochschulen bereitzustellen, den wissenschaftlichen Nachwuchs, hierunter insbesondere Frauen, zu fördern, Studierende und Wis­senschaftler weiterzubilden und allgemein das für Forschung und Wissen­schaft verfügbare Investitionsvolumen zu erhöhen. Das HEP sollte zum Auf­bau von Fachhochschulen und zur Eingliederung ehemaliger Akademiewis-

474 Vgl. WZB-Forschungsgruppe Wissenschaftsstatistik (Berlin) 1993, S. 127ff. Zur Kritik am personellen Neuaufbau der ostdeutschen Hochschulen vgl. z.B. Hart­mer 1991; Konegen-Grenier 1991, S. 151ff.; Meyer, H. 1993, S. 20ff.

475 V gl. Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über ein gemeinsames Erneue­rungsprogramm für Hochschule und Forschung in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in dem Teil Berlins, in dem das Grundgesetz bisher nicht galt, vom 11. Juli 1991, in der Fassung vom 9. Juli 1992, in: Bundesministerium für Bildung und Wissen­schaft (BMBW) (Hrsg.) 1992b. Allgemein zur Unterstützung des ostdeutschen Hochschul- und Forschungssektors durch staatliche Fördennaßnahmen vgl. Ko­negen-Grenier 1991, S. 164ff.; Ortleb 1992, S. 43ff.

476 Vgl. BMBW: Pressemitteilungen v. 27.5.1991 u. v. 16.7.1992.

261

Page 260: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

senschaftler in die Hochschulen beitragen477 . HEP-Mittel standen bereit für die Einrichtung von 200 Gründungsprofessuren in rechts- und wirtschaftswis­senschaftlichen Fachbereichen, in der Lehrerausbildung dienenden Fächern, in Informatik und einigen geistes-, kultur-und gesellschaftswissenschaftliehen Fachgebieten (Art. 2 HEP). Weitere Gelder waren für Bleibeverhandlungen, die eine Abwanderung von Wissenschaftlern aus ostdeutschen Hochschulen verhindern sollten (Art. 3 HEP), und für die Nachwuchsförderung vorgese­hen478. Zu den auf Erhalt und Ausbau des Personalbestandes zielenden Maß­nahmen waren im weiteren Sinne auch die zum Aufbau von Fachhochschulen (Art. 6 HEP) vorgesehenen rund 167 Mio. DM zu zählen.

Neben den unter der Rubrik 'Personelle Erneuerung' gefaßten Einzel­maßnahmen, für die bis 1996 insgesamt knapp 787 Mio. DM bereitgestellt wurden, war der mit rund 987 Mio. DM größte Teilbetrag des HEP für den Erhalt des Forschungspotentials vorgesehen. Hier wurden Forschungsvorha­ben von Forschergruppen und Einzelwissenschaftlern unterstützt; gleichzeitig konnten Gelder zur Unterstützung außeruniversitärer Forschung und zur Fi­nanzierung von Bau- und Ausstattungsinvestitionen abgerufen werden. Mit weiteren HEP-Mitteln sollten die Ausstattung von Hochschulen verbessert, Bibliotheksbestände aufgebaut, Studentenwohnungen erstellt und weitere kleinere Baumaßnahmen durchgeführt werden, soweit sie nicht unter die Ge­meinschaftsaufgabe Hochschulbau fielen. Für die in diesen Bereich fallenden Projekte waren im HEP nochmals rund 653 Mio. DM ausgewiesen479•

Im Jahr 1992 erfolgte eine erste Überprüfung des HEP. Da die mit der Begutachtung beauftragte BLK (Art. 13 HEP) die für den Maßnahmenbereich personelle Erneuerung vorgesehenen Mittel als nicht ausreichend beurteilte, wurde der bereitgestellte Mittelansatz erhöht. Es hatte sich gezeigt, daß bei einer insgesamt als gut bewerteten Bewerberlage insbesondere die ungünsti­gen Rahmenbedingungen, z.B. ungenügender Wohnraum, Probleme bereite­ten. Die BLK sah auch die für den Aufbau eines Fachhochschulnetzes vorge­sehenen Mittel als zu gering an; daraufhin wurden die für diesen Prograrnrn­teil bereitgestellten Mittel von zunächst 100 Mio. DM auf 167 Mio. DM er­höht. Ziel der Unterstützungsleistungen war es, für jede der in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin ursprünglich vorgesehenen insgesamt 21 Fachhochschulen einen Gründungsrektor und für jeden Studiengang Grün-

477 Der letztgenannte, ebenfalls aus dem HEP finanzierte Programmteil, firmierte unter dem Eigennamen 'Wissenschaftler-Integrationsprogramm' (WIP).

478 Zur Nachwuchsförderung und zur besonderen Förderung weiblicher Wissen­schaftler über das HEP vgl. Burkhardt/Scherer 1993, S. 42ff. Zur weiteren Um­setzung des HEP vgl. BLK 1994a. So wurden Ende 1993 194 der 200 vorgese­henen Gründungsprofessuren an Hochschulen und 179 von 190 Gründungspro­fessuren an Fachhochschulen über das HEP gefördert; vgl. a.a.O., S. 5, S. 23.

479 Im Detail zu den geförderten Einzelmaßnahmen und der Verteilung der Mittel auf den Förderzeitraum vgl. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.) 1992b, S. 13ff., S. 31f.

262

Page 261: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

dungsprofessuren sowie Gastprofessuren zu finanzieren480• Neben finanziel­len Engpässen, die durch die Erhöhung des Mittelansatzes teilweise behoben werden konnten, gab es Anlaufschwierigkeiten bei der Förderung des wissen­schaftlichen Nachwuchses, insbesondere bei der Postdoktoranden- und Ha­bilitationsförderung 481 •

3.5.5 Veränderungen im Studienangebot und in der Gestaltung der Studiengänge

3 .5 .5 .1 Allgemeine Veränderungen

Die Fachbereiche und Sektionen 'wissenschaftlicher Kommunismus' und 'marxistisch-leninistische Philosophie', die unmittelbar der Ideologievermitt­lung dienten, waren 1990 fast vollständig aufgelöst, ihr Personal entlassen worden. Darüber hinaus gab es eine Zahl von Fächern, die inhaltlich minde­stens mittelbar auf die marxistisch-leninistische Ideologie zugeschnitten wa­ren wie die meisten geistes-und sozialwissenschaftliehen Fächer, Volks- und Betriebswirtschaftslehre sowie Rechtswissenschaft. Sie alle wurden inhaltlich neugestaltet und das bislang lehrende und forschende Personal mehr oder weniger vollständig ausgetauscht. Der Umbau dieser Fächer führte nicht nur zu personellen, sondern auch zu erheblichen strukturellen Veränderungen in­nerhalb der Hochschulen. An den neugegründeten Fachhochschulen waren die Fachbereiche Sozialwesen, soweit im Fächerspektrum vorhanden, von Grund auf neu einzurichten482. Die inhaltliche Erneuerung der Studiengänge und die Neugestaltung von Forschung und Lehre waren schwierige Prozesse, die auch Mitte der neunziger Jahre noch nicht zum Abschluß gebracht werden konnten.

Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur inhaltlichen Erneuerung der Studiengänge bezogen sich auf die 'großen' Fachrichtungen der rechts-, Wirtschafts-, geistes- und sozialwissenschaftliehen Fachgebiete, auf Medizin, Ingenieur- und Naturwissenschaften, auf die Gestaltung der Studiengänge an Fachhhochschulen sowie an Kunst- und Musikhochschulen. Der Wissen­schaftsrat hatte empfohlen, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern nur jeweils einen rechtswissenschaftliehen Fachbereich einzurichten. Beide Länder gründeten hingegen je zwei juristische Fakultäten, was zu Problemen

480 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.) 1992b, S. 19ff., S. 25.

481 Vgl. Erneuerungsprogramm wird umgesetzt, in: BMBW: Informationen Bildung Wissenschaft. Nr. 211992, S. 14f.

482 Vgl. Bericht der Bundesregierung zur Stärkung der Wissenschafts- und For­schungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland- BT-Drs. 12/4629 V. 24.3.1993, s. Sf.

263

Page 262: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

beispielsweise bei der Anwerbung einer ausreichenden Zahl geeigneter Hoch­schullehrer führte. Auch in bezug auf andere Empfehlungen des Wissen­schaftsrates war festzustellen, daß die Länder diese als Untergrenze für den Ausbau ihrer Hochschulen ansahen. Wo die Länder von diesen Empfehlungen abwichen, gingen sie meist über die vorgeschlagene Zahl an einzurichtenden Studiengängen hinaus 483•

Auch binnenstrukturell bemühten sich die Hochschulen um eine Erneue­rung der Studiengänge. Die fachlich engen Spezialisierungsrichtungen wur­den weitgehend aufgehoben und durch Studiengänge mit Wahl- und Vertie­fungsmöglichkeiten ersetzt. Sowohl das Fächerspektrum als auch die inhaltli­che Anlage der Studiengänge sind inzwischen überwiegend dem an westdeut­schen Hochschulen üblichen Studienaufbau angeglichen. Erste Untersuchun­gen zum Studienwahlverhalten zeigen, daß Studienanfänger auf das veränder­te Angebot positiv reagieren und die neuen Angebote annehmen. Die arbeits­marktbedingt sinkende Nachfrage nach den in der DDR ausgebauten inge­nieurwissenschaftlichen Studiengängen sowie nach Lehramtsstudiengängen geht einher mit einem hohen Zuwachs an Studienanfängern in rechts-, wirt­schafts-, geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliehen Studiengängen. Der Nachholbedarf spiegelt sich auch in einem großen Interesse an Fachhoch­schulstudiengängen in den genannten Fachgebieten wider484•

3.5.5.2 Die Neugestaltung der Lehrerausbildung

Schon die Regierung de Maiziere hatte geplant, die Ausbildung von Lehrern der unterschiedlichen Schulstufen und -arten im Niveau anzugleichen. Gleich­zeitig wollte sie die Lehrerausbildung nach der in Westdeutschland üblichen Form umstrukturieren. Gemäß der in den Einigungsvertrag aufgenommenen und bis zum 30. Juni 1991 befristeten Verordnung über die Ausbildung für Lehrämter war eine zweistufige Lehrerausbildung mit Hochschulstudium und Vorbereitungsdienst von eineinhalb bis zweijähriger Dauer vorgesehen485 .

Beide Ausbildungsabschnitte schlossen mit Staatsprüfungen ab. Die auf dem POS-Abschluß basierende Ausbildung von Unterstufenlehrkräften an den In­stituten für Lehrerbildung entfiel noch 1990 ersatzlos. Die Aufnahme eines Lehramtsstudienganges ohne Hochschulreife war nicht mehr möglich. Für Studierende, die in den Jahren 1990 und 1991 die Ausbildung zu Unterstufen­lehrern abschlossen, galten Übergangsregelungen, die im wesentlichen eine

483 Eine Zusammenfassung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur inhaltli­chen Strukturierung der Hoch- und Fachhochschulen in den neuen Bundeslän­dern und Ost-Berlin gibt der Bericht der Bundesregierung zur Stärkung der Wis­senschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland- BT-Drs. 12/4629 v. 24.3.1993, Anl. 3.

484 Vgl. Buck-Bechler et al. 1993b, S. 80ff. 485 Vgl. Händle/Nitsch 1991, S. 6.

264

Page 263: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

ergänzende Ausbildung mit einer zusätzlichen ersten Staats-prüfung vorsa­hen486. Die in den Lehramtsstudiengängen der DDR vorfindbare stärkere be­rufspraktische Ausrichtung entfiel zugunsten eines Studiums mit erhöhtem theoretischem Niveau487. Mit der Verordnung über die Ausbildung für Lehr­ämter existierte eine Rechtsvorschrift, die die Lehrerausbildung bereits in ei­ner Richtung vorstrukturierte, welche die Länder bei der anschließenden Neugestaltung der Lehramtsstudiengänge weitgehend beibehielten.

In bezug auf die Lehrerausbildung war dem Wissenschaftsrat die Aufga­be zugewiesen, die bisherigen Studienorte und Ausbildungsgänge zu begut­achten und Empfehlungen zu deren Neustrukturierung vorzulegen. Im Januar und Februar 1991 besuchte die hierzu eingerichtete Arbeitsgruppe die ost­deutschen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen, wobei die Ost­Berliner Einrichtungen ausgeklammert blieben; im Juli des gleichen Jahres verabschiedete der Wissenschaftsrat Empfehlungen zur Lehrerbildung. Dort hieß es, daß die Strukturen der Lehrerausbildung in den neuen Ländern mit denen der alten Länder abgestimmt werden sollten, wobei 'Abstimmung' nicht Gleichförmigkeit bedeuten müßte488. Die Vorschläge des Wissenschafts­rates enthielten Hinweise zu strukturellen, inhaltlichen und organisatorischen Fragen und detaillierte, auf die einzelnen Länder bezogene Empfehlungen zu den Ausbildungseinrichtungen489.

Im Jahr 1991 wurde in den Ländern damit begonnen, die Lehrerausbil­dung an den Universitäten zusammenzuführen. Obgleich sich der Wissen­schaftsrat nicht für die Auflösung der Pädagogischen Hochschulen ausge­sprochen hatte, wurden alle Pädagogischen Hochschulen in Universitäten ein­gegliedert - zuletzt die PH Erfurt/Mühlhausen, die noch bis 1994 als eigen­ständige Einrichtung existierte.

Der Wissenschaftsrat hatte in seinen Empfehlungen zur inhaltlichen Re­form der Lehramtsstudiengänge darauf hingewiesen, daß er außer den bereits erfolgten Veränderungen, z.B. der Abschaffung des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums, weitere substantielle Reformen in den Grundlagenfä­chern der Lehrerausbildung für erforderlich hielt. Neben den erziehungswis­senschaftliehen Fächern wären insbesondere politiknahe Fächer wie Gemein­schafts-/Sozialkunde, Geschichte, Soziologie und Philosophie, aber auch

486 Vgl. § 10 Verordnung über die Ausbildung für Lehrämter. 487 Vgl. Rust 1994, S. 190f. 488 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I, S. 83. Von den Instituten für

Lehrerbildung suchte die Arbeitsgruppe nur wenige auf, da diese sich im Be­suchszeitraum bereits in Auflösung befanden; vgl. Führ 1993, S. 196.

489 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I, S. 99ff. (Allgemeine Empfehlungen), S. 127ff. (Empfehlungen zu den Lehrerausbildungseinrichtungen in den einzel­nen Ländern).

265

Page 264: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Fremdsprachenfächer und Religionspädagogik sowie die Fachdidaktiken neu aufzubauen oder zu erneuern490.

Seit 1991 wurden die Lehramtsstudiengänge in allen neuen Ländern strukturell und inhaltlich nach den Bedingungen der vorgesehenen Schularten umgegliedert491 . In Brandenburg erfolgt die Ausbildung in den Lehrämtern allerdings nicht nach Schularten, sondern, wie in Nordrhein-Westfalen, nach den Schulstufen. Ein eigener Studiengang existiert für das Lehramt für Son­derpädagogik. Die Bestimmungen des 1. SRG für die Ausbildung in den Lehrämtern (§§ 64-71 - 1. SRG) gelten gemäß § 149 Abs. 2 Ziff. 1 BbG SchulG fort. In den anderen Ländern folgen die Lehramtsbezeichnungen den vorhandenen allgemein- und berufsbildenden Schularten. Durch die weitge­hende Übernahme der strukturellen und inhaltlichen Grundlagen der in den alten Ländern gängigen Lehramtsausbildung sind nun in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland vergleichbare Ausbildungsbedingungen vorzu­finden492.

490 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I, S. 100ff. Der Wissenschaftsrat gab ergänzende Empfehlungen für berufs- und sonderpädagogische Lehramtsstudien­gänge.

491 Zur Veränderung der Lehrerausbildung allgemein vgl. Wenzel1994. 492 Alle Länder trennen in das an Hochschulen zu absolvierende und mit der Ersten

Staatsprüfung abzuschließende Studium und einen anschließenden zweijährigen Vorbereitungsdienst, der mit der Zweiten Staatsprüfung abschließt; vgl. zu Bran­denburg: Ordnung der Ersten Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen v. 14.6.1994, in: GVBl. II Nr. 39 S. 536; Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Zweiten Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen v. 17.5.1994, in: GVBl. II Nr. 29 S. 342, ber. GVBl. II Nr. 41 S. 565; zu Mecklenburg-Vorpommern: Ver­ordnung über die Ausbildung von Lehrern für die öffentlichen Schulen des Lan­des Mecklenburg-Vorpommern v. 9.7.1991, in: GVOBl. M-V S. 123; zu Sach­sen: Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus über die Erste Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen im Freistaat Sachsen (Lehramtsprü­fungsordnung I) v. 23.3.1992, in: SGVBl S. 173, geä. durch VO v. 4.1.1994, in:

266

SGVBl S. 157; zu Sachsen-Anhalt: Ausbildungsordnung für Lehrämter im Land Sachsen-Anhalt, in: MBl. LSA S. 1015, geä. durch RdErl. v. 10.1.1994, in: MBl. LSA S. 391, zu Thüringen: §§ 35-36 ThürSchulG. § 36 ThürSchulG enthält Re­gelungen zur Anerkennung der Lehrerausbildung von Personen aus Mitglied­staaten der Europäischen Union und der Vertragsstaaten aus dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum; Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994, S. 703.

Page 265: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

3.6 Transformationsprozesse im außeruniversitären Wissenschafts- und Forschungssektor

Aus Art. 38 EV resultierten einschneidende Veränderungen in der außeruni­versitären Wissenschaft und Forschung493 • Dem Wissenschaftsrat war die Aufgabe zugewiesen, die gesamte außeruniversitäre Forschung der DDR zu evaluieren (Art. 38 Abs. 1 EV); ihm wurde damit faktisch die Verantwortung für die Neugestaltung dieses Bereiches übertragen494• Bis zum 31. Dezember 1991 hatte der Wissenschaftsrat Stellungnahmen zu der Frage abzugeben, welche Einrichtungen über das in Art. 38 EV genannte Moratorium hinaus Bestand haben sollten. Begutachtet wurden im wesentlichen die Forschungs­einrichtungen von drei der ehemals vier großen Akademien der DDR - der Akademie der Wissenschaften (AdW), der Akademie der Landwirtschaftswis­senschaften und der Bauak:ademie495 • Der Wissenschaftsrat ging von vier grundlegenden Prinzipen und Zielen aus: Er hob die Subsidiarität außeruni­versitärer Forschung und die vorrangige Förderung der Hochschulforschung hervor; so viele Wissenschaftler aus außeruniversitären Forschungseinrich­tungen wie möglich sollten an Hochschulen wechseln. Die Leistungsfähigkeit der außeruniversitären Forschungseinrichtungen sollte durch die Zusammen­arbeit mit Hochschulen auf den unterschiedlichsten Ebenen gestärkt werden. Die außeruniversitäre Forschungslandschaft sollte sich durch eine möglichst große institutionelle Vielfalt auszeichnen, und schließlich sollte eine aus,§e­wogene regionale Verteilung der Forschungseinrichtungen erreicht werden 6•

Durch die im Einigungsvertrag getroffenen Regelungen war die Finanzie­rung der Forschungs- und sonstigen Einrichtungen der genannten Akademien bis zum Jahresende 1991 gesichert. Bis zu diesem Zeitpunkt mußte darüber entschieden sein, welche der Institute eigenständig oder als Teile von Groß­forschungseinrichtungen erhalten bleiben sollten und welche Einrichtungen aufzulösen waren. Gemäß Art. 38 Abs. 2 - 4 EV war die Zuständigkeit für die

493 Zur Situation des außeruniversitären Forschungssektors der neuen Länder nach der Vereinigung beider deutscher Staaten vgl. Förtsch 1990.

494 Vgl. zur Tätigkeit des Wissenschaftsrates in bezugauf die außeruniversitäre For­schung in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin Sirnon 1991; Sirnon 1992. Zu den Akteurskonstellationen und-interessenbei der Transformation der auße­runiversitären Forschung der DDR am Beispiel der AdW vgl. Mayntz 1992, insb. S. 75f. zur Rolle des Wissenschaftsrates; Mayntz (Hrsg.) 1994.

495 Gemäß Art. 38 Abs. 2 EV war "die Akademie der Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik als Gelehrtensozietät von den Forschungsinstituten und sonstigen Einrichtungen getrennt" worden.

496 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992b, S. 12ff.; Block 1993, S. 347; Kru111992, S. 18ff. Die dargelegten Prinzipien folgten den im Juli 1990 durch den Wissen­schaftsrat veröffentlichten 'Perspektiven für Wissenschaft und Forschung auf dem Weg zur deutschen Einheit'; vgl. Wissenschaftsrat 1990.

267

Page 266: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

außeruniversitären Forschungsinstitutionen auf diejenigen Länder übertragen, auf deren Territorium sich die Institutionen befanden. Eine von den Ländern und Berlin gemeinsam getragene Koordinierungs- und Abwicklungsstelle für die Institute und Einrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften (KAI-AdW) war während der Evaluationsphase für die Institute administra­tiv-organisatorisch zuständig und regelte die Abwicklung von Einrichtun-

49'/ gen . Die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) hatte bereits Anfang 1990 damit be­

gonnen, eine Art eigener Evaluation solcher Institutionen vorzunehmen, die sie in den neuen Ländern übernehmen wollte; dies stieß allerdings auf ein geteiltes Echo. Akteure wie das BMFT befürworteten zunächst das schnelle Engagement der FhG. Andererseits wurde befürchtet, ihr Vorgehen könnte die Aktivitäten des Wissenschaftsrates konterkarieren; der aber blieb die be­stimmende Organisation498. Zur Vorbereitung der Stellungnahmen besichtig­ten dessen Arbeitsgruppen die zu begutachtenden Einrichtungen. Die Ergeb­nisse wurden anschließend in einem Evaluationsausschuß, dem auch Vertreter von Forschungsförderungsorganisationen sowie der Wissenschaftsadmini­strationen angehörten, eingehend beraten. Aufbauend auf den Ergeb-nissen der Besichtigungen und Beratungen erstellten die Arbeitsgruppen schließlich die Gutachten zur Schließung, Überleitung oder Umwandlung von Einrich­tungen und zum zukünftigen Personalansatz499.

Es war absehbar, daß es infolge der Entscheidungen zu einer Reduzie­rung der Institute und Ihres Personalbestandes in erheblichem Umfang kom­men würde. Die Akademie der Wissenschaften der DDR hatte 1990 noch ca. 23.000 Mitarbeiter, davon ca. 18.500 mit wissenschaftlicher Funktion. Hinzu kamen ca. 16.000 wissenschaftliche Mitarbeiter, die an der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften und an der Bauakademie tätig waren500. Die im Juli 1991 vorgelegten Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur zukünfti­gen Struktur der außeruniversitären Forschungslandschaft in den neuen Bun-

497 Vgl. Vereinbarung 1991, S. 95ff.; Grübel1992; Gläser 1994, S. 45. Zur Tätigkeit der KAI-AdW vgl. Burrichter/Müller 1991. Zur Auflösung der AdW und der Transformation ihrer Einrichtungen vgl. Müller-Hartmann 1993, S. 34ff. 1992 wurde die KAI zur 'Koordinierungs- und Aufbauinitiative e.V.' umgebaut und mit der Aufgabenstellung versehen, Trägerschaften für ABM-Stellen im For­schungssektor zu übernehmen. Diese Aufgaben führte sie bis Ende 1993 aus; vgl. Grübe! 1992, S. 140; Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin: Presseerklärung v. 24.1.1994, S. 14.

49R Die MPG verhielt sich hingegen sehr zurückhaltend; vgl. Mayntz 1992, S. 77f. 499 Vgl. Krull1992, S. 17. 500 Vgl. Brocke/Förtsch 1991, S. 59ff., diedieZahl der AdW-Mitarbeitermit 22.857

(Stand: Juni 1990), die der Bauakademie mit 4.300 (Stand: 1989) und die der AdL mit 11.994 (Stand: Juli 1990) angeben; vgl. auch Melis 1993, S. 354 und die in der dortigen Anm. 8 genannten Zahlen; Arbeitsgruppe am Max-Planck­Institut für Bildungsforschung 1994, S. 779. Klinkmann (1991) nennt die Zahl von 22.000 AdW-Mitarbeitern; vgl. a.a.O., S. 33.

268

Page 267: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

desländern501 sahen vor, insgesamt rund 11.100 Planstellen für Wissenschaft­ler in außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu schaffen, wobei die Be­schäftigtenzahl durch die in diesem Bereich nicht unübliche Teilzeitbeschäf­tigung auf etwa 15.000 bis 17.000 wissenschaftlich Tätige ansteigen konnte. Zusätzlich sollten weitere rund 2.000 Akademiewissenschaftler - Einzelper­sonen und Forschergruppen - aus den Instituten der Akademien an Universitä­ten und Hochschulen überwechseln502• Dies bedeutete, die Zahl der 1990 in den begutachteten Einrichtungen tätigen Wissenschaftler um rund 60 % zu reduzieren 503 •

In Umsetzung der Empfehlungen haben Bund und Länder zum 1. Januar 1992 108 Forschungsinstitutionen in den neuen Ländern gegründet. Die Zahl der in der Arbeitsgemeinschaft der Forschungseinrichtungen Blaue Liste zu­sammengefaßten Institutionen erhöhte sich um 34 neue Institute und vier Au­ßenstellen; bei einer Gesamtzahl von nun 80 Blaue-Liste-Einrichtungen be­deutet dies eine erhebliche Ausweitung. Großforschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) sind im Vergleich hierzu in den neuen Ländern weniger stark vertreten504• Die MPG

501 Der Wissenschaftsrat hat insgesamt neun Bände mit Stellungnahmen zu den au­ßeruniversitären Forschungseinrichtungen veröffentlicht. Diese wurden um einen zehnten Band ergänzt, der allgemeine Informationen enthält und u.a. das Vorge­hen der neun Arbeitsgruppen bei der Begutachtung der Institutionen beschreibt; vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992b; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992c; Wissen­schaftsrat (Hrsg.) 1992d; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992e; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992f; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992g; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992h; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992i; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992j; Wissenschafts­rat (Hrsg.) 1992k.

502 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992b, S. 22ff.; Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994, S. 779f.

503 Vgl. Block 1993, S. 347f. Neuweiler gibt an, daß 1993 in der außeruniversitären Forschung der neuen Bundesländer 13.500 Personen einschließlich der aus Drittmitteln finanzierten Wissenschaftler in 138 Institutionen beschäftigt waren, somit 43 %der 1991 an den drei evaluierten Akademien Tätigen; vgl. Neuweiler 1994, S. 9f. Dies entspräche in etwa den vom Wissenschaftsrat angegebenen Zielgrößen. In bezug auf das Ergebnis des Transformationsprozesses schätzt Meske, daß sich das in den Kernbereichen - Industrie, Hochschulen, außeruni­versitäre Forschungseinrichtungen - tätige FuE-Persona1 bis zum Jahr 1993 auf insgesamt ca. 30 % der Zahlen des Jahres 1989 verringert habe. Der relative Umfang der FuE betrage somit nur etwa 50 % des in Westdeutschland vorhande­nen Niveaus; vgl. Meske 1993a, S. 29.

504 Die Zahl der außeruniversitären Forschungseinrichtungen hat sich (Stand: Mitte 1995) auf 110 erhöht. Neben den in die 'Blaue Liste' aufgenommenen Institutio­nen wurden u.a. drei neue Großforschungs-einrichtungen, neun Institute der Fraunhofer-Gesellschaft, 2 Max-Planck-Institute, diverse Außenstellen bestehen­der Forschungseinrichtungen und rund 20 Iändereigene Forschungsinstitutionen gegründet oder aufgebaut. Die Gesamtzahl der hierdurch erhaltenen bzw. ge­schaffenen Arbeitsplätze für wissenschaftliches Personal betrug rund 10.500. Hinzu kamen sind die Stellen für Wissenschaftler, die in die Hochschulen ein­gegliedert werden sollten (WIP), und ca. 3.000 durch den Bund geförderte ABM-

269

Page 268: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

hat jedoch bereits angekündigt, bis zum Ende des Jahrzehnts die Zahl ihrer Einrichtungen in den neuen Bundesländern auf ein den alten Bundesländern vergleichbares Niveau anheben zu wollen. Dies würde einen Anstieg von acht auf etwa 20 Institute bedeuten, die durch 27 Arbeitsgruppen an Universitäten und sechs geisteswissenschaftliche Zentren ergänzt werden sollen505• Mit dem Ausbau der MPG-Einrichtungen würde sich der Einfluß des Bundes auf die außeruniversitäre Forschung erhöhen, da die neu aufzubauenden Institute zu­nächst durch den Bund finanziert werden sollen.

Wie erwähnt empfahl der Wissenschaftsrat zur Stärkung der Forschung an den Hochschulen und zur Sicherung von Teilen des Forschungspotentials der Akademien die Bereitstellung von Mitteln, die einen Wechsel von etwa 2.000 Personen - Wissenschaftlern oder Forschergruppen - aus den außeruni­versitären Forschungsinstitutionen an Hochschulen ermöglichen und erleich­tern sollten506. Der Vorschlag zum Transfer von wissenschaftlichem Personal beruhte auf der Annahme, daß die Grundlagenforschung aus den Hochschulen weitgehend in die Akademien verlagert worden wäre und die Hochschulen ei­ner auch personellen Stärkung ihrer Forschungsmöglichkeiten bedürften507.

Bund und Länder stellten im Rahmen des HEP zunächst 400 Mio. DM für ein Wissenschaftler-Integrationsprogramm (WIP) zur Verfügung, mit dem der Eingliederungsprozeß unterstützt werden sollte. Sehr bald erwiesen sich aber sowohl der Zeit- als auch der Mittelansatz als unzureichend. Eine revidierte Fassung des HEP vom Juli 1992 wies das WIP nun mit 600 Mio. DM aus.

Stellen (Stand: 1992); vgl. Bericht der Bundesregierung zur Stärkung der Wis­senschafts- und Forschungslandschaft in den neuen Ländern und im geeinten Deutschland. BT-Drs. 12/4629 v. 24.3.1993, S.l3f. Zum Vergleich der 'Dichte' der Forschungseinrichtungen unterschiedlicher Träger in den alt~n und neuen Ländern vgl. Block 1993, S. 349f. Eine nach Ländern gegliederte Ubersicht über deren Forschungspolitik und -aktivitäten sowie über die weitergeführten und neuaufgebauten Hochschul- und außeruniversitären Forschungseinrichtungen bietet der Bundesbericht Forschung 1993; vgl. BMFT 1993, S. 282ft. (Branden­burg), S. 295f. (Mecklenburg-Vorpommern), S. 310ft. (Sachsen), S. 313ft. (Sachsen-Anhalt), S. 321ft. (Thüringen); vgl. auch BMBF (Hrsg.) 1995a, S. 12ft., Anl. 2. Zu den Problemen bei der Etablierung von Blaue-Liste-Instituten vgl. Höppner 1994.

505 Vgl. Grundlagenforschung in Ostdeutschland, in: F.A.Z. v. 6.12.1994 (alle Zah­len Stand: 1994). Zur Situation und Zukunft der geisteswissenschaftlichen Zen­tren vgl. auch Sieben Zwerge, in: F.A.Z. v. 3.12.1994.

506 Vgl. Lange 1994, S. 430ft.; Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992b, S. 22ft. Der Vor­schlag basierte auf den 'Empfehlungen zur Erneuerung der Lehre und zur Förde­rung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen der neuen Länder und im Ostteil von Berlin' des Wissenschaftsrates vom 25.1.1991.

507 Diesen Ansatz hält Lange für fraglich; vgl. Lange 1994. Der Wissenschaftsrat gilt als Institution, die, dies läßt sich auch aus den Grundsätzen seiner Tätigkeit in den neuen Ländern ablesen, den Vorrang universitärer vor der außeruniversitären Forschung sieht; letzterer wird eine eher subsidiäre Rolle zugewiesen. Somit agierte der Wissenschaftsrat in dieser Hinsicht im Rahmen seiner 'Philosophie'; vgl. Mayntz 1992, S. 79f.

270

Page 269: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Gleichzeitig wurde der Förderzeitraum, der zunächst auf die Jahre 1991 und 1992 beschränkt war, bis zum Jahr 1996 verlängert508. Die finanzielle Unter­stützung derjenigen Wissenschaftler, deren Eingliederung in eine Hochschule nicht bis zum 31. Dezember 1993 erreicht werden konnte, war aber gemäß der Neufassung des HEP mit dem genannten Datum einzustellen (Art. 8 Abs. 1 HEP v. Juli 1992). Das WIP sollte zu einem leichteren Zugang ehemaliger Akademiewissenschaftler an die Universitäten beitragen. Die von Hochschu­len aufgenommen und bis zu fünf Jahren aus Mitteln des WIP finanzierten Wissenschaftler sollten nach Auslaufen der Förderung durch die Hochschulen in ein Anstellungsverhältnis übernommen werden. Aus verschiedenen Grün­den erwies sich der Eingliederungsprozeß jedoch als sehr schwierig. Um zu­mindest das quantitative Ziel, d.h. die Aufnahme von 2.000 Akademiewissen­schaftlern in die Hochschulen erreichen zu können, mußte das WIP in erheb­lichem Maß modifiziert werden. Der Finanzierungszeitraum wurde verlän­gert, und die Zahl der Institutionen, welche WIP-geförderte Wissenschaftler aufnehmen durften, wurde erhöht. Dennoch gelang es bis zum 31. Dezember 1993 nicht, die Zielgröße von 2.000 in Hochschulen integrierte Wissenschaft­ler zu erreichen509. Die Ursachen für die aufgetretenen Probleme waren viel­schichtig. Sie reichten von dem Bemühen vieler Hochschulen, zunächst den hochschuleigenen Wissenschaftlern eine Perspektive zu bieten, bis hin zu noch aus DDR-Zeiten stammenden Vorbehalten gegenüber Akademiewissen­schaftlern, die gegenüber den Hochschulwissenschaftlern mancherlei Vorteile besaßen. Hinzu kam, daß die außeruniversitären Forschungsinstitute und ihre Mitarbeiter gemäß der Vorgaben des EV bis Ende 1991 zu evaluieren waren und die als förderungswürdig angesehenen Wissenschaftler schon zu diesem Zeitpunkt an die Hochschulen wechseln sollten. Nahezu der gesamte Hoch­schulsektor befand sich Ende 1991 jedoch noch in der schwierigen Über­gangsphase der personellen und strukturellen Neuordnung510• Ob die ge-

508 Bereits in den 'Stellungnahmen' des Wissenschaftsrates war die Befürchtung der Wissenschaftlichen Kommission zum Ausdruck gebracht worden, daß der Zeit­raum von zwei Jahren nicht ausreichend sein könnte, um die Integration der ge­förderten Akademiewissenschaftler in Hochschulen zu gewährleisten; vgl. Wis­senschaftsrat (Hrsg.) l992b, S. 22.

509 Lange nennt zum Stichtag 1.1.1994, an dem die Integration gern. Art. 8 HEP ab­geschlossen sein mußte, die Zahl von 1.505 Personen, die in Hochschuleinrich­tungen integriert werden konnten. Dabei beträgt der Anteil des Landes Berlin 36 % (542 Personen); vgl. Lange 1994, S. 441. Die BLK gibt die Zahl der WIP­Geförderten mit 1.528 an; vgl. BLK 1994a, S. 27. Seifert (1996) nennt die Zahl von 1.469 im Rahmen des WIP-Beschäftigten; vgl. a.a.O., S. 181. Zu den quanti­tativen Resultaten des WIP vgl. auch Burkhardt/Scherer 1993, S. 36f.

510 Zu den Umsetzungsproblemen des WIP vgl. Krauth/Scherer 1992, S. 204; Lange 1994, S. 434ft. Lange nennt noch weitere Ursachen und erwähnt die größeren Korrekturen, die notwendig waren, um die mit dem WIP intendierten Ziele zu­mindest in quantitativer Hinsicht annähernd erreichen zu können; vgl. Lange 1994, S. 433f. Auf die Stellung der Akademieangehörigen im Wissenschaftssek-

271

Page 270: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

wünschte (dauerhafte) Stärkung der Hochschulforschung eintreten wird, kann erst nach Auslaufen des Förderungszeitraumes beurteilt werden. Allerdings war schon bald erkennbar, daß viele Hochschulen die übernommenen WIP­geförderten Wissenschaftler nicht über den Förderungszeitraum hinaus halten würden. Daher ist zu befürchten, daß sich die mit dem WIP verbundenen In­tentionen nicht im erhofften Umfang verwirklichen lassen511 .

Die industrielle Forschung und Entwicklung (FuE)512, in der über 60 %513

des personellen FuE-Potentials der DDR konzentriert waren, fand, ähnlich wie die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, im EV keine Erwäh­nung. Dieser Bereich war mit Eintreten der Währungs- und Wirtschaftsunion vollständig den Gesetzen des Marktes überlassen. Bereits im Jahr 1990 hatten Betriebe begonnen, sich scheinbar unproduktiver Unternehmensteile zu ent­ledigen. Hierzu gehörten nach Ansicht vieler Unternehmen auch die PuB­Kapazitäten, deren Abbau sich nach der staatsrechtlichen Vereinigung be­schleunigt fortsetzte. Der Zusammenbruch großer Teile des ostdeutschen in­dustriellen Sektors in den Folgejahren reduzierte die Industrieforschung zu­sätzlich, und mit der Schließung von Betrieben gingen auch deren bislang er­halten gebliebene FuE-Anteile verloren. Das im Jahr 1992 noch in der ost­deutschen industriellen FuE tätige Personal wird auf etwa 20 % des im Jahr 1989 in der DDR vorhandenen Personalbestandes geschätzt514•

tor der DDR weist Schluchter hin: "Akademieangehörige waren gegenüber Hochschulangehörigen in vielfältiger Weise privilegiert. Dies schuf Ressenti­ments, und nicht zuletzt diese erklären, weshalb bis heute die ostdeutschen Hochschulen trotz vielfältiger Anreize ( ... ) kaum bereit waren, ehemalige Aka­demieangehörige aufzunehmen"; Schluchter 1994, S. 15.

