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Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung, die traditionell in der „Kaiserpfalz“ stattfand, begrüßte der Präsident des Verkehrsgerichtstags, Generalstaatsanwalt a.D. Kay Nehm, die anwesenden Teilnehmer. Erneut wies er auf die von Goslar ausgehenden Impulse hin und nannte beispielhaft den „Goslarer Orientierungs- rahmen“ zur Quotenbildung bei Streitigkeiten zwischen Versicherern und ihren Versicherten nach dem neuen Ver- sicherungsvertrags-Gesetz, der im Herbst vergangenen Jahres auf Empfehlung des Arbeitskreises (AK) II des 47. VGT erarbeitet wurde. An die Adresse des Oberbürgermeisters von Goslar Bin- newies gerichtet äußerte er seine Bedenken, dass der Ta- gungsort allmählich an seine Grenzen stößt, zumal einige Veranstaltungsräume zukünftig wegfallen würden. Dar- über hinaus sei zukünftig eine bessere technische Ausstat- tung vonnöten. Hernach widmete er sich aktuellen verkehrsrechtlichen Problemen. Neue Geschwindigkeits-Messgeräte hätten Hersteller und Nutzer zunächst in Euphorie versetzt, bis dann erste Zwei- fel und Kinderkrankheiten die Forderung aufkommen lie- ßen, die Messungen durch Bildaufnahmen beweissicher zu dokumentieren. Allerdings habe das Bundesverfas- sungsgericht mit seinem Beschluss vom 11.08.2009 Schran- ken aufgezeigt. Eingriffe in Persönlichkeitsrechte auf informationelle Selbstbestimmung bedürften einer ge- setzlichen Ermächtigungsgrundlage, die bei Anwendung einiger Messverfahren fehlten. Im Weiteren kritisierte Nehm auch die Zunahme gericht- licher Deals bei Verfahren wegen Verkehrsverstößen. „Dass damit das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung un- tergraben wird, bekommen wir nicht zuletzt an der sin- kenden Verkehrsmoral zu spüren“, so Nehm. Hart ins Gericht ging er mit Verkehrspolitikern aus Bund und Ländern, weil sie kein Interesse an probeweisen Ab- schnittskontrollen (Section Control) zur Einhaltung von Tempolimits auf Autobahnen hätten. Kein Bundesland habe bislang Bereitschaft gezeigt, einen entsprechenden Versuch durchzuführen. Dies, obwohl der vorausgegan- gene VGT aufgrund positiver Erfahrungen in Österreich einen Pilotversuch auch in Deutschland vorgeschlagen hatte. Die Resonanz sei allerdings gleich null. ACE AUTO CLUB EUROPA AUSGABE 1/2010 DER VERKEHRSJURIST Rechtszeitschrift des ACE in Zusammenarbeit mit Straßenverkehrsrecht (SVR) INHALT Zu aktuellen Themen 48. Deutscher Verkehrsgerichtstag vom 27.-29. Januar 2010 .............................. 1 Rechtsprechung Stundenverrechnungssätze bei fiktiver Schadensberechnung ............................. 11 Restwertermittlung bei Totalschaden ................................................................ 13 Schadenabrechnung auf Neuwagenbasis .......................................................... 14 Zulässigkeit von Video-Abstandsmessungen ..................................................... 17 Beweisverwertungsverbot bei Abstandsmessung mit Vibram-Anlage ................. 19 Verkehrssicherungspflicht bei Schlagloch .......................................................... 22 Restwertangebot des Vollkaskoversicherers ...................................................... 23 Anordnung einer Blutprobe .............................................................................. 26 Übersehen einer Geschwindigkeitsbeschränkung .............................................. 29 Fahrverbot und Existenzgefährdung .................................................................. 30 Blutprobe im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren .............................................. 32 Geschätzter Rotlichtverstoß .............................................................................. 34 Verkehrsrecht in Kürze Unfall beim Entladen ....................................................................................... 36 Frist zu Nachbesserung .................................................................................... 36 Richtlinien zur Geschwindigkeitsmessung ......................................................... 36 Aktenversendungspauschale ............................................................................ 36 Keine Versicherungsleistung bei ungeklärten Vorschäden .................................. 36 Kein Anwalt für verklagten Fahrzeugführer ....................................................... 36 Regress des Vollkaskoversicherers ..................................................................... 37 Geschwindigkeitsverstöße und Führerschein auf Probe ...................................... 37 Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage ....................................................... 37 Sichtbarkeit von Verkehrszeichen ..................................................................... 37 Abschleppen in Anwohnerparkzone ................................................................. 37 Kfz-Entwendung und grobe Fahrlässigkeit ....................................................... 37 Ermessen des Haftpflichtversicherers ............................................................... 37 Fabrikneuheit von Reifen ................................................................................. 38 Parken in Umweltzone .................................................................................... 38 Rückstufung trotz Schadensübernahme ........................................................... 38 Buchbesprechungen Straßenverkehrsrecht ....................................................................................... 39 Beck’sches MandatsHandbuch Verkehrszivilsachen .......................................... 39 Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle .................................................................. 39 Handbuch Rechtsschutzversicherung ............................................................... 40 48. Deutscher Verkehrsgerichtstag vom 27.–29. Januar 2010 in Goslar Zum 48. Verkehrsgerichtstag (VGT) waren rund 1.750 Verkehrsexperten aus dem In- und Ausland in das tief verschneite Goslar angereist. Auf der Tagesordnung standen sowohl Probleme bei der Umsetzung von EU-Richtlinien und Verordnungen in nationales Recht als auch solche, die deutsche Verbraucher und Verkehrsteilnehmer betreffen. Gute Fahrt. Wir sind dabei.

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Handbuch Rechtsschutzversicherung von Hans Buschbell und Manfred Hering, 4. Auflage 2009, 742 Seiten, gebunden € 80,00. Erschienen im Deutschen Anwaltverlag, Bonn. ISBN: 978-3-8240-0971-8

In dem nicht immer spannungs-freien Verhältnis zwischen Rechts-schutzversicherungen und Anwältengibt es häufig Unklarheiten über diegegenseitigen Rechte und Pflichten.Außerdem hat der Rechtsanwaltauch die Rechtsschutzinteressen desMandanten zu wahren, was eben-falls hin und wieder zu Missstim-mungen im DreiecksverhältnisAnwalt-Mandant-Rechtsschutzver-sicherung führt. Vor allem der Ab-

schluss außergerichtlicher Vergleiche ist zunehmend zumProblem geworden, weil die Versicherer eine Kostenüber-nahme verweigern, wenn die Gegenseite ganz oder über-wiegend eingelenkt hat.

Sicherlich kann das in schneller Folge neu aufgelegteHandbuch des Gespanns Buschbell/Hering nicht alleStreitfragen klären. Man muss aber den Rechtsanwältenschon zumuten, sich mit dem Bedingungswerk der Rechts-schutzversicherer zu befassen, und zwar sowohl in der Fas-sung der Verbandsempfehlung als auch in den teilweiseabweichenden Gestaltungen der einzelnen Versicherer. Zudieser unumgänglichen Kenntnis der Materie leistenBuschbell/Hering einen unverzichtbaren Beitrag.

Die Besonderheit im Aufbau des Werkes liegt darin, dassnicht die einzelnen Paragrafen des Bedingungswerks „ab-gehakt“ werden, sondern die Themen der Materie Rechts-schutz im Vordergrund stehen. Man kann sich also gezieltmit Risikoausschlüssen, Obliegenheitsverletzungen, Leis-tungsansprüchen u. dergl. befassen, bevor man sich dann imzweiten Teil den einzelnen Rechtsschutzarten zuwendet.

Mit dem Handbuch Rechtsschutzversicherung ist man so-wohl gegenüber dem Mandanten als auch gegenüber derRechtsschutzversicherung gewappnet. Deshalb sollte es inkeiner Anwaltskanzlei fehlen.

Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung, die traditionellin der „Kaiserpfalz“ stattfand, begrüßte der Präsident desVerkehrsgerichtstags, Generalstaatsanwalt a.D. KayNehm, die anwesenden Teilnehmer.

Erneut wies er auf die von Goslar ausgehenden Impulsehin und nannte beispielhaft den „Goslarer Orientierungs-rahmen“ zur Quotenbildung bei Streitigkeiten zwischenVersicherern und ihren Versicherten nach dem neuen Ver-sicherungsvertrags-Gesetz, der im Herbst vergangenen

Jahres auf Empfehlung des Arbeitskreises (AK) II des47. VGT erarbeitet wurde.

An die Adresse des Oberbürgermeisters von Goslar Bin-newies gerichtet äußerte er seine Bedenken, dass der Ta-gungsort allmählich an seine Grenzen stößt, zumal einigeVeranstaltungsräume zukünftig wegfallen würden. Dar-über hinaus sei zukünftig eine bessere technische Ausstat-tung vonnöten.

Hernach widmete er sich aktuellen verkehrsrechtlichenProblemen.

Neue Geschwindigkeits-Messgeräte hätten Hersteller undNutzer zunächst in Euphorie versetzt, bis dann erste Zwei-fel und Kinderkrankheiten die Forderung aufkommen lie-ßen, die Messungen durch Bildaufnahmen beweissicherzu dokumentieren. Allerdings habe das Bundesverfas-sungsgericht mit seinem Beschluss vom 11.08.2009 Schran-ken aufgezeigt. Eingriffe in Persönlichkeitsrechte aufinformationelle Selbstbestimmung bedürften einer ge-setzlichen Ermächtigungsgrundlage, die bei Anwendungeiniger Messverfahren fehlten.

Im Weiteren kritisierte Nehm auch die Zunahme gericht-licher Deals bei Verfahren wegen Verkehrsverstößen.„Dass damit das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung un-tergraben wird, bekommen wir nicht zuletzt an der sin-kenden Verkehrsmoral zu spüren“, so Nehm.

Hart ins Gericht ging er mit Verkehrspolitikern aus Bundund Ländern, weil sie kein Interesse an probeweisen Ab-schnittskontrollen (Section Control) zur Einhaltung vonTempolimits auf Autobahnen hätten. Kein Bundeslandhabe bislang Bereitschaft gezeigt, einen entsprechendenVersuch durchzuführen. Dies, obwohl der vorausgegan-gene VGT aufgrund positiver Erfahrungen in Österreicheinen Pilotversuch auch in Deutschland vorgeschlagenhatte. Die Resonanz sei allerdings gleich null.

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ACE AUTO CLUB EUROPA

AUSGABE 1/2010

DER VERKEHRSJURISTRechtszeitschrift des ACE in Zusammenarbeit mit Straßenverkehrsrecht (SVR)

INHALTZu aktuellen Themen48. Deutscher Verkehrsgerichtstag vom 27.-29. Januar 2010 .............................. 1

RechtsprechungStundenverrechnungssätze bei fiktiver Schadensberechnung ............................. 11 Restwertermittlung bei Totalschaden ................................................................ 13Schadenabrechnung auf Neuwagenbasis .......................................................... 14Zulässigkeit von Video-Abstandsmessungen ..................................................... 17Beweisverwertungsverbot bei Abstandsmessung mit Vibram-Anlage ................. 19Verkehrssicherungspflicht bei Schlagloch .......................................................... 22Restwertangebot des Vollkaskoversicherers ...................................................... 23Anordnung einer Blutprobe .............................................................................. 26Übersehen einer Geschwindigkeitsbeschränkung .............................................. 29Fahrverbot und Existenzgefährdung .................................................................. 30Blutprobe im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren .............................................. 32Geschätzter Rotlichtverstoß .............................................................................. 34

Verkehrsrecht in KürzeUnfall beim Entladen ....................................................................................... 36Frist zu Nachbesserung .................................................................................... 36Richtlinien zur Geschwindigkeitsmessung ......................................................... 36Aktenversendungspauschale ............................................................................ 36Keine Versicherungsleistung bei ungeklärten Vorschäden .................................. 36Kein Anwalt für verklagten Fahrzeugführer ....................................................... 36Regress des Vollkaskoversicherers ..................................................................... 37Geschwindigkeitsverstöße und Führerschein auf Probe ...................................... 37Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage ....................................................... 37Sichtbarkeit von Verkehrszeichen ..................................................................... 37Abschleppen in Anwohnerparkzone ................................................................. 37Kfz-Entwendung und grobe Fahrlässigkeit ....................................................... 37Ermessen des Haftpflichtversicherers ............................................................... 37Fabrikneuheit von Reifen ................................................................................. 38Parken in Umweltzone .................................................................................... 38Rückstufung trotz Schadensübernahme ........................................................... 38

BuchbesprechungenStraßenverkehrsrecht ....................................................................................... 39Beck’sches MandatsHandbuch Verkehrszivilsachen .......................................... 39Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle .................................................................. 39Handbuch Rechtsschutzversicherung ............................................................... 40

Postvertriebsstück E 6475 Entgelt bezahlt

Der Verkehrsjurist des ACE erscheint viermal imJahr und berichtet über die verkehrsrechtliche Ent-wicklung und aktuelle Recht sprechung. Der Bezugpreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.Herausgeber: ACE Auto Club Europa e. V., Vorsit-zender: Wolfgang RoseVerlag:ACE-Verlag GmbH, Geschäftsführer: Erwin BraunRedaktion: Rechtsanwalt Volker Lempp (verantwortlich für den Inhalt)Gestaltung: ACE-WerbungAnschrift: Schmidener Straße 227, 70374 Stuttgart, Tel. 0711 5303-185 Internet: www.ace-online.de, E-Mail: [email protected] Nachdrucke mit Quellenangaben sind mit unsererZustimmung gerne gestattet.

IMPRESSUM

BUCHBESPRECHUNGEN

48. Deutscher Verkehrsgerichtstagvom 27.–29. Januar 2010 in GoslarZum 48. Verkehrsgerichtstag (VGT) waren rund 1.750 Verkehrsexperten aus dem In- und Ausland indas tief verschneite Goslar angereist. Auf der Tagesordnung standen sowohl Probleme bei der Umsetzung von EU-Richtlinien und Verordnungen in nationales Recht als auch solche, die deutscheVerbraucher und Verkehrsteilnehmer betreffen.

Gute Fahrt. Wir sind dabei.

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Außerdem forderte der VGT-Präsident eine schnelle unddrastische Lichtung des Schilderwalds auf DeutschlandsStraßen. Die mehr als 20 Mio. Schilder würden die Auto-fahrer überfordern und drohten zu einer Verkehrsbehin-derung auszuarten. Insgesamt gäbe es in Deutschland über600 unterschiedliche Verkehrszeichen. Zwar sei seit demvergangenen Jahr eine Verordnung ins Leben gerufenworden, wonach die Zahl der vielfach überholten Ver-kehrszeichen reduziert werden soll. Von einem „Wald-sterben“ könne allerdings nach Auffassung von Nehmkeine Rede sein. Im Gegenteil: es seien neue Schilder hin-zugekommen. Verfahren werde stets nach dem Prinzip,„die Verantwortung mithilfe bunten Blechs auf Kraftfah-rer abzuwälzen“.

Vielversprechender erscheine dagegen das Projekt der„Online-Zulassung von Kraftfahrzeugen“ zu sein, das invier Bundesländern mit unterschiedlicher Varianten inAngriff genommen werden soll.

Zum Abschluss seiner Rede verlieh er Prof. Dr. PeterMacke, der dem Deutschen Verkehrsgerichtstag für zwei Amtsperioden von 1997 bis 2003 als Präsident vor-stand, die Goslar-Medaille.

Den der Ansprache folgenden Plenarvortrag hielt nichtwie vorgesehen der Vorstandsvorsitzende der VOLKS-WAGEN AG, Dr. Martin Winterkorn, aufgrund dessennotwendiger Anwesenheit auf der zeitgleich stattfinden-den Hauptversammlung der PORSCHE AG.

Stellvertretend für ihn referierte Prof. Dr. Ing. WernerNeubauer „Generalbevollmächtigter für die Konzern-Komponente“ der VOLKSWAGEN AG über den VW-Konzern und die Zukunft des Automobils. Erstmalskonnten die Teilnehmer einen Plenarvortrag auf großenFlachbildschirmen verfolgen, die der Referent extra hatteaufstellen lassen. Als Fazit hob er hervor, dass es ein„Weltauto“ nicht geben werde. Die Ansprüche in Indienseien andere als in Europa. Kommen werde allerdings einE-Auto. Der Weltmarktanteil Europas werde im Übrigensinken, ebenso wie der nordamerikanische, während derasiatische erheblich ansteigen werde.

Am Ende des zweitägigen VGT gab es – ebenfalls eineNovität – unter dem Titel „Nachschlag“ ein Streitgesprächzum Thema „Nun auch bei uns – Maut für Pkw?“. Unterder Moderation von Karl-Dieter Möller, Leiter der ARD-Rechtsredaktion, tauschten Nicole Razavi, verkehrspoli-tische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion ausStuttgart, und Ulrich-Klaus Becker, Vize-Präsident fürVerkehr des ADAC, ihre konträren Argumente über diegrundsätzliche Notwendigkeit der Einführung einer sol-chen Maut aus.

RA Holger Rochow, Hamburg

Arbeitskreis I: Halterhaftung in EuropaIn diesem Arbeitskreis diskutierten die Teilnehmer überNotwendigkeit und Zulässigkeit der Einführung der Hal-terhaftung in Deutschland. In der EU gibt es weiterhin Be-strebungen, eine einheitliche Verantwortlichkeit desHalters für Verkehrsverstöße einzuführen, wie es bereitsin Frankreich, den Niederlanden und in Ungarn der Fallist. Die zuständige EU-Kommission war in der Vergan-genheit mit ihrem Entwurf für eine Richtlinie zur besserenDurchsetzung und Verfolgung von Verkehrsverstößen inEuropa und damit verbunden der Einführung einer Hal-terverantwortlichkeit auch im fließenden Verkehr ge-scheitert. Dennoch wird das Vorhaben nicht aufgegeben.

Diesen ersten Bemühungen des EU-Parlaments undRates im sogenannten „Lissabon-Vertrag“ war das Bun-desverfassungsgericht entgegengetreten. Denn die Um-setzung dieser Richtlinie hätte gegen denverfassungsrechtlichen Grundsatz „Keine Strafe ohneSchuld“ verstoßen. Eine solche Richtlinie würde einenmassiven Eingriff in die Rechte des deutschen Autofah-rers darstellen, dies deshalb, weil auch das deutsche Ord-nungswidrigkeitenrecht wegen seiner sachlichen Nähezum Strafrecht vom Verschuldensprinzip geprägt ist. Dasbedeutet, dass nur derjenige bestraft werden kann, dessenpersönliches Fehlverhalten festgestellt wird. Aufgrund derVerfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch über-national ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt wird, istes dem deutschen Gesetzgeber untersagt, eine strafrecht-lich fundierte Halterhaftung aufgrund entsprechenderVorgaben der Europäischen Union einzuführen oder dieVollstreckung entsprechender ausländischer Entschei-dungen in Deutschland zu ermöglichen.

Grundsätzlich werden seitens der Automobil-Clubs undder Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht Maßnahmen, diedie Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen, begrüßt. DasZiel kann jedoch nur dann erreicht werden, wenn derje-nige, der einen Verkehrsverstoß begangen hat, ermitteltund bestraft wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn flan-kierende Maßnahmen wie Fahrverbote oder Punkteein-tragungen im Raume stehen. Wenn nun aber der Halterdie finanziellen und rechtlichen Folgen zu tragen hätte,würde dies zu keinem verbesserten Verkehrsverhalten deseigentlich Verantwortlichen führen.

Eine solche gesetzliche Änderung würde dazu führen, dassder Halter eines Fahrzeugs praktisch gezwungen wäre, dieGeldbuße zu bezahlen oder Kosten zu tragen, wenn er denFahrer seines Fahrzeugs nicht benennen kann oder will,weil es sich beispielsweise um einen nahen Angehörigenhandelt. Das allerdings hätte wiederum zur Folge, dass dasin der Strafprozessordnung verankerte Zeugnisverweige-rungsrecht leerlaufen würde.

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AKTUELL

Straßenverkehrsrecht von Dr. Michael Burmann, Dr. Rainer Heß, Jürgen Jahnke undProf. Dr. Helmut Janker; 21., neu bearbeitete Auflage, 2010,XXVII, 1.275 Seiten, in Leinen € 76,00. Erschienen im C.H. BeckVerlag, München. ISBN: 978-3-406-59421-2

Die neue Auflage dieses bewährtenKurzkommentars präsentiert sichals „Alleskönner“. Es soll das ge-samte Verkehrsrecht präsentiertwerden, auch in seinen zivil- undversicherungsrechtlichen Verzwei-gungen. Deshalb sind erstmals auchwichtige VVG-Bestimmungen ab-gedruckt und erläutert. Die neustrukturierte StVO, insbesonderedie Anlage I mit dem – etwas ge-

lichteten – Bestand der Verkehrszeichen, ist leicht gewöh-nungsbedürftig.

Insgesamt ein Verkehrsrechtskommentar, mit dem manals Anwalt gut arbeiten kann, der sich allerdings nichtdurch besondere Übersichtlichkeit auszeichnet. Es isteben sehr viel in die ca. 1.200 eng bedruckten Seiten hin-eingepackt. Letztlich zählt aber der Inhalt. Und der lässtkeine Wünsche offen.

Beck’sches MandatsHandbuch Verkehrszivilsachen von Werner Bachmeier, 2. Auflage, 2010, XXVIII, 323 Seiten, gebunden € 39,00. Erschienen im C.H. Beck Verlag, München.ISBN: 978-3-406-58730-6

Auch wer sich ständig durch Fachzeitschriften und Internet über die Entwicklung des Kfz-Schadensrechts aufdem Laufenden hält, wird es begrüßen, wenn er auf einaktuelles Werk Zugriff nehmen kann, das umfassend,wenngleich verständlich und knapp formuliert, den Meinungsstand zu den zahlreichen Problemen zusam-menfasst und somit den neuesten Stand des Schadens-rechts bietet.

Hier hat man ein solches Buch vor sich, strikt praxisori-entiert, zum zweiten Mal aufgelegt,jedoch gegenüber der Vorauflagevon 1998 in einer völlig verändertenrechtlichen Landschaft. Dies zeigtsich etwa in den Ausführungen zumUnfall mit Auslandsbezug und dereuroparechtlichen Dimension inRechtsetzung und Rechtsprechung,die „ungeahnt schnell“ an Umfanggewinnt und auf die der Verfasserimmer wieder eingehen muss.

Dem Charakter eines „Handbuchs“ entsprechend wirdauf allzu große Ausführlichkeit und die üblichen „Bleiwüs-ten“ bei den Fußnoten verzichtet. Hierdurch wurde Platzgeschaffen für ein nützliches unfallanalytisches/techni-sches Glossar, Internetadressen, wichtige Arbeitsmittel,Hilfen zur Mandatsabwicklung und einen umfänglichenprozessualen Teil. Bei den – relativ wenigen – Schaubil-dern hätte man sich etwas mehr Mühe geben können, sietragen nur bedingt zum Verständnis bei. Trotzdem kannman das Buch als optimalen Begleiter für das anwaltliche„Schadensmanagement“ uneingeschränkt empfehlen.

Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle von Andreas Slizyk, 6., überarbeitete und aktualisierte Auflage,2010, XXII, 812 Seiten, kartoniert € 45,00. Erschienen im C.H. BeckVerlag, München. ISBN: 978-3-406-59081-8

Leider muss man nach Durchsichtdieser Neuauflage der Beck’schenSchmerzensgeld-Tabelle erneut kon-statieren, dass das deutsche Schmer-zensgeldniveau kaum als ange-messen bezeichnet werden kann, vor allem, wenn es in die Nähe der„magischen“ € 500.000,00 als derbisherigen „Schallgrenze“ geht.Dafür kann natürlich der Autornichts. Seine einleitende Kommen-tierung des Schmerzensgeldrechtsauf ca. 150 Seiten ist überaus lesens-

wert und spart ebenfalls nicht mit Kritik am gegenwärti-gen Rechtszustand.

Das bekannte Konzept „von Kopf bis Fuß“ mit getrenn-ter Behandlung der alltäglichen und besonderen Ver- letzungen ist geblieben und macht die Tabelle besonderspraxistauglich. Auch zahlreiche unveröffentlichte Entscheidungen sind bei den über 2.700 eingearbeitetenUrteilen berücksichtigt. Das abschließende Glossar medizinischer Begriffe ist zwar hilfreich, könnte aber inkünftigen Auflagen etwas ausführlicher ausfallen.

Eine überzeugendere Darstellung des aktuellen Schmer-zensgeldrechts ist schwer denkbar. Das Problem des An-walts, durch Prüfung schwieriger medizinischerSachverhalte zu einer fundierten Schmerzensgeldforde-rung zu kommen, wird zwar nicht gelöst, aber doch we-sentlich erleichtert.

BUCHBESPRECHUNGEN

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Die Befürworter einer hierzulande einzuführenden Hal-terhaftung begründen dies damit, dass Deutschland beiFesthalten an der Fahrerverantwortung in Europa isoliertwerde. Dem kann allerdings nicht gefolgt werden, da sichDeutschland in guter Gesellschaft mit Ländern wie Dä-nemark, Finnland, Luxemburg, Norwegen, Polen, Schwe-den, der Schweiz, Slowakei und Tschechien befindet. Nichtzu vergessen ist, dass ein Halter, der kein Aussageverwei-gerungsrecht hat, grundsätzlich verpflichtet ist, den Fah-rer zu benennen, und im Fall der Zuwiderhandlung mitder Führung eines Fahrtenbuchs beauflagt werden kann.

Mit dem Grundgesetz vereinbar wäre eine Kompromiss-lösung, die sich an der Regelung des § 25 a StVG orien-tiert. Danach trifft bislang den Halter nur dann eineKostentragungspflicht, wenn mit seinem Fahrzeug Park-oder Halteverstöße begangen worden sind. Diese Kosten-tragungspflicht könnte auch für den fließenden Verkehr,beschränkt auf das Bußgeldverfahren und gedeckelt durchdie Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips, erweitertwerden, da der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht in-frage gestellt werden würde.

Nach wenig kontroversen Diskussionen wurde folgendeEmpfehlung abgegeben:

1. Geschwindigkeitsverstöße, Gurtverstöße, Rotlichtver-stöße sowie sonstige Verstöße im fließenden Verkehr sindbedeutende Unfallfaktoren. Der Arbeitskreis ist sicheinig, dass die Verfolgung dieser Verstöße unverzichtba-rer Bestandteil der Verkehrssicherheitsarbeit ist.

2. Im Hinblick auf die Halterhaftung für Verstöße im flie-ßenden Verkehr stellt der Arbeitskreis fest, dass derenEinführung verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigtsind. So verbietet der unabänderliche verfassungsrechtli-che Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ die straf-rechtliche oder auch nur strafrechtsähnliche Ahndungeiner Tat ohne Schuld des Täters. Dies gilt auch für Buß-geldverfahren wegen Verstößen im Straßenverkehr. DieseGrenzen gelten nach der Lissabon-Entscheidung desBundesverfassungsgerichts auch im Hinblick auf Rechts-akte der Europäischen Union.

3. Nach Ansicht des Arbeitskreises wäre eine Ausdehnungder Kostentragungspflicht nach § 25a StVG unter Wah-rung der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich möglich. DieBundesregierung wird gebeten, zu prüfen, ob angesichtsder Dimension der relevanten Fälle gesetzlicher Hand-lungsbedarf besteht.

4. Darüber hinaus empfiehlt der Arbeitskreis in Fortfüh-rung der Empfehlung des 39. VGT die verstärkte An-wendung der Fahrtenbuchauflage nach § 31 a StVZO.

5. Die Bundesregierung wird aufgefordert, europäischen In-itiativen, die den oben aufgeführten Grundsätzen wider-

sprechen, entgegenzutreten, und gebeten, darauf hinzu-wirken, dass zukünftige europäische Rechtsakte in engerAbstimmung mit den Mitgliedstaaten entwickelt werden.

RA Holger Rochow, Hamburg

Arbeitskreis II: Neues EU-Verkehrs-sicherheitsprogramm 2010 bis 2020 Auch wenn das in diesem Jahr auslaufende EU-Verkehrs-sicherheitsprogramm nicht alle gesteckten Ziele realisie-ren konnte, insbesondere die Zahl der VerkehrstotenEU-weit zwar zurückgegangen ist, ganz überwiegend abernicht mit der angestrebten Quote von 50%, ist die neueInitiative der EU-Kommission für den Zeitraum bis zumJahr 2020 allgemein begrüßt worden, vor allem auchwegen der damit verbundenen psychologischen Wirkung.Im Detail gibt es jedoch Kritik und Anregungen, die sichin ihrer Vielfalt auch in der Empfehlung dieses Arbeits-kreises niederschlagen.

Dass sich die EU-Kommission mit bestimmten Gruppenvon Verkehrsteilnehmern, insbesondere Kindern, Rad-fahrern, älteren Fahrern, Fahranfängern, Fußgängern undBerufskraftfahrern befassen will, die durch gezielte Trai-ningsprogramme zu richtigem Verhalten im Straßenver-kehr angehalten werden sollen, wird genauso wenig aufWiderspruch stoßen wie die neuen ehrgeizigen Ziele beider weiteren Verringerung der Toten und Schwerverletz-ten im Straßenverkehr. Geschwindigkeit und Alkoholhaben als Hauptunfallursachen weiterhin Priorität bei denpräventiven Maßnahmen. Mensch – Fahrzeug – Infra-struktur sind die Parameter eines weit gespannten Hand-lungsfeldes, die sich auch in der Arbeitskreisempfehlungwiederfinden.

Kritisch zu betrachten sind dagegen grenzüberschreitendeMaßnahmen, die an den Kernbereich unserer rechtsstaat-lichen Prinzipien rühren und Befürchtungen wecken, einerungehinderten EU-weiten Ahndung von Verkehrsdelik-ten würden unverzichtbare Individualrechte, auch dasRecht auf informationelle Selbstbestimmung, geopfert.EU-Vollstreckungsabkommen und Austausch von Hal-terdaten sind dafür Beispiele, auch die weiterhin im Raumstehende Einführung einer europäischen Halterhaftung.Die Verkehrsrechtsanwälte im DAV haben zu Recht dar-auf hingewiesen, dass von derartigen Maßnahmen keinpositiver Einfluss auf das Verhalten von Kraftfahrern aus-gehen kann. Jedenfalls ist bei den entsprechenden Um-setzungsgesetzen eine sorgfältige Prüfung auf derGrundlage des deutschen „ordre public“ unerlässlich undmuss eine ungehinderte Verteidigung des Betroffenen inallen EU-Staaten gewährleistet sein.

VERKEHRSRECHT IN KÜRZE

Fabrikneuheit von ReifenSind neue Sommerreifen Vertragsgegenstand, so stellenReifen, die zwischen zwei Jahren und vier Monaten unddrei Jahren und drei Monaten vor dem Verkaufszeitpunkthergestellt worden sind, keine ordnungsgemäße Vertrags-erfüllung dar, so dass der Käufer, wenn der Verkäufer dieNacherfüllung endgültig abgelehnt hat, gem. § 441 BGBMinderung verlangen kann.

AG Starnberg – 6 C 1725/09 – (DAR 2010, 96)

Parken in UmweltzoneDas Verkehrsverbot in Umweltzonen ist nicht dem ru-henden Verkehr zuzuordnen, sondern im Wege der re-striktiven Auslegung ausschließlich auf den fließendenVerkehr zu beschränken.

Deshalb kann auch die Kostentragungspflicht des Haltersgem. § 25 a Abs. 1 StVG hier keine Anwendung finden.

AG Frankfurt a.M. – 994 OWi 5/09-2017 – (DAR 2009, 593)

Rückstufung trotz SchadensübernahmeWer von seinem Kfz-Haftpflichtversicherer nach uner-laubtem Entfernen vom Unfallort wegen dessen unfallbe-dingten Aufwendungen in Regress genommen wird unddaraufhin diese Aufwendungen in vollem Umfang erstat-tet, muss gleichwohl die Einstufung des Versicherungs-vertrages in eine schlechtere Schadenfreiheitsklassehinnehmen, da die Leistung an die Versicherung nicht frei-willig erfolgt.

AG Schwelm – 21 C 57/08 – (r+s 2010, 58)

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AKTUELL

Ein weiteres Problem liegt in der Abstimmung zwischenden Maßnahmen im Rahmen des EU-Sicherheitspro-gramms und nationalen bzw. regionalen Maßnahmen. ZuRecht hat der Arbeitskreis die Kompetenzfrage deshalban den Anfang seiner Empfehlung gestellt. Auszugehen istvom sogenannten Subsidiaritätsprinzip, also der Ver-pflichtung der Mitgliedsstaaten, die von der EU vorgege-benen Richtlinien umzusetzen. Nationale Programmemüssen deshalb in erster Linie die Funktion haben, dieAktivitäten der EU auf regionaler bzw. lokaler Ebene zuergänzen. Ein effektiv organisierter Erfahrungsaustauschist dabei selbstverständlich.

Die hohen Erwartungen an das neue EU-Verkehrssicher-heitsprogramm zeigen sich auch in den zahlreichen Vor-schlägen von Organisationen und Verbänden zu wichtigentechnischen und schulischen Maßnahmen zur Erhöhungder Verkehrssicherheit, die man gerne mit europaweiterGeltung von der EU auf den Weg gebracht sehen möchte.Dies geht von der Motorradsicherheit über Fahrerassis-tenzsysteme für Pkw und Kinderrückhaltesysteme bis zurHarmonisierung der Unfallaufnahme und der Verbesse-rung der Sicherheit auf Landstraßen. Auch der Arbeitskreiserhebt viele solche Forderungen in seiner ungewöhnlichumfangreichen Empfehlung. Diese lautet wie folgt:

1. Gemeinschaftsweites Ziel von 2011 bis 2020 sollte dieweitere Senkung der Getötetenzahl um mindestens 40%sein. Der Beitrag und das Ziel des jeweiligen Mitglied-staates sollen vom dort erreichten Verkehrssicherheits-niveau abhängen.

2. Eine EU-einheitliche Definition für Schwerverletzte sollentwickelt werden. Für die Zwischenzeit sollen nationaleZiele für die Reduzierung der Anzahl der Schwerver-letzten festgelegt werden.

3. Eine einheitliche und ausreichende Datenbasis über Un-fälle ist unerlässlich.

4. Im Interesse der Unfallvermeidung sollten moderneTechnologien, insbesondere kooperative Fahrzeugsys-teme, gefördert werden.

5. Gesetzgeberische Maßnahmen sollten sich konzentrieren auf

– Technik und gemeinsamen Markt, insbesondere ABS fürMotorräder, ISOFIX-Verankerungen, Sicherstellungeines hohen technischen Standards bei Einführung vonNotbremsassistenten, Spurverlassenswarnsystemen undanderen sicherheitsfördernden Fahrerassistenzsystemen,Vertriebsverbot für Radarwarngeräte, Erinnerungs-signale bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes, Gurt-straffer für alle Sitze, Mindeststandards bei Fahrrädern;

– gewerblichen Personen- und Güterverkehr, insbesondereAlkoholverbot für Fahrer; Sicherstellung eines hohen Ni-veaus der Ladungssicherung im grenzüberschreitenden

Verkehr. Im Führerscheinbereich sollte das Konzept „Be-gleitetes Fahren mit 17“eingeführt werden.

6. Empfehlungen, Erfahrungsaustausch, Kampagnenund/oder EU-Finanzierung sollten vor allem vorgesehenwerden für Folgendes:

– freiwilliger Einbau von Speed-Alert-Systemen;

– Einbau von Alkolock-Systemen bei bestimmten gefahr-geneigten Verkehren;

– Verbesserung der Nutzungsquote für Gurte und Kinder-rückhalteeinrichtungen,

– Umsetzung der Infrastrukturrichtlinie (z.B. Sicherheits-audits von Straßen),

– Klassifizierung beeinträchtigender Medikamente,

– Verkehrsüberwachung und Verkehrsunfallprävention,

– Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer,

– Verkehrssicherheitsmaßnahmen in den Unternehmen.

7. Geprüft werden sollte die Einführung von Notbremsas-sistenten auch in Pkw

8. Alle EU-Maßnahmen sollten daran gemessen werden,ob sie mindestens verkehrssicherheitsneutral sind.

RA Volker Lempp, Stuttgart

Arbeitskreis III: Fahrgastrechte imLand- und LuftverkehrBis vor wenigen Jahren hielt der Reisende in Europa Ver-spätungen oder Totalausfälle im Luft-, Bahn- und Busver-kehr für eine unglückliche Fügung des Schicksals und kamgar nicht auf die Idee, dass ihm wegen solcher alltäglicherMisshelligkeiten Rechtsansprüche gegen Verkehrsunter-nehmen zustehen könnten. Seitdem ist eine erfreulicheÄnderung der Rechtslage – zumindest in Teilbereichen –eingetreten. Weniger erfreulich ist allerdings, dass die we-nigsten Betroffenen davon überhaupt Kenntnis haben undsogar die professionellen Rechtsvertreter nicht immer aufdem Laufenden des deutschen und europäischen Rechtssind. Der Umstand, dass dieser Arbeitskreis die geringsteTeilnehmerzahl hatte, mag darauf hindeuten, dass diesesRechtsgebiet für viele Anwälte auch wegen der regelmä-ßig geringen Streitwerte nicht besonders attraktiv ist. Dievier Referenten dieses Arbeitskreises stellten sich vor-dringlich der Aufgabe, die verschiedenen Fahrgastrechteund ihre rechtlichen Grundlagen darzustellen, kein einfa-ches Unterfangen angesichts des Neben- und Durchein-anders von nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht.

Die Komplexität der verschiedenen Regelungssystemeveranschaulichte Dr. Hans-Georg Bollweg aus dem Jus-

Regress des VollkaskoversicherersNimmt der Vollkaskoversicherer einen Arbeitnehmer aufSchadenersatz für die Beschädigung des vom Arbeitgebergeleasten Firmenfahrzeugs aus übergegangenem Rechtdes Leasinggebers in Anspruch, ist der Rechtsweg zu denGerichten für Arbeitssachen nicht gegeben. Der Versi-cherer ist in diesem Fall weder Rechtsnachfolger des Ar-beitgebers noch anstelle des sachlich berechtigtenArbeitgebers zur Prozessführung befugt (§ 3 ArbGG).

BAG – 5 AZB 8/09 – (ZfS 2010, 29)

Geschwindigkeitsverstöße und Führer-schein auf ProbePunktsystem und die Regelung zur Fahrerlaubnis aufProbe verfolgen unterschiedliche Zwecke. Deshalb ist esverfassungsrechtlich zulässig, dass bei der Fahrerlaubnisauf Probe jeder im Verkehrszentralregister einzutragendeGeschwindigkeitsverstoß als schwerwiegende Zuwider-handlung i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG eingestuft wird,während das Punktsystem nach dem Maß der Geschwin-digkeitsüberschreitung differenziert.

VGH Baden-Württemberg – 10 S 839/09 – (VRS Bd. 117, 317)

Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuch-auflageDie Bußgeldbehörde erfüllt ihre Verpflichtung zur Er-mittlung des Täters eines Verkehrsverstoßes nicht, wennsie den Halter eines Kraftfahrzeugs im Ordnungswidrig-keitenverfahren als Zeugen und nicht als Betroffenen an-hört, obwohl feststeht, dass der Kraftfahrzeughalterkeinesfalls der verantwortliche Fahrzeugführer sein kann.Als Zeuge wäre der Halter nämlich grundsätzlich zur Aus-sage und damit zur Mitwirkung an der Aufklärung der Tä-terschaft verpflichtet gewesen.

VGH Baden-Württemberg – 10 S 1499/09 – (ZfS 2009, 596)

Sichtbarkeit von VerkehrszeichenAn die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen, die den ruhen-den Verkehr betreffen, sind niedrigere Anforderungen zustellen als an solche des fließenden Verkehrs. Es ist ausrei-chend, wenn der Verkehrsteilnehmer die für den ruhendenVerkehr getroffene Regelung nach dem Aussteigen durchBetrachten der im leicht einsehbaren Nahbereich aufge-stellten Verkehrszeichen erfassen kann. Ansonsten richtensich die Sorgfaltsanforderungen des Verkehrsteilnehmersnach den konkreten Umständen des Einzelfalls.

Im Übrigen gebietet es der Sichtbarkeitsgrundsatz nicht,dass bei überlappenden Haltverbotszonen sämtliche mo-bile Verkehrszeichen jeweils mit Zusatzschildern versehensind, die die bestehenden Verbotszeiträume und –modali-täten in ihrer Gesamtheit verlautbaren.

Hamburgisches OVG – 3 Bf 408/08 – (VRS Bd. 116, 464)

Abschleppen in AnwohnerparkzoneVergisst ein Anwohner beim Parken in einer Anwohner-parkzone, seinen Anwohnerparkausweis auszulegen, so istdas Abschleppen des Fahrzeugs jedenfalls dann verhält-nismäßig, wenn sich ohne zeitliche Verzögerung weder dieParkberechtigung feststellen lässt noch der Fahrzeugfüh-rer zur Beseitigung des verbotswidrigen Parkens veran-lasst werden kann.

OVG NRW – 5 A 1430/09 – (VRS Bd. 117, 319)

Kfz-Entwendung und grobe FahrlässigkeitWird der Kfz-Schlüssel in der Mittelarmkonsole eines Kfzzurückgelassen, so ist dies in objektiver und grundsätzlichauch in subjektiver Hinsicht als grob fahrlässig zu werten.Wird ein solches Fahrzeug gestohlen, so ist der Versiche-rer gleichwohl nicht leistungsfrei, wenn er nicht beweisenkann, dass die Täter den Schlüssel auch tatsächlich ver-wendet haben, das grob fahrlässige Verhalten des Versi-cherungsnehmers also für die Kfz-Entwendung ursächlichgeworden ist.

LG Köln – 24 O 365/08 – (r+s 2010, 14)

Ermessen des HaftpflichtversicherersGrundsätzlich steht dem Kfz-Haftpflichtversicherer imRahmen von § 10 AKB ein weiter Ermessensspielraum zu,wenn er aufgrund des Direktanspruchs des Geschädigtenin eine Regulierung des Schadenfalls eintritt.

Insbesondere ist es nach dem Versicherungsvertrag nichtseine Aufgabe, grundsätzlich und ohne konkrete Informa-tionen die Schadenshöhe anzuzweifeln oder gar berech-tigte Ansprüche des Geschädigten „herunterzuhandeln“,um dem Versicherungsnehmer zur Rettung seines Scha-densfreiheitsrabattes eine eigene billige Schadenersatz-übernahme zu ermöglichen.

LG Coburg – 32 S 15/09 – (DAR 2010, 95)

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VERKEHRSRECHT IN KÜRZE

Unfall beim EntladenDie Sorgfaltspflichten des § 14 StVO gelten nicht nur für das für andere Verkehrsteil-nehmer überraschende Öffnen einer Fahrzeugtür, sondern auch für eine im Zuge desEin- oder Aussteigens bzw. Entladens geöffnete Tür. Unterschreitet in einem solchenFall ein vorbeifahrender Lkw den gebotenen Seitenabstand und kommt es dabei zurBerührung mit der geöffneten Fahrzeugtür, so kann eine hälftige Schadensteilung ge-rechtfertigt sein.

BGH – 6 ZR 316/08 – (ZfS 2010, 76)

tizministerium in seinem Referat. Es geht um Personen-und Gepäckschaden einerseits und um die Tatbeständeder Nichtbeförderung, Annullierung und Verspätung an-dererseits. Dabei reicht die Ausgestaltung der Haftungs-grundlagen von der Verschuldens- zur Nichtver -schuldenshaftung, sieht teilweise Haftungshöchstgrenzen,teilweise Pauschalleistungen vor.

Das Gemeinschaftsrecht differenziert bei der Ankunfts-verspätung zwischen Luft-, Bahn- und Busverkehr: ImLuftverkehr bedarf es weder eines Schadens- noch einesVerschuldensnachweises, um einen pauschalen Kapitalbe-trag zu erhalten, auch der Bahnverkehr arbeitet mit pau-schalen Anteilen des Ticketpreises, im Busverkehr gibtderzeit noch keine Entschädigung. Die Berechtigung der-artiger Differenzierungen wurde vom Referenten zuRecht infrage gestellt. Anlass zu Optimismus bieten je-doch die zahlreichen Initiativen im politischen Raum,wobei insbesondere die gesetzliche Verankerung einer un-abhängigen Schlichtungsstelle für Fahrgastrechte in allenVerkehrsbereichen hervorzuheben ist.

Eine besondere Rolle in der Diskussion spielt die EU-Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11. Februar 2004, dieeine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unter-stützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeför-derung und bei Annullierung oder großer Verspätung vonFlügen trifft. Diese Verordnung erlaubt, wie Dr. Raphaelvon Heereman in seinem Beitrag ausführte, unterschied-liche Auslegungen in zentralen Punkten und konnte auchdurch die Rechtsprechung des EuGH den Verbrauchernoft keine wirksame Hilfe bieten.

Auch im Eisenbahnverkehr gilt es, zwischen nationalemRecht und Gemeinschaftsrecht zu unterscheiden. Jedochgelten dieselben Maßstäbe für den nationalen wie für deninternationalen Eisenbahnverkehr, insbesondere die Ver-spätungsentschädigung laut EG-Verordnung 1371/2007 abeiner Verspätung des Fahrgastes von einer Stunde. Diedeutschen Haftungsnormen bei Verletzung von Leben undGesundheit gelten als weitergehendes Recht fort. AuchHenrik Lindemann von der Deutschen Bahn AG, der denEisenbahnverkehr ins Zentrum seiner Ausführungen ge-stellt hatte, begrüßte die Gründung der verkehrsträger-übergreifend angelegten Schlichtungsstelle für den öf-fentlichen Verkehr e.V. als eine von den Verkehrsunter-nehmen getragene Lösung.

Eingangsreferate und anschließende Diskussion spiegel-ten die allgemeine Einschätzung wider, dass bei denRechtsansprüchen der Flug- und Fahrgäste zwar Fort-schritte erzielt worden sind, die wenigsten jedoch hinrei-chend über diese Ansprüche so informiert werden, dasssie sie auch tatsächlich realisieren können. Vieles verliertsich in Bürokratie. Betroffene wissen nicht, an wen sie sichüberhaupt wenden können. Vor allem unter diesem

Aspekt ist der gegenwärtige Rechtszustand alles andereals optimal.

Harmonisierung der Regelungen, Informationspflichtender Verkehrsunternehmen und Beteiligung der Schlich-tungsstelle sind denn auch die Themen der abschließen-den Empfehlung des Arbeitskreises, die kurz und knappwie folgt lautet.

I. Der Arbeitskreis appelliert an den europäischen Gesetz-geber, bei der Fortschreibung der Rechte von Reisendensachlich nicht gerechtfertigte Unterschiede zu beseitigen,insbesondere bei der pauschalen Entschädigung für Ver-spätungen.

II. Die Verkehrsunternehmen werden aufgefordert, die Rei-senden aktuell und vollständig über ihre Rechte zu in-formieren, z.B. bei Verspätungen auf Verpflegung undHotelunterkunft.

III. Der Arbeitskreis appelliert an alle Verkehrsträger, – auch die Luftfahrtunternehmen – an einer außerge-richtlichen Streitschlichtung teilzunehmen. Dafür bietetsich die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Perso-nenverkehr an.

RA Volker Lempp, Stuttgart

Arbeitskreis IV: Haushaltsführungs-schadenUnter Haushaltsführungsschaden versteht man einenSchaden, den der Verletzte dadurch erleidet, dass er durchdie unfallbedingte körperliche Beeinträchtigung denHaushalt nicht mehr wie früher führen kann. Dabei iststets zu differenzieren zwischen dem Versorgungsdefizitbei den übrigen Familienangehörigen, das sich als Er-werbsschaden darstellt, und den Auswirkungen des Aus-falls für den Geschädigten selbst. Insoweit handelt es sichum vermehrte Bedürfnisse im Sinne des Schadensrechts.Unter beiden Gesichtspunkten hat gem. § 843 Abs. 1 BGBder Schädiger bzw. dessen Versicherung Schadenersatz zuleisten. Hierüber besteht Einigkeit, auch wenn diese Scha-denposition im Bewusstsein der Geschädigten und ihrerRechtsvertreter eine wesentlich geringere Rolle spielt alsdas auch dem juristischen Laien geläufige Schmerzensgeld.

Die Probleme bei der Geltendmachung des Haushalts-führungsschadens, sowohl bei Tötung als auch bei Verlet-zung des ganz oder teilweise mit der Haushaltsführungbefassten Familienangehörigen, liegen auf der Hand. Vonzentraler Bedeutung ist dabei § 287 ZPO, der dem Gerichteinen breiten Ermessensspielraum einräumt, den Geschä-digten aber nicht eines substantiierten Vortrags zum Hau-halt und der dort von ihm zu leistenden Arbeit enthebt.Der Anwalt kommt deshalb nicht umhin, gemeinsam mit

Frist zur NachbesserungFür eine Fristsetzung gem. § 281 Abs. 1 BGB, mit der derVerkäufer zur Nachbesserung von Mängeln aufgefordertwird, genügt es, wenn der Gläubiger durch das Verlangennach sofortiger, unverzüglicher oder umgehender Leis-tung oder vergleichbare Formulierungen deutlich macht,dass dem Schuldner für die Erfüllung nur ein begrenzter(bestimmbarer) Zeitraum zur Verfügung steht; der An-gabe eines bestimmten Zeitraums oder eines bestimmten(End-) Termins bedarf es nicht.

BGH – VIII ZR 254/08 – (VRS Bd. 117, 257)

Richtlinien zur Geschwindigkeits-messungWegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes hat der Tat-richter auch innerdienstliche Vorschriften zur Geschwin-digkeitsmessung zu beachten. Dies gilt etwa dann, wenndie Möglichkeit naheliegt, dass bei einer Messung nachder Ortstafel der in den Richtlinien vorgesehene Abstandzwischen Ortstafel und Messstelle (hier: 150 m) nicht be-achtet worden ist und deshalb ein Absehen vom Regel-fahrverbot in Betracht kommt.

OLG Dresden – Ss OWi 410/09 – (DAR 2010, 29)

AktenversendungspauschaleDer gesetzliche Vergütungsanspruch des Pflichtverteidi-gers umfasst auch die auf die Aktenversendungspauschaleentfallende Umsatzsteuer. Ihn insoweit anders zu behan-deln als den Wahlverteidiger, findet im Gesetz keineGrundlage.

OLG Bamberg – 1 Ws 127/09 – (ZfS 2009, 466 m. Anm.von Heinz Hansens)

Keine Versicherungsleistung bei unge-klärten VorschädenVerlangt der Versicherungsnehmer vom Kaskoversichererdie Ersatzleistung für einen Fahrzeugschaden, der vor-handene Vorschäden „überlagert“, so trägt er die volle Be-weislast für die Abgrenzung des Neuschadens. Er mussalso so detailliert zu den Vorschäden und den ihnen zu-grundeliegenden Unfällen vortragen, dass Feststellungenzum Ausmaß des unfallbedingten Schadens möglich sind.Dabei trägt der Versicherungsnehmer das Risiko derNichterweislichkeit einer zur Regulierung tauglichenSchadensabgrenzung.

OLG Koblenz – 10 U 1163/08 – (VersR 2010, 246)

Kein Anwalt für verklagten Fahrzeug-führerEs besteht in der Regel kein hinreichender sachlicherGrund für die Einschaltung eines eigenen Prozessbevoll-mächtigten durch den Fahrzeugführer, wenn an dessenSeite der anwaltlich vertretene Haftpflichtversicherer alsStreithelfer den Prozess führt. Deshalb kann der Fahr-zeugführer auch nicht die Bewilligung von Prozesskos-tenhilfe und die Beiordnung eines eigenen Prozessbevoll-mächtigten verlangen. Dies gilt selbst dann, wenn derHaftpflichtversicherer im Verhältnis gegenüber dem Fahr-zeugführer wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versi-cherungsfalles gem. § 152 VVG a.F. von seiner Leis-tungspflicht frei geworden ist.

OLG Brandenburg – 12 W 27/09 – (VersR 2010, 274)

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6 ACE - V E RK EHR S J U R I S T 1 / 2 0 1 0 ACE - V E RK EHR S J U R I S T 1 / 2 0 1 0 35

AKTUELL

dem Mandanten zu ermitteln, welche Hausarbeiten vordem Unfall im Einzelnen von ihm erledigt wurden undwelche ihm unfallbedingt nicht mehr möglich bzw. nichtmehr zumutbar sind. Sodann müssen solche Arbeiten eli-miniert werden, die durch den Einsatz von Haushalts-technik oder Umorganisation kompensierbar sind. Dabeigilt eine objektive Betrachtung, unabhängig davon, ob derentstandene Aufwand (brutto) oder aber ein fiktiver Scha-den (netto) geltend gemacht wird. Nur was erforderlichist, ist auch ersatzfähig. Von großer Bedeutung ist dabeidas Rollenverständnis zwischen Mann und Frau. Da sichsolche Parameter bei einer länger dauernden Ersatzpflichtändern können, muss u.U. zu gegebener Zeit eine Neube-wertung und -berechnung erfolgen. Auch deshalb ist essinnvoll, entsprechend der Empfehlung des Arbeitskrei-ses die Grundlagen der Schadensbemessung schriftlichfestzuhalten.

Bei der Ermittlung der Schadenshöhe hat man es mit ver-schiedenen Berechnungsverfahren zu tun, die von Rechts-anwalt Paul Kuhn und der HauswirtschaftsmeisterinLiselotte Warlimont im Arbeitskreis vorgestellt wurden.Es handelt sich um das Werk von Schulz-Borck/Pardey,„Schadenersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Mütternim Haushalt“, das „Hohenheimer Verfahren“, das dieHaushaltsarbeit EDV-mäßig arbeitswissenschaftlich be-wertet, und die analytische Arbeitsbewertungsmethodenach REFA, die von Frau Warlimont vertreten wird. Jededieser Methoden kommt grundsätzlich als Ermittlungswegmit angemessenen Ergebnissen in Betracht. Auch für denArbeitskreis gab es keine Präferenz. In schwierigen Fäl-len wird das Gericht nicht umhin können, einen speziali-sierten Gutachter hinzuzuziehen.

Wichtig ist dabei, dass die Beeinträchtigung im Haushaltnicht notwendig mit der allgemeinen Minderung der Er-werbsfähigkeit deckungsgleich ist, sondern in der Regelgeringer ausfällt.

Am Ende der Prüfung steht die Ermittlung des Stunden-satzes für eine Ersatzkraft, vor allem bei der fiktiven Ab-rechnung. Er richtet sich nach dem regionalenArbeitsmarkt, vergleichbaren Tarifverträgen des öffentli-chen Dienstes oder Tarifverträgen für den Bereich derhauswirtschaftlichen Tätigkeiten, wobei man derzeit zuNetto-Stundensätzen zwischen € 6,00 und maximal€ 10,00 kommt. Auch hier führt der Weg zum richtigen Er-gebnis regelmäßig über § 287 ZPO.

