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Ü b u n g : M u s e u m s ü b u n gL e i t e r : M . A . E t h n o l o g i n B a r b a r a A l b e r tA u t o r : P a u l J ö r g K o c h
Museumsarbeit:
Blasrohr der Dayak
Abb.1: Objekt
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GLIEDERUNG
1 Einleitung…………………………………………………………………………………….3
2 Objekt……………………………………………………………………………………...4-6
2.1 Inventarisierungsprotokoll…………………………………………………………4
2.2 Objektgeschichte…………………………………………………………………4-5
2.3 Objektbeschreibung………………………………………………………………...5
2.4 Vermutungen / Thesen……………………………………………………………..6
3 Blasrohr allgemein…………………………………………………………………………6-7
4 Blasrohr der Dayak……………………………………………………………………….7-28
4.1 geographische Herkunft………………………………………………………….7-8
4.2 sozio-kultureller Kontext……………………………………………………….8-23
4.2.1 Dayak allgemein………………………………………………………8-15
4.2.2 Wirtschaftliche Differenzierung……………………………………..15-22
4.2.3 Eingrenzung…………………………………………………………22-23
4.3 Herstellung…………………………………………………………………….23-24
4.4 Verwendung…………………………………………………………………...24-28
4.4.1 Formen der Jagd……………………………………………………..24-25
4.4.2 Jagd mit dem Blasrohr………………………………………………25-28
5 Auswertung der Thesen…………………………………………………………………28-29
6 Fazit / Ausblick………………………………………………………………………….30-31
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1 Einleitung
Im Rahmen der sog. Museumsübung wurden verschiedene Objekte aus der völkerkundlichen
Sammlung unter den Kurspartizipanten verteilt, damit diese sich über das erhaltene Objekt
einer fremden Ethnie und Kultur anzunähern bemühen. Diese Arbeit beschäftigt sich mit
einem Blasrohr, das aus Indonesien stammt und dort von den Dayak auf Borneo gefertigt
wurde.
Im Folgenden soll zunächst das optische Erscheinungsbild des Objektes beschrieben und
anhand dessen Vermutungen über das Objekt an sich und über die Kultur der das Objekt
produzierenden/ verwendenden Ethnie angestellt werden.
Zur weiteren Untersuchung wird der geographische und sozio-kulturelle Kontext des Objekts
betrachtet. Dabei soll versucht werden die Objektherkunft genauer zu lokalisieren.
Diesbezüglich interessiert vor allem die unterschiedlich starke Bedeutung des Objekts im
Untersuchungsgebiet Borneo, Kalimantan. Die Bedeutung des Objektes soll der Eingrenzung
einer wahrscheinlichen Herkunft dienen. Jene wahrscheinliche Herkunft soll an dieser Stelle
die Ethnie (Objektverwender), den Ort (Landschaftstypus), die Situation (Art und Weise der
Anpassung der Ethnie an die Natur), die Kultur (Alltag) und die Kausalität (Nutzen) der
ursprünglichen Verwendung des Objektes in seinem sozio-kulturellen Umfeld differenziert
umschreiben. Dazu sollen variierende Lebensbedingungen und –Ansprüche verdeutlicht
werden, die hauptsächlich aus den differierenden Formen des Wirtschaftens resultieren. An
diese potenzielle Eingrenzung der Herkunft anschließend, erfolgt die Schilderung der
Herstellung des Objekts, sowie der Art der Verwendung.
Mithilfe der Ergebnisse der literarischen Recherche soll anschließend den zuvor aufgestellten
Vermutungen Rechnung getragen werden, indem versucht wird diese zu beweisen oder zu
widerlegen.
Abschließend werden ein kurzes Fazit und ein Ausblick über die abschätzbare Kontinuität der
Herstellung des Objekts, sowie Art und Intensität der zukünftigen Verwendung gegeben.
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2 Objekt
2.1 Inventarisierungsprotokoll
Inventar Nr. in der völkerkundlichen
Sammlung Marburg
574 Ind. 86
Objekt Blasrohr
Sektion Indonesien
Land Indonesien
Ethnie Dayak
Region Borneo
Material Eisenholz
Herstellung Longitudinale Bohrung
Verwendung Jagdgerät, Waffe
Bedeutung Gebrauchsgegenstand
2.2 Objektgeschichte
Das Objekt kam 1960 in die Sammlung der Marburger Völkerkunde, nachdem es, zusammen
mit vielen Anderen aus der Sammlung Nassauischer Altertümer, vom Museum in Wiesbaden
gekauft wurde. Die Sammlung Nassauischer Altertümer, die im Rahmen der Ausgrabungs-
und Sammeltätigkeit des 1812 im damaligen Herzogtum Nassau gegründeten, ältesten
deutschen Geschichtsvereins mit fortwährender Entwicklung, dem sog. „Verein für
Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“, entstand, ist die älteste Abteilung
des Museums Wiesbaden (zit. SCHNELL 1984, S. 2).
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Ursprünglich wurde das Objekt jedoch zwischen 1830-32 von Herrn Oberstleutnant von
Henrici auf einer Reise, die ihn nach der Insel Borneo führte, erworben (vgl. Inventarbuch der
völkerkundlichen Sammlung Marburg).
2.3 Objektbeschreibung
Bei dem Objekt handelt es sich um einen einfachen 129 cm langen Holzstab. Dieser ist
longitudinal mit einer Bohrbreite von 1,3 cm durchbohrt, so dass der ursprünglich 2,8 cm
dicke Stab (am Ausgang des Blasrohrs gemessen) noch eine Wandstärke von 0,8 cm aufweist.
Der Stab ist konisch verlaufend und misst dementsprechend am Ausgang 9 cm und am
Mundstück 8 cm im Umfang.
Die Oberfläche des Stabes ist außerordentlich glatt und glänzend, so dass die dunkel rot-
braune längsverlaufende Maserung sehr gut erkenntlich ist.
Abb.2: Objekt-Detailaufnahme - Mundstück
An einem Ende des Blasrohrs befindet sich ein konisches Mundstück aus Messing. Dieses ist
mit einfachen Verzierungen und Reliefierungen versehen. So sind symmetrische,
längsangeordnete und querverlaufende Vertiefungen in das Messingmundstück eingelassen.
Zudem sind auf dem Mundstück ebenfalls querverlaufende zum Teil eingekerbte und zum
Teil hervorstehende Muster erkenntlich (vgl. Abb.2).
Vor dem Mundstück ist eine, mit Harz angebrachte, Bastschnur befindlich (vgl. Abb.2).
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2.4 Vermutungen / Thesen
(1) Das Blasrohr ist bis auf das Mundstück weder verziert noch sonderlich geformt. Es
kann also davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um einen
Gebrauchsgegenstand ohne besondere religiöse Bedeutung handelt.
(2) Es kann vermutet werden, dass das Blasrohr dem Abfeuern von kleinen Geschossen,
wie Pfeilen oder Kugeln, dient und in der Vergangenheit, wie auch der europäische
Bogen, nicht nur als Jagdutensil, sondern auch als Waffe zur Austragung gewaltsamer
Konflikte Verwendung fand.
(3) Aufgrund der enormen Länge des Blasrohres und des dadurch bedingten Gewichts,
wird es vermutlich mit beiden Händen aufs Ziel justiert.
(4) Die glänzende, glatte Oberfläche des Holzstabs, das exakt gebohrte Loch, sowie das
Messingmundstück, lassen Fertigkeiten und Kenntnisse des Produzenten in der Holz-
und Metallverarbeitung oder Handelsverbindungen zu Dritten, die dieser Kenntnisse
kundig waren, vermuten.
(5) Die nicht-sportliche Verwendung eines Blasrohrs impliziert einen geringen
Entwicklungsgrad der Agrarwirtschaft und somit eine geringe Tragfähigkeit von
Menschen pro Raumeinheit. Es kann vermutet werden, dass sich eine Ethnie, die dass
Objekt zur Jagd verwendet, durch eine geringe Bevölkerungszahl und –dichte, sowie
eine vermutlich dörflich geprägte Siedlungsstruktur oder gar Nomadismus
auszeichnet.
(6) Die vor dem Mundstück mit Harz angebrachte Bastschnur dient vermutlich als eine
Art Stopper, um das Mundstück am Herauf-Rutschen zu hindern.
3 Blasrohr allgemein
Ein Blasrohr bezeichnet ein laufartiges Rohr, welches zumeist aus Holz oder Metall besteht
und dem Abschießen von Gegenständen, wie Pfeilen oder kleinen Steinen, dienlich ist
(AKTUELLES UNIVERSAL LEXIKON 1994, S. 229). Dazu wird der abzufeuernde
Gegenstand, nachdem er zuvor vorne in den Lauf geschoben wurde (vgl. Abb.7), mit einem
kräftigen Atemstoß aus der Röhre geblasen (vgl. Abb.6). Das Blasrohr wird heute
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vornehmlich als Jagdwaffe bei Naturvölkern in Indonesien und Südamerika (AKTUELLES
UNIVERSAL LEXIKON 1994, S. 229), sowie als Tierbetäubungsgerät (vor allem in der
Veterinärmedizin) und Sportgerät in der westlichen Welt verwandt.