511 Vgl. Meske l993a, S.24; Lange 1994, S. 436; Hartmannet al. 1995; Neidhardt 1996, S. 17; Seifert 1996; Die Zeit der WIPianer geht unwiderruflich zu Ende, in: F.A.Z. v. 28.12.1996.

512 Auf die sehr problematische Situation der industriellen FuE der DDR im Jahr 1990 und der neuen Bundesländer kann hier nicht im Detail eingegangen wer­den; vgl. hierzu Bobach/Meier 1990; Meske 1993a, S. 13ff.; Schrauber 1993; Ziegler 1993.

513 Vgl. Meske 1993a, S. 11; eig. Berechnung. 514 Vgl. Melis 1993, S. 355f.; Meske 1993a, S. 14; Arbeitsgruppe Bildungsbericht

am Max-P1anck-Institut für Bildungsforschung 1994, S. 777; Wölfing 1996, S. 121. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.) (1995a) gibt die Zahl der zum Jahresende 1993 in der industriel­len FuE Tätigen mit etwa 16.000 gegenüber 86.000 im Jahr 1989 an; vgl. a.a.O., S. 21. Zu den Motiven der Nicht-Erwähnung der industriellen Forschung und Entwicklung im EV äußern die MPI-Autoren folgende Vermutung: "Dabei war es im Selbstverständnis der beteiligten Parteien sicherlich kein Versäumnis, son­dern eine bewußte ordnungspolitische Auslassung, daß dieser Problernkomplex im Einigungsvertrag überhaupt nicht erwähnt wurde: Letztlich sollte das markt­wirtschaftliche Ertragskalkül darüber entscheiden, in welchem Umfang welche Bereiche der augewandten Forschung und Entwicklung es wert wären, erhalten zu bleiben"; Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994, S. 777. Zum Rückgang industrieller Produktionskapazitäten in der DDR/den

272

Page 271: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Auch die Transformationsprozesse im außeruniversitären Forschungssek­tor werden unterschiedlich bewertet. Es gibt die Einschätzung, daß sich die Übertragung der in Westdeutschland bestehenden Strukturen auf die neuen Länder "aus heutiger Sicht als die einzig richtige und mögliche"515 erwiesen habe, aber auch heftige Kritik an der Vorgehensweise der beteiligten Akteure und den Ergebnissen der Transformation, die einer "Wissenschaftskatastro­phe in den Neuen Bundesländern"516 gleichkomme. Kritiker bemängelten z.B. die bei westdeutschen Akteuren fehlenden Kenntnisse hinsichtlich des FuE­Sektors der DDR, die zu falschen Vorstellungen über die Leistungsfähigkeit der Einrichtungen und den Unifang des eingesetzten Personals geführt hätten. Die Fehleinschätzungen hätten dann im Einigungsvertrag ihre Fortsetzung ge­funden; bei Aushandlung des Art. 38 EV wären die Positionen der DDR­Unterhändler nahezu vollständig unberücksichtigt geblieben. Den westdeut­schen Akteuren wäre es - auch hier - gelungen, ihre Positionen, die auf die Erhaltung eines westdeutschen status quo gerichtet gewesen wären, weitest­gehend durchzusetzen517. Die Folge wäre die erhebliche Reduktion ostdeut­scher FuE-Potentiale und des in FuE tätigen Personals gewesen. Zudem habe der vom Wissenschaftsrat in seinen Zwölf Empfehlungen vom Juli 1990 aus­gesprochene Wunsch, der Vereinigungsprozeß möge zu einer kritischen Überprüfung und ggf. Neuordnung auch des westdeutschen Wissenschaftssy­stems führen, im Verhandlungsprozeß von den westdeutschen korporativen Akteuren abgewehrt werden können518. Neben der kritischen Würdigung quantitativer Aspekte der Neuordnung, insbesondere des Personalabbaus in Wissenschaft und Forschung519, gibt es auch in qualitativer Hinsicht Kritik an den Ergebnissen des Transformationsprozesses. Sie richtet sich gegen die personelle und technische Ausstattung der in den neuen Ländern erhaltenen

neuen Ländern und ihren Folgen für die industrielle FuE vgl. Meske 1994; Wis­senschaft und Industrie im Osten 1995.

515 Neuweiler 1994, S. 4. Aus Sicht der Bundesregierung wurde "anstelle der alten Strukturen ein Forschungssystem nach dem im westlichen Teil der Bundesrepu­blik Deutschland bewährten Modell außeruniversitärer Forschung aufgebaut"; Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) 1993, S. 22.

516 Richter 1993, S. 7. 517 "Danach war das treibende Motiv für seine Formulierung (des Art. 38 EV - H.­

W.F.) die Erhaltung des institutionellen Domänenkonsenses in der westdeutschen Wissenschaftspolitik"; Schluchter 1994, S. 18. Vgl. hierzu auch Mayntz 1992; Mayntz 1995; Sirnon 1992 und, sehr detailliert, Stucke 1992, S. 3ff., der diese These anband der Verhandlungen zu Art. 38 EV diskutiert. Als Folge dieser Po­litik sieht Stucke langfristig eine Verschiebung des bisherigen forschungspoliti­schen Gleichgewichts zwischen Bund, Ländern und Wissenschaftsorganisationen zugunsten des Bundes und damit in Richtung einer sukzessiven Zentralisierung der Forschungspolitik; vgl. a.a.O., S. 12f.

518 Vgl. Melis 1993, S. 354f.; Mayntz 1992. Allerdings begann im Jahr 1996 die Überprüfung westdeutscher außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen durch den Wissenschaftsrat

519 Vgl. hierzu- aus spezifisch ostdeutscher Sicht- Melis/Meyer 1993, S. 32ff.

273

Page 272: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

und neugegründeten Forschungseinrichtungen, insbesondere aber gegen ihre unzureichende finanzielle Ausstattung, die langfristig zu einem Absinken des Forschungsniveaus führen könnte520• Die Behauptung einer im Vergleich zu westdeutschen Forschungsinstitutionen mangelnden personellen und materiel­len Ausstattung ostdeutscher Einrichtungen bedarf allerdings des Belegs; vorliegende Zahlen deuteten nicht auf ein Mißverhältnis zuungunsten der neuen Länder hin521 •

3. 7 Veränderungen in der Weiterbildung

Noch stärker als die anderen Bereiche des Bildungssystems war der Weiter­bildungssektor von den politischen, insbesondere aber von den mit Wirksam­werden der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion eingetretenen ökonomi­schen Entwicklungen betroffen. Die veränderten Rahmenbedingungen führten zu einer umfassenden Neuordnung seiner rechtlichen, organisatorischen, strukturellen und inhaltlichen Vorgaben. Aufgrund der engen Verbindung von Wirtschaft und Weiterbildung erhielt der quartäre Sektor im Zusammenhang mit dem Umbau der ostdeutschen Ökonomie zuvor nicht gekannte Aufgaben und Ziele. Berufliche Weiterbildung und Umschulung erlangten seit Ende 1990 quantitativ eine außerordentlich große Bedeutung. Die allgemeine Er­wachsenenbildung, die weitreichenden rechtlichen, strukturell-organisatori­schen und inhaltlichen Veränderungen ausgesetzt war, fand zwar bei einigen Akteuren Beachtung; sie trat aber gegenüber der beruflichen Qualifizierung in den Hintergrund. Das im Juni 1990 in Ost-Berlin veranstaltete deutsch­deutsche Kolloquium zu Fragen der Weiterbildung hatte durch sein Leitmotto 'Qualifizieren statt Entlassen' noch vor der Vereinigung die zukünftig in den neuen Ländern erwartete Schwerpunktsetzung im Weiterbildungssektor auf­gezeigt522. Berufsqualifizierende Weiterbildungsangebote dominierten den Weiterbildungsbereich auch in den Folgejahren. Der Staatsvertrag hatte die besondere Bedeutung von Maßnahmen betont, die einer aktiven Arbeits­marktpolitik dienlich sein sollten, wie berufliche Bildung und Umschulung (Art. 19 Staatsvertrag); der Einigungsvertrag erwähnte Weiterbildung hinge­gen nicht. Insbesondere Politiker und Vertreter von Arbeitnehmer- und Ar­beitgeberinteressen betonten die Bedeutung der Weiterbildung für den Um-

520 Vgl. Melis 1993, S. 357f. 521 So Neuweiler mit Verweis auf das 9. Forschungspolitische Gespräch der BLK am

13.12.1993, bei dem hinsichtlich der außeruniversitären Forschung ein ausgewo­genes Verhältnis zwischen alten und neuen Ländern festgestellt worden wäre; vgl. Neuweiler 1994, S. 10.

522 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.) 1990.

274

Page 273: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

bau der ostdeutschen Ökonomie 'vom Plan zum Markt'. Dies zeigte, daß Weiterbildung vorrangig im Zusammenhang mit ökonomischen Verwertungs­interessen gesehen wurde: "Die Weiterbildung war zur beruflichen Qualifizie­rung im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik verkürzt worden"523 .

3.7.1 Die Anpassung des Weiterbildungsrechts

Die Rechtssetzungskompetenzen in den verschiedenen Sektoren des Weiter­bildungsbereiches können - unbeschadet gewisser Abgrenzungsprobleme in der Praxis - wie folgt skizziert werden: Für die berufliche Weiterbildung und damit zusammenhängende Felder wie Fortbildung, Umschulung und Wieder­eingliederung in das Arbeitsleben ist der Bund als Gesetzgeber zuständig. Die Verabschiedung von Rechtsvorschriften mit Bezug zu allgemeiner, kulturel­ler, politischer und wissenschaftlicher Weiterbildung obliegt den Ländern. Diese Trennung der Rechtssetzungsbefugnisse machte sich auch in den neuen Ländern bemerkbar.

Seit dem 1. Juli 1990 waren die grundlegenden westdeutschen Rechtsvor­schriften für die Förderung beruflicher Weiterbildung in der DDR in Kraft. Neben einigen beamten- und sozialrechtlichen Regelungen handelte es sich hierbei im wesentlichen um das BBiG, die HwO und das AFG mit jeweils kleineren, auf die Spezifik der DDR-Situation bezogenen Modifikationen. Mit Inkrafttreten des EV kamen weitere, auch weiterbildungsrelevante Rechtsvorschriften wie das HRG, das Fernunterrichtsschutzgesetz und andere hinzu. Im Rahmen der seit Spätsommer 1990 möglichen AFG-geförderten Umschulungs- und Fortbildungsveranstaltungen nahmen bis zum Jahresende 1990 bereits knapp 100.000 Personen Qualifizierungsangebote wahr; ihre Zahl erhöhte sich im Verlauf des Jahres 1991 auf ca. 900.000524. Die APO­geförderten Weiterbildungsteilnehmer waren etwa je zur Hälfte beschäfti­gungslos bzw. noch berufstätig. Im Jahr 1992 verzeichnete die Statistik eine etwa gleich große Zahl von Eintritten in Maßnahmen der beruflichen Bildung, Umschulung und Einarbeitung wie 1991; der Anteil Arbeitsloser stieg 1992 auf etwa 75 %aller Geförderten. Im Jahr 1993 sank die Zahl geförderter Per­sonen auf etwa 300.000, und 1994 verringerte sich die Zahl der Neueintritte nochmals leicht auf rund 287.000 Personen. Ursache des Rückgangs der Neueintritte war das Gesetz zur Änderung der Förderungsvoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992525 •

Offensichtlich sah der Gesetzgeber die weitere extensive Förderung von

523 Krug 1994, s. 14. 524 Vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsfor­

schung 1994, S. 747; Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit, Ar­beitsstatistik 1991 -Jahreszahlen, S. 288.

525 BGBI. I, S. 2044.

275

Page 274: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Weiterbildung als den eigentlichen Zielen des AFG auch in den neuen Län­dern nicht mehr dienlich an. In Folge dieses Gesetzes sank nicht nur die Zahl genehmigter Maßnahmen erheblich, sondern auch die der Anbieter, von de­nen viele nahezu ausschließlich AFG-geförderte Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt hatten. In den Jahren 1993 und 1994 senkte die Arbeitsverwal­tung den Anteil berufstätiger Personen, die in den Genuß APO-geförderter Bildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen kamen, kontinuierlich ab. Lag dieser im Jahr 1993 noch bei ca. 20% der Förderungsfälle, so betrug er 1994 unter 5 % aller Eintritte526• Die Daten belegen die trotz der angestrebten 'Konsoli­dierung' erhebliche Bedeutung des Arbeitsförderungsgesetzes für die berufli­che Weiterbildung und damit letztlich für die Anpassung der Qualifikations­profile ostdeutscher Arbeitnehmer an die veränderten Bedingungen des Ar­beitsmarktes. Angesichts des Umfanges, den die staatlich geförderte berufli­che Weiterqualifizierung annahm, trat die Befürchtung auf, daß nicht unmit­telbar berufsverwertbare Inhaltsbereiche von Weiterbildung unangemessen vernachlässigt werden könnten; dies brachten verschiedene Akteure z.B. beim zweiten Kolloquium zu Fragen der Weiterbildung im April 1991 in Potsdam zum Ausdruck527•

Durch die Verträge zur deutschen Einheit und das Wirksamwerden von Bundesrecht in den neuen Ländern bereits vor dem 3. Oktober 1990 waren grundlegende Rahmenbedingungen zur Förderung der beruflichen W eiterbil­dung geschaffen. Hinsichtlich der Stabilisierung und Erweiterung des neben der beruflichen Weiterbildung existierenden Angebotes allgemeiner, d.h. kultureller, politischer, wissenschaftlicher und sonstiger Weiterbildungsmög­lichkeiten waren nun die Länder gefordert. Hier stellte sich die Frage, ob, inwieweit und wann sie von ihrer Rechtssetzungskompetenz in diesem Be-

526 Die Zahlen der Eintritte in Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung, Umschu­lung und Einarbeitung betrugen für das Jahr 1992 887.555 Personen, davon 218.905 Nichtarbeitslose, für das Jahr 1993 294.153 Personen, davon 61.292 Nichtarbeitslose, und für das Jahr 1994 286.928 Personen, davon 11.752 Nicht­arbeitslose. Zum Vergleich: Für die alten Bundesländer verzeichnete die Statistik im Jahr 1994 306.826 Eintritte in AFG-geförderte Bildungs- und Einarbeitungs­maßnahmen; vgl. Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit. H. 2/1993, S. 208; Arbeitsstatistik 1993- Jahreszahlen, S. 274; H. 211995, S. 184f. (Zahlen für die neuen Bundesländer einschl. Berlin-Ost). Eine mögliche Begründung für diese Entwicklung ist darin zu sehen, daß sich nach der Vereinigung zunächst noch eine große Zahl von Arbeitnehmern bei den TRA-Betrieben in Kurzarbeit befand - häufig sog. 'Kurzarbeit Null' - die ausdrücklich zur Weiterqualifizie­rung genutzt werden sollte. Mit der Veräußerung der Betriebe stieg die Zahl der Arbeitslosen seit 1991 kontinuierlich an, gleichzeitig verringerte sich die Zahl derjenigen Personen, die erwerbstätig waren und gleichzeitig an Weiterbildungs­maßnahmen teilnehmen konnten.

527 Vgl. z.B. die Aussage des BMBW Ortleb bei diesem Kolloquium: "Weiterbil­dung in den neuen Bundesländern darf sich nicht auf berufliche Weiterbildung beschränken"; vgl. Ortleb 1991, S. 16. Vgl. auch Birthler 199la, S. 20; Grobler 1991, s. 64.

276

Page 275: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

reich des Bildungswesens Gebrauch machen und Weiterbildungs- sowie ggf. Bildungsfreistellungsgesetze erlassen würden. Alle Länder nahmen Rechts­vorschriften zur Förderung der Weiterbildung in ihre Verfassungen auf. Die Verfassungen weisen Land, Kreisen und Gemeinden oder Gemeindeverbän­den die Pflicht der Förderung nicht berufsbezogener Erwachsenen- bzw. Wei­terbildung zu. Darüber hinaus betonen sie die Zulässigkeit freier Weiterbil­dungsträger528. Alle Länder außer Sachsen haben zwischen April 1992 und April 1994 Weiterbildungsgesetze (in Thüringen: Erwachsenenbildungsge­setz) erlassen529• Diese definieren in unterschiedlicher Genauigkeit Ziele, In­halte und Aufgaben der Weiterbildung in den Ländern und regeln detailliert die Zuwendungsvoraussetzungen und Förderungsmodalitäten. Das branden­burgisehe Weiterbildungsgesetz enthält darüber hinaus Aussagen zur Bil­dungsfreistellung530. Einzig das Land Sachsen konnte sich trotz klarer Mehr­heitsverhältnisse im Landtag bislang nicht zur Verabschiedung eines Wei­terbildungsgesetzes entschließen. Die Förderung vorhandener Weiterbil­dungseinrichtungen erfolgte 1992 und 1993 jeweils anhand einer vom Mini­sterium für Kultus erlassenen Richtlinie, seit 1994 durch eine Verwaltungs­vorschrift.

Die an den Weiterbildungsgesetzen geübte Kritik bezieht sich im wesent­lichen auf die mangelnde Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse der ost­deutschen Länder. Aufgrund des Wunsches, schon in der ersten Transforma­tionsphase rechtliche Regelungen bereitstellen zu können, hätten die Länder allzu schnell Gesetze erlassen, die sich zu eng an die in den jeweiligen Part­ner- oder Beraterländern vorhandenen Rechtsregelungen anlehnten. Zudem wäre versäumt worden, "neuere Entwicklungen der Weiterbildung zu be­rücksichtigen, insbesondere Fragestellungen wie Qualitätssicherung, Regio­nalisierung, Information und Beratung, Marketing-Strategien, Kooperation in

528 Vgl. Reuter 1993, S. 61. In der brandenburgischen Verfassung wurde der Begriff 'Weiterbildung' verwandt, in den Verfassungen der anderen Länder findet sich der Begriff 'Erwachsenenbildung'. Zur Pflicht der Förderung von Erwachse­nenbildung/Weiterbildung vgl. Art. 33 Verfassung des Landes Brandenburg v. 20.8.1992; Art. 16 (1) u. (4) Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommem v. 23.5.1993; Art. 108 Verfassung des Freistaates Sachsen v. 27.5.1992; Art. 30 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt v. 16.7.1992; Art. 29 Verfassung des Freistaats Thüringen v. 25.10.1993.

529 Vgl. Gesetz zur Regelung und Förderung der Weiterbildung im Land Branden­burg (Brandenburgisches Weiterbildungsgesetz - BbGWBG) v. 15.12.1993, in: GVBL S. 498; Weiterbildungsgesetz (WBG M-V) v. 28.4.1994, in: GVBL M-V S. 555; Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung im Lande Sachsen-Anhalt v. 25.5.1992, in: GVBL LSA S. 379; Thüringer Erwachsenenbildungsgesetz (ThEBG) v. 23.4.1992, in: GVBL S. 148. Zum Prozeß der Gesetzgebung zur Er­wachsenenbildung/Weiterbildung in den neuen Ländern vgl. Rohlmann 1992, S. 71ff.

530 Vgl. §§ 14-26 BbGWBG.

277

Page 276: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

der Weiterbildung, Zertifizierung, Aufhebung der Segmentation etc. "531 • Un­beschadet dessen wurden mit den Weiterbildungsgesetzen politisch-rechtliche Grundsatzentscheidungen getroffen, die auf absehbare Zeit Bestand haben dürften.

3.7.2 Der strukturelle und organisatorische Umbau des Weiterbildungssektors

Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten setzte der Abbau von Weiterbildungseinrichtungen in der beruflichen und in der allgemeinen W ei­terbildung ein. Betriebsschulen und Betriebsakademien, die bisherigen Träge­reinrichtungen beruflicher Weiterbildung, wurden weitestgehend aufgelöst. Die unmittelbare Verbindung der Bildungseinrichtungen mit industriellen Produktionsstätten, die in einer Redistributionswirtschaft durchaus funktional gewesen sein mag, war für die Überlebensfähigkeit dieser Bildungsstätten fa­tal: sie verschwanden mit den industriellen Potentialen. Allerdings verringerte sich das Angebot innerbetrieblicher Weiterbildungsmöglichkeiten auch in den weiterbestehenden Betrieben. Obgleich die über Fortbildung vollzogene An­passung der Arbeitnehmer an neue Anforderungen in der Produktion im In­teresse der Betriebe lag, waren diese überwiegend nicht in der Lage, in größe­rem Umfang Anpassungsfortbildung selbst zu finanzieren. Dieses Problem betraf im wesentlichen ostdeutsche Betriebe; westdeutsche Unternehmen, die in den neuen Ländern aktiv wurden, unterstützten die innerbetriebliche Fort­bildung in nennenswertem Umfang auch mit eigenen Mitteln532.

Relativ schnell errichteten westdeutsche Träger der beruflichen und der allgemeinen Weiterbildung wie die Bildungswerke der Arbeitgeber- und Ar­beitnehmerorganisationen eigene Einrichtungen. Fortbildungsakademien der Wirtschaft, die vorwiegend auf die Bedürfnisse von Unternehmen bezogene Angebote unterbreiten, waren schon 1990 in Ostdeutschland präsent. Die Gewerkschaften taten sich zunächst etwas schwerer, auf die Herausforderun­gen in den neuen Ländern mit dem Aufbau eigener Einrichtungen zu reagie­ren. Hinzu trat ein sich schnell entwickelnder Markt überwiegend freier und kommerzieller, aus Westdeutschland in die neuen Länder drängender Anbie­ter, die allerdings überwiegend AFG-gestützte, somit staatlich finanzierte Maßnahmen durchführten. Bei den freien Anbietern erwies sich insbesondere die ungenügende Qualitätskontrolle als problematisch. Die nicht geringe Zahl an Weiterbildungsangeboten von zweifelhafter Qualität, die eher auf die öko­nomischen Verwertungsinteressen der Anbieter als auf die Qualifikationser­fordernisse der Teilnehmer abgestimmt zu sein schienen, konnte erst nach und nach verringert werden, als sich die Bundesanstalt für Arbeit um eine stärkere

531 Krug 1994, S. 16. Vgl. auch Roh1mann 1994, S. 17. 532 Vgl. Faulstich 1993, S. 43f.

278

Page 277: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Kontrolle der Anbieter bemühte533• Zusätzlich entwickelten Akteure wie die Konzertierte Aktion Weiterbildung (KA W), die ihre Aktivitäten seit 1991 auf Ostdeutschland konzentrierte, Konzepte zur Qualitätssicherung in der W ei­terbildung534. Die BLK hatte bereits Ende 1990 eine Arbeitsgruppe einge­setzt, die Empfehlungen zu Angebotsschwerpunkten für die Weiterbildung in den neuen Bundesländern unterbreiten sollte. Ihr im März 1992 vorgelegter Bericht wurde nach Kenntnisnahme durch die Regierungschefs von Bund und Ländern und Anmerkungen der Finanzministerkonferenz zu den im Bericht enthaltenen Kostenansätzen nochmals überarbeitet und im März 1993 verab­schiedet535. Die Empfehlungen der BLK enthielten Hinweise zum Auf- und Ausbau bedarfsgerechter beruflicher W eiterbildungsstrukturen, zur Qualifi­zierung des Personals, zur Weiterbildungsberatung und zur Weiterführung von Einrichtungen, die der BLK erhaltenswert erschienen. Der Bericht hob hervor, daß beruflicher Weiterbildung in der Umbruchphase eine herausra­gende Bedeutung zukomme536. Die Mitte 1993 veröffentlichten Empfehlun­gen wirkten sich indes nur geringfügig auf die sich faktisch vollziehenden Veränderungsprozesse aus. Bis zur Herausgabe der Empfehlungen war bereits der größte Teil der Einrichtungen, die die berufliche Weiterbildung in der DDR getragen hatten, abgewickelt, und die erwähnte Vielzahl unterschiedli­cher, überwiegend kommerzieller Träger hatte deren Platz eingenommen537.

Die Erarbeitung gesetzlicher Grundlagen auf Landesebene erfolgte in dieser Hinsicht mit zu großem zeitlichem Verzug, so daß es nicht möglich war, be­reits in der Anfangsphase "Qualitätssicherung und -kontrolle im Sinne des Verbraucherschutzes"538 in ausreichendem Maß sicherzustellen.

Der Bereich der allgemeinen Weiterbildung veränderte sich in ähnlicher Weise wie die berufliche Weiterbildung. Während Institutionen wie die URANIA seit 1990 um ihr Überleben kämpfen, übertrugen westdeutsche Weiterbildungsträger wie die parteinahen Stiftungen ihre Angebotsstrukturen zügig auf die neuen Länder. Diese entsprachen jedoch häufig nicht den ak­tuellen Bedürfnissen der ostdeutschen Bevölkerung. Hinzu kam, daß neben den allgemein bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Kriterien öffentli­cher Förderung aufgrund zunächst fehlender rechtlicher Vorgaben kleinere

533 Vgl. Krug 1994, S. 15; BLK 1993c, S. 20. Zur Problematik der Qualitätssiche­rung angebotener Weiterbildungsmaßnahmen vgl. Faulstich 1993, S. 39ff.; Ar­beitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994, s. 750.

534 Zu Anlaß und Entstehung der KAW vgl. Vulpius 1995; zur Arbeit der KAW im Zusammenhang mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vgl. Achtel 1995; Koch 1995.

535 Vgl. BLK 1993c; Krug 1994, S. 14f. 536 Vgl. BLK 1993c, S. 7f. 537 Vgl. Krug 1994, S. 15. Diese Entwicklung wurde auch als Entstehung einer

"Goldgräber-Wildost-Weiterbildungslandschaft" bezeichnet; a.a.O. 538 Rohlmann 1994, S. 17.

279

Page 278: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Institutionen oftmals nur mit über ABM-Stellen finanzierten Mitarbeitern ar­beiten konnten. Die Entwicklung längerfristiger, auf die Bedürfnisse der Teil­nehmer zugeschnittener Programme erwies sich so als schwierig539.

In einer anderen Situation befanden sich die in der DDR auf Bezirksebe­ne zentral verwalteten Volkshochschulen. Hier war es zunächst wichtig, deren Rechtsform und Trägerschaft den veränderten Rahmenbedingungen anzupas­sen. Die Volkshochschulen befinden sich mittlerweile in kommunaler Träger­schaft; sie sind zum überwiegenden Teil auf Ebene der Kreise angesiedelt. Die meisten Volkshochschulen verfügen über hauptamtlich tätige Leitungen und über hauptamtliches pädagogisches Personal. Organisatorisch wurden die in Westdeutschland vorhandenen verbandliehen Strukturen übernommen. So bestehen heute in allen fünf Ländern Landesverbände, die dem DVV angehö­ren540. Wie bei allen anderen Bildungseinrichtungen in öffentlicher Träger­schaft wirken sich auch hier haushaltsbedingte Restriktionen auf die personel­le und materielle Ausstattung und damit auf den Umfang des Programmange­botes aus.

Ökonomische Probleme betreffen auch die kleineren W eiterbildungsträ­ger, die spezifisch trägerbezogene Weiterbildungsangebote unterbreiten, seien dies die Kirchen, Jugend- und Frauenverbände oder Träger, die sich speziell um Weiterbildung auf dem Lande bemühen. Diese Einrichtungen, deren län­gerfristiges Überleben auch in Westdeutschland ohne öffentliche Subventio­nierung großenteils nicht möglich ist, bedurften und bedürfen, stärker noch als andere Trägerinstitutionen, eines rechtlich geregelten Mittelzuflusses aus den staatlichen Haushalten. Sie waren daher in besonderem Maße von der ge­setzlichen Regelung der Förderungsmöglichkeiten und -modalitäten abhängig.

Der Versuch, einen Überblick über die strukturellen und organisatori­schen Veränderungen zu gewinnen, läßt die inzwischen auch in den neuen Bundesländern eingetretene Unübersichtlichkeit im Weiterbildungssektor deutlich werden. Die Heterogenität der Anbieter hinsichtlich Organisations­form und -größe, Intention, Zielgruppen, Themenangeboten und Abschlüssen, Trägerbindung und Finanzierungsform entspricht inzwischen weitgehend der auch in Westdeutschland vorhandenen, häufig als 'Träger- und Angebotsplu­ralismus' bezeichneten Vielfalt. Die noch mangelnde statistische Erfassung der verschiedenen Anbieter und ihrer Aktivitäten beeinträchtigt die Reichwei­te von Aussagen und Analyseansätzen541 .

539 Vgl. Faulstich 1993, S. 43. 540 Vgl. Deutscher Volkshochschul-Verhand (Hrsg.) 1993. Die Zahl der Volkshoch­

schulen wird mit 204 angegeben (Stand: 1993; ohne Ost-Berlin); vgl. a.a.O., S. 15; Winger 1993, S. 239. Die Volkshochschulen sind dem DVV im April 1991 beigetreten; vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bil­dungsforschung 1994, S. 728.

541 Vgl. Faulstich 1993, S. 48, der weitere spezifische Defizite des ostdeutschen Weiterbildungssektors benennt.

280

Page 279: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

3.7.3 Inhaltliche Veränderungen in der Angebotsstruktur

Das Programmangebot der in den neuen Ländern tätigen Anbieter ist durch die Dominanz beruflicher Bildung, genauer: von Anpassungsfortbildung und Umschulung, geprägt. Dies wird auch am Umfang der über das AFG bereit­gestellten Mittel deutlich, die im Jahr 1992 die Summe von 9 Mrd. DM über­schritten542. Durch die seit 1993 veränderte Förderungspraxis ist dieser Mit­telausatz zwar rückläufig, er beträgt jedoch noch immer ein Vielfaches der Gelder, die aus öffentlichen Haushalten zur Unterstützung nichtberuflicher Weiterbildung zur Verfügung gestellt werden. Die Priorität berufsqualifizie­render Maßnahmen führte zur Marginalisierung aller anderen Themenberei­che, die der quartäre Bereich üblicherweise abdeckt543.

Im Programmangebot der Volkshochschulen sind im Vergleich zwischen alten und neuen Ländern Unterschiede erkennbar. Stärker als an westdeut­schen Volkshochschulen bieten die Einrichtungen in den neuen Ländern ma­thematisch-naturwissenschaftliche und technische Kurse an. Diese Angebote knüpfen ebenso an die für die DDR typische inhaltliche Schwerpunktsetzung an wie die noch immer stark vertretenen Vorbereitungskurse für Schulab­schlüsse. Auch berufsbildende Kurse, z.B. aus den Bereichen EDV, Verwal­tung, Recht und Kaufmännisches Handeln sind in relativ hohem Umfang vor­zufinden. Geringer ausgeprägt als in den alten Ländern ist das Angebot an künstlerisch-gestalterischen und musischen Kursen.

Ein Problem stellte der Mangel an Fachkräften dar, die die neuen Ange­bote vermitteln sollten. Lehrkräfte fehlten insbesondere in den Bereichen Volks- und Betriebswirtschaft, in Fremdsprachen und in der politischen Bil­dung. Es erwies sich nicht als zweckmäßig, politische Bildung durch west­deutsche Lehrkräfte vermitteln zu lassen, da dies häufig zu Akzeptanzpro­blemen bei ostdeutschen Teilnehmern fiihrte544. Allgemein war festzustellen, daß entgegen den ursprünglichen Erwartungen vieler Anbieter insgesamt we­nig Interesse an politischer Bildung bestand. Die Gründe hierfür sind viel-

542 Vgl. Preise 1991, S. 68; Weiß 1993, S. 75; Enders 1994, S. 52; Neitzel 1994, S. 89; Schlosser 1994, S. 137; Trier 1994, S. 155. Husemann/Dobischat schlüssel­ten die Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik am Beispiel der Jahre 1991 und 1992 auf; vgl. Husemann/Dobischat 1993, S. 48ff. Die Höhe der eingesetzten Summen läßt darauf schließen, daß das Vorgehen der Bundesanstalt für Arbeit nicht aus­schließlich auf Qualifizierungseffekte, sondern auch auf die arbeitsmarktentla­stende Wirkung von Weiterbildung abzielte.

543 Die eindeutige Schwerpunktsetzung der Weiterbildung im berufsbildenden Be­reich wird z.B. in Mecklenburg-Vorpommern auch daran deutlich, daß hier die Koordinierung der Weiterbildung dem Sozialministerium, und nicht, wie - auch in den anderen neuen Ländern - üblich, dem Kultusministerium untersteht; vgl. Neitzell994, S. 90.

544 Vgl. Meise! 1992; Faulstich 1993, S. 45f.; Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994, S. 739.

281

Page 280: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schichtig; eine Ursache kann in den Erfahrungen gesehen werden, die viele Menschen in der DDR mit 'politischer Bildung' sammelten545 .

Die Planung der Weiterbildungsangebote setzt noch stärker als in den an­deren Bereichen die Ermittlung der Weiterbildungsbedarfe voraus. Diese sind, insbesondere dann, wenn der Schwerpunkt der geförderten Maßnahmen im Bereich beruflicher Qualifizierung liegt, auf die Qualifikationsanforderun­gen der Wirtschaft abzustimmen, soll doch die Mehrzahl der Angebote zur Chancenverbesserung von Teilnehmern auf dem Arbeitsmarkt führen. Die in­haltliche Abstimmung der Angebote auf die Bedürfnisse der Wirtschaftsun­ternehmen stellt sich somit als Prozeß dar, der im günstigsten Fall die öko­nomischen Transformationsprozesse antizipiert. Diese Vorlauffunktion von Weiterbildung ist jedoch nur dann zu gewährleisten, wenn zumindest eini­germaßen zuverlässige Aussagen über Richtung und Geschwindigkeit des technologischen und strukturellen Wandels möglich sind, auf deren Basis eine Angebotskonzeption erfolgen kann. Hinsichtlich der Dimensionen des W an­dels in den neuen Ländern waren diese Prognosen indes von keinem der be­teiligten Akteure zu leisten. Die inhaltliche Gestaltung der Angebote richtete sich demnach mehr an vermuteten als an tatsächlich festgestellten Bedarfen aus. Konsequenz dieser Prognosedefizite war, daß viele Weiterbildungsteil­nehmer erkennen mußten, daß die erfolgreiche Teilnahme an Weiterbildung eine zwar notwendige, in vielen Fällen jedoch nicht hinreichende Bedingung für die Beendigung ihrer Arbeitslosigkeit darstellte. Hieraus könnte resultie­ren, daß sich Menschen angesichts fraglicher Erfolgschancen zukünftig nicht mehr in ausreichendem Maß zur Teilnahme an Weiterbildung motivieren las­sen. Im Bereich beruflicher Weiterbildung wurde bereits Anfang der neunzi­ger Jahre eine nachlassende Weiterbildungsmotivation festgestellt, deren Ur­sachen wesentlich auf den geschilderten Problemen beruhen dürften546.

545 Friedrich bringt das gespannte Verhältnis vieler Menschen zu politischer Bildung auf den Punkt mit der Frage: "40 Jahre Parteilehrjahr - was kommt danach?"; Friedrich 1993, S. 231; vgl. Reutter 1993, S. 253; Friedrich 1993.

546 Vgl. Opelt 1993. Zur Funktion von Weiterbildung als Instrument der Anpassung an den im Zuge des Transformationsprozesses veränderten ostdeutschen Ar­beitsmarkt insbesondere für Frauen vgl. Schiersmann/ Ambos 1996.

282

Page 281: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

4. Die Entwicklung von Bildung und Wissenschaft im Land Berlin

Die nach vierzig Jahren getrennter bildungsrechtlicher und bildungsstrukturel­ler Entwicklung in beiden deutschen Staaten vorfindliehen Unterschiede tra­ten im wiedervereinigten Berlin in besonderer Deutlichkeit hervor. Hier galt es, das in den beiden Stadthälften unterschiedliche Bildungsrecht schnell zu vereinheitlichen. Überdies war es notwendig, die Strukturen der Bildungs­und Wissenschaftslandschaft, die Organisationsprinzipien der Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen, die Rechtsverhältnisse des Personals und dessen Umfang sowie die in den Bildungseinrichtungen vermittelten Inhalte mit möglichst geringen Reibungsverlusten aneinander anzugleichen. Bereits im Verlauf des Jahres 1990 zeichnete sich ab, daß die Angleichung - unter Be­rücksichtigung notwendiger Übergangsregelungen und -fristen - im wesentli­chen durch eine Übertragung der in West-Berlin gültigen Rechtsvorschriften, Strukturen und Inhalte auf die östlichen Bezirke der Stadt erfolgen würde. Es wäre durchaus möglich gewesen, den Vereinigungsprozeß zu einer Gesamt­Berliner Bildungsreform zu nutzen, wie sich dies politische Gruppen, Wis­senschaftler und Mitglieder der ostdeutschen Oppositionsbewegung im Hin­blick auf Veränderungen im gesamtdeutschen Maßstab erhofft hatten. Politi­sche Mehrheiten für ein solches Vorgehen zeichneten sich aber nur in bezug auf das Hochschulwesen ab.

4.1 Rechtsangleichung und Angebotsreduzierung im Elementarbereich und der außerschulischen Betreuung

Die Situation der vor- und außerschulischen Kinderbetreuungseinrichtungen in Ost-Berlin unterschied sich nicht wesentlich von der der neuen Bundeslän­der. Seit November 1989 entwickelten sich intensive Kontakte zwischen dem West- und Ost-Berliner FachpersonaL Nach der Vereinigung setzte auch in Ost-Berlin ein Abbau von Kinderbetreuungseinrichtungen ein, der aber im Vergleich deutlich geringer ausfiel als in den neuen Ländern. Ein Grund für die relativ geringe Reduzierung von Krippenplätzen dürfte gewesen sein, daß der Kleinkindbetreuung auch im Westteil Berlins stets hohe Bedeutung zu­kam. West-Berlin weist einen für westdeutsche Verhältnisse außerordentlich hohen Versorgungsgrad mit Krippenplätzen auf. 1989 stellten West-Berliner Einrichtungen etwa 40 % aller in der Bundesrepublik verfügbaren Krippen-

283

Page 282: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

plätze, was einem Versorgungsgrad von etwa 20 % der Kinder im Alter bis zu drei Jahren entsprach. In Ost-Berlin reduzierte sich die Zahl belegter Krip­penplätze bis Anfang 1993 auf knapp 80 % des Vergleichswertes von 1989; damit konnten immerhin noch rund 72 % der in Frage kommenden Alters­gruppe betreut werden1. Der trotz Schließung von Kinderkrippen nach wie vor hohe Versorgungsgrad mit Krippenplätzen ist auf die auch in Ost-Berlin eklatant gesunkenen Geburtenziffern zurückzuführen.