Im Wesentlichen hat der Arbeitskreis die bisherige Praxisbei der Ermittlung des Haushaltsführungsschadens bestä-tigt und für die Fallbearbeitung einen Orientierungsrah-men gegeben, der wie folgt aussieht:

1. Für die Schätzung des durch gesundheitliche Beein-trächtigungen bei der Haushaltsführung gegebenen Scha-

dens kann auf anerkannte Tabellenwerke oder EDV-ge-stützte Ermittlungsmethoden zurückgegriffen werden.Deren Werte sind anhand fallbezogener Feststellungenzu prüfen und erforderlichenfalls zu korrigieren.

2. Ist der Zeitbedarf festgestellt, sollte der Stundensatz fürdie Schadensschätzung auf der Grundlage eines ein-schlägigen Tarifvertrags ermittelt werden.

3. Mit Blick auf künftig notwendig werdende Änderungenaufgrund geänderter Lebensumstände sollten die tat-sächlichen Grundlagen der Schadensbemessung, insbe-sondere

– Umfang der Verletzung und Grad der Beeinträchtigung,– Größe des Haushalts nach Wohnraum und Personenan-zahl,

– Höhe des zugrunde gelegten Stundensatzesschriftlich festgehalten werden.

4. Für die Schätzung des Haushaltsführungsschadens kannkein allgemein gültiges Höchstalter zu Grunde gelegtwerden.

RA Volker Lempp, Stuttgart

Arbeitskreis V: Ausnahmen vom Entzugder Fahrerlaubnis und vom Fahrverbot Allgemein anerkannt ist, dass bei Führerscheinmaßnah-men Nachteile im beruflichen oder privaten Bereich zu-rückzutreten haben gegenüber den Belangen derVerkehrssicherheit. Diese Nachteile sind gerade bezwecktund unterstreichen den Erziehungscharakter der Maß-nahme. Dass ungeeignete Kraftfahrer unter keinen Um-ständen am motorisierten Straßenverkehr teilnehmendürfen, ist selbstverständlich. Flexibel sollten und müsstendie Gerichte aber dann reagieren können, wenn die wirt-schaftliche Existenz des Betroffenen und möglicherweiseeiner ganzen Familie auf dem Spiel steht. In der Vergan-genheit konnten die Amtsgerichte dies oftmals berück-sichtigen, indem sie die Klassen C oder D (Lkw u. Bus)von der Führerscheinmaßnahme ausgenommen haben.Aufgrund der verpflichtenden Vorgaben der 2. EU-Richt-linie musste der Deutsche Gesetzgeber handeln und eineneue (4.) Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-verordnung (FeV) im Jahre 2008 erlassen. Will ein Straf-gericht die Fahrerlaubnis endgültig entziehen, werdendavon nunmehr sämtliche Führerscheinklassen aus-nahmslos erfasst.

Etwas anderes kann in den Fällen der vorläufigen Entzie-hung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO und für denFall eines vorgesehenen Fahrverbots nach § 44 StGB gel-ten. In diesen Fällen können die Führerscheinklassen Cund D ausgenommen werden, da ja noch keine endgültige

ausgesprochenen Zahlen „einundzwanzig, zweiundzwan-zig“ entspricht bei normaler Sprechgeschwindigkeit – we-nigstens – einer Sekunde) geschätzt werden muss,hinreichend Rechnung getragen. Da die Polizeibeamten beieiner gezielten Rotlichtüberwachung wissen, worauf es an-kommt, ist ausgeschlossen, dass sie schon vor Umspringender Ampelanlage auf „Rot“ zu zählen beginnen. Es gibtauch keinen vernünftigen Grund für die Annahme, dass derBeamte, der unter besonderer Strafandrohung des § 344 II2 StGB steht, etwa durch bewusstes besonders schnellesZählen versucht, einen Autofahrer zu Unrecht wegen einesqualifizierten Rotlichtverstoßes zu belangen. Ein unbe-wusstes zu schnelles Zählen kann angesichts von Ausbil-dung bzw. Erfahrung des Beamten und angesichts desUmstandes, dass er bei einer gezielten Rotlichtüberwa-chung weiß, worauf es ankommt und seine Wahrnehmungbesonders geschärft ist, ebenfalls ausgeschlossen werden.Ist darüber hinaus auch ihre Beobachtungsposition so, dasssie sowohl Ampel als auch den Vorbereich und die Halte-linie im Blick haben, können keine Zweifel bestehen, dasswenn sie auf Grund der Zählmethode zu einer Schätzungvon mindestens 2 Sekunden hinsichtlich des Andauerns derRotlichtphase gelangen, diese jedenfalls mehr als 1 Se-kunde bis zu ihrem Überfahrenwerden angedauert hat.

Der Vorsitzende des (inzwischen wieder neu eingerichte-ten) 5. Strafsenats hat mitgeteilt, dass dort an der Recht-sprechung des früheren 5. Strafsenats nicht festgehaltenwird. Auch die übrigen Strafsenate haben mitgeteilt, dass

dort die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtversto-ßes im Rahmen einer gezielten Ampelüberwachung durchZählen in der beschriebenen Weise für zulässig erachtetwird. Eine tragende Abweichung von der Entscheidungdes OLG Brandenburg vom 03.08.1999 (2 SsOWi 101B/99,juris) liegt nicht vor, da dort eine Schätzung auf derGrundlage von Zählen bis zur Zahl „dreiundzwanzig“ fürausreichend, nicht aber für zwingend erforderlich erachtetwurde. Auch der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom04.11.2002 (DAR 2003, 85) lässt sich nicht entnehmen,dass dort ein Zählen bis zur Zahl „dreiundzwanzig“ zwin-gend für erforderlich erachtet wird.

Die eingangs genannten Voraussetzungen für eine Fest-stellung des qualifizierten Rotlichtverstoßes auf Grundder Zählmethode sind hier eingehalten. Das Urteil teiltmit, dass es sich um eine gezielte Rotlichtüberwachungs-maßnahme handelte, das Vorhandensein einer Haltelinie,die Beobachtungsposition des Zeugen und dass dieserca. 20 m vor der Ampel überblickte, wobei das Fahrzeugdes Betr., bei Umspringen der Ampel auf „Rot“ noch garnicht in seinem Blickfeld war, also noch weiter als 20 mentfernt gewesen sein muss. Das Urteil teilt zwar nicht aus-drücklich mit, dass der Zeuge bis „zweiundzwanzig“ zuEnde gezählt hat (vgl. dazu OLG Köln VRS 106, 214, 215f.). Dies lässt sich jedoch dem Gesamtzusammenhang derUrteilsgründe hinreichend entnehmen, wenn es heißt, dasser eine Rotphase von 2 Sekunden durch Zählen von ein-undzwanzig aufwärts ermittelt habe.

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RECHTSPRECHUNG

Entziehung erfolgt. Allerdings machen sowohl Amtsge-richte als auch Verwaltungsbehörden (Bußgeldstellen)hiervon so gut wie keinen Gebrauch. Dem fällt damit auchdie Einzelfallgerechtigkeit zum Opfer. Denn es ist frag-lich, ob es verhältnismäßig ist, einen Lkw- bzw. Busfahrer,der seit Jahren ohne Beanstandungen am Straßenverkehrteilgenommen hat, bei einer einmaligen Geschwindig-keitsüberschreitung, die er z.B. in der Freizeit mit demMotorrad beging, mit einem existenzgefährdenden Fahr-verbot zu belegen.

Aufgrund der Neuregelung in der FeV ergeben sich nun-mehr auch Schwierigkeiten bei der Neuerteilung einerFahrerlaubnis. Die Verwaltungsbehörde ist an die Ent-scheidung des Strafgerichts gebunden. Demzufolge kannsie keine Fahrerlaubnis, beschränkt auf Lkw und Bus, er-teilen, da der Bewerber neuerdings Inhaber der Fahrer-laubnis der Klasse B, für Pkw, sein muss. Ist diese durchdas Strafgericht entzogen worden, sind der Verwaltungs-behörde die Hände gebunden. Deshalb ist der Gesetzge-ber gefordert, eine Änderung der §§ 69, 69 a StGB, die diegrundsätzliche Entziehung der Fahrerlaubnis und Anord-nung einer Sperrfrist zum Inhalt haben, zu ändern, umAusnahmeregelungen möglich zu machen zur Vermeidungeiner Existenzgefährdung.

Hiervon betroffen ist nicht die Rechtslage bei Fahrverbo-ten, wie sie im Rahmen von Ordnungswidrigkeiten aus-gesprochen werden können. Wenn ein auf die Klassen Cund D beschränktes Fahrverbot als Denkzettel ausrei-chend ist, darf die Verwaltungsbehörde nicht leichtfertigberufliche Nachteile durch ein gesamtes Fahrverbot her-vorrufen. Leider befassen sich die Behörden nicht hinrei-chend mit den Ausnahmemöglichkeiten. Vielmehr werdenso hohe Anforderungen an eine Ausnahme gestellt, dassein Regelfahrverbot eigentlich immer verhängt wird. ZurLösung dieses Problems haben die Arbeitskreisteilnehmerfolgende Empfehlung ausgesprochen:

1. Der Arbeitskreis stellt ausdrücklich fest, dass sich durchdie 2. EG-Führerscheinrichtlinie an der vor ihrem In-krafttreten geltenden Rechtslage in Deutschland für dievorläufige und endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis(§§ 111 a StPO und 69 StGB) sowie die Fahrverbote(§§ 44 StGB und 25 StVG) nichts geändert hat. DerStrafrichter hat weiterhin die ihm aus Gründen des ver-fassungsrechtlichen Übermaßverbotes eingeräumtenMöglichkeiten, für bestimmte Arten von Kraftfahrzeu-gen nach § 69 a Abs. 2 StGB Ausnahmen von der Sperr-frist zu gewähren, soweit dies mit Belangen derVerkehrssicherheit zu vereinbaren ist.

2. Allerdings kann die richterliche Entscheidung über dieAusnahme von der Sperrfrist nicht mehr ausgeführt wer-den, da durch die Umsetzung der 2. EG-Führerschein-richtlinie in § 9 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) die

Verwaltungsbehörde auch eine entsprechend be-schränkte Fahrerlaubnis nicht mehr erteilen darf. Umden strafrichterlichen Gestaltungsraum zu erhalten, emp-fiehlt der Arbeitskreis mit knapper Mehrheit, dem Straf-richter durch eine Änderung des § 69 StGB zuermöglichen, bei endgültiger Entziehung der Fahrer-laubnis im Urteil oder Strafbefehl bestimmte Arten vonKraftfahrzeugen auszunehmen.

3. Der Arbeitskreis appelliert – zur Vermeidung von Exis-tenzgefährdung – an Bußgeldstellen und Strafrichter, dieAusnahmemöglichkeiten, insbesondere bei Regelfahr-verboten, stärker zu beachten.

4. Der Arbeitskreis empfiehlt dringend, die anerkanntenMöglichkeiten, die die Verkehrspsychologie zur Einstel-lung, Verhaltensänderung und Eignungsbegutachtunganbietet, intensiver zu nutzen.

RA Holger Rochow, Hamburg

Arbeitskreis VI: „Idiotentest“ auf demPrüfstandEs besteht grundsätzlich ein Konsens dahingehend, dassder im Volksmund verwendete Begriff „Idioten-Test“, be-hördlich korrekt als „medizinisch-psychologische Unter-suchung“ (MPU) benannt, ein sehr wichtiger Beitrag zurVerkehrssicherheit ist. In der Diskussion steht allerdings,wann eine solche MPU anzuordnen und wie sie inhaltlichauszugestalten ist und vor allem, wie der Verlauf unddamit verbunden das Ergebnis nachvollzogen werdenkann.

Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) und die Fahrerlaub-nis-Verordnung (FeV) kennen viele Untersuchungsan-lässe für eine MPU. Die wichtigsten betreffen Alkohol-und Drogenkonsum sowie die Mehrfachtäter. Das führtdazu, dass sich jährlich rund 100.000 Autofahrer, davonsind 96% Männer und lediglich 4% Frauen, diesem Test,für den mehrere Hundert Euro aufzuwenden sind, unter-ziehen müssen, wobei in der Regel jeder Zweite durchfällt.Über die Hälfte der Fahreignungsprüfungen (56%) gehenauf Alkoholmissbrauch zurück. Weitere 18% lassen sichunter dem Aspekt „Drogen und Medikamente“ zusam-menfassen. 15% müssen sich dem Test unterziehen wegen„Verkehrsauffälligkeiten ohne Alkohol“. Der Rest entfälltauf sogenannte Mehrfachtäter, die 18 Punkte im Flens-burger Zentralregister erreicht haben. Allerdings kann diemedizinisch-psychologische Untersuchung von Behördenauch jederzeit angeordnet werden, wenn „berechtigteZweifel an der Fahreignung“ bestehen. Kritik wird laut,da gegen diese Anordnung kein Rechtsmittel eingelegtwerden kann. Wer der Anordnung einer MPU nicht Folge

Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher im überwiegendenInteresse an dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter einergroßen Zahl von Verkehrsteilnehmern in einem auf Ent-ziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsver-fahren auch ein unter Verstoß gegen den Richtervorbehaltdes § 81 a StPO gewonnenes Ergebnis einer Blutproben-untersuchung berücksichtigen, wenn aus diesem ohneWeiteres eine fehlende Kraftfahreignung des Betroffenenhervorgeht. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass wederdas StVG noch die FeV für die Anordnung von ärztlichenUntersuchungen und Begutachtungen einen Richtervor-behalt vorsehen und es einen Wertungswiderspruch be-deutete, wenn Fälle, die ihren Ausgang in einem straf- oderbußgeldrechtlich ahndungsfähigen Verkehrsverstoß neh-men, anders behandelt würden als solche, in denen die Be-hörde nach § 11 Abs. 2 FeV auf Grund ihr bekanntgewordener Tatsachen selbst Zweifeln an der Kraftfahr-eignung eines Betroffenen nachgeht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 03.11.2009 – 1 S 205.09 –, juris).…“

Geschätzter RotlichtverstoßBeschluss des OLG Hamm vom 12.03.09 – 3 Ss OWi 55/09 –

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Ge-richt auf Grund einer Schätzung auf der Basis einesgedanklichen Zählens („einundzwanzig, zweiund-zwanzig“) des im Rahmen einer gezielten Rotlicht-überwachung eingesetzten Polizeibeamten zurÜberzeugung vom Vorliegen eines sog. qualifiziertenRotlichtverstoßes kommt (Abweichung von OLGHamm, NZV 2001, 177).

Aus den Gründen:

Näherer Erörterung bedarf lediglich, ob die Feststellung,dass die Lichtzeichenanlage bei Überfahren der Halteli-nie durch den Betr. bereits mehr als 1 Sekunde „Rot“zeigte, von der Beweiswürdigung getragen wird.

Darin heißt es, dass der Zeuge T, ein Polizeibeamter, amTattage am Tatort eine gezielte Rotlichtüberwachungdurchführte. Auf Grund seiner Aufzeichnungen (an denVorfall selbst hatte er keine Erinnerung mehr) gab er an,dass er ca. 12–13 m entfernt von der Haltelinie gestandenund freie Sicht auf die Ampelanlage gehabt habe. ZumZeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie durch den Betr.habe die Ampel schon 2 Sekunden „Rot“ gezeigt. Er habebeim Umspringen der Ampel auf „Rot“ in Gedanken dieSekunden in Form von Zahlen von 21 an aufwärts gezähltund habe so die Zeit, die bis zum Überfahren der Halteli-nie durch den Betr. verstrichen war, schätzen können. Ersetze die Dauer der Rotphase eher zu niedrig als zu hochan.

Grundsätzlich kann – jedenfalls bei einer gezielten Ampel-Überwachung – die Feststellung eines qualifizierten Rot-licht-Verstoßes auf Grund der Schätzung vonPolizeibeamten festgestellt werden, wenn der Polizeibe-amte durch Zählen („einundzwanzig, zweiundzwanzig“)zu einer Schätzung gelangt, wonach die Rotlichtphase beiÜberfahren der Haltelinie schon mindestens 2 Sekundenandauerte. Diese Schätzung muss aber für das Tatgerichtund das RechtsbeschwGer. überprüfbar sein. Deswegenmuss das tatrichterliche Urteil Feststellungen dazu ent-halten, nach welcher Methode die Zeit geschätzt wurde,und Angaben zum Ablauf des Rotlichtverstoßes, zur Ent-fernung des Fahrzeugs zur Lichtzeichenanlage und zueiner ggf. vorhandenen Haltelinie treffen (OLGe HammBeschl. v. 24.09.2007 – 3 SsOWi 620/07 und NZV 2002, 577;Düsseldorf VRS 93, 462, 463 f.; Hamburg NZV 2005, 209,210; sowie Köln VRS 106, 214, 215; vgl. auch OLG JenaBeschl. v. 29.10.2003 – 1 Ss 138/03, juris).

Entgegen der vom seinerzeitigen 5. Senat für Bußgeldsa-chen vertretenen Ansicht, dass bei qualifizierten Rotlicht-verstößen auch bei gezielter Ampelüberwachung eineSchätzung durch Zählen nicht ausreiche (NZV 2001, 177,178), ist der erkennende Senat der Ansicht, dass diesdurchaus der Fall sein kann, wenn die oben genanntenVoraussetzungen erfüllt sind.

Es ist gesetzlich nicht ausgeschlossen, dass sich ein Gerichtdie notwendige Überzeugung von einem qualifiziertenRotlichtverstoß über eine Schätzung eines Zeugen ver-schafft. Es muss lediglich – nach § 46 I OWiG, § 261 StPO –nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung ge-schöpften Überzeugung entscheiden. Es genügt ein nachder Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit,demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkom-men (BGH NStZ-RR 2005, 149; NStZ 1988, 236; Meyer-Goßner 51. Aufl., § 261 Rn 2 m.w.N.). Es gibt keinenGrund, warum der Tatrichter sich diese Überzeugungnicht auf Grund einer Schätzung eines Polizeibeamtenunter Einhaltung der oben genannten Voraussetzungenverschaffen können sollte. Eine Schätzung ist zwar mitUnsicherheiten versehen. Indes sind diese bei Einhaltungder dargestellten Voraussetzungen soweit ausgeschaltet,dass ein ausreichendes Maß an Sicherheit erreicht wird.Bei einer gezielten Rotlichtüberwachung ist den tätigenPolizeibeamten bekannt, worauf es ankommt. Ihre Wahr-nehmung ist daher entsprechend geschärft. Kommen siedurch Zählen („einundzwanzig, zweiundzwanzig“) zu demSchätzergebnis, dass die Rotlichtphase schon 2 Sekundenandauerte, so bleiben keine vernünftigen Zweifel, dass dieRotphase jedenfalls mehr als 1 Sekunde andauerte.

Etwaigen Schätzungenauigkeiten wird durch das Erfor-dernis, dass durch die Methode des Nachzählens mindes-tens eine Rotphase von 2 Sekunden (jede der gedanklich

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AKTUELL

leistet oder keine erfolgreiche Untersuchung nachweisenkann, verliert automatisch seinen Führerschein.

Ein weiterer erheblicher Kritikpunkt der Betroffenen ist,dass Ablauf und Ergebnis der Untersuchung nicht hinrei-chend transparent und nachprüfbar sind. Immer wiederkommt es vor, dass Betroffene, die durchgefallen sind, ein-wenden, dass Zitate und Ausführungen im Gutachtennicht mit ihren Einlassungen übereinstimmen. Demzu-folge ist eine Reform nach Ansicht der Kritiker dringendnotwendig. Sie sollte sich insbesondere auf den Ablauf unddie Dokumentation der Exploration (Befragung bzw. Un-terhaltung) beziehen. Denn das allenfalls dreiviertelstün-dige Gespräch ist wesentliche Grundlage, ob einAutofahrer den Führerschein neu erteilt bekommt, ent-scheidet somit über seine Zukunft und Existenz. Hilfreichkönnten insoweit Ton- oder Videoaufzeichnungen bzw.Wortprotokolle sein, oder aber auch dass das Gespräch imBeisein eines Anwalts geführt wird. Dies würde nach Mei-nung von Experten die Akzeptanz der MPU fördern. Indiesem Sinne hatte sich bereits BundesverkehrsministerRamsauer im Vorfeld des VGT geäußert. Nach seiner Auf-fassung macht die MPU grundsätzlich Sinn wegen der ab-schreckenden Wirkung. „Wir müssen den Betroffenen dasGefühl geben, dass im Interesse der Verkehrssicherheitgeurteilt wird und nicht im stillen Kämmerlein einsameEntscheidungen getroffen werden. Wichtig bei einer Neu-regelung ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel, die injedem Einzelfall geprüft werden muss“, so Ramsauer. Nurwenn der genaue Gesprächsablauf festgehalten und somitnachvollziehbar ist, können die Gerichte im Streitfall eineangemessene Entscheidung treffen.

Allerdings muss es auch eine Möglichkeit geben, den Prü-fer durch geeignete Institutionen zu überprüfen, z.B. durcheine Oberbegutachtung.

Das Plenum des Arbeitskreises war zerstritten und glie-derte sich eigentlich in 2 Lager. So forderten Vertreter derAnwaltschaft vehement, Inhalte der Exploration festzu-halten, zumindest per Tonband, und erneute Einführungvon Obergutachterstellen. Ihr Ansinnen wurde allerdingsdurch die überwiegende Lobby der anwesenden Psycho-logen blockiert, wie der Betreuer des Arbeitskreises, Prof.Eisenmenger aus München, und der Leiter Dr. Dipl.-Psych. Schulze von der Bundesanstalt für Straßenwesen(BAsT) späterhin auf der Pressekonferenz vermerkten.Demzufolge lautete die Empfehlung auch (nur):

1. Das System der medizinisch-psychologischen Begutach-tung der Kraftfahrereignung ist ein wichtiges und bewähr-tes Instrument zur Gewährleistung der Verkehrssicherheitund zur Erhaltung der Mobilität des Einzelnen.

2. Im Rahmen der Fahreignungsbegutachtung kommt derExploration zentrale Bedeutung zu. Diese diagnostische

Methode ist unter Berücksichtigung des aktuellen wis-senschaftlichen Erkenntnisstandes weiterhin kontinuier-lich zu verbessern.

3. Die Zulassung von Testverfahren im Rahmen der Fahr-eignungsbegutachtung sollte geregelt werden. Die Prü-fung der Güte der Testverfahren soll durch einunabhängiges wissenschaftliches Gremium anhand einesangemessenen Testbeurteilungssystems erfolgen.

4. Die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Überprüfung derFahreignung sollte regelmäßig wissenschaftlich überprüftund die Ergebnisse sollten veröffentlicht werden.

5. Rehabilitationsmaßnahmen zur Verbesserung der Eig-nungsvoraussetzungen sollten möglichst frühzeitig ein-geleitet und deren Erfolg durch eine Fahreignungs-begutachtung überprüft werden.

6. Die Anbieter der unter Punkt 5 genannten Maßnahmensollten ebenfalls einem Qualitätssicherungssystem unter-liegen und in keinem wirtschaftlichen und personellenZusammenhang mit den Begutachtungsstellen stehen.

7. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer medizi-nisch-psychologischen Begutachtung sind im Straßen-verkehrsgesetz und in der Fahrerlaubnis-Verordnungteilweise unklar formuliert. Der Gesetzgeber wird aufge-fordert, die entsprechenden Vorschriften zu reformieren.

RA Holger Rochow, Hamburg

Arbeitskreis VII: Unfallrisiko „Junge Fahrer“Fahrer zwischen 18 und 25 Jahren unterliegen weiterhineinem erheblich höheren Risiko, bei einem Unfall verletztoder getötet zu werden. Dies wirft zunächst die Frage auf,wie unter diesem Aspekt die bisherigen Maßnahmen zurReduzierung dieses Unfallrisikos einzuschätzen sind undob sich gegebenenfalls eine Erweiterung bzw. Intensivie-rung empfiehlt. Nicht weniger wichtig ist aber die Diskus-sion in der Fachwelt über neue Akzente bei derFahrausbildung, bei der Fahrzeugtechnik und bei der För-derung eines sicherheitsbewussten Verhaltens jugendli-cher Kraftfahrer, mit denen möglicherweise einegrundlegende Verbesserung der immer noch sehr unbe-friedigenden Situation erreicht werden könnte.

Das Ergebnis der Bestandsaufnahme durch den Arbeits-kreis VII ist unter Ziffer 2. seiner Empfehlung zusammen-gefasst. Im Grunde gibt nur das „begleitete Fahren ab 17“Anlass zu Optimismus, vielleicht auch das absolute Alko-holverbot für Fahranfänger. Dies führt zu der Forderung, indie schon seit längerem diskutierte zweiphasige Fahraus-bildung einzusteigen, diese auf wissenschaftlicher Grund-lage weiterzuentwickeln und dann auch gesetzlich zu

Untersuchungserfolgs könnte allerdings sprechen, dass derAntragsteller laut polizeilichem Bericht vom 26.05.2009 um11.15 Uhr kontrolliert worden ist und keine Anhaltspunktedafür ersichtlich sind, dass angesichts des einfach gelagertenund ohne Weiteres überschaubaren Sachverhalts ein Rich-ter zu dieser Zeit nicht hätte angerufen werden und dieserauch ohne Aktenvorlage fernmündlich die begehrte Anord-nung hätte treffen können, so dass vermutlich bei Einschal-tung des Richters eine (erhebliche) zeitliche Verzögerungnicht eingetreten wäre (vgl. dazu OLG Celle, Beschl. v.15.09.2009 – 322 SsBs 197/09 –, juris; ferner Beschl. v.06.08.2009 – 32 Ss 94/09 –, NJW 2009, 3524-3527).Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers von einemVerstoß gegen die strafprozessuale Beweiserhebungsvor-schrift des § 81 a Abs. 2 StPO ausgeht, folgt daraus nichtzugleich ein Verbot für den Antragsgegner, das Ergebnisder Blutuntersuchung im Fahrerlaubnisentziehungsver-fahren zu verwerten. Für den Strafprozess ist anerkannt,dass über das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbo-tes – mit Ausnahme ausdrücklich geregelter Verwertungs-verbote wie in § 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO – jeweils nachden Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Artdes Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwä-gung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist(vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.07.2009 - 2 BvR 2225/08 -, NJW2009, 3225-3226 m.w.N. zur Rspr. der Strafgerichte). ImAnwendungsbereich des § 81 a StPO, der - wie dargelegt- eine Eilanordnung durch Polizeibeamte ohnehin nichtschlechterdings ausschließt, tritt das staatliche Strafver-folgungsinteresse gegenüber dem Individualinteresse desEinzelnen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zurück,wenn Gefahr im Verzug willkürlich angenommen und derRichtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw.ignoriert wird oder wenn die Rechtslage bei Anordnungder Maßnahme in gleichwertiger Weise verkannt wordenist (OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.10.2009 – 2 SsBs149/09 –, NJW 2009, 3591-3592; ferner OLG Celle, Beschl.v. 06.08.2009 – 32 Ss 94/09 –, a.a.O., jeweils m.w.N.). Gegendie Annahme eines strafprozessualen Verwertungsverbotsspricht hier, dass bei einem Sachverhalt der hier vorlie-genden Art eine richterliche Anordnung mit hoher Wahr-scheinlichkeit regelmäßig auch fernmündlich undtypischerweise zu ergehen pflegt, dass eine Blutentnahmedurch einen Arzt einen eher geringfügigen Eingriff in diekörperliche Unversehrtheit des Betroffenen darstellt, demandererseits ein erhebliches öffentliches Interesse an derAbwendung erheblicher Gefährdungen anderer Ver-kehrsteilnehmer gegenübersteht, und dass die die Blut-entnahme anordnende Polizeibeamtin die Notwendigkeiteiner richterlichen Anordnung nicht schlechthin verkannt,sondern eine solche im Einzelfall wegen Eilbedürftigkeitals entbehrlich angesehen hat (vgl. dazu OLG Celle,Beschl. v. 15.09.2009 und 06.08.2009, a.a.O.).

Selbst wenn man indes ein strafprozessuales Verwer-tungsverbot annehmen wollte, bedeutete das nicht, dassim vorliegenden Zusammenhang eine entsprechende Be-urteilung geboten wäre. Zwar muss die Behörde auch imVerwaltungsverfahren bei ihrer Ermittlungstätigkeit diesich aus Gesetzen, allgemeinen Verfahrensgrundsätzenund Grundrechten ergebenden Grenzen beachten (vgl.Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24Rn 30). Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist aberweder im StVG noch in der FeV ein ausdrückliches Ver-wertungsverbot für nicht richterlich angeordnete körper-liche Untersuchungen bestimmt. Ebenso wie imStrafprozessrecht kann daher ein solches Verbot nur unterBerücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfallsunter Abwägung der gegenläufigen Interessen angenom-men werden, wobei jedoch in Verwaltungsverfahren, diewie das Fahrerlaubnisrecht der Gefahrenabwehr dienen,nicht ohne Weiteres dieselben Maßstäbe wie im repressi-ven Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsgelten (vgl. bereits Senat, Beschl. v. 14.08.2008 – 12 ME183/08 –, VD 2008, 242-244 unter Bezugnahme auf OVGMecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.03.2008 – 1 M12/08 –, juris; zuletzt Beschl. v. 05.11.2009 – 12 ME 237/09 –;ferner VG Osnabrück, Urt. v. 20.02.2009 – 6 A 65/08 –, jurisund VG Braunschweig, Beschl. v. 29.01.2008 – 6 B 214/07 –,juris). Denn im Verfahren zur Entziehung der Fahrer-laubnis hat die Behörde maßgeblich und mit besonderemGewicht weitere Rechtsgüter Drittbetroffener und das öf-fentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor Fahr-erlaubnisinhabern, die sich als ungeeignet zum Führenvon Kraftfahrzeugen erwiesen haben, zu beachten. DieserGesichtspunkt rechtfertigt es, ein von der Fahrerlaubnis-behörde rechtswidrig angeordnetes Gutachten über dieFahreignung bei der Entscheidung über die Entziehungder Fahrerlaubnis zu berücksichtigen, wenn das Gutach-ten ein eindeutig negatives Ergebnis ausweist (vgl. bereitsSenatsbeschl. v. 14.08.2008 – 12 ME 183/08 –, a.a.O.; OVGMecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.03.2008 – 1 M12/08 –, a.a.O.). Dieser Gedanke gilt umso mehr, wenn derVerstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften nicht von derFahrerlaubnisbehörde selbst zu verantworten ist. Da derVerstoß gegen die strafprozessuale Beweiserhebungsvor-schrift des § 81 a StPO in Konstellationen wie vorliegendnicht von der für das Verwaltungsverfahren zuständigenFahrerlaubnisbehörde ausgeht, kann die für das Strafver-fahren gültige Überlegung, dass das Interesse des Einzel-nen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zu Lasten desstaatlichen Strafverfolgungsinteresses bei groben Verstö-ßen durch die für die Strafverfolgung zuständigen Behör-den unter dem Gesichtspunkt einer fairenVerfahrensgestaltung überwiegt, auf das Fahrerlaubni-sentziehungsverfahren nicht übertragen werden.

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RECHTSPRECHUNG

normieren. Außerdem soll der Gegensatz zwischen Theorieund Praxis bei der Fahrausbildung aufgehoben und durcheine ganzheitliche Vermittlung im Handlungsvollzug abge-löst werden, die auch den Einsatz von Fahrsimulatoren undmultimedialer Informationsvermittlung beinhaltet. Dabeisollte die Teilnahme an freiwilligen Fortbildungsmaßnah-men durch Anreize gefördert werden (z.B. niedrige Versi-cherungsprämien, wie vom AvD vorgeschlagen).

Neben der erzieherischen Präventionsarbeit wird die si-cherheitsgerechte Fahrzeugausstattung, insbesondere ESP,immer wichtiger. Geradezu fatal wirkt sich hier der Um-stand aus, dass sich Fahranfänger vorwiegend ältere Fahr-zeugmodelle anschaffen, die sie sich gerade noch leistenkönnen. Laut Prof. Dr. Hans-Peter Krüger von der Univer-sität Würzburg soll über die Hälfte der jungen Fahrer mitFahrzeugen unterwegs sein, die älter als acht Jahre sind undvon denen 80% gravierende Sicherheitsmängel aufweisen.Auch hier sollen Anreize geschaffen werden, die ein si-cherheitsorientiertes Verhalten beim Autokauf fördern.

Einen Sonderfall stellen die jungen Motorradfahrer dar,bei denen sich die Freigabe der Leistungsbeschränkungverhängnisvoll auf die Getöteten-Rate auszuwirkenscheint. Allerdings ist die Einführung von Geschwindig-keits- und Leistungsbeschränkungen für junge Kraftfahrergenerell umstritten. Es werden – etwa von den Verkehrs-anwälten – Probleme bei Kontrolle und Umsetzung insFeld geführt. Außerdem würde durch Leistungsbeschrän-kungen eine Vielzahl von jungen Verkehrsteilnehmernpraktisch vom Straßenverkehr ausgeschlossen und könnedementsprechend keine Fahrpraxis sammeln.

In diesem Bereich hält sich die Empfehlung des Arbeits-kreises VII eher bedeckt. Ansonsten haben die dort ver-sammelten Experten zur Reduzierung des Unfallrisikosjunger Fahrer folgendes Programm anzubieten:

1. Ursächlich für das erhöhte Unfallrisiko junger Fahrersind nicht einzelne Merkmale, sondern eine Kumulationvon Faktoren, die mit dem alterstypischen Risikoverhal-ten („Jugendlichkeitsrisiko“), mit unzureichender Fahr-erfahrung („Anfängerrisiko“) und mit objektivenUnfallursachen (insbesondere Fahrzeugmängeln) zu-sammenhängen. Dieser Vielfalt der Unfallrisiken istdurch ein System der Fahranfängervorbereitung zu be-gegnen, in dem bewährte bestehende Ansätze optimiertund neuartige Maßnahmen eingeführt werden.

2. Die bisherigen Maßnahmen zur Reduzierung des Unfallrisikos „junge Fahrer“ haben folgende Ergebnissegebracht:

a) Die Verschärfung der Probezeitregelungen für Fahran-fänger ab 01 .01.1999 (§§ 2a-c StVG, 32 ff. FeV) führtezu keinem signifikanten Rückgang der von jungen Fah-rern verursachten Unfälle.

b) Für das seit 2004 in den meisten Bundesländern angebo-tene Modellprojekt eines freiwilligen „Fortbildungssemi-nars für Fahranfänger“ (FSF) konnten bisher wedernennenswerte Einstellungsänderungen bei den Teilneh-mern noch geringere Unfallzahlen nachgewiesen werden.

c) Die seit 2005 gesetzlich geregelte Möglichkeit des Füh-rerscheinerwerbs ab 17 Jahren bei Begleitung durcheinen erfahrenen Erwachsenen („begleitetes Fahren“, § 48a FeV) zeigt eine deutliche maßnahmenbedingte Ver-ringerung des Unfall- und Deliktrisikos sowie eine hoheAkzeptanz bei der angesprochenen Zielgruppe.

d) Das absolute Alkoholverbot für Fahranfänger währendder Probezeit und bis zur Vollendung des 21. Lebens-jahres (§ 24c StVG, seit 01.01.2007) hat sich bewährt.

3. Neue Ansätze zur Verringerung des Unfallrisikos „jungeFahrer“ sollten auf der Grundlage wissenschaftlicher Be-gleitforschung in folgenden Bereichen erprobt werden:

a) Reduzierung des Fahrerfahrungsdefizites von Fahran-fängern durch

– dauerhafte gesetzliche Verankerung und Erweiterung desAnwendungsbereichs des begleiteten Fahrens,

– alternative Ausbildungsmodelle, die alle Fahranfänger indie mögliche Risikoreduzierung einbeziehen, da der Er-folg des begleiteten Fahrens bisher nur einen Teil der jun-gen Fahrer umfasst,

– verstärkte Verzahnung der theoretischen und praktischenAusbildung durch die Integration multimedialer Lern-formen (z.B. Einsatz von E-Learning und Fahrsimula-tion),

– Vertiefung der Gefahrerkennung und Gefahrvermei-dung in der Fahrausbildung und Fahrerlaubnisprüfungunter Berücksichtigung der häufigsten Unfallursachenbei jungen Fahrern.

b) Weitere Verbesserung der erzieherischen Präventionsar-beit durch

– Vermittlung des erforderlichen Risikobewusstseins in derschulischen Verkehrserziehung, in der Fahrschulausbil-dung und in der medialen Sicherheitskommunikation,z.B. durch moderne Lernformen, Lernmedien und In-ternet-Anwendungen,

– Ausbau der Fahrerlaubnis auf Probe durch erweiterteMaßnahmen innerhalb der Probezeit,

– Vertiefung der Kenntnisse der Zielgruppe über Vorausset-zungen und Konsequenzen der Fahrerlaubnis auf Probe.

c) Verstärkte Nutzung technischer Intelligenz durch– Einsatz von Fahrassistenzsystemen wie z.B. ESP (Elek-tronische Stabilitätskontrolle), ACC (automatische Ab-standshaltung) und von tutoriellen Fahrdatenschreibern,

– Reduzierung der hohen Quote mängelbehafteter ältererKraftfahrzeuge bei jungen Fahrern (z.B. durch finan-zielle Sicherheitsreize).

RA Volker Lempp, Stuttgart

weit der Tatrichter jedoch zu der Auffassung gelangensollte, eine drohende Kündigung stelle in Wirklichkeit –ausnahmsweise – kein Risiko des Arbeitsplatzverlustesdar, da sie in dem beschriebenen Sinne offensichtlichrechtswidrig wäre, hätte er dies mit entsprechenden tat-sächlichen Feststellungen zu begründen, um dem Rechts-beschwerdegericht eine rechtliche Überprüfung zuermöglichen. Diese Grundsätze hat das AG nicht beachtet,so dass die bisherigen Feststellungen zum Vorliegen einesHärtefalls lückenhaft sind und aus diesem Grund eben-falls keinen Bestand haben können.

Blutprobe im Fahrerlaubnis-entziehungsverfahrenBeschluss des Niedersächsischen OVG vom 16.12.09 – 12 ME 234/09 –

1. Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist wederim Straßenverkehrsgesetz noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung ein ausdrückliches Verwertungsverbotfür nicht richterlich angeordnete körperliche Unter-suchungen bestimmt.

2. Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher im überwie-genden Interesse an dem Schutz hochrangiger Rechts-güter einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern ineinem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtetenVerwaltungsverfahren auch ein unter Verstoß gegenden Richtervorbehalt des § 81 a StPO gewonnenes Er-gebnis einer Blutprobenuntersuchung berücksichti-gen, wenn aus diesem ohne Weiteres eine fehlendeKraftfahreignung des Betroffenen hervorgeht.

Aus den Gründen:

„Das mit Schreiben vom 22.09.2009 vorgebrachte Rechts-schutzbegehren des Antragstellers ist bei sachgerechterAuslegung als Antrag auf Bewilligung von Prozesskosten-hilfe für eine noch zu erhebende Beschwerde gegen denBeschluss des VG vom 08.09.2009 anzusehen, mit dem die-ses den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschut-zes gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom13.08.2009 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des An-tragstellers abgelehnt hat. Diese Auslegung liegt deshalbnahe, weil der Antragsteller die Beschwerde gegen denerstinstanzlichen Beschluss nicht selbst wirksam einlegenkann, sondern sich vor dem OVG durch einen Rechtsan-walt oder eine diesem gleichgestellte und zur Vertretungberechtigte Person gem. § 67 Abs. 4 VwGO vertreten lassenmuss. An dieser Voraussetzung, auf die in der Rechtsmit-telbelehrung des angefochtenen Beschlusses hingewiesenworden ist, fehlt es bisher. Sie kann auch nicht mehr erfülltwerden, nachdem die Frist für die Einlegung der Be-schwerde (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) abgelaufen ist.

Das danach im Interesse des Antragstellers als Antrag aufBewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtesBeschwerdeverfahren zu verstehende Begehren des An-tragstellers ist zwar zulässig, denn ein solcher Antrag unter-liegt nicht dem Vertretungszwang (§ 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO;vgl. auch § 166 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 5, § 117 Abs.1 Satz 1ZPO); er ist auch rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefristgestellt worden. Der Antrag ist aber unbegründet, weil dieVoraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskosten-hilfe nicht gegeben sind. Die beabsichtigte Rechtsverfol-gung hat nicht die nach § 114 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166VwGO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.Das VG hat im Fall des Antragstellers einen gelegentlichenKonsum von Cannabis und ein fehlendes Vermögen zurTrennung von Konsum und Fahren i.S.v. Nr. 9.2.2 der An-lage 4 zur FeV angenommen, da dieser am 20.05.2009 miteiner THC-Konzentration von 7,5 ng/ml und einem THC-COOH-Gehalt von 160 ng/ml ein Kfz geführt und in seinemSchreiben vom 24.08.2009 eingeräumt hat, in der Wochevom 23. bis 30.04.2009 Cannabis konsumiert zu haben. DieAnnahme der fehlenden Fahreignung des Antragstellers be-gegnet bei den hier infrage stehenden Werten und den vomAntragsteller gemachten Angaben zu seinem Konsumver-halten keinen Bedenken. Zur Vermeidung von Wiederho-lungen nimmt der Senat insoweit auf die Begründung desBeschlusses des VG und die dort zitierten Senatsentschei-dungen Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Der erneut mitSchreiben vom 22.09.2009 vom Antragsteller vorgebrachteEinwand, nicht unter dem Einfluss von Cannabis ein Kfz imStraßenverkehr geführt zu haben, ist durch den hier festge-stellten THC-Wert von 7,5 ng/ml widerlegt, bei dem nachverkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen von einem zeit-nahen Konsum mit einer entsprechenden Beeinträchtigungder Fahrtüchtigkeit auszugehen ist.

Der Antragsteller kann der mit Bescheid vom 13.08.2009 ver-fügten Fahrerlaubnisentziehung auch nicht mit Erfolg ent-gegenhalten, dass die Blutentnahme am 20.05.2009 ohnerichterliche Anordnung erfolgt sei und das Ergebnis der Blut-untersuchung vom 29.05.2009 daher von der Fahrerlaubnis-behörde nicht verwertet werden dürfe. Nach § 81a Abs. 2StPO steht die Anordnung einer körperlichen Untersuchungdem Richter und nur bei Gefährdung des Untersuchungser-folges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und –nachrangig – ihren Ermittlungspersonen zu. Die Frage, ob imFall des Antragstellers im Rahmen der durchgeführten Ver-kehrskontrolle am 20.05.2009 die Voraussetzungen der Ge-fährdung des Untersuchungserfolges vorgelegen haben, ist –soweit ersichtlich – bislang nicht Gegenstand einer strafge-richtlichen Entscheidung oder einer Bußgeldentscheidunggewesen. Diese Frage lässt sich im vorliegenden Verfahrenauf Grundlage der im Verwaltungsvorgang des Antragsgeg-ners befindlichen polizeilichen Ermittlungsunterlagen auchnicht abschließend beantworten. Gegen eine Gefährdung des

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AKTUELL

Arbeitskreis VIII: Neue Haftungs- undEntschädigungsregelungen in derSchifffahrtIm Lichte der in letzter Zeit auf internationaler und Ge-meinschaftsebene getroffenen neuen Regelungen zurHaftung im See- und Binnenschiffsverkehr empfiehlt derArbeitskreis Folgendes:

1. Die Revision des Straßburger Übereinkommens von1988 über die Beschränkung der Haftung in der Bin-nenschifffahrt (CLNI), die insbesondere der Aktualisie-rung der Haftungshöchstbeträge in der Binnenschifffahrtgilt, sollte genutzt werden, um eine weitestmögliche in-ternationale Rechtsvereinheitlichung zu erreichen.

2. Die internationalen Bemühungen werden begrüßt, dasÜbereinkommen über Haftung und Entschädigung fürSchäden bei der Beförderung gefährlicher und schädlicher Stoffe auf See (HNS-Übereinkommen) so zumodifizieren, dass noch bestehende Ratifikations- hindernisse beseitigt werden.

3. Die im IMO-Rechtsausschuss eingebrachte Initiative zurErhöhung der Haftungshöchstbeträge des Haftungsbe-schränkungsübereinkommens von 1996 (LLMC) solltevon der Bundesregierung unterstützt werden.

4. Mittelfristig sollte auf internationaler Ebene angestrebt wer-den, bei Verschmutzungen durch Bunkeröl die Einführungeines eigenständigen Haftungshöchstbetrages wie bei Ölhaftungs- und HNS-Übereinkommen zu ermöglichen.

5. Das Wrackbeseitigungsübereinkommen von 2007 sollteschnellstmöglich ratifiziert werden.

6. Bei der notwendigen Anpassung des innerstaatlichenRechts an die EG-Verordnung über die Unfallhaftungvon Beförderern von Reisenden auf See sollten die haf-tungsrechtlichen Regelungen auch auf Bereiche ausge-dehnt werden, die von den gemeinschaftsrechtlichenRegelungen nicht unmittelbar erfasst werden: Die Regelungen über die vertragliche Haftung des Be-förderers von Reisenden sollten für alle internationalenund innerstaatlichen Beförderungen unter Einbeziehungder Binnengewässer gelten.Die in den Haftungsbeschränkungsübereinkommen(LLMC und CLNI) vorgesehene Möglichkeit zurschiffspezifischen Haftungsbeschränkung für Ansprüchevon Reisenden wegen Tod oder Körperverletzung solltebeibehalten werden.Die Einführung einer Versicherungspflicht nach Vorbildder EG-Verordnung wird für Fahrgastschiffe in der In-landfahrt nicht für erforderlich gehalten, soweit sich dieseSchiffe nicht mehr als 15 Seemeilen von der Küste ent-fernen.

7. Im Interesse einer wirksamen Umsetzung sollte die ZPOdahin geändert werden, dass– eine örtliche Zuständigkeit für Vorgänge in der deut-schen ausschließlichen Wirtschaftszone begründet wirdund– im Fall des Arrestes eines Schiffes die Glaubhaftma-chung eines Arrestgrundes nicht erforderlich ist.

8. Die Zuständigkeit für binnenschifffahrtsrechtliche Ver-teilungsverfahren sollte nach dem Vorbild des Seerechtsauf ein einziges oder wenige Schifffahrtsgerichte inDeutschland konzentriert werden.

mit Gefälle und Kurven schon so eine Geschwindigkeits-beschränkung erwarten lässt. Dies verbunden mit derHöhe der Geschwindigkeitsüberschreitung rückt das Ver-schulden des Betr. beim Verstoß so sehr an die obereGrenze der Fahrlässigkeit zum Vorsatz hin, dass eine Er-mäßigung der Regelgeldbuße ebenso wenig in Betrachtkommt wie ein Absehen vom Fahrverbot.“

b) Soweit der Tatrichter nach – im Ergebnis offen geblie-bener – Prüfung eines Härtefalls allein im Blick auf die er-hebliche Geschwindigkeit „an der oberen Grenze derFahrlässigkeit“, die wiederholten Geschwindigkeitsbe-schränkungen und die Streckenführung mit Gefälle undKurven ein Fahrverbot gegen den bisher verkehrsrechtli-che nicht in Erscheinung getretenen Betr. für geboten er-achtet, erweist sich dies als rechtfehlerhaft.

In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass der Ge-sichtspunkt einer nachhaltigen Existenzgefährdung zu-rücktreten muss, wenn ein Betr. innerhalb einerüberschaubaren Zeitspanne wiederholt wegen erheblicherVerstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungenin Erscheinung getreten ist. Selbst ein tatsächlich drohen-der Arbeitsplatzverlust führt in diesem Fall nicht dazu, injedem Fall von der Verhängung eines Fahrverbotes abzu-sehen oder Ausnahmen für bestimmte Fahrzeugarten zu-zulassen. Dies gilt aber nur, wenn sich ein Betr. gegenüberverkehrsrechtlichen Ge- und Verboten in einschlägigerWeise vollkommen uneinsichtig zeigt. Gerade in diesemFall muss ein Fahrverbot auch bei erheblicher Härte seineBerechtigung behalten. Andernfalls könnte ein Betr. – ins-besondere als Lkw- oder Taxifahrer – die an sich unzu-mutbaren Folgen als Freibrief für wiederholtesFehlverhalten ausnutzen (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2002,88/89; OLG Hamm, NZV 1995, 498 f.; OLG Karlsruhe,NStZ-RR 2004, 313/314 f. sowie OLG Bamberg, Beschl. v.26.04.2006 – 3 Ss OWi 476/06 unter Verweis auf weitereBeschlüsse; vgl. ferner Deutscher in Burhoff [Hrsg.],Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Ver-fahren [2006], Rdnr. 728 m. w. Nachw.).

Eine solche den dargestellten Grundsätzen entsprechendeFallgestaltung, bei der trotz eines an sich in Betracht kom-menden Härtefalls die Verhängung eines Fahrverbotesgleichwohl geboten ist, liegt aber nach den Feststellungendes AG bei dem bisher verkehrsrechtlich nicht vorbelas-teten Betr. nicht vor, so dass das Urteil insoweit keinenBestand haben kann.

c) Entgegen der Ansicht der GenStA rechtfertigt dieserRechtsfehler aber keine eigene Sachentscheidung des Se-nats gem. § 79 VI OWiG und einen gänzlichen Wegfall desFahrverbots, da die bisherigen Feststellungen des AG zumVorliegen eines Härtefalls lückenhaft und damit ebenfallsrechtsfehlerhaft sind (§ 267 l 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG).

(aa) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechungkann wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehand-lung aller Verkehrsteilnehmer ein Absehen von einem ansich als Regelfall verwirklichten Fahrverbot nur gerecht-fertigt sein, wenn dieses zu einer massiven Gefährdung derwirtschaftlichen Existenz des Betr. führt, also eine „exis-tenzvernichtende“ außergewöhnliche Härte vorliegt(OLG Karlsruhe, NZV 2006, 326/327). Dabei müssen abervom Betr. „in substanziierter Weise Tatsachen vorgetra-gen“ werden, welche die Annahme einer Existenzgefähr-dung „greifbar erscheinen lassen“ (BVerfG, NJW 1995,1541). Der Tatrichter hat dabei im Rahmen der von ihm zutreffenden Entscheidung die Gefährdung des Arbeits-platzes bzw. der wirtschaftlichen Existenzgrundlage desBetr. positiv festzustellen und die seiner Einschätzung zu-grunde liegenden Tatsachen in den Urteilsgründen einge-hend darzulegen. Die Ausführungen des Gerichts dürfensich in einem solchen Fall nicht auf die unkritische Wie-dergabe der Einlassung des Betr. beschränken (OLGHamm, DAR 2007, 97/98 m. w. Nachw.).

bb) Soweit der Tatrichter hier zu Gunsten des Betr. alswahr unterstellt, dass „er im Fall eines einmonatige Fahr-verbotes gekündigt würde“, wird zutreffend erkannt, dassbereits die tatsächliche Gefahr eines Arbeitsplatzverlustesdurch Kündigung eine unverhältnismäßige Härte darstel-len kann. Dabei ist dem Betr. auch das Risiko, die Recht-mäßigkeit einer solchen Kündigung einer Klärung durchdie Arbeitsgerichte zuzuführen, grundsätzlich nicht zuzu-muten (OLG Bamberg, Beschl. v. 29.09.2008 – 3 Ss OWi1105/2008; OLG Gelle, NStZ-RR 1996,182; OLG Bran-denburg, NStZ-RR 2004, 93; Burhoff/Deutscher Hand-buch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 2.Aufl. 2008 Rdnr. 877; Henschel/König/Dauer Straßenver-kehrsrecht 40. Aufl. StVG § 25 Rdnr. 25) Doch bedeutetdies nicht, dass der Amtsrichter bei seiner Entscheidungüber die Verhängung eines Fahrverbotes, jede Kündi-gungsdrohung zu Grunde legen darf, ohne zu prüfen, obsie rechtlichen Bestand hätte, falls sie verwirklicht wird.Ist es offensichtlich, dass die angedrohte Kündigungrechtswidrig wäre, darf er nicht wegen dieser Drohung aufein Fahrverbot verzichten. Denn bei einer offensichtlichrechtswidrigen Kündigung trägt der Betr. gegen den trotzKündigungsdrohung ein Fahrverbot verhängt wird, inWirklichkeit kein Risiko des Arbeitsplatzverlustes oderaber dieses Risiko ist so gering, dass der Grundsatz derVerhältnismäßigkeit gewahrt bleibt (OLG Brandenburg,NStZ-RR 2004, 93). Auch im Fall der Wahrunterstellungeiner drohenden Kündigung hat der Tatrichter daher einentsprechendes Vorbringen des Betr. dahingehend aufseine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Dies wird in der Regeldurch Vernehmung des Arbeitgebers bzw. des für Perso-nalfragen zuständigen Mitarbeiters zu erfolgen haben. So-

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RECHTSPRECHUNG RECHTSPRECHUNG

Aus den Gründen:

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass ein Ge-schädigter auch bei fiktiver Abrechnung der Reparatur-kosten auf der Grundlage eines Sachverständigen-gutachtens die Stundenverrechnungssätze einer marken-gebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen dürfe und sichnicht auf etwa günstigere Stundenverrechnungssätze einernicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen lassenmüsse. Zwar habe der BGH in seinem „Porsche-Urteil“vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02 – BGHZ 155, 1 ff. = DAR2003, 373 m. Anm. Reitenspiess ausgeführt, dass der Ge-schädigte, der eine ihm mühelos und ohne Weiteres zu-gängliche günstigere und gleichwertige Reparatur-möglichkeit habe, sich auf diese verweisen lassen müsse.Auch könne im Streitfall davon ausgegangen werden, dassdie Reparaturarbeiten durch die seitens des Haftpflicht-versicherers des Bekl. benannte Werkstatt „rein technischbetrachtet“ gleichwertig erbracht werden könnten. Jedochkönne bei der Ermittlung der Reichweite des Begriffs der„Gleichwertigkeit“ i.S.d. vorgenannten Entscheidung desBGH nicht allein auf die technische Vergleichbarkeit ab-gestellt werden. Vielmehr müsse der in der Praxis hono-rierte wortbildende Faktor einer Reparatur in einermarkengebundenen Fachwerkstatt Berücksichtigung fin-den, um der Dispositionsbefugnis und der dem Geschä-digten zustehenden Ersetzungsbefugnis in ausreichenderWeise gerecht zu werden.

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprü-fung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend von dem Senatsur-teil BGHZ 155, 1 ff. = DAR 2003, 373 (sog. Porsche-Ur-teil) ausgegangen, in welchem der Senat entschieden hat,dass der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten ab-rechnet, der Schadensberechnung grundsätzlich die Stun-denverrechnungssätze einer markengebundenen Fach -werkstatt zugrunde legen darf.

Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatzzu leisten, kann der Geschädigte vom Schädiger gem. § 249Abs. 2 Satz l BGB den zur Herstellung erforderlichenGeldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist,richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaft-lich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Ge-schädigten verhalten hätte (vgl. Senatsurteile BGHZ 61,346, 349 f.; 132, 373, 375 f. = DAR 1996, 314; vom 04.12.1984DAR 1985, 121 und vom 15.02.2005 DAR 2005, 270). DerGeschädigte leistet im Reparaturfall dem Gebot zur Wirt-schaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich inden für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrech-nung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer mar-kengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein vonihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemei-nen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. SenatsurteilBGHZ 155, 1, 3 = DAR a.a.O.). Wählt der Geschädigteden vorbeschriebenen Weg der Schadensberechnung undgenügt er damit bereits dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, so begründen besondere Um-stände, wie das Alter des Fahrzeuges oder seine Laufleis-tung keine weitere Darlegungslast des Geschädigten.

Stundenverrechnungssätze bei fiktiver SchadensberechnungUrteil des BGH vom 20.10.09 – VI ZR 53/09 –

1. Der Geschädigte darf seiner (fiktiven) Schadensberechnung grundsätzlich dieüblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerk-

statt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachver-ständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelthat (Bestätigung des Senatsurteils BGHZ 155, 1 ff.).

2. Will der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht imSinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne wei-teres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, muss der Schädiger darlegen und ggf. bewei-sen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einermarkengebundenen Fachwerkstatt entspricht.

3. Zur Frage, unter welchen Umständen es dem Geschädigten gleichwohl unzumutbar sein kann, sichauf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerk-statt verweisen zu lassen.

Ortstafel aufgrund der ohne Weiteres erkennbaren äuße-ren Situation (Art der Bebauung) jedermann aufdrängt.Bei Feststellung solcher – ohne Aufwand zu ermitteln-den – äußeren Umstände wird sich die für die Anordnungeines Fahrverbots erforderliche grobe Pflichtverletzungauch bei Unkenntnis der konkreten Geschwindigkeitsbe-schränkung infolge Übersehens eines Zeichens allenfallsbei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände verneinenlassen.“Ausgehend von diesen Grundsätzen fehlt es im angefoch-tenen Urteil an Feststellungen dazu, ob es vor oder im Be-reich der Messstelle äußere Umstände wie eine mehrfacheWiederholung des die Geschwindigkeit begrenzendenVerkehrszeichen, einen sogenannten Geschwindigkeits-trichter oder einen Baustellenbereich gab, die den Vorwurfder groben Pflichtverletzung gegen den Betr. beim Nicht-beachten der Geschwindigkeitsbeschränkung begründenkönnten – nur wenn diese festgestellt werden können, be-stünde eine ausreichende Grundlage für die Verhängungdes Regelfahrverbots gegen den Betr.

2. Der Umstand, dass der Betr. ein beidseitig aufgestelltesVerkehrszeichen nicht beachtet hat, genügt für sich alleingenommen nicht, um ihm ein auch in subjektiver Hinsichtgrob pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen. Der vor-stehend zitierten Grundsatzentscheidung des BGH lag eininnerörtlicher Geschwindigkeitsverstoß nach einem beid-seitig aufgestellten, die zulässige Höchstgeschwindigkeitbeschränkenden Verkehrszeichen zu Grunde. Die Tatsa-che, dass der BGH dies nicht zum Anlass genommen hat,das Vorliegen eines grob pflichtwidrigen Verhaltens desdort Betr. zu diskutieren, lässt den Schluss zu, dass derBGH das Übersehen eines beidseitig aufgestellten Ver-kehrszeichens allein nicht für die Verhängung eines Re-gelfahrverbots genügen lassen will (vgl entsprechend denBeschluss des 1. Senats des Brandenburgischen OLG vom30.10.2007 – 1 Ss (OWi) 192 B/07 –). Auch der Senat teiltdiese Auffassung. Die Lebenserfahrung zeigt, dass es inAusnahmefällen Verkehrssituationen gibt, in denen dieAufmerksamkeit eines Kraftfahrzeugführers so abgelenktwerden kann, dass dieser auch ein beidseitig aufgestelltesVerkehrszeichen übersehen kann, ohne dass ihm dafürmehr als nur der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit gemachtwerden kann. Zudem gibt es Verkehrssituationen, indenen zumindest die Sicht auf eines der beidseitig aufge-stellten Verkehrszeichen verdeckt sein kann. Ebenso ist esmöglich, dass Geschehnisse innerhalb des Fahrzeugs einekurzzeitige Ablenkung des Fahrzeugführers bewirken, dieihn ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen ebensoübersehen lassen wie ein nur einseitig aufgestelltes.Schließlich ist gerade bei längeren Autobahnfahrten mitgeringer Verkehrsdichte das Phänomen bekannt, dass dieAufmerksamkeit des Fahrzeugführers allmählich nach-lässt; in all diesen Fällen mag der Vorwurf der einfachen

Fahrlässigkeit gegen den Fahrzeugführer begründet sein,nicht jedoch notwendigerweise der eines auch in subjekti-ver Hinsicht groben Pflichtenverstoßes.

3. Auch der Umstand, dass der Betr. hier nach seiner eige-nen Einlassung das die Geschwindigkeit begrenzende Ver-kehrszeichen übersehen hatte, weil er sich mit anderen imPkw befindlichen Personen unterhalten hatte, begründetnicht den Vorwurf des grob pflichtwidrigen Verhaltensgegen ihn. Dass ein Fahrzeugführer sich mit anderen Per-sonen im Pkw unterhält, ist ein normales menschlichesVerhalten, das regelmäßig nicht zu einer relevanten Ver-ringerung der gebotenen Aufmerksamkeit des Fahrzeug-führers für das Verkehrsgeschehen führt.

4. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass neue Fest-stellungen zum Verkehrsverstoß auch Anlass für eine ab-weichende Bemessung der gegen den Betr. verhängtenGeldbuße geben können, hebt er den Rechtsfolgenaus-spruch des angefochtenen Urteils insgesamt auf.

Fahrverbot und ExistenzgefährdungBeschluss des OLG Bamberg vom 22.01.09 – 2 Ss OWi 5/09 –

Zum Absehen vom Fahrverbot bei erheblicher Ge-schwindigkeitsübertretung, wenn sich der Betroffeneauf das Vorliegen eines Härtefalles wegen drohendenArbeitsplatzverlustes beruft.

Aus den Gründen:

Das angefochtene Urteil hält in Bezug auf die Verhängungeines Fahrverbots einer sachlich-rechtlichen Überprüfungnicht stand, da die Urteilsgründe insoweit rechtsfehlerhaftund lückenhaft sind (§ 267 I 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG).Die Feststellung des AG zum Vorliegen eines Ausnahme-falls von einer außergewöhnlichen Härte sind rechtsfeh-lerhaft.

a) Zur Frage der Verhängung eines Fahrverbotes führt dasAG im Einzelnen aus:

„Allerdings hat der Betr. behauptet, dass er im Falle eineseinmonatigen Fahrverbotes gekündigt würde, was als wahrunterstellt worden ist. Ob eine derartige Kündigung an-gesichts der Möglichkeit, das Fahrverbot innerhalb von4 Monaten zu beginnen, erfolgreich ausgesprochen wer-den könnte, kann aber dahinstehen, weil auch dies ange-sichts des Maßes und der Umstände der Geschwindig-keitsüberschreitung nicht zu einem Absehen von einemRegelfahrverbot von einem Monat führen kann, dies auchnicht angesichts des Fehlens von Vorahndungen. Die Ver-kehrszeichen, welche hier wiederholt und überdeutlich dieGeschwindigkeitsbeschränkungen anordnen, können auchvon einem nur ganz mäßig aufmerksam Autofahrer über-haupt nicht übersehen werden, zumal die Streckenführung

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RECHTSPRECHUNG

2. In seinem Urteil BGHZ 155, 1 ff. = DAR a.a.O. ist derSenat dem dortigen Berufungsgericht vom Ansatz her aller-dings auch in der Auffassung beigetreten, dass der Geschä-digte, der mühelos eine ohne Weiteres zugänglichegünstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sichauf diese verweisen lassen muss. Rechnet der Geschädigte –konkret oder fiktiv – die Kosten der Instandsetzung als Scha-den ab und weist er die Erforderlichkeit der Mittel durcheine Reparaturkostenrechnung oder durch ein ordnungsge-mäßes Gutachten eines Sachverständigen (vgl. BGHZ,a.a.O. S. 4) nach, hat der Schädiger die Tatsachen darzulegenund zu beweisen, aus denen sich ein Verstoß gegen die Scha-densminderungspflicht i. S. d. § 254 Abs. 2 BGB ergibt.

a) Welche konkreten Anforderungen in diesem Zusam-menhang an eine „gleichwertige“ Reparaturmöglichkeitzu stellen sind, konnte im vorgenannten Senatsurteil offenbleiben, weil der dort vom Berufungsgericht der Scha-densabrechnung zugrunde gelegte abstrakte Mittelwertder Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Mar-ken- und freien Fachwerkstätten einer Region als statis-tisch ermittelte Rechengröße nicht den zurWiederherstellung erforderlichen Betrag repräsentierte.Im vorliegenden Fall ist die Frage jedoch von Bedeutung,weil nach dem im Streitstand des Berufungsurteils refe-rierten Vortrag des Bekl. die aufgezeigte, dem Kl. ohneWeiteres zugängliche Karosseriefachwerkstatt in der Lageist, die Reparatur ebenso wie jede markengebundeneFachwerkstatt durchzuführen. Da das Berufungsgericht –von seinem Standpunkt aus folgerichtig – die vom Kl. zu-lässigerweise (vgl. § 138 Abs. 4 ZPO) mit Nichtwissen be-strittene technische Gleichwertigkeit der Reparatur, ohneFeststellungen zu treffen, lediglich unterstellt hat, ist hier-von für die rechtliche Prüfung auszugehen.

b) Die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungenes dem Geschädigten im Rahmen seiner Schadensminde-rungspflicht i.S.d. § 254 Abs. 2 BGB bei der (fiktiven)Schadensabrechnung zumutbar ist, sich auf eine kosten-günstigere Reparatur in einer nicht markengebundenenFachwerkstatt verweisen zu lassen, ist in der Literatur undinstanzgerichtlichen Rspr. umstritten (vgl. zum Überblicküber den Meinungsstand etwa Figgener NJW 2008, 1349 ff.und NZV 2008, 633 f.; Rütten, SVR 2008, 241 ff.; BalkeSVR 2008, 56 ff; Zschieschack NZV 2008, 326 ff.; EggertVerkehrsrecht aktuell 2007, 141 ff.; Engel DAR 2007, 695ff.; Nugel zfs 2007, 248 ff. und Wenker VersR 2005, 917 ff.).

c) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist eine dif-ferenzierte Betrachtungsweise geboten, die sowohl demInteresse des Geschädigten an einer Totalreparation alsauch dem Interesse des Schädigers an einer Geringhaltungdes Schadens angemessen Rechnung trägt.

aa) Die Zumutbarkeit für den Geschädigten, sich auf einekostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebun-

denen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, setzt – wovonauch das Berufungsgericht ausgegangen ist und was vonder Revision nicht in Zweifel gezogen wird – jedenfallseine technische Gleichwertigkeit der Reparatur voraus.Will der Schädiger mithin den Geschädigten unter demGesichtspunkt der Schadensminderungspflicht i.S.d. § 254Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit ineiner mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freienFachwerkstatt“ verweisen, muss der Schädiger darlegenund ggf. beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstattvom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer mar-kengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Dabei sind demVergleich die (markt-)üblichen Preise der Werkstätten zu-grunde zu legen. Das bedeutet insbesondere, dass sich derGeschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungs-pflicht nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerk-stätten des Haftpflichtversicherers des Schädigersverweisen lassen muss. Andernfalls würde die ihm nach§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnisunterlaufen, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehe-bung in eigener Regie eröffnet (vgl. Senatsurteile BGHZ143, 189, 194 f. = DAR 2000, 159 m. Anm. Weigel; vom21.01.1992 DAR 1992, 172; vom 06.04.1993 DAR 1993, 251und vom 12.07.2005 DAR 2005, 617). Dies entspricht demgesetzlichen Bild des Schadensersatzes, nach dem der Ge-schädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist und grund-sätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigtenSache verfährt (vgl. Senatsurteile BGHZ 143, 189, 194 f. =DAR a.a.O. und vom 12.07.2005 – VI ZR 132/04 – a.a.O.).

bb) Steht unter Berücksichtigung dieser Grundsätze dieGleichwertigkeit der Reparatur zu einem günstigerenPreis fest, kann es für den Geschädigten gleichwohl unterdem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht unzu-mutbar sein, eine Reparaturmöglichkeit in dieser Werk-statt in Anspruch zu nehmen. Dies gilt vor allem beiFahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren. Denn bei neuenbzw. neuwertigen Kfz muss sich der Geschädigte im Rah-men der Schadensabrechnung grundsätzlich nicht auf Re-paraturmöglichkeiten verweisen lassen, die ihm bei einerspäteren Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten,einer Herstellergarantie und/oder von KulanzleistungenSchwierigkeiten bereiten könnten. Im Interesse einergleichmäßigen und praxisgerechten Regulierung bestehendeshalb bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahrengrundsätzlich keine rechtlichen Bedenken gegen eine (ge-nerelle) tatrichterliche Schätzung der erforderlichen Re-paraturkosten nach den Stundenverrechnungssätzen einermarkengebundenen Fachwerkstatt.

cc) Bei Kfz, die älter sind als drei Jahre, kann es für denGeschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmender Schadensabrechnung auf eine alternative Reparatur-möglichkeit außerhalb einer markengebundenen Fach-werkstatt verweisen zu lassen. Denn auch bei älteren

Übersehen einer Geschwindig-keitsbeschränkungBeschluss des Brandenburgischen OLG vom 27.07.09 – 2 Ss(OWi) 87 B/09 –

Beruft sich ein Kraftfahrzeugführer darauf, ein die zu-lässige Höchstgeschwindigkeit beschränkendes Ver-kehrszeichen übersehen zu haben, und ist ihm dieseEinlassung nicht zu widerlegen, so kann die Verhän-gung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung derPflichten eines Kraftfahrzeugführers nicht allein dar-auf gestützt werden, dass das Verkehrszeichen beid-seitig aufgestellt war.

Aus den Gründen:

Das Rechtsmittel des Betr. ist begründet. Die Ausführun-gen, mit denen das AG die Verhängung eines Fahrverbotsgegen den Betr. begründet hat, halten rechtlicher Überprü-fung nicht stand. Die Feststellungen, die das AG zum Ver-kehrsverstoß getroffen hat, bilden keine ausreichendeGrundlage für die Entscheidung, gegen den Betr. ein Re-gelfahrverbot zu verhängen, weil sie unvollständig sind.Dies ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der aufgrund derSachrüge zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenaus-spruch führt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl Senatvom 2. April 2009 – 2 Ss (OWi) 29 B/09 – und vom 26. März2009 – 2 Ss (OWi) 30 B/09 –); darüber hinaus ist die vomAG herangezogene Begründung, gegen den Betr. (gleich-wohl) ein Regelfahrverbot zu verhängen, rechtsfehlerhaft.

1. Das AG hat einen Verkehrsverstoß des Betr. festgestellt,bei dem nach der lfd. Nr 11.3.7 BKatV Anhang i.V.m. § 4Abs 1 S 1 Nr 1 BKatV die Anordnung eines Fahrverbotsvon 1 Monat wegen grober Verletzung der Pflichten einesKraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht kommt. Beidieser Zuwiderhandlung ist eine grobe Verletzung derPflichten eines Kraftfahrzeugführers, bei der nach § 25Abs 1 S 1 StVG ein Fahrverbot verhängt werden kann, in-diziert. Dabei betrifft die Indizwirkung zunächst, soweitkeine gegenteiligen Anhaltspunkte erkennbar sind, sowohldie objektive als auch die subjektive Seite des Vorwurfs.Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – die Geschwindig-keitsüberschreitung auf einer Autobahn, auf der es grund-sätzlich keine Geschwindigkeitsbeschränkung gibt,begangen wurde und ihr die Nichtbeachtung eines die zu-lässige Höchstgeschwindigkeit beschränkenden Verkehrs-zeichens zu Grunde liegt, weil grundsätzlich davonausgegangen werden kann, dass derartige Verkehrszei-chen von den Verkehrsteilnehmern auch wahrgenommenwerden. Beruft sich der Betr. aber darauf, das geschwin-digkeitsbeschränkende Verkehrszeichen übersehen zuhaben und ist ihm diese Einlassung nicht zu widerlegen,gilt eine Besonderheit;

In einem solchen Fall steigt mit dem Ausmaß der Über-schreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwar dasobjektive Gewicht des Verkehrsverstoßes, nicht jedoch des-sen subjektive Vorwerfbarkeit. Diese besteht – unabhängigvom Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstge-schwindigkeit – nur darin, dass der Betr. das die Geschwin-digkeit beschränkende Verkehrszeichen übersehen hat. DieVerhängung eines Fahrverbots gegen ihn ist dann nur mög-lich, wenn gerade diese Fehlleistung ihm als grob pflicht-widriges Verhalten vorgeworfen werden kann, diese alsoauf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht.Der BGH hat hierzu in seiner grundlegenden Entschei-dung vom 11. September 1997 – 4 StR 638/96 – (BGHSt43, 241 f.) Folgendes ausgeführt:

„Dem Kraftfahrzeugführer kann das für ein Fahrverbot er-forderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgewor-fen werden, wenn der Grund für die von ihm begangeneerhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt,dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zei-chen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade dieseFehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeitoder Gleichgültigkeit. Für die Bewertung seines Verschul-dens ist es, solange er die ohne das Vorschriftszeichen maß-gebliche Höchstgeschwindigkeit einhält, ohne Belang, ober die durch das Vorschriftszeichen angeordnete Ge-schwindigkeit weniger oder mehr überschreitet. Das Maßder Pflichtverletzung hängt nur davon ab, wie sehr ihn dasÜbersehen des Schildes zum Vorwurf gereicht. Das erheb-liche Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf dasdie Regelbeispielsfälle der Tabelle 1 a zu Buchst. c) abstel-len, lässt aber keinen Schluss darauf zu, dass der Fahr-zeugführer das Vorschriftszeichen wahrgenommen odergrob pflichtwidrig nicht wahrgenommen hat.

Beruft sich der Kraftfahrer darauf, dass er ein Geschwin-digkeitszeichen 274 (oder eine Ortstafel) schlicht überse-hen hat, und kann ihm diese Einlassung nicht widerlegtwerden, so scheidet die Verhängung eines Fahrverbotswegen der Überschreitung gleichwohl nicht notwendigaus. Ist das gleiche Zeichen 274 im Verlaufe der vor derMessstelle befahrenen Strecke mehrfach wiederholt wor-den oder geht etwa der Messstelle ein sogenannter Ge-schwindigkeitstrichter voraus, durch den die zulässigeHöchstgeschwindigkeit stufenweise mittels mehrerernacheinander aufgestellter Vorschriftszeichen herabge-setzt wird, so hat der betroffene Verkehrsteilnehmer –wenn der Tatrichter seine Einlassung nicht schon aufgrunddieser Umstände als widerlegt ansieht, was allerdings re-gelmäßig naheliegt – die gebotene Aufmerksamkeit ingrob pflichtwidriger Weise außer Acht gelassen. Dasselbegilt in Fällen, in denen sich die Anordnung einer Ge-schwindigkeitsbeschränkung durch Vorschriftszeichen 274der StVO (beispielsweise im Baustellenbereich einer Bun-desautobahn) oder durch § 3 Abs 3 Nr 1 StVO i.V.m. der

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RECHTSPRECHUNG

Fahrzeugen kann – wie vom Berufungsgericht im Aus-gangspunkt zutreffend angenommen – die Frage Bedeu-tung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet,„scheckheftgepflegt“ oder ggf. nach einem Unfall repa-riert worden ist. Dabei besteht – wie entsprechende Hin-weise in Verkaufsanzeigen belegen – bei einem großen Teildes Publikums insbesondere wegen fehlender Überprü-fungsmöglichkeiten die Einschätzung, dass bei einer (re-gelmäßigen) Wartung und Reparatur eines Kfz in einermarkengebundenen Fachwerkstatt eine höhere Wahr-scheinlichkeit besteht, dass diese ordnungsgemäß undfachgerecht erfolgt ist. Deshalb kann auch dieser Umstandes rechtfertigen, der Schadensabrechnung die Stunden-verrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerk-statt zugrunde zu legen, obwohl der Schädiger oder dessenHaftpflichtversicherer dem Geschädigten eine ohne Wei-teres zugängliche, gleichwertige und günstigere Repara-turmöglichkeit aufzeigt. Dies kann etwa auch dann derFall sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt (zur se-kundären Darlegungslast vgl. etwa Senatsurteil BGHZ163, 19, 26 = DAR 2005, 438), dass er sein Kfz bisher stetsin der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten undreparieren lassen oder – im Fall der konkreten Schadens-berechnung – sein besonderes Interesse an einer solchenReparatur durch die Reparaturrechnung belegt. Dabeikann der Tatrichter u.a. nach § 142 ZPO anordnen, dassder Geschädigte oder ein Dritter die in ihrem oder seinemBesitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen,auf die sich der Geschädigte bezogen hat, etwa das„Scheckheft“ oder Rechnungen über die Durchführungvon Reparatur- und/oder Wartungsarbeiten, vorlegt.

3. Nach diesen Grundsätzen kann das Berufungsurteilnicht Bestand haben. Da der Kl. keine erheblichen Um-stände dargetan hat, nach denen ihm eine Reparatur seines9 1/2 Jahre alten Fahrzeugs außerhalb einer markenge-bundenen Fachwerkstatt auch unter dem Gesichtspunktseiner Schadensminderungspflicht unzumutbar seinkönnte, war der Bekl. nicht daran gehindert, den Kl. aufeine gleichwertige günstigere Reparaturmöglichkeit zuverweisen. Im Streitfall war das Urteil des Berufungsge-richts mithin aufzuheben und an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen, weil das Berufungsgericht zur Frage derGleichwertigkeit der aufgezeigten alternativen Repara-turmöglichkeit noch keine Feststellungen getroffen hat.

Restwertermittlung bei TotalschadenUrteil des BGH vom 13.10.09 – VI ZR 318/08 –

1. Im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens kannder Geschädigte, der ein Sachverständigengutachteneinholt, das eine korrekte Wertermittlung erkennenlässt, und im Vertrauen auf den darin genannten Rest-

wert und die sich daraus ergebende Schadensersatz-leistung des Unfallgegners sein Fahrzeug reparierenlässt und weiternutzt, seiner Schadensabrechnunggrundsätzlich diesen Restwertbetrag zugrunde legen.

2. Der vom Geschädigten mit der Schadensschätzungzum Zwecke der Schadensregulierung beauftragteSachverständige hat als geeignete Schätzgrundlagefür den Restwert im Regelfall drei Angebote auf demmaßgeblichen regionalen Markt zu ermitteln unddiese in seinem Gutachten konkret zu benennen.

Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht meint, jedenfalls dann, wenn vonSeiten des Gerichts nicht beurteilt werden könne, auf wel-cher Grundlage der vom Kl. beauftragte Sachverständigeden Restwert bestimmt habe, könne dieser nicht alleinmaßgeblich für die Schadensberechnung sein. In diesemFall könne und müsse das Gericht ggf. unter sachverstän-diger Beratung nach § 287 ZPO die Höhe des Restwertesschätzen. Bei der Bestimmung des Restwertes müsse sichder Kl. zwar nicht auf das Angebot des in Frankfurt an-sässigen spezialisierten Restwertaufkäufers in Höhe von4.210 € verweisen lassen, weil dieses außerhalb des demKl. zugänglichen allgemeinen regionalen Marktes abge-geben worden sei und die Bekl. den Kl., der Herr des Re-stitutionsverfahrens sei, durch die Unterbreitung einessolchen Angebotes nicht zum Verkauf des Fahrzeugs zwin-gen könne. Die Bekl. habe jedoch den Nachweis erbracht,dass auf dem relevanten regionalen Markt ein höhererRestwert als der vom Kl. veranschlagte Betrag von1.000 € zu realisieren gewesen sei. Der vom AG beauf-tragte gerichtliche Sachverständige habe Angebote vonAutohäusern im regionalen Bereich eingeholt, die sich imBereich zwischen 1.000 €, 2.500 € und 2.560 € bewegt hät-ten. Dabei sei dem Kl. jedenfalls eine naheliegende tele-fonische Anfrage bei der MB.-Niederlassung in der StadtS. zumutbar gewesen, die nach dem Ergebnis der Beweis-aufnahme zu einem Angebot von 2.500 € geführt hätte.Mit Blick auf die deutlichen Preisunterschiede bei örtli-chen Markenfachhändlern sei der Restwert deshalb auf2.000 € zu schätzen.

II. 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend von der Rspr. deserkennenden Senats (vgl. BGHZ 171, 287, 290 f. = DAR2007, 325 und Senatsurteil vom 10.07.2007 DAR 2007, 634)ausgegangen, wonach sich der Geschädigte, der im Total-schadensfall sein unfallbeschädigtes Fahrzeug – ggf. nacheiner (Teil-)Reparatur – weiter nutzt, bei der Abrechnungnach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten i.d.R. den ineinem Sachverständigengutachten für den regionalenMarkt ermittelten Restwert in Abzug bringen lassen muss.Diesen Wert hat es im Rahmen der vom Gerichtssachver-ständigen ermittelten drei Angebote auf einen Zwischen-wert von 2.000 € geschätzt.

Rechtsprechung aufgezeigt und veröffentlicht worden(insbesondere mit den Beschl. v. 12.02.2007 = NJW 2007,1345 und v. 31.10.2007 – 2 BvR 1346/07 – juris). Auch zumZeitpunkt der hier in Frage stehenden Anordnung“ –Tat-zeit in dem der Entscheidung des OLG Hamm zu Grundeliegenden Sachverhalt war der 01.05.2008, somit wenigerals zwei Wochen nach dem Tatzeitpunkt im vorliegendenFall – „war die Relevanz des Richtervorbehalts nach§ 81 a II StPO in der Rechtsprechung des BVerfG damitschon mehr als ein Jahr bekannt. Von einem Ausschlussder objektiven Willkür, weil zum Anordnungszeitpunktdie entsprechenden Rechtsfragen noch im Streit waren ...kann daher nicht mehr die Rede sein ... Die Schwere desVerstoßes ergibt sich hier also nicht daraus, dass ein Poli-zeibeamter im Einzelfall die Voraussetzungen des Rich-tervorbehalts verkannt oder nicht geprüft hat, sonderndaraus, dass dessen Voraussetzungen ... aufgrund langjäh-riger Praxis, also gleichsam einem ‚Fehler im System‘, un-geprüft geblieben sind.“

Zwar ist hier eine langjährige Praxis nicht festgestellt wor-den. Der Fehler im System bestand allerdings darin, dassdie Anordnung von Blutproben ausnahmslos dem Rich-tervorbehalt entzogen worden war.

Die bei Taten im Zusammenhang mit Alkohol und Dro-gen typischerweise bestehende abstrakte Gefahr, dassdurch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweisder Tatbegehung erschwert oder gar verhindert wird, kannfür sich allein jedoch noch nicht für die Annahme einerGefährdung des Untersuchungserfolges als ausreichendangesehen werden. Andernfalls würden die konkretenUmstände des Einzelfalles, etwa im Hinblick auf die je-weilige Tages- oder Nachtzeit, die jeweiligen Besonder-heiten am Ort der Kontrolle, die Entfernung zurDienststelle bzw. zum Krankenhaus mit Erreichbarkeiteines Arztes oder den Grad der Alkoholisierung und sei-ner Nähe zu rechtlich relevanten Grenzwerten, völligaußer Acht gelassen (OLG Bamberg NJW 2009, 2146 f.).

So waren beispielsweise auch Fälle dem Richtervorbehaltentzogen, bei denen bei einer Atemalkoholmessung eineerhebliche Alkoholisierung festgestellt wurde, so dass eswegen klar zu erwartender Überschreitung der die Straf-barkeit begründenden Grenzwerte auf die Feststellungdes genauen Blutalkoholwertes nicht ankam (vgl.Dencker, DAR 2009, 257, 258 mit weiteren Beispielen, indenen Gefahr im Verzug nicht anzunehmen ist). Aller-dings sahen das LG Braunschweig (Beschl. v. 04.01.2008, 9Qs 381/07 [juris] und das LG Hamburg (Beschl. v.12.11.2007, 603 Qs 470/07 [juris]) beim Verdacht auf Trun-kenheitsfahrten eine Dringlichkeit als „evident“ an. Dem-gegenüber hatte das OLG Stuttgart mit Beschl. v.26.11.2007 (Ss 532/07 [juris]) – also vor der dem Zeugen

G... zur Kenntnis gebrachten E-Mail – bei einem Sachver-halt, dem ebenfalls der Verdacht auf Teilnahme am Stra-ßenverkehr unter Drogeneinfluss zu Grunde lag,ausgeführt, dass die formellen Voraussetzungen für dieAnordnung durch den Polizeibeamten nicht vorgelegenhätten, zumal im Idealfall die richterliche Anordnung bin-nen einer Viertelstunde telefonisch hätte erreicht werdenkönnen. Auch das Hanseatische OLG Hamburg hatte imBeschl. v. 04.02.2008 (2-81/07 [REV] – 1 Ss 226/07 [juris])ausgeführt, dass in den Ermittlungsakten die Gefährdungdes Untersuchungserfolges einzelfallbezogen zu begrün-den sei. Nicht ausreichend sei beim Nachweis von Alkoholund Drogen die typischerweise bestehende Gefahr, dassdurch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweiserschwert oder gar verhindert werde.

Somit gab es bereits vor der dem Zeugen G... übermittel-ten Mail obergerichtliche Entscheidungen, in denen be-gründet dargelegt wurde, dass nicht pauschal für jeden Falleiner Blutentnahme bei Verdacht einer Alkohol- oderDrogenfahrt bei Einschaltung eines Richters ein Beweis-mittelverlust drohte.

Diesen gewichtigen Argumenten hätte sich die Polizeifüh-rung nicht verschließen dürfen. Dem Aspekt eines mögli-chen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufskommt bei derartiger Verkennung des Richtervorbehaltskeine Bedeutung zu (vgl. BGHSt 51. Band, 285, 295, 296).

c) Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben. Da eseiner rechtlich zulässigen Grundlage für den Nachweiseiner Fahrt des Betr. unter Drogeneinfluss fehlt und nichtersichtlich ist, dass dieser auf andere Weise erlangt wer-den kann, war der Betr. durch den Senat gem. § 79 VIOWiG freizusprechen. Zwar hat der Betr. nach Belehrungeingeräumt, täglich Cannabis zu konsumieren. Allein da-durch kann jedoch die erforderliche Feststellung, dass erunter der Wirkung berauschender Mittel im Straßenver-kehr ein Kraftfahrzeug geführt hat, nicht getroffen wer-den. Eine solche Wirkung liegt nämlich nur vor, wenn eineder in der Anlage zu § 24 a StVG genannten Substanzenim Blut nachgewiesen wird. Dieser Nachweis ist wegen derUnverwertbarkeit der Blutprobe nicht möglich.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG in Ver-bindung mit § 467 StPO.

4. Zwar weicht der Senat mit dieser Entscheidung vonOLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.06.2009, 1 Ss 183/08, (juris)ab. Eine Vorlage an den BGH war aber nicht erforderlich,da das OLG Karlsruhe zu erkennen gegeben hat, dass eseine grobe Verkennung der Rechtslage – und damit einVerwertungsverbot – durch die bei seiner Entscheidungzu beurteilende Dienstanweisung nur bis zu seiner Ent-scheidung verneint hat.

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RECHTSPRECHUNG

2. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchsist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besondersfrei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur dar-aufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätzeder Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemes-sungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schät-zung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl.Senatsurteile BGHZ 92, 84, 86 f.; 102, 322, 330; 161, 151,154 = DAR 2005, 78; Urteil vom 09.12.2008 VersR 2009,408, 409 und vom 09.06.2009 DAR 2009, 452 m. Anm.Ernst). Dies ist hier – entgegen der Auffassung der Revi-sion – nicht der Fall.

a) Im Veräußerungsfall genügt der Geschädigte im Allge-meinen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und seiner Dar-legungs- und Beweislast und bewegt sich in den für dieSchadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezoge-nen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädig-ten Kfz zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihmeingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allge-meinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. SenatsurteileBGHZ 143, 189, 193 = DAR 200, 159 m. Anm. Weigel; 163,362, 366 = DAR 2005, 617; 171, 287, 290 f. = DAR 2007,325; vom 21.01.1992 VersR 1992, 457; vom 06.04.1993VersR 1993, 769; vom 07.12.2004 DAR 2005, 152; vom12.07.2005 DAR 2005, 617 und vom 10.07.2007 DAR 2007,634). Dem Geschädigten verbleibt im Rahmen der Scha-densminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB regelmä-ßig nur dann ein Risiko, wenn er den Restwert ohnehinreichende Absicherung durch ein eigenes Gutachtenrealisiert und der Erlös sich später im Prozess als zu nied-rig erweist. Will er dieses Risiko vermeiden, muss er sichvor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs mit demHaftpflichtversicherer abstimmen oder aber ein eigenesGutachten mit einer korrekten Wertermittlung einholen,auf dessen Grundlage er die Schadensberechnung vor-nehmen kann (vgl. Senatsurteile vom 21.01.1992 DAR1992, 172; vom 06.04.1993 DAR 1993, 251 und vom12.07.2005 DAR 2005, 617).

b) Entsprechendes hat zwar zu gelten, wenn der Geschä-digte nach der Einholung eines Sachverständigengutach-tens, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, imVertrauen auf den darin genannten Restwert und die sichdaraus ergebende Schadensersatzleistung des Unfallgeg-ners sein unfallbeschädigtes Fahrzeug repariert hat undweiternutzt. Im Streitfall hat das Berufungsgericht jedochohne Rechtsfehler das vom Kl. vorgelegte Sachverständi-gengutachten nicht als geeignete Schätzungsgrundlage an-gesehen, weil eine korrekte Wertermittlung darin nichthinreichend zum Ausdruck kommt.

Beauftragt der Geschädigte – wie im Streitfall – einenGutachter mit der Schadensschätzung zum Zwecke derSchadensregulierung, hat der Sachverständige das Gut-

achten unter Berücksichtigung der geltenden Rspr. zumSchadensersatz bei Kfz-Unfällen zu erstellen (vgl. Senats-urteil vom 13.01.2009 DAR 2009, 196). Die Bemerkungen„Restwert: Angebot liegt vor Euro 1.000,00“ und „Derausgewiesene Restwert basiert auf Angeboten von Inter-essenten“ lassen weder erkennen, wie viele Angebote derSachverständige eingeholt hat, noch von wem diese stam-men. Letzteres ist auch für den Geschädigten von Bedeu-tung, weil nur dann ersichtlich ist, ob der Sachverständigedie Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt er-mittelt hat. Dabei hat der Sachverständige als ausrei-chende Schätzgrundlage entsprechend der Empfehlungdes 40. Deutschen Verkehrsgerichtstags im Regelfall dreiAngebote einzuholen (vgl. Senatsurteil vom 13.01.2009DAR a.a.O.).

3. Da das vom Kl. eingeholte Sachverständigengutachtendiesen Anforderungen nicht genügt, war das Berufungs-gericht von Rechts wegen nicht gehindert, auf der Grund-lage des gerichtlichen Sachverständigengutachtens den aufdem regionalen Markt erzielbaren Restwert nach § 287ZPO auf 2.000 € zu schätzen.

Schadenabrechnung auf Neu-wagenbasisUrteil des BGH vom 09.06.09 – VI ZR 110/08 –

Der Geschädigte, dessen neuer Pkw erheblich be-schädigt worden ist, kann den ihm entstandenenSchaden nur dann auf Neuwagenbasis abrechnen,wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft hat.

Aus den Gründen:

„ ... Die Revision beanstandet aber mit Erfolg, dass dasBerufungsgericht die Klägerin für berechtigt gehalten hat,den ihr entstandenen Schaden auf Neuwagenbasis zu be-rechnen. Der Klägerin steht jedenfalls derzeit kein überdie bisherigen Zahlungen des Beklagten hinausgehenderSchadensersatzanspruch zu. ...

... Das Berufungsgericht hat Rechtsgrundsätze der Scha-densbemessung verkannt. Seine Annahme, der Geschä-digte könne auch dann die für die Anschaffung einesfabrikneuen Ersatzfahrzeugs erforderlichen Kosten ver-langen, wenn er ein solches Fahrzeug nicht angeschaffthabe, ist mit dem nach schadensrechtlichen Grundsätzenzu beachtenden Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Berei-cherungsverbot nicht zu vereinbaren.

Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht allerdings zu-treffend angenommen, dass sich der Eigentümer einesNeuwagens im Falle von dessen Beschädigung nichtimmer mit der Erstattung der erforderlichen Reparatur-kosten zuzüglich einer etwaigen Ausgleichszahlung für

„Liebe Kollegen, der Präsident des AG ... hat in einem Te-lefongespräch mit dem Polizeipräsidenten der PD ... am02.04.2008 eindringlich darauf hingewiesen, dass nachRechtsauffassung des AG bei der Anordnung von Blut-proben immer Gefahr im Verzuge vorliegt und somit einerichterliche Anordnung gem. § 81 a StPO nicht mehr er-forderlich ist. Somit sind die Polizeivollzugsbeamtinnenund -beamten unter Beachtung der entsprechendenRechtsvorschriften immer zur Anordnung einer Blut-probe ermächtigt. Dieses gilt am Tage und in der Nachtsowie werktags und an Sonn- und Feiertagen.

Der PP hat in diesem Zusammenhang sowohl auf die be-stehende Rechtsauffassung im Lande Niedersachsen (MIund MJ) als auch auf die Verfügungslage der PD hinge-wiesen, welche ebenfalls bei einschlägigen Sachverhaltenimmer das Vorliegen von Gefahr im Verzuge bejaht.“

Die entnommene Blutprobe ergab nach dem Befund derLaborarztpraxis ... nach der Methodik GC/MS F einenTHC Wert i.S. von 6,5 ng/ml. Die mit derselben Messme-thodik festgestellte THC-Carbonsäure i.S. ergab 150 ng/mlund der Nachweis 11-Hydroxy-ThC i.S. betrug 2,3. DerBetr. hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt er-kennen können und müssen, dass er möglicherweise unterEinfluss berauschender Mittel fuhr, da er nach eigenenAngaben gegenüber dem Polizeibeamten G regelmäßigtäglich 1 Köpfchen konsumierte.

Das AG hat das auf Grund der entnommenen Blutprobeerstattete Gutachten für verwertbar gehalten. (Wird aus-geführt.)

2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

Sie hat bereits mit der formgerecht erhobenen Rüge derVerletzung formellen Rechtes Erfolg, so dass es auf diegleichfalls erhobene Sachrüge nicht ankommt. DieRechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochte-nen Urteils und zum Freispruch des Betr.

a) Die dem Betr. entnommene Blutprobe und das darausresultierende Gutachten vom 29.04.2008 waren nicht ver-wertbar.

Die durch den Zeugen G angeordnete Blutentnahme nach§ 81 a StPO war wegen Verstoßes gegen den Richtervor-behalt rechtswidrig. Dies hatte das AG Osnabrück bereitsmit Beschluss vom 01.09.2008 festgestellt. Die dagegen ge-richtete Beschwerde der StA ist beim LG Osnabrück ohneErfolg geblieben.

Der Zeuge G hatte die Blutprobe angeordnet, ohne auch nurversucht zu haben, einen richterlichen Beschluss zu erwir-ken. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge G im konkretenFall Gefahr im Verzag angenommen hat oder davon ausge-gangen wäre, dass eine richterliche Entscheidung nicht her-beigeführt werden könne, liegen nach den Feststellungen des

AG, die hierzu nichts enthalten, nicht vor. Der Zeuge hattesich vielmehr auf die o.g. Mitteilung seiner vorgesetztenDienststelle verlassen. Dieser Verfahrensverstoß führt vor-liegend auch zu einem Beweisverwertungsverbot, also zurUnverwertbarkeit des Ergebnisses der Blutuntersuchung.

Zwar führt nicht jeder Verstoß gegen eine Beweiserhe-bungsvorschrift zu einem Verwertungsverbot. Vielmehr istdiese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalles,insbesondere nach der Art des Verbotes und des Gewich-tes des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitendenInteressen zu entscheiden. Dabei bedeutet ein Beweiser-hebungsverbot eine Ausnahme von dem Grundsatz, dassdas Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Be-weisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Be-weismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind, dienur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oderaus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall an-zuerkennen ist (vgl. BGHSt 44, Band, 243, 249). Ein Be-weisverwertungsverbot wird von der Rechtsprechung beiwillkürlicher Vornahme einer Maßnahme ohne richterli-che Anordnung und damit bewusstem Ignorieren desRichtervorbehaltes oder gleichwertiger gröblicher Miss-achtung angenommen (vgl. BGHSt 51. Band, 285 ff.).

Gemessen daran ist vorliegend von einem Beweisverwer-tungsverbot auszugehen. Der Zeuge G... hat von der Ein-holung eines richterlichen Beschlusses abgesehen, weilihm von seiner vorgesetzten Dienststelle mitgeteilt wor-den war, dass der Präsident des AG ... am 02.04.2008 be-kannt gegeben habe, dass bei der Anordnung vonBlutproben immer Gefahr im Verzuge bestehe und einerichterliche Anordnung nicht mehr erforderlich sei.

b) Unter diesen Umständen ist allerdings dem Zeugen Gnicht vorzuwerfen, dass er willkürlich gehandelt hat. Esliegt vielmehr ein grober Verstoß seiner Dienstvorgesetz-ten vor, die nicht dafür Sorge getragen haben, dass der Be-deutung des Richtervorbehalts auch auf der Ebene desPolizeibeamten vor Ort Rechnung getragen wurde. Demkann auch nicht entgegengehalten werden, dass seinerzeitseitens des AG Osnabrück sowie des InnenministeriumsNiedersachsen als auch des Justizministeriums Nieder-sachsen die Auffassung vertreten wurde, bei „einschlägi-gen Sachverhalten“ liege immer Gefahr im Verzug vor.

Das OLG Hamm (Beschl. v. 12.03.2009, 3 Ss 31/09 [juris])führt in diesem Zusammenhang aus: „Zu berücksichtigenist auch, dass es sich bei der Entwicklung der Rechtspre-chung zum Richtervorbehalt um keine ganz junge Ent-wicklung mehr handelt. Die Bedeutung, die das BVerfGdem Richtervorbehalt grundsätzlich zumisst, ist mindes-tens mit der Entscheidung vom 20.02.2001 (NJW 2001,1121 deutlich geworden. In der Folgezeit ist die Bedeu-tung auch des einfach gesetzlichen Richtervorbehalts, u.a.auch bei § 81 a StPO, in der verfassungsgerichtlichen

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RECHTSPRECHUNG

den merkantilen Minderwert begnügen muss, sondernunter Umständen berechtigt sein kann, Ersatz der in allerRegel höheren Kosten für die Beschaffung eines gleich-wertigen Neufahrzeugs zu verlangen (vgl. BGH, Urt. v.04.03.1976, VersR 1976, 732, 733; v. 03.11.1981, MDR 1982,477 = VersR 1982, 163; v. 29.03.1983, VersR 1983, 658; v.14.06.1983, MDR 1984, 40 = VersR 1983, 758, 759; v.25.10.1983, VersR 1984, 46).

(1) Gem. § 249 BGB hat der zum Schadensersatz Ver-pflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde,wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht ein-getreten wäre. Ist wegen der Verletzung einer Person oderder Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten,so kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB stattder Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag ver-langen. Für die Berechnung von Fahrzeugschäden stehendem Geschädigten regelmäßig zwei Wege der Naturalres-titution zur Verfügung: Reparatur des Unfallfahrzeugsoder Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs.Zwischen diesen Wegen kann der Geschädigte grundsätz-lich frei wählen. Denn nach dem gesetzlichen Bild desSchadensersatzes ist der Geschädigte Herr des Restituti-onsgeschehens. Auf Grund der nach anerkannten scha-densrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositions-freiheit ist er grundsätzlich auch in der Verwendung derMittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleichverlangen kann (vgl. BGH v. 29.04.2004, BGHZ 154, 395,397 f. = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048 m.w.N.;BGHZ 162, 161, 165, jeweils m.w.N.).

Allerdings hat der Geschädigte auch das in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerte Wirtschaftlichkeitspostulat zu be-achten. Dieses gebietet dem Geschädigten, den Schadenauf diejenige Weise zu beheben, die sich in seiner indivi-duellen Lage als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt,um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Be-standteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustandzu versetzen (vgl. BGH v. 15.10.1991, BGHZ 115, 375, 378f. = MDR 1992, 132; BGHZ 171, 287, 289 f., jeweils m.w.N.).Verursacht von mehreren zum Schadensausgleich fahren-den Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so istder Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt. Nurder für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbe-trag ist i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erfor-derlich. Darüber hinaus findet das Wahlrecht desGeschädigten seine Schranke an dem Verbot, sich durchSchadensersatz zu bereichern. Er soll zwar vollen Ersatzverlangen, aber an dem Schadensfall nicht verdienen (vgl.BGH v. 29.04.2003, a.a.O., ...).

(2) Diese schadensrechtlichen Grundsätze lassen sichnicht isoliert verwirklichen. Sie stehen vielmehr zueinan-der in einer Wechselbeziehung. Dementsprechend darf inVerfolgung des Wirtschaftlichkeitspostulats das Integri-

tätsinteresse des Geschädigten, das auf Grund der gesetz-lich gebotenen Naturalrestitution Vorrang genießt, nichtverkürzt werden (vgl. BGH v. 29.04.2003, a.a.O. ...). In Aus-nahmefällen kann das Wirtschaftlichkeitsgebot eine Ein-schränkung erfahren und hinter einem besonderenIntegritätsinteresse des Geschädigten an einer an sich un-wirtschaftlichen Restitutionsmaßnahme zurücktreten. Sosteht dem Geschädigten nach der gefestigten Rspr. des er-kennenden Senats in Abweichung vom Wirtschaftlich-keitsgebot ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz desden Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugsum bis zu 30 % übersteigenden Reparaturaufwands (Re-paraturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung fürden merkantilen Minderwert) zu, sofern der Geschädigteden Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen. DieErstattung des im Vergleich zu den Ersatzbeschaffungs-kosten höheren Reparaturaufwands ist auf Grund des be-sonderen Integritätsinteresses des Geschädigten amErhalt des ihm vertrauten Fahrzeugs ausnahmsweise ge-rechtfertigt (vgl. BGH v. 15.10.1991, BGHZ 115, 364, 370f.= MDR 1992, 131; BGHZ 162, 161, 166 ff.; v. 10.07.2007,MDR 2007, 1367 = BGHReport 2007, 1017 = VersR 2007,1244, 1245; v. 13.11.2007, MDR 2008, 204 = BGHReport2008, 219 = VersR 2008, 134; v. 27.11.2007, BGHReport2008, 274 = MDR 2008, 203 = VersR 2008, 135, 136; v.22.04.2008, MDR 2008, 857 = BGHReport 2008, 898 =VersR 2008, 937, 938; v. 18.11.2008, MDR 2009, 198 =BGHReport 2009, 227 = VersR 2009, 128).

Auch im umgekehrten Fall, in dem der Ersatzbeschaf-fungsaufwand den Reparaturaufwand übersteigt, kommteine Einschränkung des Wirtschaftlichkeitsgebots unterbestimmten Voraussetzungen in Betracht. Wird ein fa-brikneues Fahrzeug erheblich beschädigt mit der Folge,dass es trotz Durchführung einer fachgerechten Reparaturden Charakter der Neuwertigkeit verliert, kann der Ge-schädigte in den Grenzen des § 251 Abs. 2 BGB aus-nahmsweise die im Vergleich zum Reparaturaufwandhöheren Kosten für die Beschaffung eines Neuwagens be-anspruchen (vgl. Senat, Urt. v. 04.03.1976, a.a.O.). Ange-sichts der schadensrechtlichen Bedeutung derNeuwertigkeit (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.1983, VersR 1983,658) ist es dem Geschädigten in einer derartigen Situationgrundsätzlich nicht zuzumuten, sich mit der Reparatur deserheblich beschädigten Fahrzeugs und der Zahlung einesden merkantilen Minderwert ausgleichenden Geldbetragszu begnügen. Vielmehr rechtfertigt sein besonderes, ver-mögensrechtlich zu qualifizierendes Interesse am Eigen-tum und an der Nutzung eines Neufahrzeugsausnahmsweise die Wahl der im Vergleich zur Reparaturteureren Restitutionsmaßnahme (vgl. Senat, Urt. v.04.03.1976, a.a.O., S. 733 f.). Denn nach der Verkehrsauf-fassung genießt ein in erheblichem Umfang repariertes

Grundsatz kann danach bei der Schadenabrechnung dertatsächlich erzielte Preis zu Grunde gelegt werden. Auchein Versicherungsnehmer muss sich nicht an einem Ange-bot eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugängli-chen, allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, dasvom Versicherer über das Internet recherchiert worden ist.Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass andernfalls dervollständige Schadensausgleich nicht gewährleistet würde.Der Versicherer könnte mit einem entsprechend hohen An-gebot den Verkauf des Fahrzeugs erzwingen. Bei Weiter-nutzung und späterem Verkauf in eigener Regie liefe derVersicherungsnehmer jedenfalls Gefahr, wegen eines we-sentlich niedrigeren Verkaufspreises für den Kauf des Er-satzfahrzeugs eigene Mittel aufwenden zu müssen (BGHZ171, 287 = NJW 2007, 1674 = VersR 2007, 1145 Rdnr. 10).Diese Grundsätze sind auf die Fahrzeugversicherung zuübertragen. Denn auch die AKB 2008 räumen dem Versi-cherungsnehmer in A.2.6.1 das Wahlrecht zwischen Veräu-ßerung und Reparatur ein. Dass der Kl. auf demmaßgeblichen, regionalen Markt ein Restwertangebot inder vom Gutachter L angegebenen Höhe zugänglich war,hat die Bekl. weder dargelegt noch unter Beweis gestellt.

Die Höhe der Reparaturkosten ergibt sich aus dem durchdie Bekl. in Bezug genommenen Gutachten des Sachver-ständigen L. Es wurde bereits ausgeführt, dass das Gut-achten des Sachverständigen E dazu keine Aussage trifft,da dieser das Fahrzeug vor dem streitgegenständlichen,dritten Unfall besichtigte.

Unter Berücksichtigung dieser Zahlen ergibt sich, dass amFahrzeug ein Totalschaden vorlag. Dies ist gem. A.2.6.5AKB 2008 dann der Fall, wenn wie hier die erforderlichenKosten der Reparatur des Fahrzeugs dessen Wiederbe-schaffungswert übersteigen. Damit hat die Bekl. gem.A.2.6.1 AKB 2008 den Wiederbeschaffungswert unterAbzug eines vorhandenen Restwerts des Fahrzeugs zuzahlen. Vom Wiederbeschaffungswert sind des Weiterender Selbstbehalt in Höhe von 500 Euro sowie die Zahlungin Höhe von 594,11 Euro abzusetzen, die die Bekl. vor Be-ginn des Rechtsstreits erbracht hat. Damit ergibt sich fol-gende Berechnung:

Wiederbeschaffungswert 5.294,12 Euro– Restwert 1.000,00 Euro– Selbstbehalt 1.500,00 Euro– erfolgte Zahlung 1.594,11 Euro

noch zuzusprechen 3.200,01 Euro

Die Bekl. hat der Kl. auf Grund der unrichtigen Abrech-nung des Schadenfalls gem. § 280 I BGB deren vorge-richtliche Anwaltskosten aus einem Streitwert von3.200,01 Euro zu ersetzen. Wie dieses Klageverfahren ge-zeigt hat, war die Beauftragung eines Rechtsanwalts hiervernünftig und zweckmäßig (Nachw. bei Palandt/Hein-richs, BGB, 68. Aufl., § 280 Rdnr. 27). Der Anspruch be-

läuft sich auf 302,10 Euro (1,3 Geschäftsgebühr =282,10 Euro zzgl. Pauschale für Post und Telekommunika-tion 20 Euro). Da die Bekl. unbestritten vorgetragen hat,dass die Kl. diese Forderung bisher nicht bezahlt hat, istder Schadensersatzanspruch der Kl. insofern auf Freihal-tung gerichtet (Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdnr. 46 m.w. Nachw.). Die entsprechende Verurteilung der Bekl. zurFreistellung der Kl. von diesen Rechtsanwaltskosten warunter Abweisung der Klage im Übrigen zulässig (OLGFrankfurt a.M., FamRZ 1990, 49 [50]; Zöller/Vollkommer,§ 308 Rdnr. Z 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,ZPO, 67. Aufl., § 308 Rdnr. 8 m. w. Nachw.).

Soweit die Bekl. vorgerichtlich weitere 594,11 Euro regu-liert hat, entstanden die darauf entfallenden, durch das Er-reichen der nächsten Gebührenstufe verursachtenAnwaltskosten bereits mit der den Verzug begründendenErstmahnung, deren Kosten von § 286 BGB nicht erfasstsind (Ernst, in: MünchKomm, 5. Aufl., § 286 Rdnr. 154).

Anordnung einer BlutprobeBeschluss des OLG Oldenburg vom 12.10.09 – 2 SsBs 149/09 –

Es führt zu einem Beweisverwertungsverbot, wennPolizeibeamten die generelle Befugnis erteilt wordenist, bei der Entnahme von Blutproben gem. § 81 a StPOauf die Einschaltung eines Richters zu verzichten.

Aus den Gründen:

1. Das AG hat folgende Feststellungen getroffen.

Der Betr. befuhr am 19.04.2008 gegen 16.50 Uhr in ... die ...mit einem Pkw ..., amtliches Kennzeichen ... Zu dieser Zeitstand er unter der Wirkung von Cannabinoiden. Nachdemder Betr. wegen einer allgemeinen Verkehrskontrolle an-gehalten worden war, stellte der Polizeibeamte G fest, dassder Betr. wässerige Augen hatte. Der Betr. räumte – ohnezuvor belehrt worden zu sein – ein, am Vortage Cannabiskonsumiert zu haben. Dem Betr. wurde angeboten, einenDrogentest auf der Wache durchzuführen. Damit war ereinverstanden. Auf der Wache wurde er ordnungsgemäßbelehrt. Er räumte ein, täglich Cannabis zu konsumieren.

Der durchgeführte Drogenvortest verlief positiv. Darauf-hin ordnete der Zeuge G ohne Rücksprache mit derStaatsanwaltschaft und ohne richterliche Anordnung dieEntnahme einer Blutprobe an. Auf die Einholung einesrichterlichen Beschlusses verzichtete er, da ihm mitgeteiltworden war, dass der Präsident des AG ... am 02.04.2008bekanntgegeben habe, dass bei der Anordnung von Blut-proben immer Gefahr im Verzuge bestehe und eine rich-terliche Anordnung nicht mehr erforderlich sei. Er hattevon dem Leiter der Polizeiinspektion .... eine Mail nach-folgenden Inhalts erhalten:

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RECHTSPRECHUNG

Fahrzeug auch unter Berücksichtigung eines nach den üb-lichen Maßstäben bemessenen Ersatzes für den merkan-tilen Minderwert nicht dieselbe Wertschätzung wie einvöllig neuwertiges unfallfreies Fahrzeug (vgl. Senat, Urt.v. 04.03.1976, a.a.O., S. 734; v. 03.11.1981, a.a.O.).