Ursprünglich stammt das Blasrohr aus dem südostasiatischen Raum und findet dort
mindestens seit dem 8.Jh.n.Chr. Verwendung, wie die älteste bekannte Darstellung des
Blasrohrs auf den Reliefplatten des Borobudur-Tempels auf Java belegt (HILDEBRAND
1982, S. 273). Dass die Invention des Blasrohrs in Südostasien jedoch nicht nur auf die Inseln
begrenzt war/ blieb, beweisen die etwa 2 Jh. jüngeren Tempelreliefs des Khmer-Tempels
Baphuon in Angkor (HILDEBRAND 1982, S. 273).
Spätestens im 16.Jh. gab es das Blasrohr auch auf Borneo, der Heimat der Dayak, wie mit der
Ankunft der ersten europäischen Handelsschiffe dokumentiert wurde (HILDEBRAND 1982,
S. 274).
4 Blasrohr der Dayak
4.1 geographische Herkunft
Wie bereits in 2.1 und 2.2 vermerkt, stammt das Objekt von der Insel Borneo, genauer vom
indonesischen Teil Borneos, Kalimantan.
Die ursprünglich vollständig mit Regenwald bedeckte Insel Borneo liegt auf dem Äquator in
den immerfeuchten Tropen (vgl. KAMPFFMEYER 1991, S. 19) zwischen 4°20‘ südlicher
und 7° nördlicher Breite und zwischen 108°53‘ und 119°22‘ östlicher Länge (HILDEBRAND
1982, S. 3). Mit seinen 750.000 km² Fläche ist es die drittgrößte Insel der Welt nach Grönland
und Neuguinea (SCHUHMACHER 1960, S. 64; KAMPFFMEYER 1991, S. 19). Der Name
Borneo steht dabei nur für die geographische Insel (HILDEBRAND 1982, S. 3-4).
Politisch ist die Insel in das Sultanat Brunei, die Föderation Malaysia und in die Republik
Indonesien geteilt (vgl. KAMPFFMEYER 1991, S. 19). Der Größte Teil Borneos, der früher
holländische Kolonie war, heißt seit 1950, mit der Erringung der Unabhängigkeit Indonesiens,
Kalimantan und macht drei Viertel der Landesfläche Borneos, sowie vier der insgesamt
zwanzig Provinzen Indonesiens aus (HILDEBRAND 1982, S. 3). Diese sind West-
Kalimantan (Kalimantan Barat), Süd-Kalimantan (Kalimantan Selatan), Ost-Kalimantan
(Kalimantan Timur) und Zentral-Kalimantan (Kalimantan Tengah). Der Nordteil der Insel ist
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politisch in die früheren britischen Kolonien Sabah und Sarawak, die heute als selbständige
Staaten in der Malaysischen Föderation eingegliedert sind, sowie das unter britischem
Protektorat stehende selbständige Sultanat Brunei unterteilt (HILDEBRAND 1982, S. 3).
Die Insel ist und war von jeher dünn besiedelt (HILDEBRAND 1982, S. 4). Die wenigen
großen Städte im breiten Küstenstreifen werden fast ausschließlich von Migranten
benachbarter Inseln bevölkert (SCHUHMACHER 1960, S. 64) und dabei zumeist von
Chinesen, Malaien (vor allem in Nord-Borneo), Javanern (Süd-Borneo) und Buginesen,
Illanum und Sulu (Ost-Borneo) bewohnt (HILDEBRAND 1982, S. 4). Diese hauptsächlich
islamische Küstenbevölkerung, ist im Verlaufe der Zeit entlang der großen Flüsse bis tief ins
Inselinnere vorgedrungen und dominiert dort heute ebenfalls die Handelszentren
(KAMPFFMEYER 1991, S. 19-20). Neben der islamischen Inselbevölkerung sind die
„Dayak“ der wichtigste „Volksstamm“ Borneos (SCHUHMACHER 1960, S.64). Die Dayak
bezeichnen die Inlandsbevölkerung der Insel. Diese lebt vorrangig im, von immergrünem
tropischem Regenwald bedecktem, Hügel und Gebirgsland Innerborneos und macht
insgesamt etwas weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung Borneos aus (HILDEBRAND
1982, S. 4-5).
4.2 sozio-kultureller Kontext
4.2.1 Dayak allgemein
Auf der Insel Borneo existiert seit Menschengedenk eine Vielzahl verschiedener Ethnien, die
auf die allgemein geringe Bevölkerungsdichte und die zum Teil weiten Entfernungen
zwischen den einzelnen Stammesgebieten zurückzuführen ist (KING 1993, S. 29). Über den
langen Zeitraum, der durch die Insellage und das unwegsame Urwaldterrain bedingten
Isolation, konnten sich diese unabhängig voneinander entwickeln und kulturell weiter
voneinander entfernen (KING 1993, S. 29). Diese unabhängige Entwicklung der einzelnen
Stämme wurde letztendlich auch dadurch begünstigt, dass die Dayak von jeher in der Lage
waren, sich, mit dem was der Urwald ihnen bot, selbst zu versorgen (KING 1993, S. 169).
Trotz dieser Vielzahl unterschiedlichster Ethnien, wie der Ngadju, Ot Danum, Manjaan,
Punan, Ot, Iban, Kayan, Kendayan, Maloh, und Lun Bawang, wird die gesamte ursprüngliche
Bevölkerung Borneos, mit ungefähr drei Millionen Menschen, die sich auf sechs
Hauptgruppen mit 300 Stammesgruppen aufteilen (KAMPFFMEYER 1991, S. 20), unter dem
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Namen Dayak (auch: „Dyak“, „Daya“ oder „Dya“) zusammengefasst (KING 1993, S. 29;
WITSCHI 1938, S. 29-30). Diese Ethnien haben oftmals ihre eigene Sprache, Herkunft,
Religion und Kultur und somit wenig miteinander gemein, davon abgesehen, dass sie dieselbe
Insel bewohnen (HILDEBRAND 1982, S. 4; KING 1993, S. 29; ROBEQUAIN 1954, S.
220). „Dayak“ ist dementsprechend ausschließlich ein Sammelname zur Abgrenzung der
heidnischen von der muslimischen Bevölkerung, der übersetzt soviel wie „unzivilisierter
Mensch“ bedeutet (KAMPFFMEYER 1991, S. 20; MACDONALD 1957, S. 12). Der Name
ist entsprechend negativ bewertet, wird mit Hinterwäldler oder Heide assoziiert und zudem
mit den Stereotypen des Kopfjägers und Kannibalen verbunden (WITSCHI 1938, S. 27).
Letztere resultieren aus der von vielen Stämmen bis ins 20. Jh. hinein aus religiösen Gründen
geübten Kopfjagd (SCHUHMACHER 1960, S. 65). Die autochthonen, altindonesischen
Ethnien Borneos bezeichnen sich selbst ursprünglich jedoch nicht als Dayak, sondern
benennen sich nach den Namen der Flüsse an denen sie leben (KAMPFFMEYER 1991, S. 20;
SCHUHMACHER 1960, S. 64).
Obwohl die Bevölkerung im Lauf der Jahrhunderte immer wieder durch Stammesfehden,
Kopfjagden, Epidemien, Hungersnöte, Mangel an Hygiene und Kinderpflege geschwächt
wurde und viele Dayak seit der Islamisierung Borneos im 16. Jh. n. Chr. fortwährend zum
Islam konvertierten und demzufolge heute aufgrund ihrer Religion zu den Malaien
hinzugezählt werden, wird insgesamt trotzdem eine enorme Zunahme der Dayakbevölkerung
von ca. 140.000 im Jahr 1938 auf annähernd drei Millionen im Jahr 1991 angenommen
(KAMPFFMEYER 1991, S. 20; WITSCHI 1938, S. 25-27).
Die Dayak leben in kleinen Siedlungen entlang der Flüsse, denen im unwegsamen Urwald
eine besonders große infrastrukturelle Bedeutung als Verkehrs- und Handelsweg zukommt
und die auch heute noch als wichtigste Verbindung der oftmals weit auseinander liegenden
Siedlungen dienen (HILDEBRAND 1982, S. 5; KAMPFFMEYER 1991, S. 20;
SCHUHMACHER 1960, S. 64). Diesbezüglich gilt zu sagen, dass die Dayak vor dem
Vordringen malaiischer und anderer Einwanderer auch die unteren Flussläufe der
Hauptströme Borneos besiedelten, sich im Laufe der Zeit jedoch immer weiter vor den
Neuankömmlingen ins Inselinnere zurückziehen mussten, so dass die Mehrzahl der
dayakischen Siedlungen heute an den kleineren Seitenflüssen und den oberen
Flussabschnitten der großen Ströme anzutreffen sind (WITSCHI 1938, S. 26-27). Die
einzelnen Stämme einer Stammesgruppe sind dabei über viele verschiedene Dörfer verteilt
und treffen einander sehr selten, da sie voneinander unabhängig leben und keinen
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gemeinsamen Anlass kennen, der sie zusammenführen könnte (KAMPFFMEYER 1991, S.