Daß der Rückgang an Krippenplätzen in Ost-Berlin vergleichsweise ge­ringer ausfiel als in den neuen Ländern, wird auch damit begründet, daß in zunehmendem Umfang Kinder aus West-Berlin in den Ost-Berliner Bezirken betreut werden. Zudem wirkte sich die besondere Situation Berlins für das Krippenpersonal positiv aus, da West-Berlin einen Bedarf an ausgebildeten Krippenerzieherinnen aufwies und zumindest ein Teil der in Ost-Berlin von Krippenschließungen betroffenen Personals eine Tätigkeit im Westteil der Stadt aufnehmen konnte2.

Auch in den Kindergärten der Ost-Berliner Stadtbezirke reduzierte sich das Platzangebot seit 1990 nur in eher geringem Maß. Noch Ende 1991 be­stand in Ost-Berlin für die Gruppe der Drei- bis unter Sechsjährigen rechne­risch ein Angebot von rund 117 Plätzen pro 100 Kinder. Die sinkenden Ge­burtenziffern betrafen die Kindergärten mit einer entsprechenden zeitlichen Verzögerung von drei Jahren; die weiterhin zurückgehende Nachfrage dürfte zu einem weiteren Abbau von Kindergartenplätzen führen3.

Horte waren in Ost-Berlin überwiegend in Schulen integriert. Diese struk­turelle Einbindung behielten die Bezirke nach der Vereinigung weitgehend bei. Die in West-Berlin gültigen Rechtsvorschriften für Horte wurden nach der Vereinigung zusammen mit den Rechtsregelungen für Vorschuleinrich­tungen auf Ost-Berlin übertragen. Der Hortbesuch ist freiwillig, die Betreu­ung hat Angebotscharakter4. Das Angebot an Hortplätzen hatte sich schon bis September 1990 um 12 % der 1989 verfügbaren Plätze verringert; nach dem 3. Oktober 1990 wurden weitere Hortplätze abgebaut. Da viele Ost-Berliner Eltern nachdrücklich den Wunsch nach einer Fortführung der außerunter­richtlichen Betreuung ihrer Kinder äußerten, versuchte die Senatsschulverwal-

4

284

Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 486ff. Der Versorgungsgrad mit Krippenplätzen war damit im Vergleich zu den neuen Ländern sehr hoch, wo er zwischen 37,9 % (Sachsen) und 57,5 % (Brandenburg) lag. Die absolute Zahl der Klpderkrippen verringerte sich von 1989 bis Ende 1991 in Ost-Berlin von 446 auf 407 (zum Vergleich: Mecklen­burg-Vorpommem: von 1.309 auf 307); vgl. a.a.O., S. 492. V gl. Bundesministerium für Familie, Senioren; Frauen und Jugend 1994, S. 492f. Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 512f. V gl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Pressemitteilung v. 7.8.1992; dies.: Offener Brief an die Erzieherinnen und Erzieher im Ostteil: Ehemalige Schulhorte werden als "offener Ganztagsbetrieb" weitergeführt v. 10.8.1992.

Page 283: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

tung, ein bedarfsgerechtes Platzangebot zu erhalten. Im Schuljahr 1992/93 konnten rund 40.000 Ost-Berliner Schüler der Klassenstufen 1 bis 4 in an Grundschulen angeschlossenen Schulhorten betreut werden. Zusätzlich exi­stierten etwa 2.000 Hortplätze in schulunabhängigen Einrichtungen und eine geringe Zahl von Plätzen in Einrichtungen freier Träger. Ein Vergleich mit den neuen Bundesländern zeigt, daß der Versorgungsgrad mit Hortplätzen trotzdes auch in Ost-Berlin nachhaltigen Rückganges an vor- und außerschu­lischen Betreuungsmöglichkeiten für Kinder noch immer hoch ist. Allerdings haben Eltern eine hohe Kostenbeteiligung für die Unterbringung von Kindern in Krippen, Kindergärten oder Horten zu tragen. Sie wird gestaffelt nach dem Familieneinkommen erhoben und reicht von einem monatlichen Mindestbei­trag von 60 DM bis zu 490 DM für das erste Kind5.

4.2 Der Umbau des allgemeinbildenden Schulwesens in Ost-Berlin

4.2.1 Die Angleichung des Schulrechts

Die West-Berliner Schulsenatorin Sybille Volkholz (AL) und der Ost-Berli­ner Stadtrat für Bildung Dieter Pavlik (SPD) setzten schon im April 1990 ei­nen mit Wissenschaftlern aus beiden Teilen der Stadt besetzten Berliner Bil­dungsrat ein, der Vorschläge für die Zusammenführung des allgemeinbilden­den Schulwesens beider Teile der Stadt erarbeiten sollte. Der Bildungsrat er­hielt im Juni 1990 den Status einer offiziellen Beratungsinstitution der Se­natsschulverwaltung. Bis Januar 1991 behandelte er Struktur- und Organisati­onsfragen und unterbreitete Vorschläge für die Neugestaltung des Ost-Berli­ner, partiell aber auch des West-Berliner Schulwesens. Zusätzliche Ost-West­Arbeitsgruppen hatten die Aufgabe, Empfehlungen für das Zusammenwach­sen des Schulwesens West- und Ost-Berlins zu erarbeiten6•

Nach den Kommunalwahlen vom Mai 1990 bildeten sich in Ost-Berlin eine neue Stadtverordnetenversammlung und ein neuer Magistrat. Bis zu den Gesamt-Berliner Wahlen am 2. Dezember 1990 hatte Ost-Berlin nur einen landesähnlichen Status mit Länderbefugnissen, im übrigen galt DDR-Recht. Die von der Regierung de Maiziere erlassenen Rechtsvorschriften waren auch

V gl. Gesetz über die Beteiligung an den Kosten der Betreuung von Kindem in städtischen Tagesstätten und in Tagespflege (Kita- und Tagespflegekostenbeteili­gungsgesetz- KTKBG) i.d.F. v. 4. Januar 1993, in: GVBL S. 22, hier: §§ 1 u. 3; Anl. 1 u. 2. V gl. Für Bildungsreform in beiden Teilen Berlins, in: DLZ. Nr. 31/1990; Schmidt 1990b, S. 3f.; BuddelMeergans 1991, S. 26f.; Schmidt 1991, S. 2.

285

Page 284: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

für Ost-Berlin verbindlich. Der Ost-Berliner Magistrat arbeitete schon vor dem 3. Oktober 1990 eng mit dem West-Berliner Senat zusammen und erließ eigene, mit denen der Regierung de Maiziere z.T. konkurrierende Rechtsvor­schriften 7•

Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages war Berlin ein aus 23 Bezirken bestehendes Bundesland. Gemäß Art. 16 EV war Berlin bis zu der Gesamt­Berliner Wahl durch Magistrat und Senat gemeinsam zu verwalten. Der EV fand im Grundsätzlichen auf Berlin Anwendung, nicht jedoch in seinen schul­rechtlichen Übergangsregelungen, die sich nur auf die neuen Länder erstreck­ten. Soweit nicht für Ost-Berlin übergangsweise erlassene Rechtsvorschriften wie das Schulverfassungsgesetz8 in Kraft waren, galten ab dem 3. Oktober 1990 Regelungen des West-Berliner Schulrechts in den östlichen Stadtbezir­ken. Die Rechtsübertragung erfolgte durch das vom Abgeordnetenhaus und der Stadtverordnetenversammlung parallel beschlossene Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 29. September 19909• Die­ses Gesetz verfolgte für Berlin Ziele wie der EV für ganz Deutschland. Es re­gelte die Übertragung West-Berliner Rechts auf die östlichen Stadtbezirke, legte Übergangsfristen fest und bestimmte die Weitergeltung verschiedener Vorschriften des DDR-Rechts. Für die allgemeinbildenden Schulen der Ost­Berliner Bezirke galten Teile des DDR-Rechts noch bis zum Ende des Schuljahres 1990/91; das West-Berliner Schulgesetz trat zum 1. August 1991 in Ost-Berlin in Kraft10. Nach dem somit weiter gültigen Ost-Berliner Schul­verfassungsgesetz konnten Schulbeiräte und Landesausschüsse gewählt wer­den; der Landesschulbeirat für Ost-Berlin konstituierte sich im Januar 1991.

Das Berliner Privatschulgesetz ersetzte das von der Volkskammer be­schlossene Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft unmittelbar am 3. Ok­tober 1990. Hierdurch entstand für die in Ost-Berlin bereits genehmigten nichtstaatlichen Schulen eine finanziell schwierige Situation, denn im Gegen­satz zum DDR-Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft sah das Berliner Privatschulgesetz nicht vor, Schulen in nichtstaatlicher Trägerschaft bereits unmittelbar nach Aufnahme des Unterrichtsbetriebes finanziell zu unterstüt­zen. Deshalb wurde mit dem Zweiten Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 10. Dezember 1990 eine Sonderregelung für die-

7

9

10

286

Zu den bildungspolitisch wirksamen Rechtsregelungen gehörten u.a. eine Über­gangs-Verfassung, für Ost-Berlin, die auch Aussagen zu den Zielen der Ost­Berliner Schulen enthielt, sowie ein noch Ende September 1990 erlassenes - al­lerdings mit dem West-Berliner Pendant weitgehend identisches - Schulverfas­sungsgesetz; vgl. Krzyweck 1991, S. 290. Vgl. Gesetz über die Schulverfassung für die Schulen des Landes Berlin (Schul­verfassungsgesetz- SchulVerfG) v. 29.9.1990, in: GVBI. S. 228. Vgl. GVBI. S. 2119. V gl. Rundschreiben über die Vereinheitlichung des Berliner Schulrechts v. 20.3.1991, in: Dienstblatt des Senats von Berlin, Teil III- Schulwesen, Wissen­schaft, Kultur, Nr. 5 v. 3.5.1991, S. 83.

Page 285: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

se Schulen verabschiedet'\ die hierdurch eine Grundfinanzierung erhielten. Zusammen mit dem Privatschulgesetz trat auch das West-Berliner Lehrerbil­dungsgesetz zum 3. Oktober 1990 in Ost-Berlin in Kraft. Seither war die Auf­nahme einer Lehrerausbildung nach DDR-Recht in Berlin nicht mehr mög­lich.

4.2.2 Die strukturelle und organisatorische Umgestaltung der Ost-Berliner Schulen

Ziel der Senatsschulverwaltung war es, die DDR-Schularten zum Beginn des Schuljahres 1991/92 durch westdeutsche Schularten zu ersetzen. Die struktu­relle Neuordnung des gesamten Schulwesens schien jedoch ohne Übergangs­fristen und -regelungen kaum möglich. Für diejenigen Schüler, die sich in Bildungsgängen nach DDR-Recht befanden, bedurfte es einer Regelung, die entweder noch die Erlangung eines Abschlusses nach DDR-Recht oder aber die Überführung der Bildungsgänge in Bestimmungen des West-Berliner Schulgesetzes ohne unbillige Härten für die betroffenen Schüler ermöglichte. Diese Probleme wurden schließlich im Juni 1991 auf dem Verordnungsweg geregelt. Im übrigen galten das West-Berliner Schulverfassungsgesetz und das Schulgesetz zum 1. August 1991 in ganz Berlin. Die Ost-Berliner POS, EOS und Spezialschulen wurden aufgelöst und in Schularten nach dem West­Berliner Schulgesetz überführt. Dieses Vorgehen warf erhebliche organisato­rische Probleme auf und führte dazu, daß auch in Berlin strukturelle Fragen gegenüber inhaltlichen Reformen in den Vordergrund traten12.

Wie stark die politischen Mehrheitsverhältnisse die der Strukturanglei­chung vorangehenden Grundsatzentscheidungen beeinflußten, zeigten die Wahlen zum Gesamt-Berliner Senat am 2. Dezember 1990. Die bisherige Koalition von SPD und GRÜNEN/Alternative Liste (AL) erhielt keine Mehr­heit mehr. Aufgrund des Wahlergebnisses bildete sich eine CDU/SPD-Koali­tion. Jürfen Klemann (CDU) löste die bisherige Schulsenatorin Sibylle Volk­holz ab1 .

Der Berliner Bildungsrat hatte vor den Wahlen die Einführung der Ge­samtschule als einziger Schulart für Ost-Berlin vorgeschlagen, doch könne, so Volkholz und Pavlik, "die deutlich erkennbare Nachfrage nach Gymnasien ( ... ) nicht übergangen werden"14• Unter Bezugnahme auf die Vorschläge des

11

12

13

14

Vgl. Krzyweck 1991, S. 291. Vgl. Krzyweck 1991, S. 291; Kienast 1992b, S. 225ff. Mit dem Wechsel in der Leitung der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport gab der Berliner Bildungsrat im Januar 1991 sein Mandat zurück; vgl. BuddelMeergans 1991, S. 27. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport und Magistratsverwaltung für Bildung: Pressemitteilung v. 11.10.1990, S. 1. Und weiter heißt es dort, Rückschlüsse auf den Hintergrund dieser Entscheidung zulassend: "Der vom

287

Page 286: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Bildungsrates schlugen Volkholz und Pavlik im Oktober 1990 den Verzicht auf Haupt- und Realschulen und die flächendeckende Einführung von Ge­samtschulen und Gymnasien in den Ost-Berliner Bezirken vor15. Die neuen politischen Mehrheitsverhältnisse führten jedoch zu erheblichen Veränderun­gen der Ost-Berliner Schulentwicklungsplanung. Die Koalitionsvereinbarung der Regierungskoalition sah vor, daß das in West-Berlin vorhandene mehr­gliedrige Schulsystem auf Ost-Berlin ausgedehnt werden sollte. Dies bedeute­te, zum Schuljahresbeginn 1991192 fast 400 Schulen16 aus einem Einheits­schulsystem in ein gegliedertes Schulwesen zu überführen. Die Schulnetzpla­nung erfolgte jeweils bezogen auf die Bezirke und die dort vorhandene Schülerstruktur. Die Bezirke hatten im Frühjahr 1991 ihre Planungen mit den vorliegenden Anmeldungen für die Schulen der Sekundarstufe I abzustimmen. Auch in Ost-Berlin waren gymnasiale Bildungsgänge stark nachgefragt17.

Mit Schuljahresbeginn nahmen 188.000 Ost-Berliner Schülerinnen und Schüler, davon rund 102.000 an 222 Grundschulen, den Unterricht in einem Schulsystem auf, das nun strukturell dem des Westteils der Stadt entsprach18 .

Aufgrund der Anmeldungen für die Schulen des Sekundarbereichs I im Schuljahr 1991192 entstanden 46 Sonderschulen, acht Hauptschulen, 24 Real­schulen, davon einige mit Hauptschulzweig, 46 Gymnasien und 54 Gesamt­schulen, von denen 16 eine eigene gymnasiale Oberstufe erhielten. Der zu­nächst befürchtete überstarke Andrang auf die Gymnasien blieb aus, hingegen meldete ein im Vergleich zum Schulwahlverhalten in West-Berlin hoher An­teil der Eltern ihre Kinder an Gesamtschulen an19.

15

16

17

18

19

288

Bildungsrat nahegelegte Verzicht auf Gymnasien (ab Klasse 7) in den östlichen Bezirken der Stadt würde zu empfindlich spürbaren Rückwirkungen auf die west­lichen Bezirke führen". "Eine weitere Aufgliederung des Schulsystems in der Sekundarstufe I halten Se­natorin und Stadtrat für nicht vertretbar, da sie alle Beteiligten sowohl inhaltlich als auch organisatorisch überfordert"; Senatsverwaltung für Schule, Berufsbil­dung und Sport und Magistratsverwaltung für Bildung: Pressemitteilung v. 11. 10.1990, S. 2; vgl. hierzu auch Kienast 1992a, S. 88f.; Kienast 1992b, S. 227f.; Ein Votum für die Gesamtschule, in: Berliner Zeitung v. 20.10.1990. Umzugliedern waren 343 POS, 11 EOS, sieben Spezialschulen, 33 Sonder- und Hilfsschulen sowie zwei Berufs-Hilfsschulen; vgl. Kienast 1992b, S. 226. Vgl. Kienast 1992a, S. 89ff.; RosUWessel1992; Schmidt 1991, S. 2f. Landespressedienst Berlin: Pressemitteilung v. 12.4.1991, S. 2f.; Landespresse­dienst Berlin: Jahresbilanz 1991, S. 18. Vgl. Landespressedienst Berlin: Jahresbilanz 1991, S. 18; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 119, Tab. III.2.6, die die Vertei­lung der Schultypen auf die Ost-Berliner Bezirke darstellt. Die Anmeldungen an Gymnasien im Schuljahr 1991192 lagen schließlich unter den West-Berliner Vergleichszah1en; vgl. Kienast 1992a, S. 96f. Beachtenswert war die sehr unter­schiedliche Verteilung der Schüler auf die Schularten in Abhängigkeit von deren Wohnbezirk Während z.B. in Hohenschönhausen im Schuljahr 1991/92 61,8 % der Schüler eine Gesamtschule besuchten, erhielten in Friedrichshain 47,9 %der Schüler Unterricht an Gymnasien; vgl. Baumbach 1992, S. 266. Ausführlich zum Schulwahlverhalten der Eltern vgl. Kienast 1992b, S. 233ff.

Page 287: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die sich an die sechsjährige Grundschule anschließenden Sekundarschu­len waren an die Anforderungen der jeweiligen Schularten anzupassen. Die große Zahl vorhandener kleinerer20, in der Regel auf den Betrieb zweizügiger zehnklassiger Schulen ausgelegter Gebäude war in eine Struktur mit vier un­terschiedlich großen und profilierten Schularten umzuwandeln. Häufig ent­sprach der Gebäudestandard nicht dem der West-Berliner Schulen; zudem fehlten an vielen Schulen Unterrichtsräume. In solchen Fällen wurden entwe­der übergangsweise mobile Unterrichtscontainer aufgestellt, oder eine Schule wurde auf mehrere Standorte verteilt. Die im Vergleich zu den Schulen in West-Berlin häufig ungenügende Sachausstattung konnte aufgrunddes einge­schränkten Finanzrahmens nur sukzessive ergänzt oder ausgetauscht wer­den21.

Zum Schuljahr 1992/93 zeigte sich ein sinkendes Interesse an Gesamt­schulen; hingegen stieg der Anteil derjenigen Schüler, die von ihren Eltern an einer Haupt- oder Realschule angemeldet wurden. Dadurch mußten Schulen umgewidmet sowie Haupt- und Realschulen neu eingerichtet werden. Der Anteil der zum Schuljahr 1992/93 an Gymnasien an2emeldeten Schüler ver­änderte sich nicht signifikant gegenüber dem Vorjahr 2. Im Schuljahr 1991/92 gelangten Ost-Berliner Oberschüler letztmalig nach 12 Schuljahren zum Ab­itur. Im Schuljahr 1993/94legten Abiturienten beider Teile der Stadt erstmals einheitliche Reifeprüfungen ab23 •

Die sich verändernde Geburtenrate wirkt sich in erheblichem Maß auf die Schulnetzplanung der Ost-Berliner Bezirke aus. Diese Entwicklung entspricht dem auch in den neuen Ländern beobachtbaren Trend; bei zunächst noch an­steigenden Schülerzahlen in der Sekundarstufe wird sich die Schülerzahl in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts - beginnend mit der Grundschule - auf bis zu unter 50 % der Vergleichszahlen von 1989/90 verringern. Im nächsten Jahrzehnt werden sich die rückläuf~en Schülerzahlen dann auch auf die Schulen der Sekundarstufe auswirken .

20

21

22

23

24

Eisbrenner führt als Beispiel aus dem Bezirk Mitte an, daß sich im Umkreis von weniger als 500 Metern um die POS, an der er tätig war, drei weitere POS befan­den; vgl. Eisbrenner 1991, S. 20. Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Pressemitteilung v. 7.8.1992; Baumbach 1992, S. 266f.; Zum Schulanfang fehlen noch Klassenzim­mer, in: DLZ. Nr. 3311992. Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Pressemitteilung v. 7.8.1992. Vgl. In Ost und West die gleichen Abiturprüfungen, in: DLZ. Nr. 3111994. Aufgrund der unterschiedlichen Altersstruktur der Bevölkerung in den Ost­Berliner Bezirken werden diese jedoch in unterschiedlicher Weise und z.T. zeit­lich verzögert vom Rückgang der Schülerzahlen betroffen sein. Während sich Bezirke wie Mitte oder Friedrichshain insgesamt relativ stabil entwickeln, wird es z.B. in den Bezirken Hellersdorf und Marzahn zu erheblichen Verwerfungen kommen. Für den Zeitraum vom Schuljahr 1991/92 bis zum Schuljahr 1995/96 wurde für den Bezirk Marzahn ein Absinken der Schülerzahl im Grundschulbe-

289

Page 288: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Entgegen der Befürchtung der Senatsschulverwaltung blieb die Zahl der Schüler aus Ost-Berlin und den Randbezirken des Landes Brandenburg, die zum Schuljahr 1991192 an weiterführenden Schulen West-Berlins angemeldet wurden, gering. Zum einen hatte die Senatsschulverwaltung bereits im Okto­ber 1990 bekanntgegeben, daß der POS-Abschluß der 10. Klasse wie ein Realschulabschluß anerkannt würde. Zum anderen hatte die KMK schon im Mai 1990 beschlossen, das an EOS nach 12 Schuljahren erworbene Abitur als allgemeine Hochschulreife anzuerkennen. Darüber hinaus machte die Senats­verwaltung für Schule wiederholt darauf aufmerksam, daß die Aufnahme von nicht in West-Berlin wohnenden Schülern in die dorti~en weiterführenden Schulen nur in Ausnahmefällen genehmigt werden könnte 5•

Mit Beginn des Schuljahres 1991192 galt die in den Bezirken Ost-Berlins seit Ende 1990 praktizierte Fünf-Tage-Unterrichtswache auch in den West­Berliner Bezirken, in denen bis dahin an zwei Samstagen im Monat Unter­richt erteilt worden war. Diese Veränderung führte in den Klassenstufen 7 bis 10 der West-Berliner Schulen zu einer leichten Kürzung der Wochenstunden­zahl26.

Mit dem Schuljahr 1991192 wurden die ehemaligen Kinder- und lugend­sportschulen und die Spezialschulen umgewandelt. Die vier Sportschulen be­hielten ihre sportorientierte Ausprägung und wurden als BLK-unterstützte Schulversuche angemeldet27. Zwei der Spezialschulen, die Heinrich-Hertz­Schule mit besonderer mathematisch-naturwissenschaftlicher Ausprägung und das Gymnasium an der Hochschule für Musik, wurden in Schulen "mit ab­weichender Organisationsform"28 umgewandelt. Zwei weitere Spezialschulen, eine mit musikalischem Schwerpunkt und eine mit bilingualem Unterricht wurden Gymnasien, deren Unterricht bereits ab Klassenstufe 5 beginnt. Bis dahin bestanden im Land Berlin aufgrund der sechsjährigen Grundschule au­ßer einigen nichtstaatlichen lediglich drei altsprachliche Gymnasien in Trä­gerschaft der Stadt, deren Unterricht in Klasse 5 einsetzte. 1994 besaß Berlin insgesamt zwölfmit der 5. Klasse beginnende Gymnasien; es ist angestrebt, in jedem Bezirk ein solches Gymnasium zu errichten29•

25

26

27

28

29

290

reich um 28 %, für den Bezirk Hellersdorf hingegen ein Anstieg um 31 %vor­ausberechnet; vgl. Baumbach 1992, S. 267ff.; Kienast 1992b, S. 221. Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport; Magistratsverwal­tung für Bildung: Rundschreiben V Nr. 102/1990 v. 12.10.1990, S. 2; Krzyweck 1991, s. 293. Vgl. Einführung der 5-Tage-Woche an Berliner Schulen, in: Forum E. Nr. 811991, s. 21. Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Pressemitteilung v. 21.7.1992. Landespressedienst Berlin: Pressemitteilung v. 12.4.1991, S. 3. Information der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport mit Schreiben an den Verfasser v. 8.6.1995.

Page 289: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Die finanzielle Unterstützung von Schulen in freier Trägerschaft unter­liegt in Berlin restriktiveren Regelun~en als in anderen Bundesländern. Ge­mäß dem Berliner Privatschulgesetz 0 werden Ersatzschulen zunächst nur vorläufig genehmigt, bis ein Schülerjahrgang die Schule vollständig durchlau­fen hat. Vorläufig genehmigte Ersatzschulen können nur dann staatliche Un­terstützung erhalten, wenn der Schulträger bereits eine genehmigte Ersatz­schule im Land Berlin betreibt. Der Aufbau von Ersatzschulen in Ost-Berlin durch Träger, die nicht bereits im Westteil der Stadt eine nichtstaatliche Schule betrieben, wurde damit faktisch unterbunden. Eine Ausnahme bildeten nur die noch 1989/90 von der DDR-Regierung genehmigten Ersatzschulen, die als vorläufig genehmigt eingestuft und auch ohne Schulträger mit in West­Berlin bereits bestehenden Einrichtungen finanziell unterstützt wurden31 •

Wie in den neuen Ländern war auch in Ost-Berlin das an den Schulen tä­tige Personal in neue Rechts- und z.T. neue Arbeitsverhältnisse zu überfüh­ren. Mit dem Übergang der Ost-Berliner Schulen auf das Land Berlin hatte dieses zunächst formal auch die bestehenden Arbeitsverhältnisse übernom­men. Die Senatsschulverwaltung forderte die Bezirke auf, im Vorfeld der Schulauflösungen zum Schuljahresende 1990/91 die Arbeitsverhältnisse der Schulleiter und ihrer Stellvertreter aufzuheben bzw. umzuwandeln sowie Leh­rer damit zu beauftragen, die im Schuljahr 1991/92 neu einzurichtenden Schulen bis zur Neuausschreibung der Schulleiterstellen kommissarisch zu leiten. Hiervon sollten nur Grundschulen ausgenommen sein, da diese in West-Berlin sechs Schuljahre umfassen, ostdeutsche Unterstufenlehrer jedoch nur für den Unterricht der Klassen 1 bis 4 ausgebildet waren32•

In Berlin gab es keine bedarfsbedingten Kündigungen; alle fachlich und persönlich geeigneten Lehrkräfte konnten im Schuldienst verbleiben. Die Se­natsverwaltung sah allerdings vor, zum 1. August 1991 alljene Lehrkräfte zu entlassen, die bislang Fächer unterrichtet hatten, für die ab dem Schuljahr 1991192 kein Bedarf mehr bestand, z.B. Polytechnik oder Staatsbürgerkunde. Die Bezirksschulräte der östlichen Stadtbezirke verweigerten sich jedoch die­sem Ansinnen des Schulsenators. Zu vereinzelten Entlassungen führte die seit 1991 für alle 15.000 Lehrerinnen und Lehrer der Ost-Berliner Schulen durch die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des MfS der ehema­ligen DDR durchgeführte Überprüfung33•

30

31

32

33

Vom 13.10.1987; vgl. GVBl. 1987, S. 2458. Vgl. Vogel1992, S. 306. Vgl. Krzyweck 1991, S. 293; Hoffmann 1992, S. 145f. Dieses Vorgehen führte auch hier zu den aus den neuen Ländern bekannten Reaktionen bei den Betroffe­nen; vgl. "Dann bin ich der Nächste", in: Die Zeit. Nr. 33/1991. Vgl. Presse- und Informationsamt des Landes Berlin (Hrsg.) o.J. (1992): Jah­resbilanz 1991, S. 19. Gerade in Ost-Berlin war es im Jahr 1990 zu einer erhebli­chen Ausweitung des pädagogischen Personals gekommen. So wurden im Januar und Februar 1990 1.600 Lehrkräfte und Erzieher in den Schuldienst übernom­men, dies waren sechs Prozent des damaligen Ost-Berliner Lehrkräftebestandes.

291

Page 290: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Aufgrund des Lehrermangels an vielen West-Berliner Schulen schien ein Ausgleich durch Umsetzung von Ost-Berliner Lehrkräften in West-Berliner Stadtbezirke möglich. Tatsächlich fand ein Ausgleich zwischen den beiden Stadthälften jedoch nicht statt. Die Hauptursache dafür dürfte in der Zustän­digkeit der Bezirksverwaltungen für Personalfragen gelegen haben, die einen schnellen Personaltransfer behinderte. Nicht zuletzt aus diesem Grund ent­schloß sich der Senat im Sommer 1994 dazu, den Entwurf eines Gesetzes zum Aufbau eines Landesschulamtes in das Landesparlament einzubringen, dem insbesondere im Personalbereich Kompetenzen zu Lasten der Bezirke zuge­wiesen werden sollten. Nach den Beratungen und Anhörungen beschloß das Abgeordnetenhaus am 19. Januar 1995 das Gesetz über die Errichtung eines Landesschulamtes34, dessen Aufbau am 1. Februar 1995 begann. Das Landes­schulamt erhielt Kompetenzen in den Bereichen Unterrichtsversorgung, Lehr­personal und Schulaufsicht, wobei der Senatsschulverwaltung die Möglichkeit zur bezirksübergreifenden Steuerung des Lehrkräfteeinsatzes besonders wichtig war. Gegen das Gesetz legten 18 der 23 Bezirke Verfassungsbe­schwerde ein, unterlagen aber, da der Berliner Verfassungsgerichtshof am 10. Mai 1995 die Verfassungsmäßigkeit der Zuständigkeitsverlagerung bestätigte. Die Senatsschulverwaltung konnte damit beginnen, den in Ost-Berlin beste­henden Überhang abzubauen und etwa 700 Lehrkräfte in West-Berliner Schulen umzusetzen35.

Die Hoffnung vieler Schultheoretiker und -praktiker, das Zusammentref­fen zweier strukturell und inhaltlich verschiedener Lehrerbildungssysteme könnte zur Reform der 'östlichen' wie der 'westlichen' Konzeption und zu ei­ner Zusammenführung der jeweils positiven Elemente in einem gemeinsamen Ganzen führen, erfüllte sich auch in diesem Fall nicht. Schon 1990 hatte die letzte Regierung der DDR mit der Verordnung über die Ausbildung für Lehr­ämter die weitgehende Angleichung der Lehrerbildung in der DDR an west­deutsche Vorgaben eingeleitet. Das Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts übertrug das West-Berliner Lehrerbildungsgesetz und die zugehörigen Prüfungsordnungen auf die östlichen Stadtbezirke. Das mit

34

35

292

Eine Überprüfung zeigte, daß z.B. in Berlin-Marzahn von 150 neu eingestellten pädagogischen Kräften 40 vorher hauptamtlich für das MfS tätig waren. Darauf­hin erfolgte Kündigungen wurden- meist aufgrundformaler Mängel- durch Ar­beitsgerichte oftmals wieder aufgehoben; vgl. Schmidt, W. 1990c, S. 13f. Die Zahl der wegen einer MfS/AtNS-Mitarbeit entlassenen Lehrkräfte konnte nicht ermittelt werden. Bedarfskündigungen wurden hingegen weitestgehend vermie­den; vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Pressemittei­lung v. 15.5.1992. V gl. Gesetz über die Neuorganisation der Schulaufsicht und die Errichtung eines Landesschulamtes in Berlin v. 26.1.1995, in: GVBl. S. 26. V gl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Presseinformation v. 10.11.1994; Presseinformation v. 12.1.1995; Presseinformation v. 10.5.1995; Rauher Durchschnitt, in: F.A.Z. v. 9.1.1995; Hauptstädtisch, in: F.A.Z. v. 24.1. 1995.

Page 291: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

der Ausbildung von Unterstufenlehrern befaßte Institut für Lehrerbildung in Ost-Berlin wurde aufgelöst; die Pädagogische Fakultät der Humboldt-Univer­sität, an der ebenfalls Grundschullehrer ausgebildet worden waren, wurde ab­gewickelt und anschließend neu gegründet36• Die finanziellen Engpässe an den Hochschulen erforderten weitere strukturelle Veränderungen in der Leh­rerausbildung, insbesondere sollten die Kapazitäten bestimmter Ausbildungs­gänge an jeweils einer der Berliner Universitäten zusammengeführt werden. So wurde z.B. die Ausbildung in sonderpädagogischen Fächern von der Frei­en Universität an die Humboldt-Universität verlagert und mit den dort bereits bestehenden rehabilitationspädagogischen Studienangeboten zusammenge­legt. Mittlerweile bestehen, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung im Fä­cherspektrum, Studiengänge für die Lehrämter an allgemeinbildenden Schu­len an der Freien Universität, der Technischen Universität, der Hochschule der Künste und der Humboldt-Universität. Die gemäß dem Berliner Hoch­schulstrukturplan 1993 vorgesehene Reduzierung des Studienplatzangebotes um 15.000 auf 100.000 Studienplätze bis zum Jahr 2003 wird sich auch auf die Lehramtsstudiengänge auswirken; doppelt vorhandene Studienangebote dürften weiter abgebaut und die Ausbildungskapazitäten von Studienfächern an jeweils einer Universität zusammengeführt werden37 •

4.2.3 Innere Veränderungen im Schulwesen

Die zwischen den beiden deutschen Schulsystemen auch in den inneren Schulverhältnissen existierenden Unterschiede traten durch deren direkte Nachbarschaft in einer Stadt besonders deutlich hervor. Wie in den Schulen der neuen Bundesländer setzte auch in Ost-Berlin im Zuge der Umstellung auf neues Schulrecht, des struktutrellen Umbaus und der didaktisch-metho­dischen Neugestaltung des Unterrichts ein Prozeß innerer Reform ein38• Wo dies nicht bereits vorher der Fall war, galten ab dem Schuljahr 1991192 die auch für West-Berliner Schulen verbindlichen Rahmenpläne und Vorläufigen

36

37

38

Vgl. Hübner 1994, S. 59f.; Wilsdorf 1994, S. 134. Vgl. Wilsdorf 1994, S. 134f.; Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung 1993. Die mit einer inneren Schulreform einhergehenden Veränderungen und die be­sonderen Probleme in den ostdeutschen Schulen - von den veränderten pädagogi­schen und methodisch-didaktischen Grundlagen über die Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrechte für Schüler, Lehrer und Eltern bis hin zum Schüler-Lehrer­Verhältnis - wurden in Kap. 3 für die fünf neuen Bundesländer nachgezeichnet. Das dort Gesagte gilt für die von den Veränderungen betroffenen Schüler, Lehrer und Eltern in Ost-Berlin sinngemäß. Im weiteren sollen daher nur einige Aspekte betrachtet werden, die in Ost-Berlin von der allgemeinen Entwicklung in den neuen Ländern abweichen.

293

Page 292: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Rahmenpläne für Unterricht und Erziehung. Diese sind in Berlin für den überwiegenden Teil der Fächer schulartübergreifend gestaltet39•

Auch die zum Schuljahr 1991/92 erfolgte Einführung des Religionsun­terrichts in Ost-Berlin, ein in den neuen Bundesländern z.T. kontrovers dis­kutiertes Problem, wurde durch die Übertragung des West-Berliner Schulge­setzes geregelt. Für die Berliner Schulen gilt die Bremer Klausel (Art. 141 GG). Dies bedeutet: Religion ist weder Pflichtfach noch ordentliches Lehr­fach. Religionsunterricht ist Sache der Religionsgemeinschaften. Die Religi­onsunterricht erteilenden Lehrkräfte werden von den Kirchen beauftragt. Dies können auch Lehrer allgemeinbildender Schulen sein, die das Fach Religion studiert haben; der erteilte Unterricht wird dann auf ihr Stundendeputat ange­rechnet. Die Schulen haben wöchentlich zwei Unterrichtsstunden für Religi­onsunterricht freizuhalten und die Infrastruktur zur Unterrichtsdurchführung bereitzustellen. Religionsunterricht erhalten Schüler, soweit deren Eltern, oder, bei religionsmündigen Schülern, diese selbst, schriftlich einen diesbe­züglichen Wunsch geäußert haben. Für Schüler, die nicht am Religionsunter­richt teilnehmen, muß kein Ersatzunterricht angeboten werden; die Schulen haben jedoch deren Beaufsichtigung sicherzustellen40• Bereits im Schulgesetz von 1948 waren für die Westsektoren Fragen des Religionsunterrichtes grundsätzlich geregelt. Neben evangelischem und katholischem Religionsun­terricht wird seit 1984 das Fach Lebenskunde angeboten, dies seit 1991 auch an Ost-Berliner Schulen. Für die inhaltliche Gestaltung und Durchführung des Faches Lebenskunde ist der Humanistische Verband Deutschland (HVD) zu­ständig.

In den Ost-Berliner Schulen meldeten sich etwa 30 % der Schüler zum Religionsunterricht an; dies entsprach in etwa der Zugangsquote im Westteil der Stadt. Da es an Ost-Berliner Schulen 1991 keine Lehrkräfte mit dem Fach Religion gab, wurde der Unterricht nahezu ausschließlich von Kirchenmitar­beitern mit pädagogischer Zusatzqualifikation gestaltet41 •

Die katholische wie die evangelische Kirche sind bestrebt, in den Ver­handlungen um einen neuen Staatskirchenvertrag die Verankerung des Reli­gionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfaches zu erreichen. Der besonde­ren Situation der Stadt Berlin, in deren Schulen auch ein hoher Anteil von Schülern nichtchristliehen Glaubens unterrichtet wird, soll dadurch Rechnung getragen werden, daß neben Religion und Lebenskunde ein neues, weltan­schaulich neutrales Fach Ethik/Philosophie als Wahlpflichtfach eingerichtet

39

40

41

294

Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport, 1991: Was wird an­ders in der Schule? Elterninformation. Vgl. §§ 23 u. 24 Schulgesetz für Berlin (SchulG) i.d.F. v. 20.8.1980, zuletzt ge­ändert durch Gesetz v. 20.6.1991, in: GVBL S. 141; Krzyweck 1993b, S. 137; Schmidt, W. 1991, S. 17. Vgl. Reiher 1992b, S. 16.

Page 293: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

wird. Zur Erprobung des Faches Ethik/Philosophie läuft seit dem Schuljahr 1994/95 ein Modellversuch an elf Berliner Schulen42.