(3) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Pkw der Klä-gerin sei im Unfallzeitpunkt neuwertig gewesen und durchden Unfall erheblich beschädigt worden, ist revisions-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich im Rahmendes dem Tatrichter nach § 287 ZPO zustehenden Ermes-sens.

(a) Der erkennende Senat hat es bereits im Urt. v.29.03.1983 (a.a.O.) als Faustregel gebilligt, Fahrzeuge miteiner Fahrleistung von nicht mehr als 1000 km im Regel-fall als fabrikneu anzusehen. Hieran hält der Senat fest.Im Streitfall hatte das Unfallfahrzeug nach den nicht an-gegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nichtmehr als 607 km zurückgelegt; es war erst am Tag vor demUnfall zugelassen worden.

(b) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Pkw derKlägerin sei beim Unfall erheblich beschädigt worden, hältsich im Rahmen eines möglichen tatrichterlichen Ermes-sens. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausge-gangen, dass die Erheblichkeit einer Beschädigung nichtin erster Linie anhand der Schwere des eingetretenen Un-fallschadens, sondern anhand des Zustands zu beurteilenist, in dem sich das Fahrzeug nach einer fachgerechten Re-paratur befinden würde. Danach ist eine erhebliche Be-schädigung zu verneinen, wenn der Unfall lediglichFahrzeugteile betroffen hat, die im Rahmen einer fachge-recht durchgeführten Reparatur spurenlos ausgewechseltwerden können, und die Funktionstüchtigkeit und die Si-cherheitseigenschaften des Fahrzeugs, insbesondere dieKarosseriesteifigkeit und das Deformationsverhalten nichtbeeinträchtigt sind (wie bspw. bei der Beschädigung vonAnbauteilen wie Türen, Scheiben, Stoßstangen etc.). Denndann wird der frühere Zustand durch die Reparatur vollwieder hergestellt (vgl. Senat, Urt. v. 04.03.1976, a.a.O., S.733). Dies bedeutet allerdings nicht, dass jede Beschädi-gung an einem nicht abschraubbaren Teil – z.B. Kratzer ander Karosserie – notwendigerweise zu einer Schadensbe-seitigung auf Neuwagenbasis führen würde. Der Tatrich-ter hat bei der Ausübung seines Schätzungsermessens zuberücksichtigen, dass sich derartige Beschädigungen mit-hilfe der heutigen Reparatur- und Lackiertechnik häufigin einer Weise beseitigen lassen, die den schadensrechtli-chen Charakter der Neuwertigkeit des Fahrzeugs unein-geschränkt wiederherstellt (vgl. OLG Hamm NZV 2001,478, 479; OLG Düsseldorf SP 2004, 158, 160).

Eine erhebliche Beschädigung wird in aller Regel dannanzunehmen sein, wenn beim Unfall tragende oder si-cherheitsrelevante Teile, insbesondere das Fahrzeugchas-

sis, beschädigt wurden und die fachgerechte Instandset-zung nicht völlig unerhebliche Richt- oder Schweißarbei-ten am Fahrzeug erfordert. Denn durch derartige Arbeitenwird in erheblicher Weise in das Gefüge des Fahrzeugs ein-gegriffen. Indizielle Bedeutung für die Erheblichkeit derBeschädigung kann in der erforderlichen Gesamtbetrach-tung auch einem hohen merkantilen Minderwert zukom-men (vgl. OLG Karlsruhe v. 26.03.1999, OLGReport 1999,267 ... ). Dagegen ist bei Fahrzeugen mit einer Laufleistungvon nicht mehr als 1000 km nicht erforderlich, dass nachDurchführung der Instandsetzungsarbeiten noch erhebli-che Schönheitsfehler verbleiben, Garantieansprüche ge-fährdet sind oder ein Unsicherheitsfaktor gegeben ist (vgl.Senat, Urt. v. 04.03.1976, a.a.O.). Ebenso wenig kommt esdarauf an, ob die Unfallschäden bei einem späteren Ver-kauf ungefragt offenbart werden müssen oder einen Sach-mangel i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB begründen (vgl.BGH, Urt. v. 25.10.1983, a.a.O.). Denn die Grenze für nichtmitteilungspflichtige und damit keinen Mangel begrün-dende „Bagatellschäden“ ist bei Personenkraftwagen sehreng zu ziehen. Als „Bagatellschäden“ sind bei Personen-kraftwagen nur ganz geringfügige, äußere (Lack-)Schädenanzuerkennen, nicht dagegen andere (Blech-)Schäden,auch wenn sie keine weiter gehenden Folgen hatten undder Reparaturaufwand nur gering war (vgl. BGH, Urt. v.10.10.2007, BGHReport 2007, 627 = MDR 2007, 901 =VersR 2008, 359, 361 m.w.N.).

(c) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Fest-stellungen des Berufungsgerichts ist die gesamte linkeSeite des Fahrzeugs der Klägerin bei dem Verkehrsunfallin Mitleidenschaft gezogen worden. Eine Reparatur er-fordert Richtarbeiten an der A-Säule des Fahrzeugs –einem tragenden, für die Stabilität des Fahrzeugs bedeut-samen Teil – mit einer Dauer von mindestens 30 Minuten.Der durch den Unfall eingetretene merkantile Minder-wert beläuft sich auf 3.500 EUR. Bei dieser Sachlage istes revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Beru-fungsgericht die Beschädigung des völlig neuwertigenFahrzeugs der Klägerin als erheblich gewertet hat. ...

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann derGeschädigte, dessen neuer Pkw erheblich beschädigt wor-den ist, den ihm entstandenen Schaden aber nur dann aufNeuwagenbasis abrechnen, wenn er ein gleichwertiges Er-satzfahrzeug erworben hat.[24] (l) Allerdings ist ... [diese] Frage in der Rspr. der Instanz-gerichte und in der Literatur umstritten. (Wird ausgeführt.)

(4) ... Wie unter b) aa) (2) ausgeführt beruht die Zubilli-gung einer Neupreisentschädigung auf einer Einschrän-kung des aus dem Erforderlichkeitsgrundsatzhergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebots. Ausschlaggeben-der Gesichtspunkt für die Erstattung der im Vergleich zumReparaturaufwand höheren und damit an sich unwirt-

verständigen L enthalten ist. Denn das Risiko einer opti-malen Verwertung des Fahrzeugs kann auch in der Kas-koversicherung über die vertragliche Verpflichtung zurSchadensminderung nicht dem Versicherungsnehmerüberbürdet werden. Es ist dem Versicherungsnehmer nichtzumutbar, sein Fahrzeug – branchenüblich gegen hoheBargeldbeträge – ihm unbekannten Händlern zu überlas-sen. Das nie auszuschließende Risiko, Falschgeld zu er-halten, das Risiko eines Diebstahls vor Einzahlung desBargelds bei einer Bank oder einer Auseinandersetzungüber die Sachmängelgewährleistung mit dem Käufer kannder Versicherer dem Versicherungsnehmer nicht per All-gemeiner Versicherungsbedingung auferlegen. Hier giltder vom erkennenden Senat (VersR 2005, 706) für dieHaftpflichtversicherung entwickelte Satz, dass der Versi-cherer sich nicht auf eine Haltung des „Dulde und liqui-diere“ zurückziehen kann. Der Versicherer wird imEinzelfall entscheiden müssen, ob er dem Versicherungs-nehmer anbietet, den vollen Verwertungsaufwand oder zu-mindest das volle Risiko der Verwertung zu übernehmen.

Schließlich könnte nicht davon ausgegangen werden, dassdie Kl. beim Verkauf des Fahrzeugs über zwei Monatenach dem Unfall noch grob fahrlässig oder vorsätzlichgegen die Obliegenheit zur Einholung einer Weisung ver-stoßen hätte, so dass die Leistungspflicht der Bekl. auchaus diesem Grunde nicht wegfiele oder vermindert würde.Nachdem die Bekl. nur nach dem zweiten, nicht mehr abernach dem dritten Unfall ein Restwertangebot übersendethatte, konnte die Kl. davon ausgehen, dass die Bekl. nichtmehr an der Erteilung einer Weisung interessiert war.

Dass die Kl. auf dem allein maßgeblichen, regionalenMarkt einen besseren Verkaufserlös hätte erzielen kön-nen, hat die Bekl. nicht behauptet und auch nicht unterBeweis gestellt. Das Restwertangebot im Gutachten desSachverständigen L bezieht sich nicht auf diesen alleinmaßgeblichen Markt.

Aus den genannten Gründen hat die Kl. mit der Veräuße-rung des Fahrzeugs am 10.08.2008 auch nicht gegen die all-gemeiner formulierte Pflicht aus E.1.4 S. 1 AKB 2008verstoßen, nach Möglichkeit für die Abwendung und Min-derung des Schadens zu sorgen.

Bei der Schadensberechnung sind Reparaturkosten inHöhe von netto 9.413,17 Euro, ein Wiederbeschaffungs-wert in Höhe von 5.294,12 Euro und ein Restwert in Höhevon 1.000 Euro zu Grunde zu legen. Danach steht der Kl.gegen die Bekl. ein Anspruch auf Zahlung in Höhe vonweiteren 3.200,01 Euro zu.

Die Höhe des Wiederbeschaffungswerts ist von der Kl. zubeweisen. In der mündlichen Verhandlung erteilte das LGden zutreffenden Hinweis, dass das von der Kl. hierfür her-angezogene Gutachten des Sachverständigen E kein taug-

liches Beweismittel war. Denn dieser Gutachter hatte sei-nem Gutachten den Zustand zu Grunde gelegt, den dasFahrzeug vor dem streitgegenständlichen Unfall aufwies.Vor allem aber waren auch nach dem Vortrag der Kl. dieVorschäden nur teilweise repariert worden. Damit könnteallenfalls der dort ausgewiesene Restwert für die Bemes-sung des Wiederbeschaffungswerts herangezogen werden,der allerdings unter dem von der Bekl. zugestandenenWert von netto 5.294,12 Euro liegt.

Der Antrag der Kl. auf Einholung eines Sachverständi-gengutachtens zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts(und des Restwerts), den diese erstmals in der Berufungs-begründung gestellt hat, ist als neues Angriffsmittel zuwerten und gem. § 531 II 1 Nr. 3 ZPO als verspätet zu-rückzuweisen. Nach dieser Vorschrift sind neue Beweis-mittel nur zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nichtgeltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einerNachlässigkeit der Partei beruht. Dabei hat die Partei dar-zulegen, dass sie in erster Instanz nicht nachlässig war. DieZulassung des Beweisantrags scheitert hier bereits daran,dass keine entsprechende Erklärung abgegeben wurde(Zöller/Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 531 Rdnr. 34 m. w.Nachw.). Dazu kommt, dass die Kl. den zutreffenden land-gerichtlichen Hinweis auf die Ungeeignetheit des Beweis-angebots zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in ersterInstanz nicht beachtet hat. Es lag auf der Hand, zur Scha-denshöhe in der mündlichen Verhandlung oder spätestensim nachgelassenen Schriftsatz die Einholung eines Sach-verständigengutachtens zu beantragen.

Dem Antrag auf Vernehmung der erstinstanzlich be-nannten Zeugen zum Umfang der Teilreparaturen hat dasLG zu Recht nicht entsprochen, da dieser Beweisantragunerheblich war. Auch wenn diese Zeugen den behaupte-ten Umfang der Reparaturen bestätigt hätten, so stündedamit nicht fest, dass das Fahrzeug tatsächlich einen hö-heren Wiederbeschaffungswert hatte, als vom Sachver-ständigen L festgestellt. Denn dieser hatte erstens dasFahrzeug nach Durchführung der Teilreparaturen begut-achtet. Zweitens fehlt dem Senat genau wie dem LG dieerforderliche Sachkunde, um ohne Heranziehung einesSachverständigen auf der Basis der Zeugenaussagen eineAussage zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts treffenzu können. Der entsprechende Beweisantrag aus der Be-rufungsbegründung war – wie bereits dargestellt – indes-sen nicht mehr zuzulassen.

Dass das Fahrzeug nach dem streitgegenständlichen Unfallnoch einen höheren, als den tatsächlich von der Kl. erziel-ten Restwert in Höhe von 1.000 Euro aufwies, hat die inso-fern beweisbelastete Bekl. (BGHZ 171, 287 = NJW 2007,1674 = VersR 2007, 1145 Rdnr. 9 m. w. Nachw.) nicht be-wiesen. Auch hier ist die Rechtsprechung des BGH zur Kfz-Haftpflicht auf die Fahrzeugversicherung zu übertragen. Im

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RECHTSPRECHUNG

schaftlichen Ersatzbeschaffungskosten ist das besondereInteresse des Geschädigten am Eigentum und an der Nut-zung eines Neufahrzeugs. Die mit dem erhöhten Scha-densausgleich einhergehende Anhebung der „Opfer-grenze“ des Schädigers ist allein zum Schutz dieses be-sonderen Interesses des Geschädigten gerechtfertigt. Diesgilt aber nur dann, wenn der Geschädigte im konkretenEinzelfall tatsächlich ein solches Interesse hat und diesesdurch den Kauf eines Neufahrzeugs nachweist. Nur dannist die Zuerkennung einer den Reparaturaufwand über-steigenden und damit an sich unwirtschaftlichen Neu-preisentschädigung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot unddem Bereicherungsverbot zu vereinbaren (vgl. für denumgekehrten Fall BGH, Urt. v. 10.07.2007, a.a.O.; v.27.11.2007, a.a.O.). Insoweit kann nichts anderes gelten alsim umgekehrten Fall, in dem der Reparaturaufwand denWiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs umbis zu 30 % übersteigt. Verzichtet der Geschädigte dage-gen auf den Kauf eines Neufahrzeugs, fehlt es an dem in-neren Grund für die Gewährung einer Neupreis-entschädigung. Ein erhöhter Schadensausgleich wäre ver-fehlt. Er hätte eine ungerechtfertigte Aufblähung der Er-satzleistung zur Folge und führte zu einer vom Zweck desSchadensausgleichs nicht mehr gedeckten Belastung desSchädigers (vgl. BGH, Urt. v. 10.07.2007, a.a.O.).

(5) Da sich die Klägerin nach den nicht angegriffenenFeststellungen des Berufungsgerichts bisher kein fabrik-neues Ersatzfahrzeug gekauft hat, fehlt es jedenfalls der-zeit (vgl. zur nachträglichen Geltendmachung höhererKosten nach Bekundung eines weiter gehenden Integri-tätsinteresses durch den Geschädigten: BGHZ 169, 263)an einer Anspruchsvoraussetzung für die geltend ge-machte Neupreisentschädigung. ..."

Zulässigkeit von Video-AbstandsmessungenUrteil des OLG Stuttgart vom 29.01.10 – 4 Ss 1525/09 –

1. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-mung (BVerfGE 65, 1) steht der Anwendung desVideo-Brücken-Abstandsmessverfahrens ViBrAM-BAMAS, welches die Polizei in Baden-Württembergzur Überwachung des Sicherheitsabstandes insbe-sondere auf Autobahnen verwendet, nicht entgegen.

2. Rechtsgrundlage für die Fertigung von Videobil-dern zur Identifizierung des Betroffenen ist § 100 hAbs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Aus den Gründen:

I. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr derBetroffene am 26. Januar 2009 mit seinem Pkw die Auto-

bahn A aus Richtung … kommend in Richtung … InHöhe von Kilometer ... benutzte er die linke von den dreiFahrspuren. Bei einer Geschwindigkeit von 111 km/h hielter zum vorausfahrenden Fahrzeug einen Sicherheitsab-stand von lediglich 15 m und somit weniger als 3/10 deshalben Tachowertes ein. Dieser Verkehrsverstoß wurdemittels des Video-Brücken-Abstandmessverfahrens Vi-BrAM-BAMAS festgestellt. Das Amtsgericht hat gegenihn deshalb wegen Verstoßes gegen §§ 4 Abs. 1, 49 Abs. 1Nr. 4 StVO, 24 StVG entsprechend den Bestimmungen derBKatV (Nr. 12.5.3; bei der Angabe der angewendeten Vor-schriften [12. 6 .3] handelt es sich vermutlich um einSchreibversehen) eine Geldbuße von 100,-- EUR sowieein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt; im Hinblickauf die Nebenfolge ist die Liste der angewendeten Vor-schriften um § 25 StVG zu erweitern.

Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene Rechtsbe-schwerde eingelegt. Er rügt insbesondere unter Berufungauf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom11. August 2009 (NJW 2009, 3293) die Verwertbarkeit derVideoaufzeichnung.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Rechtsmit-tel als unbegründet zu verwerfen.

II. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 79Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. m. § 349 Abs. 2 StPO.

Hinzuweisen ist auf Folgendes:

1. Entgegen der Ansicht des Verteidigers steht der ge-nannte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts einerVerwertbarkeit der Videoaufnahme im vorliegenden Fallnicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in sei-ner Entscheidung festgestellt, dass in der Videoaufzeich-nung mittels des Verkehrskontrollsystems VKS einEingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Arti-kel 2 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG in seiner Aus-prägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmungliegt, da zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten voneiner Autobahnbrücke aus alle durchfahrenden Fahrzeugeverdeckt gefilmt worden seien. Dabei sei der jeweiligeFahrer erkennbar und identifizierbar aufgenommen wor-den. Eine vorherige Auswahl dahingehend, ob der Be-troffene eines Verkehrsverstoßes verdächtig sei, habenicht stattgefunden. Darüber hinaus sei es unter keinemrechtlichen Aspekt vertretbar, eine derartige Überwa-chung auf einen Erlass eines Ministeriums zu stützen(ebenso im Anschluss hieran OLG Oldenburg DAR 2010,32 für das System VKS 3.0).

Das im vorliegenden Fall zur Anwendung gekommeneMessverfahren ViBrAM-BAMAS, welches dem Senat be-kannt ist (Beschluss vom 14. August 2007 – 4 Ss 23/07 –NStZ-RR 2007, 382), ist mit dem Verfahren VKS 3.0 nichtvergleichbar; es ist ganz anders konzipiert. Das Amtsge-

Gemäß Art. 1 I EGWG ist hier insgesamt das VVG in derneuen Fassung anzuwenden. Denn der Versicherungsver-trag, der in Frage steht, wurde nach dem 01.01.2008 ge-schlossen. Entscheidend für das Zustandekommen einesVersicherungsvertrags ist, wann die zweite Willenserklä-rung für den Abschluss des Vertrags zugegangen ist. Dasist regelmäßig mit dem Zugang der Police der Fall (Schi-mikowski/Höra, Das neue VVG, 1. Aufl., S. 219). Die An-nahme des Vertrags erfolgt nämlich meist durch denVersicherer (Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 3Rdnr. 22 m. w. Nachw.). Nachdem das Ausfertigungsdatumder Police mit dem 06.03.2008 angegeben ist, ist davon aus-zugehen, dass der Vertrag nach dem 01.01.2008 geschlos-sen wurde. Das wird dadurch bestätigt, dass hier dieGeltung der AKB 2008 vereinbart wurde, die ersichtlichauf die neue Fassung des VVG abgestimmt sind.

Soweit – worauf der im Versicherungsvertrag als Versi-cherungsbeginn angegebene Beginn des Versicherungs-schutzes am 10.12.2007 hindeutet – zuvor vorläufigerDeckungsschutz gem. § 9 PflVG, B.2 AKB 2008 bestandenhaben sollte, liegt insofern ein eigenständiger Vertrag vor(Prölss, in: Prölss/Martin, § 1 VVG Rdnr. 2 m. w. Nachw.).Im Übrigen besteht in der hier maßgeblichen Fahrzeug-versicherung (auch Vollkaskoversicherung genannt) gem.B.2.2 S. 1 AKB 2000 nur dann vorläufiger Schutz, wenn dasbei Antragstellung vereinbart wurde. Dass dies hier derFall gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Auch die Annah-mefiktion des § 5 III 1 PflVG greift nicht ein, da sie nurfür den Abschluss eines Haftpflichtversicherungsvertragsgilt, nicht aber für den einer Fahrzeugversicherung(Knappmann, in: Prölss/Martin, § 5 PflVG Rdnr. 10).

Die Bekl. ist nicht gem. § 28 II 1 VVG wegen eines Versto-ßes der Kl. gegen ihre aus E.1.4 und E.3.2 AKB 2008 re-sultierende Obliegenheit leistungsfrei, nach Möglichkeit fürdie Minderung des Schadens zu sorgen und vor einer Ver-wertung des Fahrzeugs die Weisung der Bekl. einzuholen.

Gemäß E.3.2 AKB 2008 hat der Versicherungsnehmer vorBeginn der Verwertung oder Reparatur des Fahrzeugs dieWeisung des Versicherers einzuholen, soweit die Um-stände dies gestatten, und zu befolgen, soweit ihm dies zu-mutbar ist. Dabei wird vertreten, dass die Obliegenheit zurEinholung von Weisungen in der Regel bereits mit der An-zeige des Schadens erfüllt wird (Prölss, in: Prölss/Martin,§ 62 Rdnrn. 24 f.; § 7 AKB Rdnr. 62 m. w. Nachw.). Jeden-falls kann nach den Umständen des Einzelfalls in der An-zeige gleichzeitig die Bitte um Weisungen gesehen werden(Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 62 Rdnr. 9).

Die Bekl. hat eine solche Weisung für den streitgegen-ständlichen Unfall nicht erteilt. Die Weisung, die sie inihrem Schreiben vom 06.06.2008 in der gebotenen, klarenForm formuliert hat, bezieht sich auf einen anderen Unfall

am 08.05.2008. Es liegt auf der Hand, dass es für den wei-ter verschlechterten Zustand des Fahrzeugs nach demneuerlichen, streitgegenständlichen Unfall vom 29.05.2008keine Gültigkeit mehr hatte. Soweit im Gutachten desSachverständigen L vom 11.08.2008 ein weiteres Rest-wertangebot enthalten ist, hat die Bekl. schon nicht dar-gelegt, dass, wann und in welcher Form sie es der Kl. zurKenntnis gebracht hätte.

Die Kl. war auch nicht mehr verpflichtet, vor der Veräu-ßerung des Fahrzeugs am 10.08.2008 nochmals eine Wei-sung der Bekl. einzuholen. Auf Grund der Tatsache, dassdie Bekl. nach dem zweiten Unfall von sich aus innerhalbeiner angemessenen Frist ein Restwertangebot übersen-det hatte, durfte die Kl. davon ausgehen, dass sie auch dieMeldung des dritten Unfalls von sich aus zum Anlass neh-men würde, innerhalb einer angemessenen Frist ein er-neutes Restwertangebot zu übersenden. Damit ist hierdavon auszugehen, dass die Kl. ihre Obliegenheit, die Wei-sung der Bekl. einzuholen, bereits mit der Schadenanzeigeerfüllt hat.

Selbst wenn man davon ausginge, dass die Kl. verpflichtetgewesen wäre, nochmals eine Weisung einzuholen, so hättedie Obliegenheitsverletzung nach der Überzeugung des Se-nats keine Relevanz entfaltet und sich nicht auf den Um-fang der Leistungspflicht der Bekl. negativ ausgewirkt (§ 28III VVG). Denn der Kl. konnte weder zugemutet werden,auf das Restwertangebot vom 06.06.2008 einzugehen, nochauf das vom Sachverständigen L eingeholte Restwertange-bot (E.3.2 AKB 2008). Der Senat ist daher davon überzeugt,dass die Bekl. auch bei nochmaliger Einholung einer Wei-sung durch die Kl. kein Restwertangebot übermittelt hätte,das den Anforderungen der Rechtsprechung entsprochenhätte und auf das die Kl. hätte eingehen müssen.

Der BGH hat in den vergleichbaren Fällen der Leistungs-pflicht einer Kfz-Haftpflichtversicherung entschieden,dass sich der Versicherungsnehmer auf ein Restwertange-bot einer Firma nicht einlassen muss, wenn sich diese inerheblicher Entfernung vom Wohnort der Kl. befindet undwie beim Restwertangebot vom 06.06.2008 nicht feststeht,dass sich diese Firma bereit findet, das Fahrzeug auf ihreKosten abzuholen (BGHZ 143, 189 = NJW 2000, 800 =VersR 2000, 467 unter II B 1 c bb). Diese Überlegungenmüssen auf die Vollkaskoversicherung übertragen werden.Auch hier kann es dem Versicherungsnehmer nicht zuge-mutet werden, auf eigene Kosten den Transport eines –hier unstreitig nicht fahrtüchtigen Fahrzeugs – über eineweite Strecke – hier mehr als 400 km – zu übernehmen,der angesichts der Größe des beschädigten Fahrzeugs nurdurch einen speziellen Abschleppwagen erfolgen könnte.

Die Kl. wäre auch nicht verpflichtet gewesen, das Rest-wertangebot anzunehmen, das im Gutachten des Sach-

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RECHTSPRECHUNG

richt hat in dem angefochtenen Urteil zutreffend festge-stellt, dass beim Verfahren ViBrAM-BAMAS der flie-ßende Verkehr mittels einer auf einer Brücke, welche überdie Autobahn führt, angebrachten Videokamera auf einerLänge von ca. 300 bis 500 m aufgenommen wird. Anhanddieser Bilder, auf denen weder die Identität des Fahrersnoch das Kennzeichen seines Fahrzeuges erkennbar sind,entscheidet der Polizeibeamte, ob ein konkreter Verdachtder Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Abstandes be-steht. Ist dies der Fall, schaltet er eine zweite am Fahr-bahnrand aufgestellte Kamera hinzu, die das betreffendeFahrzeug aufnimmt. Auf diesen Bildern sind der Fahrer (=jetzt der Betroffene) und das Kennzeichen des Fahrzeu-ges erkennbar. Somit wurden vorliegend anders als in demFall, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtszugrunde liegt, Videoaufzeichnungen, auf denen die Iden-tität des Fahrers und das Kennzeichen sichtbar sind, erstdann gefertigt, nachdem der Verdacht einer Verkehrsord-nungswidrigkeit festgestellt worden war.

2. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmungdes einzelnen Verkehrsteilnehmers (BVerfGE 65, 1) stehtder Anwendung des Überwachungssystems ViBrAM-BAMAS nicht entgegen.

Dieses Grundrecht kann nur dann Wirkung entfalten, wenneine Identifizierung des Verkehrsteilnehmers durch dessenBild oder das Kennzeichen seines Fahrzeuges möglich ist.Die „Übersichtsaufnahmen“ des laufenden Verkehrs, diemit der auf der Brücke angebrachten Kamera gefertigt wer-den, lassen – wie dargelegt – eine solche Identifizierungnicht zu, so dass das genannte Grundrecht noch nicht be-rührt ist (ebenso OLG Bamberg NJW 2010, 100 [101]; Bren-ner DAR 2009, 579 [580]). Der Gegenansicht von Niehaus(DAR 2009, 632 [633]) folgt der Senat nicht. Es ist geradenicht möglich, ohne Weiteres von der Übersichtsaufnahmeauf die Nahaufnahme überzugehen; hierfür bedarf es eineranderen Kamera mit einem anderen Standort.

3. Die Rechtsgrundlage für die Anwendung des ViBrAM-BAMAS -Verfahrens findet sich in § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr.1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG . Den Ausführungen desOLG Bamberg (a.a.O. für das in Bayern verwendete Sys-tem VAMA, welches dem Verfahren ViBrAM-BAMASähnlich ist) schließt sich der Senat an (ebenso ThüringerOLG vom 6. Januar 2010 – 1 Ss 291/09 – für eine Geschwin-digkeitsmessanlage und AG Schweinfurt DAR 2009, 660 fürein anderes nicht standardisiertes Überwachungssystem).

a) Diese Bestimmung ist als damaliger § 100 c durch Arti-kel 3 Nr. 6 des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen

Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformender organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli1992 (BGBl I S. 1302) in die StPO eingefügt worden.Ziel war – wie die Überschrift des Gesetzes ausweist –die Bekämpfung der organisierten Kriminalität undnicht die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkei-ten. Andererseits findet sich im Wortlaut dieser Be-stimmung keine Beschränkung auf Fälle derorganisierten Kriminalität. Auch ergibt sich hierausnicht, dass Bildaufnahmen nur für Observationszweckegefertigt werden dürfen (so aber Meyer-Goßner, StPO,52. Auflage, § 100h Rn. 1). § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1StPO ist somit im Bußgeldverfahren anwendbar(ebenso Göhler/Seitz, OWiG, 15. Auflage, vor § 59 Rn.145 a; dagegen Grunert DAR 2010, 28 [29]).

b) Sofern auf den Bildern der am Fahrbahnrand aufge-stellten Kamera andere Verkehrsteilnehmer als der Be-troffene identifizierbar sein sollten, richtet sich dieStatthaftigkeit nach § 100h Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 Abs.1 OWiG.

c) Die Subsidiaritätsklausel in § 100 h Abs. 1 Satz 1StPO steht der Anwendung dieser Bestimmung nichtentgegen, da die Identität des Betroffenen auf andereWeise nicht ermittelt werden kann. Insbesondere ist esnicht möglich, auf stark befahrenen Autobahnen wieder A … im Bereich die Betroffenen anzuhalten.

d) Der allgemeinen Ermächtigungsgrundlage des § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG, welchedie Polizei ermächtigt, die zur Feststellung der Identitätdes Betroffenen erforderlichen Maßnahmen zu treffen,bedarf es deshalb nicht. § 81 b StPO i.V.m. § 46 Abs. 1OWiG dürfte nicht anwendbar sein, da diese Vorschriftvoraussetzt, dass der Betroffene um die Bildaufnahmeweiß (vgl. LR-Schäfer, StPO, 25. Auflage, § 100 c Rn. 20).

4. Die vom Betroffenen erhobene Aufklärungsrüge (§ 77Abs. 1 OWiG) ist – wie von der Generalstaatsanwaltschaftzu Recht ausgeführt – unzulässig, da keine konkrete in dasWissen des Zeugen gestellte Tatsache dargelegt wurde (s.Göhler/Seitz a.a.O. § 77 Rdnr. 8). Gleiches gilt in Bezug aufdas Abspielen des Videofilms (Augenschein). Im Übrigenist nicht ersichtlich, dass sich dem Amtsgericht die Erhebungdieser Beweise hätte aufdrängen müssen. Weitere Verfah-rensrügen, mit denen die Zuverlässigkeit der Abstandsmes-sung mittels des ViBrAM-BAMAS -Verfahrens, welches einstandardisiertes Messverfahren darstellt (OLG StuttgartNStZ-RR 2007, 382), allein in Frage gestellt werden kann(BGHSt 39, 291 [301 f.]), sind nicht erhoben worden.

aa) Das Aufstellen von Warnschildern ist nicht geeignet,den verkehrssicheren Zustand einer Straße zu gewährleis-ten. Eine Beschilderung kann dann zur vorläufigen Erfül-lung der gebotenen Verkehrssicherung genügen, wenn einenachhaltige Beseitigung der Gefahrenstelle mit zumutba-ren Mitteln nicht erreicht werden kann (eine solche Fall-gestaltung betraf die vom LG zitierte Entscheidung OLGRNürnberg 2001, 5 = VersR 2001, 999 = DAR 2001, 81 (Ls.)).Dies bedeutet im Unkehrschluss, dass sich der Verkehrssi-cherungspflichtige im Regelfall seiner Verpflichtung zurDurchführung zumutbarer und wirtschaftlich gebotenerMaßnahmen nicht durch das Aufstellen von Warnschildernentziehen kann (MüKo(BGB)/Wagner, a.a.O., § 823 Rdn.445). Die Frage der Zumutbarkeit einer Gefahrenbeseiti-gung ist nicht allein nach dem erforderlichen Aufwand desVerkehrssicherungspflichtigen zu beantworten. Vielmehrist auch das Interesse des Verkehrs in die Abwägung ein-zubeziehen. Zwischen den Kriterien besteht eine Wechsel-wirkung: Je größer und unvorhergesehener die Gefahr,umso eher wird der Verkehrssicherungspflichtige gehaltensein, auch eine zum gegebenen Zeitpunkt oder in der Artder Arbeitsausführung unwirtschaftliche Maßnahme aus-zuführen. Selbst in Fällen einer unzumutbaren Sofortbe-seitigung der eigentlichen Gefahrenstelle wird derVerkehrssicherungspflichtige durch das Aufstellen vonWarnschildern nur dann von der Haftung befreit, wenn dasWarnschild den die gebotene Sorgfalt beachtenden Ver-kehrsteilnehmer nachhaltig und wirksam in die Lage ver-setzt, der drohenden Gefahr auszuweichen.

bb) Im vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt war dieBeschilderung schon deshalb keine hinreichende Maß-nahme der Verkehrssicherung, da die gebotene nachhal-tige Beseitigung der Schadensstelle dem Bekl. ohneWeiteres zumutbar gewesen wäre: Das tiefe Schlaglochbarg zumindest für Radfahrer auf der abschüssigen Straßeim Scheitelpunkt einer Kurve – selbst für geübte Radfah-rer – eine erhebliche Sturzgefahr, die nach der Natur derSache mit schwerwiegenden Verletzungen einhergehenkonnte. Demgegenüber wäre eine provisorische Ausbes-serung des tiefen Schlaglochs mit keinem nennenswertenAufwand verbunden gewesen.

Zudem wies das Aufstellen des Warnschildes den dieStraße als Zweiradfahrer nutzenden Verkehr nicht nach-haltig genug auf die Gefahrenstelle hin: Hierbei ist zumeinen von Bedeutung, dass ein Hinweis auf das Bestehenvon Straßen-Schäden nicht zwingend zugleich vor demVorhandensein tiefer Schlaglöcher warnt: Der Begriff desStraßenschadens ist auslegungsfähig. Er umfasst vielge-staltige Sachverhalte und deutet nicht zwangsläufig aufSchäden hin, die die Gefahr eines Sturzes in sich bergen.Zum andern lagen im zur Entscheidung stehenden Sach-verhalt zwischen dem Schild und der Unfallstelle mehr als400 m. Es ist nicht vorgetragen, ob es im Straßenbelag in

der Annäherung an die Unfallstelle weitere Schlaglöcherähnlicher Größenordnung gab. Mithin war davon auszu-geben, dass sich die Warnfunktion des Schildes erst 400 mspäter aktualisierte. In einer solchen Situation muss derVerkehrssicherungspflichtige damit rechnen, dass selbstder die gebotene Sorgfalt beachtende Verkehr die War-nung nicht mehr hinreichend verinnerlicht und sein Fahr-verhalten 400 m nach dem Aufstellen des Schildes nicht inbesonderer Weise auf das Vorhandensein tiefer Schlaglö-cher einrichtet.c) Auch soweit das LG es für möglich erachtet hat, dassdas Schlagloch anlässlich der am 30.08.2005 durchgeführ-ten Kontrolle noch nicht vorhanden gewesen sein mag, be-gegnen die Tatsachenfeststellungen durchgreifendenBedenken: Die recht massiven Einbrüche in der Asphalt-decke zeigen das typische Gepräge eines Frostschadens,mit dessen Eintritt im September eines Jahres nicht zurechnen ist. Nach den Grundsätzen der praktischen Ver-nunft kann das lichtbildlich dokumentierte Schadensbildnicht in nur zwei Tagen entstanden sein.

Auf der Grundlage dieser Feststellung kann es den Bekl.nicht entlasten, am 30.08.2005 eine Kontrollfahrt durch-geführt zu haben: Sofern die massiven Schäden bei dieserKontrollfahrt tatsächlich übersehen wurden, belegt diesallein, dass die Kontrollfahrt nicht mit der gebotenen Sorg-falt ausgeführt wurde. Lag das Loch am 30.08.2005 jedochvor, ist auch die Kausalität der Verkehrssicherungspflicht-verletzung nachgewiesen.

d) Demgegenüber hat der Bekl. den ihm obliegenden Be-weis für ein Mitverschulden der Kl. nicht geführt: Die Kl.fuhr nicht bewiesenermaßen zu schnell. Auch eine vor-werfbar falsche oder zu späte Reaktion ist nicht bewiesen.

Restwertangebot des Vollkasko-versicherersUrteil des OLG Karlsruhe vom 28.08.09 – 12 U 90/09 –

Der Versicherungsnehmer ist durch die Schadensmin-derungspflicht gem. E.1.4 AKB 2008 nicht gehalten,sich auf ein Restwertangebot einzulassen, wenn sichder Anbieter in erheblicher Entfernung vom Wohnortbefindet und nicht feststeht, dass sich diese Firma be-reit findet, das Fahrzeug auf ihre Kosten abzuholen.Ferner obliegt es ihm nicht, bei der Verwertung hö-here Risiken einzugehen, als dies seinem gewöhnli-chen Geschäftsgebaren entspricht.

Aus den Gründen:

Der Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf Zahlungweiterer Versicherungsleistungen und auf Freistellung voneinem Teil der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.

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gegen den Mindestsicherheitsabstand und/oder gegen an-geordnete Höchstgeschwindigkeiten unzulässig.

3. Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung derFrage, ob die hier vom Senat herausgestellten Grundsätzeauch für Videoüberwachungen und -aufzeichnungen ausfahrenden Überwachungsfahrzeugen sowie für ortsfesteund mobile Radar- oder Laserüberwachungsmaßnahmengelten. Indessen dürfte die Fragestellung auch in diesemZusammenhang von entscheidender Bedeutung sein.

Verkehrssicherungspflicht beiSchlaglochUrteil des OLG Saarbrücken vom 03.11.09 – 4 U 185/09 –

1. Die Nichtbeseitigung eines tiefen Schlagloches ineiner Ortsdurchgangsstraße stellt jedenfalls danneine objektive Verletzung der dem Träger der Stra-ßenbaulast obliegenden Verkehrssicherungspflichtdar, wenn sich der Schadensbereich über eine nichtunerhebliche Fläche erstreckt und im Scheitelpunkteiner abschüssig verlaufenden Kurve liegt.

2. In einer solchen Situation genügt der Verkehrssi-cherungspflichtige seiner Verkehrssicherungspflichtnicht schon dann, wenn er – anstatt die Schadens-stelle auf zumutbare Weise zu beseitigen – in einerEntfernung von mehr als 400 m zur Schadensstelledurch Aufstellen von Verkehrsschildern vor dem Vor-handensein von Straßenschäden warnt.

Aus den Gründen:

1. Das LG ist von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausge-gangen:

Gem. § 9 Abs. 3 a SaarlStrG sind dem Träger der Straßen-baulast die sich aus der Überwachung der Verkehrssi-cherheit der öffentlichen Straßen ergebenden Aufgabenals Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit über-tragen. Demnach obliegt es dem Träger der Straßenbau-last in Erfüllung dieser Amtspflicht, die Straße in einemhinreichend sicheren Zustand zu erhalten und in geeigne-ter und objektiv zumutbarer Weise diejenigen Vorkeh-rungen zu treffen, die zur Herbeiführung und Erhaltungeines für die Benutzer hinreichend sicheren Zustandes er-forderlich sind. Hierbei ist keine absolute Gefahrlosigkeitherzustellen. Denn dies ist mit zumutbaren Mitteln nichtzu erreichen. Vielmehr muss sich der Straßenbenutzergrundsätzlich den gegebenen Straßenverhältnissen anpas-sen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm er-kennbar darbietet. Demgegenüber ist es Sache desVerkehrssicherungspflichtigen, alle, aber auch nur dieje-nigen Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vorihnen zu warnen, die für den Benutzer, der die erforderli-

che Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf dieer sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag(BGHZ 108, 273, 274 f. = DAR 1989, 379; BGH, Urt. v.21.06.1979 VersR 1979, 1055, vgl. Urt. v. 11.12.1984 NJW1985, 1076; Staudinger/Hager, BGB, 13. Aufl., § 823 Rdn. E74; MünchKomm(BGB)/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rdn. 416ff.; 438 f.; Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl., § 823 Rdn. 221;Bamberger/Roth/Spindler, BGB, 2. Aufl., § 823 Rdn. 314;Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub, BGB, 4. Aufl., § 823Rdn. 132).2. Allerdings begegnet die Anwendung der Rechtsgrund-sätze auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhaltdurchgreifenden Bedenken.

a) Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass das Schlaglochfür sich betrachtet einen verkehrsunsicheren Zustand dar-stellte. Augenscheinlich ist die besagte Stelle nicht nur un-erheblich vertieft. In Anbetracht der Größe des gesamtenSchadensbereichs – die Löcher im Belag erstrecken sichüber geschätzte 4 m – birgt der Belag selbst für einendurchschnittlich versierten Radfahrer eine Sturzgefahr.

Da die fragliche Stelle im Scheitelpunkt einer Kurve lag,verbietet sich der Schluss, dass die schadhafte Stelle füreinen situationsadäquat aufmerksamen Radfahrer ohneWeiteres erkennbar und beherrschbar war: An der Un-fallstelle war das plötzlich auftretende Schlagloch trotz derFahrbahnbreite nicht leicht zu umfahren. Allein der Um-stand, dass es im Straßenbereich in Form der offensichtlichmit Teer ausgefüllten Risse nicht zu übersehende Zeichenfür umfangreiche Ausbesserungsarbeiten gab, musste derKl. nicht die Einsicht vermitteln, dass im betroffenen Stra-ßenbereich tiefe Schlaglöcher vorhanden waren. Näherliegt der gegenteilige Schluss:Gerade weil im Straßenbereich erkennbar Ausbesse-rungsarbeiten veranlasst wurden, durfte die PCL daraufvertrauen, dass die Reparaturen zu einer vollständigenBeseitigung zumindest größerer Schlaglöcher führte. Zu-mindest erschwerte das Nebeneinander von Flickstellenund schadhaften Bereichen die Wahrnehmung noch vor-handener Schäden. Jedenfalls bei Eintritt der Dämmerung(der Unfall geschah am 01.09. gegen 20.00 Uhr; die Sonnegeht zu diesem Zeitpunkt etwa gegen 20.00 Uhr unter)mussten die Ausbesserungen einem Radfahrer nicht un-mittelbar ins Auge fallen. Letztlich hat auch der Zeuge F.diese Einschätzung hinsichtlich der Verkehrsunsicherheitgeteilt: Der Zeuge hat ausgesagt, dass er die Schäden –wenn sie ihm aufgefallen wären – entweder sofort beseitigtoder deren Beseitigung veranlasst hätte.

b) Auch ist die Bekl. ihrer Verkehrssicherungspflicht nichtbereits dadurch nachgekommen, dass sie am Ortsein-gang – aus der Fahrtrichtung der Kl. kommend – in einerEntfernung von 407 m ein Warnschild aufgestellt hatte, dasvor dem Vorhandensein von Straßenschäden warnte.

22 ACE - V E RK EHR S J U R I S T 4 / 2 0 1 0 ACE - V E RK EHR S J U R I S T 1 / 2 0 1 0 19

RECHTSPRECHUNG

Beweisverwertungsverbot beiAbstandsmessung mit Vibram-AnlageUrteil des OLG Düsseldorf v. 09.02.10 – IV-3 RBs 8/10 –

Die Abstandsmessung mit einer Vibram-Anlage unterVerwendung einer Videostoppuhr Deininger VSTP miteiner auf der Brücke installierten Übersichtskameraund einer neben der Fahrbahn installierten Handka-mera ist nicht mit den Grundsätzen des Beschlussesdes Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.09 verein-bar und unterliegt einem Beweisverwertungsverbot.

Aus den Gründen:

I. Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahr-lässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheits-abstandes eine Geldbuße von 100 € verhängt und einFahrverbot von einem Monat angeordnet.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffeneam 21. April 2008 bei Erkrath die Autobahn A3 in Fahrt-richtung Köln. Bei Kilometer 106,5 wurde eine Abstands-messung mit einer Vibram-Anlage unter Verwendung einerVideostoppuhr Deininger VSTP mit einer auf der Brückeinstallierten Übersichtskamera und einer neben der Fahr-bahn installierten Handkamera durchgeführt. Mit derÜbersichtskamera, die keine Feststellung von Kennzeichenund Fahrer erlaube, werde der gesamte Verkehr ständigaufgenommen und von einem Polizeibeamten überwacht.Erst wenn dieser eine Abstandsunterschreitung augen-scheinlich erkenne, werde auf die Handkamera umge-schaltet, die qualitativ einwandfreie Aufnahmen zurFeststellung des konkreten Abstands und des Kennzei-chens sowie zur Identifizierung des Fahrers herstelle. Dabeisoll der Betroffene den bei einer Geschwindigkeit von125 km/h erforderlichen Mindestabstand von 62,5 m zumvorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten haben.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat der BetroffeneRechtsbeschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel hat mit derSachrüge Erfolg.

II. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sind die mit-tels Videoaufzeichnung ermittelten Daten nicht verwert-bar, weil ein Beweisverwertungsverbot vorliegt.

1. Auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfas-sungsgerichts vom 11.08.2009 (vgl. NJW 2009, 3293 f.) un-terliegen die durch eine durchgeführte Videoüberwachungermittelten Beweise einem Beweiserhebungsverbot. In derangefertigten Videoaufzeichnung liegt ein Eingriff in das all-gemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informatio-nelle Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnisdes Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wannund innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssach-

verhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbstüber die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zubestimmen (vgl. BVerfG NJW 2009, 3293; E 65, 1, 42 f.).Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterialswerden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert.Sie können demgemäß jederzeit zu Beweiszwecken abge-rufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifi-zierung des Fahrzeuges sowie des Fahrers ist beabsichtigtund technisch auch möglich. Auf den gefertigten Bildernsind in der Regel das Kennzeichen des Fahrzeuges sowieder Fahrzeugführer zu erkennen. Dass die Erhebung derar-tiger Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelleSelbstbestimmung darstellt, entspricht der ständigen Recht-sprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGNJW 2009, 3293, 3294; E 120, 378, 397 f; NVwZ 2007, 688).Der Eingriff in das Grundrecht entfällt nicht dadurch, dasslediglich Verhaltensweisen im öffentlichen Raum erhobenwurden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleis-tet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre,sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelleSelbstbestimmung auch den informationellen Schutzin-teressen des Einzelnen, der sich in die Öffentlichkeit be-gibt, Rechnung (vgl. BVerfG NJW 2009, 3293, 3294; E 65,1, 45; 120, 378, 398; NVwZ 2007, 688). Es liegt auch keinFall vor, in dem Daten ungezielt und allein technikbedingtzunächst miterfasst, dann aber ohne weiteren Erkenntnis-gewinn, anonym und spurenlos wieder gelöscht werden,so dass aus diesem Grund die Eingriffsqualität verneintwerden könnte (vgl. dazu BVerfG NJW 2009, 3293, 3294;E 115, 320, 343; 120, 378, 399). Die vorliegend angefertig-ten Videoaufnahmen waren gerade für ein Bußgeld-Ver-fahren als Beweismittel vorgesehen und sind auchentsprechend genutzt worden. Eine gesetzliche Ermäch-tigungsgrundlage für die erhobenen Bilddaten ist nichtvorhanden. Auf einen ministeriellen Erlass kann die un-zulässige Beweiserhebung nicht gestützt werden.Derartige Regelungen, durch die eine vorgesetzte Behördeetwa auf ein einheitliches Verfahren oder eine einheitlicheGesetzesanwendung hinwirkt, stellen kein Gesetz im Sinndes Art. 20 Abs. 3 GG sowie des Art. 97 Abs. 1 GG dar undsind grundsätzlich Gegenstand, nicht Maßstab der richter-lichen Kontrolle (vgl. BVerfG E 78, 214, 227). Eine Ver-waltungsvorschrift kann für sich auch keinen Eingriff indas Grundrecht der informationellen Selbstbestimmungrechtfertigen, da es einer formell-gesetzlichen Grundlagebedarf (vgl. BVerfG NJW 2009, 3293, 3294).

a) Die Vorschriften der §§ 81b, 100h Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr.1, 163b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiGscheiden nach Auffassung des Senats als Ermächtigungs-grundlage aus.

aa) § 81b StPO setzt begrifflich voraus, dass die Beschul-digteneigenschaft bereits feststeht, bevor die entsprechen-den Maßnahmen durchgeführt werden. Dies ist zum

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RECHTSPRECHUNG

Zeitpunkt der Verkehrsüberwachung indessen nicht der Fall.Die Fahrereigenschaft kann allenfalls nach einer durch-geführten Halterermittlung anhand des auf der Videoauf-nahme ersichtlichen Kennzeichens festgestellt werden.

bb) § 163b Abs. 1 StPO rechtfertigt Bildaufnahmen, diemanuell oder automatisiert ausgelöst werden und zurIdentitätsfeststellung nach der bereits durch eine Über-wachungsanlage erfolgten Feststellung eines Verkehrs-verstoßes führen sollen. In diesem Rahmen wird allerdingsvorausgesetzt, dass der Verdacht einer schwerwiegendenOrdnungswidrigkeit vorliegt (vgl. auch KK-Griesbaum, 6. Aufl., § 163b StPO Rdnr. 5). Dies folgt bereits daraus,dass durch die nach § 163b StPO zulässigen Maßnahmenstets Grundrechte betroffen sind. Auch für Maßnahmennach § 163b Abs. 2 StPO ist erforderlich, dass bereits eineOrdnungswidrigkeit vorliegt und der Betroffene als Zeugeoder Augenscheinsobjekt benötigt wird. Die vorsorgliche Datenerhebung von unverdächtigen Per-sonen zum Zwecke der Überführung einer Ordnungswid-rigkeit wird von dieser Vorschrift nicht gedeckt.

cc) Hinsichtlich § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO bestehen bereitsZweifel an der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vor-schrift im Bußgeldverfahren. Denn die Gesetzesänderungendurch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikati-onsüberwachung vom 21.12.2007 (BGBI l 2007, 3198) sol-len nach ihrem Sinn und Zweck in erster Linie derBekämpfung von schwer ermittelbarer Kriminalität dienen(vgl. BT-Drucksache 16/5846; Grunert DAR 2010, 28, 29). Nach dem Regelungsgehalt der Vorschrift wird die Anfer-tigung von bildlichen oder videografischen Aufnahmen zuZwecken der Observation erfasst, nicht hingegen deren An-fertigung zur Beweissicherung und Auswertung (vgl. KK-Nack, a.a.O., § 100h StPO Rdnr. 1; Meyer-Goßner/Cierniak,52. Aufl., § 100h StPO Rdnr. 1 m.w.N.; Grunert, a.a.O.).Zudem muss es sich um eine Straftat von erheblicher Be-deutung handeln (vgl. KK-Nack, a.a.O., § 100h StPO Rdnr.6 m.w.N.).Abgesehen davon kann § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO als po-tentielle gungsgrundlage ebenfalls nur für Videoaufzeich-nungen in Betracht kommen, die zeitlich nach demVorliegen eines Anfangsverdachts ausgelöst werden.Damit muss die Betroffeneneigenschaft eines Fahrers be-reits durch entsprechend konkrete Anhaltspunkte be-gründet sein. Angesichts der durch die gesetzlicheRegelung bereitgestellten Vielzahl von Mitteln ist in die-sem Zusammenhang besonders der Verhältnismäßig-keitsgrundsatz zu beachten.

b) Im Ergebnis muss vor Beginn der Maßnahme zumin-dest ein Anfangsverdacht gegen den von der Bild- oderVideoaufzeichnung betroffenen Fahrer bestehen. Ein Ge-neralverdacht dahingehend, dass an bestimmten Stellenoder zu bestimmten Zeiten regelmäßig oder häufig be-

stimmte Verkehrsverstöße begangen werden, reicht nichtaus. Insofern bestehen bereits Bedenken aus dem Ge-sichtspunkt, dass gerichtsbekannt die konkrete Messstelledurch vorinstallierte ortsfeste Einrichtungen zur Anbrin-gung der Kameras und eine vorinstallierte Verkabelunggenerell vorbereitet ist und in unregelmäßigen Abständenwiederholt zur Verkehrsüberwachung genutzt wird. DieBedenken können indessen dahinstehen.

aa) Ein Anfangsverdacht ist nur dann gegeben, wenn zu-reichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegeneiner vorwerfbaren Ordnungswidrigkeit bestehen. DieserAnfangsverdacht muss durch eine konkret-individuelleErmittlungsentscheidung des Messbeamten festgestelltwerden, die dann durch eine weitere individuelle Anord-nung in Gestalt des Auslösens einer spezifischen Video-überwachungsmaßnahme bestätigt wird.Dies bedeutet, dass dem zur Videoüberwachung einge-setzten Beamten vor dem Start der Aufzeichnung zurei-chende tatsächliche und konkret ausgestalteteAnhaltspunkte für eine Abstandsunterschreitung und/oderGeschwindigkeitsüberschreitung vorliegen müssen, diesich gegen einen bestimmten Fahrzeugführer richten. DieseAnhaltspunkte müssen zudem objektivierbar sein, um dieRechtmäßigkeit der Feststellung des Anfangsverdachtsüberprüfbar und damit transparent zu machen.Nach Auffassung des Senats sind insoweit Schätzungen nichtausreichend objektivierbar. Die Rechtsgrundlage in §§ 163bAbs. 1, 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO ermächtigt zu erheblichenGrundrechtseingriffen und hat damit schwerwiegende Fol-gen. Demgemäß sind hohe Anforderungen an die Zuverläs-sigkeit der Ermittlung des konkreten Anfangsverdachts zustellen.

bb) Ob die Primärfeststellung dabei durch eine konkreteMessung erfolgen muss oder auch durch eine visuelleSchätzung erfolgen kann, bedarf vorliegend aber keinernäheren Klärung.Denn soweit die Videoüberwachung und -aufzeichnungmittels des Vibram-Systems mit einer ständig durchlau-fenden Kamera erfolgt und eine Auswertung erst an-schließend unter Zuhilfenahme von technischenEinrichtungen und einer zusätzlichen Software durchge-führt wird, unterliegt es keinem ernsthaften Zweifel, dassim Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts ein Beweiserhebungsverbot vorliegt. DieArbeitsweise des Systems nach dieser Methode ist demSenat aus eigener Anschauung bei einer früheren De-monstration bekannt.Soweit die Videoüberwachung mittels des Vibram-Sys-tems zunächst mit einer durchlaufenden und von einemMessbeamten überwachten Kamera erfolgt und erst beiAnnahme eines konkreten Abstandsverstoßes eine nebender Fahrbahn befindliche Kamera zur Aufzeichnung ein-

geschaltet wird und die damit aufgezeichneten Videose-quenzen anschließend durch weitere technische Einrich-tungen und eine zusätzlichen Software ausgewertetwerden, ergibt sich nichts anderes. Denn bereits die Pri-märüberwachung durch eine ständig mitlaufende Kameraverstößt unter Berücksichtigung der Argumentation desBundesverfassungsgerichts gegen das informationelleSelbstbestimmungsrecht eines Betroffenen. Bereits dieFeststellung eines Anfangsverdachts beruht auf der Aus-wertung von Videoaufnahmen und nicht auf einer kon-kreten individuellen Überwachung durch einenPolizeibeamten. Es stellt sich erst im Nachhinein durchAuswertung der angefertigten Videoaufnahme heraus, obder Fahrer des überwachten Fahrzeugs dieses unter rele-vanter Unterschreitung der Mindestabstandsgrenzen oderunter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindig-keit geführt hat.