20). Zudem erschweren die geringe Bevölkerungsdichte und die Vielzahl der Dialekte den
Zusammenhalt unterhalb der einzelnen Stämme (WITSCHI 1938, S. 30). Angehörige eines
Stammes wohnen für gewöhnlich zusammen in einem großen Pfahlbau oder mehreren
kleineren Pfahlbauten, die sich aus Gründen der Verteidigung in unmittelbarer Nähe
zueinander befinden (WITSCHI 1938, S. 41). Die Länge der Pfahlbauten variiert dabei in
Abhängigkeit von der Anzahl der das Haus bewohnenden Familien (ROBEQUAIN 1954, S.
220-221). Ein solches, auf bis zu 4m hohen Eisenholzpfählen befindliches, Stammeshaus
kann bis zu 80 m lang sein, bis zu 30 Familienzimmer und einen großen Versammlungssaal
beherbergen (WITSCHI 1938, S. 41, S. 46-48). Heute scheint jedoch, aufgrund einer besseren
Sicherheitslage auf der Insel Borneo im Allgemeinen, dass Einfamilienhaus eine erhöhte
Nachfrage unter den Dayak zu erfahren (WITSCHI 1938, S. 43).
Vom optischen Erscheinungsbild her ähneln die Dayak ursprünglich dem (westlichen)
Stereotyp vom Urzeitmenschen bzw. Barbaren (MACDONALD 1957, S. 14). Im Alltag
häufig nur mit einem schmalen Lendentuch bekleidet, tragen sie Kleider aus Baumrinde zu
Festtagen und bearbeitete Affen- und Bärenfelle zu kriegerische Anlässen (WITSCHI 1938,
S. 32). Diesen optischen Eindruck unterstreichend ist es von Tradition her schmuck, sich die
Zähne spitz zu feilen und die Ohrläppchen mit Holzpflöcken auszuweiten (WITSCHI 1938, S.
32). Im Laufe der Zeit haben jedoch auch die Dayak die Vorteile asiatischer
Massentextilproduktion erfahren und die Nachfrage nach traditionellen Ausdrucksformen wie
dem Zähnefeilen ist zunehmend rückläufig geworden (WITSCHI 1938, S. 32). Der obig
angeführte Vergleich begründet sich darauf, dass die Dayak optisch dem europäischen Bild
vom primitiven Menschen entsprechen. Er bezieht sich somit lediglich auf das äußere
Erscheinungsbild und dessen hervorgerufene Assoziationen vor dem Hintergrund des
europäischen, im Alltag nach wie vor durch die Terminologie der Evolutionismustheorie
geprägten, Selbstverständnisses und soll sich jeglicher Wertung enthalten.
Werte und Normen der Dayak werden über das ungeschriebenes Gesetz „adat“ gewahrt,
welches das Zusammenleben von „Stamm, Geschlecht, Familie, bei Geburt, Hochzeit und
Tod, auf Feld und Fluss, im Wald und auf der Reife, in gesunden und in kranken Tagen, bei
der Arbeit und beim Fest“ regelt (WITSCHI 1938, S. 35).
Hinsichtlich der hierarchischen Untergliederung der Gesellschaft wird in Adel, Freie und
Unfreie unterteilt (WITSCHI 1938, S. 50). Der „magisch kräftigere“ Adel wird von den alten
Häuptlingsfamilien gebildet. Unfrei hingegen sind die erblichen Sklaven, zumeist
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Kriegsgefangene, die als Eigentum des ganzen Stammes dem Häuptling zur Verfügung
stehen, im Wirtschaftsleben selbstverpfändete Schuldsklaven und wegen Brandstiftung zu
Sklaven des Geschädigten Verurteilte, die sog. „kakasu“ (WITSCHI 1938, S. 50). Die
mächtigste Person in der Stammesgesellschaft ist der „Dorfälteste“ oder „Häuptling“, der
oberster Heerführer, Richter und religiöser Führer zugleich ist (SCHUHMACHER 1960, S.
65). Der Dorfälteste wird von den älteren Männern der angesehenen Familien des Stammes
gewählt oder durch seinen Stammbaum vorbestimmt, indem ihm der Stand vom Vater vererbt
wird (SCHUHMACHER 1960, S. 65). Im Vergleich zu anderen indonesischen Völkern hat
die Frau in jener Gesellschaft eine bemerkenswert hohe Stellung (WITSCHI 1938, S. 35). Es
gibt keine allgemeine Abneigung gegen Mädchen (bzgl. des Kinderwunsches) und keine
Zwangsheirat. Zudem hat die Frau ein Mitspracherecht bei allen Familienentscheidungen und
darüber hinaus einen weitreichenden Einfluss im Dorf, vor allem wenn sie bereits den
gesellschaftlich höheren Status der Mutter oder Großmutter erlangt hat (WITSCHI 1938, S.
35).
Die Dayak sind wahre Schmiedekünstler, wie die prächtigen, mit Edelsteinen und kunstvollen
Gravuren versehenen Waffen (WITSCHI 1938, S. 80-81) und selbstverfertigten Werkzeuge,
wie z.B. Schnitzmesser, Äxte, Buschmesser u. ä. (WITSCHI 1938, S. 80, 82), beweisen. Zu
den Waffen der Dayak zählen die klassische Kopfjägerwaffe, jenes zumeist reich verzierte
Dayakschwert mit wuchtiger Klinge, an der die Schmiedekunst besonders deutlich wird, und
kunstvoll geschnitztem Griff, welches „mandau“ genannt wird, Lanzen und Speere in
diversen Ausführungen, sowie große Schilde und bis zu über zwei Meter lange Blasrohre die
häufig mit einer Speerspitze versehen sind (vgl. Abb.3; ROBEQUAIN 1954, S. 221;
SCHUHMACHER 1960, S. 65; WITSCHI 1938, S. 80-82). Heute ist die Schmiedekunst der
Dayak zu Gunsten von Billigimporten rückgängig geworden. Das Wissen dieser alten Kunst
geht verloren und oftmals können nur noch Reparaturen und Wartungen an den Werkzeugen
und Waffen selbst vorgenommen werden (WITSCHI 1938, S. 80). Der einzige Zweig des
Schmiedehandwerks, der sich bis ins 20. Jh. hinein, aufgrund der konstanten Nachfrage nach
Schmuck und Gold, noch erhalten hat, ist die Goldschmiedekunst (WITSCHI 1938, S. 89).
Das Gold wird von den Dajak während der trockenen Jahreszeit aus goldhaltigem Flusssand,
z.B. des Kahajan und seiner Seitenflüsse, ausgewaschen (WITSCHI 1938, S. 88-89). Zum
Auswaschen des Goldes dient eine einfache Holzschüssel. Teilweise werden aber auch
Gruben ausgehoben und Schächte angelegt (WITSCHI 1938, S. 89). Neben dem
Goldschmuck dienen gewonnener Goldstaub und Goldkörner als Zahlungs- und
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Handelsprodukt, vor allem für diejenigen Dayakstämme die des Wissens um die
Weiterverarbeitung des Goldes entbehren (WITSCHI 1938, S. 89).
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Abb.3: Waffen der Dayak (WITSCHI 1938, S. 80-81)
14
Die wertvollsten Besitztümer für die Dayak sind jedoch weder Waffen noch Gold, denn
schwere Bronze Gongs chinesischer oder japanischer Herkunft, sowie große ebenfalls
importierte Keramiktöpfe, denen eine große magische Bedeutung zugesprochen wird und die
von Generation zu Generation weitervererbt werden (ROBEQUAIN 1954, S. 221). Außerdem
sind die von kriegerischen Auseinandersetzungen mitgebrachten „Schnellköpfe“ (in
WITSCHI 1938 bezeichnen „Schnellköpfe“, auch „geschnellte Köpfe“, von der
Menschenjagd mitgebrachte Köpfe von Opfern/ Feinden) von enormem Wert für die Dayak,
da die Köpfe als Produktionsfaktor und somit als Kapital angesehen werden, weil sie im
Glauben der Dayak besondere magische Kräfte besitzen, die das Wachstum der kultivierten
Pflanzen erhöhen (WITSCHI 1938, S. 91). Aus diesem Glauben begründet wurden eventuelle
Kopfjagden durchgeführt, um „einen durch Todesfälle und anderes Unglück hervorgerufenen
oder sichtbar gewordenen Unheilzustand aufzuheben und damit die eingetretenen
Hemmungen des Wachstums auf den Feldern zu beseitigen“ und somit das magische
Gleichgewicht wiederherzustellen (WITSCHI 1938, S. 90). Das magische Gleichgewicht
steht bei den Dayak für potenziellen wirtschaftlichen Wohlstand (WITSCHI 1938, S. 90-91).