Lehrer, Schüler und Eltern hatten bereits durch das Ende September 1990 für die Ost-Berliner Stadtbezirke erlassene Schulverfassungsgesetz erweiterte Mitwirkungsrechte in Schulangelegenheiten erhalten. Auf Ebene der Schulen und Bezirke konnten nun Gruppenvertretungen der Lehrer, Schüler und Eltern gewählt werden. Bei Entscheidungen hinsichtlich der Schulstruktur, die in die Zuständigkeit der Bezirksschulämter fallen, hatte jetzt auch in den östlichen Bezirken Berlins ein aus Vertretern aller drei Gruppen zusammengesetzter Bezirksschulrat ein Anhörungsrecht Eltern und Schüler erhielten die Mög­lichkeit, Vorschläge für die Auswahl des Lernstoffes und die Methodik zu unterbreiten43.

Lehrkräfte aus beiden Teilen Berlins sollten sich über einen Personalaus­tausch wechselseitig Kenntnisse, Methoden und Erfahrungen vermitteln. Auf diesem Wege sollten das Zusammenwachsen der rund vierzig Jahre getrenn­ten Schulwesen gefördert und Vorurteile bei West- wie Ost-Berliner Lehrern und Schülern abgebaut werden. Das hierzu von der Senatsschulverwaltung initiierte Lehreraustausch-Programrn erzielte jedoch nicht die beabsichtigte Wirkung; es kam zu keinem nennenswerten Personalaustausch zwischen den Schulen beider Teile der Stadt44• Im Schuljahr 1991192 nahmen von etwa 32.000 Lehrerinnen und Lehrern an allgemeinbildenden Schulen 325 Lehr­kräfte am Austauschprogramm teil, im Schuljahr 1992/93 rund 180 Personen. Von den Lehrkräften, die bereit waren, für eine begrenzte Zeit an eine Schule in der jeweils anderen Stadthälfte zu wechseln, stammten ca. zwei Drittel aus Ost- und ein Drittel aus West-Berlin45 .

42

43

44

45

Vgl. Gerangel um ein Lehrfach, in: Rheinischer Merkur. Nr. 10/1995. Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport, o.J. (1991): Die Veränderung der Schulstruktur und die Möglichkeiten der Beteiligung. Schulinfo Nr. 9. Die Gründe sind zum einen im Fehlen entsprechender Regelungskompetenzen auf Ebene der Senatsverwaltung zu sehen; die Bezirke waren in Personalfragen bis zu der Anfang 1995 erfolgten Einrichtung des Landesschulamtes weitgehend autonom. Zum anderen dürften auch länger wirkende mentale Barrieren die ge­ringe Bereitschaft zum Wechsel von West- nach Ost-Berlin und umgekehrt be­einflußt haben. Ein drittes Problem bestand in der Notwendigkeit einer metho­disch-didaktischen Weiterbildung für viele der Ost-Berliner Lehrkräfte, die einen schnellen Wechsel an West-Berliner Schulen mit Lehrkräftebedarf zunächst ver­hinderte; im weiteren zum Lehreraustausch vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Neufassung der Presseerklärung zur Senatsvorlage Nr. 1664, TOP 32 v. 28.4.1992; Einige unglaubliche Aktivisten fahren quer durch Berlin, in: DLZ. Nr. 811994. Die genannten Zahlen stellen offizielle Angaben der Senatsschulverwaltung dar; vgl. Lehrer verlängern Ost-West-Austausch, in: DLZ. Nr. 4611992; Einige un­glaubliche Aktivisten fahren quer durch Berlin, in: DLZ. Nr. 8/1994. Nach Re­cherchen des Verfassers der letztgenannten Quelle lagen die tatsächlichen Aus­tauschzahlenjedoch noch weit unter den offiziellen Angaben; vgl. a.a.O.

295

Page 294: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Anfang 1991 begann ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm für Lehrkräfte; sie sollten insbesondere auf die Veränderungen vorbereitet wer­den, die die strukturelle Neugestaltung des Ost-Berliner Schulwesens mit sich brachte. Im Mittelpunkt der Kurse standen Aspekte des Umganges mit Rah­menplänen, die Anforderungen der unterschiedlichen Schularten in der Se­kundarstufe, didaktische und methodische sowie fach- und schulartübergrei­fende pädagogische Fragestellungen46. Zusätzlich wurde Weiterbildung mit dem Ziel der Höherqualifizierung angeboten. Es gab Ergänzungsstudiengänge für Unterstufenlehrer, die sich auf den Unterricht in den Klassenstufen 5 und 6 vorbereiten wollten. Diplomlehrer, denen die Lehrberechtigung in einem zweiten Unterrichtsfach fehlte, konnten diese in einem zweijährigen Ergän­zungsstudium erwerben47 • Aufgrund des in West-Berlin bestehenden Lehrer­bedarfs zielte die berufsbegleitend angebotene Weiterbildung darauf, Ost­Berliner Lehrkräften eine Tätigkeit an Schulen in allen Bezirken Berlins zu ermöglichen. Gleichzeitig sollten auch die zwischen West- und Ostberliner Lehrern bestehenden status- und besoldungsrechtlichen Ungleichheiten durch nachträ~liches Ablegen der Staatsprüfungen Zug um Zug abgebaut werden können 8•

4.3 Anpassungsprozesse in der beruflichen Bildung

Die Veränderungsprozesse im beruflichen Bildungswesen Ost-Berlins waren in ihrem Verlauf weitgehend identisch mit denen der neuen Bundesländer. Die Übergangsprobleme betrafen die neuen Länder und Ost-Berlin in gleicher Weise49• Auch in Ost-Berlin führten die ökonomischen Transformationspro­zesse zu erheblichen Problemen bei der Bereitstellung einer ausreichenden Zahl betrieblicher Ausbildungsplätze. Die östlichen Bezirke der Stadt waren vom Abbau industrieller Produktionskapazitäten in gleicher Weise betroffen wie die ostdeutschen Länder. Für Lehrstellensuchende aus Ost-Berlin, aber auch für jene aus den brandenburgischen Umlandregionen, bot sich als nahe­liegende Ausweichmöglichkeit der West-Berliner Lehrstellenmarkt an. Der Westteil Berlins war indes aufgrund seiner besonderen Lage bis 1990 nicht darauf eingestellt, Dienstleistungsfunktionen im Ausbildungsbereich auch für ein Umland zu übernehmen. Trotz der seit 1986 abnehmenden Zahl abge­schlossener Berufsausbildungsverträge, einer Folge rückläufiger Schülerzah-

46

47

48

49

296

Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Pressemitteilung v. 16.1.1992. Vgl. Landespressedienst Berlin: Pressemitteilung v. 12.4.1991, S. 2f. V gl. Fest 1992. Zur Lehrerweiterbildung seit der Vereinigung allgemein vgl. Fest (Hrsg.) 1996. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich daher auf die berlin-spezifi­schen Prozesse; zu den neuen Bundesländern vgl. Kap. 3.4.

Page 295: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

len, bot der West-Berliner Ausbildungsstellenmarkt für Lehrstellensuchende aus Ost-Berlin und Brandenburg nur eine geringe Entlastung50• Seit 1991 entwickelte sich die Lage auf dem Lehrstellenmarkt für Gesamt-Berlin ähn­lich ungünstig wie in den fünf neuen Ländern51 . Trotz der erheblichen, durch Bund und Land bereitgestellten Fördermittel52 ist es Politik, Wirtschaft und Verwaltung auch in Berlin bislang in keinem Ausbildungsjahr gelungen, das Lehrstellenangebot an die Zahl der Lehrstellenbewerber auch nur annähernd anzugleichen. Ein Vergleich Ost-Berlins mit den neuen Ländern zeigt aber, daß die Zahl der Lehrstellenbewerber, die eine betriebliche Lehrstelle finden konnten, leicht über dem Durchschnitt der neuen Länder lag. Gleiches galt für den Anteil der Lehrstellenbewerber, die sich für den - weiteren - Besuch einer Schule oder die Aufnahme einer vollzeitschulischen Berufsausbildung ent­schieden. Im Vergleich zu den ostdeutschen Ländern bestand im Raum Berlin ein geringerer Bedarf an Plätzen in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten 53.

Insgesamt entwickelte sich die Situation in Ost-Berlin etwas günstiger als z.B. in den ländlichen Regionen der großen Flächenländer. Dies resultiert zum ei­nen aus der im Vergleich zu den ostdeutschen Ländern besseren ökonorni-

50

51

52

53

Die Verteilung der Lehrstellenbewerber auf die Betriebe bereits im Frühjahr 1990 - eine Folge der noch funktionierenden zentralen Planung und Lenkung im Berufsbildungsbereich - hatte bewirkt, daß die meisten ostdeutschen Schulab­gänger eine Lehrstelle in DDR-Betrieben erhalten konnten. Ende 1990 lag daher der Anteil der aus Ost-Berlin und Brandenburg stammenden Lehrlinge, die eine Berufsausbildung in West-Berlin absolvierten, noch unter 7 % aller Auszubil­denden.; vgl. Schulz-Rofen 1992, S. 294f. Vgl. Schulz-Rofen 1992, S. 298. Die Verlängerung der Berufsausbildung von zwei auf durchschnittlich drei Jahre verknappte die verfügbaren Ausbildungs­plätze in Ost-Berlin und dem Brandenburger Umland zusätzlich und führte zu weiterem Zugangsdruck auf dem West-Berliner Lehrstellenmarkt Zur Bewälti­gung der aufkommenden Probleme beschloß der Berliner Senat im Februar 1991, eine 'Sonderkommission Ausbildungsplatzsituation' einzusetzen, die die Bemü­hungen der Wirtschaft, der Verbände und der öffentlichen Verwaltung zur Schaffung einer ausreichenden Zahl von Ausbildungsmöglichkeiten koordinieren sollte; vgl. a.a.O., S. 297f. Vgl. Bundesministerium für Bildung UJ?:d Wissenschaft (Rrsg.) 1993, S. 222ff. Der Berufsbildungsbericht bietet eine Ubersicht über die diversen Programme betrieblicher, individueller und institutioneller Förderung beruflicher Ausbil­dung. Als nachteilig erwies sich, daß ein Teil der besonderen Fördermittel des Bundes nur für die Verwendung im Beitrittsgebiet ausgewiesen war, nicht jedoch für West-Berlin, das von den Wirkungen des Beitritts nicht nur im Bereich be­ruflicher Bildung stärker betroffen war als andere Regionen; vgl. Schulz-Rofen 1992, s. 300f. Die Aussagen gelten für das Jahr 1992; vgl. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (Rrsg.) 1993, S. 11. Eine ähnliche Situation kennzeichnete auch die Jahre 1993 und 1994; vgl. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (Rrsg.) 1994, S. 33; Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Rrsg.) 1995b, S. 19. Dies lag u.a. an der mit Nachdruck geför­derten Erhöhung des Ausbildungsplatzangebotes in West-Berliner Betrieben und in der öffentlichen Verwaltung; vgl. Schulz-Rofen 1992, S. 300.

297

Page 296: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

sehen Lage Gesamt-Berlins, zum anderen aus einem größeren Angebot an Lehrstellen im Dienstleistungssektor, die eher auf zukunftssichere Berufe vorbereiten als z.B. die Landwirtschaft. Das große Angebot allgemein- und berufsbildender Schulen bot potentiellen Lehrstellenbewerbern Alternativen zur Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung und konnte so den Lehrstel­lenmarkt entlasten54•

Mit dem zum 1. August 1991 in Ost-Berlin in Kraft gesetzten West­Berliner Schulgesetz wurde die in West-Berlin vorhandene Struktur berufs­bildender Einrichtungen auf die östlichen Stadtbezirke übertragen. Somit wa­ren neben den Teilzeit-Berufsschulen Fachoberschulen, Fachschulen, Berufs­fachschulen sowie der Bildungsgang des Berufsgrundbildungsjahres einzu­richten (§§ 36-41 SchulG). Neben diesen Schulformen und Bildungsgängen, die inzwischen in allen Bundesländern existieren, weist das berufliche Bil­dungswesen Berlins einige Besonderheiten auf, die mittlerweile auch in Ost­Berlin zu finden sind. So existiert für Schüler, die nach neunjährigem Schul­besuch nicht in die Klassenstufe 10 versetzt werden, als Alternative zum zehnten Pflichtschuljahr die Möglichkeit, an einem berufsbefähigenden Lehr­gang, 'BB 10' genannt, teilzunehmen. Der Ausbildungsgang entspricht in­haltlich und strukturell dem in anderen Bundesländern vorzufindenden Be­rufsvorbereitungsjahr. Absolventen einer Fachschule, die darüber hinaus den Realschulabschluß oder einen vergleichbaren Bildungsabschluß nachweisen, können in einem halbjährigen besonderen Lehrgang die Fachhochschulreife erwerben. Bei anschließender Aufnahme eines Fachhochschulstudiums kann die Fachschulausbildung im Umfang von bis zu zwei Semestern angerechnet werden(§ 47 SchulG).

Berufsbildende Schulen sind in West-Berlin weitgehend in die Oberstu­fenzentren (OSZ) integriert. Berufsschulen, Berufsfachschulen und Fachober­schulen sind hier berufsfeldbezogen zusammengefaßt; die berufsbefähigenden Lehrgänge BB 10 werden überwiegend in den OSZ durchgeführt. In einigen OSZ finden sich darüber hinaus gymnasiale Oberstufen mit beruflicher Ori­entierung, die parallel zu den gymnasialen Oberstufen der Gymnasien und Gesamtschulen bestehen. In den gymnasialen Oberstufen mit beruflicher Ori­entierung, die zur allgemeinen Hochschulreife führen, werden neben allge­meinbildenden berufstheoretische und berufspraktische Kenntnisse vermittelt. Dieser Bildungsgang, der dem des beruflichen Gymnasiums oder Fachgym­nasiums vergleichbar ist, kann in den Berufsfeldern Wirtschaft und Verwal­tung, Metalltechnik, Elektrotechnik, Chemie, Physik und Biologie sowie Er­nährung und Hauswirtschaft absolviert werden. Die Konzeption wird in einem

54

298

Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994, S. 155ff. Ost-Berlin erhielt in den Jahren 1993 und 1994 den jeweils geringsten Anteil an Fördermitteln aus der Gemeinschaftsinitiative Ost (1994: 8 %, zum Vergleich: MV: 21 %); vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, For­schung und Technologie (Hrsg.), 1995b, S. 92.

Page 297: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

OSZ-Ergänzungsprogramm Schritt für Schritt auf die östlichen Bezirke Ber­lins übertragen; vorgesehen ist die Einrichtung von insgesamt 16 Oberstufen­zentren55. Bis zur vollständigen Umsetzung dieses Programms sind die Ost­Berliner Berufsschulen den in West-Berlin existierenden OSZ als 'Filialen' angegliedert. Die Filialen konnten und können so die technische und appara­tive Ausstattung der West-Berliner OSZ nutzen. Von dieser Maßnahme er­hofft sich die Senatsschulverwaltung eine Ausbildung von möglichst gleicher Qualität in beiden Teilen der Stadt. Mit dem nach und nach erfolgenden Auf­bau der Oberstufenzentren in Ost-Berlin sollen diese dann einen selbständi­gen Lehr- und Ausbildungsbetrieb aufnehmen56.

4.4 Die Zusammenführung des Hochschul- und Forschungssektors

Die Zusammenführung des Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungssek­tors in Berlin stellte für die beteiligten Akteure eine besondere Herausforde­rung dar. West-Berlin war eine über vier Jahrzehnte hinweg im Hochschul-, Wissenschafts- und Kulturbereich hochsubventionierte Stadt, deren Hoch­schulen eine durchschnittlich etwa doppelt so hohe Studentenzahl ausbilde­ten, als es im Vergleich mit den westdeutschen Ländern ihrer Einwohnerzahl entsprach. Auch Ost-Berlin nahm als Hauptstadt der DDR eine Sonderstel­lung ein. Die Konzentration von Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Ostteil der Stadt hatte nicht zuletzt dazu gedient, die Hauptstadtfunktion Ost-Berlins zu unterstreichen. Mit der Humboldt-Universität befand sich hier die mit Abstand größte Hochschule der DDR, an der 1989 rund 900 Profes­sorinnen und Professoren und ca. 4.000 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt waren. Mit acht weiteren Hochschulen konzen­trierte sich in Ost-Berlin ein beachtlicher Anteil der akademischen Ausbil­dungskapazität der DDR. Bei einem Bevölkerungsanteil Ost-Berlins von rund 8% an der Gesamtbevölkerung der DDR stellten die Hochschulen etwa 16% aller Studienplätze. Auch Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen waren in großer Zahl in Ost-Berlin angesiedelt, so u.a. große Teile der AdW, die APW, die AdL und die Bauakademie. Zusammengenommen verfügte Berlin nach der Vereinigung über Ausbildungs- und Forschungskapazitäten, die

55

56

Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport (Hrsg.) 1993, S. 2f., s. 19ff. Vgl. Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport: Pressemitteilung v. 16.1.1992; Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport (Hrsg.) 1993, s. 1.

299

Page 298: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

nicht nur über den Bedarf, sondern auch über die wirtschaftlichen Möglich­keiten des Stadtstaates weit hinausgingen57•

Die Einführung neuer Rechtsgrundlagen erfolgte in Ost-Berlin schneller als in den neuen Ländern. Das Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28./29. September 199058 übertrug den Ost-Berliner Hoch­schuleinrichtungen einen den West-Berliner Hochschulen vergleichbaren Rechtsstatus; dieser bezog sich zunächst auf die Neuordnung innerer Hoch­schulangelegenheiten wie die Zusarnrnensetzung von Gremien, deren Wahl usw.59 Das Berliner Hochschulgesetz vom 12. Oktober 1990 (BerlHG)60

führte als staatliche Hochschulen ausschließlich die in West-Berlin gelegenen Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen auf(§ 1 Abs. 2 BerlHG). Es war bis zur Verabschiedung des Hochschulgesetzes nicht mehr gelungen, dem Gang der politischen Entwicklung Rechnung zu tragen; das Hochschulgesetz verwies lediglich auf ein zu erlassendes Ergänzungsgesetz, durch welches die Rechtsverhältnisse der neu hinzugekommenen Hochschulen geregelt werden sollten (§ 1 Abs. 4 BerlHG). Dieses Gesetz zur Ergänzung des Berliner Hochschulgesetzes vom 18. Juli 1991 (ErgGBerlHG)61 bildete die gesetzliche Grundlage für die Neustrukturierung der Ost-Berliner Hochschulen und be­rücksichtigte bereits Empfehlungen des Wissenschaftsrates, u.a. zum Aufbau einer Fachhochschule für Technik und Wirtschaft62. Als staatliche Hochschu­len des Landes Berlin traten gemäß § 1 ErgGBerlHG zu den West-Berliner Hochschulen die Humboldt-Universität (HUB), die Hochschule für Musik "Hanns Eisler", die Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" und die Kunsthochschule Berlin (W eißensee) hinzu. Die Ingenieurhochschule Berlin (Lichtenberg) wurde mit dem Verwaltungsvermögen der ehemaligen Inge­nieurhochschule Wartenberg und der ehemaligen Hochschule für Ökonomie "Bruno Leuschner" zum 1. Oktober 1991 zu einerneuen Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin zusammengeführt (§ 1 Abs. 3 u. § 2 ErgGBerl HG)63• Von den ehemals neun Hochschuleinrichtungen in Ost-Berlin werden

57

58

59

60

61

62

63

300

Vgl. Über Berliner Berufungen und "stabile Strukturen", in: FR v. 26.7.1990; Schwarz 1991, S. 119f. Vgl. Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts v. 28./29.9. 1990, in: GVBI. S. 2119. Zur Problematik dieser schnellen Übertragung HRG-konformen Hochschulrechts auf die Ost-Berliner Hochschulen vgl. Klein/Schramm/Jähne 1993, S. lOOf. V gl. Gesetz über die Hochschulen im Land Berlin (Berliner Hochschulgesetz -BerlHG) v. 12.10.1990, in: GVBI. S. 2165. Vgl. Gesetz zur Ergänzung des Berliner Hochschulgesetzes - ErgGBerlHG v. 18.7.1991, in: GVBI. S. 176. Vgl. § 2 ErgGBerlHG; Wissenschaftsrat (Hrsg.) l992a, Teil li, S. 20ff. Vor Inkrafttrete~. des ErgGBerlHG war bereits ein Beschluß zur Auflösung der Hochschule für Okonomie, der Ingenieurhochschule Wartenberg, der Außenstel­len der Schauspielschule und der Musikhochsc!J,~le sowie von Teilen der Hum­boldt-Universität ergangen; vgl. Hochschule für Okonomie ohne Zukunft, in: Der Tagesspiegel v. 13.12.1990; Presseerklärung des Senators für Wissenschaft und

Page 299: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

somit fünf als staatliche Hochschulen weitergeführt: die HUB, die Fachhoch­schule und die drei Kunsthochschulen. Hinzu kommen nichtstaatliche Ein­richtungen wie die sich in Trägerschaft des Bistums Berlin befindende und seit Oktober 1991 hochschulrechtlich anerkannte Katholische Fachhochschule in Berlin-Karlshorst sowie die Kirchliche Hochschule Berlin, deren Gründung auf einen Vertrag des Landes Berlin mit der Evangelischen Kirche in Berlin­Erandenburg vom 1. Juni 1993 zurückgeht64.

Das in seiner Gültigkeit zum 31. März 1994 befristete Ergänzungsgesetz enthielt neben den Regelungen zur äußeren Neustrukturierung des Ost­Berliner Hochschulwesens umfangreiche Vorschriften zur personellen Er­neuerung. Diese stand auch in Berlin im Mittelpunkt der Diskussionen und des öffentlichen Interesses. Insbesondere die diesbezüglichen Vorgänge an der Humboldt-Universität fanden ein anhaltendes und bundesweites Medie­necho, das wesentlich um die Person des damaligen Rektors der HUB, Hein­rich Fink, kreiste65 . Fink klagte gegen die Beschlüsse des Senats zur Auflö­sung von Fachbereichen der Humboldt-Universität und war damit in zweiter Instanz erfolgreich. Die personelle Erneuerung der Humboldt-Universität konnte nun nicht mehr, wie vom Senat beabsichtigt, schnell und tiefgreifend66

64

65

66

Forschung, Manfred Erhardt, v. 18.6.1992, S. I Off.; Senatsverwaltung für Wis­senschaft und Forschung: Presseerklärung v. 20.1.1993, S. 2. V gl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung: Presseerklärung v. 24.1. 1994, s. 8. Fink wurde vorgeworfen, die personelle und strukturelle Erneuerung der Hum­boldt-Universität zu blockieren. Fink hingegen betonte, lediglich das Recht und die Möglichkeiten der HUB zur Selbsterneuerung 'von innen heraus' gegen rechtswidrige Eingriffe der Senatsverwaltung wahren zu wollen; vgl. Konegen­Grenier 1991, S. 161f.; Einstweiliger Antrag abgelehnt, in: F.A.Z. v. 22.2.1991; Gericht stoppt "Abwicklung" der Humboldt-Universität, in: SZ v. 12.6.1991; "Abwicklung rechtswidrig", in: F.A.Z. v. 12.6.1991. Als noch weitaus medien­wirksamer erwiesen sich die Vorgänge im Zusammenhang mit der fristlosen Entbindung Finks von seinem Amt als Rektor der HUB durch Wissenschaftsse­nator Erhardt am 28.11.1991, nachdem sich die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen De­mokratischen Republik dahingehend geäußert hatte, daß Fink in den Unterlagen des MfS als inoffizieller Mitarbeiter geführt worden wäre. Im anschließenden Rechtsstreit mit dem Wissenschaftssenator unterlag Fink schließlich. Zur Neu­ordnung der HUB unter besonderer Berücksichtigung der Vorgänge um H. Fink vgl. Höppner/Petruschka 1994, die einen - sehr kritisch kommentierten - detail­lierten Uberblick über die Ereignisse der Jahre 1990 bis Ende 1992 an der Hum­boldt-Universität geben. Fink selbst lehrte seit 1993 nicht mehr an der HUB, nachdem durch eine Personalkommission auch dessen fachliche Qualifikation angezweifelt worden war; vgl. Myritz 1993, S. 659. Zur Person und Vita Finks vgl. z.B. Zusammenlegung mit Universität erreicht, in: F.A.Z. v. 18.9.1990. Daß eine tiefgreifende personelle Erneuerung der HUB notwendig gewesen wäre, zeigen seit 1990 vorgelegte Forschungsergebnisse zu den besonders intensiven Beziehungen zwischen MfS, SED und HUB; vgl. z.B. Eckert 1993; Labrenz­Weiss 1994.

301

Page 300: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

durch die Abwicklung ganzer Fachbereiche erfolgen, sondern es waren, so­weit als notwendig erachtet, Einzelfallkündigungen auszusprechen, für die das im Einigungsvertrag vorgegebene Instrumentarium bereitstand.

Eine weitere Möglichkeit, auf personelle Angelegenheiten der Humboldt­Universität einzuwirken, erhielt der Wissenschaftssenator durch das Ergän­zungsgesetz. Nach dem Berliner Hochschulrecht sind an Hochschulen neben Organen wie Senat oder Konzil auch Kuratorien zu bilden, die "besondere zentrale Organe des Zusammenwirkens von Hochschule, Staat und Gesell­schaft" (§ 51 Abs. 2 BerlHG) darstellen. Den Kuratorien stehen relevante Entscheidungsbefugnisse zu, z.B. hinsichtlich der Verwendung zugewiesener Haushaltsmittel und personalstruktureller Fragen (§§ 65 u. 67 BerlHG). § 6 Abs. 1 ErgGBerlHG setzte jedoch für die Dauer von dessen Gültigkeit, somit bis zum 31. März 1994, die Zuständigkeit des Kuratoriums für Personalange­legenheiten (§ 67 Abs. 2 BerlHG) für die Humboldt-Universität außer Kraft.

Die Medienpräsenz der Ereignisse an der Humboldt-Universität verdeck­te zeitweilig, daß es zwischen der strukturellen und personellen Erneuerung der Ost-Berliner Hochschulen und den entsprechenden Prozessen in den neu­en Ländern keine wesentlichen Unterschiede gab67. Die Hochschulen bildeten Kommissionen, die die personelle Überleitung des dort tätigen Personals nach dem Berliner Landesrecht bzw. dem HRG vorzubereiten hatten. Für diese Überleitung galten die Vorgaben des Einigungsvertrages und die landeseige­nen Rechtsvorschriften. Die an den Hochschulen auf Ebene der Fachbereiche eingesetzten Personal- und Strukturkommissionen hatten die fachliche Quali­fikation und die persönliche Integrität der Hochschullehrer und Mitarbeiter einzuschätzen und eine entsprechende positive oder negative Stellungnahme abzugeben (§ 9 ErgGBerlHG). Bei positiver Evaluation konnten sich interes­sierte Wissenschaftler auf die neu ausgeschriebenen Stellen bewerben. Rufe erteilte der Wissenschaftssenator, Hausberufungen waren möglich(§ 9 Abs. 4 ErgGBerlHG)68• Durch diese Form der Überleitung eines Teils der Hoch­schullehrer in HRG-konforme Dienstverhältnisse schuf man in Ost-Berlin, ähnlich wie in den anderen neuen Ländern mit Ausnahme Brandenburgs, 'Professoren neuen Rechts'. Gleichzeitig konnten positiv evaluierte Hoch­schullehrer, die jedoch keinen Lehrstuhl mehr erhalten sollten, als 'Professo­ren alten Rechts' an den Hochschulen verbleiben, sofern keine Bedarfskündi­gung erfolgte. Dies wirkte sich für den betroffenen Personenkreis außer im Status insbesondere in einer Beschneidung der Rechte zur Wahrnehmung akademischer Selbstverwaltungskompetenzen aus. So legte das am 21. Juni

67

68

302

Vgl. Neidhardt 1994, S. 33. Im Detail zur Umwandlung der Humboldt-Universi­tät vgl. Neidhardt 1994. V gl. Weichenstellungen für eine wissenschaftliche Erneuerung, in: Informatio­nen Bildung Wissenschaft. Nr. 11/1991, S. 151f.

Page 301: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

1992 in Kraft getretene Hochschulpersona/übernahmegesetz (HPersÜG)69 als Rechtsgrundlage für die Überführung des an den Hochschulen im Ostteil Berlins beschäftigten wissenschaftlichen Personals u.a. fest, daß Berufungen in Professorenämter nur über reguläre Berufungsverfahren gemäß §§ 100 u. 101 BerlHG zu erfolgen hätten. Bei Berufungsverfahren wurden aus der Gruppe der Hochschullehrer nur die Stimmen derjenigen Professoren gezählt, die selbst bereits nach Landesrecht berufen waren bzw. eine HRG-konforme Professur innehatten (§ 8 Abs. 1 ErgGBerlHG)70• Weiterhin enthielt das HPersÜG Vorschriften zur Übernahme wissenschaftlicher und künstlerischer Mitarbeiter sowie von Lehrkräften für besondere Aufgaben. Bei diesem Per­sonenkreis konnte eine Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis auf An­trag erfolgen, wenn die fachliche Qualifikation und die persönliche Integrität überprüft waren. Sowohl Bevorzugungen als auch Benachteiligungen, die Bewerber aufgrund ihrer politischen Haltung in der DDR erfahren hatten, sollten bei den Übernahmeentscheidungen berücksichtigt werden. Vorrangig galt jedoch der abgeschätzte zukünftige Bedarf als Grundlage für Übernah­meentscheidungen. Da die Zahl der Bewerbungen absehbar über der der vor­handenen Planstellen lag, wurden für die HUB Haushaltsmittel für 150 zeit­lich befristete Überhan9stellen- 25 für Professoren und 125 für Mittelbauan­gehörige - ausgewiesen 1.

Das Ergänzungsgesetz zum Berliner Hochschulgesetz und das Hoch­schulpersonalübernahmegesetz enthielten Vorgaben zur strukturellen und zur personellen Einpassung der Ost-Berliner Hochschulen und ihres Personals in ein Gesamt-Berliner Hochschulwesen. Es galt nun, die Ausbildungsangebote der drei Universitäten (FU, TU, HUB) aufeinander abzustimmen. Der Wis­senschaftsrat hatte, beginnend Ende 1990, Empfehlungen zur Neuordnung des Hochschulwesens und der Studienangebote in Berlin veröffentlicht. Des wei­teren ließ sich die Senatsverwaltung bei der Konzeption eines Hochschu­lentwicklungsplanes, dessen Erarbeitung in der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD vom 23. Januar 1991 festgeschrieben worden war, durch eine im April 1991 berufene Hochschulstrukturkommission unterstützen, die im Dezember 1992 ihre Stellungnahmen und Empfehlungen zur Struktur und

69

70

71

V gl. Gesetz über die Übernahme des wissenschaftlichen und künstlerischen Per­sonals der Hochschulen im Ostteil Berlins in Rechtsverhältnisse nach dem Berli­ner Hochschulgesetz - Hochschulpersonalübemahmegesetz (HPersÜG) v. 11.6. 1992, in: GVBI. S. 191. Vgl. Schramm 1993, S. 91. Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung: . .Presseerklärung v. 20.1.1993, S. 2f.; Klein/Schramm/Jähne 1993, S. 104. Die Uberhangstellen ge­nügten in keiner Weise dem Bedarf. Für die Humboldt-Universität lagen 1992 3.200 Bewerbungen auf 1.252 Mittelbaustellen vor; vgl. Jahnke/Otto 1993, S. 417. Das Angebot an nicht wiederberufene Professoren, auf Mittelbaustellen zu arbeiten, verschärfte die Stellensituation zusätzlich; vgl. Schramm 1993, S. 91.

303

Page 302: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Entwicklung der Berliner Hochschulen72 vorlegte. Der am 24. August 1993 durch den Senat beschlossene Berliner Hochschulstrukturplan73 basiert we­sentlich auf den Vorarbeiten der Hochschulstrukturkommission; er enthält quantitative und qualitative Vorgaben für die Entwicklung der Berliner Hoch­schulen bis zum Jahr 2003.

Infolge des Gesetzes zur Fusion der Fachbereiche Veterinärmedizin, Le­bensmitteltechnologie und Agrarwissenschaft vorn 23. Juni 1992 (FusG)74

wurden bereits vor Verabschiedung des Hochschulstrukturplanes erste Strukturentscheidungen umgesetzt. Das Gesetz folgt Empfehlungen des Wis­senschaftsrates, der vorgeschlagen hatte, diese in Berlin doppelt vorhandenen Fachbereiche zusammenzulegen 75 .

Der Hochschulstrukturplan zeichnet die Vorhaben auf, die im Rahmen der Zusammenführung der Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen bei­der Teile der Stadt verwirklicht werden sollen. Zudem bemühen sich die poli­tischen Akteure, gleichzeitig die- notwendige -Reform der Gesamt-Berliner Hochschul- und Wissenschaftslandschaft zu verwirklichen. Hierfür nennt der Hochschulstrukturplan die strukturellen, personellen und finanziellen Verän­derungen. Als zentrale Zielgröße ist die Reduzierung der Studienplatzzahl um 15.000 auf 100.000 im Jahr 2003 ausgewiesen, die über einen Stufenplan realisiert werden soll. Diese Planung berücksichtigt auch die Hochschulent­wicklung in Brandenburg, insbesondere die der Universität Potsdam, von der eine Entlastung der Berliner Universitäten erhofft wird. Neben einer Reduzie­rung der Überlast, von der die FU am nachhaltigsten betroffen ist, sind der Abschluß der strukturellen und personellen Erneuerung der Ost-Berliner Hochschulen sowie der Ausbau der Fachhochschulkapazitäten als vorrangige Ziele ausgewiesen. Unter Berücksichtigung auch der nichtstaatlichen Einrich­tungen soll sich der Anteil der Fachhochschulen am Studienplatzangebot von 16,4 % im Jahr 1991 auf rund 30 % aller Studienplätze im Jahr 2003 erhö­hen76. Die Studienangebote sollen über die mit dem Fusionsgesetz eingeleite­ten Veränderungen hinaus neu geordnet werden, ebenso die Hochschulmedi­zin, die mit drei großen Universitätsklinika ("Rudolf Virchow", Steglitz und Charite) zwei Zahnkliniken sowie der Veterinärmedizin einen erheblichen Fi-

72

73

74

75

76

304

Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung 1993, S. IX. Die Einrichtung der Hochschulstrukturkommissionen auf Länderebene ging ebenfalls auf eine Empfehlung des Wissenschaftsrates vom November 1990 zurück; vgl. Wissen­schaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil I, S. 13ff. Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung 1993. V gl. Gesetz zur Fusion der Fachbereiche Veterinärmedizin, Lebensmitteltechno­logie und Agrarwissenschaft- Fusionsgesetz (FusG) v. 23.6.1992, in: GVBl. S. 201. Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.) 1992a, Teil II, S. 256ff. (Agrarwissenschaften), S. 292ff. (Lebensmitteltechnologie), S. 307ff. (Veterinärmedizin); Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung 1993, S. 33. Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung 1993, S. 2f.

Page 303: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

nanzbedarf aufweist. Darüber hinaus sieht der Hochschulstrukturplan eine Studienstrukturreform und eine verstärkte Kooperation von universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen vor77•

Schon im Jahr nach der Verabschiedung des Hochschulstrukturplans for­derte der Finanzsenator, innerhalb von zehn Jahren weitere 135 Mio. DM im Hochschulbereich einzusparen, was wesentliche, im Strukturplan festgelegte Strukturveränderungen wieder in Frage stellte. Der Strukturplan hatte bereits Einsparungen in Höhe von über 130 Mio. DM bis zum Jahr 2003 vorgesehen, die wesentlich durch den Studienplatzabbau und eine dadurch als möglich er­achtete Personalreduzierung erreicht werden sollten. Die seit dem Sommer 1994 vorgestellten Lösungsmodelle beziehen sich auf eine Schrumpfung der Hochschulmedizin und eine weitere Reduzierung der an den Hochschulen doppelt oder mehrfach vorhandenen Studiengänge; ihre Zusarnrnenlegung an jeweils einer Universität soll weitere Einsparungen ermöglichen78. Allerdings würde der Abbau mehrfach vorhandener Studienangebote nach Ansicht der Präsidenten der drei Berliner Universitäten zu neuen Problemen führen79.

Nicht zuletzt aufgrund der geplanten erheblichen Haushaltskürzungen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ist es mittelfristig eher unwahrscheinlich, daß die Berliner Hochschulen Planungssicherheit erhalten werden80•

Von den Sonderprograrnrnen, die zur strukturellen und personellen Er­neuerung der Hochschulen beitragen sollten, profitierten auch und gerade die Einrichtungen in Ost-Berlin. Aus Mitteln des HEP konnten Gründungs- und Gastprofessuren für die als erneuerungsbedürftig eingestuften Fachgebiete wie Rechts-, Wirtschafts- und Erziehungswissenschaften für die Humboldt­Universität und die neugegründete FH für Wirtschaft und Technik eingerich­tet werden81 •

77

78

79

80

81

Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung 1993, S. 3ft.; im Detail hierzu vgl. a.a.O., S. 31ff.; Buck-Bechler et al. 1993, S. 43ff., S. 91ff.; Senats­verwaltung für Wissenschaft und Forschung: Presseerklärung v. 25.1.1995, S. 5f. zur Studienstrukturreforrn, S. 6ff. zur Entwicklung der Hochschulmedizin. Vgl. Nur noch zwei Universitätskliniken, in: F.A.Z. v. 23.7.1994; Neue Einspa­rungen an Hochschulen, in: F.A.Z. v. 11.7.1994; Das Gremien-Unwesen erdrückt alles, in: Rheinischer Merkur. Nr. 4/1995; Die Berliner Klinik-Hochzeit, in: F.A.Z. V. 17.7.1996. So würde bei Zusammenführung aller Germanistikstudiengänge an einer Uni­versität eine Fakultät mit 15.000 Studierenden entstehen; vgl. Berliner Hochschu­len wehren sich, in: F.A.Z. v. 27.2.1995. Vgl. Mindt 1996. .. Zu einer allgemeinen Ubersicht über die Entwicklung von Wissenschaft und For­schung in beiden Teilen Berlins für die Jallre 1990-1994 vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung: Presseerklärung v. 24.1.1994; Presseerklärung V. 25.1.1995.