Ein Grundrechtseingriff liegt bereits dann vor, wenn über-haupt ein privater Lebensvorgang erfasst wird, auch wenner erst durch zusätzliche Maßnahmen zur weiteren kon-kreten Individualisierung führt. Auch auf der durchlau-fenden Videoaufzeichnung mit der Primärkamera müssenkonkrete Details erkennbar sein, so zumindest Fahrzeug-typ, Fahrweise und Fahrverhalten, aber auch die perso-nelle Besetzung des Fahrzeugs auf den Vordersitzen.

Denn ohne eine entsprechende Auflösung der Videoka-mera wäre dem Messbeamten eine ausreichend sichereBeurteilung, ob der Anfangsverdacht eines Verkehrsver-stoßes vorliegt, objektiv gar nicht möglich. Erfolgt beieiner niedrigen Bildauflösung und deren Überwachungeine gezielte Einschaltung der neben der Fahrbahn be-findlichen Sekundärkamera, so erfolgt die dann durchge-führte Aufzeichnung ohne den erforderlichen konkretenAnfangsverdacht.

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass durch dasVibram-System eine unzulässige verdachtsunabhängigeVideoaufzeichnung durchgeführt wird, die erst im Nach-hinein durch konkret-spezifische Auswertungsmaßnah-men zur Feststellung eines Verkehrsverstoßes durch einenkonkretisierbaren Fahrer führt. Damit besteht ein Be-weiserhebungsverbot (ebenso für vergleichbare SystemeOLG Oldenburg DAR 2010, 32, 33; AG Eilenburg, Urteilvom 28.10.2009 [5 OWi 256 Js 32476/09]; DAR 2009, 657,658; AG Grimma DAR 2009, 659; StRR 2009, 478; AGMeißen, Urteil vom 16.12.2009 [13 OWi 705 Js 32778/09];VRR 2009, 472; jeweils mit überzeugender Begründung;a.A. OLG Bamberg NJW 2010, 100, 101; AG SchweinfurthDAR 2009, 660, 661/662).

2. Nach allgemeinen strafprozessualen Grundsätzen (vgl.dazu Meyer-Goßner, a.a.O., EinI Rdnr. 55 ff. m.w.N.), dieüber § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren sinn-gemäß anwendbar sind, kann aus einem Beweiserhe-

bungsverbot auch ein Beweisverwertungsverbot folgen(vgl. KK-Lampe, a.a.O., § 46 OWiG Rdnr. 18; Göhler-Seitz,14. Aufl., § 46 OWiG Rdnr. 10c mwN).

Dies ist in Fällen, in denen keine verbindliche Regelunggetroffen ist, anhand einer Betrachtung der jeweiligenUmstände des Einzelfalles zu ermitteln (vgl. Hentschel-König, 40. Aufl., § 26 StVG, Rdnr. 2; KK-Lampe, a.a.O., §46 OWiG Rdnr. 18; Göhler-Seitz, a.a.O., § 46 OWiG Rdnr.10c). Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtsliegt in den Fällen der rechtswidrigen Videoüberwachungein Rechtsverstoß, der ein Beweisverwertungsverbot nachsich zieht, nicht fern (vgl. NJW 2009, 3293).

Nach Auffassung des Senats besteht für solche Beweis-mittel, die unter Verstoß gegen das informationelle Selbst-bestimmungsrecht gewonnen worden sind und für derenErhebung keine gesetzliche Grundlage besteht, ein Be-weisverwertungsverbot (ebenso OLG Oldenburg, a.a.O.;AG Eilenburg, a.a.O.; AG Grimma, aaO; AG Meißen,a.a.O.).Der Verfassungsverstoß bei der rechtswidrigen Überwa-chung würde einerseits manifestiert und andererseits aberauch relativiert, wenn das in der Regel als einziges Be-weismittel zur Verfügung stehende Videomaterial zurÜberführung des Täters genügen dürfte.In diesem Zusammenhang führt auch die Überlegung,dass die Überwachung von Sicherheitsabständen und Ge-schwindigkeit regelmäßig zur Verbesserung der Verkehrs-disziplin und zur Vermeidung von erheblichen Unfälleneingesetzt wird und dass das durch einen erheblichen Ver-stoß ausgelöste Gefährdungspotenzial für Personen undSachen außerordentlich hoch ist, nicht deshalb zu einerabweichenden Betrachtungsweise, weil auch insoweit be-deutende Rechtsgüter mit Verfassungsrang betroffen sind.Denn rechtsstaatliche Grundsätze dürfen bei einer Ver-kehrsüberwachungsmaßnahme auch insoweit nicht außerBetracht bleiben. Diese Einschätzung ist jedenfalls vordem Hintergrund geboten, dass es sich bei derartigenMaßnahmen mit Videosystemen um massenhaft durchge-führte Überwachungen im Rahmen von standardisiertenVerfahren und damit um einen systematisch angelegtenEingriff in die Grundrechte einer Vielzahl von Personenhandelt. Zudem stellen Ordnungswidrigkeiten wie die vor-liegende Tat qualitativ solche dar, die eher dem unterenbis mittleren Schweregrad zuzuordnen sind und derenVerfolgung sich nicht als derart vordringlich darstellt, dassdeshalb schwerwiegende Grundrechtseingriffe ausnahms-weise hinzunehmen wären.

Der zuständige Gesetzgeber ist gefordert, die vom Bun-desverfassungsgericht angesprochenen gesetzlichen Er-mächtigungsgrundlagen zu schaffen. Bis zu einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage sindVideoüberwachungen zur Feststellung von Verstößen

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RECHTSPRECHUNG

Zeitpunkt der Verkehrsüberwachung indessen nicht der Fall.Die Fahrereigenschaft kann allenfalls nach einer durch-geführten Halterermittlung anhand des auf der Videoauf-nahme ersichtlichen Kennzeichens festgestellt werden.

bb) § 163b Abs. 1 StPO rechtfertigt Bildaufnahmen, diemanuell oder automatisiert ausgelöst werden und zurIdentitätsfeststellung nach der bereits durch eine Über-wachungsanlage erfolgten Feststellung eines Verkehrs-verstoßes führen sollen. In diesem Rahmen wird allerdingsvorausgesetzt, dass der Verdacht einer schwerwiegendenOrdnungswidrigkeit vorliegt (vgl. auch KK-Griesbaum, 6. Aufl., § 163b StPO Rdnr. 5). Dies folgt bereits daraus,dass durch die nach § 163b StPO zulässigen Maßnahmenstets Grundrechte betroffen sind. Auch für Maßnahmennach § 163b Abs. 2 StPO ist erforderlich, dass bereits eineOrdnungswidrigkeit vorliegt und der Betroffene als Zeugeoder Augenscheinsobjekt benötigt wird. Die vorsorgliche Datenerhebung von unverdächtigen Per-sonen zum Zwecke der Überführung einer Ordnungswid-rigkeit wird von dieser Vorschrift nicht gedeckt.

cc) Hinsichtlich § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO bestehen bereitsZweifel an der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vor-schrift im Bußgeldverfahren. Denn die Gesetzesänderungendurch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikati-onsüberwachung vom 21.12.2007 (BGBI l 2007, 3198) sol-len nach ihrem Sinn und Zweck in erster Linie derBekämpfung von schwer ermittelbarer Kriminalität dienen(vgl. BT-Drucksache 16/5846; Grunert DAR 2010, 28, 29). Nach dem Regelungsgehalt der Vorschrift wird die Anfer-tigung von bildlichen oder videografischen Aufnahmen zuZwecken der Observation erfasst, nicht hingegen deren An-fertigung zur Beweissicherung und Auswertung (vgl. KK-Nack, a.a.O., § 100h StPO Rdnr. 1; Meyer-Goßner/Cierniak,52. Aufl., § 100h StPO Rdnr. 1 m.w.N.; Grunert, a.a.O.).Zudem muss es sich um eine Straftat von erheblicher Be-deutung handeln (vgl. KK-Nack, a.a.O., § 100h StPO Rdnr.6 m.w.N.).Abgesehen davon kann § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO als po-tentielle gungsgrundlage ebenfalls nur für Videoaufzeich-nungen in Betracht kommen, die zeitlich nach demVorliegen eines Anfangsverdachts ausgelöst werden.Damit muss die Betroffeneneigenschaft eines Fahrers be-reits durch entsprechend konkrete Anhaltspunkte be-gründet sein. Angesichts der durch die gesetzlicheRegelung bereitgestellten Vielzahl von Mitteln ist in die-sem Zusammenhang besonders der Verhältnismäßig-keitsgrundsatz zu beachten.

b) Im Ergebnis muss vor Beginn der Maßnahme zumin-dest ein Anfangsverdacht gegen den von der Bild- oderVideoaufzeichnung betroffenen Fahrer bestehen. Ein Ge-neralverdacht dahingehend, dass an bestimmten Stellenoder zu bestimmten Zeiten regelmäßig oder häufig be-

stimmte Verkehrsverstöße begangen werden, reicht nichtaus. Insofern bestehen bereits Bedenken aus dem Ge-sichtspunkt, dass gerichtsbekannt die konkrete Messstelledurch vorinstallierte ortsfeste Einrichtungen zur Anbrin-gung der Kameras und eine vorinstallierte Verkabelunggenerell vorbereitet ist und in unregelmäßigen Abständenwiederholt zur Verkehrsüberwachung genutzt wird. DieBedenken können indessen dahinstehen.

aa) Ein Anfangsverdacht ist nur dann gegeben, wenn zu-reichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegeneiner vorwerfbaren Ordnungswidrigkeit bestehen. DieserAnfangsverdacht muss durch eine konkret-individuelleErmittlungsentscheidung des Messbeamten festgestelltwerden, die dann durch eine weitere individuelle Anord-nung in Gestalt des Auslösens einer spezifischen Video-überwachungsmaßnahme bestätigt wird.Dies bedeutet, dass dem zur Videoüberwachung einge-setzten Beamten vor dem Start der Aufzeichnung zurei-chende tatsächliche und konkret ausgestalteteAnhaltspunkte für eine Abstandsunterschreitung und/oderGeschwindigkeitsüberschreitung vorliegen müssen, diesich gegen einen bestimmten Fahrzeugführer richten. DieseAnhaltspunkte müssen zudem objektivierbar sein, um dieRechtmäßigkeit der Feststellung des Anfangsverdachtsüberprüfbar und damit transparent zu machen.Nach Auffassung des Senats sind insoweit Schätzungen nichtausreichend objektivierbar. Die Rechtsgrundlage in §§ 163bAbs. 1, 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO ermächtigt zu erheblichenGrundrechtseingriffen und hat damit schwerwiegende Fol-gen. Demgemäß sind hohe Anforderungen an die Zuverläs-sigkeit der Ermittlung des konkreten Anfangsverdachts zustellen.

bb) Ob die Primärfeststellung dabei durch eine konkreteMessung erfolgen muss oder auch durch eine visuelleSchätzung erfolgen kann, bedarf vorliegend aber keinernäheren Klärung.Denn soweit die Videoüberwachung und -aufzeichnungmittels des Vibram-Systems mit einer ständig durchlau-fenden Kamera erfolgt und eine Auswertung erst an-schließend unter Zuhilfenahme von technischenEinrichtungen und einer zusätzlichen Software durchge-führt wird, unterliegt es keinem ernsthaften Zweifel, dassim Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts ein Beweiserhebungsverbot vorliegt. DieArbeitsweise des Systems nach dieser Methode ist demSenat aus eigener Anschauung bei einer früheren De-monstration bekannt.Soweit die Videoüberwachung mittels des Vibram-Sys-tems zunächst mit einer durchlaufenden und von einemMessbeamten überwachten Kamera erfolgt und erst beiAnnahme eines konkreten Abstandsverstoßes eine nebender Fahrbahn befindliche Kamera zur Aufzeichnung ein-

geschaltet wird und die damit aufgezeichneten Videose-quenzen anschließend durch weitere technische Einrich-tungen und eine zusätzlichen Software ausgewertetwerden, ergibt sich nichts anderes. Denn bereits die Pri-märüberwachung durch eine ständig mitlaufende Kameraverstößt unter Berücksichtigung der Argumentation desBundesverfassungsgerichts gegen das informationelleSelbstbestimmungsrecht eines Betroffenen. Bereits dieFeststellung eines Anfangsverdachts beruht auf der Aus-wertung von Videoaufnahmen und nicht auf einer kon-kreten individuellen Überwachung durch einenPolizeibeamten. Es stellt sich erst im Nachhinein durchAuswertung der angefertigten Videoaufnahme heraus, obder Fahrer des überwachten Fahrzeugs dieses unter rele-vanter Unterschreitung der Mindestabstandsgrenzen oderunter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindig-keit geführt hat.

Ein Grundrechtseingriff liegt bereits dann vor, wenn über-haupt ein privater Lebensvorgang erfasst wird, auch wenner erst durch zusätzliche Maßnahmen zur weiteren kon-kreten Individualisierung führt. Auch auf der durchlau-fenden Videoaufzeichnung mit der Primärkamera müssenkonkrete Details erkennbar sein, so zumindest Fahrzeug-typ, Fahrweise und Fahrverhalten, aber auch die perso-nelle Besetzung des Fahrzeugs auf den Vordersitzen.

Denn ohne eine entsprechende Auflösung der Videoka-mera wäre dem Messbeamten eine ausreichend sichereBeurteilung, ob der Anfangsverdacht eines Verkehrsver-stoßes vorliegt, objektiv gar nicht möglich. Erfolgt beieiner niedrigen Bildauflösung und deren Überwachungeine gezielte Einschaltung der neben der Fahrbahn be-findlichen Sekundärkamera, so erfolgt die dann durchge-führte Aufzeichnung ohne den erforderlichen konkretenAnfangsverdacht.

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass durch dasVibram-System eine unzulässige verdachtsunabhängigeVideoaufzeichnung durchgeführt wird, die erst im Nach-hinein durch konkret-spezifische Auswertungsmaßnah-men zur Feststellung eines Verkehrsverstoßes durch einenkonkretisierbaren Fahrer führt. Damit besteht ein Be-weiserhebungsverbot (ebenso für vergleichbare SystemeOLG Oldenburg DAR 2010, 32, 33; AG Eilenburg, Urteilvom 28.10.2009 [5 OWi 256 Js 32476/09]; DAR 2009, 657,658; AG Grimma DAR 2009, 659; StRR 2009, 478; AGMeißen, Urteil vom 16.12.2009 [13 OWi 705 Js 32778/09];VRR 2009, 472; jeweils mit überzeugender Begründung;a.A. OLG Bamberg NJW 2010, 100, 101; AG SchweinfurthDAR 2009, 660, 661/662).

2. Nach allgemeinen strafprozessualen Grundsätzen (vgl.dazu Meyer-Goßner, a.a.O., EinI Rdnr. 55 ff. m.w.N.), dieüber § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren sinn-gemäß anwendbar sind, kann aus einem Beweiserhe-

bungsverbot auch ein Beweisverwertungsverbot folgen(vgl. KK-Lampe, a.a.O., § 46 OWiG Rdnr. 18; Göhler-Seitz,14. Aufl., § 46 OWiG Rdnr. 10c mwN).

Dies ist in Fällen, in denen keine verbindliche Regelunggetroffen ist, anhand einer Betrachtung der jeweiligenUmstände des Einzelfalles zu ermitteln (vgl. Hentschel-König, 40. Aufl., § 26 StVG, Rdnr. 2; KK-Lampe, a.a.O., §46 OWiG Rdnr. 18; Göhler-Seitz, a.a.O., § 46 OWiG Rdnr.10c). Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtsliegt in den Fällen der rechtswidrigen Videoüberwachungein Rechtsverstoß, der ein Beweisverwertungsverbot nachsich zieht, nicht fern (vgl. NJW 2009, 3293).

Nach Auffassung des Senats besteht für solche Beweis-mittel, die unter Verstoß gegen das informationelle Selbst-bestimmungsrecht gewonnen worden sind und für derenErhebung keine gesetzliche Grundlage besteht, ein Be-weisverwertungsverbot (ebenso OLG Oldenburg, a.a.O.;AG Eilenburg, a.a.O.; AG Grimma, aaO; AG Meißen,a.a.O.).Der Verfassungsverstoß bei der rechtswidrigen Überwa-chung würde einerseits manifestiert und andererseits aberauch relativiert, wenn das in der Regel als einziges Be-weismittel zur Verfügung stehende Videomaterial zurÜberführung des Täters genügen dürfte.In diesem Zusammenhang führt auch die Überlegung,dass die Überwachung von Sicherheitsabständen und Ge-schwindigkeit regelmäßig zur Verbesserung der Verkehrs-disziplin und zur Vermeidung von erheblichen Unfälleneingesetzt wird und dass das durch einen erheblichen Ver-stoß ausgelöste Gefährdungspotenzial für Personen undSachen außerordentlich hoch ist, nicht deshalb zu einerabweichenden Betrachtungsweise, weil auch insoweit be-deutende Rechtsgüter mit Verfassungsrang betroffen sind.Denn rechtsstaatliche Grundsätze dürfen bei einer Ver-kehrsüberwachungsmaßnahme auch insoweit nicht außerBetracht bleiben. Diese Einschätzung ist jedenfalls vordem Hintergrund geboten, dass es sich bei derartigenMaßnahmen mit Videosystemen um massenhaft durchge-führte Überwachungen im Rahmen von standardisiertenVerfahren und damit um einen systematisch angelegtenEingriff in die Grundrechte einer Vielzahl von Personenhandelt. Zudem stellen Ordnungswidrigkeiten wie die vor-liegende Tat qualitativ solche dar, die eher dem unterenbis mittleren Schweregrad zuzuordnen sind und derenVerfolgung sich nicht als derart vordringlich darstellt, dassdeshalb schwerwiegende Grundrechtseingriffe ausnahms-weise hinzunehmen wären.

Der zuständige Gesetzgeber ist gefordert, die vom Bun-desverfassungsgericht angesprochenen gesetzlichen Er-mächtigungsgrundlagen zu schaffen. Bis zu einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage sindVideoüberwachungen zur Feststellung von Verstößen

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gegen den Mindestsicherheitsabstand und/oder gegen an-geordnete Höchstgeschwindigkeiten unzulässig.

3. Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung derFrage, ob die hier vom Senat herausgestellten Grundsätzeauch für Videoüberwachungen und -aufzeichnungen ausfahrenden Überwachungsfahrzeugen sowie für ortsfesteund mobile Radar- oder Laserüberwachungsmaßnahmengelten. Indessen dürfte die Fragestellung auch in diesemZusammenhang von entscheidender Bedeutung sein.

Verkehrssicherungspflicht beiSchlaglochUrteil des OLG Saarbrücken vom 03.11.09 – 4 U 185/09 –

1. Die Nichtbeseitigung eines tiefen Schlagloches ineiner Ortsdurchgangsstraße stellt jedenfalls danneine objektive Verletzung der dem Träger der Stra-ßenbaulast obliegenden Verkehrssicherungspflichtdar, wenn sich der Schadensbereich über eine nichtunerhebliche Fläche erstreckt und im Scheitelpunkteiner abschüssig verlaufenden Kurve liegt.

2. In einer solchen Situation genügt der Verkehrssi-cherungspflichtige seiner Verkehrssicherungspflichtnicht schon dann, wenn er – anstatt die Schadens-stelle auf zumutbare Weise zu beseitigen – in einerEntfernung von mehr als 400 m zur Schadensstelledurch Aufstellen von Verkehrsschildern vor dem Vor-handensein von Straßenschäden warnt.

Aus den Gründen:

1. Das LG ist von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausge-gangen:

Gem. § 9 Abs. 3 a SaarlStrG sind dem Träger der Straßen-baulast die sich aus der Überwachung der Verkehrssi-cherheit der öffentlichen Straßen ergebenden Aufgabenals Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit über-tragen. Demnach obliegt es dem Träger der Straßenbau-last in Erfüllung dieser Amtspflicht, die Straße in einemhinreichend sicheren Zustand zu erhalten und in geeigne-ter und objektiv zumutbarer Weise diejenigen Vorkeh-rungen zu treffen, die zur Herbeiführung und Erhaltungeines für die Benutzer hinreichend sicheren Zustandes er-forderlich sind. Hierbei ist keine absolute Gefahrlosigkeitherzustellen. Denn dies ist mit zumutbaren Mitteln nichtzu erreichen. Vielmehr muss sich der Straßenbenutzergrundsätzlich den gegebenen Straßenverhältnissen anpas-sen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm er-kennbar darbietet. Demgegenüber ist es Sache desVerkehrssicherungspflichtigen, alle, aber auch nur dieje-nigen Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vorihnen zu warnen, die für den Benutzer, der die erforderli-

che Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf dieer sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag(BGHZ 108, 273, 274 f. = DAR 1989, 379; BGH, Urt. v.21.06.1979 VersR 1979, 1055, vgl. Urt. v. 11.12.1984 NJW1985, 1076; Staudinger/Hager, BGB, 13. Aufl., § 823 Rdn. E74; MünchKomm(BGB)/Wagner, 5. Aufl., § 823 Rdn. 416ff.; 438 f.; Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl., § 823 Rdn. 221;Bamberger/Roth/Spindler, BGB, 2. Aufl., § 823 Rdn. 314;Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub, BGB, 4. Aufl., § 823Rdn. 132).2. Allerdings begegnet die Anwendung der Rechtsgrund-sätze auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhaltdurchgreifenden Bedenken.

a) Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass das Schlaglochfür sich betrachtet einen verkehrsunsicheren Zustand dar-stellte. Augenscheinlich ist die besagte Stelle nicht nur un-erheblich vertieft. In Anbetracht der Größe des gesamtenSchadensbereichs – die Löcher im Belag erstrecken sichüber geschätzte 4 m – birgt der Belag selbst für einendurchschnittlich versierten Radfahrer eine Sturzgefahr.

Da die fragliche Stelle im Scheitelpunkt einer Kurve lag,verbietet sich der Schluss, dass die schadhafte Stelle füreinen situationsadäquat aufmerksamen Radfahrer ohneWeiteres erkennbar und beherrschbar war: An der Un-fallstelle war das plötzlich auftretende Schlagloch trotz derFahrbahnbreite nicht leicht zu umfahren. Allein der Um-stand, dass es im Straßenbereich in Form der offensichtlichmit Teer ausgefüllten Risse nicht zu übersehende Zeichenfür umfangreiche Ausbesserungsarbeiten gab, musste derKl. nicht die Einsicht vermitteln, dass im betroffenen Stra-ßenbereich tiefe Schlaglöcher vorhanden waren. Näherliegt der gegenteilige Schluss:Gerade weil im Straßenbereich erkennbar Ausbesse-rungsarbeiten veranlasst wurden, durfte die PCL daraufvertrauen, dass die Reparaturen zu einer vollständigenBeseitigung zumindest größerer Schlaglöcher führte. Zu-mindest erschwerte das Nebeneinander von Flickstellenund schadhaften Bereichen die Wahrnehmung noch vor-handener Schäden. Jedenfalls bei Eintritt der Dämmerung(der Unfall geschah am 01.09. gegen 20.00 Uhr; die Sonnegeht zu diesem Zeitpunkt etwa gegen 20.00 Uhr unter)mussten die Ausbesserungen einem Radfahrer nicht un-mittelbar ins Auge fallen. Letztlich hat auch der Zeuge F.diese Einschätzung hinsichtlich der Verkehrsunsicherheitgeteilt: Der Zeuge hat ausgesagt, dass er die Schäden –wenn sie ihm aufgefallen wären – entweder sofort beseitigtoder deren Beseitigung veranlasst hätte.

b) Auch ist die Bekl. ihrer Verkehrssicherungspflicht nichtbereits dadurch nachgekommen, dass sie am Ortsein-gang – aus der Fahrtrichtung der Kl. kommend – in einerEntfernung von 407 m ein Warnschild aufgestellt hatte, dasvor dem Vorhandensein von Straßenschäden warnte.

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RECHTSPRECHUNG

Beweisverwertungsverbot beiAbstandsmessung mit Vibram-AnlageUrteil des OLG Düsseldorf v. 09.02.10 – IV-3 RBs 8/10 –

Die Abstandsmessung mit einer Vibram-Anlage unterVerwendung einer Videostoppuhr Deininger VSTP miteiner auf der Brücke installierten Übersichtskameraund einer neben der Fahrbahn installierten Handka-mera ist nicht mit den Grundsätzen des Beschlussesdes Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.09 verein-bar und unterliegt einem Beweisverwertungsverbot.

Aus den Gründen:

I. Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahr-lässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheits-abstandes eine Geldbuße von 100 € verhängt und einFahrverbot von einem Monat angeordnet.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffeneam 21. April 2008 bei Erkrath die Autobahn A3 in Fahrt-richtung Köln. Bei Kilometer 106,5 wurde eine Abstands-messung mit einer Vibram-Anlage unter Verwendung einerVideostoppuhr Deininger VSTP mit einer auf der Brückeinstallierten Übersichtskamera und einer neben der Fahr-bahn installierten Handkamera durchgeführt. Mit derÜbersichtskamera, die keine Feststellung von Kennzeichenund Fahrer erlaube, werde der gesamte Verkehr ständigaufgenommen und von einem Polizeibeamten überwacht.Erst wenn dieser eine Abstandsunterschreitung augen-scheinlich erkenne, werde auf die Handkamera umge-schaltet, die qualitativ einwandfreie Aufnahmen zurFeststellung des konkreten Abstands und des Kennzei-chens sowie zur Identifizierung des Fahrers herstelle. Dabeisoll der Betroffene den bei einer Geschwindigkeit von125 km/h erforderlichen Mindestabstand von 62,5 m zumvorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten haben.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts hat der BetroffeneRechtsbeschwerde eingelegt. Das Rechtsmittel hat mit derSachrüge Erfolg.

II. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sind die mit-tels Videoaufzeichnung ermittelten Daten nicht verwert-bar, weil ein Beweisverwertungsverbot vorliegt.

1. Auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfas-sungsgerichts vom 11.08.2009 (vgl. NJW 2009, 3293 f.) un-terliegen die durch eine durchgeführte Videoüberwachungermittelten Beweise einem Beweiserhebungsverbot. In derangefertigten Videoaufzeichnung liegt ein Eingriff in das all-gemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informatio-nelle Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnisdes Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wannund innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssach-

verhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbstüber die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zubestimmen (vgl. BVerfG NJW 2009, 3293; E 65, 1, 42 f.).Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterialswerden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert.Sie können demgemäß jederzeit zu Beweiszwecken abge-rufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifi-zierung des Fahrzeuges sowie des Fahrers ist beabsichtigtund technisch auch möglich. Auf den gefertigten Bildernsind in der Regel das Kennzeichen des Fahrzeuges sowieder Fahrzeugführer zu erkennen. Dass die Erhebung derar-tiger Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelleSelbstbestimmung darstellt, entspricht der ständigen Recht-sprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGNJW 2009, 3293, 3294; E 120, 378, 397 f; NVwZ 2007, 688).Der Eingriff in das Grundrecht entfällt nicht dadurch, dasslediglich Verhaltensweisen im öffentlichen Raum erhobenwurden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleis-tet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre,sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelleSelbstbestimmung auch den informationellen Schutzin-teressen des Einzelnen, der sich in die Öffentlichkeit be-gibt, Rechnung (vgl. BVerfG NJW 2009, 3293, 3294; E 65,1, 45; 120, 378, 398; NVwZ 2007, 688). Es liegt auch keinFall vor, in dem Daten ungezielt und allein technikbedingtzunächst miterfasst, dann aber ohne weiteren Erkenntnis-gewinn, anonym und spurenlos wieder gelöscht werden,so dass aus diesem Grund die Eingriffsqualität verneintwerden könnte (vgl. dazu BVerfG NJW 2009, 3293, 3294;E 115, 320, 343; 120, 378, 399). Die vorliegend angefertig-ten Videoaufnahmen waren gerade für ein Bußgeld-Ver-fahren als Beweismittel vorgesehen und sind auchentsprechend genutzt worden. Eine gesetzliche Ermäch-tigungsgrundlage für die erhobenen Bilddaten ist nichtvorhanden. Auf einen ministeriellen Erlass kann die un-zulässige Beweiserhebung nicht gestützt werden.Derartige Regelungen, durch die eine vorgesetzte Behördeetwa auf ein einheitliches Verfahren oder eine einheitlicheGesetzesanwendung hinwirkt, stellen kein Gesetz im Sinndes Art. 20 Abs. 3 GG sowie des Art. 97 Abs. 1 GG dar undsind grundsätzlich Gegenstand, nicht Maßstab der richter-lichen Kontrolle (vgl. BVerfG E 78, 214, 227). Eine Ver-waltungsvorschrift kann für sich auch keinen Eingriff indas Grundrecht der informationellen Selbstbestimmungrechtfertigen, da es einer formell-gesetzlichen Grundlagebedarf (vgl. BVerfG NJW 2009, 3293, 3294).

a) Die Vorschriften der §§ 81b, 100h Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr.1, 163b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiGscheiden nach Auffassung des Senats als Ermächtigungs-grundlage aus.

aa) § 81b StPO setzt begrifflich voraus, dass die Beschul-digteneigenschaft bereits feststeht, bevor die entsprechen-den Maßnahmen durchgeführt werden. Dies ist zum

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RECHTSPRECHUNG

richt hat in dem angefochtenen Urteil zutreffend festge-stellt, dass beim Verfahren ViBrAM-BAMAS der flie-ßende Verkehr mittels einer auf einer Brücke, welche überdie Autobahn führt, angebrachten Videokamera auf einerLänge von ca. 300 bis 500 m aufgenommen wird. Anhanddieser Bilder, auf denen weder die Identität des Fahrersnoch das Kennzeichen seines Fahrzeuges erkennbar sind,entscheidet der Polizeibeamte, ob ein konkreter Verdachtder Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Abstandes be-steht. Ist dies der Fall, schaltet er eine zweite am Fahr-bahnrand aufgestellte Kamera hinzu, die das betreffendeFahrzeug aufnimmt. Auf diesen Bildern sind der Fahrer (=jetzt der Betroffene) und das Kennzeichen des Fahrzeu-ges erkennbar. Somit wurden vorliegend anders als in demFall, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtszugrunde liegt, Videoaufzeichnungen, auf denen die Iden-tität des Fahrers und das Kennzeichen sichtbar sind, erstdann gefertigt, nachdem der Verdacht einer Verkehrsord-nungswidrigkeit festgestellt worden war.

2. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmungdes einzelnen Verkehrsteilnehmers (BVerfGE 65, 1) stehtder Anwendung des Überwachungssystems ViBrAM-BAMAS nicht entgegen.

Dieses Grundrecht kann nur dann Wirkung entfalten, wenneine Identifizierung des Verkehrsteilnehmers durch dessenBild oder das Kennzeichen seines Fahrzeuges möglich ist.Die „Übersichtsaufnahmen“ des laufenden Verkehrs, diemit der auf der Brücke angebrachten Kamera gefertigt wer-den, lassen – wie dargelegt – eine solche Identifizierungnicht zu, so dass das genannte Grundrecht noch nicht be-rührt ist (ebenso OLG Bamberg NJW 2010, 100 [101]; Bren-ner DAR 2009, 579 [580]). Der Gegenansicht von Niehaus(DAR 2009, 632 [633]) folgt der Senat nicht. Es ist geradenicht möglich, ohne Weiteres von der Übersichtsaufnahmeauf die Nahaufnahme überzugehen; hierfür bedarf es eineranderen Kamera mit einem anderen Standort.

3. Die Rechtsgrundlage für die Anwendung des ViBrAM-BAMAS -Verfahrens findet sich in § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr.1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG . Den Ausführungen desOLG Bamberg (a.a.O. für das in Bayern verwendete Sys-tem VAMA, welches dem Verfahren ViBrAM-BAMASähnlich ist) schließt sich der Senat an (ebenso ThüringerOLG vom 6. Januar 2010 – 1 Ss 291/09 – für eine Geschwin-digkeitsmessanlage und AG Schweinfurt DAR 2009, 660 fürein anderes nicht standardisiertes Überwachungssystem).

a) Diese Bestimmung ist als damaliger § 100 c durch Arti-kel 3 Nr. 6 des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen

Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformender organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli1992 (BGBl I S. 1302) in die StPO eingefügt worden.Ziel war – wie die Überschrift des Gesetzes ausweist –die Bekämpfung der organisierten Kriminalität undnicht die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkei-ten. Andererseits findet sich im Wortlaut dieser Be-stimmung keine Beschränkung auf Fälle derorganisierten Kriminalität. Auch ergibt sich hierausnicht, dass Bildaufnahmen nur für Observationszweckegefertigt werden dürfen (so aber Meyer-Goßner, StPO,52. Auflage, § 100h Rn. 1). § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1StPO ist somit im Bußgeldverfahren anwendbar(ebenso Göhler/Seitz, OWiG, 15. Auflage, vor § 59 Rn.145 a; dagegen Grunert DAR 2010, 28 [29]).

b) Sofern auf den Bildern der am Fahrbahnrand aufge-stellten Kamera andere Verkehrsteilnehmer als der Be-troffene identifizierbar sein sollten, richtet sich dieStatthaftigkeit nach § 100h Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 Abs.1 OWiG.

c) Die Subsidiaritätsklausel in § 100 h Abs. 1 Satz 1StPO steht der Anwendung dieser Bestimmung nichtentgegen, da die Identität des Betroffenen auf andereWeise nicht ermittelt werden kann. Insbesondere ist esnicht möglich, auf stark befahrenen Autobahnen wieder A … im Bereich die Betroffenen anzuhalten.

d) Der allgemeinen Ermächtigungsgrundlage des § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG, welchedie Polizei ermächtigt, die zur Feststellung der Identitätdes Betroffenen erforderlichen Maßnahmen zu treffen,bedarf es deshalb nicht. § 81 b StPO i.V.m. § 46 Abs. 1OWiG dürfte nicht anwendbar sein, da diese Vorschriftvoraussetzt, dass der Betroffene um die Bildaufnahmeweiß (vgl. LR-Schäfer, StPO, 25. Auflage, § 100 c Rn. 20).

4. Die vom Betroffenen erhobene Aufklärungsrüge (§ 77Abs. 1 OWiG) ist – wie von der Generalstaatsanwaltschaftzu Recht ausgeführt – unzulässig, da keine konkrete in dasWissen des Zeugen gestellte Tatsache dargelegt wurde (s.Göhler/Seitz a.a.O. § 77 Rdnr. 8). Gleiches gilt in Bezug aufdas Abspielen des Videofilms (Augenschein). Im Übrigenist nicht ersichtlich, dass sich dem Amtsgericht die Erhebungdieser Beweise hätte aufdrängen müssen. Weitere Verfah-rensrügen, mit denen die Zuverlässigkeit der Abstandsmes-sung mittels des ViBrAM-BAMAS -Verfahrens, welches einstandardisiertes Messverfahren darstellt (OLG StuttgartNStZ-RR 2007, 382), allein in Frage gestellt werden kann(BGHSt 39, 291 [301 f.]), sind nicht erhoben worden.

aa) Das Aufstellen von Warnschildern ist nicht geeignet,den verkehrssicheren Zustand einer Straße zu gewährleis-ten. Eine Beschilderung kann dann zur vorläufigen Erfül-lung der gebotenen Verkehrssicherung genügen, wenn einenachhaltige Beseitigung der Gefahrenstelle mit zumutba-ren Mitteln nicht erreicht werden kann (eine solche Fall-gestaltung betraf die vom LG zitierte Entscheidung OLGRNürnberg 2001, 5 = VersR 2001, 999 = DAR 2001, 81 (Ls.)).Dies bedeutet im Unkehrschluss, dass sich der Verkehrssi-cherungspflichtige im Regelfall seiner Verpflichtung zurDurchführung zumutbarer und wirtschaftlich gebotenerMaßnahmen nicht durch das Aufstellen von Warnschildernentziehen kann (MüKo(BGB)/Wagner, a.a.O., § 823 Rdn.445). Die Frage der Zumutbarkeit einer Gefahrenbeseiti-gung ist nicht allein nach dem erforderlichen Aufwand desVerkehrssicherungspflichtigen zu beantworten. Vielmehrist auch das Interesse des Verkehrs in die Abwägung ein-zubeziehen. Zwischen den Kriterien besteht eine Wechsel-wirkung: Je größer und unvorhergesehener die Gefahr,umso eher wird der Verkehrssicherungspflichtige gehaltensein, auch eine zum gegebenen Zeitpunkt oder in der Artder Arbeitsausführung unwirtschaftliche Maßnahme aus-zuführen. Selbst in Fällen einer unzumutbaren Sofortbe-seitigung der eigentlichen Gefahrenstelle wird derVerkehrssicherungspflichtige durch das Aufstellen vonWarnschildern nur dann von der Haftung befreit, wenn dasWarnschild den die gebotene Sorgfalt beachtenden Ver-kehrsteilnehmer nachhaltig und wirksam in die Lage ver-setzt, der drohenden Gefahr auszuweichen.

bb) Im vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt war dieBeschilderung schon deshalb keine hinreichende Maß-nahme der Verkehrssicherung, da die gebotene nachhal-tige Beseitigung der Schadensstelle dem Bekl. ohneWeiteres zumutbar gewesen wäre: Das tiefe Schlaglochbarg zumindest für Radfahrer auf der abschüssigen Straßeim Scheitelpunkt einer Kurve – selbst für geübte Radfah-rer – eine erhebliche Sturzgefahr, die nach der Natur derSache mit schwerwiegenden Verletzungen einhergehenkonnte. Demgegenüber wäre eine provisorische Ausbes-serung des tiefen Schlaglochs mit keinem nennenswertenAufwand verbunden gewesen.

Zudem wies das Aufstellen des Warnschildes den dieStraße als Zweiradfahrer nutzenden Verkehr nicht nach-haltig genug auf die Gefahrenstelle hin: Hierbei ist zumeinen von Bedeutung, dass ein Hinweis auf das Bestehenvon Straßen-Schäden nicht zwingend zugleich vor demVorhandensein tiefer Schlaglöcher warnt: Der Begriff desStraßenschadens ist auslegungsfähig. Er umfasst vielge-staltige Sachverhalte und deutet nicht zwangsläufig aufSchäden hin, die die Gefahr eines Sturzes in sich bergen.Zum andern lagen im zur Entscheidung stehenden Sach-verhalt zwischen dem Schild und der Unfallstelle mehr als400 m. Es ist nicht vorgetragen, ob es im Straßenbelag in

der Annäherung an die Unfallstelle weitere Schlaglöcherähnlicher Größenordnung gab. Mithin war davon auszu-geben, dass sich die Warnfunktion des Schildes erst 400 mspäter aktualisierte. In einer solchen Situation muss derVerkehrssicherungspflichtige damit rechnen, dass selbstder die gebotene Sorgfalt beachtende Verkehr die War-nung nicht mehr hinreichend verinnerlicht und sein Fahr-verhalten 400 m nach dem Aufstellen des Schildes nicht inbesonderer Weise auf das Vorhandensein tiefer Schlaglö-cher einrichtet.c) Auch soweit das LG es für möglich erachtet hat, dassdas Schlagloch anlässlich der am 30.08.2005 durchgeführ-ten Kontrolle noch nicht vorhanden gewesen sein mag, be-gegnen die Tatsachenfeststellungen durchgreifendenBedenken: Die recht massiven Einbrüche in der Asphalt-decke zeigen das typische Gepräge eines Frostschadens,mit dessen Eintritt im September eines Jahres nicht zurechnen ist. Nach den Grundsätzen der praktischen Ver-nunft kann das lichtbildlich dokumentierte Schadensbildnicht in nur zwei Tagen entstanden sein.

Auf der Grundlage dieser Feststellung kann es den Bekl.nicht entlasten, am 30.08.2005 eine Kontrollfahrt durch-geführt zu haben: Sofern die massiven Schäden bei dieserKontrollfahrt tatsächlich übersehen wurden, belegt diesallein, dass die Kontrollfahrt nicht mit der gebotenen Sorg-falt ausgeführt wurde. Lag das Loch am 30.08.2005 jedochvor, ist auch die Kausalität der Verkehrssicherungspflicht-verletzung nachgewiesen.

d) Demgegenüber hat der Bekl. den ihm obliegenden Be-weis für ein Mitverschulden der Kl. nicht geführt: Die Kl.fuhr nicht bewiesenermaßen zu schnell. Auch eine vor-werfbar falsche oder zu späte Reaktion ist nicht bewiesen.

Restwertangebot des Vollkasko-versicherersUrteil des OLG Karlsruhe vom 28.08.09 – 12 U 90/09 –

Der Versicherungsnehmer ist durch die Schadensmin-derungspflicht gem. E.1.4 AKB 2008 nicht gehalten,sich auf ein Restwertangebot einzulassen, wenn sichder Anbieter in erheblicher Entfernung vom Wohnortbefindet und nicht feststeht, dass sich diese Firma be-reit findet, das Fahrzeug auf ihre Kosten abzuholen.Ferner obliegt es ihm nicht, bei der Verwertung hö-here Risiken einzugehen, als dies seinem gewöhnli-chen Geschäftsgebaren entspricht.

Aus den Gründen:

Der Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf Zahlungweiterer Versicherungsleistungen und auf Freistellung voneinem Teil der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.

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RECHTSPRECHUNG

schaftlichen Ersatzbeschaffungskosten ist das besondereInteresse des Geschädigten am Eigentum und an der Nut-zung eines Neufahrzeugs. Die mit dem erhöhten Scha-densausgleich einhergehende Anhebung der „Opfer-grenze“ des Schädigers ist allein zum Schutz dieses be-sonderen Interesses des Geschädigten gerechtfertigt. Diesgilt aber nur dann, wenn der Geschädigte im konkretenEinzelfall tatsächlich ein solches Interesse hat und diesesdurch den Kauf eines Neufahrzeugs nachweist. Nur dannist die Zuerkennung einer den Reparaturaufwand über-steigenden und damit an sich unwirtschaftlichen Neu-preisentschädigung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot unddem Bereicherungsverbot zu vereinbaren (vgl. für denumgekehrten Fall BGH, Urt. v. 10.07.2007, a.a.O.; v.27.11.2007, a.a.O.). Insoweit kann nichts anderes gelten alsim umgekehrten Fall, in dem der Reparaturaufwand denWiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs umbis zu 30 % übersteigt. Verzichtet der Geschädigte dage-gen auf den Kauf eines Neufahrzeugs, fehlt es an dem in-neren Grund für die Gewährung einer Neupreis-entschädigung. Ein erhöhter Schadensausgleich wäre ver-fehlt. Er hätte eine ungerechtfertigte Aufblähung der Er-satzleistung zur Folge und führte zu einer vom Zweck desSchadensausgleichs nicht mehr gedeckten Belastung desSchädigers (vgl. BGH, Urt. v. 10.07.2007, a.a.O.).

(5) Da sich die Klägerin nach den nicht angegriffenenFeststellungen des Berufungsgerichts bisher kein fabrik-neues Ersatzfahrzeug gekauft hat, fehlt es jedenfalls der-zeit (vgl. zur nachträglichen Geltendmachung höhererKosten nach Bekundung eines weiter gehenden Integri-tätsinteresses durch den Geschädigten: BGHZ 169, 263)an einer Anspruchsvoraussetzung für die geltend ge-machte Neupreisentschädigung. ..."

Zulässigkeit von Video-AbstandsmessungenUrteil des OLG Stuttgart vom 29.01.10 – 4 Ss 1525/09 –

1. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-mung (BVerfGE 65, 1) steht der Anwendung desVideo-Brücken-Abstandsmessverfahrens ViBrAM-BAMAS, welches die Polizei in Baden-Württembergzur Überwachung des Sicherheitsabstandes insbe-sondere auf Autobahnen verwendet, nicht entgegen.

2. Rechtsgrundlage für die Fertigung von Videobil-dern zur Identifizierung des Betroffenen ist § 100 hAbs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Aus den Gründen:

I. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr derBetroffene am 26. Januar 2009 mit seinem Pkw die Auto-

bahn A aus Richtung … kommend in Richtung … InHöhe von Kilometer ... benutzte er die linke von den dreiFahrspuren. Bei einer Geschwindigkeit von 111 km/h hielter zum vorausfahrenden Fahrzeug einen Sicherheitsab-stand von lediglich 15 m und somit weniger als 3/10 deshalben Tachowertes ein. Dieser Verkehrsverstoß wurdemittels des Video-Brücken-Abstandmessverfahrens Vi-BrAM-BAMAS festgestellt. Das Amtsgericht hat gegenihn deshalb wegen Verstoßes gegen §§ 4 Abs. 1, 49 Abs. 1Nr. 4 StVO, 24 StVG entsprechend den Bestimmungen derBKatV (Nr. 12.5.3; bei der Angabe der angewendeten Vor-schriften [12. 6 .3] handelt es sich vermutlich um einSchreibversehen) eine Geldbuße von 100,-- EUR sowieein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt; im Hinblickauf die Nebenfolge ist die Liste der angewendeten Vor-schriften um § 25 StVG zu erweitern.

Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene Rechtsbe-schwerde eingelegt. Er rügt insbesondere unter Berufungauf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom11. August 2009 (NJW 2009, 3293) die Verwertbarkeit derVideoaufzeichnung.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Rechtsmit-tel als unbegründet zu verwerfen.

II. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 79Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. m. § 349 Abs. 2 StPO.

Hinzuweisen ist auf Folgendes:

1. Entgegen der Ansicht des Verteidigers steht der ge-nannte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts einerVerwertbarkeit der Videoaufnahme im vorliegenden Fallnicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat in sei-ner Entscheidung festgestellt, dass in der Videoaufzeich-nung mittels des Verkehrskontrollsystems VKS einEingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Arti-kel 2 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG in seiner Aus-prägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmungliegt, da zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten voneiner Autobahnbrücke aus alle durchfahrenden Fahrzeugeverdeckt gefilmt worden seien. Dabei sei der jeweiligeFahrer erkennbar und identifizierbar aufgenommen wor-den. Eine vorherige Auswahl dahingehend, ob der Be-troffene eines Verkehrsverstoßes verdächtig sei, habenicht stattgefunden. Darüber hinaus sei es unter keinemrechtlichen Aspekt vertretbar, eine derartige Überwa-chung auf einen Erlass eines Ministeriums zu stützen(ebenso im Anschluss hieran OLG Oldenburg DAR 2010,32 für das System VKS 3.0).

Das im vorliegenden Fall zur Anwendung gekommeneMessverfahren ViBrAM-BAMAS, welches dem Senat be-kannt ist (Beschluss vom 14. August 2007 – 4 Ss 23/07 –NStZ-RR 2007, 382), ist mit dem Verfahren VKS 3.0 nichtvergleichbar; es ist ganz anders konzipiert. Das Amtsge-

Gemäß Art. 1 I EGWG ist hier insgesamt das VVG in derneuen Fassung anzuwenden. Denn der Versicherungsver-trag, der in Frage steht, wurde nach dem 01.01.2008 ge-schlossen. Entscheidend für das Zustandekommen einesVersicherungsvertrags ist, wann die zweite Willenserklä-rung für den Abschluss des Vertrags zugegangen ist. Dasist regelmäßig mit dem Zugang der Police der Fall (Schi-mikowski/Höra, Das neue VVG, 1. Aufl., S. 219). Die An-nahme des Vertrags erfolgt nämlich meist durch denVersicherer (Prölss, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 3Rdnr. 22 m. w. Nachw.). Nachdem das Ausfertigungsdatumder Police mit dem 06.03.2008 angegeben ist, ist davon aus-zugehen, dass der Vertrag nach dem 01.01.2008 geschlos-sen wurde. Das wird dadurch bestätigt, dass hier dieGeltung der AKB 2008 vereinbart wurde, die ersichtlichauf die neue Fassung des VVG abgestimmt sind.

Soweit – worauf der im Versicherungsvertrag als Versi-cherungsbeginn angegebene Beginn des Versicherungs-schutzes am 10.12.2007 hindeutet – zuvor vorläufigerDeckungsschutz gem. § 9 PflVG, B.2 AKB 2008 bestandenhaben sollte, liegt insofern ein eigenständiger Vertrag vor(Prölss, in: Prölss/Martin, § 1 VVG Rdnr. 2 m. w. Nachw.).Im Übrigen besteht in der hier maßgeblichen Fahrzeug-versicherung (auch Vollkaskoversicherung genannt) gem.B.2.2 S. 1 AKB 2000 nur dann vorläufiger Schutz, wenn dasbei Antragstellung vereinbart wurde. Dass dies hier derFall gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Auch die Annah-mefiktion des § 5 III 1 PflVG greift nicht ein, da sie nurfür den Abschluss eines Haftpflichtversicherungsvertragsgilt, nicht aber für den einer Fahrzeugversicherung(Knappmann, in: Prölss/Martin, § 5 PflVG Rdnr. 10).

Die Bekl. ist nicht gem. § 28 II 1 VVG wegen eines Versto-ßes der Kl. gegen ihre aus E.1.4 und E.3.2 AKB 2008 re-sultierende Obliegenheit leistungsfrei, nach Möglichkeit fürdie Minderung des Schadens zu sorgen und vor einer Ver-wertung des Fahrzeugs die Weisung der Bekl. einzuholen.

Gemäß E.3.2 AKB 2008 hat der Versicherungsnehmer vorBeginn der Verwertung oder Reparatur des Fahrzeugs dieWeisung des Versicherers einzuholen, soweit die Um-stände dies gestatten, und zu befolgen, soweit ihm dies zu-mutbar ist. Dabei wird vertreten, dass die Obliegenheit zurEinholung von Weisungen in der Regel bereits mit der An-zeige des Schadens erfüllt wird (Prölss, in: Prölss/Martin,§ 62 Rdnrn. 24 f.; § 7 AKB Rdnr. 62 m. w. Nachw.). Jeden-falls kann nach den Umständen des Einzelfalls in der An-zeige gleichzeitig die Bitte um Weisungen gesehen werden(Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 62 Rdnr. 9).

Die Bekl. hat eine solche Weisung für den streitgegen-ständlichen Unfall nicht erteilt. Die Weisung, die sie inihrem Schreiben vom 06.06.2008 in der gebotenen, klarenForm formuliert hat, bezieht sich auf einen anderen Unfall

am 08.05.2008. Es liegt auf der Hand, dass es für den wei-ter verschlechterten Zustand des Fahrzeugs nach demneuerlichen, streitgegenständlichen Unfall vom 29.05.2008keine Gültigkeit mehr hatte. Soweit im Gutachten desSachverständigen L vom 11.08.2008 ein weiteres Rest-wertangebot enthalten ist, hat die Bekl. schon nicht dar-gelegt, dass, wann und in welcher Form sie es der Kl. zurKenntnis gebracht hätte.

Die Kl. war auch nicht mehr verpflichtet, vor der Veräu-ßerung des Fahrzeugs am 10.08.2008 nochmals eine Wei-sung der Bekl. einzuholen. Auf Grund der Tatsache, dassdie Bekl. nach dem zweiten Unfall von sich aus innerhalbeiner angemessenen Frist ein Restwertangebot übersen-det hatte, durfte die Kl. davon ausgehen, dass sie auch dieMeldung des dritten Unfalls von sich aus zum Anlass neh-men würde, innerhalb einer angemessenen Frist ein er-neutes Restwertangebot zu übersenden. Damit ist hierdavon auszugehen, dass die Kl. ihre Obliegenheit, die Wei-sung der Bekl. einzuholen, bereits mit der Schadenanzeigeerfüllt hat.

Selbst wenn man davon ausginge, dass die Kl. verpflichtetgewesen wäre, nochmals eine Weisung einzuholen, so hättedie Obliegenheitsverletzung nach der Überzeugung des Se-nats keine Relevanz entfaltet und sich nicht auf den Um-fang der Leistungspflicht der Bekl. negativ ausgewirkt (§ 28III VVG). Denn der Kl. konnte weder zugemutet werden,auf das Restwertangebot vom 06.06.2008 einzugehen, nochauf das vom Sachverständigen L eingeholte Restwertange-bot (E.3.2 AKB 2008). Der Senat ist daher davon überzeugt,dass die Bekl. auch bei nochmaliger Einholung einer Wei-sung durch die Kl. kein Restwertangebot übermittelt hätte,das den Anforderungen der Rechtsprechung entsprochenhätte und auf das die Kl. hätte eingehen müssen.

Der BGH hat in den vergleichbaren Fällen der Leistungs-pflicht einer Kfz-Haftpflichtversicherung entschieden,dass sich der Versicherungsnehmer auf ein Restwertange-bot einer Firma nicht einlassen muss, wenn sich diese inerheblicher Entfernung vom Wohnort der Kl. befindet undwie beim Restwertangebot vom 06.06.2008 nicht feststeht,dass sich diese Firma bereit findet, das Fahrzeug auf ihreKosten abzuholen (BGHZ 143, 189 = NJW 2000, 800 =VersR 2000, 467 unter II B 1 c bb). Diese Überlegungenmüssen auf die Vollkaskoversicherung übertragen werden.Auch hier kann es dem Versicherungsnehmer nicht zuge-mutet werden, auf eigene Kosten den Transport eines –hier unstreitig nicht fahrtüchtigen Fahrzeugs – über eineweite Strecke – hier mehr als 400 km – zu übernehmen,der angesichts der Größe des beschädigten Fahrzeugs nurdurch einen speziellen Abschleppwagen erfolgen könnte.

Die Kl. wäre auch nicht verpflichtet gewesen, das Rest-wertangebot anzunehmen, das im Gutachten des Sach-

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RECHTSPRECHUNG

Fahrzeug auch unter Berücksichtigung eines nach den üb-lichen Maßstäben bemessenen Ersatzes für den merkan-tilen Minderwert nicht dieselbe Wertschätzung wie einvöllig neuwertiges unfallfreies Fahrzeug (vgl. Senat, Urt.v. 04.03.1976, a.a.O., S. 734; v. 03.11.1981, a.a.O.).

(3) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Pkw der Klä-gerin sei im Unfallzeitpunkt neuwertig gewesen und durchden Unfall erheblich beschädigt worden, ist revisions-rechtlich nicht zu beanstanden. Sie hält sich im Rahmendes dem Tatrichter nach § 287 ZPO zustehenden Ermes-sens.

(a) Der erkennende Senat hat es bereits im Urt. v.29.03.1983 (a.a.O.) als Faustregel gebilligt, Fahrzeuge miteiner Fahrleistung von nicht mehr als 1000 km im Regel-fall als fabrikneu anzusehen. Hieran hält der Senat fest.Im Streitfall hatte das Unfallfahrzeug nach den nicht an-gegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nichtmehr als 607 km zurückgelegt; es war erst am Tag vor demUnfall zugelassen worden.

