Bürgerschaftliches Engagement: Bereicherung oder Belastung? · 2007. 7. 6.  · ten Mal vom...

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108 Forum Management Bibliotheksforum Bayern 01 (2007) Da bürgerschaftliches Engagement Konjunk- tur hat, stellt sich für Bibliotheken die Frage, ob sie vom Einsatz ehrenamtlicher Kräfte profitieren können oder ob Ehrenamtliche eher hinderlich für den Betriebsablauf sind? Ihr Einsatz wird in Bibliotheken entweder als Bereicherung oder als Belastung gesehen: Sie gelten einerseits als „un- qualifiziert“, „unprofessionell“, „Arbeitsplatzver- nichter“, andererseits bringen sie ihre Berufs- und Lebenserfahrung mit, haben Zeit, können durch Fortbildungsangebote zusätzliche Professionalität erwerben und erweisen sich als engagierte Men- schen auf der Suche nach sinnvoller Tätigkeit. Ehrenamtliches Forum In der Stadtbibliothek Straubing (Niederbayern) wurde im Juli 2003 ein ehrenamtliches Forum gegründet. Zunächst wurde ein Fragebogen ent- wickelt, der in der Bibliothek, dem Freiwilligen- zentrum und dem Bürgerbüro der Stadt auslag. Neben den üblichen Angaben zur Person, den Interessen und der jeweils zur Verfügung stehen- den Zeit, wurden Vorschläge für ehrenamtliche Tätigkeiten abgefragt. Innerhalb kürzester Zeit gingen mehr als 30 Anmeldungen ein, teils mit persönlicher Vorstellung in der Bibliothek. Die Ak- tion wurde von der örtlichen Presse begleitet und von der Leiterin des Freiwilligen Zentrums e.V. unterstützt. Inzwischen besteht ein stabiler Kreis von 38 Personen (6 Männer, 32 Frauen) im Alter von 39 bis 82 Jahren. Leseförderung Der größte Unterstützungsbedarf war im Bereich der Leseförderung. Es kam der Bibliothek sehr entgegen, dass sich viele Vorleserinnen gemeldet hatten. So konnte dieses Programm erweitert wer- den. Einmal in der Woche findet donnerstags eine 45-minütige Vorlesestunde abwechselnd für Vor- schul- und Grundschulkinder statt. Von 20 Kinder- gärten Straubings haben 14 Einrichtungen sowie zwei Kinderhorte eine eigene Vorlese- rin, die im 14-tägigen Turnus kommt. Das sehr beliebte und bis 2003 nur sporadisch stattfindende Bilderbuchki- no wird ebenfalls regelmäßig angebo- ten. Im Anschluss an jedes Bilderbuch- kino wird mit den Kindern gemalt oder gebastelt. Die Materialien werden von der Bibliothek zur Verfügung gestellt. Organisation und Vorbereitungen lie- gen allein in den Händen der Freiwilli- gen. Die Dias zum Bilderbuch stellen die Stadtbildstelle oder die Landes- fachstelle zur Verfügung. Bürgerschaftliches Engagement: Bereicherung oder Belastung? Freiwilliges Engagement ist erfreulicherweise keine Frage des Alters, sondern wird quer durch die Gene- rationen als wichtig und selbstverständlich erachtet. Der Freiwilligensurvey 2004, der nach 1999 zum zwei- ten Mal vom Bundesministerium für Familie, Seni- oren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben wurde, hat ergeben, dass es besonders in der Altersgruppe 55plus immer mehr Menschen gibt, die sich in ir- gendeiner Form in Vereinen, Organisationen, Initiati- ven oder einer öffentlichen Einrichtung engagieren. Von Gudrun Kulzer FOTOS: STADTBIBLIOTHEK STRAUBING Vorlesestunde im Kindergarten

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    Forum Management

    Bibliotheksforum Bayern 01 (2007)

    D a bürgerschaftliches Engagement Konjunk-tur hat, stellt sich für Bibliotheken die Frage, ob sie vom Einsatz ehrenamtlicher Kräfte profitieren können oder ob Ehrenamtliche eher hinderlich für den Betriebsablauf sind? Ihr Einsatz wird in Bibliotheken entweder als Bereicherung oder als Belastung gesehen: Sie gelten einerseits als „un-qualifiziert“, „unprofessionell“, „Arbeitsplatzver-nichter“, andererseits bringen sie ihre Berufs- und Lebenserfahrung mit, haben Zeit, können durch Fortbildungsangebote zusätzliche Professionalität erwerben und erweisen sich als engagierte Men-schen auf der Suche nach sinnvoller Tätigkeit.