305

Page 304: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

4.5 Die Neuordnung der außeruniversitijren Forschung

Durch die Ansiedlung der Akademien in Ost-Berlin war dieser Standort für die außeruniversitäre Forschung der DDR von außerordentlicher Bedeutung. Daher war die Stadt von der Auflösung der Akademieinstitute besonders be­troffen. Ein auf Art. 38 EV basierendes Konzept zur Neuordnung der For­schungsinstitutionen im Raum Berlin sah die Einrichtung von 16 Instituten bzw. Außenstellen von Instituten und die Eingliederung von 13 Forscher­gruppen in bereits bestehende Forschungseinrichtungen vor. Tatsächlich wur­den zum 1. Januar 1992 17 Forschungsinstitute gegründet und 18 Forscher­gruppen und Teile von Instituten an bestehende Einrichtungen angegliedert. Rund ein Drittel der vom Wissenschaftsrat positiv evaluierten Akademieein­richtungen konnte so erhalten werden und die Wissenschaft im Land Berlin verstärken82. Strukturell sieht das Konzept vor, außeruniversitäre For­schungseinrichtungen an bestimmten Standorten zu konzentrieren. In Berlin­Adlershof sollen sich naturwissenschaftliche Forschungseinrichtungen zu­sammen mit Wirtschaftsunternehmen ansiedeln. Von der beschlossenen Standortverlagerung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fachbereiche der Humboldt-Universität mit etwa 4.000 Studienplätzen nach Adlershof soll zudem eine wechselseitige Bereicherung universitärer und außeruniversitärer Forschung ausgehen. In Berlin-Buch werden medizinische Forschungseinrich­tungen angesiedelt. Kernstück ist das 'Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin' (MDC), eine Großforschungseinrichtung für biologisch-medizini­sche Grundlagenforschung. Das MDC baut auf den ehemaligen biologischen und medizinischen Zentralinstituten der AdW und den diesen angeschlosse­nen Kliniken auf; seine Errichtung geht auf eine Empfehlung des Wissen­schaftsrates zurück83 •

Bei der Umstrukturierung der positiv evaluierten Forschungseinrichtun­gen leistete die KAI84 eine wichtige Unterstützung. Diese Einrichtung hatte ursprünglich dazu gedient, die Abwicklung von Forschungseinrichtungen der AdW zu koordinieren. Ab 1992 traten Aufgaben wie die Durchführung des

82

83

84

306

Hierbei handelt es sich u.a. um eine medizinische Großforschungseinrichtung (MDC), acht Blaue-Liste-Institute, acht Institute und vier Zentren der Max­Planck-Gesellschaft sowie vier Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft; vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung: Presseerklärung v. 20.1. 1993, S. 7.; Presseerklärung v. 25.1.1995, S. 8. V gl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung: Presseerklärung v. 20.1.1993, S. 8.; Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung 1993, S. 83ff.; Molekulare Medizin, in: F.A.Z. v. 14.6.1995. Bis 31.12.1991: Koordinierungs- und Abwicklungsstelle für die Institute und Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften der DDR, vom 1.1.1992 bis zum 31.12.1993: Koordinierungs- und Aufbauinitiative für die Forschung in den neuen Ländern und Berlin e.V.; vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und For­schung: Presseerklärung v. 30.6.1993, S. 8f.

Page 305: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Wissenschaftler-Integrations-Programms (WIP) hinzus5. Das WIP war für Berlin besonders interessant, da über die Hälfte der mit WIP-Mitteln geför­derten Wissenschaftler aus den in Berlin gelegenen Instituten der aufgelösten Akademien kamen. Von den im Jahr 1994 aus Mitteln des WIP geförderten ehemaligen Akademie-Angehörigen waren 542 Personen an Hochschulen des Landes Berlin tätig, dies entsprach einem Anteil von 36 % aller WIP-geför­derten Wissenschaftlers6•

Die besondere Situation Berlins bis 1990 wirkt auch nach der Vereini­gung Deutschlands und Berlins fort. Nach Abschluß der Umstrukturierungs­und Erneuerungsphase verfügt Berlin trotz der auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zurückgehenden erheblichen Reduzierungen im Vergleich zu anderen Bundesländern über eine außerordentlich breite außeruniversitäre Forschungslandschaft In Berlin wurden mehr Institutionen übernommen bzw. neugegründet als in allen anderen neuen Ländern. Dies führt u.a. zu hohen fi­nanziellen Zuweisungen für die Forschungs7.

4.6 Zur Umgestaltung der Weiterbildung in Ost-Berlin

Im Vereinigungsprozeß wurde die Diskussion über ein Weiterbildungsgesetz erneut aufgenommen. Der Senat hatte 1991 angekündigt, in der laufenden Legislaturperiode ein solches Gesetzesvorhaben verwirklichen zu wollen. Ei­ne Kommission, der Vertreter der Senatsschulverwaltung und Mitarbeiter verschiedener staatlicher und nichtstaatlicher Weiterbildungsträger angehör­ten, beriet zwar einen Gesetzentwurfs. Ein hierauf basierender Referenten­entwurf war aber zum Ende der Legislaturperiode im Oktober 1995 nicht

85

86

87

88

Darüber hinaus war die KAI e.V. Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in FuE und von Wissenschaftseinrichtungen. Sie beendete ihre Tätigkeit mit dem 31.12.1993; nicht zu Ende geführte Aufgaben wurden von anderen Trägem über­nommen; vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung: Presseerklä­rung v. 24.1.1994, S. 14. Vgl. Lange 1994, S. 441. Die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung (Presseerklärung v. 25.1.1995) nennt die Zahl von 554 WIP-Geförderten; vgl. a.a.O., S. 8. Das Land Berlin konnte im Jahr 1993 etwa 2,5 Mrd. DM für Forschungszwecke aufwenden, zum überwiegenden Teil Mittel, die, von Bund und Ländern gemein­sam aufgebracht, auf das Land Berlin entfielen. Dies entsprach etwa 709 DM pro Kopf der Bevölkerung (zum Vergleich: Mecklenburg-Vorpommem: 33 DM; Sachsen: 71 DM); vgl. Berlin vergibt mehr Forschungsmittel als alle anderen Bundesländer, in: F.A.Z. v. 4.6.1994. Vgl. Krug 1994, S. 14f.; Londner-Kujath 1994, S. 38f.; Rohlmann 1992, S. 71.

307

Page 306: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

mehr parlamentarisch beraten worden89• Berlin verfügte somit auch Mitte der neunziger Jahre noch nicht über ein Weiterbildungsgesetz. Verstreute Rechts­grundlagen zur Weiterbildung finden sich u.a. im Schulgesetz, im Bildungsur­laubsgesetz, in diversen Verordnungen und in Bundesgesetzen wie dem BBiG und dem AFG90.

1989 bestanden in Ost-Berlin elf Volkshochschulen. Diese wurden mit dem 3. Oktober 1990 in die Rechtszuständigkeit der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport überführt und damit rechtlich, strukturell und finanziell den West-Berliner Volkshochschulen gleichgestellt. Planungen zur Verbesserung der personellen, finanziellen und sächlichen Ausstattung der Volkshochschulen im Westteil der Stadt, bei denen sich nach einem Ver­gleich mit Weiterbildungseinrichtungen großer westdeutscher Städte ein er­heblicher Nachholbedarf gezeigt hatte, waren infolge der politischen Entwick­lung des Jahres 1990 obsolet geworden. Nach der Vereinigung West- und Ost-Berlins galt es, die Volkshochschulen der Ost-Berliner Bezirke vorrangig in die geplanten Strukturmaßnahmen einzubeziehen. Die in Ost-Berlin gele­genen Einrichtungen verfügten aufgrund ihrer auf die Vermittlung formaler Qualifikationen und Bildungsabschlüsse ausgerichteten Struktur über eine relativ große Zahl festangestellter Lehrkräfte. Hingegen war die Ausstattung mit Verwaltungspersonal sowie mit technischen und finanziellen Mitteln un­zureichend. Seit 1991 konnte die räumliche und sächliche Ausstattung der Volkshochschulen in Ost-Berlin verbessert werden. Die Angebotsstruktur der Volkshochschulen in den östlichen Bezirken der Stadt näherte sich denen der West-Berliner Einrichtungen an; ihre inhaltliche Orientierung auf schulische Angebote wurde weitgehend abgebaut. Die Stellen der etwa 200 Lehrkräfte konnten erhalten werden; die Ausbildungsprogramme des zweiten Bildungs­weges wurden an drei der elf Volkshochschulen zusarnrnengeführt91 • Nach Gründung einer Volkshochschule im Bezirk Hellersdorf verfügt jeder Bezirk Berlins über eine eigene Einrichtung.

Auch im Bereich der beruflichen Weiterbildung gab es im Zuge der poli­tischen und ökonomischen Transformationsprozesse erhebliche Veränderun­gen. Der Abbau industrieller Produktionskapazitäten und die damit einherge­hende Auflösung der vor Ort vorhandenen Trägerstrukturen beruflicher Wei­terbildung wirkten sich in Berlin vergleichbar negativ aus wie in den neuen Ländern. In der beruflichen Weiterbildung, die auch in Ost-Berlin seit 1991 wesentlich durch AFG-Maßnahmen und ein landeseigenes 'Arbeitsmarktpo­litisches Rahmenprograrnrn' geprägt war, erhöhte sich die Zahl der Anbieter stark. Die Zahl der Weiterbildungsträger, die AFG-geförderte Bildungsmaß-

89

90

91

308

Fernmündliche Auskunft der Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport des Landes Berlin an den Verfasser v. 31.5.1995; vgl. Diekmann 1994, S. 40. Vgl. Diekmann 1994, S. 40. Vgl. Londner-Kujath 1994, S. 35f.; Plesser-Löper 1991, S. 14f.

Page 307: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

nahmen anboten, wurde für das Jahr 1992 auf 600 bis 800 geschätzt. Hin­sichtlich des Bemühens, aus der großen Zahl der Anbieter die seriöseren her­auszufiltern, unterschieden sich die Probleme Berlins ebenfalls nicht von de­nen der anderen neuen Länder. Auch in Ost-Berlin trat 1993 ein erheblicher Rückgang der AFG-geförderten Weiterbildung ein.

Die in West-Berlin relativ große Zahl nichtstaatlicher Weiterbildungsträ­ger übertrug ihr Angebot auf die Ost-Berliner Bezirke. Dies ermöglichte der dortigen Bevölkerung, ein Bildungsangebot wahrzunehmen, das über die be­rufsqualifizierenden Maßnahmen hinaus auch die 'klassischen' Inhaltsberei­che einer pluralen Weiterbildungslandschaft aufwies. Während sich dieses breite Angebot in den neuen Ländern nur langsam entwickelt, war es den Menschen in Ost-Berlin und im brandenburgischen Umland schon bald nach Öffnung der Mauer möglich, Weiterbildungsangebote in der ganzen Band­breite der Träger wahrzunehmen - von den parteinahen Stiftungen über die arbeitgeber- und arbeitnehmerbezogenen Institutionen bis hin zur Jüdischen Volkshochschule92•

92 Vgl. Faulstich 1993, S. 92ff.

309

Page 308: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

5. Fazit und Ausblick

"Das Bildungswesen der DDR scheint in nennenswer­tem Maße für den internen Legitimationsverlust mitver­antwortlich zu sein, der das gesamte politische und ge­sellschaftliche System der DDR betroffen hat. Denn der Modemisierungsvorsprung, den das Bildungs- und Schulwesen einmal beanspruchen konnte, hat sich ge­genüber der Bundesrepublik auf die Dauer ins Gegenteil verkehrt. Er war in der DDR mit Mitteln bewerkstelligt worden, die langfristig die Weiterentwicklung ihres Bil­dungssystems behindern mußten. Die Abkehr von die­sem System, die sich nach 1990 in den neuen Bundes­ländern vollzog, hatte sich im Schoße der DDR schon lange vorbereitet"1•

Seit der Vereinigung beider deutscher Staaten haben sich Bildung und Wis­senschaft in den ostdeutschen Ländern grundlegend gewandelt. Die Abkehr von dem einheitlichen sozialistischen Bildungssystem vollzog sich seit der 'Wende' des Herbstes 1989 gleichsam im Zeitraffertempo. Nur noch wenig erinnert heute an dieses Bildungs- und Wissenschaftssystem, das bis 1989 ei­ne der stets als vorbildlich und wegweisend auch für andere Staaten heraus­gehobenen Errungenschaften der DDR war. Wissenschaft und Forschung wurden ebenso tiefgreifend umgestaltet wie das allgemeinbildende Schulwe­sen oder die berufliche Bildung. Die Erneuerung entsprach dem Willen des größten Teils der beteiligten Akteure, die den Zusammenbruch des SED-Re­gimes bewirkten. Schon bis zur Vereinigung hatte sich das Bildungs- und Wissenschaftssystem der DDR nachhaltig gewandelt. Veränderungen erfolg­ten bis zum Oktober 1990 überwiegend im rechtlichen und inhaltlichen Be­reich sowie in den inneren Verhältnissen; ein Teil der Neuerungen wurde da­durch erst auf den zweiten Blick sichtbar. Der Umbau des strukturellen Gefü­ges von Bildung, Wissenschaft und Forschung schien in dieser Phase zweit­rangig. Von zentraler Bedeutung war in den Jahren 1989 und 1990 die Ent­fernung der ideologischen Elemente, die das Bildungssystem über vierzig Jahre lang geprägt hatten und für eine Vielzahl von Deformationen und De­fiziten verantwortlich waren. Nachdem dies bis zur Vereinigung bereits weit­gehend gelungen war, erfolgte seit Ende 1990 der rechtlich-organisatorische, strukturelle und inhaltliche Neuaufbau von Bildung und Wissenschaft. Die Transformation des Bildungs- und Wissenschaftssystems der DDR vollzog

Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung 1994, s. 68.

311

Page 309: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

sich im Spannungsfeld von Wandel und Kontinuität, wobei sich Kontinuität insbesondere in personeller, aber auch in struktureller Hinsicht manifestierte. Es ist aber nicht zu übersehen, daß dem Element des Wandels eine weitaus größere Bedeutung zukam. Hinsichtlich der personellen Veränderungen ist allerdings eher von Abbau als von Erneuerung zu sprechen. Selbst im Hoch­schulwesen, das heute, verglichen mit den anderen Bereichen des Bildungs­wesens, den größten aus Westdeutschland stammenden Personalanteil auf­weist, erfolgten Entlassungen auf allen Ebenen vorrangig aufgrund mangeln­den Bedarfs. Eine Ausnahme bildeten allenfalls die unmittelbar der ideologi­schen Legitimation sozialistischer Herrschaft dienenden Fachgebiete, die vollständig aufgelöst wurden.

Der Transformationsprozeß stand unter großem Kosten- und Zeitdruck. Die grundlegenden Umbrüche vollzogen sich nahezu gleichzeitig in allen re­levanten politischen, rechtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Berei­chen. Experimente bei der Neugestaltung von Bildung, Wissenschaft und Forschung waren aus diesen Gründen kaum möglich. Es bedurfte daher keiner großen Überzeugungskraft, um die insbesondere in der Transformationsphase von 1990 bis 1992 häufig zu hörende Formel von der 'Einpassung des DDR­Bildungs- und Wissenschaftssystems in die bewährten westdeutschen Struktu­ren' zur verbindlichen und weitgehend akzeptierten Leitlinie für den Umbau werden zu lassen. Daß dieser Umbau bei 'laufendem Betrieb' durchgeführt werden mußte, sprach ebenfalls eher für eine Anpassung an die in West­deutschland vorhandenen Strukturen. Es gab es keine 'Stunde Null', und ebenso fehlten die Voraussetzungen für ein Moratorium, während dessen sich die Akteure auf eine Umgestaltung hätten verständigen können, die die Miß­stände in Ostdeutschland behob und deren Ergebnis gleichzeitig dem in vielen Bereichen reformbedürftigen westdeutschen Bildungssystem als Vorbild hätte dienen können. Der Neuaufbau des Bildungs- und Wissenschaftssystems in den neuen Ländern wurde nachhaltig durch westdeutsche Akteure und Insti­tutionen beeinflußt. Im Schulwesen war westdeutsches Recht in vielen Fällen Vorbild bei der Erarbeitung der Reformgesetze. In der beruflichen Bildung galten die westdeutschen Rechtsvorschriften nahezu vollständig bereits vor der Vereinigung, und hinsichtlich der Hochschulen machte der Einigungsver­trag eindeutige Vorgaben zur Anpassung des ostdeutschen Hochschurreform­rechts an die Vorschriften des Hochschulrahmengesetzes. In den Bildungs­und Wissenschaftsverwaltungen spielten westdeutsche 'Leihbeamte' eine dominierende Rolle; und die wohlorganisierten Interessenverbände taten ein übriges, um die aus ihrer Sicht vorteilhaften westdeutschen Strukturen auch in den ostdeutschen Ländern durchzusetzen2. Trotz aller Einflußnahme durch

312

Mayntz zeichnet die beschriebene Entwicklung beispielhaft für das Hochschul­wesen nach; vgl. Mayntz (Hrsg.) 1994, S. 287ff. Wie insbesondere in Kap. 3 ge­zeigt, trifft die Grundaussage Mayntz', der Umbau sei weitgehend durch "Inter-

Page 310: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

die westdeutschen Akteure ist aber nicht zu übersehen, daß die maßgeblichen Wirkungen im bildungspolitischen Transformationsprozeß seit Ende 1990 von den ostdeutschen Ländern ausgingen.

Ein herausragendes Merkmal des Transformationsprozesses ist der weit­gehende institutionelle Umbau, der im allgemein- und berufsbildenden Schulwesen, im Hochschulwesen und in der Erwachsenenbildung besonders deutlich hervortritt. Nicht in jedem Falle wäre eine vollständige Umgestaltung vorhandener Strukturen erforderlich gewesen, um Modernisierungsrückstände zu beseitigen. Vieles resultierte aus den Rahmenbedingungen, den Ak­teurskonstellationen in spezifischen Entscheidungssituationen und der meist unterlegenen Verhandlungsposition der ostdeutschen Akteure. Einerseits nutzten die westdeutschen politischen und korporativen Akteure das ihnen zur Verfügung stehende Einflußpotential, um Anpassungsdruck auszuüben. An­dererseits hatten Elemente des häufig als Modell angepriesenen westdeut­schen Bildungs- und Wissenschaftssystems für viele der ostdeutschen Planer und Entscheidungsträger durchaus eine Vorbildfunktion. Hinzu kam, daß Be­standteile des DDR-Bildungssystems, deren Etablierung in den alten Ländern z.B. im Vorschulbereich angestrebt wird, aufgrund der angespannten Baus­haltslage nicht im bisherigen Umfang aufrecht zu erhalten waren. Schließlich war nahezu das gesamte Bildungssystem durch dessen ideologische Über­schichtung diskreditiert; und im Zuge der Umgestaltung wurden auch Bil­dungssystemelemente abgewickelt, deren Erhaltung zu einer Bereicherung der gesamtdeutschen Bildungslandschaft hätte beitragen können wie z.B. die Be­rufsausbildung mit Abitur. Dennoch gelang es den mit der Neugestaltung von Bildung und Wissenschaft in den ostdeutschen Ländern befaßten Akteuren trotz der vielfach ungünstigen Transformationsbedingungen, Elemente zu in­stallieren, die durchaus ein innovatives Potential für das westdeutsche Bil­dungssystem bergen. Manches wird erst bei genauerer Betrachtung sichtbar. Die Möglichkeit zur Promotion für besonders qualifizierte Fachhochschulab­solventen sei statt vieler hier nochmals exemplarisch herausgehoben.

Vollzieht man die Rahmenbedingungen nach, unter denen der Transfor­mationsprozeß von Bildung, Wissenschaft und Forschung in den ostdeutschen Ländern ablief, so kann trotz aller Kritik im Detail doch von akzeptablen Er­gebnissen gesprochen werden. Mit Ausnahme des beruflichen Bildungswe­sens sind in verhältnismäßig kurzer Zeit Strukturen entstanden, die so gut -oder so schlecht - funktionieren wie ihr westdeutsches Pendant. Die Ursachen der überaus schwerwiegenden Probleme, denen die berufliche Bildung im dualen System noch auf absehbare Zeit ausgesetzt sein wird, sind überwie­gend in strukturellen Defiziten des Wirtschaftssystems zu sehen, auf die das Bildungssystem kaum Einfluß nehmen kann. Nicht übersehen werden darf,

vention von außen" (a.a.O., S. 287) gesteuert worden, auch für die anderen Be­reiche des Bildungs- und Wissenschaftssystems zu.

313

Page 311: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

daß die innere Reform von Bildung und Wissenschaft eines erheblich länge­ren Zeitansatzes bedarf als deren strukturelle Neugestaltung.

Nachdem der Umbau des DDR-Bildungs- und Wissenschaftssystems in rechtlicher, organisatorischer, struktureller, personeller und inhaltlicher Hin­sicht weitgehend abgeschlossen ist, stehen die ostdeutschen Länder vor weite­ren Herausforderungen. Der Hinweis auf Defizite im beruflichen Bildungswe­sen lenkt die Aufmerksamkeit auf verbliebene oder im bisherigen Verlauf des Transformationsprozesses neu aufgetretene Probleme, auf die abschließend der Blick gerichtet werden soll. Zugleich sind diejenigen Projekte anzuspre­chen, deren Verwirklichung relevanten Akteuren in den kommenden Jahren als vorrangig gilt.

Die Bildungs- und Wissenschaftssysteme aller neuen Länder sind mit strukturellen Problemen konfrontiert, die teilweise schon kurzfristig der Lö­sung bedürfen. Das größte Problem ist der seit 1990 zu beobachtende drama­tische Geburtenrückgang. Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse und die aus diesen resultierende problematische sozio-ökonomische Situation in Ostdeutschland gelten als Gründe für den Geburtenrückgang. Gleichzeitig führt die Angleichung der Lebensverhältnisse auch zu einer Angleichung der Lebensstile der in den neuen Ländern lebenden Menschen an die der alten Länder. Dies bedeutet, daß die Entscheidung, Kinder zu haben, in einer späte­ren Lebensphase getroffen wird, als dies in der DDR der Fall war. Zudem wandern nach wie vor insbesondere jüngere Menschen aus den neuen in die alten Bundesländer ab3.

Der Geburtenrückgang betraf zunächst den Vorschulbereich. Der Rück­gang der Jahrgangsstärken wird in den kommenden Jahren voraussichtlich noch anhalten; er hatte und hat einen massiven Abbau von Kinderbetreu­ungseinrichtungen zur Folge. Mittelfristig ist damit zu rechnen, daß die Ge­burtenziffern zunächst auf einem niedrigen Niveau stagnieren, zum Ende des Jahrzehnts aber wieder ansteigen werden. Dann allerdings könnte die derzeit vorgenommene bedarfsbedingte Rückführung der Betreuungskapazitäten da­zu führen, daß bereits um das Jahr 2000 die dann noch vorhandenen Einrich­tungen nicht mehr ausreichen, um einem wieder ansteigenden Bedarf gerecht zu werden.

Die unsichere demographische Situation wirkt sich erheblich auf die Ar­beit des betreuenden und erziehenden Personals aus, die von Arbeitsplatzun­sicherheit geprägt ist. Da im Vorschulbereich nahezu ausschließlich Frauen beschäftigt sind, erhöhen Entlassungen die in den ostdeutschen Ländern oh­nehin sehr hohe Quote weiblicher Arbeitsloser. Hier deutet sich eine von So­zialwissenschaftlern als Regression gekennzeichnete Tendenz des Transfor­mationsprozesses in den ostdeutschen Ländern an, die in allen Beschäfti-

Vgl. Klemm 1993, S. 71.

314

Page 312: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gungsbereichen erkennbar ist: die Verstärkung sozialer Ungleichheit zwi­schen Frauen und Männern4.

Insbesondere in den bevölkerungsarmen Flächenländern führt der Gebur­tenrückgang zu erheblichen Problemen für die allgemeinbildenden Schulen, was am Beispiel der Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt verdeutlicht werden kann. So schätzt das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, daß infolge des Geburtenrückgangs die Schülerzahlen in den Klassenstufen 7 bis 10 von 149.000 im Schuljahr 1994/95 auf 83.000 im Schuljahr 2004/2005 zurückgehen werden. Für die Jahrtausendwende pro­gnostiziert das MBJS Einschulungszahlen von jährlich etwa 15.000 Schüle­rinnen und Schülern; zum Schuljahr 1994/95 wurden hingegen noch 35.821 Kinder eingeschult. In Sachsen-Anhalt wird mit einem Rückgang der Schü­lerzahlen von derzeit rund 385.000 auf etwa 190.000 Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2008/2009 gerechnet5. Im Jahr 2000 wird im Grund­schulbereich eine Halbierung der Schülerzahl im Vergleich zum Jahr 1990 erwartet. Dies wird zur Schließung kleinerer Schulen und zur Reduzierung der inneren Differenzierung bei 'überlebenden' Schulen führen. Die Schlie­ßungswelle wird die Länder jedoch nicht erst im Jahr 2000 treffen. Trotz Re­duzierung der Mindestgrößen für Klassen und Schulen scheint die Aufgabe von Schulstandorten aufgrund Schülermangels bereits in den kommenden Jahren unvermeidlich6. Zusätzlich wird es zu jahrgangsübergreifendem Un­terricht in Grundschulen kommen. Im Land Brandenburg werden hierzu be­reits Modellversuche durchgeführt. Die Lösung: 'Kleine Schulen statt langer Wege' stieß jedoch sowohl bei Eltern als auch bei Lehrern auf ein geteiltes Echo7. Andererseits bleibt Brandenburg, aber auch den anderen Ländern an­gesichts der zu erwartenden Schülerzahlen kaum eine andere Wahl. Nach Rückgang der Geburtenzahl in Brandenburg von rund 40.000 im Jahr 1989

4

s

7

Vgl. hierzu z.B. Geißler 1993a; Geißler 1993b; Geißler (Hrsg.) 1993. Vgl. MBJS Brandenburg: Pressemitteilung v. 29.9.1993, S. 7f.; MBJS Branden­burg, Ref. IV/43: Schüler an allgemeinbildenden Schulen nach Schulformen, Trägerschaft, Jahrgangsstufen und Geschlecht v. 9.1.1995 (unveröff.); Kultus­ministerium des Landes Sachsen-Anhalt: Stellenentwicklungskonzept des Kul­tusministeriums für die Al~_gemeinbildenden Schulen und Berufsbildenden Schulen gemäß Gesetz zur Anderung des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Nachtragshaushalts-gesetz 1994) § 2 Abs. 2, Unterabs. 2, S. 3. (unveröff. Typoskript). Für die anderen neuen Länder gilt vergleichbares. V gl. Geburtenrückgang gefährdet mittelfristig nicht nur Schulstandorte, in: DLZ. Nr. 38/1992; Sieger/Budde 1994; Ministerium erwartet Rückgang der Schüler­zahlen, in: DLZ. Nr. 4111993; Sachsen-Anhalt: Ende für 93 Sekundarschulen, in: DLZ. Nr. 30/1993; 96 Schulen in Thüringen sollen geschlossen werden, in: DLZ. Nr. 33/1993; Mecklenburg-Vorpommem: Weniger Schüler: Schulstandorte be­droht, in: DLZ. Nr. 7/1994; Kleinere Schulen in Sachsen-Anhalt möglich, in: DLZ. Nr. 19/1994. V gl. Grundschulklassen werden zusammengelegt, in: DLZ. Nr. 17/1994.

315

Page 313: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

auf etwa 13.500 im Jahr 1992 werden an einem knappen Drittel der branden­burgiseben Grundschulen ab dem Jahr 1998 weniger als 15 Kinder pro Jahr­gang eingeschult, was bislang als Untergrenze für die Einrichtung selbständi­ger Klassen gilt. Im November 1995 startete in Brandenburg ein BLK­geförderter Modellversuch an 15 kleinen Grundschulen, die Ende der neunzi­ger Jahre nur noch über 60 bis 90 Schülerinnen und Schüler verfügen werden. Ziel des Schulversuchs ist es, Konzepte zu erproben, nach denen auch Schu­len mit geringer Schülerzahl wohnortnah weitergeführt werden können. Al­lerdings kann der Unterricht nicht mehr in Jahrgangklassen durchgeführt wer­den. Eine ähnliche Konzeption verfolgt der Kultusminister des Landes Sach­sen-Anhalt8. Die Folgen der Geburtenentwicklung bergen neben den geschil­derten Problemen auch die Gefahr, daß die weitgehend überwundenen Stadt­Land-Unterschiede im Bildungszugang wieder auftreten und sich durch die Verlängerung der Schulwege soziale Ungleichheiten ergeben oder verstärken könnten9.

Der seit 1990 in den ostdeutschen Ländern eingetretene Geburtenrück­gang wird zu einem weiter sinkenden Lehrerbedarf führen, dies zunächst im Grundschulbereich. Auf der Basis der Zahl von 182.500 Lehrerinnen und Lehrern in den neuen Ländern und Berlin im Jahr 1992 prognostiziert die BLK, daß der Bedarf bis zum Jahr 2010 je nach Rechnungsvariante auf 149.000 bzw. 126.200 Lehrkräfte sinken wird. Unter der Annahme, daß sich der Lehrkräftebedarf proportional zur Zahl der Schüler entwickelt, wird für das Jahr 2000 ein gegenüber dem Jahr 1992 um 38 % reduzierter Primar­schullehrerbedarf vorhergesagt; im Sekundarbereich I beträgt der Rückgang 9 %. In den Schulen der Sekundarstufe II, und hier insbesondere in den be­rufsbildenden Schulen, wird der Lehrkräftebedarf bis zum Jahr 2000 hingegen noch ansteigen, um dann in den Folgejahren vergleichbar den anderen Berei­chen abzusinken10.

In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sind nachhaltige Veränderungen im Bereich des allgemeinbildenden Schulwesens zu erwarten. Zum einen läßt

10

316

Vgl. MBJS Brandenburg: Pressemitteilung v. 30.10.1995; Knauf, A. 1996; Knauf, T. 1996; MBJS (Hrsg.) 1996b; MBJS Brandenburg: Pressemitteilung v. 29.2.1996; Warum sollen I. und 2. Klasse nicht zusammen unterrichtet werden? Interview mit Kultusminister Karl-Heinz Reck, in: Magdeburger Volksstimme v. 30.7.1994. In Sachsen hingegen sollen kleine Grundschulen nur in begründeten Einzelfällen eingerichtet werden können; vgl. "Kleine Grundschulen" nur in Ausnahmefällen, in: Schulverwaltung MO. H. 9/1995, S. 254. Vgl. Böttcher/Budde 1994; Klemm!Böttcher/Weegen 1992, S. 208f.; Geburten­rückgang in den neuen Ländern hinterläßt tiefe Spuren, in: DLZ. Nr. 9/1994. Vgl. BLK l994b, S. 4lff. Zur Personalsituation im Schuldienst der neuen Länder vgl. auch KMK 1995, S. 11ff. Zur Illustration sei das Land Mecklenburg­Vorpommem genannt. Hier geht das Kultusministerium davon aus, daß die Zahl der Vollzeit-Lehrerstellen aufgrund der reduzierten Schülerzahlen von 19.500 (1995) auf 11.700 im Jahr 2010 abgesenkt werden muß; vgl. Lehrerpersonalkon­zept durch Kabinett beschlossen, in: Schulverwaltung MO. H. 11/1995, S. 314.

Page 314: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

das allgemeinbildende Schulwesen den Ländern gestalterische Spielräume; zum anderen weist es strukturbedingt erheblichen Veränderungsbedarf auf. In den Ländern Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ist eine veränderte bildungspolitische Situation dadurch entstanden, daß die SPD im Gegensatz zur ersten in der zweiten Legislaturperiode die Regierung führt (Sachsen-Anhalt) oder an ihr beteiligt ist (Mecklenburg-Vorpommern; Thü­ringen). Dies bedeutet, daß die Sozialdemokraten stärker als zuvor auf die Gestaltung der Bildungssysteme in Ländern Einfluß nehmen können, die in der ersten Legislaturperiode von CDU-geführten Koalitionen ohne Beteili­gung der SPD aufgebaut wurden. Übereinstimmende Ziele sozialdemokrati­scher Bildungspolitik in den genannten Ländern bestehen in dem Versuch, die Stellung von Gesamtschulen im Schulsystem zu stärken und die Phase ge­meinsamen Lernens zu verlängern. So strebt die SPD z.B. in Thüringen die Einführung der dort nicht existierenden Orientierungsstufe an. Die CDU lehnt dies jedoch nach wie vor ab, und die Frage der Orientierungsstufe ist in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich als Dissenspunkt festgehaltenll. In Mecklenburg-Vorpommern soll die Gesamtschule gemäß der Koalitionsver­einbarung von CDU und SPD Regelschule werden. Hinsichtlich der Orientie­rungsstufe einigten sich die Koalitionspartner darauf, daß diese wie bisher schulartbezogen an den Schulen der Sekundarstufe I verbleibt, in Ausnahme­fällen aber auch an Grundschulen eingerichtet werden kann12•

Die Weiterführung der inneren Reform in den Bildungseinrichtungen bliebt auch in den kommenden Jahren auf der Tagesordnung. Noch immer haben viele Lehrkräfte die erheblichen, seit 1989 eingetretenen Veränderun­gen nicht bewältigt. Da die ersten Untersuchungen zur Lehrerbefindlichkeit und zum Lehrerverhalten in den Schulen der neuen Länder darauf schließen lassen, daß viele Lehrerinnen und Lehrer noch immer mit Unsicherheiten im Schulalltag zu kämpfen haben und sich noch nicht im erforderlichen Maß den neuen methodischen und didaktischen Anforderungen stellen, dürfte die inne­re Reform des Schulwesens in dieser Hinsicht noch einige Zeit in Anspruch nehmen13 . Eine vollständige innere Reform des Schulwesens braucht ohnehin ein hohes Maß an Zeit und äußerer Ruhe, damit sich alle Beteiligten auf die neuen Bedingungen des Lehrens, des Lernens und des Umgangs miteinander

11

12

13

Vgl. Vereinbarung zwischen Christlich-Demokratische Union Deutschlands, CDU, Landesverband Thüringen und Sozialdemokratische Partei Deutschlands, SPD, Landesverband Thüringen über die Bildung einer Koalitionsregierung für die II. Legislaturperiode des Thüringer Landtages. Erfurt, November 1994, S. 35f. Vgl. Vereinbarung zwischen der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Landesverband Mecklenburg-Vorpommern über die Bildung einer Koalitionsregierung für die 2. Legislaturperiode des Landtags von Mecklenburg­Vorpommern. 0.0. (Schwerin), o.J. (1994), Textziffer 173., 176. Vgl. Kap. 3.3.5.

317

Page 315: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

einrichten können. Der Gebrauch pädagogischer und individueller Freiheiten erfordert ein bewußtes Sicheinlassen auf die veränderten Rahmenbedingun­gen und das Einüben neuer Verhaltensweisen, um Erfahrungen sammeln zu können und neues zur Gewohnheit werden zu lassen. Möglicherweise wird es noch mehrerer Schülerjahrgänge und vielleicht auch einer ganzen Lehrerge­neration bedürfen, bis trotz des vielerorts bewiesenen großen Engagements und guten Willens die grundlegenden Ziele der inneren Schulreform im Schulalltag wirksam und spürbar werden. Mit Blick auf die in den alten Bun­desländern gemachten Erfahrungen ist - ungeachtet der sonstigen, spezifi­schen Probleme der neuen Länder auch im Bildungsbereich - eine schnelle und zugleich dauerhafte Umsetzung der neuen Prinzipien realistischerweise nicht zu erwarten.

Die berufliche Bildung befindet sich noch immer im Übergang14• Viele der noch nicht gelösten Probleme, sowohl im Lernort Betrieb als auch in den berufsbildenden Schulen, lassen schlaglichtartig deutlich werden, wie weit sich die Berufsbildungssysteme beider deutscher Staaten trotz gemeinsamer historischer Wurzeln im Verlauf der fünfundvierzig Jahre währenden Tren­nung auseinanderentwickelt haben. Von allen Betroffenen werden Anpas­sungsleistungen in großem Umfang verlangt. Nicht wenige Ausbilder und Auszubildende haben Anpassungsprobleme in bezug auf die neuen rechtli­chen, strukturellen, organisatorischen, inhaltlichen, qualifikatorischen und nicht zuletzt ökonomischen Rahmenbedingungen15• Ein vorläufiger Abschluß des Transformationsprozesses kann allenfalls in Teilbereichen konstatiert werden. So ist die Rechtsüberleitung - unter Berücksichtigung noch existie­render Übergangsregelungen, z.B. bei der Ausbilder-Eignungsverordnung -im wesentlichen vollzogen. Die Rechtssetzung für die berufsbildenden Schu­len erfolgte im Zuge der Schul(reform)gesetzgebung für das allgemeinbilden­de Schulwesen. Noch nicht abgeschlossen sind hingegen die Prozesse des strukturellen Umbaus in der betrieblichen Ausbildung. Auch fünf Jahre nach der staatsrechtlichen Vereinigung beider deutscher Staaten herrschen in den neuen Bundesländern erhebliche ökonomische Unsicherheiten vor, die sich auf die berufliche Bildung auswirken. Wirtschaft und Verwaltung in den neu­en Ländern sind nach wie vor nicht aus eigener Kraft in der Lage, jedem Lehrstellenbewerber einen Ausbildungsplatz anbieten zu können. Die nur langsame Erholung der ostdeutschen Wirtschaft führt zu einem ebenso lang­samen Anstieg der innerbetrieblich verfügbaren Ausbildungsplätze. Ein

14

15

318

Eine Übersicht über die wesentlichen und im Rahmen des Transformationspro­zesses noch nicht gelösten Probleme bieten Degen 1993b, S. 187ff. und De­gen/Waiden 1993. Vgl. Brosi 1993, S. 103. Zu den ökonomischen Rahmenbedingungen in den neu­en Bundesländern und ihren Auswirkungen auf die berufliche Bildung vgl. Fel­ber 1993, S. 114f. Zu den Veränderungen in der Berufsausbildung der neuen Länder aus der Sicht von Auszubildenden vgl. Walden 1993.