Nachdem die Kopfjagd von der Kolonialregierung verboten wurde, holten sich die sesshaften
Dayak die, zur Aufrechterhaltung des magischen Gleichgewichts und somit der Fruchtbarkeit
ihrer Felder benötigten, Schnellköpfe von wild im Dschungel lebenden Dayak-Nomaden,
welche jegliche Kontakte zur Regierung vermieden und somit nicht unter deren Schutz
standen (HILDEBRAND 1982, S. 222-223). Ähnlich wie die „geschnellten Köpfe“ gilt auch
bestimmter Schmuck, indem die spezielle Begabung und Ermächtigung der einzelnen
Professionen enthalten ist und der magisch hervorragende Personen wie Häuptling,
Zauberpriester, Kopfschneller, Krieger, Tätowierer und Waffenschmied ausweist, als
produktionsfördernd (WITSCHI 1938, S. 91). Magische Gegenstände dürfen deshalb im
Gegensatz zu normalen Gebrauchsgegenständen nur gegen andere magische Gegenstände
getauscht werden, wobei der Verlust an Macht, die an das Objekt gekoppelt ist, ausgeglichen
werden soll (WITSCHI 1938, S. 91). Magische Dienste wie die Arbeit eines
Schwertschmiedes oder die Inanspruchnahme eines Zauberpriesters werden hinsichtlich der
für die Arbeit aufgewendeten Magie und somit für den „Verlust an Macht“ und nicht für die
reine Arbeitszeit entschädigt (WITSCHI 1938, S. 91-92). Aufgrund dieser unterschiedlichen
Wertvorstellungen zwischen den Dayak und dem internationalen Handel, sowie dem geringen
Bildungsstand der Dayak kommt es dazu das malaiische Händler die weniger gebildeten
Dayak seit jeher mit unfairen Handelspreisen ausbeuten (WITSCHI 1938, S. 94-95), so dass
viele Dayak in die Abhängigkeit malaiischer und chinesischer Händler geraten (WITSCHI
15
1938, S. 96) und in an Sklaverei grenzende Unterjochung getrieben werden (HILDEBRAND
1982, S. 210-212).
4.2.2 Wirtschaftliche Differenzierung
Wie in 4.2.1 bereits beschrieben, gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Ethnien, die
unter dem Begriff Dayak zusammengefasst werden. Da dieser Arbeit ein Blasrohr zu Grunde
liegt, welches hauptsächlich der Jagd dient, sollen diese unterschiedlichen Ethnien nun
bezüglich ihres Nahrungsmittelerwerbs untersucht und grob in sesshafte Reisbauern und
nomadische Wildbeuter differenziert werden, um versuchsweise die Herkunft des Blasrohrs
weiter einzuengen und um generelle Unterschiede, die aus der Landnutzung resultieren,
aufzuzeigen. Hierbei gilt jedoch von vornherein festzuhalten, dass es sich dabei nur um eine
methodische, stark abstrahierte Typisierung der Stämme handeln kann, weil bei diesen
vielfältige Übergangsformen hinsichtlich deren zivilisatorischen Entwicklung bestehen, so
dass Stämme durchaus Reisanbau betreiben und gleichzeitig von der Jagd abhängig sein
können, Reisbauern nicht immer sesshaft sind (Wanderfeldbau) und Nomaden auch
Siedlungen über längere Zeiträume bewohnen können (KING 1993, S. 166; ROBEQUAIN
1954, S. 222; WITSCHI 1938, S. 30-31). Es ist ferner nicht geklärt, ob die heute sesshaften
Stämme das Resultat eines Anpassungsprozesses der zuvor „schwärmenden“ Stämme sind
oder ob die heutigen Nomaden eine Anpassung damalig Sesshafter an neue
Wirtschaftsbedingungen, wie dem aufkommendem, Buschprodukte nachfragenden Handel,
sind (KING 1993, S. 166-167, 169). Vielmehr scheinen die unterschiedlichen Formen des
Wirtschaftens auf unterschiedliche Reaktionen bezüglich der sich ändernden wirtschaftlichen
Rahmenbedingung (Weltmarktpreise/ internationaler Handel o. ä.) begründet zu sein. In
einigen Fällen kommt es sogar dazu, dass sich enge symbiotische Beziehungen zwischen
sesshaften Reisbauern und umherstreifenden Jägern und Sammlern bilden. Während die Einen
die für den Export benötigten Buschprodukte sammeln, sichern die Anderen deren Ernährung
und Equipment (KING 1993, S. 167).
Trotz der offensichtlichen Abstraktion ist diese Zweiteilung der Dayak der Verdeutlichung
der unterschiedlich starken Bedeutung und somit der Eingrenzung einer wahrscheinlichen
Herkunft (vgl. 1) dienlich.
16
Sesshafte Stämme
Die Dayak sind zum größten Teil Reisbauern (ROBEQUAIN 1954, S. 221; WITSCHI 1938,
S. 60). Kultiviert wird hauptsächlich Trockenreis, der ohne aufwendige
Bewässerungsmaßnahmen auskommt. Hierzu werden dem Urwald durch Abholzung mit
einfachsten Mitteln Anbauflächen abgerungen, die nach wenigen Jahren bereits, aufgrund der
in tropischen Gefilden schnell fortschreitenden Bodenverarmung, zu Gunsten neuer
Anbauflächen wieder aufgegeben werden müssen (WITSCHI 1938, S. 60). Dieser
ursprüngliche Wanderfeldbau der Reisbauern dient hauptsächlich der Subsistenzsicherung
(KAMPFFMEYER 1991, S. 20). Neben dem Trockenreis werden weitere Feldprodukte zur
Ergänzung der Nahrung, wie etwa Mais, Melonen, Gurken, Kürbisse, Zuckerrohr und
Süßkartoffeln, angebaut (WITSCHI 1938, S. 71). Als wichtigstes Lebensmittel der Dayak bei
Nahrungsmittelengpässen fungieren Produkte, die aus der im Urwald wildwachsenden
Sagopalme hergestellt werden, wie zum Beispiel Sagomehl (ROBEQUAIN 1954, S. 221).
Bäume, die sich für den Nestbau von Bienen besonders eignen („Bienenbäume“), werden von
den Dayak geplündert und somit als Honiglieferant genutzt (WITSCHI 1938, S. 74). Wie die
Wildbeuter brechen die sesshaften Stämme, wenn auch in abgeschwächtem Maße, selbst zur
Jagd auf, um ihren Fleischbedarf zu decken (KING 1993, S. 169).
Handel wird hauptsächlich mit „Buschprodukten“ betrieben. Diesbezüglich pflanzen die
Dayak Meerrohr- und Gummiplantagen in Form kleiner Gärten im Urwald an (ROBEQUAIN
1954, S. 221; WITSCHI 1938, S. 71-72). Außerdem sammeln sie Produkte des Urwalds, wie
zum Beispiel wilden Gummi, verschiedene Sorten Baumharz, sowie wilde Früchte und
Herzblätter bestimmter Palmenarten (WITSCHI 1938, S. 73). Als weitere Handelsware
dienen Rotan und Rotanprodukte wie Flechtarbeiten, als auch geschürftes Gold, welches
jedoch nur in bestimmten Regionen der Insel vorkommt (KAMPFFMEYER 1991, S. 20-21).
Diese Buschprodukte und Goldwaren werden gegen Handelswaren, die von den Dayak
besonders stark nachgefragte werden, wie Stoffe, Kleider, Garne, Toilettenartikel,
Küchengeschirr, Werkzeug, Lampen und Genussmittel, hauptsächlich Alkohol und Tabak,
eingetauscht (WITSCHI 1938, S. 94).
Da die Dayak der hochgradig wissenschaftlichen Erkenntnisse der westlichen
Agrarwirtschaft, über beispielsweise Produktion und Einsatz von
Schädlingsbekämpfungsmitteln, entbehren, besteht ein hohes Anbaurisiko mit einer großen
Wahrscheinlichkeit hinsichtlich dem eventuellen Eintreten von Missernten durch die
17
Auswirkungen von tierischen Schädlingen, Überschwemmungen und weiteren
Witterungserscheinungen (WITSCHI 1938, S. 60).