    Ehrenamtliches Forum In der Stadtbibliothek Straubing (Niederbayern) wurde im Juli 2003 ein ehrenamtliches Forum gegründet. Zunächst wurde ein Fragebogen ent-wickelt, der in der Bibliothek, dem Freiwilligen-zentrum und dem Bürgerbüro der Stadt auslag. Neben den üblichen Angaben zur Person, den Interessen und der jeweils zur Verfügung stehen-den Zeit, wurden Vorschläge für ehrenamtliche Tätigkeiten abgefragt. Innerhalb kürzester Zeit gingen mehr als 30 Anmeldungen ein, teils mit persönlicher Vorstellung in der Bibliothek. Die Ak-tion wurde von der örtlichen Presse begleitet und von der Leiterin des Freiwilligen Zentrums e.V.

    unterstützt. Inzwischen besteht ein stabiler Kreis von 38 Personen (6 Männer, 32 Frauen) im Alter von 39 bis 82 Jahren.

    Leseförderung Der größte Unterstützungsbedarf war im Bereich der Leseförderung. Es kam der Bibliothek sehr entgegen, dass sich viele Vorleserinnen gemeldet hatten. So konnte dieses Programm erweitert wer-den. Einmal in der Woche findet donnerstags eine 45-minütige Vorlesestunde abwechselnd für Vor-schul- und Grundschulkinder statt. Von 20 Kinder-gärten Straubings haben 14 Einrichtungen sowie

    zwei Kinderhorte eine eigene Vorlese-rin, die im 14-tägigen Turnus kommt.

    Das sehr beliebte und bis 2003 nur sporadisch stattfindende Bilderbuchki-no wird ebenfalls regelmäßig angebo-ten. Im Anschluss an jedes Bilderbuch-kino wird mit den Kindern gemalt oder gebastelt. Die Materialien werden von der Bibliothek zur Verfügung gestellt. Organisation und Vorbereitungen lie-gen allein in den Händen der Freiwilli-gen. Die Dias zum Bilderbuch stellen die Stadtbildstelle oder die Landes-fachstelle zur Verfügung.

    Bürgerschaftliches Engagement: Bereicherung oder Belastung?

    Freiwilliges Engagement ist erfreulicherweise keine Frage des Alters, sondern wird quer durch die Gene-rationen als wichtig und selbstverständlich erachtet. Der Freiwilligensurvey 2004, der nach 1999 zum zwei-ten Mal vom Bundesministerium für Familie, Seni-oren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben wurde, hat ergeben, dass es besonders in der Altersgruppe 55plus immer mehr Menschen gibt, die sich in ir-gendeiner Form in Vereinen, Organisationen, Initiati-ven oder einer öffentlichen Einrichtung engagieren.

    Von Gudrun Kulzer

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    Vorlesestunden und Bilderbuchkino sind feste Einrichtungen geworden, die wir von Oktober bis April in regel-mäßigem Turnus anbieten. Bis zu 20 Kinder kommen in die Vorlesestun-den und bis zu 40 Kinder zum Bilder-buchkino. Im Jahr 2006 haben 2.900 Kinder mehr als 150 Veranstaltungen besucht.

    Flohmarkt und Catering Ehrenamtliche, die aufgrund ander-weitiger Verpflichtungen weniger Zeit haben, übernehmen den zweimal im Jahr stattfindenden Bücherflohmarkt, der für die Bibliothek eine wichtige Ein-nahmequelle darstellt. Darüber hinaus werden Lesungen, Vorträge und Aus-stellungen betreut, indem der Verkauf für das Catering übernommen wird

    bzw. die Standbetreuung für eine Veranstaltung außer Haus. Dadurch tragen die Ehrenamtlichen nicht unwesentlich zur positiven Außenwirkung der Bibliothek bei.

    Angebote von Senioren für Senioren Aus dem Kreis der Ehrenamtlichen kommen vier Angebote, die sich an Ältere richten und von Äl-teren durchgeführt werden. Die Bibliothek unter-stützt diese Ideen, indem sie die Medien und das technische Knowhow zur Verfügung stellt.

    Seit Herbst 2004 wird in sieben Senioreneinrich-tungen 14-tägig vorgelesen. Einige „junge Alte“ wollten vorlesen, aber nicht für Kinder. Zunächst wurde eine Fortbildung organisiert, damit die Vor-gehensweise klar ist. Die Bibliothek kaufte verstärkt Vorlesebücher und legte Themenlisten an, damit die Auswahl für die Vorlesenden einfacher ist.