Page 316: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Rückgang der Bewerberzahlen aufgrundder seit 1990 stark rückläufigen Ge­burtenziffern wird sich frühestens in den Jahren 2005/2006 entlastend auf die Ausbildungsplatznachfrage auswirken. Auf absehbare Zeit wird die Bereitstel­lung außerbetrieblicher und staatlich subventionierter Ausbildungsplätze er­forderlich bleiben. Es ist zu befürchten, daß die Bereitschaft der Wirtschaft zur Übernahme der Eigenverantwortung für ihre Nachwuchsqualifikation ab­nehmen wird und sich die derzeit vorhandenen, aus staatlicher Sicht aber un­erwünschten Strukturen verfestigen könnten16•

Die unsichere ökonomische Situation nicht nur strukturschwacher Regio­nen verhindert eine verläßliche Abschätzung des zukünftigen Qualifikations­bedarfs. Solange die wirtschaftliche Situation vieler Betriebe - hier gerade auch kleinerer, neugegründeter Unternehmen - unsicher ist, werden diese, so ist zu erwarten, im Hinblick auf den Aufbau eigener Ausbildungskapazitäten zurückhaltend bleiben. Ausbildung wird primär unter Kostengesichtspunkten gesehen. Hinzu tritt als weiterer Faktor das große Arbeitskräfteangebot, das einen Arbeitskräftemangel aufgrund nicht bedarfsdeckender Nachwuchsqua­lifikation zunächst nicht erwarten läßt17. Überdies ist vielen Betrieben auf­grund ihrer häufig noch unzureichenden finanziellen Aussstattung die An­schaffung neuester Ausbildungstechnologie nicht möglich. Hinsichtlich der Anpassungsprozesse im qualifikatorischen Bereich können die neuen metho­dischen, didaktischen und ausbildungstechnologischen Anforderungen als Problembündel gesehen werden, das, verstärkt durch die Notwendigkeit einer auch mentalen Neuorientierung18 vieler Lehrkräfte in Betrieben und Berufs­schulen, nur in mittlerer bis langer Frist lösbar scheint. Die Transformations­prozesse in der beruflichen Bildung führten zu Veränderungen, die nicht durchgängig als Modernisierung angesprochen werden können. Die Anpas­sung des Berufsbildungssystems an die Erfordernisse, die Ökonomie und Ge­sellschaft an dieses stellen, ist (noch) nicht gelungen. Das Bildungssystem ist hier allerdings von Leistungen des Beschäftigungssystems abhängig, die es kaum beeinflussen kann.

Im Hochschulwesen ist die personelle und strukturelle Erneuerung im wesentlichen abgeschlossen. Die Hochschullandschaft wurde länderspezifi­schen Erfordernissen angepaßt. Die neuaufgebauten Fachhochschulen arbei­ten inzwischen mit gutem Erfolg, wenn dies an den im Vergleich zu den alten Bundesländern verhältnismäßig hohen Studienanfängerzahlen gemessen wird. Auch der personelle Neuaufbau ist weit fortgeschritten. Die Hochschullehrer-

16

17

18

Vgl. Kap. 3.4.2. Vgl. Degen/Waiden 1993, S. 197f. Vgl. auch v. Bardeleben 1993, S. 49, der gleichlautende Zwischenergebnisse einer durch das BIBB initiierten Befragung aus dem Jahr 1992 wiedergibt. Hiermit ist die bis 1990 verbreitet anzutreffende eher autoritäre Umgangsweise der Ausbildenden mit den Auszubildenden angesprochen, die einem kooperati­ven, Freiräume gewährenden Umgangsstil weichen soll.

319

Page 317: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

schaft setzt sich zu etwa einem Drittel aus westdeutschen und zu rund zwei Dritteln aus ostdeutschen Professoren zusammen. Weniger erfolgreich verlie­fen hingegen die im Rahmen des Hochschulerneuerungsprogramms unter­nommenen Bemühungen des Bundes, ehemalige Wissenschaftler von AdW­Instituten auf Dauer in die ostdeutschen Universitäten einzugliedern (WIP). Schon früh deutete sich an, daß die Universitäten, die aufgrund der finanziel­len Restriktionen bereits Probleme damit hatten und haben, hochschuleige­nem Nachwuchs eine Perspektive zu bieten, einen großen Teil der aus Mitteln des Programms finanzierten ehemaligen Akademiewissenschaftler nicht über die Laufzeit des WIP hinaus beschäftigen würden. Inwieweit die WIP­geförderten Wissenschaftler von der Zusammenlegung des Hochschulerneue­rungsprogramms mit den Hochschulsonderprogrammen I (Laufzeit bis Ende 1995) und II (Laufzeit bis Ende 2000) und deren gemeinsamer Weiterführung bis zum Jahr 2000 als Hochschulsonderprogramm III profitieren können, bleibt zu beobachten19•

Die ungleiche regionale Verteilung der Forschungsinstitutionen stellt ein noch nicht befriedigend gelöstes Problem im außeruniversitären For­schungssektor dar. Entgegen der ursprünglichen Intentionen auch des Wis­senschaftsrates kam es zu einer Anhäufung von Wissenschafts- und For­schungseinrichtungen in Berlin und dessen unmittelbarem Umland. Überdies sind geisteswissenschaftliche außeruniversitäre Forschungseinrichtungen im Vergleich zu den naturwissenschaftlichen Einrichtun~en bislang nur in gerin­gem Umfang in den ostdeutschen Ländern vertreten °. Wenn auch die kriti­sche Zwischenbilanz angemessen erscheint, daß eine der westdeutschen ver­gleichbare Forschungslandschaft in den neuen Ländern noch nicht entstanden ist2\ so konnten doch seit 1990, unbeschadet aller kritischen Einwände im Detail, in vielen Wissenschaftsbereichen Grundstrukturen für eine überle­bensfähige Wissenschaft und Forschung geschaffen werden22•

Die Transformationsprozesse in der Erwachsenenbildung führten zu un­terschiedlichen Resultaten in den ostdeutschen Ländern. Mittlerweile haben vier der neuen Länder (BB, MV, ST, TN) Weiterbildungsgesetze erlassen Die Erwachsenenbildungseinrichtungen in Ostdeutschland boten bislang überwie-

19

20

21

22

320

Vgl. Neues Programm für Hochschulen auflegen, in: Woche im Bundestag. Nr. 8/l995, S. 71; Vereinbarung zwischen Bund und Ländern nach Art. 91 b des Grundgesetzes über ein gemeinsames Hochschulsonderprogramm III (HSP III) vom 2. September 1996. HRK-Dokumentation Nr. 13/1996 v. 4.10.1996. Das Finanzvolumen des HSP III beträgt 3,6 Mrd. DM. Allgemein hierzu vgl. Kap. 3.6. Vgl. Neuweiler 1994, S. 10f.; Krul11992, S. 27f. Vgl. Meske 1993a, S. 32; Meske 1993b, S. 22ff. Vgl. z.B. in diesem Sinne Frühwald 1994, S. 877f., der seine Aussagen mit Daten belegt, sich im übrigen gegen eine pauschale Kritik am Verlauf des Erneuerungs­prozesses zur Wehr setzt und "das Gerücht von der Kolonisierung der DDR durch die Bundesrepublik als böswilliges oder zumindest leichtfertiges Gerede" einschätzt; a.a.O., S. 878.

Page 318: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gend staatlich subventionierte berufsqualifizierende Fortbildungsmaßnahmen an. Erkennbar ist, daß angesichts des Umfanges und der Reichweite der Um­brüche in den neuen Ländern die AFG-geförderte Weiterbildung an eine Grenze gelangt. Die Dimension der Disparität zwischen Arbeitssuchenden und angebotenen Arbeitsplätzen läßt diese Form der Unterstützung als nicht mehr hinreichendes Mittel zur Vermeidung oder Verkürzung von Arbeitslo­sigkeit erscheinen, und sie verdeutlicht, daß Weiterbildung als Instrument der Arbeitsmarktpolitik nur im Zusammenhang mit weiteren sozial-, wirtschafts­und strukturpolitischen Maßnahmen auf Dauer erfolgreich sein kann. Über­dies sollte Weiterbildung, unbeschadet der nachvollziehbaren Bedeutung ar­beitsplatzsichernder Angebote, nicht auf diese Funktion verkürzt werden23 •

Für die Volkshochschulen besteht die größte Herausforderung in der materiel­len Absicherung einer kontinuierlichen Arbeit, die noch nicht überall gewähr­leistet ist. Durch die Weiterbildungsgesetze in vier von sechs Ländern sind jedoch Grundstrukturen vorhanden, die dieses zukünftig ermöglichen dürften. Die personelle und materielle Ausstattung vieler Einrichtungen ist jedoch noch als 'minimal' anzusehen. Parallel hierzu ist das haupt-und nebenamtlich in der Weiterbildung eingesetzte Personal weiter zu qualifizieren, um schließlich auch zu einem verbesserten Angebot gelangen zu können24.

Seit dem Beitritt der ostdeutschen Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes hat sich die DDR in fünfeinhalb Länder, in ein Stück Bundes­republik Deutschland mit ihren politischen, ökonomischen und gesellschaftli­chen Gegebenheiten verwandelt. Strukturell ist heute nur noch wenig DDR­Typisches zu erkennen. Einstellungen, Verhaltensweisen und Mentalitäten wirken aber langfristig fort- im Positiven wie im Negativen. Die Menschen in den ostdeutschen Ländern bringen die Erfahrungen ihres Lebens in der DDR in die Gesellschaft und damit auch in das Bildungs- und Wissenschaftssystem ein. Die Änderung verfestigter Verhaltensdispositionen - wo notwendig -kann vielfach nur durch Überzeugung und Überzeugtsein gelingen. Es wird einer langen Zeitspanne bedürfen, bis sie sich in konkretem Verhalten wie z.B. neuen Umgangsformen zwischen Lehrerenden und Lernenden nieder­schlägt. Es wäre eine große Leistung aller beteiligten Akteure, hier das Posi­tive vom Negativen scheiden und dabei das eine bewahren, das andere aber überwinden zu können. Dann könnten aus dem inneren Transformationspro­zeß Impulse resultieren, die sich in allen Bundesländern für die weitere Ent­wicklung von Bildung und Wissenschaft fruchtbar machen ließen.

23

24 Vgl. Kuhlenkamp 1994; Schiersmann 1994, S. 29, S. 31. Vgl. v. Küchler 1993; Winger 1993, S. 245f.

321

Page 319: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Literaturverzeichnis

Achtel, Klaus, 1995: Die KAW vor dem Hintergrund des Transformations­prozesses West-Ost, in: Bildung und Erziehung. H. 1, S. 33-41.

Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, 1990a: Vorschläge zu Schulversuchen für eine erneuerte zehnklassige allgemeinbildende Schule. Berlin.

Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR (Hrsg.), 1990b: Vor­schläge für eine neue Abiturbildung (Auswahl). Berlin.

Ammer, Thomas, 1991: Der Konflikt um die "Abwicklung" an den Hoch­schulen in der ehemaligen DDR, in: Deutschland-Archiv. H. 2, S. 118-120.

Anders, Sönke, 1992: Die Vorläufigkeit der Schulgesetzgebung der neuen Bundesländer, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 281-289.

Anweiler, Oskar 1988: Schulpolitik und Schulsystem in der DDR. Opladen. Anweiler, Oskar 1990: Neue Entwicklungen im Bildungs- und Erziehungswe­

sen der DDR. Königswinter. Anweiler, Oskar et al. (Hrsg.), 1992: Bildungspolitik in Deutschland 1945-

1990. Ein historisch-vergleichender Quellenband. Bonn. Arbeitgeberverband Gesamtmetall (Hrsg.), 1995: Berufsbildung. Sonderdruck

aus: Geschäftsbericht 1993- 1995. Köln. Arbeitsgruppe Bildungsbericht am Max-Planck-Institut für Bildungsfor­

schung, 1994: Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland. Vollst. überarb. u. erw. Neuaufl. Reinbek b. Hamburg.

Aulerich, Gudrun; Döbbeling, Karin, 1993: Umstrukturierung im tertiären Bildungssektor der neuen Länder, in: Das Hochschulwesen. H. 5, S. 217-223.

Autsch, Bernhard, 1991: Ein Jahr duales System - Situation der Berufsbil­dungsstätten in den neuen Bundesländern, in: Berufsbildung in Wissen­schaft und Praxis. Sonderheft, S. 34-36.

Autsch, Bernhard, 1993: Berufsausbildung in den neuen Bundesländrn aus der Sicht der außer- und überbetrieblichen..ßerufsbildungsstätten, in: De­gen, Dirich (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 69-85.

Autsch, Bernhard, 1995: Ausgangsbedingungen bei der Umstellung des DDR-Berufsbildungssystems aus der Sicht rechtlicher und organisatori­scher Rahmenbedingungen, in: Degen, Ulrich; Waiden, Günter; Berger, Klaus (Hrsg.): Berufsausbildung in den neuen Bundesländern. Berlin und Bonn, S. 15-29.

Autsch, Bernhard; Brandes, Harald; Waiden, Günter, 1991: Bedingungen und Aufgaben der Umgestaltung des Berufsbildungssystems in den neuen Bundesländern, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis. H. 3, S. 9-17.

323

Page 320: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Avenarius, Hermann, 1992: Religionsunterricht und Verfassungsrecht, in: Die Höhere Schule. H. 5, S. 123-127.

Balaz, Juraj; Bobach, Reinhard, 1992: Transformation als Modernisierung -eine Diskussionsskizze, in: IGW-Report über Wissenschaft und Techno­logie in den neuen Bundesländern sowie mittel- und osteuropäischen Ländern. H. 3, S. 27-52.

v. Bardeleben, Richard, 1993: Berufsausbildung in den neuen Bundesländern aus der Sicht der nicl}~ausbildenden Betriebe, in: Degen, Dirich (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 45-53.

Barz, Heiner, 1994: Jugend und Religion in den neuen Bundesländern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 38, S. 21-31.

Baumbach, Jürgen, 1992: Regionale Schulentwicklungsplanung in Ost­deutschland, in: Die Deutsche Schule. H. 3, S. 260-271.

Beer, Dagmar; Granato, Mona; Schweikert, Klaus, 1995: In der Mitte der Ausbildung - Auszubildende in den neuen Bundesländern. Berlin und Bonn. (=Zwischenergebnisse aus dem BIBB-Forschungsprojekt "Jugend und Berufsausbildung in Deutschland")

Benz, Winfried, 1994: Hochschulerneuerung zwischen Anpassung und Inno­vation, in: Buck-Bechler, Gertraude; Jahn, Heidrun (Hrsg.): Hochschu­lerneuerung in den neuen Bundesländern. Weinheim, S. 29-29.

Berger, Klaus, 1993: Berufsausbildung in den neuen Bundesländern aus der ~icht der Berufsschulen, in: Degen, Dirich (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 55-67.

Berger, Klaus, 1995: Strukturmerkmale der betrieblichen Ausbildung in Ost­deutschland, in: Degen, Ulrich; Waiden, Günter, Berger, Klaus (Hrsg.): Berufsausbildung in den neuen Bundesländern. Berlin und Bonn, S. 29-40.

Bierling, Stephan G., 1991: Die sieben Mythen der Wiedervereinigung, in: Grosser, Dieter; ders.; Kurz, Friedrich: Die sieben Mythen der Wieder­vereinigung. München, S. 68-122.

Bildungswesen Aktuell (BA) 3/1990: Ueberlegungen zum Konzept einer er­neuerten allgemeinbildenden Schule in der DDR - mit Stundentafelvor­schlag. Hrsg. von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin.

Bildungswesen Aktuell (BA) 811990: Programmatische Erklaerungen von verschiedenen Parteien und gesellschaftlichen Gremien zu Bildungsfra­gen in der DDR. Hrsg. von der Akademie der Pädagogischen Wissen­schaften der DDR. Berlin.

Bildungswesen Aktuell (BA) 10/1990: Thesen zur Bildungsreform. Diskussi­onsangebot Hrsg. von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin.

Bildungswesen Aktuell (BA) 12/1990: Empfehlungen zur Erneuerung der zehnjährigen allgemeinbildenden Schule - als Regelschule (Diskussions­angebot). Hrsg. von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin.

Bildungswesen Aktuell (BA) 14/1990: Programmatische Erklaerungen von verschiedenen Parteien und gesellschaftlichen Gremien zu Bildungsfra-

324

Page 321: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

gen in der DDR. Fortsetzung. Hrsg. von der Akademie der Pädagogi­schen Wissenschaften der DDR. Berlin.

Bildungswesen Aktuell (BA) 20/1990: Wie weiter mit den allgemeinbilden­den Schulen in den zukünftigen Laendern? Hrsg. von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR. Berlin.

Birthler, Marianne, 1991a: Einführungsvortrag zum Zweiten Kolloquium zu Fragen der Weiterbildung am 15. und 16. April 1991 in Potsdam, in: Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Qualität der Wei­terbildung sichern. Bann, S. 17-21.

Birthler, Marianne, 1991b: "Die Suche nach einem eigenen Weg wurde zu schnell beendet", in: Pädagogik. H. 11, S. 36-39.

Birthler, Marianne, 1992: Schule in Brandenburg. Gedanken und Vorstellun­gen, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 3, S. 129-133.

Blankenburg, Peter, 1990: Stellungnahme zu den "Thesen zur Bildungsre­form", in: Pädagogik (DDR): "Pädagogik- Beiheft". H. 2, S. 87-89.

Blaschke, Karlheinz, 1990: Alte Länder - Neue Länder, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 27, S. 39-54.

Blaschke, Karlheinz, 1992: Das Werden der neuen Bundesländer, in: Fischer, Alexander; Haendcke-Hoppe-Arndt, Maria (Hrsg): Auf dem Weg zur Realisierung der Einheit Deutschlands. Berlin, S. 127-142.

Block, Hans-Jürgen, 1993: Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates für die Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern, in: Schramm, Bilde (Hrsg.): Hochschule im Umbruch. Berlin, S. 347-350.

Bobach, Reinhard; Meier, Klaus, 1990: Zur Situation der Industrieforschung in den neuen deutschen Bundesländern, in: IGW-Report über Wissen­schaft und Technologie in Ostdeutschland und RGW-Ländern. H. 4, S. 27-40.

Bode, Christian, 1991: Hochschulsituation und -perspektiven im Prozeß der deutschen Vereinigung, in: Deutsche Gesellschaft für Bildungsverwal­tung (Hrsg.): Das Bildungswesen im künftigen Deutschland. Frankfurt am Main, Bochum, S. 97-107.

Böck, Christiane, 1990: Die Jugendlichen zahlen die Zeche, in: Erziehung und Wissenschaft. H. 9, S. 19-20.

Bönisch, Beatrix, 1992: Außerbetriebliche Ausbildung in Mecklenburg­Vorpommern, in: Seyfried Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder- Neue Berufsausbildung?. Berlin und Bann, S. 379-386.

Böttcher, Wolfgang; Budde, Hermann, 1994: Weniger Kinder - Kleinere Schulen, in: Pädagogik. H. 7/8, S. 57-61.

Both, Siegfried, 1992: Probleme des Neubeginns in der politischen Bildung (nicht nur) in Ostdeutschland, in: Politische Bildung. H. 2, S. 12-20.

Brämer, Rainer, 1983: Anspruch und Wirklichkeit sozialistischer Bildung. München.

Brandenburgische Landeskommission für Hochschulen und Forschungsein­richtungen (Hrsg.), 1993: Gründungsdenkschriften der brandenburgi­schen Universitäten. Potsdam.

Brandenburgische Landeskommission für Hochschulen und Forschungsein­richtungen, 1994: Empfehlungen und Stellungnahmen zur Entwicklung

325

Page 322: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

der Hochschul- und Forschungslandschaft in Brandenburg. 3. Aufl. Pots­dam.

Brocke, Rudolf Horst; Förtsch, Eckart, 1991: Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern 1989- 1991. Stuttgart.

Brosi, Walter, 1993: Herausforderungen, Unterstützungsmaßnahmen und Handlungsfelder der Berufsausbildung in den neuen Ländern, in: Degen, Ulrich (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 103-106.

Buchholz, Jürgen, 1993: Statement zur Entwicklung der Berufsausbildung in einem mittelständischen Unternehmen aus dem Stadtbezirk Berlin­Lichtenberg, in: Degen, Ulrich (Hrsg.): Berufsausbildung im Übergang. Berlin und Bonn, S. 107-112.

Buck-Bechler, Gertraude et al., 1993a: Hochschulerneuerung in den neuen Bundesländern. Inhaltlich-strukturelle Entwicklungen. Berlin.

Buck-Bechler, Gertraude et al., 1993b: Hochschulerneuerung in den neuen Bundesländern. Inhaltlich-strukturelle Entwicklungen. Teil 2. Berlin.

Buck-Bechler, Gertraude; Jahn, Heidrun (Bearbeiter), 1992: Zur Hochschu­lerneuerung in den neuen Bundesländern - Situationsbericht Berlin.

Buck-Bechler, Gertraude; Jahn, Heidrun (Hrsg.), 1994: Hochschulerneuerung in den neuen Bundesländern. Weinheim.

Budde, Hermann; Meergans, Harald, 1991: Der Weg zu einem gemeinsamen Schulsystem in Berlin, in: Pädagogik. H. 11, S. 26-29.

Bude, Heinz, 1995: Die Differenz nach der Einheit: Deutsch-deutsche Trans­formationsprozesse, in: Merkur. H. 1, S.61-66.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), 1990: Konsequenzen aus den Entwicklungen in der DDR für den Bereich Bildung und Wissenschaft. Drs. K 10/90. Bonn.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), 1993a: Entwicklungen und vordringliche Maßnahmen in den Ta­geseinrichtungen für Kinder/Elementarbereich in den neuen Ländern. Bonn.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), 1993b: Entwicklung der Berufsausbildung in den neuen Ländern. Bonn.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), 1993c: Ausgewählte Aufgabenschwerpunkte bei der Entwicklung eines pluralen beruflichen Weiterbildungsangebotes in den neuen Län­dern. Bonn.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), 1994a: Hochschulerneuerungsprogramm (HEP): Maßnahmen und Ausgaben im Jahr 1993. Bericht der Ausschüsse "Bildungspla-nung" und "Forschungsförderung". K 94.38.Drs. Bonn.

Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK), 1994b: Langfristige Personalentwicklung im Schulbereich der alten und neuen Länder. Bonn.

Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.), 1995: Berufliche Bildung in den ostdeutschen Bundesländern. Berlin und Bonn.

326

Page 323: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.) 1990: Quali­fizieren statt entlassen. Bonn.

Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (BMBW) 1991: Berufliche Aus- und Weiterbildung. Bonn.

Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.), 1992a: Nichtstaatliche Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn.

Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.) 1992b: Er­neuerungsprogramm für Hochschule und Forschung in den neuen Län­dern. Stand: Juli 1992. Bonn.

Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.), 1993: Berufsbildungsbericht 1993. Bonn.

Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) (Hrsg.), 1994: Berufsbildungsbericht 1994. Bonn.

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.), 1995a: Die neuen Länder: Dynamische Wissenschafts­region und Werkstatt der Innnovation. Bonn.

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.), 1995b: Berufsbildungsbericht 1995. Bonn.

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.) 1995c: Grund- und Strukturdaten 1995/96. Bonn.

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) (Hrsg.), 1996: Berufsbildungsbericht 1996. Bonn.

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1994: Neunter Jugendbericht Bericht über die Situation der Kinder und Jugendlichen und die Entwicklung der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern. Bonn.

Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) (Hrsg.), 1993: Bundesbericht Forschung 1993. Bonn.

Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMB) (Hrsg.), 1988: Texte zur Deutschland-Politik. Reihe III, Band 5- 1987. Bonn.

Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (BMB) (Hrsg.), 1990: Texte zur Deutschlandpolitik Reihe III, Band 8a- 1990. Bonn.

Burkhardt, Anke, 1990: DDR-Report. Wissenschaft und Bildung im Zeichen der Wende. Eine Situationsskizze aus der Sicht des Hochschulwesens. Bonn.

Burkhardt, Anke, 1995: "Besser als befürchtet- schlechter als erhofft". Zum Stand des Berufungsgeschehens an ostdeutschen Hochschulen aus Frau­ensicht, in: Hochschule Ost. H. März/April, S. 107-121.

Burkhardt, Anke; Scherer, Doris, 1993: Wissenschaftliches Personal und Nachwuchsförderung an ostdeutschen Hochschulen - Stand der Erneue­rung. Berlin.

Burkhardt, Anke; Scherer, Doris, 1994: Hochschulpersonal-Ost im Wandel, in: Das Hochschulwesen. H. 6, S. 276-281.

Burkhardt, Anke; Scherer, Doris; Erdner, Sabine (EDV), 1991: Personalbe­stand an Hochschulen der ehemaligen DDR 1989 und 1990. Berlin.

Burkhardt, Dieter, 1992: Außerbetriebliche Berufsbildungsstätten, in: Sey­fried, Brigitte, Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder- Neue Berufs­ausbildung? Berlin und Bonn, S. 363-378.

327

Page 324: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Burkhardt, Dieter; Kielwein, Kurt, 1992: Entwicklung und Förderung überbe­trieblicher Berufsbildungsstätten in den neuen Bundesländern, in: Be­rufsbildung in Wissenschaft und Praxis. H. 2, S. 15-21.

Burrichter, Clemems, 1990: Die Situation von Forschung und Entwicklung in der DDR, in: IGW-Report über Wissenschaft und Technologie in der DDR und anderen RGW-Ländern. H. 3, S. 13-22.

Burrichter, Clemens; Müller, Hans-Joachim, 1991: Probleme mit der "Abwicklung" der Institute der ehemaligen AdW. Nachbetrachtungen zum Holzhau-Meetingder KAI-AdW, in: IGW-Report über Wissenschaft und Technologie in den neuen Bundesländern sowie mittel- und osteuro­päischen Ländern. H. 1, S. 7-14.

Busch, Adelheid, 1990: Abkehr vom zentralen Dirigismus hin zur Bildungsre­form, in: Das Parlament. Nr. 16.

Carmesin, Dieter, 1996: Die Anhörung im brandenburgischen Landtag zur Einführung des Unterrichtsfaches "Lebensgestaltung-Ethik-Religions­kunde", in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 351-359.

Cloer, Ernst; Wernstedt, Rolf (Hrsg.), 1994: Pädagogik in der DDR. Wein­heim.

Cremer, Will, 1992: Das Fach Sozialkunde/Politische Bildung in den neuen Bundesländern - Eine Inhaltsanalyse der Lehrpläne, in: Bundeszentrale für politische Bildung: Lernfeld Politik. Bonn, S. 545-632.

Das Bildungswesen der Deutschen Demokratischen Republik, 1989: Gemein­schaftsarbeit der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, des Zen­tralinstituts für Berufsbildung, des Instituts für Fachschulwesen, des Zen­tralinstituts für Hochschulbildung und der Humboldt-Universität. 3. be­arb. Aufl. Berlin.

Dawidowski, Helmut; Packebusch, Wolfgang, 1991: Reformansätze und Re­formwirklichkeit im Hochschulwesen der ehemaligen DDR, in: Politische Studien. H. Jan./Feb., S. 38-46.

Degen, Ulrich, 1993a: Berufsausbildung in den neuen Bundesländern aus der ~icht der Ausbildungsbetriebe, in: ders. (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 27-43.

Degen, Ulrich, 1993b: Diskussionspu~te zu den einzelnen Lernorten, in: ders. (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 187-195.

Degen, Ulrich (Hrsg.), 1993: Berufsausbildung im Übergang. Berlin und Bonn.

Degen, Ulrich; Waiden, Günter, 1993: Problemschwerpynkte der Ausbildung in den neuen Bundesländern und Gestaltung des Ubergangsprozesses -~esümee einer Tagung, in: Degen, Ulrich (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 197-203.

Degen, Ulrich; Waiden, Günter, 1995a: Arbeitsmarkt und Beschäftigung in den neuen Bundesländern, in: dies.; Berger, Klaus (Hrsg.): Berufsausbil­dung in den neuen Bundesländern. Berlin und ~onn, S. 40-49.

Degen, Ulrich; Waiden, Günter, 1995b: Zum Ubergang an der zweiten Schwelle, in: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Berufliche Bil­dung in den ostdeutschen Bundesländern. Berlin und Bonn, S. 17-18.

328

Page 325: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Degen, Ulrich; Waiden, Günter, 1995c: Finanzierung und Förderung der Be­rufsbildung, in: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Berufliche Bil­dung in den ostdeutschen Bundesländern. Berlin und Bonn, S. 19-21.

Degen, Ulrich; Waiden, Günter; Berger, Klaus (Hrsg.), 1995: Berufsausbil­dung in den neuen Bundesländern. Berlin und Bonn.

Dehnbostel, Peter, 1992: Doppeltqualifizierende Bildungsgänge in den neuen Bundesländern?, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder- Neue Berufsausbildung?. Berlin und Bonn, S. 437-454.

Denkewitz, Sabine, 1992: Identität und Befindlichkeit der Politiklehrerinnen und Politiklehrer in den neuen Bundesländern, in: Bundeszentrale für politische Bildung: Lernfeld Politik. Bonn, S. 346-354.

Deppe, Rupert M., 1992: Der Religionsunterricht in den neuen Ländern, in: Schulverwaltung MO. H. 10, S. 205-208.

Deutscher Hochschulverband, 1990: Hilfsprogramm des Deutschen Hoch­schulverbandes für die notleidende Wissenschaft in der DDR, in: Mittei­lungen des Hochschulverbandes. H. 3, S. 152-153.

Deutscher Volkshochschul-Verband (Hrsg.), 1993: Die Volkshochschulen und ihre Verbände in den neuen Bundesländern. 3. überarb. Aufl. Bonn.

DGBNHS- Arbeit und Leben, 1990: Forderungen an die politische Bildung beim Vereinigungsprozeß beider deutscher Staaten. Düsseldorf. (Typo­skript)

Diekmann, Bernhard, 1994: Weiterbildungspolitik in Berlin, in: Report. Lite­ratur- und Forschungsreport Weiterbildung. Nr. 33, S. 40-43.

Differenzierung, Durchlässigkeit, Leistung, 1992. Bildungspolitische Positio­nen der Spitzenverbände der Wirtschaft. Bonn.

Döbert, Hans; Martini, Renate, 1991: Schule zwischen Wende und Wandel, in: Zeitschrift für Bildungsverwaltung. H. 2-3, S. 39-51.

Döbert, Hans; Rudolf, Roland, unter Mitarbeit von Gerhard Seidel, 1995: Lehrerberuf- Schule - Unterricht. Frankfurt/Main.

Döring, Ottrnar; Schäfer, Erich 1993: Weiterbildung in Sachsen-Anhalt. Eine Bestandsaufnahme. Magdeburg.

Dohmen, Günther, 1990: Thesen zur deutsch-deutschen Volkshochschulko­operation, in: Volkshochschule. H. 2, S. 6-7.

Drewelow, Horst, 1989. Gedanken zu einem neuen Erziehungskonzept, in: Pädagogik. H. 12, S. 966-970.

Drößler, Bernd Th., 1994: Religionsunterricht und Ethikunterricht an Thürin­ger Schulen, in: Schulverwaltung MO. H. 6, S. 189-191.

Dudek, Peter; Tenorth, H.-Elmar, 1993: Transformationen der deutschen Bil­dungslandschaft Rückblick in prospektiver Absicht, in: dies. (Hrsg.): Transformationen der deutschen Bildungslandschaft Weinheim und Ba­sel, S. 301- 327.

Dudek, Peter; Tenorth, H.-Elmar (Hrsg.), 1993: Transformationen der deut­schen Bildungslandschaft Lernprozeß mit ungewissem Ausgang. Wein­heim und Basel.(= Zeitschrift für Pädagogik, 30. Beiheft)

Eckert, Rainer, 1993: Die Berliner Humboldt-Universität und das Ministeri­um für Staatssicherheit, in: Deutschland-Archiv. H. 7, S. 770-785.

329

Page 326: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Edding, Friedrich, 1985: Alternative Definitionen von Bildung und einige Auswirkungen auf die Zurechnung von Kosten, in: Brinkrnann, Gerhard, (Hrsg.): Probleme der Bildungsfinanzierung. Berlin, S. 39-56.

Eggers, Gerd, 1992: Lebensgestaltung als Bildungsaufgabe: Zur Geschichte eines Anliegens zwischen 1989 und 1992, in: Pädagogisches Forum. H. 3, S. 115-119.

Eggers, Gerd, 1993: "Nun sag', wie hast du's mit der Religion?", in: Dudek, Peter; Tenorth, H.-Elmar (Hrsg.): Transformationen der deutschen Bil­dungslandschaft Weinheim und Basel, S. 61-71.

Eggers, Gerd; Köpp, Bärbel; Reck, Hanno, 1993: "Achtung und Verständi­gungsbereitschaft üben!" - eine Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Bildung und Lebensgestaltung e.V. zur Novellierung des Schulreformge­setzes Sachsen-Anhalt, in: Pädagogik und Schulalltag. H. 2, S. 168-174.

Eichler, Wolfgang; Uhlig, Christa, 1993: Die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, in: Dudek, Peter; Tenorth, H.-Elmar (Hrsg.): Transformationen der deutschen Bildungslandschaft Weinheim und Ba­sel, S. 115-126.

Eisbrenner, Bernd, 1991: Was hat sich an meiner Schule seit Sommer 1989 verändert?, in: Pädagogik. H. 11, S. 18-21.

Enders, Ulrike, 1994: Weiterbildungspolitische Situation im Land Branden­burg, in: Report. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung. H. 33, S. 50-54.

Fachhochschulen im Land Brandenburg, 1994: Empfehlungen der Brandeu­burgischen Landeskommission für Fachhochschulen. 3. Aufl. Potsdam.

Faulstich, Peter, 1993: Weiterbildung in den "fünf neuen Ländern" und Ber­lin. Düsseldorf.

Fauth, Dieter, 1996: Die EKD-Denkschrift "Identität und Verständigung" im Licht von religiösen Bildungsbestrebungen im Land Brandenburg, in: Pädagogisches Forum. H. Februar, S. 92-95.

Feist, Ursula; Hoffmann, Hans-Jürgen, 1991: Landtagswahlen in der ehemali­gen DDR am 14. Oktober 1990: Föderalismus im wiedervereinten Deutschland - Tradition und neue Konturen, in: Zeitschrift für Parla­mentsfragen. H. 1, S. 5-34.

Felber, Holm, 1993: Weg ins Abseits? Berufsvorbereitung und -ausbildung für Benachteiligte in außerbetrieblichen Einrichtungen in Ostdeutschland, in: Degen Ulrich (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 113-121.

Fest, Wilfried, 1992: Berufsbegleitende Weiterbildung für Lehrkräfte in den östlichen Bezirken Berlins, in: Schulverwaltung MO. H. 8, S. 170-173.

Fest, Wilfried (Hrsg.), 1996: Weiterbildung und Wiedervereinigung. Ergeb­nisse in der Berliner Lehrerweiterbildung seit der Wiedervereinigung. Berlin.

Fetscher, Iring, 1985a: Evolution, Revolution, Reform, in: ders.; Münkler, Herfried (Hrsg.): Politikwissenschaft Begriffe - Analysen - Theorien. Reinbek b. Hamburg, S. 399-431.

Fetscher, Iring, 1985b: Revolution, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): Pipers Wör­terbuch zur Politik. Politikwissenschaft München, Zürich, S. 870-873.

330

Page 327: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Fetzer, Helmut, 1991: Wegweiser durch die Verträge zur Einheit Deutsch­lands für die Sachgebiete Bildung und öffentlicher Dienst, in: Deutsche Gesellschaft für Bildungsverwaltung (Hrsg.): Das Bildungswesen im künftigen Deutschland. Frankfurt am Main, Bochum, S. 187-245.

Finanzhilfen an Berufsschulen der DDR vorbei, 1990, in: Die berufsbildende Schule. H. 10, S. 620-621.

Fischer, Andreas, 1992: Das Bildungswesen der Deutschen Demokratischen Republik. Entwicklung, Umbruch und Neugestaltung seit 1989. Darm­stadt.

Förster, Alfred, 1993: Sächsische Hochschulerneuerung - Anspruch und Wirklichkeit, in: Hochschule Ost. H. Januar, S. 23-34.

Förtsch, Eckart, 1990: Auf dem Weg zur Wissenschaftsunion, in: Deutsch­land-Archiv. H. 11, S. 1689-1700.

Forschungsgruppe Schulstrukturwandel in Thüringen, 1993: Schulstruktur­wandel in Thüringen. Erfurt.

Fragen zur Weiterentwicklung des polytechnischen Unterrichts, 1990: Inter­view mit Oberstudienrat Walter Brückner, Leiter der Abteilung Poly­technische Bildung und Erziehung im Ministerium für Bildung, in: Poly­technische Bildung und Erziehung. H. 1, S. 1-2.

Freise, Eberhard B., 1991: Das Ost-Angebot für Weiterbildung ist mangel­haft, in: Weiterbildung. H. 4, S. 66-69.

Friedrich, Gerd; Anders, Sönke, 1992: Zur Entwicklung der Schulgesetzge­bung in den neuen Bundesländern: Sachsen, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 2, S. 251-253.

Friedrich, Thomas, 1993: Politische Bildung in den Volkshochschulen der neuen Bundesländer, in: Hessische Blätter für Volksbildung. H. 3, S. 230-235.

Friemel, Franz Georg, 1992: Zur religionspädagogischen Situation in den neuen Bundesländern, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 3, S. 152-159.

Frühwald, Wolfgang, 1994: Erneuerung oder Kolonisierung?, in: Deutsch­land-Archiv. H. 8, S. 875-880.

Fuchs, Hans-Jürgen; Petermann, Eberhard (Hrsg.), 1991: Bildungspolitik in der DDR 1966-1990. Dokumente. Berlin.

Fuchs, Hans-Werner; Reuter, Lutz R. (Hrsg.), 1995: Bildungspolitik seit der Wende. Opladen.

Führ, Christoph, 1993: Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Leh­rerbildung in den neuen Ländern, in: Dudek, Peter; Tenorth, H.-Elmar (Hrsg.): Transformationen der deutschen Bildungslandschaft. Weinheim und Basel, S. 195-198.

Fuhrmann, Elisabeth, 1992: Schultheoretische und schulreformerische Pro­bleme des Strukturwandels des Bildungswesens in den neuen Ländern, in: Zedler, Peter (Hrsg.): Strukturprobleme, Disparitäten, Grundbildung in der Sekundarstufe I. Weinheim, S. 161-175.

Fuhrmann, Elisabeth; Röpke, Roswitha, 1995: Lehrerfortbildung in den neuen Bundesländern, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 1, S. 29-41.