Seit den 1860’er Jahren bemühte sich die Regierung die Dayak in größeren Dörfern
anzusiedeln (WITSCHI 1938, S. 60). Das größte Problem dabei ist, dass zum weiteren
Wachstum der Siedlungen ein Wechsel der Flächenbewirtschaftung, über die Intensivierung
der Flächennutzung zur Steigerung der Flächenkapazität mittels bewässerten Reisanbaus oder
Plantagenwirtschaft, vollzogen werden muss, weil es sonst mit dem steigenden Bedarf an
Nahrungsmitteln zu enormen Ausweitungen der Anbauflächen und somit der
Wirtschaftlichkeit entgegenstehend langen Wegstrecken vom Wohn- bis zum Arbeitsplatz
kommt (WITSCHI 1938, S. 60-61).
Wildbeuter
Neben diesen sesshaften Dayak, die sich zumeist längs der Flüsse in festen Siedlungen
niederlassen (vgl. 4.2.1), gibt es zudem, zahlenmäßig weit unterlegene, kleine
Nomadenstämme, mit einer schwer quantifizierbaren Bevölkerungszahl von gerade einmal
10.000 – 15.000 Individuen (HILDEBRAND 1982, S. 27, 34), die sich im gebirgigen
Landesinneren nach wie vor als Jäger uns Sammler betätigen (SCHUHMACHER 1960, S.
64). Die Ernährungssituation richtet sich somit nach dem Bestand an Früchten und Wild.
Demzufolge ist die Ernährung gesichert, wenn ausreichend essbare Wurzeln, Farn-Blätter,
Pilze, Nüsse, Gemüse, Früchte (z.B. Durian, Rambutan), Honig u. ä. (KING 1993, S. 167;
HILDEBRAND 1982, S. 261), sowie Wild verfügbar sind. Da die Fruchtsaison jedoch
bezüglich bestimmter Arten nur saisonal ist, haben die Wildbeuter mit regelmäßigen
Nahrungsmittelengpässen, in denen Sagoprodukte oftmals die alleinige Nahrungsgrundlage
darstellen, zu kämpfen (HILDEBRAND 1982, S. 291). Dementsprechend ist die Nahrung, die
aus unter dem Namen „Sago“ zusammengefassten Palmen gewonnen wird, besonders wichtig
(HILDEBRAND 1982, S. 262). Neben den früher ausschließlich ausgeübten Jagd- und
Sammeltätigkeiten kommt es heute tendenziell zur Übernahme bestimmter Wirtschaftsformen
von den sesshaften Stämmen, wie zum Beispiel dem Anbau von Trockenreis, Maniok, Batate,
Taro und Zuckerrohr (HILDEBRAND 1982, S. 259). Die neuen Anbaumethoden haben die
alte Jagd- und Sammelwirtschaft jedoch noch nicht vollständig ersetzt (HILDEBRAND 1982,
S. 259), so ist beispielsweise die Jagd, gerade vor dem Hintergrund das die Wildbeuter keine
18
Viehzucht betreiben, nach wie vor von enormer Bedeutung für die Selbstversorgung dieser
Stämme (HILDEBRAND 1982, S. 259-260).
Die häufig in der Literatur auftauchenden Namen „Ot“, „Bukitan“, „Bassap“ und „Punan“
dienen der sesshaften Dayakbevölkerung zur Bezeichnung der Jäger- und Sammlergruppen
(HILDEBRAND 1982, S. 55). Auch hierbei handelt es sich wiederum, wie bei dem Namen
„Dayak“, um Kollektivnamen, die vielmehr die Wildbeuter im Allgemeinen, zur Abgrenzung
der steuerpflichtigen sesshaften Dayak- Bevölkerung von den nicht erfassten nomadischen
Jägern und Sammlern, als die Stämme im Einzelnen bezeichnen (HILDEBRAND 1982, S. 55,
63). Viele Stämme haben diese Namen jedoch im Laufe der Zeit akzeptiert und bezeichnen
sich heute selbst damit (HILDEBRAND 1982, S. 55). Nach STÖHR (1959 in
HILDEBRAND 1982, S. 4-5) können folgende Gruppen unterschieden werden: Ot Danum-
Ngadju (Süden Kalimantans an den Flüssen Kahajan, Kapuas, Katingan), Kenja-Kajan-Bahau
(Zentral- u. Ost-Kalimantan), Maanjan-Lawangan (Gebiet des Baritoflusses), Dusun-Murut-
Kelabit (in Sabah und im äußersten Nordwesten Sarawaks), Klemantan (mittleres,
nordöstliches Sarawak), Land-Dayak oder Kendajan (Westborneo), Iban (Nordwestborneo)
und unter Punan zusammengefasste, verstreut lebende Wildbeuterstämme.
Die Wohngebiete der Wildbeuter erstreckten sich früher über ganz Borneo bis auf den
äußerten Norden und versumpfte Küstenstreifen im Süden und Westen (HILDEBRAND
1982, S. 159). Heute begrenzt sich der Lebensraum der nomadischen Stämme hauptsächlich
auf Ost- und West-Kalimantan und Teile Sarawaks (vgl. Abb.4; HILDEBRAND 1982, S.
169). Die unterschiedlichen Wildbeuterstämme haben aufgrund ihrer nach wie vor riesigen
Territorien mit sehr geringen Bevölkerungsdichten selten bis gar keinen Kontakt
untereinander (KING 1993, S. 167). Diese geringen Bevölkerungsdichten hängen damit
zusammen, dass die Wildbeuter in Gruppen, mit vergleichsweise sehr wenigen
Gruppenmitgliedern, organisiert sind, die aufgrund ihrer Jagd- und Sammeltätigkeiten einen
hohen Flächenbedarf aufweisen. Kleine Wildbeuterstämme können sich dabei aus 30-40,
große sogar aus 150-200 Gruppenmitgliedern im Stammesverband bilden (KING 1993, S.
168).
19
Abb.4: Verbreitungsgebiete der Wildbeuter und deren regionale Bezeichnungen (nach HILDEBRAND 1982, S. 157)
Einzelne Wildbeuterstämme unterscheiden sich von der Gruppengröße abgesehen auch
hinsichtlich der Wanderungsgewohnheiten. Während einige Stämme relativ lange an
bestimmten Orten verweilen, ziehen andere schon nach vergleichsweise kurzer Zeit zum
nächsten Lagerplatz weiter. Genauso verhält es sich mit der zurückzulegenden
20
Wanderungsdistanz, so dass einige Stämme generell längere Wanderungen vollziehen als
andere (KING 1993, S. 168). Die Wanderungen hängen dabei fast ausschließlich mit der
Erschließung neuer Nahrungsmittelvorkommen zusammen. Dabei gilt die Sagopalme als
wichtigstes wanderungsrelevantes Nahrungsmittel, da diese nicht nur saisonal, sondern
ganzjährig als Nahrungsgrundlage zur Verfügung steht (KING 1993, S. 168). Die Wildbeuter
sind somit hauptsächlich an die Sago- und zudem Rotanbestände der Umgebung gebunden.
Sind diese abgeerntet, müssen die wilden Stämme weiterwandern, um neue Vorkommen zu
erschließen und den zuvor beanspruchten die Möglichkeit zur Erholung zu geben
(HILDEBRAND 1982, S. 240-241). Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Verfügbarkeit
von Wasser in mittelbarer Umgebung (KING 1993, S. 167).
Höhlen, temporäre Unterkünfte und Jagdlager aus Blättern, Rinde, Baumstämmen und Ästen
dienen den Nomaden als Lagerstätten (HILDEBRAND 1982, S. 243-246; MACDONALD
1957, S. 13; KING 1993, S. 167). Bei der Errichtung der simplen Hütten herrscht kein
einheitliches Bauprinzip vor (HILDEBRAND 1982, S. 244, 252; KING 1993, S. 167). Meist
haben sie ein schräggestelltes Dach, weshalb sie auch als „Windschirm“ bezeichnet werden.
Die Hütten weisen oft ein vom Erdboden abgehobener Lattenrost als Schlaf- und
Sitzmöglichkeit (vgl. Abb.5) und vereinzelt auch Seitenwände zum Schutz vor der Witterung
auf (HILDEBRAND 1982, S. 252). Die Hausformen und verwendeten Materialien scheinen
keinem eindeutigen Prinzip zu unterliegen. So variieren selbst innerhalb von einzelnen
Stämmen die Behausungen der Stammesmitglieder zum Teil erheblich voneinander
(HILDEBRAND 1982, S. 244, 252).
21
Abb.5: „Windschirm“ genannte Hütte der Wildbeuter (HILDEBRAND 1982, S. 254)
Hinsichtlich der Geschlechterrollen existiert bei den nomadischen Dayak eine feste
Arbeitsteilung. Dabei wird die gefährlichere Jagd von den Männern ausgeübt, während die
Frauen Aufgaben, wie das Herstellen von Flechtwerk aus Rotan, zu erledigen und Produkte in
der Nähe des Lagers zu sammeln haben (KING 1993, S. 168).
Wie auch bei den sesshaften Stämmen, sind die Haupthandelswaren der Wildbeuter
gesammelte und zum Teil weiterverarbeitete Buschprodukte (WITSCHI 1938, S. 73; vgl.