(b) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Pkw derKlägerin sei beim Unfall erheblich beschädigt worden, hältsich im Rahmen eines möglichen tatrichterlichen Ermes-sens. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausge-gangen, dass die Erheblichkeit einer Beschädigung nichtin erster Linie anhand der Schwere des eingetretenen Un-fallschadens, sondern anhand des Zustands zu beurteilenist, in dem sich das Fahrzeug nach einer fachgerechten Re-paratur befinden würde. Danach ist eine erhebliche Be-schädigung zu verneinen, wenn der Unfall lediglichFahrzeugteile betroffen hat, die im Rahmen einer fachge-recht durchgeführten Reparatur spurenlos ausgewechseltwerden können, und die Funktionstüchtigkeit und die Si-cherheitseigenschaften des Fahrzeugs, insbesondere dieKarosseriesteifigkeit und das Deformationsverhalten nichtbeeinträchtigt sind (wie bspw. bei der Beschädigung vonAnbauteilen wie Türen, Scheiben, Stoßstangen etc.). Denndann wird der frühere Zustand durch die Reparatur vollwieder hergestellt (vgl. Senat, Urt. v. 04.03.1976, a.a.O., S.733). Dies bedeutet allerdings nicht, dass jede Beschädi-gung an einem nicht abschraubbaren Teil – z.B. Kratzer ander Karosserie – notwendigerweise zu einer Schadensbe-seitigung auf Neuwagenbasis führen würde. Der Tatrich-ter hat bei der Ausübung seines Schätzungsermessens zuberücksichtigen, dass sich derartige Beschädigungen mit-hilfe der heutigen Reparatur- und Lackiertechnik häufigin einer Weise beseitigen lassen, die den schadensrechtli-chen Charakter der Neuwertigkeit des Fahrzeugs unein-geschränkt wiederherstellt (vgl. OLG Hamm NZV 2001,478, 479; OLG Düsseldorf SP 2004, 158, 160).

Eine erhebliche Beschädigung wird in aller Regel dannanzunehmen sein, wenn beim Unfall tragende oder si-cherheitsrelevante Teile, insbesondere das Fahrzeugchas-

sis, beschädigt wurden und die fachgerechte Instandset-zung nicht völlig unerhebliche Richt- oder Schweißarbei-ten am Fahrzeug erfordert. Denn durch derartige Arbeitenwird in erheblicher Weise in das Gefüge des Fahrzeugs ein-gegriffen. Indizielle Bedeutung für die Erheblichkeit derBeschädigung kann in der erforderlichen Gesamtbetrach-tung auch einem hohen merkantilen Minderwert zukom-men (vgl. OLG Karlsruhe v. 26.03.1999, OLGReport 1999,267 ... ). Dagegen ist bei Fahrzeugen mit einer Laufleistungvon nicht mehr als 1000 km nicht erforderlich, dass nachDurchführung der Instandsetzungsarbeiten noch erhebli-che Schönheitsfehler verbleiben, Garantieansprüche ge-fährdet sind oder ein Unsicherheitsfaktor gegeben ist (vgl.Senat, Urt. v. 04.03.1976, a.a.O.). Ebenso wenig kommt esdarauf an, ob die Unfallschäden bei einem späteren Ver-kauf ungefragt offenbart werden müssen oder einen Sach-mangel i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB begründen (vgl.BGH, Urt. v. 25.10.1983, a.a.O.). Denn die Grenze für nichtmitteilungspflichtige und damit keinen Mangel begrün-dende „Bagatellschäden“ ist bei Personenkraftwagen sehreng zu ziehen. Als „Bagatellschäden“ sind bei Personen-kraftwagen nur ganz geringfügige, äußere (Lack-)Schädenanzuerkennen, nicht dagegen andere (Blech-)Schäden,auch wenn sie keine weiter gehenden Folgen hatten undder Reparaturaufwand nur gering war (vgl. BGH, Urt. v.10.10.2007, BGHReport 2007, 627 = MDR 2007, 901 =VersR 2008, 359, 361 m.w.N.).

(c) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Fest-stellungen des Berufungsgerichts ist die gesamte linkeSeite des Fahrzeugs der Klägerin bei dem Verkehrsunfallin Mitleidenschaft gezogen worden. Eine Reparatur er-fordert Richtarbeiten an der A-Säule des Fahrzeugs –einem tragenden, für die Stabilität des Fahrzeugs bedeut-samen Teil – mit einer Dauer von mindestens 30 Minuten.Der durch den Unfall eingetretene merkantile Minder-wert beläuft sich auf 3.500 EUR. Bei dieser Sachlage istes revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Beru-fungsgericht die Beschädigung des völlig neuwertigenFahrzeugs der Klägerin als erheblich gewertet hat. ...

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann derGeschädigte, dessen neuer Pkw erheblich beschädigt wor-den ist, den ihm entstandenen Schaden aber nur dann aufNeuwagenbasis abrechnen, wenn er ein gleichwertiges Er-satzfahrzeug erworben hat.[24] (l) Allerdings ist ... [diese] Frage in der Rspr. der Instanz-gerichte und in der Literatur umstritten. (Wird ausgeführt.)

(4) ... Wie unter b) aa) (2) ausgeführt beruht die Zubilli-gung einer Neupreisentschädigung auf einer Einschrän-kung des aus dem Erforderlichkeitsgrundsatzhergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebots. Ausschlaggeben-der Gesichtspunkt für die Erstattung der im Vergleich zumReparaturaufwand höheren und damit an sich unwirt-

verständigen L enthalten ist. Denn das Risiko einer opti-malen Verwertung des Fahrzeugs kann auch in der Kas-koversicherung über die vertragliche Verpflichtung zurSchadensminderung nicht dem Versicherungsnehmerüberbürdet werden. Es ist dem Versicherungsnehmer nichtzumutbar, sein Fahrzeug – branchenüblich gegen hoheBargeldbeträge – ihm unbekannten Händlern zu überlas-sen. Das nie auszuschließende Risiko, Falschgeld zu er-halten, das Risiko eines Diebstahls vor Einzahlung desBargelds bei einer Bank oder einer Auseinandersetzungüber die Sachmängelgewährleistung mit dem Käufer kannder Versicherer dem Versicherungsnehmer nicht per All-gemeiner Versicherungsbedingung auferlegen. Hier giltder vom erkennenden Senat (VersR 2005, 706) für dieHaftpflichtversicherung entwickelte Satz, dass der Versi-cherer sich nicht auf eine Haltung des „Dulde und liqui-diere“ zurückziehen kann. Der Versicherer wird imEinzelfall entscheiden müssen, ob er dem Versicherungs-nehmer anbietet, den vollen Verwertungsaufwand oder zu-mindest das volle Risiko der Verwertung zu übernehmen.

Schließlich könnte nicht davon ausgegangen werden, dassdie Kl. beim Verkauf des Fahrzeugs über zwei Monatenach dem Unfall noch grob fahrlässig oder vorsätzlichgegen die Obliegenheit zur Einholung einer Weisung ver-stoßen hätte, so dass die Leistungspflicht der Bekl. auchaus diesem Grunde nicht wegfiele oder vermindert würde.Nachdem die Bekl. nur nach dem zweiten, nicht mehr abernach dem dritten Unfall ein Restwertangebot übersendethatte, konnte die Kl. davon ausgehen, dass die Bekl. nichtmehr an der Erteilung einer Weisung interessiert war.

Dass die Kl. auf dem allein maßgeblichen, regionalenMarkt einen besseren Verkaufserlös hätte erzielen kön-nen, hat die Bekl. nicht behauptet und auch nicht unterBeweis gestellt. Das Restwertangebot im Gutachten desSachverständigen L bezieht sich nicht auf diesen alleinmaßgeblichen Markt.

Aus den genannten Gründen hat die Kl. mit der Veräuße-rung des Fahrzeugs am 10.08.2008 auch nicht gegen die all-gemeiner formulierte Pflicht aus E.1.4 S. 1 AKB 2008verstoßen, nach Möglichkeit für die Abwendung und Min-derung des Schadens zu sorgen.

Bei der Schadensberechnung sind Reparaturkosten inHöhe von netto 9.413,17 Euro, ein Wiederbeschaffungs-wert in Höhe von 5.294,12 Euro und ein Restwert in Höhevon 1.000 Euro zu Grunde zu legen. Danach steht der Kl.gegen die Bekl. ein Anspruch auf Zahlung in Höhe vonweiteren 3.200,01 Euro zu.

Die Höhe des Wiederbeschaffungswerts ist von der Kl. zubeweisen. In der mündlichen Verhandlung erteilte das LGden zutreffenden Hinweis, dass das von der Kl. hierfür her-angezogene Gutachten des Sachverständigen E kein taug-

liches Beweismittel war. Denn dieser Gutachter hatte sei-nem Gutachten den Zustand zu Grunde gelegt, den dasFahrzeug vor dem streitgegenständlichen Unfall aufwies.Vor allem aber waren auch nach dem Vortrag der Kl. dieVorschäden nur teilweise repariert worden. Damit könnteallenfalls der dort ausgewiesene Restwert für die Bemes-sung des Wiederbeschaffungswerts herangezogen werden,der allerdings unter dem von der Bekl. zugestandenenWert von netto 5.294,12 Euro liegt.

Der Antrag der Kl. auf Einholung eines Sachverständi-gengutachtens zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts(und des Restwerts), den diese erstmals in der Berufungs-begründung gestellt hat, ist als neues Angriffsmittel zuwerten und gem. § 531 II 1 Nr. 3 ZPO als verspätet zu-rückzuweisen. Nach dieser Vorschrift sind neue Beweis-mittel nur zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nichtgeltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einerNachlässigkeit der Partei beruht. Dabei hat die Partei dar-zulegen, dass sie in erster Instanz nicht nachlässig war. DieZulassung des Beweisantrags scheitert hier bereits daran,dass keine entsprechende Erklärung abgegeben wurde(Zöller/Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 531 Rdnr. 34 m. w.Nachw.). Dazu kommt, dass die Kl. den zutreffenden land-gerichtlichen Hinweis auf die Ungeeignetheit des Beweis-angebots zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in ersterInstanz nicht beachtet hat. Es lag auf der Hand, zur Scha-denshöhe in der mündlichen Verhandlung oder spätestensim nachgelassenen Schriftsatz die Einholung eines Sach-verständigengutachtens zu beantragen.

Dem Antrag auf Vernehmung der erstinstanzlich be-nannten Zeugen zum Umfang der Teilreparaturen hat dasLG zu Recht nicht entsprochen, da dieser Beweisantragunerheblich war. Auch wenn diese Zeugen den behaupte-ten Umfang der Reparaturen bestätigt hätten, so stündedamit nicht fest, dass das Fahrzeug tatsächlich einen hö-heren Wiederbeschaffungswert hatte, als vom Sachver-ständigen L festgestellt. Denn dieser hatte erstens dasFahrzeug nach Durchführung der Teilreparaturen begut-achtet. Zweitens fehlt dem Senat genau wie dem LG dieerforderliche Sachkunde, um ohne Heranziehung einesSachverständigen auf der Basis der Zeugenaussagen eineAussage zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts treffenzu können. Der entsprechende Beweisantrag aus der Be-rufungsbegründung war – wie bereits dargestellt – indes-sen nicht mehr zuzulassen.

Dass das Fahrzeug nach dem streitgegenständlichen Unfallnoch einen höheren, als den tatsächlich von der Kl. erziel-ten Restwert in Höhe von 1.000 Euro aufwies, hat die inso-fern beweisbelastete Bekl. (BGHZ 171, 287 = NJW 2007,1674 = VersR 2007, 1145 Rdnr. 9 m. w. Nachw.) nicht be-wiesen. Auch hier ist die Rechtsprechung des BGH zur Kfz-Haftpflicht auf die Fahrzeugversicherung zu übertragen. Im

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RECHTSPRECHUNG

den merkantilen Minderwert begnügen muss, sondernunter Umständen berechtigt sein kann, Ersatz der in allerRegel höheren Kosten für die Beschaffung eines gleich-wertigen Neufahrzeugs zu verlangen (vgl. BGH, Urt. v.04.03.1976, VersR 1976, 732, 733; v. 03.11.1981, MDR 1982,477 = VersR 1982, 163; v. 29.03.1983, VersR 1983, 658; v.14.06.1983, MDR 1984, 40 = VersR 1983, 758, 759; v.25.10.1983, VersR 1984, 46).

(1) Gem. § 249 BGB hat der zum Schadensersatz Ver-pflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde,wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht ein-getreten wäre. Ist wegen der Verletzung einer Person oderder Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten,so kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB stattder Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag ver-langen. Für die Berechnung von Fahrzeugschäden stehendem Geschädigten regelmäßig zwei Wege der Naturalres-titution zur Verfügung: Reparatur des Unfallfahrzeugsoder Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs.Zwischen diesen Wegen kann der Geschädigte grundsätz-lich frei wählen. Denn nach dem gesetzlichen Bild desSchadensersatzes ist der Geschädigte Herr des Restituti-onsgeschehens. Auf Grund der nach anerkannten scha-densrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositions-freiheit ist er grundsätzlich auch in der Verwendung derMittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleichverlangen kann (vgl. BGH v. 29.04.2004, BGHZ 154, 395,397 f. = BGHReport 2003, 792 = MDR 2003, 1048 m.w.N.;BGHZ 162, 161, 165, jeweils m.w.N.).

Allerdings hat der Geschädigte auch das in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerte Wirtschaftlichkeitspostulat zu be-achten. Dieses gebietet dem Geschädigten, den Schadenauf diejenige Weise zu beheben, die sich in seiner indivi-duellen Lage als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt,um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Be-standteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustandzu versetzen (vgl. BGH v. 15.10.1991, BGHZ 115, 375, 378f. = MDR 1992, 132; BGHZ 171, 287, 289 f., jeweils m.w.N.).Verursacht von mehreren zum Schadensausgleich fahren-den Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so istder Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt. Nurder für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbe-trag ist i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erfor-derlich. Darüber hinaus findet das Wahlrecht desGeschädigten seine Schranke an dem Verbot, sich durchSchadensersatz zu bereichern. Er soll zwar vollen Ersatzverlangen, aber an dem Schadensfall nicht verdienen (vgl.BGH v. 29.04.2003, a.a.O., ...).

(2) Diese schadensrechtlichen Grundsätze lassen sichnicht isoliert verwirklichen. Sie stehen vielmehr zueinan-der in einer Wechselbeziehung. Dementsprechend darf inVerfolgung des Wirtschaftlichkeitspostulats das Integri-

tätsinteresse des Geschädigten, das auf Grund der gesetz-lich gebotenen Naturalrestitution Vorrang genießt, nichtverkürzt werden (vgl. BGH v. 29.04.2003, a.a.O. ...). In Aus-nahmefällen kann das Wirtschaftlichkeitsgebot eine Ein-schränkung erfahren und hinter einem besonderenIntegritätsinteresse des Geschädigten an einer an sich un-wirtschaftlichen Restitutionsmaßnahme zurücktreten. Sosteht dem Geschädigten nach der gefestigten Rspr. des er-kennenden Senats in Abweichung vom Wirtschaftlich-keitsgebot ausnahmsweise ein Anspruch auf Ersatz desden Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugsum bis zu 30 % übersteigenden Reparaturaufwands (Re-paraturkosten zuzüglich einer etwaigen Entschädigung fürden merkantilen Minderwert) zu, sofern der Geschädigteden Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen. DieErstattung des im Vergleich zu den Ersatzbeschaffungs-kosten höheren Reparaturaufwands ist auf Grund des be-sonderen Integritätsinteresses des Geschädigten amErhalt des ihm vertrauten Fahrzeugs ausnahmsweise ge-rechtfertigt (vgl. BGH v. 15.10.1991, BGHZ 115, 364, 370f.= MDR 1992, 131; BGHZ 162, 161, 166 ff.; v. 10.07.2007,MDR 2007, 1367 = BGHReport 2007, 1017 = VersR 2007,1244, 1245; v. 13.11.2007, MDR 2008, 204 = BGHReport2008, 219 = VersR 2008, 134; v. 27.11.2007, BGHReport2008, 274 = MDR 2008, 203 = VersR 2008, 135, 136; v.22.04.2008, MDR 2008, 857 = BGHReport 2008, 898 =VersR 2008, 937, 938; v. 18.11.2008, MDR 2009, 198 =BGHReport 2009, 227 = VersR 2009, 128).

Auch im umgekehrten Fall, in dem der Ersatzbeschaf-fungsaufwand den Reparaturaufwand übersteigt, kommteine Einschränkung des Wirtschaftlichkeitsgebots unterbestimmten Voraussetzungen in Betracht. Wird ein fa-brikneues Fahrzeug erheblich beschädigt mit der Folge,dass es trotz Durchführung einer fachgerechten Reparaturden Charakter der Neuwertigkeit verliert, kann der Ge-schädigte in den Grenzen des § 251 Abs. 2 BGB aus-nahmsweise die im Vergleich zum Reparaturaufwandhöheren Kosten für die Beschaffung eines Neuwagens be-anspruchen (vgl. Senat, Urt. v. 04.03.1976, a.a.O.). Ange-sichts der schadensrechtlichen Bedeutung derNeuwertigkeit (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.1983, VersR 1983,658) ist es dem Geschädigten in einer derartigen Situationgrundsätzlich nicht zuzumuten, sich mit der Reparatur deserheblich beschädigten Fahrzeugs und der Zahlung einesden merkantilen Minderwert ausgleichenden Geldbetragszu begnügen. Vielmehr rechtfertigt sein besonderes, ver-mögensrechtlich zu qualifizierendes Interesse am Eigen-tum und an der Nutzung eines Neufahrzeugsausnahmsweise die Wahl der im Vergleich zur Reparaturteureren Restitutionsmaßnahme (vgl. Senat, Urt. v.04.03.1976, a.a.O., S. 733 f.). Denn nach der Verkehrsauf-fassung genießt ein in erheblichem Umfang repariertes

Grundsatz kann danach bei der Schadenabrechnung dertatsächlich erzielte Preis zu Grunde gelegt werden. Auchein Versicherungsnehmer muss sich nicht an einem Ange-bot eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugängli-chen, allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, dasvom Versicherer über das Internet recherchiert worden ist.Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass andernfalls dervollständige Schadensausgleich nicht gewährleistet würde.Der Versicherer könnte mit einem entsprechend hohen An-gebot den Verkauf des Fahrzeugs erzwingen. Bei Weiter-nutzung und späterem Verkauf in eigener Regie liefe derVersicherungsnehmer jedenfalls Gefahr, wegen eines we-sentlich niedrigeren Verkaufspreises für den Kauf des Er-satzfahrzeugs eigene Mittel aufwenden zu müssen (BGHZ171, 287 = NJW 2007, 1674 = VersR 2007, 1145 Rdnr. 10).Diese Grundsätze sind auf die Fahrzeugversicherung zuübertragen. Denn auch die AKB 2008 räumen dem Versi-cherungsnehmer in A.2.6.1 das Wahlrecht zwischen Veräu-ßerung und Reparatur ein. Dass der Kl. auf demmaßgeblichen, regionalen Markt ein Restwertangebot inder vom Gutachter L angegebenen Höhe zugänglich war,hat die Bekl. weder dargelegt noch unter Beweis gestellt.

Die Höhe der Reparaturkosten ergibt sich aus dem durchdie Bekl. in Bezug genommenen Gutachten des Sachver-ständigen L. Es wurde bereits ausgeführt, dass das Gut-achten des Sachverständigen E dazu keine Aussage trifft,da dieser das Fahrzeug vor dem streitgegenständlichen,dritten Unfall besichtigte.

Unter Berücksichtigung dieser Zahlen ergibt sich, dass amFahrzeug ein Totalschaden vorlag. Dies ist gem. A.2.6.5AKB 2008 dann der Fall, wenn wie hier die erforderlichenKosten der Reparatur des Fahrzeugs dessen Wiederbe-schaffungswert übersteigen. Damit hat die Bekl. gem.A.2.6.1 AKB 2008 den Wiederbeschaffungswert unterAbzug eines vorhandenen Restwerts des Fahrzeugs zuzahlen. Vom Wiederbeschaffungswert sind des Weiterender Selbstbehalt in Höhe von 500 Euro sowie die Zahlungin Höhe von 594,11 Euro abzusetzen, die die Bekl. vor Be-ginn des Rechtsstreits erbracht hat. Damit ergibt sich fol-gende Berechnung:

Wiederbeschaffungswert 5.294,12 Euro– Restwert 1.000,00 Euro– Selbstbehalt 1.500,00 Euro– erfolgte Zahlung 1.594,11 Euro

noch zuzusprechen 3.200,01 Euro

Die Bekl. hat der Kl. auf Grund der unrichtigen Abrech-nung des Schadenfalls gem. § 280 I BGB deren vorge-richtliche Anwaltskosten aus einem Streitwert von3.200,01 Euro zu ersetzen. Wie dieses Klageverfahren ge-zeigt hat, war die Beauftragung eines Rechtsanwalts hiervernünftig und zweckmäßig (Nachw. bei Palandt/Hein-richs, BGB, 68. Aufl., § 280 Rdnr. 27). Der Anspruch be-

läuft sich auf 302,10 Euro (1,3 Geschäftsgebühr =282,10 Euro zzgl. Pauschale für Post und Telekommunika-tion 20 Euro). Da die Bekl. unbestritten vorgetragen hat,dass die Kl. diese Forderung bisher nicht bezahlt hat, istder Schadensersatzanspruch der Kl. insofern auf Freihal-tung gerichtet (Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdnr. 46 m.w. Nachw.). Die entsprechende Verurteilung der Bekl. zurFreistellung der Kl. von diesen Rechtsanwaltskosten warunter Abweisung der Klage im Übrigen zulässig (OLGFrankfurt a.M., FamRZ 1990, 49 [50]; Zöller/Vollkommer,§ 308 Rdnr. Z 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,ZPO, 67. Aufl., § 308 Rdnr. 8 m. w. Nachw.).

Soweit die Bekl. vorgerichtlich weitere 594,11 Euro regu-liert hat, entstanden die darauf entfallenden, durch das Er-reichen der nächsten Gebührenstufe verursachtenAnwaltskosten bereits mit der den Verzug begründendenErstmahnung, deren Kosten von § 286 BGB nicht erfasstsind (Ernst, in: MünchKomm, 5. Aufl., § 286 Rdnr. 154).

Anordnung einer BlutprobeBeschluss des OLG Oldenburg vom 12.10.09 – 2 SsBs 149/09 –

Es führt zu einem Beweisverwertungsverbot, wennPolizeibeamten die generelle Befugnis erteilt wordenist, bei der Entnahme von Blutproben gem. § 81 a StPOauf die Einschaltung eines Richters zu verzichten.

Aus den Gründen:

1. Das AG hat folgende Feststellungen getroffen.

Der Betr. befuhr am 19.04.2008 gegen 16.50 Uhr in ... die ...mit einem Pkw ..., amtliches Kennzeichen ... Zu dieser Zeitstand er unter der Wirkung von Cannabinoiden. Nachdemder Betr. wegen einer allgemeinen Verkehrskontrolle an-gehalten worden war, stellte der Polizeibeamte G fest, dassder Betr. wässerige Augen hatte. Der Betr. räumte – ohnezuvor belehrt worden zu sein – ein, am Vortage Cannabiskonsumiert zu haben. Dem Betr. wurde angeboten, einenDrogentest auf der Wache durchzuführen. Damit war ereinverstanden. Auf der Wache wurde er ordnungsgemäßbelehrt. Er räumte ein, täglich Cannabis zu konsumieren.

Der durchgeführte Drogenvortest verlief positiv. Darauf-hin ordnete der Zeuge G ohne Rücksprache mit derStaatsanwaltschaft und ohne richterliche Anordnung dieEntnahme einer Blutprobe an. Auf die Einholung einesrichterlichen Beschlusses verzichtete er, da ihm mitgeteiltworden war, dass der Präsident des AG ... am 02.04.2008bekanntgegeben habe, dass bei der Anordnung von Blut-proben immer Gefahr im Verzuge bestehe und eine rich-terliche Anordnung nicht mehr erforderlich sei. Er hattevon dem Leiter der Polizeiinspektion .... eine Mail nach-folgenden Inhalts erhalten:

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RECHTSPRECHUNG

2. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchsist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besondersfrei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur dar-aufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätzeder Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemes-sungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schät-zung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl.Senatsurteile BGHZ 92, 84, 86 f.; 102, 322, 330; 161, 151,154 = DAR 2005, 78; Urteil vom 09.12.2008 VersR 2009,408, 409 und vom 09.06.2009 DAR 2009, 452 m. Anm.Ernst). Dies ist hier – entgegen der Auffassung der Revi-sion – nicht der Fall.

a) Im Veräußerungsfall genügt der Geschädigte im Allge-meinen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und seiner Dar-legungs- und Beweislast und bewegt sich in den für dieSchadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezoge-nen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädig-ten Kfz zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihmeingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allge-meinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. SenatsurteileBGHZ 143, 189, 193 = DAR 200, 159 m. Anm. Weigel; 163,362, 366 = DAR 2005, 617; 171, 287, 290 f. = DAR 2007,325; vom 21.01.1992 VersR 1992, 457; vom 06.04.1993VersR 1993, 769; vom 07.12.2004 DAR 2005, 152; vom12.07.2005 DAR 2005, 617 und vom 10.07.2007 DAR 2007,634). Dem Geschädigten verbleibt im Rahmen der Scha-densminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB regelmä-ßig nur dann ein Risiko, wenn er den Restwert ohnehinreichende Absicherung durch ein eigenes Gutachtenrealisiert und der Erlös sich später im Prozess als zu nied-rig erweist. Will er dieses Risiko vermeiden, muss er sichvor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs mit demHaftpflichtversicherer abstimmen oder aber ein eigenesGutachten mit einer korrekten Wertermittlung einholen,auf dessen Grundlage er die Schadensberechnung vor-nehmen kann (vgl. Senatsurteile vom 21.01.1992 DAR1992, 172; vom 06.04.1993 DAR 1993, 251 und vom12.07.2005 DAR 2005, 617).

b) Entsprechendes hat zwar zu gelten, wenn der Geschä-digte nach der Einholung eines Sachverständigengutach-tens, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, imVertrauen auf den darin genannten Restwert und die sichdaraus ergebende Schadensersatzleistung des Unfallgeg-ners sein unfallbeschädigtes Fahrzeug repariert hat undweiternutzt. Im Streitfall hat das Berufungsgericht jedochohne Rechtsfehler das vom Kl. vorgelegte Sachverständi-gengutachten nicht als geeignete Schätzungsgrundlage an-gesehen, weil eine korrekte Wertermittlung darin nichthinreichend zum Ausdruck kommt.

Beauftragt der Geschädigte – wie im Streitfall – einenGutachter mit der Schadensschätzung zum Zwecke derSchadensregulierung, hat der Sachverständige das Gut-

achten unter Berücksichtigung der geltenden Rspr. zumSchadensersatz bei Kfz-Unfällen zu erstellen (vgl. Senats-urteil vom 13.01.2009 DAR 2009, 196). Die Bemerkungen„Restwert: Angebot liegt vor Euro 1.000,00“ und „Derausgewiesene Restwert basiert auf Angeboten von Inter-essenten“ lassen weder erkennen, wie viele Angebote derSachverständige eingeholt hat, noch von wem diese stam-men. Letzteres ist auch für den Geschädigten von Bedeu-tung, weil nur dann ersichtlich ist, ob der Sachverständigedie Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt er-mittelt hat. Dabei hat der Sachverständige als ausrei-chende Schätzgrundlage entsprechend der Empfehlungdes 40. Deutschen Verkehrsgerichtstags im Regelfall dreiAngebote einzuholen (vgl. Senatsurteil vom 13.01.2009DAR a.a.O.).

3. Da das vom Kl. eingeholte Sachverständigengutachtendiesen Anforderungen nicht genügt, war das Berufungs-gericht von Rechts wegen nicht gehindert, auf der Grund-lage des gerichtlichen Sachverständigengutachtens den aufdem regionalen Markt erzielbaren Restwert nach § 287ZPO auf 2.000 € zu schätzen.

Schadenabrechnung auf Neu-wagenbasisUrteil des BGH vom 09.06.09 – VI ZR 110/08 –

Der Geschädigte, dessen neuer Pkw erheblich be-schädigt worden ist, kann den ihm entstandenenSchaden nur dann auf Neuwagenbasis abrechnen,wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft hat.

Aus den Gründen:

„ ... Die Revision beanstandet aber mit Erfolg, dass dasBerufungsgericht die Klägerin für berechtigt gehalten hat,den ihr entstandenen Schaden auf Neuwagenbasis zu be-rechnen. Der Klägerin steht jedenfalls derzeit kein überdie bisherigen Zahlungen des Beklagten hinausgehenderSchadensersatzanspruch zu. ...

... Das Berufungsgericht hat Rechtsgrundsätze der Scha-densbemessung verkannt. Seine Annahme, der Geschä-digte könne auch dann die für die Anschaffung einesfabrikneuen Ersatzfahrzeugs erforderlichen Kosten ver-langen, wenn er ein solches Fahrzeug nicht angeschaffthabe, ist mit dem nach schadensrechtlichen Grundsätzenzu beachtenden Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Berei-cherungsverbot nicht zu vereinbaren.

Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht allerdings zu-treffend angenommen, dass sich der Eigentümer einesNeuwagens im Falle von dessen Beschädigung nichtimmer mit der Erstattung der erforderlichen Reparatur-kosten zuzüglich einer etwaigen Ausgleichszahlung für

„Liebe Kollegen, der Präsident des AG ... hat in einem Te-lefongespräch mit dem Polizeipräsidenten der PD ... am02.04.2008 eindringlich darauf hingewiesen, dass nachRechtsauffassung des AG bei der Anordnung von Blut-proben immer Gefahr im Verzuge vorliegt und somit einerichterliche Anordnung gem. § 81 a StPO nicht mehr er-forderlich ist. Somit sind die Polizeivollzugsbeamtinnenund -beamten unter Beachtung der entsprechendenRechtsvorschriften immer zur Anordnung einer Blut-probe ermächtigt. Dieses gilt am Tage und in der Nachtsowie werktags und an Sonn- und Feiertagen.

Der PP hat in diesem Zusammenhang sowohl auf die be-stehende Rechtsauffassung im Lande Niedersachsen (MIund MJ) als auch auf die Verfügungslage der PD hinge-wiesen, welche ebenfalls bei einschlägigen Sachverhaltenimmer das Vorliegen von Gefahr im Verzuge bejaht.“

Die entnommene Blutprobe ergab nach dem Befund derLaborarztpraxis ... nach der Methodik GC/MS F einenTHC Wert i.S. von 6,5 ng/ml. Die mit derselben Messme-thodik festgestellte THC-Carbonsäure i.S. ergab 150 ng/mlund der Nachweis 11-Hydroxy-ThC i.S. betrug 2,3. DerBetr. hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt er-kennen können und müssen, dass er möglicherweise unterEinfluss berauschender Mittel fuhr, da er nach eigenenAngaben gegenüber dem Polizeibeamten G regelmäßigtäglich 1 Köpfchen konsumierte.

Das AG hat das auf Grund der entnommenen Blutprobeerstattete Gutachten für verwertbar gehalten. (Wird aus-geführt.)

2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

Sie hat bereits mit der formgerecht erhobenen Rüge derVerletzung formellen Rechtes Erfolg, so dass es auf diegleichfalls erhobene Sachrüge nicht ankommt. DieRechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochte-nen Urteils und zum Freispruch des Betr.

a) Die dem Betr. entnommene Blutprobe und das darausresultierende Gutachten vom 29.04.2008 waren nicht ver-wertbar.

Die durch den Zeugen G angeordnete Blutentnahme nach§ 81 a StPO war wegen Verstoßes gegen den Richtervor-behalt rechtswidrig. Dies hatte das AG Osnabrück bereitsmit Beschluss vom 01.09.2008 festgestellt. Die dagegen ge-richtete Beschwerde der StA ist beim LG Osnabrück ohneErfolg geblieben.

Der Zeuge G hatte die Blutprobe angeordnet, ohne auch nurversucht zu haben, einen richterlichen Beschluss zu erwir-ken. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge G im konkretenFall Gefahr im Verzag angenommen hat oder davon ausge-gangen wäre, dass eine richterliche Entscheidung nicht her-beigeführt werden könne, liegen nach den Feststellungen des

AG, die hierzu nichts enthalten, nicht vor. Der Zeuge hattesich vielmehr auf die o.g. Mitteilung seiner vorgesetztenDienststelle verlassen. Dieser Verfahrensverstoß führt vor-liegend auch zu einem Beweisverwertungsverbot, also zurUnverwertbarkeit des Ergebnisses der Blutuntersuchung.

Zwar führt nicht jeder Verstoß gegen eine Beweiserhe-bungsvorschrift zu einem Verwertungsverbot. Vielmehr istdiese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalles,insbesondere nach der Art des Verbotes und des Gewich-tes des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitendenInteressen zu entscheiden. Dabei bedeutet ein Beweiser-hebungsverbot eine Ausnahme von dem Grundsatz, dassdas Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Be-weisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Be-weismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind, dienur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oderaus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall an-zuerkennen ist (vgl. BGHSt 44, Band, 243, 249). Ein Be-weisverwertungsverbot wird von der Rechtsprechung beiwillkürlicher Vornahme einer Maßnahme ohne richterli-che Anordnung und damit bewusstem Ignorieren desRichtervorbehaltes oder gleichwertiger gröblicher Miss-achtung angenommen (vgl. BGHSt 51. Band, 285 ff.).

Gemessen daran ist vorliegend von einem Beweisverwer-tungsverbot auszugehen. Der Zeuge G... hat von der Ein-holung eines richterlichen Beschlusses abgesehen, weilihm von seiner vorgesetzten Dienststelle mitgeteilt wor-den war, dass der Präsident des AG ... am 02.04.2008 be-kannt gegeben habe, dass bei der Anordnung vonBlutproben immer Gefahr im Verzuge bestehe und einerichterliche Anordnung nicht mehr erforderlich sei.

b) Unter diesen Umständen ist allerdings dem Zeugen Gnicht vorzuwerfen, dass er willkürlich gehandelt hat. Esliegt vielmehr ein grober Verstoß seiner Dienstvorgesetz-ten vor, die nicht dafür Sorge getragen haben, dass der Be-deutung des Richtervorbehalts auch auf der Ebene desPolizeibeamten vor Ort Rechnung getragen wurde. Demkann auch nicht entgegengehalten werden, dass seinerzeitseitens des AG Osnabrück sowie des InnenministeriumsNiedersachsen als auch des Justizministeriums Nieder-sachsen die Auffassung vertreten wurde, bei „einschlägi-gen Sachverhalten“ liege immer Gefahr im Verzug vor.

Das OLG Hamm (Beschl. v. 12.03.2009, 3 Ss 31/09 [juris])führt in diesem Zusammenhang aus: „Zu berücksichtigenist auch, dass es sich bei der Entwicklung der Rechtspre-chung zum Richtervorbehalt um keine ganz junge Ent-wicklung mehr handelt. Die Bedeutung, die das BVerfGdem Richtervorbehalt grundsätzlich zumisst, ist mindes-tens mit der Entscheidung vom 20.02.2001 (NJW 2001,1121 deutlich geworden. In der Folgezeit ist die Bedeu-tung auch des einfach gesetzlichen Richtervorbehalts, u.a.auch bei § 81 a StPO, in der verfassungsgerichtlichen

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RECHTSPRECHUNG

Fahrzeugen kann – wie vom Berufungsgericht im Aus-gangspunkt zutreffend angenommen – die Frage Bedeu-tung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet,„scheckheftgepflegt“ oder ggf. nach einem Unfall repa-riert worden ist. Dabei besteht – wie entsprechende Hin-weise in Verkaufsanzeigen belegen – bei einem großen Teildes Publikums insbesondere wegen fehlender Überprü-fungsmöglichkeiten die Einschätzung, dass bei einer (re-gelmäßigen) Wartung und Reparatur eines Kfz in einermarkengebundenen Fachwerkstatt eine höhere Wahr-scheinlichkeit besteht, dass diese ordnungsgemäß undfachgerecht erfolgt ist. Deshalb kann auch dieser Umstandes rechtfertigen, der Schadensabrechnung die Stunden-verrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerk-statt zugrunde zu legen, obwohl der Schädiger oder dessenHaftpflichtversicherer dem Geschädigten eine ohne Wei-teres zugängliche, gleichwertige und günstigere Repara-turmöglichkeit aufzeigt. Dies kann etwa auch dann derFall sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt (zur se-kundären Darlegungslast vgl. etwa Senatsurteil BGHZ163, 19, 26 = DAR 2005, 438), dass er sein Kfz bisher stetsin der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten undreparieren lassen oder – im Fall der konkreten Schadens-berechnung – sein besonderes Interesse an einer solchenReparatur durch die Reparaturrechnung belegt. Dabeikann der Tatrichter u.a. nach § 142 ZPO anordnen, dassder Geschädigte oder ein Dritter die in ihrem oder seinemBesitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen,auf die sich der Geschädigte bezogen hat, etwa das„Scheckheft“ oder Rechnungen über die Durchführungvon Reparatur- und/oder Wartungsarbeiten, vorlegt.

3. Nach diesen Grundsätzen kann das Berufungsurteilnicht Bestand haben. Da der Kl. keine erheblichen Um-stände dargetan hat, nach denen ihm eine Reparatur seines9 1/2 Jahre alten Fahrzeugs außerhalb einer markenge-bundenen Fachwerkstatt auch unter dem Gesichtspunktseiner Schadensminderungspflicht unzumutbar seinkönnte, war der Bekl. nicht daran gehindert, den Kl. aufeine gleichwertige günstigere Reparaturmöglichkeit zuverweisen. Im Streitfall war das Urteil des Berufungsge-richts mithin aufzuheben und an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen, weil das Berufungsgericht zur Frage derGleichwertigkeit der aufgezeigten alternativen Repara-turmöglichkeit noch keine Feststellungen getroffen hat.

Restwertermittlung bei TotalschadenUrteil des BGH vom 13.10.09 – VI ZR 318/08 –

1. Im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens kannder Geschädigte, der ein Sachverständigengutachteneinholt, das eine korrekte Wertermittlung erkennenlässt, und im Vertrauen auf den darin genannten Rest-

wert und die sich daraus ergebende Schadensersatz-leistung des Unfallgegners sein Fahrzeug reparierenlässt und weiternutzt, seiner Schadensabrechnunggrundsätzlich diesen Restwertbetrag zugrunde legen.

2. Der vom Geschädigten mit der Schadensschätzungzum Zwecke der Schadensregulierung beauftragteSachverständige hat als geeignete Schätzgrundlagefür den Restwert im Regelfall drei Angebote auf demmaßgeblichen regionalen Markt zu ermitteln unddiese in seinem Gutachten konkret zu benennen.

Aus den Gründen:

I. Das Berufungsgericht meint, jedenfalls dann, wenn vonSeiten des Gerichts nicht beurteilt werden könne, auf wel-cher Grundlage der vom Kl. beauftragte Sachverständigeden Restwert bestimmt habe, könne dieser nicht alleinmaßgeblich für die Schadensberechnung sein. In diesemFall könne und müsse das Gericht ggf. unter sachverstän-diger Beratung nach § 287 ZPO die Höhe des Restwertesschätzen. Bei der Bestimmung des Restwertes müsse sichder Kl. zwar nicht auf das Angebot des in Frankfurt an-sässigen spezialisierten Restwertaufkäufers in Höhe von4.210 € verweisen lassen, weil dieses außerhalb des demKl. zugänglichen allgemeinen regionalen Marktes abge-geben worden sei und die Bekl. den Kl., der Herr des Re-stitutionsverfahrens sei, durch die Unterbreitung einessolchen Angebotes nicht zum Verkauf des Fahrzeugs zwin-gen könne. Die Bekl. habe jedoch den Nachweis erbracht,dass auf dem relevanten regionalen Markt ein höhererRestwert als der vom Kl. veranschlagte Betrag von1.000 € zu realisieren gewesen sei. Der vom AG beauf-tragte gerichtliche Sachverständige habe Angebote vonAutohäusern im regionalen Bereich eingeholt, die sich imBereich zwischen 1.000 €, 2.500 € und 2.560 € bewegt hät-ten. Dabei sei dem Kl. jedenfalls eine naheliegende tele-fonische Anfrage bei der MB.-Niederlassung in der StadtS. zumutbar gewesen, die nach dem Ergebnis der Beweis-aufnahme zu einem Angebot von 2.500 € geführt hätte.Mit Blick auf die deutlichen Preisunterschiede bei örtli-chen Markenfachhändlern sei der Restwert deshalb auf2.000 € zu schätzen.

II. 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend von der Rspr. deserkennenden Senats (vgl. BGHZ 171, 287, 290 f. = DAR2007, 325 und Senatsurteil vom 10.07.2007 DAR 2007, 634)ausgegangen, wonach sich der Geschädigte, der im Total-schadensfall sein unfallbeschädigtes Fahrzeug – ggf. nacheiner (Teil-)Reparatur – weiter nutzt, bei der Abrechnungnach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten i.d.R. den ineinem Sachverständigengutachten für den regionalenMarkt ermittelten Restwert in Abzug bringen lassen muss.Diesen Wert hat es im Rahmen der vom Gerichtssachver-ständigen ermittelten drei Angebote auf einen Zwischen-wert von 2.000 € geschätzt.

Rechtsprechung aufgezeigt und veröffentlicht worden(insbesondere mit den Beschl. v. 12.02.2007 = NJW 2007,1345 und v. 31.10.2007 – 2 BvR 1346/07 – juris). Auch zumZeitpunkt der hier in Frage stehenden Anordnung“ –Tat-zeit in dem der Entscheidung des OLG Hamm zu Grundeliegenden Sachverhalt war der 01.05.2008, somit wenigerals zwei Wochen nach dem Tatzeitpunkt im vorliegendenFall – „war die Relevanz des Richtervorbehalts nach§ 81 a II StPO in der Rechtsprechung des BVerfG damitschon mehr als ein Jahr bekannt. Von einem Ausschlussder objektiven Willkür, weil zum Anordnungszeitpunktdie entsprechenden Rechtsfragen noch im Streit waren ...kann daher nicht mehr die Rede sein ... Die Schwere desVerstoßes ergibt sich hier also nicht daraus, dass ein Poli-zeibeamter im Einzelfall die Voraussetzungen des Rich-tervorbehalts verkannt oder nicht geprüft hat, sonderndaraus, dass dessen Voraussetzungen ... aufgrund langjäh-riger Praxis, also gleichsam einem ‚Fehler im System‘, un-geprüft geblieben sind.“

Zwar ist hier eine langjährige Praxis nicht festgestellt wor-den. Der Fehler im System bestand allerdings darin, dassdie Anordnung von Blutproben ausnahmslos dem Rich-tervorbehalt entzogen worden war.

Die bei Taten im Zusammenhang mit Alkohol und Dro-gen typischerweise bestehende abstrakte Gefahr, dassdurch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweisder Tatbegehung erschwert oder gar verhindert wird, kannfür sich allein jedoch noch nicht für die Annahme einerGefährdung des Untersuchungserfolges als ausreichendangesehen werden. Andernfalls würden die konkretenUmstände des Einzelfalles, etwa im Hinblick auf die je-weilige Tages- oder Nachtzeit, die jeweiligen Besonder-heiten am Ort der Kontrolle, die Entfernung zurDienststelle bzw. zum Krankenhaus mit Erreichbarkeiteines Arztes oder den Grad der Alkoholisierung und sei-ner Nähe zu rechtlich relevanten Grenzwerten, völligaußer Acht gelassen (OLG Bamberg NJW 2009, 2146 f.).

So waren beispielsweise auch Fälle dem Richtervorbehaltentzogen, bei denen bei einer Atemalkoholmessung eineerhebliche Alkoholisierung festgestellt wurde, so dass eswegen klar zu erwartender Überschreitung der die Straf-barkeit begründenden Grenzwerte auf die Feststellungdes genauen Blutalkoholwertes nicht ankam (vgl.Dencker, DAR 2009, 257, 258 mit weiteren Beispielen, indenen Gefahr im Verzug nicht anzunehmen ist). Aller-dings sahen das LG Braunschweig (Beschl. v. 04.01.2008, 9Qs 381/07 [juris] und das LG Hamburg (Beschl. v.12.11.2007, 603 Qs 470/07 [juris]) beim Verdacht auf Trun-kenheitsfahrten eine Dringlichkeit als „evident“ an. Dem-gegenüber hatte das OLG Stuttgart mit Beschl. v.26.11.2007 (Ss 532/07 [juris]) – also vor der dem Zeugen

G... zur Kenntnis gebrachten E-Mail – bei einem Sachver-halt, dem ebenfalls der Verdacht auf Teilnahme am Stra-ßenverkehr unter Drogeneinfluss zu Grunde lag,ausgeführt, dass die formellen Voraussetzungen für dieAnordnung durch den Polizeibeamten nicht vorgelegenhätten, zumal im Idealfall die richterliche Anordnung bin-nen einer Viertelstunde telefonisch hätte erreicht werdenkönnen. Auch das Hanseatische OLG Hamburg hatte imBeschl. v. 04.02.2008 (2-81/07 [REV] – 1 Ss 226/07 [juris])ausgeführt, dass in den Ermittlungsakten die Gefährdungdes Untersuchungserfolges einzelfallbezogen zu begrün-den sei. Nicht ausreichend sei beim Nachweis von Alkoholund Drogen die typischerweise bestehende Gefahr, dassdurch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweiserschwert oder gar verhindert werde.

Somit gab es bereits vor der dem Zeugen G... übermittel-ten Mail obergerichtliche Entscheidungen, in denen be-gründet dargelegt wurde, dass nicht pauschal für jeden Falleiner Blutentnahme bei Verdacht einer Alkohol- oderDrogenfahrt bei Einschaltung eines Richters ein Beweis-mittelverlust drohte.

Diesen gewichtigen Argumenten hätte sich die Polizeifüh-rung nicht verschließen dürfen. Dem Aspekt eines mögli-chen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufskommt bei derartiger Verkennung des Richtervorbehaltskeine Bedeutung zu (vgl. BGHSt 51. Band, 285, 295, 296).

c) Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben. Da eseiner rechtlich zulässigen Grundlage für den Nachweiseiner Fahrt des Betr. unter Drogeneinfluss fehlt und nichtersichtlich ist, dass dieser auf andere Weise erlangt wer-den kann, war der Betr. durch den Senat gem. § 79 VIOWiG freizusprechen. Zwar hat der Betr. nach Belehrungeingeräumt, täglich Cannabis zu konsumieren. Allein da-durch kann jedoch die erforderliche Feststellung, dass erunter der Wirkung berauschender Mittel im Straßenver-kehr ein Kraftfahrzeug geführt hat, nicht getroffen wer-den. Eine solche Wirkung liegt nämlich nur vor, wenn eineder in der Anlage zu § 24 a StVG genannten Substanzenim Blut nachgewiesen wird. Dieser Nachweis ist wegen derUnverwertbarkeit der Blutprobe nicht möglich.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG in Ver-bindung mit § 467 StPO.

4. Zwar weicht der Senat mit dieser Entscheidung vonOLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.06.2009, 1 Ss 183/08, (juris)ab. Eine Vorlage an den BGH war aber nicht erforderlich,da das OLG Karlsruhe zu erkennen gegeben hat, dass eseine grobe Verkennung der Rechtslage – und damit einVerwertungsverbot – durch die bei seiner Entscheidungzu beurteilende Dienstanweisung nur bis zu seiner Ent-scheidung verneint hat.

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RECHTSPRECHUNG

2. In seinem Urteil BGHZ 155, 1 ff. = DAR a.a.O. ist derSenat dem dortigen Berufungsgericht vom Ansatz her aller-dings auch in der Auffassung beigetreten, dass der Geschä-digte, der mühelos eine ohne Weiteres zugänglichegünstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sichauf diese verweisen lassen muss. Rechnet der Geschädigte –konkret oder fiktiv – die Kosten der Instandsetzung als Scha-den ab und weist er die Erforderlichkeit der Mittel durcheine Reparaturkostenrechnung oder durch ein ordnungsge-mäßes Gutachten eines Sachverständigen (vgl. BGHZ,a.a.O. S. 4) nach, hat der Schädiger die Tatsachen darzulegenund zu beweisen, aus denen sich ein Verstoß gegen die Scha-densminderungspflicht i. S. d. § 254 Abs. 2 BGB ergibt.

a) Welche konkreten Anforderungen in diesem Zusam-menhang an eine „gleichwertige“ Reparaturmöglichkeitzu stellen sind, konnte im vorgenannten Senatsurteil offenbleiben, weil der dort vom Berufungsgericht der Scha-densabrechnung zugrunde gelegte abstrakte Mittelwertder Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Mar-ken- und freien Fachwerkstätten einer Region als statis-tisch ermittelte Rechengröße nicht den zurWiederherstellung erforderlichen Betrag repräsentierte.Im vorliegenden Fall ist die Frage jedoch von Bedeutung,weil nach dem im Streitstand des Berufungsurteils refe-rierten Vortrag des Bekl. die aufgezeigte, dem Kl. ohneWeiteres zugängliche Karosseriefachwerkstatt in der Lageist, die Reparatur ebenso wie jede markengebundeneFachwerkstatt durchzuführen. Da das Berufungsgericht –von seinem Standpunkt aus folgerichtig – die vom Kl. zu-lässigerweise (vgl. § 138 Abs. 4 ZPO) mit Nichtwissen be-strittene technische Gleichwertigkeit der Reparatur, ohneFeststellungen zu treffen, lediglich unterstellt hat, ist hier-von für die rechtliche Prüfung auszugehen.

b) Die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungenes dem Geschädigten im Rahmen seiner Schadensminde-rungspflicht i.S.d. § 254 Abs. 2 BGB bei der (fiktiven)Schadensabrechnung zumutbar ist, sich auf eine kosten-günstigere Reparatur in einer nicht markengebundenenFachwerkstatt verweisen zu lassen, ist in der Literatur undinstanzgerichtlichen Rspr. umstritten (vgl. zum Überblicküber den Meinungsstand etwa Figgener NJW 2008, 1349 ff.und NZV 2008, 633 f.; Rütten, SVR 2008, 241 ff.; BalkeSVR 2008, 56 ff; Zschieschack NZV 2008, 326 ff.; EggertVerkehrsrecht aktuell 2007, 141 ff.; Engel DAR 2007, 695ff.; Nugel zfs 2007, 248 ff. und Wenker VersR 2005, 917 ff.).

c) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist eine dif-ferenzierte Betrachtungsweise geboten, die sowohl demInteresse des Geschädigten an einer Totalreparation alsauch dem Interesse des Schädigers an einer Geringhaltungdes Schadens angemessen Rechnung trägt.

aa) Die Zumutbarkeit für den Geschädigten, sich auf einekostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebun-

denen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, setzt – wovonauch das Berufungsgericht ausgegangen ist und was vonder Revision nicht in Zweifel gezogen wird – jedenfallseine technische Gleichwertigkeit der Reparatur voraus.Will der Schädiger mithin den Geschädigten unter demGesichtspunkt der Schadensminderungspflicht i.S.d. § 254Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit ineiner mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freienFachwerkstatt“ verweisen, muss der Schädiger darlegenund ggf. beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstattvom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer mar-kengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Dabei sind demVergleich die (markt-)üblichen Preise der Werkstätten zu-grunde zu legen. Das bedeutet insbesondere, dass sich derGeschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungs-pflicht nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerk-stätten des Haftpflichtversicherers des Schädigersverweisen lassen muss. Andernfalls würde die ihm nach§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnisunterlaufen, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehe-bung in eigener Regie eröffnet (vgl. Senatsurteile BGHZ143, 189, 194 f. = DAR 2000, 159 m. Anm. Weigel; vom21.01.1992 DAR 1992, 172; vom 06.04.1993 DAR 1993, 251und vom 12.07.2005 DAR 2005, 617). Dies entspricht demgesetzlichen Bild des Schadensersatzes, nach dem der Ge-schädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist und grund-sätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigtenSache verfährt (vgl. Senatsurteile BGHZ 143, 189, 194 f. =DAR a.a.O. und vom 12.07.2005 – VI ZR 132/04 – a.a.O.).

bb) Steht unter Berücksichtigung dieser Grundsätze dieGleichwertigkeit der Reparatur zu einem günstigerenPreis fest, kann es für den Geschädigten gleichwohl unterdem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht unzu-mutbar sein, eine Reparaturmöglichkeit in dieser Werk-statt in Anspruch zu nehmen. Dies gilt vor allem beiFahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren. Denn bei neuenbzw. neuwertigen Kfz muss sich der Geschädigte im Rah-men der Schadensabrechnung grundsätzlich nicht auf Re-paraturmöglichkeiten verweisen lassen, die ihm bei einerspäteren Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten,einer Herstellergarantie und/oder von KulanzleistungenSchwierigkeiten bereiten könnten. Im Interesse einergleichmäßigen und praxisgerechten Regulierung bestehendeshalb bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahrengrundsätzlich keine rechtlichen Bedenken gegen eine (ge-nerelle) tatrichterliche Schätzung der erforderlichen Re-paraturkosten nach den Stundenverrechnungssätzen einermarkengebundenen Fachwerkstatt.

cc) Bei Kfz, die älter sind als drei Jahre, kann es für denGeschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmender Schadensabrechnung auf eine alternative Reparatur-möglichkeit außerhalb einer markengebundenen Fach-werkstatt verweisen zu lassen. Denn auch bei älteren

Übersehen einer Geschwindig-keitsbeschränkungBeschluss des Brandenburgischen OLG vom 27.07.09 – 2 Ss(OWi) 87 B/09 –

Beruft sich ein Kraftfahrzeugführer darauf, ein die zu-lässige Höchstgeschwindigkeit beschränkendes Ver-kehrszeichen übersehen zu haben, und ist ihm dieseEinlassung nicht zu widerlegen, so kann die Verhän-gung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung derPflichten eines Kraftfahrzeugführers nicht allein dar-auf gestützt werden, dass das Verkehrszeichen beid-seitig aufgestellt war.

Aus den Gründen:

Das Rechtsmittel des Betr. ist begründet. Die Ausführun-gen, mit denen das AG die Verhängung eines Fahrverbotsgegen den Betr. begründet hat, halten rechtlicher Überprü-fung nicht stand. Die Feststellungen, die das AG zum Ver-kehrsverstoß getroffen hat, bilden keine ausreichendeGrundlage für die Entscheidung, gegen den Betr. ein Re-gelfahrverbot zu verhängen, weil sie unvollständig sind.Dies ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der aufgrund derSachrüge zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenaus-spruch führt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl Senatvom 2. April 2009 – 2 Ss (OWi) 29 B/09 – und vom 26. März2009 – 2 Ss (OWi) 30 B/09 –); darüber hinaus ist die vomAG herangezogene Begründung, gegen den Betr. (gleich-wohl) ein Regelfahrverbot zu verhängen, rechtsfehlerhaft.