331

Page 328: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Furck, Carl-Ludwig, 1988: Innere oder äußere Schulreform?, in: Innere und äußere Schulreform. Carl-Ludwig Furck zum 3. November 1988. Harn­burg, S. 11-28.

Geburek, Konrad, Lange, Günter, 1990: Mit Ehrlichkeit beginnt die Erneue­rung, in: Deutschland-Archiv. H. 12, S. 1894-1897.

Geißler, Gert; Wiegmann, Ulrich, 1995: Schule und Erziehung in der DDR. Neuwied, Kriftel, Berlin.

Geißler, Gert; Wiegmann, Ulrich, 1996: Pädagogik und Herrschaft in der DDR. Frankfurt/Main.

Geißler, Rainer, 1991: Transformationsprozesse in der Sozialstruktur der neuen Bundesländer, in: Berliner Journal für Soziologie. H. 2, S. 177-194.

Geißler, Rainer, 1993a: Sozialer Umbruch in Ostdeutschland. Einleitende Bemerkungen, in: ders. (Hrsg.): Sozialer Umbruch in Ostdeutschland. Opladen, S. 7-29.

Geißler, Rainer, 1993b: Sozialer Umbruch als Modernisierung, in: ders. (Hrsg.): Sozialer Umbruch in Ostdeutschland. Opladen, S. 63-91.

Geißler, Rainer (Hrsg.) 1993: Sozialer Umbruch in Ostdeutschland. Opladen. Gemeinsam leben lernen, 1991: Der Brandenburger Modellversuch zum

Lernbereich "Lebensgestaltung/Ethik/Religion", in: Geschichte - Erzie­hung - Politik. H. 6, Beilage.

Gemeinsame Einrichtung der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom­mern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für Aufgaben in Bildung und Wissenschaft (GEL), 1991: Dokumentation zum Schulwesen Ost­deutschlands. Zusammengestellt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinsamen Einrichtung der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für Aufgaben in Bildung und Wissenschaft. Berlin (unveröff. Typoskript).

George, Uta; Cremer, Will, 1992: Zur Situation der politischen Bildung in den neuen Bundesländern - eine Untersuchung, in: Bundeszentrale für politische Bildung: Lernfeld Politik. Bonn, S. 523-544.

Gesamtdeutsches Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (Hrsg.), 1990a: Die Entwicklung im Bildungswesen der DDR von der "Wende" bis zur Wahl. Bonn.

Gesamtdeutsches Institut - Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (Hrsg.), 1990b: Die Entwicklung des Hoch- und Fachschulwesens der DDR seit der Wende vom Herbst 1989. Bonn.

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) (Hrsg.), 1990: GEW-Ge­samtschul-Report. Frankfurt/Main.

Giesen, Bernd; Leggewie, Cl aus (Hrsg. ), 1991: Experiment Vereinigung. Berlin.

Gläser, Jochen, 1994: Die Akademie der Wissenschaften nach der Wende: erst reformiert, dann ignoriert und schließlich aufgelöst, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 51, S. 37-46.

Goldschmidt, Dietrich, 1995: Berufsschullehrer aus der DDR in gewandelter Verantwortung, in: Das Hochschulwesen. H. 1, S. 52-59.

Glöde, Harald, 1992: Das berufliche Bildungswesen im Land Brandenburg, in: Schulverwaltung MO. H. 12, S. 263-265.

332

Page 329: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Grobler, Wolfgang, 1991: Politische Bildung in der besonderen Lage der neuen Länder, in: Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Qualität der Weiterbildung sichern. Bonn, S. 64-65.

Grübe!, Hartrnut, 1992: Erfahrungen der Koordinierungs- und Abwicklungs­stelle für die Institute und Einrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR (KAI-AdW), in: Analysen und Berichte. H. 2, S. 139-147. (=Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universi­tät Erlangen-Nürnberg)

Guder, Michael, 1991: Die Berufsbildung der DDR im Übergang zum dualen System, in: Deutsche Gesellschaft für Bildungsverwaltung (Hrsg.): Das Bildungswesen im künftigen Deutschland. Frankfurt/Main, Bochum, S. 145-153.

Rändle, Christa; Ni~sch, W olfgang, 1991: Voneinander lernen in der Lehrerbildung? Uberlegungen zur deutsch-deutschen Integration, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 1, S. 1-8.

Hage, Karl-Heinz, 1991: Einheits-Schu1recht: Das Schulwesen im Einigungs­vertrag, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 1, S. 49-59.

Hajna, Karl-Heinz, 1995: Länder - Bezirke - Länder. Zur Territorialstruktur im Osten Deutschlands 1945-1990. Frankfurt!Main.

Hall, Karl-Heinrich, 1994: Die Hochschulgesetzgebung der neuen Länder als Rahmenbedingung der Neustrukturierung, in: Mayntz, Renate (Hrsg.): Aufbruch und Reform von oben. Frankfurt/New York, S. 165-189.

Hans-Böeider-Stiftung (Hrsg.), 1990: Vertrag über die Herstellung der Ein­heit Deutschlands - Berufsbildung. Düsseldorf. (Typoskript)

Hanßen, Klaus-Detlef, 1991: Zur Entwicklung der Schulgesetzgebung in den neuen Bundesländern. 1. Brandenburg, in: Recht der Jugend und des Bil­dungswesens. H. 3, S. 280-285.

Hanßen, Klaus-Detlef, 1995: Entwicklung des Schulrechts im Land Branden­burg 1991-1995, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 4, S. 493-496.

Hanßen, Klaus-Detlef, 1996: Schulgesetzgebung in den neuen Bundeslän­dern, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 2, S. 273-277.

Hartmann, Bruno et al., 1995: WIP-Memorandum. Verwirklichung des Wis­senschaftler-Integrationsprogramms (WIP) im Hochschulerneuerungs­programm (HEP), in: Das Hochschulwesen. H. 2, S. 95-100.

Hartmann, Matthias, 1990: Kirche und Gesellschaft, in: Deutschland-Archiv. H. 7, S. 1027-1028.

Hartmann, Matthias, 1995: Lebensgestaltung-Ethik- Religion. Streit um ein Unterrichtsfach in Brandenburg, in: Deutschland-Archiv. H. 7, S. 675-678.

Hartmer, Michael, 1991: Die Abwicklung der Übernahme, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes. H. 1, S. 4-6.

Heckel, Hans; Avenarius, Hermann, 1986: Schulrechtskunde. 6., neubearb. Aufl. Neuwied und Darmstadt

Helle, Patrick, 1993: Fremdsprachenunterricht in der ehemaligen DDR und in den neuen Bundesländern unter besonderer Berücksichtigung des Spa­nischunterrichts. Bochum.

333

Page 330: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Helwig, Gisela, 1995: Standortfaktor Ausbildung, in: Deutschland-Archiv. H. 3, S. 225-227.

Henrich, Rolf, 1989: Der vormundschaftliche Staat. Reinbek b. Hamburg. Hillerich, Imma, 1990: Schule und Solidarität in beiden deutschen Staaten, in:

Schule im Deutschland der Zukunft - Bildungspolitik zwischen Trennung und Gemeinsamkeit. Dokumentation, hrsg. vom Verband Bildung und Erziehung. Bonn, S. 23-27.

Hirt, Karl-Heinz, 1991: Allgemeinbildendes Schulwesen in der bisherigen DDR, in: Deutsche Gesellschaft für Bildungsverwaltung (Hrsg.): Das Bildungswesen im künftigen Deutschland. Frankfurt/Main, Bochum, S. 67-74.

Hochschulen für die Region, 1994: 1. Brandenburger Symposium zur Hoch­schul- und Forschungsplanung. Potsdam.

Höppner, Marion, 1994: Problems of Integration of Newly-Founded 'Blue­List' Research-Institutes in the New Federal States. Berlin. (= WZB­Papers P 94-403)

Höppner, Marion; Petruschka, Gisela, 1994: Die neugeordnete Humboldt­Universität zu Berlin. Ein Versuch der Aufldärung politischer Hinter­gründe, in: Hochschule Ost. H. Mai/Juni, S. 55-83.

Hörner, Wolfgang, 1990: Bildung und Wissenschaft in der DDR. Ausgangs­lage und Reform bis Mitte 1990. Bonn.

Hörner, Wolfgang, 1992: Barrieren auf dem Weg zur Bildungseinheit, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 2, S. 93-100.

Hoffmann, Dietrich; Neumann, Karl (Hrsg.), 1994: Erziehung und Erzie­hungswissenschaft in der BRD und der DDR. Band 1. Weinheim.

Hoffmann, Dietrich; Neumann, Karl (Hrsg.), 1995: Erziehung und Erzie­hungswissenschaft in der BRD und der DDR. Band 2. Weinheim.

Hoffmann, Dietrich; Neumann, Karl (Hrsg.), 1996: Erziehung und Erzie­hungswissenschaft in der BRD und der DDR. Band 3. Weinheim.

Hoffmann, Hilmar, 1994a: Sozialdemokratische und kommunistische Kin­dergartenpolitik und -pädagogik in Deutschland. Bochum.

Hoffmann, Hilmar, 1994b: Die Entwicklung des Kindergartens in der Sowje­tischen Besatzungszone bis zur Gründung der DDR - Neuanfang zwi­schen Dogmatismus und Demokratisierung, in: Krüger, Heinz-Hermann; Marotzki, Winfried (Hrsg.): Pädagogik und Erziehungsalltag in der DDR. Opladen, S. 193-207. ..

Hoffmann, Reina, 1992: Vom Ubergang von "alten" zu "neuen" Schulstruktu­ren, in: Schulverwaltung MO. Nr. 6-7, S. 145-146.

Hofmann, Hans-Georg, 1990: Zu den programmatischen Erklaerungen poli­tisch handlungsfähiger Kräfte zur Bildungsreform in der DDR. Berlin. (= Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR)

Hofmann, Jan, 1991: Die Bildungssituation in der DDR- Ergebnis einer bü­rokratisch-zentralistischen Politik, in: Recht der Jugend und des Bil­dungswesens. H. 1, S. 27-39.

Hofmann, Jan; Soder, Helmut, 1990: Einerseits und andererseits und außer­dem, in: Die Deutsche Schule. H. 3, S. 283-288.

Hofmann, Jan; Soder, Helmut, 1991: Inhaltsanalytische Untersuchung von im Zeitraum Oktober 1989 bis März 1990 außerhalb institutionalisierter

334

Page 331: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Strukturen entstandenen bildungskonzeptionellen Vorstellungen. Bonn. (= Diskussionspapiere der Enquete-Kommission "Zukünftige Bildungs­politik- Bildung 2000" des 11. Deutschen Bundestages)

Hofmann, Jan; Tiedtke, Michael, 1990: Thesen zur Erziehungsauffassung. Versuch einer Alternative, in: Aufbruch in die Zukunft. Junge Wissen­schaftler zu Gesellschaft und Erziehung. Berlin, S. 130-176.

Hohlfeld, Brigitte, 1992: Die Neulehrer in der SBZ/DDR 1945-1953. Wein­heim.

Honecker, Margot, 1989: Unser sozialistisches Bildungssystem - Wandlun­gen, Erfolge, neue Horizonte. Berlin.

Hradil, Stefan, 1995: Die Modernisierung des Denkens. Zukunftspotentiale und "Altlasten" in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 20, S. 3-15.

Huber, Peter M., 1996: Grundlegende Erneuerung, in: Forschung & Lehre. H. 11, s. 598-600.

Hübner, Peter, 1992: Von der friedlichen Herbstrevolution 1989 bis zur deut­schen Einheit - Das Erbe, in: Fischer, Alexander; Haendcke-Hoppe­Arndt, Maria (Hrsg.): Auf dem Weg zur Realisierung der Einheit Deutschlands. Berlin, S. 61-93.

Hübner, Peter (Hrsg.), 1994: Lehrerbildung im vereinigten Deutschland. Frankfurt/Main.

Husemann, Rudolf; Dobischat, Rolf, 1993: "Investitionen" in der beruflichen Weiterbildung in den neuen Bundesländern durch die Bundesanstalt für Arbeit?, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 1, S. 43-57.

Husner, Gabriele, 1985: Studenten und Studium in der DDR. Köln. Industriegewerkschaft Metall (Hrsg.), 1990: Bericht zur Lage der beruflichen

Bildung in der DDR. Frankfurt/Main. Interview 1989: Interview der 'Berufsbildung' mit dem Staatssekretär für Be­

rufsbildung, Bodo Weidemann, in: Berufsbildung. H. 11, S. 473-474. Jäckel, Horst, 1992: Gewerkschaftliche Berufsbildungspolitik 1992:

"Spannungsdreieck Jugend - Bildung - Arbeit", in: Gewerkschaftliche Bildungspolitik. H. I, S. 6-10.

Jahnke, Ulrich; Otto, Hansjürgen, 1993: Stellen- und Personalabbau an den Hochschulen 1989 bis 1993 - Zwischenbilanz 1992, in: Schramm, Hilde (Hrsg.) Hochschule im Umbruch. Berlin, S. 414-417.

Jann, Werner, 1981: Kategorien der Policy-Forschung. Speyer. Jann, Werner, 1985a: Policy-Forschung als augewandte Sozialforschung, in:

Klages, Helmut (Hrsg.): Arbeitsperspektiven angewandter Sozialwissen­schaft. Opladen, S. 64-111.

Jann, Werner, 1985b: Policy, Politics, Polity, in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): Pipers Wörterbuch zur Politik. Band 1. München, Zürich, S. 702, S. 704, S. 800-801.

Jasper, Gerda, 1992: Veränderungen im Ausbildungs- und Erwerbsleben von Frauen, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder­Neue Berufsausbildung? Berlin und Bonn, S. 275-292.

Jobst, Eberhard (Hrsg.), 1991: Das neue deutsche Recht für Schule, Berufs­ausbildung und Hochschule. Bad Honnef.

335

Page 332: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Jungklaß, Gisela; Urbanski, Albert, 1990: Statuten der Universitäten und Hochschulen. Berlin ( = Zentralinstitut für Hochschulbildung: Beiträge zur Hochschulentwicklung).

Kaack, Heike, 1991: "Keine Antwort - M.f.S.", in: Deutschland-Archiv. H. 10, S. 1132-1136.

Kaminski, Horst, 1991: Die Umgestaltung der Polytechnischen Bildung und Erziehung im Lichte der Erfahrungen der Entwicklung der Arbeitslehre, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 3, S. 163-174.

Katzorke, Heidrun, 1991: Das sozialistische Bildungskonzept und seine Durchsetzung im Hochschulwesen der DDR, in: Löw, Konrad (Hrsg.): Ursachen und Verlauf der deutschen Revolution 1989. Berlin, S. 159-175.

Keil, Adolf (Hrsg.), 1994: Erziehungswissenschaft im Aufbruch? Arbeitsbe­richte. Weinheim.

Kiel, Siegfried, 1993: Die gespaltene Reform der deutschen Hochschulen -Wahrnehmungen aus einer spezifischen ostdeutschen Sicht, in: Das Hochschulwesen. H. 4, S. 181-187.

Kiel, Siegfried, 1996: "Hochschulerneuerung" an ostdeutschen Hochschulen aus dem Blickwinkel heutiger Verantwortungsträger, in: Hochschule Ost. H. 2, S. 155-171.

Kielwein, Kurt, 1992: ~ptwicklung und Förderung überbetrieblicher Be­rufsbildungsstätten (UBS) in den neuen Bundesländern, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder - Neue Berufsausbil­dung? Berlin und Bonn, S. 419-433.

Kienast, Eckhard, 1992a: Von der Einheitsschule zum gegliederten Schulsy­stem - Erste Erfahrungen zur neuen Schulentwicklungsplanung in Ost­Berlin, in: Zeitschrift für internationale erziehungs- und sozialwissen­schaftliche Forschung. H. 1, S. 85-102.

Kienast, Eckhard, 1992b: Die Einführung des viergliedrigen Schulsystems und das elterliche Schulwahlverhalten im Schuljahr 1991/92 in den Ost­berliner Bezirken, in: Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung: Forschungsberichte der "Arbeitsgruppe Berlin". Teil 1: Grundfragen zur Bildungsgeschichte der DDR und zur Bildungsentwick­lung in den ostdeutschen Bundesländern 1990-91. Frankfurt/Main, S. 223-246.

Klein, Alfred; Schramm, Hilde; Jähne, Matthias, 1993: Berliner Hochschul­recht, in: Schramm, Hilde (Hrsg.): Hochschule im Umbruch. Berlin, S. 98-104.

Klein, Eckart, 1992: Der Einigungsvertrag - Verfassungsprobleme und -auf­träge, in: Fischer, Alexander; Haendcke-Hoppe-Arndt, Maria (Hrsg.): Auf dem Weg zur Realisierung der Einheit Deutschlands. Berlin, S. 39-59.

Klein, Hans-Dieter, 1993: Zaghafte konservative Modernisierung. Das Hoch­schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, in: Hochschule Ost. H. Okto­ber/November, S. 30-38.

Klemm, Klaus u.a., 1990: Bildungsgesamtplan '90. Weinheim und München. Klemm, Klaus; Böttcher, Wolfgang; Weegen, Michael, 1992: Bildungspla­

nung in den neuen Bundesländern. Weinheim und München.

336

Page 333: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Klemm, Klaus; Tillmann, Klaus-Jürgen, 1984: Schule im kommunalen Kon­text, in: E~zyklopädie Erziehungswissenschaft. Band 5: Organisation, Recht und Okonomie des Bildungswesens. Hrsg. von Martin Baethge und Knut Nevermann. Stuttgart, S. 280-297.

Klewitz, Marion, 1990: Rahmenpläne für Geschichte: Der Potsdamer Ent­wurf, in: Geschichte- Erziehung- Politik. H. 6, S. 482-489.

Klinkmann, Horst, 1991: Die Situation der Akademie der Wissenschaften, in: Analysen und Berichte. H. 1, S. 33-36. (= Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Klinzing, Klaus, 1993: Der ostdeutsche akademische Mittelbau auf dem Weg ins vereinigte Deutschland, in: Hochschule Ost. H. Dezember, S. 61-80.

Koch, Hans Konrad, 1995: Die KAW West-Ost, in: Bildung und Erziehung. H. 1, S. 43-54.

Koch, Thomas; Schröter, Ursula; Woderich, Rudolf, 1994: Handlungs- und Deutungsmuster von Lehrern (Promotoren), in: BISS public. H. 16, S. 13-72.

Köhler, Gabriele, 1993: Die Umgestaltung des Schulwesens in Thüringen. Anmerkungen zu Verlauf und Ergebnissen des Schulstrukturwandels in der Zeit von 1989 bis 1992, in: Forschungsgruppe Schulstrukturwandel in Thüringen (Hrsg.): Schulstrukturwandel in Thüringen. Erfurt, S. 11-32.

Konegen-Grenier, Christiane, 1991: Die Hochschulen, in: Göbel, Uwe; Schlaffke, Winfried (Hrsg.): Bildungssituation und Bildungsaufgaben in den neuen Bundesländern. Köln, S. 129-169.

Kossakowski, Adolf, 1992: Abwicklung der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, in: Erziehungswissenschaften im deutsch-deutschen Vereinigungsprozeß. Frankfurt/Main, S. 87-101. (=Jahrbuch für Pädago­gik)

Kramer, Franz-Ludolf, 1996a: Die Entwicklung des Schulrechts in Sachsen­Anhalt (1990 bis 1994), in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 1, S. 125-131.

Kramer, Franz-Ludolf, 1996b: Sachsen-Anhalt führt die Förderstufe ein, in: Schulverwaltung MO. H. 2, S. 60.

Krause, Joachim; v. Olberg, Hans-Joachim, 1996: Fachliche Professionalisie­rung statt Umerziehung, in: Gegenwartskunde. H. 2, S. 239-249.

Krauth, Wolf-Hagen; Scherer, Doris, 1992: Das Wissenschaftler-Integrati­ons-Programm, in: Das Hochschulwesen. H. 5, S. 202-204.

Krekel-Eiben, Elisabeth M.; Ulrich, Joachim G., 1993: Berufschancen von Jugendlichen in den neuen Bundesländern, in: Aus Politik und Zeitge­schichte. B 19, S. 13-20.

Krüger, Heinz-Hermann; Kühnel, Martin; Thomas, Sven (Hrsg.), 1995: Transformationsprobleme in Ostdeutschland. Opladen.

Krüger, Heinz-Hermann; Marotzki, Winfried (Hrsg.), 1994: Pädagogik und Erziehungsalltag in der DDR. Opladen.

Krug, Peter, 1994: Zur Entwicklung der Weiterbildung in den Neuen Län­dern, in: Derichs-Kunstmann, Karin; Schiersmann, Christiane; Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Perspektiven und Probleme der Erwachsenenbildung in den Neuen Bundesländern. Frankfurt/Main, S. 13-16.

337

Page 334: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Krull, Wilhelm, 1992: Neue Strukturen für Wissenschaft und Forschung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 51, S. 15-28.

Krull, Wilhelm, 1994: Im Osten wie im Westen- nichts Neues? Zu den Emp­fehlungen des Wissenschaftsrates für die Neuordnung der Hochschulen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, in: Mayntz, Renate (Hrsg.): Auf­bruch und Reform von oben. Frankfurt/Main; New York, S. 205-225.

Krzyweck, Hans-Jürgen, 1991: Zur Entwicklung der Schulgesetzgebung in den neuen Bundesländern. 3. Berlin, in: Recht der Jugend und des Bil­dungswesens. H. 3, S. 290-294.

Krzyweck, Hans-Jürgen, 1993a: Die Greifswalder Beschlüsse, in: Schulver­waltung MO. H. 7/8, S. 149-150.

Krzyweck, Hans-Jürgen, 1993b: Religionsunterrichtcontra Lebenskunde?, in: Schulverwaltung MO. H. 6, S. 137-138.

Krzyweck, Hans-Jürgen, 1993c: Anerkennung und Gleichstellung von Befä­higungen und Abschlüssen, in: Schulverwaltung MO. H. 2, S. 27-28.

Kudella, Peter, 1992: Kooperation und Koordination zwischen Berufsschul­lehrern und Ausbildern unter den Bedingungen des Dualen Systems, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder - Neue Be­rufsausbildung? Berlin und Bonn, S. 455-464.

v. Küchler, Felicitas, 1993: Angebotsplanung und Programmentwicklung, in: Hessische Blätter für Volksbildung. H. 3, S. 219-223.

Kümmerlein, Sigrid, 1990: DDR: Berufsausbildung auf neuem Kurs, in: Lern­feld Betrieb. H. 4, S. 16-18.

Kuhlenkamp, Detlef, 1994: Zu Problemen der beruflichen Weiterbildung in den Neuen Bundesländern, in: Derichs-Kunstmann, Karin; Schiersmann, Christiane; Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Perspektiven und Probleme der Er­wachsenenbildung in den Neuen Bundesländern. Frankfurt/Main, S. 20-25.

Kuhn, Hannelore; Kramer, Franz-Josef, 1993: Das neue Schulgesetz des Lan­des Sachsen-Anhalt, in: Schulverwaltung MO. H. 10, S. 208-211.

Kuhn, Hans-Jürgen, 1993: Gesamtschule in Brandenburg. Erfolge, Probleme, Perspektiven, in: Schulverwaltung MO. H. 9, S. 178-181.

Kuhrt, Willi; Oberliesen, Rolf, 1992: Arbeitslehre und polytechnische Bil­dung, in: Oberliesen, Rolf et al. (Hrsg.): Schule Ost- Schule West. Harn­burg, S. 223-238.

Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.), o.J. (1992): Hochschulentwicklungsbericht der Landesregierung Mecklen­burg-Vorpommern. Schwerin.

Kultusministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 1994: Hochschul-recht in Mecklenburg-Vorpommern. Schwerin. ..

Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt, o.J. (1992): Uber 500 Tage Bildungs- und Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt. Magdeburg.

Kultusministerkonferenz, 1991: Beschluß der Kultusministerkonferenz zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Bildungsabschlüssen (Hochschul­abschlüsse, Abschlüsse kirchlicher Ausbildungseinrichtungen, Fach- und Ingenieurschulabschlüsse) im Sinne des Art. 37 Abs. 1 des Einigungsver­trages und Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland zur Regelung der Zuständigkeit für die Feststellung der

338

Page 335: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Gleichwertigkeit von in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Re­publik erworbenen Bildungsabschlüssen mit Hochschulabschüssen. Be­schlüsse der Kultusministerkonferenz vom 10./11. Oktober 1991. Hrsg. vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. 1991. Bonn.

Kusch, Regina; Beckmann, Andreas, 1993: Vom Kombinat zum Chaos, in: Päd Extra. H. Januar, S. 40-45.

Labrenz-Weiss, Hanna, 1994: Die Beziehungen zwischen Staatssicherheit, SED und akademischen Leitungsgremien an der Humboldt-Universität zu Berlin, in: German Studies Review. Special Issue Fall, S. 131-145.

Laermann, Karl-Hans, 1994: Ziele der Hochschulerneuerung, in: Buck­Bechler, Gertraude; Jahn, Heidrun (Hrsg): Hochschulerneuerung in den neuen Bundesländern. Weinheim, S. 11-21.

Landua, Detlef, 1992: Das Jahr danach. Zum Transformationsprozeß Ost­deutschlands und seiner Bewertung aus der Sicht der Betroffenen. Berlin. (= WZB-Papers P 92-102)

Lange, Josef, 1993: Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern zwischen gestern und morgen, in: Bildung und Erziehung. H. 2, S. 207-224.

Lange, Katrin, 1994: Zur Umsetzung des Wissenschaftler-Integrations­Programms (WIP) unter besonderer Berücksichtigung des Landes Bran­denburg, in: Beiträge zur Hochschulforschung. H. 3, S. 427-449.

Lapp, Peter Joachim, 1990a: Die DDR geht- die Länder kommen. Bonn-Bad Godesberg.

Lapp, Peter Joachim, 1990b: Fünf plus eins: Länder statt DDR, in: Deutsch­land-Archiv. H. 7, S. 1079-1084.

Lapp, Peter Joachim, 1991: Die fünf neuen Länder. Bonn- Bad Godesberg. Laufer, Heinz, 1991: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland.

6. neu bearb. Aufl., München. Lauterbach, Günter, 1991: Bilanz des WTZ-Abkommens mit der ehemaligen

DDR, in: IGW-Report über Wissenschaft und Technologie in der DDR und anderen RGW-Ländern. H. 1, S. 15-24.

Lehmbruch, Gerhard, 1993: Der Staat des vereinigten Deutschland und die Transformationsdynamik der Schnittstellen von Staat und Wirtschaft in der ehemaligen DDR, in: BISS public. H. 10, S. 21-41.

Leistikow, Sven; Krzyweck, Hans-Jürgen, 1991: Der Religionsunterricht in den neuen Bundesländern, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 308-310.

Lenhardt, Gero; Stock, Manfred; Tiedtke, Michael, 1991: Zur Transformation der Lehrerrolle in der ehemaligen DDR. Berlin. (= Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Typoskript)

Leschinsky, Achim, 1995: Bericht der wissenschaftlichen Begleitung über den Modellversuch zum Lernbereich "Lebensgestaltung - Ethik - Religi­on". 0.0. (Berlin). (Typoskript)

Leschinsky, Achim; Schnabel, Kai, 1996: Ein Modellversuch arn Kreuzweg, in: Zeitschrift für Pädagogik. H. 1, S. 31-55.

Leusmann, Christoph; Klausnitzer, Hans Peter, 1993: Zum Zusammenwach­sen der alten und neuen Länder im Schulbereich - eine Skizze der Maß-

339

Page 336: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

nahmen länderübergreifender Zusammenarbeit im Rahmen der Kultus­ministerkonferenz (Stand Sommer 1992), in: Pädagogik und Schulalltag. H. 2, S. 133-154.

Löbler, Frank, 1990: Stand und Perspektive der Policy-Forschung in der deutschen Politikwissenschaft Siegen.

Loest, Brich, 1988: Eine Falte, spinnwebfein, in: Helwig, Gisela (Hrsg.): Schule in der DDR. Köln, S. 179-183.

Löwer, Wolfgang; Braun, Christian, 1995: Kooperatives Promotionsverfah­ren, in: Forschung und Lehre. H. 5, S. 275-278.

Londner-Kujath, Monika, 1994: Weiterbildungspolitik in Berlin, in: Report. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung. H. 33, S. 35-39.

Lorentzen, Uwe, 1991: Zur Entwicklung der Schulgesetzgebung in den neuen Bundesländern. 2. Mecklenburg-Vorpommern, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 285-290.

Lorenz, Bärbel, 1991: Mecklenburg-Vorpommern: Die konservative Reform, in: Pädagogik. H. 11, S. 31-33.

Lüdtke, Michael; Quast, Heiko, 1992: Die Rolle der Treuhandanstalt bei der Entwicklung der beruflichen Bildung in den neuen Bundesländern, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder- Neue Be­rufsausbildung? Berlin und Bonn, S. 135-149.

Maier, Petra; Wenske, Christian, 1993: Personelle "Erneuerung" der Hoch­schulen in Mecklenburg-Vorpommern, in: Schramm, Hilde (Hrsg.): Hochschule im Umbruch. Berlin, S. 31-35.

de Maiziere, Lothar, 1990: Regierungserklärung zum demokratischen Neuan­fang in der DDR-Gesellschaft und zur deutschen Einheit vom 19.4.1990, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Dokumen­te zur Deutschland-Politik. Reihe III, Band 8a- 1990. Bonn, S. 167-195.

v. Mangoldt; Hermann; Klein, Friedrich; Frhr. v. Campenhausen, Axel, 1991: Das Bonner Grundgesetz. Kommentar. 3. Aufl. München.

Markgraf, Gerhard, 1992: Schulen in freier Trägerschaft, in: Schulverwaltung MO. H. 5, S. 113-116; H. 617, S. 139-140.

Martini, Renate, 1992: Schullandschaft im Umbruch. Frankfurt/Main. Martini, Renate, 1993: Zum Bildungsrecht in den ostdeutschen Bundeslän­

dern. Gesetze, Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften. Frank­furt/Main.

Marx, Martina; Berenbruch, Hans-Wilhelm, 1992: Zur Mittelschule in Sach­sen, in: Schulverwaltung MO. H. 5, S. 106-108.

Marx, Martina; Maier, Jens, 1992: Sachsen: Zur personellen Neustrukturie­rung der Schulen des Freistaates, in: Schulverwaltung MO. H. 3, S. 62-64.

Mayntz, Renate, 1992: Die außeruniversitäre Forschung im Prozeß der deut­schen Einigung, in: Leviathan. H. 1, S. 64-82.

Mayntz, Renate, 1994a: Die deutsche Vereinigung als Prüfstein für die Lei­stungsfähigkeit der Sozialwissenschaften, in: BISS public. H. 13, S. 21-24.

Mayntz, Renate, 1994b: Deutsche Forschung im Einigungsprozeß. Frankfurt/ Main, New Y ork.

340

Page 337: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Mayntz, Renate (Hrsg.), 1994: Aufbruch und Reform von oben. Frank­furt/Main; New Y ork.

Mayntz, Renate, 1995: Sektorale Unterschiede in der Transformation des Wis­senschaftssystems der DDR, in: Berliner Journal für Soziologie. H. 4, S. 443-453.

Mehlhorn, Hans-Georg, 1990: Die Chance des Neubeginns nutzen!, in: Die Fachschule. H. 10, S. 289-292.

Meier, Artur, 1990: Zur Lage der Weiterbildung in der DDR, in: Grundlagen der Weiterbildung (Zeitschrift). H. 3, S. 111-113.

Meier, Klaus; Schulz, Carla, 1990: Demokratie lernen und behaupten lernen. Demokratisierungsprozesse in der Wissenschaft der DDR seit November 1989, in: IGW-Report über Wissenschaft und Technologie in der DDR und anderen RGW-Ländern. H. 3, S. 49-59.

Meisel, Klaus, 1992: Zur Angebotsstruktur der Volkshochschulen in den neu­en Bundesländern- Trends und Entwicklungen, in: Volkshochschule. H. 2, S. 10-12.

Melis, Charles, 1993: Was ist von dem DDR-Forschungspotential übrigge­blieben?, in: Schramm, Hilde (Hrsg.): Hochschule im Umbruch. Berlin, S. 350-363.

Melis, Charles; Meyer, Hansgünter, 1993: Transformation der Wissenschaft im Osten: Fusion- Filetierung- Integration- Neugründung?, in: Richter, Wolfgang (Hrsg.): Unfrieden in Deutschland. Weissbuch. Berlin, S. 21-52.

Menge, Gerd, 1989: IX. Pädagogischer Kongreß und Berufsbildung, in: Be­rufsbildung. H. 10, S. 425-426.

Meske, Werner, 1993a: Die Umgestaltung des ostdeutschen Forschungssy­stems- eine Zwischenbilanz. Berlin. (= WZB-Papers P 93-401)

Meske, Werner, 1993b: Veränderungen der ostdeutschen Wissenschaftsland­schaft im gesamtdeutschen und europäischen Kontext, ausgehend von ei­nem potentialtheoretischen Ansatz, in: ders.; Rammert, Werner (Hrsg.): Ein Blick auf die neue Wissenschaftslandschaft. Berlin, S. 7-31. (= WZB-Papers P 93-403/1).

Meske, Werner, 1994: Veränderungen in den Verbindungen zwischen Wis­senschaft und Produktion in Ostdeutschland - eine Problemskizze. Berlin. (= WZB-Papers P 94-402)

Messmer, Horst, 1990: Was bleibt von der Polytechnik?, in: Päd Extra & Demokratische Erziehung. H. September, S. 15-20.

Meuschel, Sigrid, 1990: Revolution in der DDR. Versuch einer sozialwissen­schaftliehen Interpretation, in: Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Die Modernisie­rung moderner Gesellschaften. Frankfurt/Main, New Y ork, S. 558-575.

Meyer, Hans Joachim, 1990: Erklärung der Katholischen Laienbewegung (der DDR) zum Tagesordnungspunkt "Bildung" bei der Sitzung des Rundes Tischesam 5. März 1990, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 2, S. 119-120.

Meyer, Hans Joachim, 1993: Das neue Sächsische Hochschulgesetz, in: Hochschule Ost. H. April, S. 45-51.

Meyer, Hans Joachim, o.J. (1995): Die Hochschulen in den neuen Ländern. Dresden.

341

Page 338: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Meyer, Hansgünter, 1993: Neugestaltung der Hochschulen in Ostdeutschland. Berlin. (= WZB-Papers P 93-402)

Meyn, Matthias, 1990: Weiterbildungspolitische Aspekte der Koordination mit Volkshochschulen in der DDR, in: Volkshochschule. H. 3, S. 29-30

Mickel, Wolfgang W., 1985: Bildungspolitik, in: Noblen, Dieter (Hrsg.): Pipers Wörterbuch zur Politik. Band 1. München, Zürich, S. 91-93.

Mickel, Wolfgang W., 1990: Kritische Anmerkungen zu den Rahmenplänen für Gesellschaftskunde aus bundesdeutscher Sicht, in: Geschichte - Er­ziehung- Politik. H. 2, S. 107-113.

Mickel, Wolfgang W., 1992a: Rahmenrichtlinien "Sozialkunde" an allge­meinbildenden Schulen in Sachsen-Anhalt, in: Geschichte - Erziehung -Politik. H. 5, S. 319-325.

Mickel, Wolfgang W., 1992b: Die Lehrpläne für politischen Unterricht an allgemeinbildenden Schulen in Sachsen und Thüringen, in: Geschichte -Erziehung- Politik. H. 9, S. 545-553.

Mindt, Dieter, 1996: Ein Nachfolger Humboldts? Zur Hochschulpolitik in Berlin, in: Forschung & Lehre. H. 5, S. 249-251.

Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, 1995: Nach der 10. Klasse. Berufliche Bildung. Gymnasiale Oberstufe. Pots­dam.

Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, 1996a: Das brandenburgische Schulgesetz - was steckt hinter ... Lebensgestal­tung/Ethik/Religionskunde. Potsdam.

Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, 1996b: Das brandenburgische Schulgesetz - was steckt hinter ... Kleine Grund­schule. Potsdam.

Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, 1996c: Abschlußbericht zum Modellversuch "Lernbereich Lebensgestaltung­Ethik-Religion". Potsdam.

Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.), 1992: Empfehlungen der Hochschulstrukturkommission zur Hochschul- und Wissenschaftsentwicklung des Landes Sachsen-Anhalt. Magdeburg.

Mit uns muß man rechnen, 1994. Wissenschaft und Forschung in Sachsen­Anhalt. Hrsg. vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Sachsen-Anhalt. Magdeburg.

Muckel, Stefan; Tillmanns, Reiner, 1996: "Lebensgestaltung-Ethik-Religi­onskunde" statt Religionsunterricht?, in: Recht der Jugend und des Bil­dungswesens. H. 3, S. 360-367.

Mücke, Hubert, 1996: Deutsche Einheit- Fachhochschulbilanz nach fünf Jah­ren, in: Hochschule Ost. H. 2, S. 207-211.

Müller, Sigrid, 1990: Entwicklung der Zusammenarbeit mit Bildungseinrich­tungen der BRD, in: Die Fachschule. H. 6, S. 161-162.

Müller-Hartrnann, lrene, 1993: Probleme bei der Neuordnung der außeruni­versitären natur- und technikwissenschaftlichen Forschung in Berlin­Brandenburg, in: Meske, Werner; Rammert, Werner (Hrsg.): Ein Blick auf die neue Wissenschaftslandschaft Berlin, S. 32-47. (= WZB-Papers P 93-403/1)

342

Page 339: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Munding, Albert, 1995: Die Kultusministerkonferenz im Prozeß der deut­schen Einigung, in: Deutschland-Archiv. H. 5, S. 507-515.

Musiolek, Berndt; Wuttke, Carola (Hrsg.), 1991: Parteien und politische Be­wegungen im letzten Jahr der DDR. Berlin.

Myritz, Reinhard, 1993: Zwischen Umbruch und Konsolidierung, in: Deutschland-Archiv. H. 6, S. 657-673.

Neidhardt, Friedhelm, 1994: Konflikte und Balancen. Die Umwandlung der Humboldt-Universität zu Berlin 1990-1993, in: Mayntz, Renate (Hrsg.): Aufbruch und Reform von oben. Frankfurt!Main; New York, S. 33-60.