22
4.2.2). Die Wildbeuter können diese Buschprodukte aufgrund ihrer Orts- und Naturkenntnisse
jedoch in größeren Mengen beschaffen, diese aber nur an die sesshaften Stämme absetzen, da
sie aufgrund ihrer Abgeschiedenheit seltener bis nie Kontakt zu malaiischen und chinesischen
Händlern haben. Der Handel zwischen den sesshaften Dayak und den Wildbeutern, der häufig
in Form des „Stummen Handels“ erfolgt (HILDEBRAND 1982, S. 204-205), führt zu einer
engen symbiotischen Bindung und gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den
Handelspartnern (HILDEBRAND 1982, S. S.213). Beim „Stummen Handel“ legen die
sesshaften Dayak ihre Waren an einen bestimmten Ort und geben optische (Feuer und Rauch)
und akustische Zeichen (Schlagen gegen bestimmte Bäume). Danach ziehen sich die Händler
aus Sichtweite der Waren zurück und warten. Die Wildbeuter kommen aus dem Wald,
nehmen bestimmte Waren ihrer Wahl und lassen dafür Waren ihrerseits zurück. Anschließend
verschwinden die wilden Händler wieder im Wald, ohne das es zum Sichtkontakt zwischen
den Handelspartnern kommt (PERELAER 1870, S. 185, HARTMAN 1790, S. 376 nach
HILDEBRAND 1982, S. 205).
4.2.3 Eingrenzung
Neben den zuvor genannten Gründen der Verdeutlichung der allgemeinen, differenzierenden
Bedeutung des Blasrohrs für die hinsichtlich der Landnutzung unterschiedlich angepassten
Stämme, aus der hervorging, dass das Blasrohr heute nur noch recht selten als Jagdwaffe von
der ursprünglichen Bevölkerung Borneos genutzt wird und ihm ausschließlich bei den
Wildbeutern eine existenzielle Bedeutung zukommt, diente diese Zweiteilung der Dayak der
möglichen Annäherung an die Herkunft des Objekts im Speziellen. Dies begründet sich
daraus, dass ich während meiner Recherchen auf Äußerungen von Henrici‘s (vgl. 2.2) über
die Dayak stieß.
Herr Oberstleutnant von Henrici fertigte nämlich während seiner zweijährigen Borneoreise
(1830-1832, vgl. 2.2), von der er das dieser Arbeit zugrunde liegende Objekt mitbrachte,
Notizen über die Vorbesitzer des Blasrohrs, die Dayak, an. Er beschreibt sie wie folgt: Die
Dayak Leben mitten in der ausgedehnten Wildnis und sind in kleinen Horden organisiert. Sie
sind unzivilisierte Nomaden („ein sich aller Zivilisation entziehendes Volk“), die Orang Ot
oder Ut im Süden und Orang Punan im Westen genannt werden. Die Dayak sind vollkommen
Wilde die meist auf Bäumen schlafen oder sich in einfachsten Hütten und Felshöhlen
aufhalten. Sie betreiben keine Art des Ackerbaus und ihre Nahrung beschränkt sich
23
ausschließlich auf wilde Früchte und Tiere. Einziges Kleidungsstück der Frauen und Männer
ist ein „schmaler Streifen Baumbast der ihre Mitte bedeckt“. Sie vermeiden jeglichen Kontakt
zu anderen Stämmen und Ethnien, auch zu den sesshaften Stämmen und weichen sorgfältig
jeder Begegnung aus. (nach Angaben von A.H. de HENRICI zu den Dayak vgl. MÜLLER
1857, 231 f. nach HILDEBRAND 1982, S. 15):
Da Oberstleutnant von Henrici in seinen Notizen die Dayak im Allgemeinen und nicht die
Wildbeuter im Speziellen beschreibt, kann vermutet werden, dass wenn er das dieser Arbeit
zu Grunde liegende Objekt als „Blasrohr der Dayak“ deklariert, es von eben diesen
Wildbeutern stammt, diese zumindest als Vorbesitzer fungieren. Somit könnte anhand der
Aufzeichnungen von Henrici‘s das Objekt tendenziell, wenn auch keinem bestimmten Stamm,
einer typisierten Gruppe von der Größe mancher Stämme zugeordnet, die graue Masse der
möglichen Vorbesitzer von 3.000.000 auf lediglich 15.000 reduziert und dadurch die
potenzielle Herkunft eingegrenzt werden. Leider lassen die Angaben von Hernrici’s keine
Schlüsse über die Herstellung des Objekts zu, so dass nach wie vor ungeklärt bleibt von wem
und wie das Objekt verfertigt wurde.
4.3 Herstellung
Aus einem gerade gewachsenem Eisenholzstamm (teilweise auch aus Holz der Arekapalme)
werden bis zu über 2 m lange und 2-3 cm dicke Blasrohre hergestellt, indem mit einfachsten
Mitteln ein 1 cm dickes loch mit einem „dicken, vorne feilenförmigen eingekerbten
Eisendraht“ in den Schaft gebohrt wird. Der Draht wird dazu an einer Platte befestigt, so dass
eine gerade Bohrung ermöglicht ist. Zur weiteren Behandlung des Blasrohrs werden „scharfe
Blätter“ verwandt um die Oberfläche vor allem des Blasrohrlaufs zu glätten (WITSCHI 1938,
S. 75). Insgesamt bedarf die Blasrohrherstellung hoher Geschicklichkeit, so dass sie wie ein
Handwerk zeitwidrig erlernt werden muss und eine gewisse Begabung vorrausetzt (WITSCHI
1938, S. 75).
Die wenige Millimeter dicken Blasrohrpfeile, die durch das Blasrohr abgeschossen werden,
sind etwa 20-21 cm lang und am Pfeilende mit einem, aus leichtem Holz gefertigten,
Windfang versehen, der so vermessen ist, dass er genau in den Blasrohrlauf passt (vgl. Abb.7;
HILDEBRAND 1982, S. 278; WITSCHI 1938, S. 75). In welchem Maße das Blasrohr
Schaden zufügen kann, hängt in entscheidendem Maße von der Wirksamkeit des Pfeilgiftes
ab (HILDEBRAND 1982, S. 278), einer zumeist braunen Giftmasse mit der die Pfeilspitze
24
bestrichen wird (WITSCHI 1938, S. 76). Hinsichtlich dieser Giftmasse werden verschiedene
Arten von Pfeilgift unterschieden. So zum Beispiel rotbraunes „ipo“, schwarzes „ipo firen“,
gelbliches „ipo matalat“ und öliges „ipo mandu“. Das giftigste Pfeilgift ist das rotbraune ipo,
welches aus einem strychninhaltigen Rankengewächs gewonnen wird. Das Gift wird zum Teil
zusätzlich weiterbearbeitet, indem es mit anderen giftigen Substanzen wie z.B. dem
betäubendem Lianensaft „tuba“ oder Härchen gewisser Bambusarten kombiniert wird
(HILDEBRAND 1982, S. 278; WITSCHI 1938, S. 76). Die Giftzutaten werden oftmals
sorgsam geheim gehalten und variieren je nach Herstellungsort und Hersteller
(HILDEBRAND 1982, S. 278). Allgemein scheinen die Wildbeuter in der Zubereitung von
Pfeilgift wesentlich qualifizierter zu sein als die sesshaften Reisbauern, so dass letztere ihr
Pfeilgift meist von den Wildbeutern beziehen (HILDEBRAND 1982, S. 278-280). Um die
Pfeile während der Jagd nicht zu verlieren und vor Beschädigungen zu schützen werden sie in
einem speziell dafür konzipierten Bambusköcher aufbewahrt (vgl. Abb.7), der mit einem
Dorn am Lendenschurz oder Gürtel befestigt wird (HILDEBRAND 1982, S. 278; WITSCHI
1938, S. 76).
4.4 Verwendung
4.4.1 Formen der Jagd
Die heute noch stattfindende Jagd zu Subsistenzsicherung wird hauptsächlich von den
Nomaden durchgeführt, da sie im Gegensatz zu den sesshaften Stämmen keine Viehzucht
betreiben und somit Fleischarmut vorherrscht (WITSCHI 1938, S. 75). Der Jagd im
wildreichen Hügelland kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Die „Vertrautheit mit der
Natur, genaue Kenntnis der Gewohnheiten, Fährten und Trinkplätze des Wildes“ und die
durch das Leben in der Natur geschärften Sinne der Dayak, machen sie zu geschickten Jägern
(WITSCHI 1938, S. 75). Dabei haben die einzelnen Stämme im Laufe der Zeit bestimmte
Eigenheiten bezüglich der Jagd entwickelt, so schmieren sich einige der unter dem Namen
„Ot“ zusammengefassten Stämme beispielsweise mit frischem Lehm ein, um den
körpereignen Geruch zu verbergen und sich somit besser ans Wild pirschen zu können
(WITSCHI 1938, S. 75). Neben der Jagd mit dem Blasrohr, die an späterer Stelle genauer
erläutert wird (vgl. 4.4.2), kommt es heute häufig zur Treibjagd mit Hunden bei der die Tiere
in enger werdende Umzäunungen getrieben werden (HILDEBRAND 1982, S. 283, 285;
KING 1993, S. 167, 169; WITSCHI 1938, S. 76), sowie zur Herstellung und Verwendung
25
von Fallen und Schlingen (WITSCHI 1938, S. 76). Letzteres ist jedoch von untergeordneter
Rolle (HILDEBRAND 1982, S. 288-289).