1. Das AG hat einen Verkehrsverstoß des Betr. festgestellt,bei dem nach der lfd. Nr 11.3.7 BKatV Anhang i.V.m. § 4Abs 1 S 1 Nr 1 BKatV die Anordnung eines Fahrverbotsvon 1 Monat wegen grober Verletzung der Pflichten einesKraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht kommt. Beidieser Zuwiderhandlung ist eine grobe Verletzung derPflichten eines Kraftfahrzeugführers, bei der nach § 25Abs 1 S 1 StVG ein Fahrverbot verhängt werden kann, in-diziert. Dabei betrifft die Indizwirkung zunächst, soweitkeine gegenteiligen Anhaltspunkte erkennbar sind, sowohldie objektive als auch die subjektive Seite des Vorwurfs.Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – die Geschwindig-keitsüberschreitung auf einer Autobahn, auf der es grund-sätzlich keine Geschwindigkeitsbeschränkung gibt,begangen wurde und ihr die Nichtbeachtung eines die zu-lässige Höchstgeschwindigkeit beschränkenden Verkehrs-zeichens zu Grunde liegt, weil grundsätzlich davonausgegangen werden kann, dass derartige Verkehrszei-chen von den Verkehrsteilnehmern auch wahrgenommenwerden. Beruft sich der Betr. aber darauf, das geschwin-digkeitsbeschränkende Verkehrszeichen übersehen zuhaben und ist ihm diese Einlassung nicht zu widerlegen,gilt eine Besonderheit;

In einem solchen Fall steigt mit dem Ausmaß der Über-schreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwar dasobjektive Gewicht des Verkehrsverstoßes, nicht jedoch des-sen subjektive Vorwerfbarkeit. Diese besteht – unabhängigvom Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstge-schwindigkeit – nur darin, dass der Betr. das die Geschwin-digkeit beschränkende Verkehrszeichen übersehen hat. DieVerhängung eines Fahrverbots gegen ihn ist dann nur mög-lich, wenn gerade diese Fehlleistung ihm als grob pflicht-widriges Verhalten vorgeworfen werden kann, diese alsoauf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht.Der BGH hat hierzu in seiner grundlegenden Entschei-dung vom 11. September 1997 – 4 StR 638/96 – (BGHSt43, 241 f.) Folgendes ausgeführt:

„Dem Kraftfahrzeugführer kann das für ein Fahrverbot er-forderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgewor-fen werden, wenn der Grund für die von ihm begangeneerhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt,dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zei-chen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade dieseFehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeitoder Gleichgültigkeit. Für die Bewertung seines Verschul-dens ist es, solange er die ohne das Vorschriftszeichen maß-gebliche Höchstgeschwindigkeit einhält, ohne Belang, ober die durch das Vorschriftszeichen angeordnete Ge-schwindigkeit weniger oder mehr überschreitet. Das Maßder Pflichtverletzung hängt nur davon ab, wie sehr ihn dasÜbersehen des Schildes zum Vorwurf gereicht. Das erheb-liche Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf dasdie Regelbeispielsfälle der Tabelle 1 a zu Buchst. c) abstel-len, lässt aber keinen Schluss darauf zu, dass der Fahr-zeugführer das Vorschriftszeichen wahrgenommen odergrob pflichtwidrig nicht wahrgenommen hat.

Beruft sich der Kraftfahrer darauf, dass er ein Geschwin-digkeitszeichen 274 (oder eine Ortstafel) schlicht überse-hen hat, und kann ihm diese Einlassung nicht widerlegtwerden, so scheidet die Verhängung eines Fahrverbotswegen der Überschreitung gleichwohl nicht notwendigaus. Ist das gleiche Zeichen 274 im Verlaufe der vor derMessstelle befahrenen Strecke mehrfach wiederholt wor-den oder geht etwa der Messstelle ein sogenannter Ge-schwindigkeitstrichter voraus, durch den die zulässigeHöchstgeschwindigkeit stufenweise mittels mehrerernacheinander aufgestellter Vorschriftszeichen herabge-setzt wird, so hat der betroffene Verkehrsteilnehmer –wenn der Tatrichter seine Einlassung nicht schon aufgrunddieser Umstände als widerlegt ansieht, was allerdings re-gelmäßig naheliegt – die gebotene Aufmerksamkeit ingrob pflichtwidriger Weise außer Acht gelassen. Dasselbegilt in Fällen, in denen sich die Anordnung einer Ge-schwindigkeitsbeschränkung durch Vorschriftszeichen 274der StVO (beispielsweise im Baustellenbereich einer Bun-desautobahn) oder durch § 3 Abs 3 Nr 1 StVO i.V.m. der

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RECHTSPRECHUNG RECHTSPRECHUNG

Aus den Gründen:

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass ein Ge-schädigter auch bei fiktiver Abrechnung der Reparatur-kosten auf der Grundlage eines Sachverständigen-gutachtens die Stundenverrechnungssätze einer marken-gebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen dürfe und sichnicht auf etwa günstigere Stundenverrechnungssätze einernicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen lassenmüsse. Zwar habe der BGH in seinem „Porsche-Urteil“vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02 – BGHZ 155, 1 ff. = DAR2003, 373 m. Anm. Reitenspiess ausgeführt, dass der Ge-schädigte, der eine ihm mühelos und ohne Weiteres zu-gängliche günstigere und gleichwertige Reparatur-möglichkeit habe, sich auf diese verweisen lassen müsse.Auch könne im Streitfall davon ausgegangen werden, dassdie Reparaturarbeiten durch die seitens des Haftpflicht-versicherers des Bekl. benannte Werkstatt „rein technischbetrachtet“ gleichwertig erbracht werden könnten. Jedochkönne bei der Ermittlung der Reichweite des Begriffs der„Gleichwertigkeit“ i.S.d. vorgenannten Entscheidung desBGH nicht allein auf die technische Vergleichbarkeit ab-gestellt werden. Vielmehr müsse der in der Praxis hono-rierte wortbildende Faktor einer Reparatur in einermarkengebundenen Fachwerkstatt Berücksichtigung fin-den, um der Dispositionsbefugnis und der dem Geschä-digten zustehenden Ersetzungsbefugnis in ausreichenderWeise gerecht zu werden.

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprü-fung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend von dem Senatsur-teil BGHZ 155, 1 ff. = DAR 2003, 373 (sog. Porsche-Ur-teil) ausgegangen, in welchem der Senat entschieden hat,dass der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten ab-rechnet, der Schadensberechnung grundsätzlich die Stun-denverrechnungssätze einer markengebundenen Fach -werkstatt zugrunde legen darf.

Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatzzu leisten, kann der Geschädigte vom Schädiger gem. § 249Abs. 2 Satz l BGB den zur Herstellung erforderlichenGeldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist,richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaft-lich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Ge-schädigten verhalten hätte (vgl. Senatsurteile BGHZ 61,346, 349 f.; 132, 373, 375 f. = DAR 1996, 314; vom 04.12.1984DAR 1985, 121 und vom 15.02.2005 DAR 2005, 270). DerGeschädigte leistet im Reparaturfall dem Gebot zur Wirt-schaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich inden für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrech-nung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer mar-kengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein vonihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemei-nen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. SenatsurteilBGHZ 155, 1, 3 = DAR a.a.O.). Wählt der Geschädigteden vorbeschriebenen Weg der Schadensberechnung undgenügt er damit bereits dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, so begründen besondere Um-stände, wie das Alter des Fahrzeuges oder seine Laufleis-tung keine weitere Darlegungslast des Geschädigten.

Stundenverrechnungssätze bei fiktiver SchadensberechnungUrteil des BGH vom 20.10.09 – VI ZR 53/09 –

1. Der Geschädigte darf seiner (fiktiven) Schadensberechnung grundsätzlich dieüblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerk-

statt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachver-ständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelthat (Bestätigung des Senatsurteils BGHZ 155, 1 ff.).

2. Will der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht imSinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne wei-teres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, muss der Schädiger darlegen und ggf. bewei-sen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einermarkengebundenen Fachwerkstatt entspricht.

3. Zur Frage, unter welchen Umständen es dem Geschädigten gleichwohl unzumutbar sein kann, sichauf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerk-statt verweisen zu lassen.

Ortstafel aufgrund der ohne Weiteres erkennbaren äuße-ren Situation (Art der Bebauung) jedermann aufdrängt.Bei Feststellung solcher – ohne Aufwand zu ermitteln-den – äußeren Umstände wird sich die für die Anordnungeines Fahrverbots erforderliche grobe Pflichtverletzungauch bei Unkenntnis der konkreten Geschwindigkeitsbe-schränkung infolge Übersehens eines Zeichens allenfallsbei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände verneinenlassen.“Ausgehend von diesen Grundsätzen fehlt es im angefoch-tenen Urteil an Feststellungen dazu, ob es vor oder im Be-reich der Messstelle äußere Umstände wie eine mehrfacheWiederholung des die Geschwindigkeit begrenzendenVerkehrszeichen, einen sogenannten Geschwindigkeits-trichter oder einen Baustellenbereich gab, die den Vorwurfder groben Pflichtverletzung gegen den Betr. beim Nicht-beachten der Geschwindigkeitsbeschränkung begründenkönnten – nur wenn diese festgestellt werden können, be-stünde eine ausreichende Grundlage für die Verhängungdes Regelfahrverbots gegen den Betr.

2. Der Umstand, dass der Betr. ein beidseitig aufgestelltesVerkehrszeichen nicht beachtet hat, genügt für sich alleingenommen nicht, um ihm ein auch in subjektiver Hinsichtgrob pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen. Der vor-stehend zitierten Grundsatzentscheidung des BGH lag eininnerörtlicher Geschwindigkeitsverstoß nach einem beid-seitig aufgestellten, die zulässige Höchstgeschwindigkeitbeschränkenden Verkehrszeichen zu Grunde. Die Tatsa-che, dass der BGH dies nicht zum Anlass genommen hat,das Vorliegen eines grob pflichtwidrigen Verhaltens desdort Betr. zu diskutieren, lässt den Schluss zu, dass derBGH das Übersehen eines beidseitig aufgestellten Ver-kehrszeichens allein nicht für die Verhängung eines Re-gelfahrverbots genügen lassen will (vgl entsprechend denBeschluss des 1. Senats des Brandenburgischen OLG vom30.10.2007 – 1 Ss (OWi) 192 B/07 –). Auch der Senat teiltdiese Auffassung. Die Lebenserfahrung zeigt, dass es inAusnahmefällen Verkehrssituationen gibt, in denen dieAufmerksamkeit eines Kraftfahrzeugführers so abgelenktwerden kann, dass dieser auch ein beidseitig aufgestelltesVerkehrszeichen übersehen kann, ohne dass ihm dafürmehr als nur der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit gemachtwerden kann. Zudem gibt es Verkehrssituationen, indenen zumindest die Sicht auf eines der beidseitig aufge-stellten Verkehrszeichen verdeckt sein kann. Ebenso ist esmöglich, dass Geschehnisse innerhalb des Fahrzeugs einekurzzeitige Ablenkung des Fahrzeugführers bewirken, dieihn ein beidseitig aufgestelltes Verkehrszeichen ebensoübersehen lassen wie ein nur einseitig aufgestelltes.Schließlich ist gerade bei längeren Autobahnfahrten mitgeringer Verkehrsdichte das Phänomen bekannt, dass dieAufmerksamkeit des Fahrzeugführers allmählich nach-lässt; in all diesen Fällen mag der Vorwurf der einfachen

Fahrlässigkeit gegen den Fahrzeugführer begründet sein,nicht jedoch notwendigerweise der eines auch in subjekti-ver Hinsicht groben Pflichtenverstoßes.

3. Auch der Umstand, dass der Betr. hier nach seiner eige-nen Einlassung das die Geschwindigkeit begrenzende Ver-kehrszeichen übersehen hatte, weil er sich mit anderen imPkw befindlichen Personen unterhalten hatte, begründetnicht den Vorwurf des grob pflichtwidrigen Verhaltensgegen ihn. Dass ein Fahrzeugführer sich mit anderen Per-sonen im Pkw unterhält, ist ein normales menschlichesVerhalten, das regelmäßig nicht zu einer relevanten Ver-ringerung der gebotenen Aufmerksamkeit des Fahrzeug-führers für das Verkehrsgeschehen führt.

4. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass neue Fest-stellungen zum Verkehrsverstoß auch Anlass für eine ab-weichende Bemessung der gegen den Betr. verhängtenGeldbuße geben können, hebt er den Rechtsfolgenaus-spruch des angefochtenen Urteils insgesamt auf.

Fahrverbot und ExistenzgefährdungBeschluss des OLG Bamberg vom 22.01.09 – 2 Ss OWi 5/09 –

Zum Absehen vom Fahrverbot bei erheblicher Ge-schwindigkeitsübertretung, wenn sich der Betroffeneauf das Vorliegen eines Härtefalles wegen drohendenArbeitsplatzverlustes beruft.

Aus den Gründen:

Das angefochtene Urteil hält in Bezug auf die Verhängungeines Fahrverbots einer sachlich-rechtlichen Überprüfungnicht stand, da die Urteilsgründe insoweit rechtsfehlerhaftund lückenhaft sind (§ 267 I 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG).Die Feststellung des AG zum Vorliegen eines Ausnahme-falls von einer außergewöhnlichen Härte sind rechtsfeh-lerhaft.

a) Zur Frage der Verhängung eines Fahrverbotes führt dasAG im Einzelnen aus:

„Allerdings hat der Betr. behauptet, dass er im Falle eineseinmonatigen Fahrverbotes gekündigt würde, was als wahrunterstellt worden ist. Ob eine derartige Kündigung an-gesichts der Möglichkeit, das Fahrverbot innerhalb von4 Monaten zu beginnen, erfolgreich ausgesprochen wer-den könnte, kann aber dahinstehen, weil auch dies ange-sichts des Maßes und der Umstände der Geschwindig-keitsüberschreitung nicht zu einem Absehen von einemRegelfahrverbot von einem Monat führen kann, dies auchnicht angesichts des Fehlens von Vorahndungen. Die Ver-kehrszeichen, welche hier wiederholt und überdeutlich dieGeschwindigkeitsbeschränkungen anordnen, können auchvon einem nur ganz mäßig aufmerksam Autofahrer über-haupt nicht übersehen werden, zumal die Streckenführung

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AKTUELL

Arbeitskreis VIII: Neue Haftungs- undEntschädigungsregelungen in derSchifffahrtIm Lichte der in letzter Zeit auf internationaler und Ge-meinschaftsebene getroffenen neuen Regelungen zurHaftung im See- und Binnenschiffsverkehr empfiehlt derArbeitskreis Folgendes:

1. Die Revision des Straßburger Übereinkommens von1988 über die Beschränkung der Haftung in der Bin-nenschifffahrt (CLNI), die insbesondere der Aktualisie-rung der Haftungshöchstbeträge in der Binnenschifffahrtgilt, sollte genutzt werden, um eine weitestmögliche in-ternationale Rechtsvereinheitlichung zu erreichen.

2. Die internationalen Bemühungen werden begrüßt, dasÜbereinkommen über Haftung und Entschädigung fürSchäden bei der Beförderung gefährlicher und schädlicher Stoffe auf See (HNS-Übereinkommen) so zumodifizieren, dass noch bestehende Ratifikations- hindernisse beseitigt werden.

3. Die im IMO-Rechtsausschuss eingebrachte Initiative zurErhöhung der Haftungshöchstbeträge des Haftungsbe-schränkungsübereinkommens von 1996 (LLMC) solltevon der Bundesregierung unterstützt werden.

4. Mittelfristig sollte auf internationaler Ebene angestrebt wer-den, bei Verschmutzungen durch Bunkeröl die Einführungeines eigenständigen Haftungshöchstbetrages wie bei Ölhaftungs- und HNS-Übereinkommen zu ermöglichen.

5. Das Wrackbeseitigungsübereinkommen von 2007 sollteschnellstmöglich ratifiziert werden.

6. Bei der notwendigen Anpassung des innerstaatlichenRechts an die EG-Verordnung über die Unfallhaftungvon Beförderern von Reisenden auf See sollten die haf-tungsrechtlichen Regelungen auch auf Bereiche ausge-dehnt werden, die von den gemeinschaftsrechtlichenRegelungen nicht unmittelbar erfasst werden: Die Regelungen über die vertragliche Haftung des Be-förderers von Reisenden sollten für alle internationalenund innerstaatlichen Beförderungen unter Einbeziehungder Binnengewässer gelten.Die in den Haftungsbeschränkungsübereinkommen(LLMC und CLNI) vorgesehene Möglichkeit zurschiffspezifischen Haftungsbeschränkung für Ansprüchevon Reisenden wegen Tod oder Körperverletzung solltebeibehalten werden.Die Einführung einer Versicherungspflicht nach Vorbildder EG-Verordnung wird für Fahrgastschiffe in der In-landfahrt nicht für erforderlich gehalten, soweit sich dieseSchiffe nicht mehr als 15 Seemeilen von der Küste ent-fernen.

7. Im Interesse einer wirksamen Umsetzung sollte die ZPOdahin geändert werden, dass– eine örtliche Zuständigkeit für Vorgänge in der deut-schen ausschließlichen Wirtschaftszone begründet wirdund– im Fall des Arrestes eines Schiffes die Glaubhaftma-chung eines Arrestgrundes nicht erforderlich ist.

8. Die Zuständigkeit für binnenschifffahrtsrechtliche Ver-teilungsverfahren sollte nach dem Vorbild des Seerechtsauf ein einziges oder wenige Schifffahrtsgerichte inDeutschland konzentriert werden.

mit Gefälle und Kurven schon so eine Geschwindigkeits-beschränkung erwarten lässt. Dies verbunden mit derHöhe der Geschwindigkeitsüberschreitung rückt das Ver-schulden des Betr. beim Verstoß so sehr an die obereGrenze der Fahrlässigkeit zum Vorsatz hin, dass eine Er-mäßigung der Regelgeldbuße ebenso wenig in Betrachtkommt wie ein Absehen vom Fahrverbot.“

b) Soweit der Tatrichter nach – im Ergebnis offen geblie-bener – Prüfung eines Härtefalls allein im Blick auf die er-hebliche Geschwindigkeit „an der oberen Grenze derFahrlässigkeit“, die wiederholten Geschwindigkeitsbe-schränkungen und die Streckenführung mit Gefälle undKurven ein Fahrverbot gegen den bisher verkehrsrechtli-che nicht in Erscheinung getretenen Betr. für geboten er-achtet, erweist sich dies als rechtfehlerhaft.

In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass der Ge-sichtspunkt einer nachhaltigen Existenzgefährdung zu-rücktreten muss, wenn ein Betr. innerhalb einerüberschaubaren Zeitspanne wiederholt wegen erheblicherVerstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungenin Erscheinung getreten ist. Selbst ein tatsächlich drohen-der Arbeitsplatzverlust führt in diesem Fall nicht dazu, injedem Fall von der Verhängung eines Fahrverbotes abzu-sehen oder Ausnahmen für bestimmte Fahrzeugarten zu-zulassen. Dies gilt aber nur, wenn sich ein Betr. gegenüberverkehrsrechtlichen Ge- und Verboten in einschlägigerWeise vollkommen uneinsichtig zeigt. Gerade in diesemFall muss ein Fahrverbot auch bei erheblicher Härte seineBerechtigung behalten. Andernfalls könnte ein Betr. – ins-besondere als Lkw- oder Taxifahrer – die an sich unzu-mutbaren Folgen als Freibrief für wiederholtesFehlverhalten ausnutzen (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2002,88/89; OLG Hamm, NZV 1995, 498 f.; OLG Karlsruhe,NStZ-RR 2004, 313/314 f. sowie OLG Bamberg, Beschl. v.26.04.2006 – 3 Ss OWi 476/06 unter Verweis auf weitereBeschlüsse; vgl. ferner Deutscher in Burhoff [Hrsg.],Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Ver-fahren [2006], Rdnr. 728 m. w. Nachw.).

Eine solche den dargestellten Grundsätzen entsprechendeFallgestaltung, bei der trotz eines an sich in Betracht kom-menden Härtefalls die Verhängung eines Fahrverbotesgleichwohl geboten ist, liegt aber nach den Feststellungendes AG bei dem bisher verkehrsrechtlich nicht vorbelas-teten Betr. nicht vor, so dass das Urteil insoweit keinenBestand haben kann.

c) Entgegen der Ansicht der GenStA rechtfertigt dieserRechtsfehler aber keine eigene Sachentscheidung des Se-nats gem. § 79 VI OWiG und einen gänzlichen Wegfall desFahrverbots, da die bisherigen Feststellungen des AG zumVorliegen eines Härtefalls lückenhaft und damit ebenfallsrechtsfehlerhaft sind (§ 267 l 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG).

(aa) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechungkann wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehand-lung aller Verkehrsteilnehmer ein Absehen von einem ansich als Regelfall verwirklichten Fahrverbot nur gerecht-fertigt sein, wenn dieses zu einer massiven Gefährdung derwirtschaftlichen Existenz des Betr. führt, also eine „exis-tenzvernichtende“ außergewöhnliche Härte vorliegt(OLG Karlsruhe, NZV 2006, 326/327). Dabei müssen abervom Betr. „in substanziierter Weise Tatsachen vorgetra-gen“ werden, welche die Annahme einer Existenzgefähr-dung „greifbar erscheinen lassen“ (BVerfG, NJW 1995,1541). Der Tatrichter hat dabei im Rahmen der von ihm zutreffenden Entscheidung die Gefährdung des Arbeits-platzes bzw. der wirtschaftlichen Existenzgrundlage desBetr. positiv festzustellen und die seiner Einschätzung zu-grunde liegenden Tatsachen in den Urteilsgründen einge-hend darzulegen. Die Ausführungen des Gerichts dürfensich in einem solchen Fall nicht auf die unkritische Wie-dergabe der Einlassung des Betr. beschränken (OLGHamm, DAR 2007, 97/98 m. w. Nachw.).

bb) Soweit der Tatrichter hier zu Gunsten des Betr. alswahr unterstellt, dass „er im Fall eines einmonatige Fahr-verbotes gekündigt würde“, wird zutreffend erkannt, dassbereits die tatsächliche Gefahr eines Arbeitsplatzverlustesdurch Kündigung eine unverhältnismäßige Härte darstel-len kann. Dabei ist dem Betr. auch das Risiko, die Recht-mäßigkeit einer solchen Kündigung einer Klärung durchdie Arbeitsgerichte zuzuführen, grundsätzlich nicht zuzu-muten (OLG Bamberg, Beschl. v. 29.09.2008 – 3 Ss OWi1105/2008; OLG Gelle, NStZ-RR 1996,182; OLG Bran-denburg, NStZ-RR 2004, 93; Burhoff/Deutscher Hand-buch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 2.Aufl. 2008 Rdnr. 877; Henschel/König/Dauer Straßenver-kehrsrecht 40. Aufl. StVG § 25 Rdnr. 25) Doch bedeutetdies nicht, dass der Amtsrichter bei seiner Entscheidungüber die Verhängung eines Fahrverbotes, jede Kündi-gungsdrohung zu Grunde legen darf, ohne zu prüfen, obsie rechtlichen Bestand hätte, falls sie verwirklicht wird.Ist es offensichtlich, dass die angedrohte Kündigungrechtswidrig wäre, darf er nicht wegen dieser Drohung aufein Fahrverbot verzichten. Denn bei einer offensichtlichrechtswidrigen Kündigung trägt der Betr. gegen den trotzKündigungsdrohung ein Fahrverbot verhängt wird, inWirklichkeit kein Risiko des Arbeitsplatzverlustes oderaber dieses Risiko ist so gering, dass der Grundsatz derVerhältnismäßigkeit gewahrt bleibt (OLG Brandenburg,NStZ-RR 2004, 93). Auch im Fall der Wahrunterstellungeiner drohenden Kündigung hat der Tatrichter daher einentsprechendes Vorbringen des Betr. dahingehend aufseine Stichhaltigkeit zu überprüfen. Dies wird in der Regeldurch Vernehmung des Arbeitgebers bzw. des für Perso-nalfragen zuständigen Mitarbeiters zu erfolgen haben. So-

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RECHTSPRECHUNG

normieren. Außerdem soll der Gegensatz zwischen Theorieund Praxis bei der Fahrausbildung aufgehoben und durcheine ganzheitliche Vermittlung im Handlungsvollzug abge-löst werden, die auch den Einsatz von Fahrsimulatoren undmultimedialer Informationsvermittlung beinhaltet. Dabeisollte die Teilnahme an freiwilligen Fortbildungsmaßnah-men durch Anreize gefördert werden (z.B. niedrige Versi-cherungsprämien, wie vom AvD vorgeschlagen).

Neben der erzieherischen Präventionsarbeit wird die si-cherheitsgerechte Fahrzeugausstattung, insbesondere ESP,immer wichtiger. Geradezu fatal wirkt sich hier der Um-stand aus, dass sich Fahranfänger vorwiegend ältere Fahr-zeugmodelle anschaffen, die sie sich gerade noch leistenkönnen. Laut Prof. Dr. Hans-Peter Krüger von der Univer-sität Würzburg soll über die Hälfte der jungen Fahrer mitFahrzeugen unterwegs sein, die älter als acht Jahre sind undvon denen 80% gravierende Sicherheitsmängel aufweisen.Auch hier sollen Anreize geschaffen werden, die ein si-cherheitsorientiertes Verhalten beim Autokauf fördern.

Einen Sonderfall stellen die jungen Motorradfahrer dar,bei denen sich die Freigabe der Leistungsbeschränkungverhängnisvoll auf die Getöteten-Rate auszuwirkenscheint. Allerdings ist die Einführung von Geschwindig-keits- und Leistungsbeschränkungen für junge Kraftfahrergenerell umstritten. Es werden – etwa von den Verkehrs-anwälten – Probleme bei Kontrolle und Umsetzung insFeld geführt. Außerdem würde durch Leistungsbeschrän-kungen eine Vielzahl von jungen Verkehrsteilnehmernpraktisch vom Straßenverkehr ausgeschlossen und könnedementsprechend keine Fahrpraxis sammeln.

In diesem Bereich hält sich die Empfehlung des Arbeits-kreises VII eher bedeckt. Ansonsten haben die dort ver-sammelten Experten zur Reduzierung des Unfallrisikosjunger Fahrer folgendes Programm anzubieten:

1. Ursächlich für das erhöhte Unfallrisiko junger Fahrersind nicht einzelne Merkmale, sondern eine Kumulationvon Faktoren, die mit dem alterstypischen Risikoverhal-ten („Jugendlichkeitsrisiko“), mit unzureichender Fahr-erfahrung („Anfängerrisiko“) und mit objektivenUnfallursachen (insbesondere Fahrzeugmängeln) zu-sammenhängen. Dieser Vielfalt der Unfallrisiken istdurch ein System der Fahranfängervorbereitung zu be-gegnen, in dem bewährte bestehende Ansätze optimiertund neuartige Maßnahmen eingeführt werden.

2. Die bisherigen Maßnahmen zur Reduzierung des Unfallrisikos „junge Fahrer“ haben folgende Ergebnissegebracht:

a) Die Verschärfung der Probezeitregelungen für Fahran-fänger ab 01 .01.1999 (§§ 2a-c StVG, 32 ff. FeV) führtezu keinem signifikanten Rückgang der von jungen Fah-rern verursachten Unfälle.

b) Für das seit 2004 in den meisten Bundesländern angebo-tene Modellprojekt eines freiwilligen „Fortbildungssemi-nars für Fahranfänger“ (FSF) konnten bisher wedernennenswerte Einstellungsänderungen bei den Teilneh-mern noch geringere Unfallzahlen nachgewiesen werden.

c) Die seit 2005 gesetzlich geregelte Möglichkeit des Füh-rerscheinerwerbs ab 17 Jahren bei Begleitung durcheinen erfahrenen Erwachsenen („begleitetes Fahren“, § 48a FeV) zeigt eine deutliche maßnahmenbedingte Ver-ringerung des Unfall- und Deliktrisikos sowie eine hoheAkzeptanz bei der angesprochenen Zielgruppe.

d) Das absolute Alkoholverbot für Fahranfänger währendder Probezeit und bis zur Vollendung des 21. Lebens-jahres (§ 24c StVG, seit 01.01.2007) hat sich bewährt.

3. Neue Ansätze zur Verringerung des Unfallrisikos „jungeFahrer“ sollten auf der Grundlage wissenschaftlicher Be-gleitforschung in folgenden Bereichen erprobt werden:

a) Reduzierung des Fahrerfahrungsdefizites von Fahran-fängern durch

– dauerhafte gesetzliche Verankerung und Erweiterung desAnwendungsbereichs des begleiteten Fahrens,

– alternative Ausbildungsmodelle, die alle Fahranfänger indie mögliche Risikoreduzierung einbeziehen, da der Er-folg des begleiteten Fahrens bisher nur einen Teil der jun-gen Fahrer umfasst,

– verstärkte Verzahnung der theoretischen und praktischenAusbildung durch die Integration multimedialer Lern-formen (z.B. Einsatz von E-Learning und Fahrsimula-tion),

– Vertiefung der Gefahrerkennung und Gefahrvermei-dung in der Fahrausbildung und Fahrerlaubnisprüfungunter Berücksichtigung der häufigsten Unfallursachenbei jungen Fahrern.

b) Weitere Verbesserung der erzieherischen Präventionsar-beit durch

– Vermittlung des erforderlichen Risikobewusstseins in derschulischen Verkehrserziehung, in der Fahrschulausbil-dung und in der medialen Sicherheitskommunikation,z.B. durch moderne Lernformen, Lernmedien und In-ternet-Anwendungen,

– Ausbau der Fahrerlaubnis auf Probe durch erweiterteMaßnahmen innerhalb der Probezeit,

– Vertiefung der Kenntnisse der Zielgruppe über Vorausset-zungen und Konsequenzen der Fahrerlaubnis auf Probe.

c) Verstärkte Nutzung technischer Intelligenz durch– Einsatz von Fahrassistenzsystemen wie z.B. ESP (Elek-tronische Stabilitätskontrolle), ACC (automatische Ab-standshaltung) und von tutoriellen Fahrdatenschreibern,

– Reduzierung der hohen Quote mängelbehafteter ältererKraftfahrzeuge bei jungen Fahrern (z.B. durch finan-zielle Sicherheitsreize).

RA Volker Lempp, Stuttgart

weit der Tatrichter jedoch zu der Auffassung gelangensollte, eine drohende Kündigung stelle in Wirklichkeit –ausnahmsweise – kein Risiko des Arbeitsplatzverlustesdar, da sie in dem beschriebenen Sinne offensichtlichrechtswidrig wäre, hätte er dies mit entsprechenden tat-sächlichen Feststellungen zu begründen, um dem Rechts-beschwerdegericht eine rechtliche Überprüfung zuermöglichen. Diese Grundsätze hat das AG nicht beachtet,so dass die bisherigen Feststellungen zum Vorliegen einesHärtefalls lückenhaft sind und aus diesem Grund eben-falls keinen Bestand haben können.

Blutprobe im Fahrerlaubnis-entziehungsverfahrenBeschluss des Niedersächsischen OVG vom 16.12.09 – 12 ME 234/09 –

1. Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist wederim Straßenverkehrsgesetz noch in der Fahrerlaubnis-Verordnung ein ausdrückliches Verwertungsverbotfür nicht richterlich angeordnete körperliche Unter-suchungen bestimmt.

2. Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher im überwie-genden Interesse an dem Schutz hochrangiger Rechts-güter einer großen Zahl von Verkehrsteilnehmern ineinem auf Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtetenVerwaltungsverfahren auch ein unter Verstoß gegenden Richtervorbehalt des § 81 a StPO gewonnenes Er-gebnis einer Blutprobenuntersuchung berücksichti-gen, wenn aus diesem ohne Weiteres eine fehlendeKraftfahreignung des Betroffenen hervorgeht.

Aus den Gründen:

„Das mit Schreiben vom 22.09.2009 vorgebrachte Rechts-schutzbegehren des Antragstellers ist bei sachgerechterAuslegung als Antrag auf Bewilligung von Prozesskosten-hilfe für eine noch zu erhebende Beschwerde gegen denBeschluss des VG vom 08.09.2009 anzusehen, mit dem die-ses den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschut-zes gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom13.08.2009 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis des An-tragstellers abgelehnt hat. Diese Auslegung liegt deshalbnahe, weil der Antragsteller die Beschwerde gegen denerstinstanzlichen Beschluss nicht selbst wirksam einlegenkann, sondern sich vor dem OVG durch einen Rechtsan-walt oder eine diesem gleichgestellte und zur Vertretungberechtigte Person gem. § 67 Abs. 4 VwGO vertreten lassenmuss. An dieser Voraussetzung, auf die in der Rechtsmit-telbelehrung des angefochtenen Beschlusses hingewiesenworden ist, fehlt es bisher. Sie kann auch nicht mehr erfülltwerden, nachdem die Frist für die Einlegung der Be-schwerde (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) abgelaufen ist.

Das danach im Interesse des Antragstellers als Antrag aufBewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtesBeschwerdeverfahren zu verstehende Begehren des An-tragstellers ist zwar zulässig, denn ein solcher Antrag unter-liegt nicht dem Vertretungszwang (§ 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO;vgl. auch § 166 VwGO i.V.m. § 78 Abs. 5, § 117 Abs.1 Satz 1ZPO); er ist auch rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefristgestellt worden. Der Antrag ist aber unbegründet, weil dieVoraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskosten-hilfe nicht gegeben sind. Die beabsichtigte Rechtsverfol-gung hat nicht die nach § 114 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166VwGO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.Das VG hat im Fall des Antragstellers einen gelegentlichenKonsum von Cannabis und ein fehlendes Vermögen zurTrennung von Konsum und Fahren i.S.v. Nr. 9.2.2 der An-lage 4 zur FeV angenommen, da dieser am 20.05.2009 miteiner THC-Konzentration von 7,5 ng/ml und einem THC-COOH-Gehalt von 160 ng/ml ein Kfz geführt und in seinemSchreiben vom 24.08.2009 eingeräumt hat, in der Wochevom 23. bis 30.04.2009 Cannabis konsumiert zu haben. DieAnnahme der fehlenden Fahreignung des Antragstellers be-gegnet bei den hier infrage stehenden Werten und den vomAntragsteller gemachten Angaben zu seinem Konsumver-halten keinen Bedenken. Zur Vermeidung von Wiederho-lungen nimmt der Senat insoweit auf die Begründung desBeschlusses des VG und die dort zitierten Senatsentschei-dungen Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Der erneut mitSchreiben vom 22.09.2009 vom Antragsteller vorgebrachteEinwand, nicht unter dem Einfluss von Cannabis ein Kfz imStraßenverkehr geführt zu haben, ist durch den hier festge-stellten THC-Wert von 7,5 ng/ml widerlegt, bei dem nachverkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen von einem zeit-nahen Konsum mit einer entsprechenden Beeinträchtigungder Fahrtüchtigkeit auszugehen ist.

Der Antragsteller kann der mit Bescheid vom 13.08.2009 ver-fügten Fahrerlaubnisentziehung auch nicht mit Erfolg ent-gegenhalten, dass die Blutentnahme am 20.05.2009 ohnerichterliche Anordnung erfolgt sei und das Ergebnis der Blut-untersuchung vom 29.05.2009 daher von der Fahrerlaubnis-behörde nicht verwertet werden dürfe. Nach § 81a Abs. 2StPO steht die Anordnung einer körperlichen Untersuchungdem Richter und nur bei Gefährdung des Untersuchungser-folges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und –nachrangig – ihren Ermittlungspersonen zu. Die Frage, ob imFall des Antragstellers im Rahmen der durchgeführten Ver-kehrskontrolle am 20.05.2009 die Voraussetzungen der Ge-fährdung des Untersuchungserfolges vorgelegen haben, ist –soweit ersichtlich – bislang nicht Gegenstand einer strafge-richtlichen Entscheidung oder einer Bußgeldentscheidunggewesen. Diese Frage lässt sich im vorliegenden Verfahrenauf Grundlage der im Verwaltungsvorgang des Antragsgeg-ners befindlichen polizeilichen Ermittlungsunterlagen auchnicht abschließend beantworten. Gegen eine Gefährdung des

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AKTUELL

leistet oder keine erfolgreiche Untersuchung nachweisenkann, verliert automatisch seinen Führerschein.

Ein weiterer erheblicher Kritikpunkt der Betroffenen ist,dass Ablauf und Ergebnis der Untersuchung nicht hinrei-chend transparent und nachprüfbar sind. Immer wiederkommt es vor, dass Betroffene, die durchgefallen sind, ein-wenden, dass Zitate und Ausführungen im Gutachtennicht mit ihren Einlassungen übereinstimmen. Demzu-folge ist eine Reform nach Ansicht der Kritiker dringendnotwendig. Sie sollte sich insbesondere auf den Ablauf unddie Dokumentation der Exploration (Befragung bzw. Un-terhaltung) beziehen. Denn das allenfalls dreiviertelstün-dige Gespräch ist wesentliche Grundlage, ob einAutofahrer den Führerschein neu erteilt bekommt, ent-scheidet somit über seine Zukunft und Existenz. Hilfreichkönnten insoweit Ton- oder Videoaufzeichnungen bzw.Wortprotokolle sein, oder aber auch dass das Gespräch imBeisein eines Anwalts geführt wird. Dies würde nach Mei-nung von Experten die Akzeptanz der MPU fördern. Indiesem Sinne hatte sich bereits BundesverkehrsministerRamsauer im Vorfeld des VGT geäußert. Nach seiner Auf-fassung macht die MPU grundsätzlich Sinn wegen der ab-schreckenden Wirkung. „Wir müssen den Betroffenen dasGefühl geben, dass im Interesse der Verkehrssicherheitgeurteilt wird und nicht im stillen Kämmerlein einsameEntscheidungen getroffen werden. Wichtig bei einer Neu-regelung ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel, die injedem Einzelfall geprüft werden muss“, so Ramsauer. Nurwenn der genaue Gesprächsablauf festgehalten und somitnachvollziehbar ist, können die Gerichte im Streitfall eineangemessene Entscheidung treffen.

Allerdings muss es auch eine Möglichkeit geben, den Prü-fer durch geeignete Institutionen zu überprüfen, z.B. durcheine Oberbegutachtung.

Das Plenum des Arbeitskreises war zerstritten und glie-derte sich eigentlich in 2 Lager. So forderten Vertreter derAnwaltschaft vehement, Inhalte der Exploration festzu-halten, zumindest per Tonband, und erneute Einführungvon Obergutachterstellen. Ihr Ansinnen wurde allerdingsdurch die überwiegende Lobby der anwesenden Psycho-logen blockiert, wie der Betreuer des Arbeitskreises, Prof.Eisenmenger aus München, und der Leiter Dr. Dipl.-Psych. Schulze von der Bundesanstalt für Straßenwesen(BAsT) späterhin auf der Pressekonferenz vermerkten.Demzufolge lautete die Empfehlung auch (nur):

1. Das System der medizinisch-psychologischen Begutach-tung der Kraftfahrereignung ist ein wichtiges und bewähr-tes Instrument zur Gewährleistung der Verkehrssicherheitund zur Erhaltung der Mobilität des Einzelnen.

2. Im Rahmen der Fahreignungsbegutachtung kommt derExploration zentrale Bedeutung zu. Diese diagnostische

Methode ist unter Berücksichtigung des aktuellen wis-senschaftlichen Erkenntnisstandes weiterhin kontinuier-lich zu verbessern.

3. Die Zulassung von Testverfahren im Rahmen der Fahr-eignungsbegutachtung sollte geregelt werden. Die Prü-fung der Güte der Testverfahren soll durch einunabhängiges wissenschaftliches Gremium anhand einesangemessenen Testbeurteilungssystems erfolgen.

4. Die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Überprüfung derFahreignung sollte regelmäßig wissenschaftlich überprüftund die Ergebnisse sollten veröffentlicht werden.

5. Rehabilitationsmaßnahmen zur Verbesserung der Eig-nungsvoraussetzungen sollten möglichst frühzeitig ein-geleitet und deren Erfolg durch eine Fahreignungs-begutachtung überprüft werden.

6. Die Anbieter der unter Punkt 5 genannten Maßnahmensollten ebenfalls einem Qualitätssicherungssystem unter-liegen und in keinem wirtschaftlichen und personellenZusammenhang mit den Begutachtungsstellen stehen.

7. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer medizi-nisch-psychologischen Begutachtung sind im Straßen-verkehrsgesetz und in der Fahrerlaubnis-Verordnungteilweise unklar formuliert. Der Gesetzgeber wird aufge-fordert, die entsprechenden Vorschriften zu reformieren.

RA Holger Rochow, Hamburg

Arbeitskreis VII: Unfallrisiko „Junge Fahrer“Fahrer zwischen 18 und 25 Jahren unterliegen weiterhineinem erheblich höheren Risiko, bei einem Unfall verletztoder getötet zu werden. Dies wirft zunächst die Frage auf,wie unter diesem Aspekt die bisherigen Maßnahmen zurReduzierung dieses Unfallrisikos einzuschätzen sind undob sich gegebenenfalls eine Erweiterung bzw. Intensivie-rung empfiehlt. Nicht weniger wichtig ist aber die Diskus-sion in der Fachwelt über neue Akzente bei derFahrausbildung, bei der Fahrzeugtechnik und bei der För-derung eines sicherheitsbewussten Verhaltens jugendli-cher Kraftfahrer, mit denen möglicherweise einegrundlegende Verbesserung der immer noch sehr unbe-friedigenden Situation erreicht werden könnte.

Das Ergebnis der Bestandsaufnahme durch den Arbeits-kreis VII ist unter Ziffer 2. seiner Empfehlung zusammen-gefasst. Im Grunde gibt nur das „begleitete Fahren ab 17“Anlass zu Optimismus, vielleicht auch das absolute Alko-holverbot für Fahranfänger. Dies führt zu der Forderung, indie schon seit längerem diskutierte zweiphasige Fahraus-bildung einzusteigen, diese auf wissenschaftlicher Grund-lage weiterzuentwickeln und dann auch gesetzlich zu

Untersuchungserfolgs könnte allerdings sprechen, dass derAntragsteller laut polizeilichem Bericht vom 26.05.2009 um11.15 Uhr kontrolliert worden ist und keine Anhaltspunktedafür ersichtlich sind, dass angesichts des einfach gelagertenund ohne Weiteres überschaubaren Sachverhalts ein Rich-ter zu dieser Zeit nicht hätte angerufen werden und dieserauch ohne Aktenvorlage fernmündlich die begehrte Anord-nung hätte treffen können, so dass vermutlich bei Einschal-tung des Richters eine (erhebliche) zeitliche Verzögerungnicht eingetreten wäre (vgl. dazu OLG Celle, Beschl. v.15.09.2009 – 322 SsBs 197/09 –, juris; ferner Beschl. v.06.08.2009 – 32 Ss 94/09 –, NJW 2009, 3524-3527).Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers von einemVerstoß gegen die strafprozessuale Beweiserhebungsvor-schrift des § 81 a Abs. 2 StPO ausgeht, folgt daraus nichtzugleich ein Verbot für den Antragsgegner, das Ergebnisder Blutuntersuchung im Fahrerlaubnisentziehungsver-fahren zu verwerten. Für den Strafprozess ist anerkannt,dass über das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbo-tes – mit Ausnahme ausdrücklich geregelter Verwertungs-verbote wie in § 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO – jeweils nachden Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Artdes Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwä-gung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist(vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.07.2009 - 2 BvR 2225/08 -, NJW2009, 3225-3226 m.w.N. zur Rspr. der Strafgerichte). ImAnwendungsbereich des § 81 a StPO, der - wie dargelegt- eine Eilanordnung durch Polizeibeamte ohnehin nichtschlechterdings ausschließt, tritt das staatliche Strafver-folgungsinteresse gegenüber dem Individualinteresse desEinzelnen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zurück,wenn Gefahr im Verzug willkürlich angenommen und derRichtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw.ignoriert wird oder wenn die Rechtslage bei Anordnungder Maßnahme in gleichwertiger Weise verkannt wordenist (OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.10.2009 – 2 SsBs149/09 –, NJW 2009, 3591-3592; ferner OLG Celle, Beschl.v. 06.08.2009 – 32 Ss 94/09 –, a.a.O., jeweils m.w.N.). Gegendie Annahme eines strafprozessualen Verwertungsverbotsspricht hier, dass bei einem Sachverhalt der hier vorlie-genden Art eine richterliche Anordnung mit hoher Wahr-scheinlichkeit regelmäßig auch fernmündlich undtypischerweise zu ergehen pflegt, dass eine Blutentnahmedurch einen Arzt einen eher geringfügigen Eingriff in diekörperliche Unversehrtheit des Betroffenen darstellt, demandererseits ein erhebliches öffentliches Interesse an derAbwendung erheblicher Gefährdungen anderer Ver-kehrsteilnehmer gegenübersteht, und dass die die Blut-entnahme anordnende Polizeibeamtin die Notwendigkeiteiner richterlichen Anordnung nicht schlechthin verkannt,sondern eine solche im Einzelfall wegen Eilbedürftigkeitals entbehrlich angesehen hat (vgl. dazu OLG Celle,Beschl. v. 15.09.2009 und 06.08.2009, a.a.O.).

Selbst wenn man indes ein strafprozessuales Verwer-tungsverbot annehmen wollte, bedeutete das nicht, dassim vorliegenden Zusammenhang eine entsprechende Be-urteilung geboten wäre. Zwar muss die Behörde auch imVerwaltungsverfahren bei ihrer Ermittlungstätigkeit diesich aus Gesetzen, allgemeinen Verfahrensgrundsätzenund Grundrechten ergebenden Grenzen beachten (vgl.Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24Rn 30). Für den Bereich des Fahrerlaubnisrechts ist aberweder im StVG noch in der FeV ein ausdrückliches Ver-wertungsverbot für nicht richterlich angeordnete körper-liche Untersuchungen bestimmt. Ebenso wie imStrafprozessrecht kann daher ein solches Verbot nur unterBerücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfallsunter Abwägung der gegenläufigen Interessen angenom-men werden, wobei jedoch in Verwaltungsverfahren, diewie das Fahrerlaubnisrecht der Gefahrenabwehr dienen,nicht ohne Weiteres dieselben Maßstäbe wie im repressi-ven Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtsgelten (vgl. bereits Senat, Beschl. v. 14.08.2008 – 12 ME183/08 –, VD 2008, 242-244 unter Bezugnahme auf OVGMecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.03.2008 – 1 M12/08 –, juris; zuletzt Beschl. v. 05.11.2009 – 12 ME 237/09 –;ferner VG Osnabrück, Urt. v. 20.02.2009 – 6 A 65/08 –, jurisund VG Braunschweig, Beschl. v. 29.01.2008 – 6 B 214/07 –,juris). Denn im Verfahren zur Entziehung der Fahrer-laubnis hat die Behörde maßgeblich und mit besonderemGewicht weitere Rechtsgüter Drittbetroffener und das öf-fentliche Interesse am Schutz der Allgemeinheit vor Fahr-erlaubnisinhabern, die sich als ungeeignet zum Führenvon Kraftfahrzeugen erwiesen haben, zu beachten. DieserGesichtspunkt rechtfertigt es, ein von der Fahrerlaubnis-behörde rechtswidrig angeordnetes Gutachten über dieFahreignung bei der Entscheidung über die Entziehungder Fahrerlaubnis zu berücksichtigen, wenn das Gutach-ten ein eindeutig negatives Ergebnis ausweist (vgl. bereitsSenatsbeschl. v. 14.08.2008 – 12 ME 183/08 –, a.a.O.; OVGMecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.03.2008 – 1 M12/08 –, a.a.O.). Dieser Gedanke gilt umso mehr, wenn derVerstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften nicht von derFahrerlaubnisbehörde selbst zu verantworten ist. Da derVerstoß gegen die strafprozessuale Beweiserhebungsvor-schrift des § 81 a StPO in Konstellationen wie vorliegendnicht von der für das Verwaltungsverfahren zuständigenFahrerlaubnisbehörde ausgeht, kann die für das Strafver-fahren gültige Überlegung, dass das Interesse des Einzel-nen an der Bewahrung seiner Rechtsgüter zu Lasten desstaatlichen Strafverfolgungsinteresses bei groben Verstö-ßen durch die für die Strafverfolgung zuständigen Behör-den unter dem Gesichtspunkt einer fairenVerfahrensgestaltung überwiegt, auf das Fahrerlaubni-sentziehungsverfahren nicht übertragen werden.

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RECHTSPRECHUNG

Entziehung erfolgt. Allerdings machen sowohl Amtsge-richte als auch Verwaltungsbehörden (Bußgeldstellen)hiervon so gut wie keinen Gebrauch. Dem fällt damit auchdie Einzelfallgerechtigkeit zum Opfer. Denn es ist frag-lich, ob es verhältnismäßig ist, einen Lkw- bzw. Busfahrer,der seit Jahren ohne Beanstandungen am Straßenverkehrteilgenommen hat, bei einer einmaligen Geschwindig-keitsüberschreitung, die er z.B. in der Freizeit mit demMotorrad beging, mit einem existenzgefährdenden Fahr-verbot zu belegen.

Aufgrund der Neuregelung in der FeV ergeben sich nun-mehr auch Schwierigkeiten bei der Neuerteilung einerFahrerlaubnis. Die Verwaltungsbehörde ist an die Ent-scheidung des Strafgerichts gebunden. Demzufolge kannsie keine Fahrerlaubnis, beschränkt auf Lkw und Bus, er-teilen, da der Bewerber neuerdings Inhaber der Fahrer-laubnis der Klasse B, für Pkw, sein muss. Ist diese durchdas Strafgericht entzogen worden, sind der Verwaltungs-behörde die Hände gebunden. Deshalb ist der Gesetzge-ber gefordert, eine Änderung der §§ 69, 69 a StGB, die diegrundsätzliche Entziehung der Fahrerlaubnis und Anord-nung einer Sperrfrist zum Inhalt haben, zu ändern, umAusnahmeregelungen möglich zu machen zur Vermeidungeiner Existenzgefährdung.

Hiervon betroffen ist nicht die Rechtslage bei Fahrverbo-ten, wie sie im Rahmen von Ordnungswidrigkeiten aus-gesprochen werden können. Wenn ein auf die Klassen Cund D beschränktes Fahrverbot als Denkzettel ausrei-chend ist, darf die Verwaltungsbehörde nicht leichtfertigberufliche Nachteile durch ein gesamtes Fahrverbot her-vorrufen. Leider befassen sich die Behörden nicht hinrei-chend mit den Ausnahmemöglichkeiten. Vielmehr werdenso hohe Anforderungen an eine Ausnahme gestellt, dassein Regelfahrverbot eigentlich immer verhängt wird. ZurLösung dieses Problems haben die Arbeitskreisteilnehmerfolgende Empfehlung ausgesprochen:

1. Der Arbeitskreis stellt ausdrücklich fest, dass sich durchdie 2. EG-Führerscheinrichtlinie an der vor ihrem In-krafttreten geltenden Rechtslage in Deutschland für dievorläufige und endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis(§§ 111 a StPO und 69 StGB) sowie die Fahrverbote(§§ 44 StGB und 25 StVG) nichts geändert hat. DerStrafrichter hat weiterhin die ihm aus Gründen des ver-fassungsrechtlichen Übermaßverbotes eingeräumtenMöglichkeiten, für bestimmte Arten von Kraftfahrzeu-gen nach § 69 a Abs. 2 StGB Ausnahmen von der Sperr-frist zu gewähren, soweit dies mit Belangen derVerkehrssicherheit zu vereinbaren ist.

2. Allerdings kann die richterliche Entscheidung über dieAusnahme von der Sperrfrist nicht mehr ausgeführt wer-den, da durch die Umsetzung der 2. EG-Führerschein-richtlinie in § 9 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) die

Verwaltungsbehörde auch eine entsprechend be-schränkte Fahrerlaubnis nicht mehr erteilen darf. Umden strafrichterlichen Gestaltungsraum zu erhalten, emp-fiehlt der Arbeitskreis mit knapper Mehrheit, dem Straf-richter durch eine Änderung des § 69 StGB zuermöglichen, bei endgültiger Entziehung der Fahrer-laubnis im Urteil oder Strafbefehl bestimmte Arten vonKraftfahrzeugen auszunehmen.

3. Der Arbeitskreis appelliert – zur Vermeidung von Exis-tenzgefährdung – an Bußgeldstellen und Strafrichter, dieAusnahmemöglichkeiten, insbesondere bei Regelfahr-verboten, stärker zu beachten.

4. Der Arbeitskreis empfiehlt dringend, die anerkanntenMöglichkeiten, die die Verkehrspsychologie zur Einstel-lung, Verhaltensänderung und Eignungsbegutachtunganbietet, intensiver zu nutzen.

RA Holger Rochow, Hamburg

Arbeitskreis VI: „Idiotentest“ auf demPrüfstandEs besteht grundsätzlich ein Konsens dahingehend, dassder im Volksmund verwendete Begriff „Idioten-Test“, be-hördlich korrekt als „medizinisch-psychologische Unter-suchung“ (MPU) benannt, ein sehr wichtiger Beitrag zurVerkehrssicherheit ist. In der Diskussion steht allerdings,wann eine solche MPU anzuordnen und wie sie inhaltlichauszugestalten ist und vor allem, wie der Verlauf unddamit verbunden das Ergebnis nachvollzogen werdenkann.

Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) und die Fahrerlaub-nis-Verordnung (FeV) kennen viele Untersuchungsan-lässe für eine MPU. Die wichtigsten betreffen Alkohol-und Drogenkonsum sowie die Mehrfachtäter. Das führtdazu, dass sich jährlich rund 100.000 Autofahrer, davonsind 96% Männer und lediglich 4% Frauen, diesem Test,für den mehrere Hundert Euro aufzuwenden sind, unter-ziehen müssen, wobei in der Regel jeder Zweite durchfällt.Über die Hälfte der Fahreignungsprüfungen (56%) gehenauf Alkoholmissbrauch zurück. Weitere 18% lassen sichunter dem Aspekt „Drogen und Medikamente“ zusam-menfassen. 15% müssen sich dem Test unterziehen wegen„Verkehrsauffälligkeiten ohne Alkohol“. Der Rest entfälltauf sogenannte Mehrfachtäter, die 18 Punkte im Flens-burger Zentralregister erreicht haben. Allerdings kann diemedizinisch-psychologische Untersuchung von Behördenauch jederzeit angeordnet werden, wenn „berechtigteZweifel an der Fahreignung“ bestehen. Kritik wird laut,da gegen diese Anordnung kein Rechtsmittel eingelegtwerden kann. Wer der Anordnung einer MPU nicht Folge

Die Fahrerlaubnisbehörde darf daher im überwiegendenInteresse an dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter einergroßen Zahl von Verkehrsteilnehmern in einem auf Ent-ziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Verwaltungsver-fahren auch ein unter Verstoß gegen den Richtervorbehaltdes § 81 a StPO gewonnenes Ergebnis einer Blutproben-untersuchung berücksichtigen, wenn aus diesem ohneWeiteres eine fehlende Kraftfahreignung des Betroffenenhervorgeht. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass wederdas StVG noch die FeV für die Anordnung von ärztlichenUntersuchungen und Begutachtungen einen Richtervor-behalt vorsehen und es einen Wertungswiderspruch be-deutete, wenn Fälle, die ihren Ausgang in einem straf- oderbußgeldrechtlich ahndungsfähigen Verkehrsverstoß neh-men, anders behandelt würden als solche, in denen die Be-hörde nach § 11 Abs. 2 FeV auf Grund ihr bekanntgewordener Tatsachen selbst Zweifeln an der Kraftfahr-eignung eines Betroffenen nachgeht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 03.11.2009 – 1 S 205.09 –, juris).…“

Geschätzter RotlichtverstoßBeschluss des OLG Hamm vom 12.03.09 – 3 Ss OWi 55/09 –

Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Ge-richt auf Grund einer Schätzung auf der Basis einesgedanklichen Zählens („einundzwanzig, zweiund-zwanzig“) des im Rahmen einer gezielten Rotlicht-überwachung eingesetzten Polizeibeamten zurÜberzeugung vom Vorliegen eines sog. qualifiziertenRotlichtverstoßes kommt (Abweichung von OLGHamm, NZV 2001, 177).