Neidhardt, Friedhelm, 1996: Gewinner West - Verlierer Ost, in: Deutsche Universitätszeitung. H. 21, S. 16-20.

Neie, Thomas, 1995: Synopse hochschulrechtlicher Regelungen in Ost­deutschland, in: Hochschule Ost. H. Juli, S. 12-88.

Neie, Thomas, 1996: Die Entwicklung des Personalbestandes an den ostdeut­schen Hochschulen 1990-1993, in: Hochschule Ost. H. 1, S. 133-147.

Neitzel, Neithart, 1994: Weiterbildung in Mecklenburg-Vorpommern, in: Re­port. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung. H. 33, S. 89-92.

Neubert, Ehrhart, 1990: Eine protestantische Revolution. 0.0. Neubert, Renate, 1991: Verstärkte Fördermaßnahmen zur Qualifizierung der

Ausbilder und Ausbilderinnen, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis. Sonderheft, S. 51-52.

Neubert, Renate, 1993: Qualifizierung des Personals in der beruflichen Bil­dung- ein Beitrag .~um Aufschwung Ost, in: Degen, Ulrich (Hrsg.): Be­rufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 151-157.

Neubert, Renate; Steinborn, Hans-Christian (Hrsg.), 1993: Personalqualifizie­rung in den neuen Bundesländern. Band 1: Stand und Perspektiven. Ber­lin und Bonn.

Neubert, Renate; Steinborn, Hans-Christian, 1995: Ergebnisse im Programm "Personalqualifizierung in Ostdeutschland", in: Bundesinstitut für Be­rufsbildung (Hrsg.): Berufliche Bildung in den ostdeutschen Bundeslän­dern. Berlin und Bonn, S. 37-39.

Neuweiler, Gerhard, 1994: Das gesamtdeutsche Haus für Forschung und Leh­re, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 25, S. 3-11.

Niebes, Ludwig, 1995a: Novellierung des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen, in: Schulverwaltung MO. H. 1, S. 29-30.

Niebes, Ludwig, 1995b: Die Entwicklung des Schulrechts im Freistaat Sach­sen bis 1994, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 348-351.

Niermann, Johannes, 1990a: Zögerlicher Ausbruch aus der Unmündigkeit, in: Deutsche Universitäts-Zeitung. H. 15-16, S. 24-25.

Niermann, Johannes, 1990b: Das DDR-Schulbuch im Übergang vom Sozia­lismus zur demokratischen Grundordnung, in: Die Realschule. H. 9, S. 379-385.

Nipkow, Karl Ernst, 1996: Der pädagogische Umgang mit dem weltanschau­lich-religiösen Pluralismus auf dem Prüfstein, in: Zeitschrift für Pädago­gik. H. 1, S. 57-70.

Nowak, Wolfgang, 1992: Bildungspolitische Vorstellungen zur Sekundarstufe in Sachsen, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 3, S. 134-139.

343

Page 340: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Opelt, Karin, 1993: Die Weiterbildungsmotivation in den neuen Bundeslän­dern, in: Hessische Blätter für Volksbildung. H. 3, S. 213-218.

Opp, Karl-Dieter, 1991: DDR '89. Zu den Ursachen einer spontanen Revolu­tion, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. H. 2, S. 302-321.

Ortleb, Rainer, 1991: Einführungsvortrag zum Zweiten Kolloquium zu Fra­gen der Weiterbildung am 15. und 16. April 1991 in Potsdam, in: Bun­desminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Qualität der Weiter­bildung sichern. Bonn, S. 11-17.

Ortleb, Rainer, 1992: Das Bildungswesen im vereinten Deutschland, in: Schlaffke, Winfried; Zedler, Reinhard (Hrsg.): Wirtschaftlicher Wandel im neuen Bundesgebiet und Strategien der Qualifizierung. Köln, S. 27-49.

Otto, Gert, 1996: Religion)n der Schule?, in: Pädagogik. H. 2, S. 54-57. Otto, Hansjürgen, 1993: Offnung statt Austausch der Köpfe. Plädoyer eines

(Besser-)Wessi, in: Schramm, Hilde (Hrsg.): Hochschule im Umbruch. Berlin, S. 23-30.

Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg (PLIB), 1995a: Der Brandenbur­ger Modellversuch zum Lernbereich "Lebensgestaltung - Ethik - Religi­on" (L-E-R). Abschlußbericht der Projektgruppe. Teil 1: Bericht. Lud­wigsfelde.

Pädagogisches Landesinstitut Brandenburg (PLIB), 1995b: Der Brandenbur­ger Modellversuch zum Lernbereich "Lebensgestaltung - Ethik - Religi­on" (L-E-R). Abschlußbericht der Projektgruppe. Teil 2: Anlagen. Lud­wigsfelde.

Pampus, Klaus, 1990: Berufsbildung im vereinigten Deutschland, in: Die be­rufsbildende Schule. H. 7/8, S. 428-443.

Pape, Hermann, 1990: Initiative "Gesamtschule in Sachsen", in: Päd Extra & Demokratische Erziehung. H. 6, S. 43.

Peter, Lothar, 1993: Für eine modernisierungskritische Soziologie der Trans­formation in Deutschland, in: BISS public. H. 11, S. 91-96.

Peter, Volkhard, 1990: "Vermischtes" Resümee zur Volksbildungsbewegung in der DDR, in: Zeitschrift für Bildungsverwaltung. H. 1, S. 19-24.

Peter, Volkhard, 1991: Bildungsdiskussion in der DDR zwischen 40. Jahres­tag und Beitritt, in: Schmidt, Hans-Dieter; Schaarschmidt, Uwe; Peter, Volkhard (Hrsg.): Dem Kinde zugewandt. Hohengehren, S.121-134.

Petersen, Traute, 1992: Zur Situation des Faches Geschichte in den neuen Bundesländern, in: Geschichte- Erziehung- Politik. H. 4, S. 263-265.

Pfeifer, Baidur Ed., 1995: Die Theologische Hochschule Friedensau. Eine freikirchliche Hochschule, in: Hochschule Ost. H. Juli/August, S. 65-70.

Plesser-Löper, Cornelia, 1991: Alte und neue Strukturen. Ausbau der Volks­hochschulen in den neuen Bundesländern, in: Volkshochschule. H. 2, S. 12-15.

Pollack, Detlef, 1991: Vop. der Organisationsgesellschaft zur Risikogesell­schaft. Soziologische Uberlegungen zu den gesellschaftlichen Transfor­mationsprozessen in Ostdeutschland, in: Berliner Journal für Soziologie. H. 3, S. 451-455.

344

Page 341: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Pollack, Detlef, 1992: The Times, They Are A-Changing ... - Anmerkungen zum Transformationsprozeß in Ostdeutschland, in: BISS public. H. 6, S. 49-61.

Positionen und Vorschläge zur Weiterentwicklung des polytechnischen Un­terrichts, 1990, in: Arbeit und Technik in der Schule. H. 1, S. 2-8.

Programm für die Erziehungs- und Bildungsarbeit im Kindergarten, 1985. Berlin.

Pütz, Helmut, 1991: Bildungspolitische Auswirkungen der deutschen Eini­gung, in: Wirtschaft und Berufserziehung. H. 2, S. 41-46.

Putzhammer, Heinz, 1995: Die Rechtsstellung der Lehrkräfte in den neuen Ländern, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 1, S. 16-22.

Rabe, Harald, 1990: Religionsunterricht in der Schule, in: Geschichte- Erzie­hung- Politik. H. 2, S. 97-105.

Ramm, Michael, 1994: Fachhochschulen in den neuen Bundesländern. Bonn. (= BMBW (Hrsg.): Reihe Bildung- Wissenschaft- Aktuell. H. 12)

Ranft, Dieter, 1993: Rückblick auf die Arbeit der Hochschulstrukturkommis­sion zur Hochschul- und Wissenschaftsentwicklung des Landes Sachsen­Anhalt, in: Beiträge zur Hochschulforschung. H. 1, S. 1-18.

Ratzki, Anne, 1991: Gesamtschulperspektiven in den neuen Bundesländern, in: Pädagogik. H. 4, S. 47-51.

Reh, Sabine; Tillmann, Klaus-Jürgen, 1994: Zwischen Verunsicherung und Stabilitätssuche. Der Wandel der Lehrerrolle in den neuen Bundeslän­dern, in: Die Deutsche Schule. H. 2, S. 224-241.

Rehm, Stefanie, 1991: Zukünftige Gesetzgebung aus bildungspolitischer Sicht, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 242-245.

Reiher, Dieter, 1992a: Spannungsfeld Schule- Kirche vor und nach der Wen­de, in: Rhein, Stefan (Hrsg.): Staat und Kirche. Sigmaringen, S. 69-76.

Reiher, Dieter, 1992b: Religion in der Schule, in: EPD-Dokumentation. Nr. 6 v. 27.1. Frankfurt/Main.

Rein, Gerhard (Hrsg.), 1989: Die Opposition in der DDR. Berlin. Reiners, Theo, 1991: Kommunalverfassungsrecht in den neuen B undeslän­

dern. München. Reißig, Rolf, 1992: Transformationsprozeß in Ostdeutschland - empirische

Befunde und theoretische Erklärungsansätze, in: BISS public. H. 6, S. 5-22.

Reißig, Rolf, 1993: Transformationsprozeß Ostdeutschlands - empirische Wahrnehmungen und theoretische Erklärungen. Berlin. (= WZB-Papers P 93-001)

Reißig, Rolf, 1994: Transformation - Theoretisch-konzeptionelle Ansätze, Erklärungen und Interpretationen, in: BISS public. H. 15, S. 5-43.

Reuter, Lutz R., 1975: Rechtsunterricht als Teil der Gesellschaftslehre. Saar­brücken.

Reuter, Lutz R., 1987: Bildung, in: Görlitz, Axel; Prätorius, Rainer (Hrsg.): Handbuch Politikwissenschaft. Reinbek b. Hamburg, S. 29-35.

Reuter, Lutz R., 1993: Entwicklung und Stand des Weiterbildungsrechts, in: Ilse, Frauke (Hrsg.): Berufliche Weiterbildung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis. Hamburg, S. 57-76.

345

Page 342: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Reutter, Gerhard, 1993: Zum Stand der beruflichen Weiterbildung an den Volkshochschulen der neuen Länder, in: Hessische Blätter für Volksbil­dung. H. 3, S. 252-257.

Richter, Edelbert, 1993: Zur Situation von Forschung und Hochschulen in den Neuen Ländern, in: Hochschule Ost. H. Januar, S. 5-14.

Richter, Gundel; Fischer, Bernd-Reiner, 1993: Städtischer Schulalltag im Wandel, in: Dudek, Peter; Tenorth, H.-Elmar (Hrsg.): Transformationen der deutschen Bildungslandschaft Weinheim und Basel, S. 37-48.

Richter, Ingo, 1990: Vollendete Tatsachen schaffen, in: Deutsche Lehrerzei­tung. Nr. 41.

Riedel, Klauset al., 1994: Schule im Vereinigungsprozeß. Frankfurt/Main. Rodenbach, Hermann-J osef, 1991: Rechtsangleichung im vereinigten

Deutschland. Bonn-Bad Godesberg. Roeder, Peter Martin, 1988: Innere und äußere Schulreform, in: Innere und

äußere Schulreform. Carl-Ludwig Furck zum 3. November 1988, Harn­burg, S. 29-45.

Röhrs, Hermann; Pehnke, Andreas (Hrsg.), 1994: Die Reform des Bildungs­wesens im Ost-West-Dialog. Frankfurt/Main.

Rohlmann, Rudi, 1992: Gesetzgebung zur Erwachsenenbildung/Weiterbil­dung in den neuen Ländern, in: Recht der Jugend und des Bildungswe­sens. H. 1, S. 71-77.

Rohlmann, Rudi, 1994: Eine reale Chance zum Neuanfang hat es nicht gege­ben ... , in: Derichs-Kunstmann, Karin; Schiersmann, Christiane; Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Perspektiven und Probleme der Erwachsenenbildung in den N euen Bundesländern. Frankfurt/Main, S. 17-19.

Rosen, Klaus-Henning, 1993: Hilfe beim Aufbau der Verwaltungen in den neuen Ländern. Eine Zwischenbilanz, in: Deutschland-Archiv. H. 4, S. 434-441.

Rost, Peter; Wessel, Anne, 1992: Schulwahl- ein neues Problem für Schüler und Eltern in Ostberlin, in: Die Deutsche Schule. H. 3, S. 272-281.

Rudolph, Wolfgang, 1990: Berufsbildung in der Umgestaltung, in: Forschung zur Berufsbildung. H. 4, S. 193-198.

Rüther, Beate, 1992: Vom marxistisch-leninistischen Grundlagenstudium zum Studium generale in der ehemaligen DDR, in: Anweiler, Oskar (Hrsg.): Systemwandel im Bildungs- und Erziehungswesen in Mittel- und Osteu­ropa. Berlin, S. 189-207.

Ruh, Ulrich, 1991: Religionsunterricht Was sich in den neuen Ländern tut, in: Herder-Korrespondenz. H. 9, S. 401-403.

Rust, Val D., 1994: Die deutsche Vereinigung - Neue Chancen für die Lehrerbildung?, in: Bildung und Erziehung. H. 2, S. 187-194.

Rutz, Werner, 1990: Denkschrift zur Länderneubildung auf dem Gebiet der gegenwärtigen DDR, in: Politische Studien. H. 313, S. 604-625.

Rutz, Werner; Scherf, Konrad; Strenz, Wilfried, 1993: Die fünf neuen Bun­desländer. Darmstadt

Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 1992: Die Sächsische Mittelschule. 0.0. (Typo-skript)

Sächsisches Staatsministerium für Kultus (Hrsg.) 1994: Bildungswege in Sachsen. 2., veränd. Aufl. Dresden.

346

Page 343: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Sandschneider, Eberhard, 1995: Stabilität und Transformation politischer Systeme. Opladen.

Schäfer, Hans-Peter, 1990a: Probleme der Lehrlingsausbildung in der DDR, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): Vergleich von Bildung und Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik. Köln, S. 326-335.

Schäfer, Hans-Peter, 1990b: Berufsbildung und berufliche Weiterbildung in der DDR, CSFR und Ungarn in der Phase des politisch-ökonomischen Umbruchs- Thesen, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 3, S. 174-179.

Schäfer, Hans-Peter, 1991: Das Bildungswesen im künftigen Deutschland. Die Rahmenbedingingungen beruflicher Bildung, in: Deutsche Gesell­schaft für Bildungsverwaltung (Hrsg.): Das Bildungswesen im künftigen Deutschland. Frankfurt am Main, Bochum, S. 131-143.

Schaumann, Fritz, 1990: Deutsch-deutsche Bildungspolitik- Perspektiven der Bundesregierung, in: Schule im Deutschland der Zukunft- Bildungspoli­tik zwischen Trennung und Gemeinsamkeit. Dokumentation. Hrsg. vom Verband Bildung und Erziehung. Bonn, S. 9-14.

Scheven, Dieter, 1992: Dreifach überprüft, in: Mitteilungen des Hochschul­verbandes. H. 6, S. 376-378.

Schickert, Klaus, 1991: Wiederentdeckung der Waldorfpädagogik in der DDR, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 1, S. 42-45.

Schierholz, Henning, 1993: Auf dem Wege zu einem trialen System in derbe­ruflichen Ersta!;!sbildung? Zum Stellenwert außerbetrieblicher Berufs­ausbildung (BUE) in den 1."\~uen Bundesländern, in: Degen, Dirich (Hrsg:): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 159-169.

Schiersmann, Christiane, 1994: Bilanz zur Podiumsdiskussion "Zur Weiter­bildung in den Neuen Bundesländern", in: Derichs-Kunstmann, Karin; dies; Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Perspektiven und Probleme der Erwachse­nenbildung in den neuen Bundesländern. Frankfurt/Main, S. 29-31.

Schiersmann, Christiane; Ambos, Ingrid, 1996: Zur Funktion der Weiterbil­dung für Frauen im Kontext des Transformationsprozesses, in: Zeitschrift für Pädagogik. H. 5, S. 703-717.

Schilling, Elke, 1990: Polytechnik- "Aus" oder "Neuanfang"?, in: Pädagogik. H. 11, S. 58-59.

Schlosser, Arnfried, 1994: Weiterbildungspolitische Situation im Freistaat Sachsen, in: Report. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung. H. 33, S. 137-138.

Schluchter, Wolfgang, 1993: Der Um- und Neubau der Hochschulen in Ost­deutschland - Ein Erfahrungsbericht am Beispiel der Universität Leipzig, in: Hochschule Ost. H. August, S. 29-45.

Schluchter, Wolfgang, 1994: Die Hochschulen in Ostdeutschland vor und nach der Einigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 25, S. 12-22.

Schmidt, Detlef, 1990: Positionen des Ministeriums für Bildung und Wissen­schaft, in: Die Fachschule. H. 9, S. 257-258.

Schmidt, Hans-Dieter; Schaarschmidt, Uwe; Peter, Volkhard (Hrsg.), 1991: Dem Kinde zugewandt. Hohengehren.

347

Page 344: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Schmidt, Gerlind, 1990: Bildungsreform in der DDR zwischen "pädagogi­scher Erneuerung der Schule" und deutsch-deutscher Bildungsunion, in: Zeitschrift für Bildungsverwaltung. H. 1, S. 3-18.

Schmidt, Wolfgang 1990a: Schule in der DDR: Schuldirektoren und ihre Wahl, in: Informationen zur DDR-Pädagogik. H. 2, S. 3-14.

Schmidt, Wolfgang, 1990b: Schulstrukturen in den neuen Bundesländern ein­schließlich Berlins, in: Informationen zum Bildungswesen der neuen Bundesländer. H. 3, S. 3-10.

Schmidt, Wolfgang, 1990c: Ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdien­stes und SED-Funktionäre als Lehrer?, in: Informationen zum Bildungs­wesen der neuen Bundesländer. H. 3, S. 11-15.

Schmidt, W olfgang, 1991: Die aUgemeinbildenden Schulen in den neuen Bundesländern. Bonn. (= Gesamtdeutsches Institut, als Manuskript ver­vielfältigt)

Schmidt, Wolfgang, 1992: Lehrerüberprüfungen und Steilenreduzierungen in den neuen Bundesländern, in: Pädagogik und Schulalltag. H. 1, S. 62-78.

Schneider, Ilona Katharina, 1995: Weltanschauliche Erziehung in der DDR. Opladen.

Schober, Karen, 1992: Ausbildungsabsichten Jugendlicher und das Angebot an beruflicher Erstausbildung in den neuen Bundesländern, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder - Neue Berufsausbil­dung? Berlin und Bonn, S. 233-253.

Schober, Karen, 1993: Veränderte Statuspassagen und Strukturwandel in der beruflichen Erstausbildung, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. H. 2, S. 162-175.

Schramm, Hilde, 1993: Hochschulges.~tzgebung in den neuen Bundesländern und Ost-Berlin- Vergleichender Uberblick, in: dies. (Hrsg.): Hochschule im Umbruch. Berlin, S. 90-98.

Schrarnrn, Hilde (Hrsg.), 1993: Hochschule im Umbruch. Berlin. Schrauber, Horst, 1993: Zerfall oder Anpassungskrise? Zur Industriefor­

schung und -entwicklung in den neuen Bundesländern, in: Meske, Wer­ner; Rarnrnert, Werner (Hrsg.): Ein Blick auf die neue Wissenschafts­landschaft. Berlin, S. 48-59. (= WZB-Papers P 93-403/1)

Schritte zur Erneuerung, 1990: 10. Tagung des ZK der SED. 8. bis 10. No­vember 1989. Schriftlich eingereichte Diskussionsbeiträge. Berlin, S. 37-47.

Schuchardt, Gerd, 1992: Bildungspolitik in Thüringen, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 3, S. 140-145.

Schulkampfirn Osten, 1991, in: dpa-Dienst für Kulturpolitik. Nr. 11 v. 11.3., S. 2-8.

Schulz, Annette, 1991: Kaufmännische Ausbildung in den neuen Bundeslän­dern, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis. Sonderheft, S. 12-15.

Schulz-Hofen, Uwe, 1992: Wanderungen und Austausch von Auszubildenden am Beispiel Berlins, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder- Neue Berufsausbildung? Berlin, S. 293-305.

Schulze, Manfred, 1996: Konkurrenz belebt das Geschäft, in: Deutsche Uni­versitätszeitung. H. 13, S. 23.

348

Page 345: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Schwarz, Karl, 1991: Bildungsziele und Bildungssystem in den bisherigen deutschen Staaten. Hochschulen. Das Beispiel Berlin, in: Deutsche Ge­sellschaft für Bildungsverwaltung (Hrsg.): Das Bildungswesen im künfti­gen Deutschland. Frankfurt/Main, Bochum, S. 117-129.

Schweikert, Klaus, 1993: Jugend und Berufsausbildung in den neuen Bundes­ländern, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis. H. 3, S. 17-21.

Schwerin, Eckart, 1990a: Die Bildungsreform in der DDR als gesamtgesell­schaftlicher Prozeß, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 2, S. 68-75.

Schwerin, Eckart, 1990b: Religionsunterricht in der Schule- Christenlehre in der Gemeinde, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 4, S. 209-217.

Schwerin, Eckart, 1992a: Plädoyer für einen offenen und kooperativen Reli­gionsunterricht, in: Pädagogik und Schulalltag. H. 2, S. 153-165.

Schwerin, Eckart, 1992b: Die Einrichtung des Religionsunterrichtes in den neuen Bundesländern, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 311-323.

Seifert, Gottfried, 1996: Das Wissenschaftler-Integrationsprograrnm: Ein In­strument zum Aufbau einer blühenden Hochschul- und Forschungsland­schaft in den neuen Ländern?, in: Hochschule Ost. H. 2, S. 179-190.

Senatsverwaltung für Schule, Berufsbildung und Sport des Landes Berlin (Hrsg.), 1993: Berufsbildende Schulen in Berlin. Berlin.

Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin, 1993: Berliner Hochschulstrukturplan 1993. Berlin.

Senger, Horst, 1990: Weiterbildung für Weiterbildner, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes. H. 4, S. 175-176.

Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg), 1992: Neue Länder- Neue Be­rufsausbildung? Berlin.

Sieger, Katja; Budde, Hermann, 1994: Die künftige Schulentwicklung im Grundschulbereich Brandenburgs, in: Schulverwaltung MO. H. 10, S. 279-281.

Siemon, Günter, 1990: Berufliche Bildung in der DDR: Entwicklungsstand -Gemeinsamkeiten - Unterschiede, in: Kuratorium der Deutschen Wirt­schaft für Berufsbildung (Hrsg.): Berufliche Bildung in Zeiten des Um­bruchs. Bonn, S. 22-27.

Simon, Dieter, 1991: Die Bestandsaufnahme und Begutachtung der DDR­Wissenschaft durch den Wissenschaftsrat, in: Spektrum der Wissenschaft. H. September, S. 34-41.

Simon, Dieter, 1992: Die Quintessenz, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 51, S. 29-36.

Spittmann, Ilse; Helwig, Gisela (Hrsg.), 1990: Chronik der Ereignisse in der DDR. 4., erw. Aufl. Köln.

Sroka, Wendelin, 1990: Revolution und Alltag. Veränderungen und Kontinui­täten im Schulwesen, in: Wewer, Göttrik (Hrsg.): DDR. Von der friedli­chen Revolution zur deutschen Vereinigung. Opladen, S. 131-144. (= Gegenwartskunde, Sonderheft 6)

349

Page 346: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Stamm, Klaus-Dieter, 1994: Einführung in das Schulrecht Brandenburg, in: Schulrecht Brandenburg. Neuwied, OZ 71, OZ 72. (Loseblattsammlung, 1991ff.)

Stand der personellen Erneuerung in den neuen Ländern, 1993: Eine Zwi­schenbilanz, in: Mitteilungen des Hochschulverbandes. H. 5, S. 308-310.

Standpunkte und Vorschläge zur weiteren Umsetzung der Lehrpläne für den polytechnischen Unterricht der Klassen 7 - 12, 1990, in: Polytechnische Bildung und Erziehung. H. 1, S. 2-4.

Starke, Uta, 1993: Ostdeutsche Studenten zwischen Wende und deutscher Einheit, in: Pasternack, Peer (Hrsg.): IV. Hochschulreform. Wissenschaft und Hochschulen in Ostdeutschland 1989/90. Eine Retrospektive. Leip­zig, S. 152-159.

Statistisches Amt der DDR (Hrsg.), 1990: Statistisches Jahrbuch der Deut­schen Demokratischen Republik 1990. Redaktionsschluß Juni 1990. Ber­lin.

Staupe, Jürgen, 1988: Schulrecht von A-Z. 2. Aufl. München Stern, Klaus; Schmidt-Bleibtreu, Bruno (Hrsg.) 1990a: Staatsvertrag zur

Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit Vertragsgesetz, Begrün­dungen und Materialien. München.

Stern, Klaus; Schmidt-Bleibtreu, Bruno (Hrsg.) 1990b: Einigungsvertrag und Wahlvertrag mit Vertragsgesetzen, Begründungen, Erläuterungen und Materialien. München.

Straube, Peter-Paul, 1993: Zur Einflußnahme des Staatssicherheitsdienstes der DDR auf das Hochschulwesen, in: Pädagogik und Schule in Ost und West. H. 3, S. 183-189.

Stucke, Andreas, 1992: Die westdeutsche Wissenschaftspolitik auf dem Weg zur deutschen Einheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 51, S. 3-14.

Sturm, Roland, 1986: Policy-Forschung, in: Beyme, Klaus v. (Hrsg.): Poli­tikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen, S. 231-249.

Teichler, Ulrich, 1994: Zur Rolle der Hochschulstrukturkommissionen der Länder im Transformationsprozeß, in: Mayntz, Renate (Hrsg.): Aufbruch und Reform von oben. Frankfurt/Main; New York, S. 227-257.

Tenfelde, Klaus, 1991: 1914 bis 1990 - Einheit der Epoche, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 40, S. 3-11.

Thomas, Michael (Hrsg.), 1992: Abbruch und Aufbruch. Sozialwissenschaf­ten im Transformationsprozeß. Berlin

Thüringer Kultusministerium (Hrsg.) 1994: Die neue Schule für Thüringen. Schule ab Klasse 5. Elterninformation, Stand Dezember. Erfurt.

Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hrsg.), 1994a: Studien­Info 94/95. Erfurt.

Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hrsg.), 1994b: Empfeh­lungen des Strukturausschusses der Gründungskommission der Universi­tät Erfurt. Erfurt.

Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hrsg.), 1994c: Landes­hochschulplan. Erfurt.

Tillmann, Klaus-Jürgen, 1993a: Staatlicher Zusammenbruch und schulischer Wandel, in: Deutsche Lehrerzeitung. Nr. 36.

350

Page 347: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Tillmann, Klaus-Jürgen, 1993b: Kontinuität und Wandel im Schulreformpro­zeß - Versuch einer theoretischen Interpretation, in: Schulreform und deutscher Einigungsprozeß. Bericht über eine Fachtagung im Pädagogi­schen Landesinstitut Brandenburg 9./10. September 1992. 2. Aufl. Pots­dam, S. 21-28.

Tillmann, Klaus-Jürg~n, 1994: Von der Kontinuität, die nicht auffällt: Das Schulsystem im Ubergang von der DDR zur BRD, in: Bildung und Er­ziehung in Europa. Beiträge zum 14. Kongreß der Deutschen Gesell­schaft für Erziehungswissenschaft. Weinheim und Basel, S. 264-266. (= Zeitschrift für Pädagogik, 32. Beiheft)

Trier, Matthias, 1994: Berufliche Weiterbildung in den Neuen Bundesländern - Werkzeug für soziales Krisenmanagement oder Hilfe zur Bewältigung notwendiger beruflicher Transformationsprozesse?, in: Derichs­Kunstmann, Karin; Schiersmann, Christiane; Tippelt, Rudolf (Hrsg.): Perspektiven und Probleme der Erwachsenenbildung in den neuen Bun­desländern. Frankfurt/Main, S. 154-161.

Tüffers, Henning, 1991: Die persönliche und fachliche Evaluierung, in: Mit­teilungen des Hochschulverbandes. H. 4, S. 210-211.

Ulrich, Joachim Gerd, 1995: Auswirkungen einer außerbetrieblichen Ausbil­dung von marktbenachteiligten Jugendlichen, in: Bundesinstitut für Be­rufsbildung (Hrsg.): Berufliche Bildung in den ostdeutschen Bundeslän­dern. Berlin und Bonn, S. 61-63.

Vereinbarung, 1991: Vereinbarung über die Einrichtung einer Abwicklungs­stelle, in: IGW-Report über Wissenschaft und Technologie in den neuen Bundesländern sowie mittel- und osteuropäischen Ländern. H. 1, S. 95-99.

Vogel, Johann-Peter, 1992: Das Recht der Schulen in freier Trägerschaft in den neuen Bundesländern, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 305-311.

Vulpius, Axel, 1995: Anlaß und Entstehung der KAW, in: Bildung und Er­ziehung. H. 1, S. 7-17.

Wald, Renate, 1992: Ausbildungssuche 1991 - Interesse und Bemühungen von Mädchen, in: Deutschland-Archiv. H. 5, S. 491-503.

Waiden, Günter, 1993: Berufsausbildung in den neuen Bundesländern aus der Sicq..t der Auszubildenden, in: Degen, Ulrich (Hrsg.): Berufsausbildung im Ubergang. Berlin und Bonn, S. 87-94.

Waldeyer, Hans-Wolfgang, 1992: Die Entwicklung des Fachhochschulrechts in den neuen Bundesländern, in: Die Neue Hochschule. H. 2, S. 8-13.

Wascher, Uwe, 1992a: Neuer Wein in alten Schläuchen? Oder umgekehrt?, in: Päd Extra. H. Februar, S. 23-27.

Wascher, Uwe, 1992b: Polytechnik-Bestandsaufnahme und Perspektiven ei­ner Bildungskonzeption, in: Pädagogik und Schulalltag. H. 3, S. 276-285.

Waterkamp, Dietmar, 1985: Das Einheitsprinzip im Bildungswesen der DDR. Köln, Wien.

Waterkamp, Dietmar, 1987: Handbuch zum Bildungswesen der DDR. Berlin. Waterkamp, Dietmar, 1989: Lehrplanarbeit in der DDR, in: Bildung und Er­

ziehung H. 1, S. 21-37.

351

Page 348: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Watzlaw, Jürgen, 1992: Die Handwerkskammern im Übergang der Berufsbil­dung in den neuen Bundesländern, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann, Peter (Hrsg.): Neue Länder- Neue Berufsausbildung? Berlin und Bonn, s. 121-126.

Weber, Hermann, 1991: DDR. Grundriß der Geschichte 1945-1990. Überarb. u. erg. Neuaufl. Hannover.

Webler, Wolff-Dietrich, 1992: Eine Schlacht für den Rechtsstaat gewonnen? Personalkommissionen an ostdeutschen Hochschulen, in: Das Hoch­schulwesen. H. 2, S. 52-57.

Weishaupt, Horst; Böttcher, Ilona; Plath, Monika, 1994: Schulleitung und Schulgestaltung - am Beispiel von drei Regelschulen in Thüringen, in: Zeitschrift für Bildungsverwaltung. H. 3, S. 5-19.

Weiß, Reinhold, 1993: Transformation durch betriebliche Weiterbildung, in: Schlaffke, Winfried; ders. (Hrsg.); Vom Plan zum Markt:. Köln, S. 59-78.

Weissflog, Ingrid, 1992: Ostdeutsche Berufsausbildung im Ubergangsprozeß - Probleme, Standpunkte und Lösungsansätze zu ausgewählten Sachfra­gen, in: Seyfried, Brigitte; Wordelmann Peter (Hrsg.): Neue Länder -neue Berufsausbildung? Berlin und Bonn, S. 105-119.

Wenzel, Hartmut, 1994: Herausforderungen für die Lehrerbildung in den neuen Bundesländern, in: Röhrs, Hermann; Pehnke, Andreas (Hrsg.): Re­form des Bildungswesens im Ost-West-Dialog. Frankfurt/Main, S. 207-222.

Werner, Rudolf, 1991: Ausbildungsplatzsituation in den neuen Bundeslän­dern, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis. Sonderheft, S. 32-33.

Wernstedt, Rolf, 1990: Schule und Demokratie in der DDR und der Bundes­republik, in: Schule im Deutschland der Zukunft - Bildungspolitik zwi­schen Trennung und Gemeinsamkeit. Dokumentation, hrsg. vom Verband Bildung und Erziehung. Bonn, S. 19-22.

Wielgohs, Jan; Schulz, Marianne, 1991: Von der illegalen Opposition in die legale Marginalität. Zur Entwicklung der Binnenstruktur der ostdeutschen Bürgerbewegung. Teil 1, in: Berliner Journal zur Soziologie. H. 3, S. 383-392.

Wielgohs, Jan; Schulz, Marianne, 1992: Von der illegalen Opposition in die legale Marginalität. Zur Entwicklung der Binnenstruktur der ostdeutschen Bürgerbewegung. Teil 2, in: Berliner Journal zur Soziologie. H. 1, S. 119-128.

Wilke, Manfred, 1991: Die bundesdeutschen Parteien und die demokratische Revolution in der DDR - oder: Die Bewährung des demokratischen Kernstaats, in: Löw, Konrad (Hrsg.): Ursachen und Verlauf der deutschen Revolution 1989. Berlin, S. 105-122.

Wilms, Dorothee, 1990: Kultur, Bildung und Wissenschaft im Prozeß der deutschen Einigung, in: Die Höhere Schule. H. 9, S. 245-247.

Wilsdorf, Gisela, 1994: Situation der Lehrer-/Lehrerinnenausbildung in Ber­lin, in: Das Hochschulwesen. H. 3, S. 129-135.

Windhoff-Heritier, Adrienne, 1987: Policy-Analyse. Frankfurt/Main, New York.

352

Page 349: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Winger, Brigitte, 1993: Zukunftsperspektiven aus der Sicht der Volkshoch­schulen in den neuen Bundesländern, in: Hessische Blätter für Volksbil­dung. H. 3, S. 236-246.

Winkler, Gunnar (Hrsg.), 1990: Sozialreport '90. Daten und Fakten zur sozia­len Lage in der DDR. Berlin.

Wir sind das Volk, 1990. Teil 1: Die Bewegung. September/Oktober 1989. Halle, Leipzig.

Wir sind das Volk, 1990. Teil 2. Die Bewegung. Oktober/November 1989. Halle, Leipzig.

Wissenschaft und Industrie im Osten, 1995, in: Hochschule Ost. H. Janu­ar/Februar, S. 109-116.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1990: Perspektiven für Wisenschaft und Forschung auf dem Weg zur Deutschen Einheit. Zwölf Empfehlungen. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1991a: Empfehlungen zur Errichtung von Fach­hochschulen in den neuen Ländern. Drs. 326/91. Düsseldorf.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1991b: Empfehlungen zur Lehrerbildung in den neuen Ländern. Drs. 328/91. Düsseldorf.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992a: Empfehlungen zur künftigen Struktur der Hochschullandschaft in den neuen Ländern und im Ostteil von Berlin. Teil I- IV. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992b: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern und in Berlin - Allgemei­ner Teil. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992c: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR auf dem Gebiet der Chemie. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992d: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR auf dem Gebiet der Physik. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992e: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR in den Fachgebieten Mathematik, Informatik, Automatisierung und Mechanik. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992f: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992g: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften und zu den For­schungs- und Editionsabteilungen der Akademie der Künste zu Berlin. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992h: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der ehemaligen DDR auf dem Gebiet der Agrarwissenschaften. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992i: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der ehemaligen Bauakademie der DDR. Köln.

353

Page 350: Bildung und Wissenschaft seit der Wende: Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992j: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der ehemaligen DDR auf dem Gebiet der Geo- und Kosmoswissenschaften. Köln.

Wissenschaftsrat (Hrsg.), 1992k: Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der ehemaligen DDR auf dem Gebiet der Biowissenschaften und der Medizin. Köln.

Wißmann, Hinnerk, 1996: Art. 141 GG als "Brandenburger Klausel"?, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens. H. 3, S. 368-374.

Wölfing, Manfred, 1996: Sorgenkind Industrieforschung Ost, in: Hochschule Ost. H. 3, S. 121-131.

Wolff, Klaus; Bode, Udo, 1994: Konfessioneller Religionsunterricht und Ethikunterricht im Land Sachsen-Anhalt, in: Schulverwaltung MO. H. 12, S. 343-344.

Wolfinger, Claudia, 1993: Der schwierige Weg ins duale System, in: Mittei­lungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsfors'?_hung. H. 2, S. 176-191.

Wordelmann, Peter, 1992: Zwischenbilanz des Ubergangs der Berufsausbil­dung in den neuen Bundesländern, in: Seyfried, Brigitte; ders. (Hrsg.): Neue Länder- Neue Berufsausbildung? Berlin und Bonn, S. 11-28.

Wunder, Dieter, 1990: Entscheidungen stehen an, in: Erziehung und Wissen­schaft. H. 2, S. 2.

WZB-Forschungsgruppe Wissenschaftsstatistik (Berlin), 1993: Hochschuler­neuerung Ost, in: Hochschule Ost. H. Oktober/November, S. 122-135.

Zapf, Wolfgang, 1994: Zur Theorie der Transformation, in: BISS public. H. 13, S. 5-9.

Zedler, Reinhard, 1990: Berufsbildung in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR 1990 - Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Qualifizie­rungshilfen, in: Wirtschaft und Berufserziehung. H. 6, S. 167-173.

Zedler, Reinhard, 1991: Berufsausbildung im neuen Bundesgebiet, in: Göbel, Uwe; Schlaffke, Winfried (Hrsg.): Bildungssituation und Bildungsaufga­ben in den neuen Bundesländern. Köln, S. 85-104.

Ziegler, Hansvolker, 1993: Ein Stück Zukunft vertan, in: Deutschland-Archiv. H. 6, S. 689-702.

Zimmermann, Ekkart, 1987: Revolution, in: Görlitz, Axel; Prätorius, Rainer (Hrsg.): Handbuch Politikwissenschaft. Reinbek b. Hamburg, S. 464-471.

Zum Status des Lehrers in den neuen Ländern, 1993, in: Schulverwaltung MO. H. 2, S. 37-38.

354