Als Alternative zum Fleisch wird der ungeheure Fischreichtum der Gewässer genutzt um eine
Zukost zum Reis zu erlangen. Die Dayak haben diesbezüglich im Laufe der Zeit verschiedene
Arten des Fischfangs entwickelt, um sich diesen Reichtum zu nutzen zu machen
(HILDEBRAND 1982, S. 268). Der Fischfang erfolgt dabei mit Sperrnetzen und bis zu 40 m
langen und 12 m breiten Langnetzen, sowie Wurfnetzen, Angeln (HILDEBRAND 1982, S.
268; KING 1993, S. 167), Schöpfnetzen und Speeren, wobei letzteres meist in Verbindung
mit einer zu vorigen Massenbetäubung der Fische, bei der ganze Flussabschnitte mit dem
Pflanzengift einer bestimmten Liane vergiftet werden, einher geht (HILDEBRAND 1982, S.
269; KING 1993, S. 169; WITSCHI 1938, S. 77). Bei eine anderen Art mit dem Speer zu
Fischen tauchen die Jäger an einer tiefen Stelle im Fluss ab. Von dort aus lauern sie den
Fischen auf, die sie dann mit dem Speer harpunieren (HILDEBRAND 1982, S. 268-269;
KING 1993, S. 169). Außerdem findet Fischfang durch Eindämmen von Gewässerabschnitten
statt, wobei ein relativ großer Flussabschnitt zunächst eingedämmt und dann in weitere,
kleinere Abschnitte unterteilt wird, aus denen der Fisch dann entnommen werden kann
(HILDEBRAND 1982, S. 270). Der Großteil der gefangenen Fische, vor allem der kleineren,
wird zunächst in der Sonne getrocknet und dann entweder gelagert oder zum Teil gegen
andere Waren getauscht (WITSCHI 1938, S. 77-78).
4.4.2 Jagd mit dem Blasrohr
Obwohl das Blasrohr über die Verwendung stark dosierten Pfeilgifts auch zum Erlegen von
Großwild, wie Wildschweinen und Hirschen, dienen kann, wird es hauptsächlich zum Jagen
kleinerer Tiere, wie z.B. Zwerghirsche oder in den Baumkronen befindliche Affen und Vögel,
genutzt (HILDEBRAND 1982, S. 282-283; KING 1993, S. 168), wobei die Dayak je nach
Zweck und Nutzen, also hauptsächlich in Abhängigkeit von der Art des gejagten Tieres,
Pfeile mit unterschiedlich stark dosiertem Gift oder gar nur einfache Lehmkugeln,
hauptsächlich zum Erlegen kleiner Echsen und Vögel, verwenden (HILDEBRAND 1982, S.
277, 282). Bei der eigentlichen Großwildjagd kommt dem Blasrohr eine geringere Bedeutung
zu, da es wenn überhaupt nur zur Betäubung des Wildes eingesetzt wird (HILDEBRAND
1982, S. 282). Die geeignetere Waffe für das Jagen von Großwild ist der Speer oder die
Jagdlanze (HILDEBRAND 1982, S. 282; KING 1993, S. 168-169). Damit sich die Jäger
26
während der anspruchsvollen, meist mehr-tägigen Jagd im Dschungel jedoch nicht unnötig
mit dem Umherführen mehrerer Waffen belasten und behindern, wird von den Wildbeutern
Borneos eine Speerspitze am Blasrohrende befestigt, so dass das Blasrohr zum Jagen von
Nieder- und Großwild geeignet ist, zu Blasrohr und Speer in Einem wird (HILDEBRAND
1982, S. 282-283).
In Hinblick auf die eigentliche Jagd mit dem Blasrohr schleichen sich die Dayak an ihre Beute
an oder verstecken sich im Gehölz und auf Bäumen, um dem Wild aufzulauern (WITSCHI
1938, S. 76). Zum Abschießen eines Geschosses wird das Blasrohr dann mit der einen Hand
an den Mund geführt und mit der anderen gestützt und auf das Ziel ausgerichtet (vgl. Abb.6;
WITSCHI 1938, S. 76). Von einem in der Blasrohrjagd geübten Dayak bedient, kann das
Blasrohr dabei ein Ziel auf bis zu 60 m Entfernung tödlich treffen (WITSCHI 1938, S. 76).
Abb.6: Handhabung des Blasrohrs (MACDONALD 1957, S. 16-17)
27
Abb.7: Dayak beim Laden des Blasrohrs (HELBIG 1941)
Das Blasrohr wurde früher, bis zum Verbot durch die Kolonialregierung, jedoch nicht nur
zum Erlegen von Wild, sondern auch zur berüchtigten Kopfjagd genutzt. Laut verschiedener
Autoren griffen die Wildbeuter bis dahin alle Fremden und Feinde, die sich in ihr Territorium
wagten, mit Blasrohren und Giftpfeilen an und überfielen auf eben diese Weise auch ganze
Dörfer und Siedlungen (HILDEBRAND 1982, S. 216-217), wobei jedoch nicht ganz klar ist
inwiefern es sich dabei nicht um absichtlich verbreitete Gerüchte der sesshaften Dayak, zur
Aufrechterhaltung ihres Monopols auf den Buschprodukte-Handel mit den Wildbeutern,
handelte (HILDEBRAND 1982, S. 219). Von diesem aggressiven und umstrittenen Verhalten
abgesehen, wird davon ausgegangen, dass die Wildbeuter den mit ihnen in Symbiose
28
lebenden sesshaften Dayakstämmen auf Kopfjagden zur Seite standen, wobei vor allem ihre
Ortskenntnis, aber auch ihre Fertigkeiten in der Blasrohrjagd und dem ungesehenen
Anschleichen von entscheidender Bedeutung gewesen sein sollen (HILDEBRAND 1982, S.
219-221). Zuletzt kam es im 2. Weltkrieg zum kriegerischen Einsatz des Blasrohrs. Dabei
kämpften Wildbeutergruppen mit ihren Blasrohren auf Seiten der Alliierten sehr erfolgreich
und effektiv gegen die Japaner (HILDEBRAND 1982, S. 221-222).
Seit dem Vertrieb europäischer Gewehre auf Borneo wurde das Blasrohr als Jagdwaffe jedoch
mehr und mehr verdrängt, so dass es heute nur noch Bedeutung für die unabhängigen
Wildbeuter fernab der Zivilisation und des Weltmarktes besitzt (WITSCHI 1938, S. 76).
5 Auswertung der Thesen
� Zu (1): Wie bereits vermutet, handelt es sich bei dem Objekt um einen
Gebrauchsgegenstand, der normalerweise als Jagdwaffe dient und dem keine
besondere religiöse Bedeutung hinsichtlich der Ausübung besonderer Rituale o.ä.
zukommt. Trotzdem ist eine untergeordnete religiöse Bedeutung als wahrscheinlich
anzunehmen, da die Waffen der Dayak, wie z.B. das „mandau“, oftmals einen
magischen Wert besitzen, der dadurch bedingt ist, dass während der Produktion Magie
aufgewendet wird, die zu einem Teil auf den Gegenstand übergeht (vgl. 4.2.1).
� Zu (2): Das Blasrohr dient dem Abfeuern von Pfeilen und Lehmkugeln und wurde bis
ins 20. Jh. hinein als Waffe anlässlich dem eventuellen Auftreten gewaltsamer
Konflikte eingesetzt (vgl. 4.2.2).
� Zu (3): Das Blasrohr wird mit der einen Hand an den Mund geführt und mit der
anderen gestützt und aufs Ziel justiert und somit mit beiden Händen benutzt (vgl.
4.2.2).