    Der 14-tägig stattfindende Computerclub exis-tiert bereits seit Herbst 2003. Ein Senior hat den Club, der dem Erfahrungsaustausch dient, ge-gründet und betreut ihn von Anfang an. Gemein-sam erkunden die interessierten Seniorinnen und Senioren die Möglichkeiten von Computer und In-ternet und helfen sich gegenseitig. Inzwischen ist jeder Termin ausgebucht.

    Der „mobile Büchertisch“ besteht seit Herbst 2005. Zweimal im Monat wird in einer Senioren-

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    Catering beim Sommerfest

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    residenz die Möglichkeit der Ausleihe von Hei-matromanen über Liebesromane bis hin zu Krimis, reisebeschreibungen, Biographien sowie Hör- büchern geboten.

    Ende 2006 wurde von einem begeisterten äl-teren Italienfan der Gesprächskreis „Bella Italia“ gegründet. Im vierwöchigen Turnus treffen sich 12 Personen (Deutsche und Italiener) im Alter von 35 bis 70 Jahren, um Tipps über das reiseland Italien auszutauschen und um ihre Italienischkenntnisse zu verbessern. Seitens der Bibliothek wird außer den räumlichkeiten die entsprechende Literatur (Sprachkassetten, reiseführer usw.) zur Verfügung gestellt.

    Garanten für den Erfolg Weiterbildung und Betreuung sind unerlässlich für eine erfolgreiche und gute Zusammenarbeit zwi-schen Ehrenamtlichen und Bibliotheksteam.

    Interne und externe Weiterbildungsangebote gewährleisten professionelle Arbeit. Die Lernfä-higkeit und -bereitschaft der Freiwilligen sind sehr groß. Sie nehmen jedes Fortbildungsangebot be-geistert an, auch wenn die Bibliothek aus finanziel-len Gründen oft nur die reisekosten tragen kann. In Zusammenarbeit mit dem Freiwilligen Zentrum werden auch Fortbildungen vor Ort, z.B. zur Ge-sprächsführung oder Stressbewältigung angebo-ten. Die Kosten teilen sich beide Einrichtungen.

    Bevor ein Freiwilliger/eine Freiwillige eine Aufga-be für die Bibliothek übernimmt, findet ein 30-minü-tiges Gespräch statt. Hier kann man herausfinden, ob Aufgabe, Einrichtung und Person zusammen-

    DIE AutOrIn Gudrun Kulzer ist Leiterin der Stadtbibliothek Straubing.

    passen. Außerdem erfolgt grundsätzlich in jedes Aufgabengebiet die Einweisung durch eine Biblio-theksmitarbeiterin bzw. die Unterstützung durch eine erfahrene ehrenamtliche Kraft.

    Mindestens genauso wichtig sind der Informati-onsaustausch und die Kontaktpflege. Daher bie-ten wir regelmäßige Treffen mit Bibliotheksmitar-

    beiterinnen und -mitarbeitern an. Insgesamt sind drei Treffen im Jahr für die gesamte Gruppe ge-plant. Die Zusammenkünfte vor Weihnachten und Ostern bieten eine gute Gelegenheit, allen für ihren Einsatz zu danken. Das gemütliche Beisammen-sein nutzen wir gleichzeitig, um weitere Vorhaben der Bibliothek vorzustellen. Außerdem können Er-fahrungen und Verbesserungsvorschläge von den Ehrenamtlichen eingebracht werden. Zum Weih-nachtstreffen erhält jede/r Freiwillige ein kleines Präsent. Ergänzend zu den Treffen verschicken wir zwei- bis dreimal im Jahr rundbriefe mit den wich-tigsten Informationen.

    FazitDie Befürchtung bibliothekarischer Fachkräfte, dass Freiwillige sie ersetzen und ihre Fachkom-petenz in Frage stellen könnten, ist zwar verständ-lich, aber unnötig, wenn die Arbeitsverteilung klar definiert ist. Bibliothekarische Kernaufgaben wie Lektorat, Informationsvermittlung und Manage-ment müssen weiterhin von Fachkräften ausgeübt werden. Ist der Einsatz von Freiwilligen klar abge-sprochen und werden sie entsprechend ihren Fä-higkeiten eingesetzt, sind sie eine Bereicherung für jede Bibliothek.

    Rechts: Treffen der Ehrenamtlichen

    Computerclub für Senioren

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