� Zu (4): Tatsächlich ist die Herstellung des heute üblichen Blasrohres mit
longitudinaler Bohrung an Kenntnisse in der Eisenverarbeitung gebunden, da dass
harte Holz sonst nicht zu bearbeiten wäre und die Blasrohre Borneos zudem oftmals
mit einem eisernen Speerende versehen sind (HILDEBRAND 1982, S. 274). Da die
Verwendung des heute üblichen Blasrohrs auf Borneo schon für das 16. Jh. belegt ist,
kann davon ausgegangen werden, dass jene Blasrohre bereits seit Jahrhunderten mit
Hilfe von Metallwerkzeugen gefertigt werden (HILDEBRAND 1982, 274). Fraglich
29
ist dabei ob die Wildbeuter die Blasrohre selbst anfertigten oder ob sie diese gegen
andere Waren eintauschten. Fest steht laut HILDEBRAND (1982, S. 274-275), dass
die wilden Stämme auf die Zufuhr fremden Eisens und Werkzeugs und somit auch auf
Handelsbeziehungen zu technisch höher entwickelten Gruppen angewiesen waren.
Demzufolge kann es sich bei dem Blasrohr auf Borneo nicht um eine eigenständige
kulturelle Leistung der Dayak handeln (HILDEBRAND 1982, 277). Desweiteren gilt
die Herstellung des Blasrohres als enorm anspruchsvoll, so dass aller
Wahrscheinlichkeit nach die Blasrohre nur von bestimmten Spezialisten in
idealtypischem Zustand gefertigt werden konnten (HILDEBRAND 1982, 276). Diese
befanden sich sowohl in den Reihen der sesshaften als auch der schwärmenden Dayak
oder der Malaien (HILDEBRAND 1982, 276-277). Eine Gruppe, die über einen
solchen Spezialisten verfügte, konnte Blasrohre für den eigenen Gebrauch und darüber
hinaus für den Handel fertigen. Gruppen die keine Spezialisten in der Herstellung von
Blasrohren besaßen, waren dementsprechend darauf angewiesen Blasrohre gegen
andere Waren einzutauschen (HILDEBRAND 1982, 276-277). Im zeitlichen Verlauf
und in räumlicher Ausprägung kann keinem Stamm die fortwährende Produktion des
Blasrohres nachgewiesen werden. Vielmehr scheint ein variables Beziehungsgeflecht
existiert zu haben, indem sich die wechselseitigen Abhängigkeiten der einzelnen
Gruppen dynamisch verhielten. Das heißt, dass die einzelnen Gruppen sich je nach
Verfügbarkeit eines solchen Spezialisten, im Laufe der Zeit und räumlich
unterschiedlich ausgeprägt, abwechselnd gegenseitig belieferten (HILDEBRAND
1982, 276-277). Die sichtbare Veredlung der Oberfläche des Objekts schien dabei
aufgrund der außerordentlichen Naturkenntnisse der Dayak um Pflanzen und deren
Wirkstoffe weniger problematisch (vgl. 4.3).
� Zu (5): Die Ausarbeitung über den sozio-kulturellen Kontext des Blasrohrs konnte die
These nur bestätigen. In Gebieten in denen das Blasrohr nach wie vor zur Jagd aus
Gründen der Subsistenzsicherung verwandt wird, sind eben jene angenommenen
Strukturen charakteristisch (vgl. 4.2).
� Zu (6): Über die vor dem Mundstück des Objekts angebrachte Bastschnur kann nur
spekuliert werden, da sie in der Literatur keine Erwähnung findet. Wahrscheinlich ist
jedoch, dass die Bastschnur der Hand, die sich während der Verwendung des
Blasrohrs als Schusswaffe unmittelbar vor dem Mundstück befindet (vgl. Abb.6),
einen besseren Halt auf der sonst glatten Oberfläche gibt.
30
6. Fazit/ Ausblick
Es gilt abschließend festzuhalten, dass die Herstellung und somit die Herkunft des Objekts
unzureichend zu lokalisieren sind. So ist nicht eindeutig zu klären von welchem Stamm das
Objekt erworben und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde. Wie in der
Auswertung der Thesen angeführt (vgl. 5 zu (4)) könnte es sich bei dem Blasrohr um ein
Gemeinschaftsprodukt handeln. Laut KAMMLER et al. (2002, S. 168-169) gibt es auf der
Insel Borneo keine Eisenvorkommen, so dass exogene Handelsbeziehungen, beispielweise zur
Nachbarinsel Java oder zur Halbinsel Malakka, zur Zeit der Herstellung des Objekts existent
gewesen sein müssen. Ferner ist auch die Hinführung zum wahrscheinlichen Vorbesitzer des
Blasrohrs anhand der Aufzeichnungen von Henrici’s (vgl. 4.2.3) als äußerst fragwürdig zu
bewerten, da sie ausschließlich auf Vermutungen basiert. Ihr wird daher relativ wenig
Wahrheitsgehalt beigemessen. Dennoch unterstützen die Aufzeichnungen von Henrici‘s die
angestrebte, methodische Zweiteilung der Dayak im Hauptteil der Ausarbeitung, durch die
hinreichend aufgezeigt werden konnte, für wen das Blasrohr am wichtigsten ist, wo es seiner
eigentlichen Bedeutung zugeführt wird und nach wie vor der Jagd dient, wo seine
wahrscheinliche Herkunft befindlich ist. Dabei sollte vor allem herausgestellt werden, dass
das Blasrohr nicht nur für einen bestimmten Stamm zu einer bestimmten Zeit bedeutend war,
sondern dass es für eine bestimmte wirtschaftliche Organisationsform, mit all ihren
feststellbaren Auswirkungen auf Gesellschaft und Kultur, besonders wichtig ist und immer
sein wird, nämlich für die, des auf natürliche Lebensmittelvorkommen angewiesenen,
Sammel- und Jagd- Nomadismus auf Borneo.
Bis zum Ende des 19.Jh. stellte das Blasrohr für die ursprünglichen, nicht-sesshaften Ethnien
Borneos ein wichtiges Werkzeug zum Überleben dar. Dies begründet sich zum einen aus der
enormen Bedeutung als Jagdwaffe und darüber hinaus als einzige Distanzwaffe der Dayak,
die über Jahrhunderte hinweg Siedler und Exploiteure abschreckte ihnen ihr Territorium
streitig zu machen. Seit dem inselweiten Verbot der Kopfjagd wurde den Dayak jedoch die
Möglichkeit genommen sich über diese Art der hauptsächlich psychologischen
Kriegsführung, da die hinterhältige Kopfjagd mit lautlosen Giftpfeilen, als von der
Gesellschaft gefeierter Massenmord, gerade auf westliche Moralträger eine besonders
abschreckende Wirkung hatte, Eindringlinge vom Leib zu halten. Daraus entstanden große
Probleme, insbesondere für die auf die Jagd angewiesenen Stämme Borneos, da fortan große
Unternehmen ihre Jagdgründe ausbeuten und zerstören. Ein Beispiel sind die großen
Holzfirmen, die seit dem 20. Jh. mit steigender Effektivität, durch den technischen Fortschritt
31
bedingt, die Primärwälder Borneos zerstören und nichts als relativ leblose Steppe hinterlassen
(vgl. Abb.8). Bei weiterhin fortschreitender Abholzung werden sich die Wildbeuter in naher
Zukunft vor die Entscheidung gestellt sehen, ob sie sich in festen Siedlungen niederlassen und
Ackerbau betreiben oder zunehmend Hunger leiden. Mit dem steigenden Grad der
Sesshaftigkeit und den damit verbundenen Wirtschaftsformen der Viehzucht und des
Ackerbaus, werden die alte Jagd- und Sammelwirtschaft und somit auch das Blasrohr bzgl.
der Herstellung und Verwendung zunehmend rückläufig. Die wahrscheinliche Herkunft des
Blasrohrs schwindet von Tag zu Tag: wo Urwälder und somit reiche Jagdgründe großflächig
gerodet werden, Wildbeuter sich zum Niederlassen gezwungen sehen und somit veränderte
Ansprüche an ihre Umwelt und neue Konsummuster entwickeln, die Jagd- und
Sammelwirtschaft, sowie die Kopfjagd und die damit verbundene Kultur und Religion in
Vergessenheit geraten und neue Wirtschaftsformen den Unterhalt sichern, wird sich das
Blasrohr in Bezug auf seine ursprüngliche Verwendung nur noch in den Geschichten der
Dayak erhalten.
In Zukunft wird dem Blasrohr auf Borneo demzufolge wahrscheinlich nur noch eine
touristische Bedeutung im Rahmen des Verkaufs von Kultur und Religion zukommen.
Diesbezüglich wären die weitere Herstellung des Blasrohrs für den Verkauf als Souvenir und
die fortwährende Verwendung hinsichtlich der spannenderen Gestaltung von geführten
Touristentouren über die Verdeutlichung der Kulturhistorie denkbar.
Abb.8: Verwüstung der Landschaft durch großflächige Waldabholzung (BUTLER 2005)
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LITERATUR
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Bildquellen
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� BUTLER, T. (2005): Abholzung in Borneo. Kalimantan an der Querstraße:
Dipterocarp Wälder und die Zukunft von indonesischem Borneo. –
http://specieslist.com/images/borneo_deforestation.jpg; Zugriffszeit: 20.01.2008,
18:20 Uhr.