Aus den Gründen:

Näherer Erörterung bedarf lediglich, ob die Feststellung,dass die Lichtzeichenanlage bei Überfahren der Halteli-nie durch den Betr. bereits mehr als 1 Sekunde „Rot“zeigte, von der Beweiswürdigung getragen wird.

Darin heißt es, dass der Zeuge T, ein Polizeibeamter, amTattage am Tatort eine gezielte Rotlichtüberwachungdurchführte. Auf Grund seiner Aufzeichnungen (an denVorfall selbst hatte er keine Erinnerung mehr) gab er an,dass er ca. 12–13 m entfernt von der Haltelinie gestandenund freie Sicht auf die Ampelanlage gehabt habe. ZumZeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie durch den Betr.habe die Ampel schon 2 Sekunden „Rot“ gezeigt. Er habebeim Umspringen der Ampel auf „Rot“ in Gedanken dieSekunden in Form von Zahlen von 21 an aufwärts gezähltund habe so die Zeit, die bis zum Überfahren der Halteli-nie durch den Betr. verstrichen war, schätzen können. Ersetze die Dauer der Rotphase eher zu niedrig als zu hochan.

Grundsätzlich kann – jedenfalls bei einer gezielten Ampel-Überwachung – die Feststellung eines qualifizierten Rot-licht-Verstoßes auf Grund der Schätzung vonPolizeibeamten festgestellt werden, wenn der Polizeibe-amte durch Zählen („einundzwanzig, zweiundzwanzig“)zu einer Schätzung gelangt, wonach die Rotlichtphase beiÜberfahren der Haltelinie schon mindestens 2 Sekundenandauerte. Diese Schätzung muss aber für das Tatgerichtund das RechtsbeschwGer. überprüfbar sein. Deswegenmuss das tatrichterliche Urteil Feststellungen dazu ent-halten, nach welcher Methode die Zeit geschätzt wurde,und Angaben zum Ablauf des Rotlichtverstoßes, zur Ent-fernung des Fahrzeugs zur Lichtzeichenanlage und zueiner ggf. vorhandenen Haltelinie treffen (OLGe HammBeschl. v. 24.09.2007 – 3 SsOWi 620/07 und NZV 2002, 577;Düsseldorf VRS 93, 462, 463 f.; Hamburg NZV 2005, 209,210; sowie Köln VRS 106, 214, 215; vgl. auch OLG JenaBeschl. v. 29.10.2003 – 1 Ss 138/03, juris).

Entgegen der vom seinerzeitigen 5. Senat für Bußgeldsa-chen vertretenen Ansicht, dass bei qualifizierten Rotlicht-verstößen auch bei gezielter Ampelüberwachung eineSchätzung durch Zählen nicht ausreiche (NZV 2001, 177,178), ist der erkennende Senat der Ansicht, dass diesdurchaus der Fall sein kann, wenn die oben genanntenVoraussetzungen erfüllt sind.

Es ist gesetzlich nicht ausgeschlossen, dass sich ein Gerichtdie notwendige Überzeugung von einem qualifiziertenRotlichtverstoß über eine Schätzung eines Zeugen ver-schafft. Es muss lediglich – nach § 46 I OWiG, § 261 StPO –nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung ge-schöpften Überzeugung entscheiden. Es genügt ein nachder Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit,demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkom-men (BGH NStZ-RR 2005, 149; NStZ 1988, 236; Meyer-Goßner 51. Aufl., § 261 Rn 2 m.w.N.). Es gibt keinenGrund, warum der Tatrichter sich diese Überzeugungnicht auf Grund einer Schätzung eines Polizeibeamtenunter Einhaltung der oben genannten Voraussetzungenverschaffen können sollte. Eine Schätzung ist zwar mitUnsicherheiten versehen. Indes sind diese bei Einhaltungder dargestellten Voraussetzungen soweit ausgeschaltet,dass ein ausreichendes Maß an Sicherheit erreicht wird.Bei einer gezielten Rotlichtüberwachung ist den tätigenPolizeibeamten bekannt, worauf es ankommt. Ihre Wahr-nehmung ist daher entsprechend geschärft. Kommen siedurch Zählen („einundzwanzig, zweiundzwanzig“) zu demSchätzergebnis, dass die Rotlichtphase schon 2 Sekundenandauerte, so bleiben keine vernünftigen Zweifel, dass dieRotphase jedenfalls mehr als 1 Sekunde andauerte.

Etwaigen Schätzungenauigkeiten wird durch das Erfor-dernis, dass durch die Methode des Nachzählens mindes-tens eine Rotphase von 2 Sekunden (jede der gedanklich

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AKTUELL

dem Mandanten zu ermitteln, welche Hausarbeiten vordem Unfall im Einzelnen von ihm erledigt wurden undwelche ihm unfallbedingt nicht mehr möglich bzw. nichtmehr zumutbar sind. Sodann müssen solche Arbeiten eli-miniert werden, die durch den Einsatz von Haushalts-technik oder Umorganisation kompensierbar sind. Dabeigilt eine objektive Betrachtung, unabhängig davon, ob derentstandene Aufwand (brutto) oder aber ein fiktiver Scha-den (netto) geltend gemacht wird. Nur was erforderlichist, ist auch ersatzfähig. Von großer Bedeutung ist dabeidas Rollenverständnis zwischen Mann und Frau. Da sichsolche Parameter bei einer länger dauernden Ersatzpflichtändern können, muss u.U. zu gegebener Zeit eine Neube-wertung und -berechnung erfolgen. Auch deshalb ist essinnvoll, entsprechend der Empfehlung des Arbeitskrei-ses die Grundlagen der Schadensbemessung schriftlichfestzuhalten.

Bei der Ermittlung der Schadenshöhe hat man es mit ver-schiedenen Berechnungsverfahren zu tun, die von Rechts-anwalt Paul Kuhn und der HauswirtschaftsmeisterinLiselotte Warlimont im Arbeitskreis vorgestellt wurden.Es handelt sich um das Werk von Schulz-Borck/Pardey,„Schadenersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Mütternim Haushalt“, das „Hohenheimer Verfahren“, das dieHaushaltsarbeit EDV-mäßig arbeitswissenschaftlich be-wertet, und die analytische Arbeitsbewertungsmethodenach REFA, die von Frau Warlimont vertreten wird. Jededieser Methoden kommt grundsätzlich als Ermittlungswegmit angemessenen Ergebnissen in Betracht. Auch für denArbeitskreis gab es keine Präferenz. In schwierigen Fäl-len wird das Gericht nicht umhin können, einen speziali-sierten Gutachter hinzuzuziehen.

Wichtig ist dabei, dass die Beeinträchtigung im Haushaltnicht notwendig mit der allgemeinen Minderung der Er-werbsfähigkeit deckungsgleich ist, sondern in der Regelgeringer ausfällt.

Am Ende der Prüfung steht die Ermittlung des Stunden-satzes für eine Ersatzkraft, vor allem bei der fiktiven Ab-rechnung. Er richtet sich nach dem regionalenArbeitsmarkt, vergleichbaren Tarifverträgen des öffentli-chen Dienstes oder Tarifverträgen für den Bereich derhauswirtschaftlichen Tätigkeiten, wobei man derzeit zuNetto-Stundensätzen zwischen € 6,00 und maximal€ 10,00 kommt. Auch hier führt der Weg zum richtigen Er-gebnis regelmäßig über § 287 ZPO.

Im Wesentlichen hat der Arbeitskreis die bisherige Praxisbei der Ermittlung des Haushaltsführungsschadens bestä-tigt und für die Fallbearbeitung einen Orientierungsrah-men gegeben, der wie folgt aussieht:

1. Für die Schätzung des durch gesundheitliche Beein-trächtigungen bei der Haushaltsführung gegebenen Scha-

dens kann auf anerkannte Tabellenwerke oder EDV-ge-stützte Ermittlungsmethoden zurückgegriffen werden.Deren Werte sind anhand fallbezogener Feststellungenzu prüfen und erforderlichenfalls zu korrigieren.

2. Ist der Zeitbedarf festgestellt, sollte der Stundensatz fürdie Schadensschätzung auf der Grundlage eines ein-schlägigen Tarifvertrags ermittelt werden.

3. Mit Blick auf künftig notwendig werdende Änderungenaufgrund geänderter Lebensumstände sollten die tat-sächlichen Grundlagen der Schadensbemessung, insbe-sondere

– Umfang der Verletzung und Grad der Beeinträchtigung,– Größe des Haushalts nach Wohnraum und Personenan-zahl,

– Höhe des zugrunde gelegten Stundensatzesschriftlich festgehalten werden.

4. Für die Schätzung des Haushaltsführungsschadens kannkein allgemein gültiges Höchstalter zu Grunde gelegtwerden.

RA Volker Lempp, Stuttgart

Arbeitskreis V: Ausnahmen vom Entzugder Fahrerlaubnis und vom Fahrverbot Allgemein anerkannt ist, dass bei Führerscheinmaßnah-men Nachteile im beruflichen oder privaten Bereich zu-rückzutreten haben gegenüber den Belangen derVerkehrssicherheit. Diese Nachteile sind gerade bezwecktund unterstreichen den Erziehungscharakter der Maß-nahme. Dass ungeeignete Kraftfahrer unter keinen Um-ständen am motorisierten Straßenverkehr teilnehmendürfen, ist selbstverständlich. Flexibel sollten und müsstendie Gerichte aber dann reagieren können, wenn die wirt-schaftliche Existenz des Betroffenen und möglicherweiseeiner ganzen Familie auf dem Spiel steht. In der Vergan-genheit konnten die Amtsgerichte dies oftmals berück-sichtigen, indem sie die Klassen C oder D (Lkw u. Bus)von der Führerscheinmaßnahme ausgenommen haben.Aufgrund der verpflichtenden Vorgaben der 2. EU-Richt-linie musste der Deutsche Gesetzgeber handeln und eineneue (4.) Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-verordnung (FeV) im Jahre 2008 erlassen. Will ein Straf-gericht die Fahrerlaubnis endgültig entziehen, werdendavon nunmehr sämtliche Führerscheinklassen aus-nahmslos erfasst.

Etwas anderes kann in den Fällen der vorläufigen Entzie-hung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO und für denFall eines vorgesehenen Fahrverbots nach § 44 StGB gel-ten. In diesen Fällen können die Führerscheinklassen Cund D ausgenommen werden, da ja noch keine endgültige

ausgesprochenen Zahlen „einundzwanzig, zweiundzwan-zig“ entspricht bei normaler Sprechgeschwindigkeit – we-nigstens – einer Sekunde) geschätzt werden muss,hinreichend Rechnung getragen. Da die Polizeibeamten beieiner gezielten Rotlichtüberwachung wissen, worauf es an-kommt, ist ausgeschlossen, dass sie schon vor Umspringender Ampelanlage auf „Rot“ zu zählen beginnen. Es gibtauch keinen vernünftigen Grund für die Annahme, dass derBeamte, der unter besonderer Strafandrohung des § 344 II2 StGB steht, etwa durch bewusstes besonders schnellesZählen versucht, einen Autofahrer zu Unrecht wegen einesqualifizierten Rotlichtverstoßes zu belangen. Ein unbe-wusstes zu schnelles Zählen kann angesichts von Ausbil-dung bzw. Erfahrung des Beamten und angesichts desUmstandes, dass er bei einer gezielten Rotlichtüberwa-chung weiß, worauf es ankommt und seine Wahrnehmungbesonders geschärft ist, ebenfalls ausgeschlossen werden.Ist darüber hinaus auch ihre Beobachtungsposition so, dasssie sowohl Ampel als auch den Vorbereich und die Halte-linie im Blick haben, können keine Zweifel bestehen, dasswenn sie auf Grund der Zählmethode zu einer Schätzungvon mindestens 2 Sekunden hinsichtlich des Andauerns derRotlichtphase gelangen, diese jedenfalls mehr als 1 Se-kunde bis zu ihrem Überfahrenwerden angedauert hat.

Der Vorsitzende des (inzwischen wieder neu eingerichte-ten) 5. Strafsenats hat mitgeteilt, dass dort an der Recht-sprechung des früheren 5. Strafsenats nicht festgehaltenwird. Auch die übrigen Strafsenate haben mitgeteilt, dass

dort die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtversto-ßes im Rahmen einer gezielten Ampelüberwachung durchZählen in der beschriebenen Weise für zulässig erachtetwird. Eine tragende Abweichung von der Entscheidungdes OLG Brandenburg vom 03.08.1999 (2 SsOWi 101B/99,juris) liegt nicht vor, da dort eine Schätzung auf derGrundlage von Zählen bis zur Zahl „dreiundzwanzig“ fürausreichend, nicht aber für zwingend erforderlich erachtetwurde. Auch der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom04.11.2002 (DAR 2003, 85) lässt sich nicht entnehmen,dass dort ein Zählen bis zur Zahl „dreiundzwanzig“ zwin-gend für erforderlich erachtet wird.

Die eingangs genannten Voraussetzungen für eine Fest-stellung des qualifizierten Rotlichtverstoßes auf Grundder Zählmethode sind hier eingehalten. Das Urteil teiltmit, dass es sich um eine gezielte Rotlichtüberwachungs-maßnahme handelte, das Vorhandensein einer Haltelinie,die Beobachtungsposition des Zeugen und dass dieserca. 20 m vor der Ampel überblickte, wobei das Fahrzeugdes Betr., bei Umspringen der Ampel auf „Rot“ noch garnicht in seinem Blickfeld war, also noch weiter als 20 mentfernt gewesen sein muss. Das Urteil teilt zwar nicht aus-drücklich mit, dass der Zeuge bis „zweiundzwanzig“ zuEnde gezählt hat (vgl. dazu OLG Köln VRS 106, 214, 215f.). Dies lässt sich jedoch dem Gesamtzusammenhang derUrteilsgründe hinreichend entnehmen, wenn es heißt, dasser eine Rotphase von 2 Sekunden durch Zählen von ein-undzwanzig aufwärts ermittelt habe.

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VERKEHRSRECHT IN KÜRZE

Unfall beim EntladenDie Sorgfaltspflichten des § 14 StVO gelten nicht nur für das für andere Verkehrsteil-nehmer überraschende Öffnen einer Fahrzeugtür, sondern auch für eine im Zuge desEin- oder Aussteigens bzw. Entladens geöffnete Tür. Unterschreitet in einem solchenFall ein vorbeifahrender Lkw den gebotenen Seitenabstand und kommt es dabei zurBerührung mit der geöffneten Fahrzeugtür, so kann eine hälftige Schadensteilung ge-rechtfertigt sein.

BGH – 6 ZR 316/08 – (ZfS 2010, 76)

tizministerium in seinem Referat. Es geht um Personen-und Gepäckschaden einerseits und um die Tatbeständeder Nichtbeförderung, Annullierung und Verspätung an-dererseits. Dabei reicht die Ausgestaltung der Haftungs-grundlagen von der Verschuldens- zur Nichtver -schuldenshaftung, sieht teilweise Haftungshöchstgrenzen,teilweise Pauschalleistungen vor.

Das Gemeinschaftsrecht differenziert bei der Ankunfts-verspätung zwischen Luft-, Bahn- und Busverkehr: ImLuftverkehr bedarf es weder eines Schadens- noch einesVerschuldensnachweises, um einen pauschalen Kapitalbe-trag zu erhalten, auch der Bahnverkehr arbeitet mit pau-schalen Anteilen des Ticketpreises, im Busverkehr gibtderzeit noch keine Entschädigung. Die Berechtigung der-artiger Differenzierungen wurde vom Referenten zuRecht infrage gestellt. Anlass zu Optimismus bieten je-doch die zahlreichen Initiativen im politischen Raum,wobei insbesondere die gesetzliche Verankerung einer un-abhängigen Schlichtungsstelle für Fahrgastrechte in allenVerkehrsbereichen hervorzuheben ist.

Eine besondere Rolle in der Diskussion spielt die EU-Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11. Februar 2004, dieeine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unter-stützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeför-derung und bei Annullierung oder großer Verspätung vonFlügen trifft. Diese Verordnung erlaubt, wie Dr. Raphaelvon Heereman in seinem Beitrag ausführte, unterschied-liche Auslegungen in zentralen Punkten und konnte auchdurch die Rechtsprechung des EuGH den Verbrauchernoft keine wirksame Hilfe bieten.

Auch im Eisenbahnverkehr gilt es, zwischen nationalemRecht und Gemeinschaftsrecht zu unterscheiden. Jedochgelten dieselben Maßstäbe für den nationalen wie für deninternationalen Eisenbahnverkehr, insbesondere die Ver-spätungsentschädigung laut EG-Verordnung 1371/2007 abeiner Verspätung des Fahrgastes von einer Stunde. Diedeutschen Haftungsnormen bei Verletzung von Leben undGesundheit gelten als weitergehendes Recht fort. AuchHenrik Lindemann von der Deutschen Bahn AG, der denEisenbahnverkehr ins Zentrum seiner Ausführungen ge-stellt hatte, begrüßte die Gründung der verkehrsträger-übergreifend angelegten Schlichtungsstelle für den öf-fentlichen Verkehr e.V. als eine von den Verkehrsunter-nehmen getragene Lösung.

Eingangsreferate und anschließende Diskussion spiegel-ten die allgemeine Einschätzung wider, dass bei denRechtsansprüchen der Flug- und Fahrgäste zwar Fort-schritte erzielt worden sind, die wenigsten jedoch hinrei-chend über diese Ansprüche so informiert werden, dasssie sie auch tatsächlich realisieren können. Vieles verliertsich in Bürokratie. Betroffene wissen nicht, an wen sie sichüberhaupt wenden können. Vor allem unter diesem

Aspekt ist der gegenwärtige Rechtszustand alles andereals optimal.

Harmonisierung der Regelungen, Informationspflichtender Verkehrsunternehmen und Beteiligung der Schlich-tungsstelle sind denn auch die Themen der abschließen-den Empfehlung des Arbeitskreises, die kurz und knappwie folgt lautet.

I. Der Arbeitskreis appelliert an den europäischen Gesetz-geber, bei der Fortschreibung der Rechte von Reisendensachlich nicht gerechtfertigte Unterschiede zu beseitigen,insbesondere bei der pauschalen Entschädigung für Ver-spätungen.

II. Die Verkehrsunternehmen werden aufgefordert, die Rei-senden aktuell und vollständig über ihre Rechte zu in-formieren, z.B. bei Verspätungen auf Verpflegung undHotelunterkunft.

III. Der Arbeitskreis appelliert an alle Verkehrsträger, – auch die Luftfahrtunternehmen – an einer außerge-richtlichen Streitschlichtung teilzunehmen. Dafür bietetsich die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Perso-nenverkehr an.

RA Volker Lempp, Stuttgart

Arbeitskreis IV: Haushaltsführungs-schadenUnter Haushaltsführungsschaden versteht man einenSchaden, den der Verletzte dadurch erleidet, dass er durchdie unfallbedingte körperliche Beeinträchtigung denHaushalt nicht mehr wie früher führen kann. Dabei iststets zu differenzieren zwischen dem Versorgungsdefizitbei den übrigen Familienangehörigen, das sich als Er-werbsschaden darstellt, und den Auswirkungen des Aus-falls für den Geschädigten selbst. Insoweit handelt es sichum vermehrte Bedürfnisse im Sinne des Schadensrechts.Unter beiden Gesichtspunkten hat gem. § 843 Abs. 1 BGBder Schädiger bzw. dessen Versicherung Schadenersatz zuleisten. Hierüber besteht Einigkeit, auch wenn diese Scha-denposition im Bewusstsein der Geschädigten und ihrerRechtsvertreter eine wesentlich geringere Rolle spielt alsdas auch dem juristischen Laien geläufige Schmerzensgeld.

Die Probleme bei der Geltendmachung des Haushalts-führungsschadens, sowohl bei Tötung als auch bei Verlet-zung des ganz oder teilweise mit der Haushaltsführungbefassten Familienangehörigen, liegen auf der Hand. Vonzentraler Bedeutung ist dabei § 287 ZPO, der dem Gerichteinen breiten Ermessensspielraum einräumt, den Geschä-digten aber nicht eines substantiierten Vortrags zum Hau-halt und der dort von ihm zu leistenden Arbeit enthebt.Der Anwalt kommt deshalb nicht umhin, gemeinsam mit

Frist zur NachbesserungFür eine Fristsetzung gem. § 281 Abs. 1 BGB, mit der derVerkäufer zur Nachbesserung von Mängeln aufgefordertwird, genügt es, wenn der Gläubiger durch das Verlangennach sofortiger, unverzüglicher oder umgehender Leis-tung oder vergleichbare Formulierungen deutlich macht,dass dem Schuldner für die Erfüllung nur ein begrenzter(bestimmbarer) Zeitraum zur Verfügung steht; der An-gabe eines bestimmten Zeitraums oder eines bestimmten(End-) Termins bedarf es nicht.

BGH – VIII ZR 254/08 – (VRS Bd. 117, 257)

Richtlinien zur Geschwindigkeits-messungWegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes hat der Tat-richter auch innerdienstliche Vorschriften zur Geschwin-digkeitsmessung zu beachten. Dies gilt etwa dann, wenndie Möglichkeit naheliegt, dass bei einer Messung nachder Ortstafel der in den Richtlinien vorgesehene Abstandzwischen Ortstafel und Messstelle (hier: 150 m) nicht be-achtet worden ist und deshalb ein Absehen vom Regel-fahrverbot in Betracht kommt.

OLG Dresden – Ss OWi 410/09 – (DAR 2010, 29)

AktenversendungspauschaleDer gesetzliche Vergütungsanspruch des Pflichtverteidi-gers umfasst auch die auf die Aktenversendungspauschaleentfallende Umsatzsteuer. Ihn insoweit anders zu behan-deln als den Wahlverteidiger, findet im Gesetz keineGrundlage.

OLG Bamberg – 1 Ws 127/09 – (ZfS 2009, 466 m. Anm.von Heinz Hansens)

Keine Versicherungsleistung bei unge-klärten VorschädenVerlangt der Versicherungsnehmer vom Kaskoversichererdie Ersatzleistung für einen Fahrzeugschaden, der vor-handene Vorschäden „überlagert“, so trägt er die volle Be-weislast für die Abgrenzung des Neuschadens. Er mussalso so detailliert zu den Vorschäden und den ihnen zu-grundeliegenden Unfällen vortragen, dass Feststellungenzum Ausmaß des unfallbedingten Schadens möglich sind.Dabei trägt der Versicherungsnehmer das Risiko derNichterweislichkeit einer zur Regulierung tauglichenSchadensabgrenzung.

OLG Koblenz – 10 U 1163/08 – (VersR 2010, 246)

Kein Anwalt für verklagten Fahrzeug-führerEs besteht in der Regel kein hinreichender sachlicherGrund für die Einschaltung eines eigenen Prozessbevoll-mächtigten durch den Fahrzeugführer, wenn an dessenSeite der anwaltlich vertretene Haftpflichtversicherer alsStreithelfer den Prozess führt. Deshalb kann der Fahr-zeugführer auch nicht die Bewilligung von Prozesskos-tenhilfe und die Beiordnung eines eigenen Prozessbevoll-mächtigten verlangen. Dies gilt selbst dann, wenn derHaftpflichtversicherer im Verhältnis gegenüber dem Fahr-zeugführer wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versi-cherungsfalles gem. § 152 VVG a.F. von seiner Leis-tungspflicht frei geworden ist.

OLG Brandenburg – 12 W 27/09 – (VersR 2010, 274)

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AKTUELL

Ein weiteres Problem liegt in der Abstimmung zwischenden Maßnahmen im Rahmen des EU-Sicherheitspro-gramms und nationalen bzw. regionalen Maßnahmen. ZuRecht hat der Arbeitskreis die Kompetenzfrage deshalban den Anfang seiner Empfehlung gestellt. Auszugehen istvom sogenannten Subsidiaritätsprinzip, also der Ver-pflichtung der Mitgliedsstaaten, die von der EU vorgege-benen Richtlinien umzusetzen. Nationale Programmemüssen deshalb in erster Linie die Funktion haben, dieAktivitäten der EU auf regionaler bzw. lokaler Ebene zuergänzen. Ein effektiv organisierter Erfahrungsaustauschist dabei selbstverständlich.

Die hohen Erwartungen an das neue EU-Verkehrssicher-heitsprogramm zeigen sich auch in den zahlreichen Vor-schlägen von Organisationen und Verbänden zu wichtigentechnischen und schulischen Maßnahmen zur Erhöhungder Verkehrssicherheit, die man gerne mit europaweiterGeltung von der EU auf den Weg gebracht sehen möchte.Dies geht von der Motorradsicherheit über Fahrerassis-tenzsysteme für Pkw und Kinderrückhaltesysteme bis zurHarmonisierung der Unfallaufnahme und der Verbesse-rung der Sicherheit auf Landstraßen. Auch der Arbeitskreiserhebt viele solche Forderungen in seiner ungewöhnlichumfangreichen Empfehlung. Diese lautet wie folgt:

1. Gemeinschaftsweites Ziel von 2011 bis 2020 sollte dieweitere Senkung der Getötetenzahl um mindestens 40%sein. Der Beitrag und das Ziel des jeweiligen Mitglied-staates sollen vom dort erreichten Verkehrssicherheits-niveau abhängen.

2. Eine EU-einheitliche Definition für Schwerverletzte sollentwickelt werden. Für die Zwischenzeit sollen nationaleZiele für die Reduzierung der Anzahl der Schwerver-letzten festgelegt werden.

3. Eine einheitliche und ausreichende Datenbasis über Un-fälle ist unerlässlich.

4. Im Interesse der Unfallvermeidung sollten moderneTechnologien, insbesondere kooperative Fahrzeugsys-teme, gefördert werden.

5. Gesetzgeberische Maßnahmen sollten sich konzentrieren auf

– Technik und gemeinsamen Markt, insbesondere ABS fürMotorräder, ISOFIX-Verankerungen, Sicherstellungeines hohen technischen Standards bei Einführung vonNotbremsassistenten, Spurverlassenswarnsystemen undanderen sicherheitsfördernden Fahrerassistenzsystemen,Vertriebsverbot für Radarwarngeräte, Erinnerungs-signale bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes, Gurt-straffer für alle Sitze, Mindeststandards bei Fahrrädern;

– gewerblichen Personen- und Güterverkehr, insbesondereAlkoholverbot für Fahrer; Sicherstellung eines hohen Ni-veaus der Ladungssicherung im grenzüberschreitenden

Verkehr. Im Führerscheinbereich sollte das Konzept „Be-gleitetes Fahren mit 17“eingeführt werden.

6. Empfehlungen, Erfahrungsaustausch, Kampagnenund/oder EU-Finanzierung sollten vor allem vorgesehenwerden für Folgendes:

– freiwilliger Einbau von Speed-Alert-Systemen;

– Einbau von Alkolock-Systemen bei bestimmten gefahr-geneigten Verkehren;

– Verbesserung der Nutzungsquote für Gurte und Kinder-rückhalteeinrichtungen,

– Umsetzung der Infrastrukturrichtlinie (z.B. Sicherheits-audits von Straßen),

– Klassifizierung beeinträchtigender Medikamente,

– Verkehrsüberwachung und Verkehrsunfallprävention,

– Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer,

– Verkehrssicherheitsmaßnahmen in den Unternehmen.

7. Geprüft werden sollte die Einführung von Notbremsas-sistenten auch in Pkw

8. Alle EU-Maßnahmen sollten daran gemessen werden,ob sie mindestens verkehrssicherheitsneutral sind.

RA Volker Lempp, Stuttgart

Arbeitskreis III: Fahrgastrechte imLand- und LuftverkehrBis vor wenigen Jahren hielt der Reisende in Europa Ver-spätungen oder Totalausfälle im Luft-, Bahn- und Busver-kehr für eine unglückliche Fügung des Schicksals und kamgar nicht auf die Idee, dass ihm wegen solcher alltäglicherMisshelligkeiten Rechtsansprüche gegen Verkehrsunter-nehmen zustehen könnten. Seitdem ist eine erfreulicheÄnderung der Rechtslage – zumindest in Teilbereichen –eingetreten. Weniger erfreulich ist allerdings, dass die we-nigsten Betroffenen davon überhaupt Kenntnis haben undsogar die professionellen Rechtsvertreter nicht immer aufdem Laufenden des deutschen und europäischen Rechtssind. Der Umstand, dass dieser Arbeitskreis die geringsteTeilnehmerzahl hatte, mag darauf hindeuten, dass diesesRechtsgebiet für viele Anwälte auch wegen der regelmä-ßig geringen Streitwerte nicht besonders attraktiv ist. Dievier Referenten dieses Arbeitskreises stellten sich vor-dringlich der Aufgabe, die verschiedenen Fahrgastrechteund ihre rechtlichen Grundlagen darzustellen, kein einfa-ches Unterfangen angesichts des Neben- und Durchein-anders von nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht.

Die Komplexität der verschiedenen Regelungssystemeveranschaulichte Dr. Hans-Georg Bollweg aus dem Jus-

Regress des VollkaskoversicherersNimmt der Vollkaskoversicherer einen Arbeitnehmer aufSchadenersatz für die Beschädigung des vom Arbeitgebergeleasten Firmenfahrzeugs aus übergegangenem Rechtdes Leasinggebers in Anspruch, ist der Rechtsweg zu denGerichten für Arbeitssachen nicht gegeben. Der Versi-cherer ist in diesem Fall weder Rechtsnachfolger des Ar-beitgebers noch anstelle des sachlich berechtigtenArbeitgebers zur Prozessführung befugt (§ 3 ArbGG).

BAG – 5 AZB 8/09 – (ZfS 2010, 29)

Geschwindigkeitsverstöße und Führer-schein auf ProbePunktsystem und die Regelung zur Fahrerlaubnis aufProbe verfolgen unterschiedliche Zwecke. Deshalb ist esverfassungsrechtlich zulässig, dass bei der Fahrerlaubnisauf Probe jeder im Verkehrszentralregister einzutragendeGeschwindigkeitsverstoß als schwerwiegende Zuwider-handlung i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG eingestuft wird,während das Punktsystem nach dem Maß der Geschwin-digkeitsüberschreitung differenziert.

VGH Baden-Württemberg – 10 S 839/09 – (VRS Bd. 117, 317)

Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuch-auflageDie Bußgeldbehörde erfüllt ihre Verpflichtung zur Er-mittlung des Täters eines Verkehrsverstoßes nicht, wennsie den Halter eines Kraftfahrzeugs im Ordnungswidrig-keitenverfahren als Zeugen und nicht als Betroffenen an-hört, obwohl feststeht, dass der Kraftfahrzeughalterkeinesfalls der verantwortliche Fahrzeugführer sein kann.Als Zeuge wäre der Halter nämlich grundsätzlich zur Aus-sage und damit zur Mitwirkung an der Aufklärung der Tä-terschaft verpflichtet gewesen.

VGH Baden-Württemberg – 10 S 1499/09 – (ZfS 2009, 596)

Sichtbarkeit von VerkehrszeichenAn die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen, die den ruhen-den Verkehr betreffen, sind niedrigere Anforderungen zustellen als an solche des fließenden Verkehrs. Es ist ausrei-chend, wenn der Verkehrsteilnehmer die für den ruhendenVerkehr getroffene Regelung nach dem Aussteigen durchBetrachten der im leicht einsehbaren Nahbereich aufge-stellten Verkehrszeichen erfassen kann. Ansonsten richtensich die Sorgfaltsanforderungen des Verkehrsteilnehmersnach den konkreten Umständen des Einzelfalls.

Im Übrigen gebietet es der Sichtbarkeitsgrundsatz nicht,dass bei überlappenden Haltverbotszonen sämtliche mo-bile Verkehrszeichen jeweils mit Zusatzschildern versehensind, die die bestehenden Verbotszeiträume und –modali-täten in ihrer Gesamtheit verlautbaren.

Hamburgisches OVG – 3 Bf 408/08 – (VRS Bd. 116, 464)

Abschleppen in AnwohnerparkzoneVergisst ein Anwohner beim Parken in einer Anwohner-parkzone, seinen Anwohnerparkausweis auszulegen, so istdas Abschleppen des Fahrzeugs jedenfalls dann verhält-nismäßig, wenn sich ohne zeitliche Verzögerung weder dieParkberechtigung feststellen lässt noch der Fahrzeugfüh-rer zur Beseitigung des verbotswidrigen Parkens veran-lasst werden kann.

OVG NRW – 5 A 1430/09 – (VRS Bd. 117, 319)

Kfz-Entwendung und grobe FahrlässigkeitWird der Kfz-Schlüssel in der Mittelarmkonsole eines Kfzzurückgelassen, so ist dies in objektiver und grundsätzlichauch in subjektiver Hinsicht als grob fahrlässig zu werten.Wird ein solches Fahrzeug gestohlen, so ist der Versiche-rer gleichwohl nicht leistungsfrei, wenn er nicht beweisenkann, dass die Täter den Schlüssel auch tatsächlich ver-wendet haben, das grob fahrlässige Verhalten des Versi-cherungsnehmers also für die Kfz-Entwendung ursächlichgeworden ist.

LG Köln – 24 O 365/08 – (r+s 2010, 14)

Ermessen des HaftpflichtversicherersGrundsätzlich steht dem Kfz-Haftpflichtversicherer imRahmen von § 10 AKB ein weiter Ermessensspielraum zu,wenn er aufgrund des Direktanspruchs des Geschädigtenin eine Regulierung des Schadenfalls eintritt.

Insbesondere ist es nach dem Versicherungsvertrag nichtseine Aufgabe, grundsätzlich und ohne konkrete Informa-tionen die Schadenshöhe anzuzweifeln oder gar berech-tigte Ansprüche des Geschädigten „herunterzuhandeln“,um dem Versicherungsnehmer zur Rettung seines Scha-densfreiheitsrabattes eine eigene billige Schadenersatz-übernahme zu ermöglichen.

LG Coburg – 32 S 15/09 – (DAR 2010, 95)

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Die Befürworter einer hierzulande einzuführenden Hal-terhaftung begründen dies damit, dass Deutschland beiFesthalten an der Fahrerverantwortung in Europa isoliertwerde. Dem kann allerdings nicht gefolgt werden, da sichDeutschland in guter Gesellschaft mit Ländern wie Dä-nemark, Finnland, Luxemburg, Norwegen, Polen, Schwe-den, der Schweiz, Slowakei und Tschechien befindet. Nichtzu vergessen ist, dass ein Halter, der kein Aussageverwei-gerungsrecht hat, grundsätzlich verpflichtet ist, den Fah-rer zu benennen, und im Fall der Zuwiderhandlung mitder Führung eines Fahrtenbuchs beauflagt werden kann.

Mit dem Grundgesetz vereinbar wäre eine Kompromiss-lösung, die sich an der Regelung des § 25 a StVG orien-tiert. Danach trifft bislang den Halter nur dann eineKostentragungspflicht, wenn mit seinem Fahrzeug Park-oder Halteverstöße begangen worden sind. Diese Kosten-tragungspflicht könnte auch für den fließenden Verkehr,beschränkt auf das Bußgeldverfahren und gedeckelt durchdie Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips, erweitertwerden, da der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht in-frage gestellt werden würde.

Nach wenig kontroversen Diskussionen wurde folgendeEmpfehlung abgegeben:

1. Geschwindigkeitsverstöße, Gurtverstöße, Rotlichtver-stöße sowie sonstige Verstöße im fließenden Verkehr sindbedeutende Unfallfaktoren. Der Arbeitskreis ist sicheinig, dass die Verfolgung dieser Verstöße unverzichtba-rer Bestandteil der Verkehrssicherheitsarbeit ist.

2. Im Hinblick auf die Halterhaftung für Verstöße im flie-ßenden Verkehr stellt der Arbeitskreis fest, dass derenEinführung verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigtsind. So verbietet der unabänderliche verfassungsrechtli-che Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ die straf-rechtliche oder auch nur strafrechtsähnliche Ahndungeiner Tat ohne Schuld des Täters. Dies gilt auch für Buß-geldverfahren wegen Verstößen im Straßenverkehr. DieseGrenzen gelten nach der Lissabon-Entscheidung desBundesverfassungsgerichts auch im Hinblick auf Rechts-akte der Europäischen Union.

3. Nach Ansicht des Arbeitskreises wäre eine Ausdehnungder Kostentragungspflicht nach § 25a StVG unter Wah-rung der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich möglich. DieBundesregierung wird gebeten, zu prüfen, ob angesichtsder Dimension der relevanten Fälle gesetzlicher Hand-lungsbedarf besteht.

4. Darüber hinaus empfiehlt der Arbeitskreis in Fortfüh-rung der Empfehlung des 39. VGT die verstärkte An-wendung der Fahrtenbuchauflage nach § 31 a StVZO.

5. Die Bundesregierung wird aufgefordert, europäischen In-itiativen, die den oben aufgeführten Grundsätzen wider-

sprechen, entgegenzutreten, und gebeten, darauf hinzu-wirken, dass zukünftige europäische Rechtsakte in engerAbstimmung mit den Mitgliedstaaten entwickelt werden.

RA Holger Rochow, Hamburg

Arbeitskreis II: Neues EU-Verkehrs-sicherheitsprogramm 2010 bis 2020 Auch wenn das in diesem Jahr auslaufende EU-Verkehrs-sicherheitsprogramm nicht alle gesteckten Ziele realisie-ren konnte, insbesondere die Zahl der VerkehrstotenEU-weit zwar zurückgegangen ist, ganz überwiegend abernicht mit der angestrebten Quote von 50%, ist die neueInitiative der EU-Kommission für den Zeitraum bis zumJahr 2020 allgemein begrüßt worden, vor allem auchwegen der damit verbundenen psychologischen Wirkung.Im Detail gibt es jedoch Kritik und Anregungen, die sichin ihrer Vielfalt auch in der Empfehlung dieses Arbeits-kreises niederschlagen.

Dass sich die EU-Kommission mit bestimmten Gruppenvon Verkehrsteilnehmern, insbesondere Kindern, Rad-fahrern, älteren Fahrern, Fahranfängern, Fußgängern undBerufskraftfahrern befassen will, die durch gezielte Trai-ningsprogramme zu richtigem Verhalten im Straßenver-kehr angehalten werden sollen, wird genauso wenig aufWiderspruch stoßen wie die neuen ehrgeizigen Ziele beider weiteren Verringerung der Toten und Schwerverletz-ten im Straßenverkehr. Geschwindigkeit und Alkoholhaben als Hauptunfallursachen weiterhin Priorität bei denpräventiven Maßnahmen. Mensch – Fahrzeug – Infra-struktur sind die Parameter eines weit gespannten Hand-lungsfeldes, die sich auch in der Arbeitskreisempfehlungwiederfinden.

Kritisch zu betrachten sind dagegen grenzüberschreitendeMaßnahmen, die an den Kernbereich unserer rechtsstaat-lichen Prinzipien rühren und Befürchtungen wecken, einerungehinderten EU-weiten Ahndung von Verkehrsdelik-ten würden unverzichtbare Individualrechte, auch dasRecht auf informationelle Selbstbestimmung, geopfert.EU-Vollstreckungsabkommen und Austausch von Hal-terdaten sind dafür Beispiele, auch die weiterhin im Raumstehende Einführung einer europäischen Halterhaftung.Die Verkehrsrechtsanwälte im DAV haben zu Recht dar-auf hingewiesen, dass von derartigen Maßnahmen keinpositiver Einfluss auf das Verhalten von Kraftfahrern aus-gehen kann. Jedenfalls ist bei den entsprechenden Um-setzungsgesetzen eine sorgfältige Prüfung auf derGrundlage des deutschen „ordre public“ unerlässlich undmuss eine ungehinderte Verteidigung des Betroffenen inallen EU-Staaten gewährleistet sein.

VERKEHRSRECHT IN KÜRZE

Fabrikneuheit von ReifenSind neue Sommerreifen Vertragsgegenstand, so stellenReifen, die zwischen zwei Jahren und vier Monaten unddrei Jahren und drei Monaten vor dem Verkaufszeitpunkthergestellt worden sind, keine ordnungsgemäße Vertrags-erfüllung dar, so dass der Käufer, wenn der Verkäufer dieNacherfüllung endgültig abgelehnt hat, gem. § 441 BGBMinderung verlangen kann.

AG Starnberg – 6 C 1725/09 – (DAR 2010, 96)

Parken in UmweltzoneDas Verkehrsverbot in Umweltzonen ist nicht dem ru-henden Verkehr zuzuordnen, sondern im Wege der re-striktiven Auslegung ausschließlich auf den fließendenVerkehr zu beschränken.

Deshalb kann auch die Kostentragungspflicht des Haltersgem. § 25 a Abs. 1 StVG hier keine Anwendung finden.

AG Frankfurt a.M. – 994 OWi 5/09-2017 – (DAR 2009, 593)

Rückstufung trotz SchadensübernahmeWer von seinem Kfz-Haftpflichtversicherer nach uner-laubtem Entfernen vom Unfallort wegen dessen unfallbe-dingten Aufwendungen in Regress genommen wird unddaraufhin diese Aufwendungen in vollem Umfang erstat-tet, muss gleichwohl die Einstufung des Versicherungs-vertrages in eine schlechtere Schadenfreiheitsklassehinnehmen, da die Leistung an die Versicherung nicht frei-willig erfolgt.

AG Schwelm – 21 C 57/08 – (r+s 2010, 58)

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Außerdem forderte der VGT-Präsident eine schnelle unddrastische Lichtung des Schilderwalds auf DeutschlandsStraßen. Die mehr als 20 Mio. Schilder würden die Auto-fahrer überfordern und drohten zu einer Verkehrsbehin-derung auszuarten. Insgesamt gäbe es in Deutschland über600 unterschiedliche Verkehrszeichen. Zwar sei seit demvergangenen Jahr eine Verordnung ins Leben gerufenworden, wonach die Zahl der vielfach überholten Ver-kehrszeichen reduziert werden soll. Von einem „Wald-sterben“ könne allerdings nach Auffassung von Nehmkeine Rede sein. Im Gegenteil: es seien neue Schilder hin-zugekommen. Verfahren werde stets nach dem Prinzip,„die Verantwortung mithilfe bunten Blechs auf Kraftfah-rer abzuwälzen“.

Vielversprechender erscheine dagegen das Projekt der„Online-Zulassung von Kraftfahrzeugen“ zu sein, das invier Bundesländern mit unterschiedlicher Varianten inAngriff genommen werden soll.

Zum Abschluss seiner Rede verlieh er Prof. Dr. PeterMacke, der dem Deutschen Verkehrsgerichtstag für zwei Amtsperioden von 1997 bis 2003 als Präsident vor-stand, die Goslar-Medaille.

Den der Ansprache folgenden Plenarvortrag hielt nichtwie vorgesehen der Vorstandsvorsitzende der VOLKS-WAGEN AG, Dr. Martin Winterkorn, aufgrund dessennotwendiger Anwesenheit auf der zeitgleich stattfinden-den Hauptversammlung der PORSCHE AG.

Stellvertretend für ihn referierte Prof. Dr. Ing. WernerNeubauer „Generalbevollmächtigter für die Konzern-Komponente“ der VOLKSWAGEN AG über den VW-Konzern und die Zukunft des Automobils. Erstmalskonnten die Teilnehmer einen Plenarvortrag auf großenFlachbildschirmen verfolgen, die der Referent extra hatteaufstellen lassen. Als Fazit hob er hervor, dass es ein„Weltauto“ nicht geben werde. Die Ansprüche in Indienseien andere als in Europa. Kommen werde allerdings einE-Auto. Der Weltmarktanteil Europas werde im Übrigensinken, ebenso wie der nordamerikanische, während derasiatische erheblich ansteigen werde.

Am Ende des zweitägigen VGT gab es – ebenfalls eineNovität – unter dem Titel „Nachschlag“ ein Streitgesprächzum Thema „Nun auch bei uns – Maut für Pkw?“. Unterder Moderation von Karl-Dieter Möller, Leiter der ARD-Rechtsredaktion, tauschten Nicole Razavi, verkehrspoli-tische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion ausStuttgart, und Ulrich-Klaus Becker, Vize-Präsident fürVerkehr des ADAC, ihre konträren Argumente über diegrundsätzliche Notwendigkeit der Einführung einer sol-chen Maut aus.

RA Holger Rochow, Hamburg

Arbeitskreis I: Halterhaftung in EuropaIn diesem Arbeitskreis diskutierten die Teilnehmer überNotwendigkeit und Zulässigkeit der Einführung der Hal-terhaftung in Deutschland. In der EU gibt es weiterhin Be-strebungen, eine einheitliche Verantwortlichkeit desHalters für Verkehrsverstöße einzuführen, wie es bereitsin Frankreich, den Niederlanden und in Ungarn der Fallist. Die zuständige EU-Kommission war in der Vergan-genheit mit ihrem Entwurf für eine Richtlinie zur besserenDurchsetzung und Verfolgung von Verkehrsverstößen inEuropa und damit verbunden der Einführung einer Hal-terverantwortlichkeit auch im fließenden Verkehr ge-scheitert. Dennoch wird das Vorhaben nicht aufgegeben.

Diesen ersten Bemühungen des EU-Parlaments undRates im sogenannten „Lissabon-Vertrag“ war das Bun-desverfassungsgericht entgegengetreten. Denn die Um-setzung dieser Richtlinie hätte gegen denverfassungsrechtlichen Grundsatz „Keine Strafe ohneSchuld“ verstoßen. Eine solche Richtlinie würde einenmassiven Eingriff in die Rechte des deutschen Autofah-rers darstellen, dies deshalb, weil auch das deutsche Ord-nungswidrigkeitenrecht wegen seiner sachlichen Nähezum Strafrecht vom Verschuldensprinzip geprägt ist. Dasbedeutet, dass nur derjenige bestraft werden kann, dessenpersönliches Fehlverhalten festgestellt wird. Aufgrund derVerfassungsidentität, die auch vor Eingriffen durch über-national ausgeübte öffentliche Gewalt geschützt wird, istes dem deutschen Gesetzgeber untersagt, eine strafrecht-lich fundierte Halterhaftung aufgrund entsprechenderVorgaben der Europäischen Union einzuführen oder dieVollstreckung entsprechender ausländischer Entschei-dungen in Deutschland zu ermöglichen.

Grundsätzlich werden seitens der Automobil-Clubs undder Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht Maßnahmen, diedie Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen, begrüßt. DasZiel kann jedoch nur dann erreicht werden, wenn derje-nige, der einen Verkehrsverstoß begangen hat, ermitteltund bestraft wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn flan-kierende Maßnahmen wie Fahrverbote oder Punkteein-tragungen im Raume stehen. Wenn nun aber der Halterdie finanziellen und rechtlichen Folgen zu tragen hätte,würde dies zu keinem verbesserten Verkehrsverhalten deseigentlich Verantwortlichen führen.

Eine solche gesetzliche Änderung würde dazu führen, dassder Halter eines Fahrzeugs praktisch gezwungen wäre, dieGeldbuße zu bezahlen oder Kosten zu tragen, wenn er denFahrer seines Fahrzeugs nicht benennen kann oder will,weil es sich beispielsweise um einen nahen Angehörigenhandelt. Das allerdings hätte wiederum zur Folge, dass dasin der Strafprozessordnung verankerte Zeugnisverweige-rungsrecht leerlaufen würde.

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AKTUELL

Straßenverkehrsrecht von Dr. Michael Burmann, Dr. Rainer Heß, Jürgen Jahnke undProf. Dr. Helmut Janker; 21., neu bearbeitete Auflage, 2010,XXVII, 1.275 Seiten, in Leinen € 76,00. Erschienen im C.H. BeckVerlag, München. ISBN: 978-3-406-59421-2

Die neue Auflage dieses bewährtenKurzkommentars präsentiert sichals „Alleskönner“. Es soll das ge-samte Verkehrsrecht präsentiertwerden, auch in seinen zivil- undversicherungsrechtlichen Verzwei-gungen. Deshalb sind erstmals auchwichtige VVG-Bestimmungen ab-gedruckt und erläutert. Die neustrukturierte StVO, insbesonderedie Anlage I mit dem – etwas ge-

lichteten – Bestand der Verkehrszeichen, ist leicht gewöh-nungsbedürftig.

Insgesamt ein Verkehrsrechtskommentar, mit dem manals Anwalt gut arbeiten kann, der sich allerdings nichtdurch besondere Übersichtlichkeit auszeichnet. Es isteben sehr viel in die ca. 1.200 eng bedruckten Seiten hin-eingepackt. Letztlich zählt aber der Inhalt. Und der lässtkeine Wünsche offen.

Beck’sches MandatsHandbuch Verkehrszivilsachen von Werner Bachmeier, 2. Auflage, 2010, XXVIII, 323 Seiten, gebunden € 39,00. Erschienen im C.H. Beck Verlag, München.ISBN: 978-3-406-58730-6

Auch wer sich ständig durch Fachzeitschriften und Internet über die Entwicklung des Kfz-Schadensrechts aufdem Laufenden hält, wird es begrüßen, wenn er auf einaktuelles Werk Zugriff nehmen kann, das umfassend,wenngleich verständlich und knapp formuliert, den Meinungsstand zu den zahlreichen Problemen zusam-menfasst und somit den neuesten Stand des Schadens-rechts bietet.

Hier hat man ein solches Buch vor sich, strikt praxisori-entiert, zum zweiten Mal aufgelegt,jedoch gegenüber der Vorauflagevon 1998 in einer völlig verändertenrechtlichen Landschaft. Dies zeigtsich etwa in den Ausführungen zumUnfall mit Auslandsbezug und dereuroparechtlichen Dimension inRechtsetzung und Rechtsprechung,die „ungeahnt schnell“ an Umfanggewinnt und auf die der Verfasserimmer wieder eingehen muss.

Dem Charakter eines „Handbuchs“ entsprechend wirdauf allzu große Ausführlichkeit und die üblichen „Bleiwüs-ten“ bei den Fußnoten verzichtet. Hierdurch wurde Platzgeschaffen für ein nützliches unfallanalytisches/techni-sches Glossar, Internetadressen, wichtige Arbeitsmittel,Hilfen zur Mandatsabwicklung und einen umfänglichenprozessualen Teil. Bei den – relativ wenigen – Schaubil-dern hätte man sich etwas mehr Mühe geben können, sietragen nur bedingt zum Verständnis bei. Trotzdem kannman das Buch als optimalen Begleiter für das anwaltliche„Schadensmanagement“ uneingeschränkt empfehlen.

Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle von Andreas Slizyk, 6., überarbeitete und aktualisierte Auflage,2010, XXII, 812 Seiten, kartoniert € 45,00. Erschienen im C.H. BeckVerlag, München. ISBN: 978-3-406-59081-8

Leider muss man nach Durchsichtdieser Neuauflage der Beck’schenSchmerzensgeld-Tabelle erneut kon-statieren, dass das deutsche Schmer-zensgeldniveau kaum als ange-messen bezeichnet werden kann, vor allem, wenn es in die Nähe der„magischen“ € 500.000,00 als derbisherigen „Schallgrenze“ geht.Dafür kann natürlich der Autornichts. Seine einleitende Kommen-tierung des Schmerzensgeldrechtsauf ca. 150 Seiten ist überaus lesens-

wert und spart ebenfalls nicht mit Kritik am gegenwärti-gen Rechtszustand.

Das bekannte Konzept „von Kopf bis Fuß“ mit getrenn-ter Behandlung der alltäglichen und besonderen Ver- letzungen ist geblieben und macht die Tabelle besonderspraxistauglich. Auch zahlreiche unveröffentlichte Entscheidungen sind bei den über 2.700 eingearbeitetenUrteilen berücksichtigt. Das abschließende Glossar medizinischer Begriffe ist zwar hilfreich, könnte aber inkünftigen Auflagen etwas ausführlicher ausfallen.

Eine überzeugendere Darstellung des aktuellen Schmer-zensgeldrechts ist schwer denkbar. Das Problem des An-walts, durch Prüfung schwieriger medizinischerSachverhalte zu einer fundierten Schmerzensgeldforde-rung zu kommen, wird zwar nicht gelöst, aber doch we-sentlich erleichtert.

BUCHBESPRECHUNGEN

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Handbuch Rechtsschutzversicherung von Hans Buschbell und Manfred Hering, 4. Auflage 2009, 742 Seiten, gebunden € 80,00. Erschienen im Deutschen Anwaltverlag, Bonn. ISBN: 978-3-8240-0971-8

In dem nicht immer spannungs-freien Verhältnis zwischen Rechts-schutzversicherungen und Anwältengibt es häufig Unklarheiten über diegegenseitigen Rechte und Pflichten.Außerdem hat der Rechtsanwaltauch die Rechtsschutzinteressen desMandanten zu wahren, was eben-falls hin und wieder zu Missstim-mungen im DreiecksverhältnisAnwalt-Mandant-Rechtsschutzver-sicherung führt. Vor allem der Ab-

schluss außergerichtlicher Vergleiche ist zunehmend zumProblem geworden, weil die Versicherer eine Kostenüber-nahme verweigern, wenn die Gegenseite ganz oder über-wiegend eingelenkt hat.

Sicherlich kann das in schneller Folge neu aufgelegteHandbuch des Gespanns Buschbell/Hering nicht alleStreitfragen klären. Man muss aber den Rechtsanwältenschon zumuten, sich mit dem Bedingungswerk der Rechts-schutzversicherer zu befassen, und zwar sowohl in der Fas-sung der Verbandsempfehlung als auch in den teilweiseabweichenden Gestaltungen der einzelnen Versicherer. Zudieser unumgänglichen Kenntnis der Materie leistenBuschbell/Hering einen unverzichtbaren Beitrag.

Die Besonderheit im Aufbau des Werkes liegt darin, dassnicht die einzelnen Paragrafen des Bedingungswerks „ab-gehakt“ werden, sondern die Themen der Materie Rechts-schutz im Vordergrund stehen. Man kann sich also gezieltmit Risikoausschlüssen, Obliegenheitsverletzungen, Leis-tungsansprüchen u. dergl. befassen, bevor man sich dann imzweiten Teil den einzelnen Rechtsschutzarten zuwendet.

Mit dem Handbuch Rechtsschutzversicherung ist man so-wohl gegenüber dem Mandanten als auch gegenüber derRechtsschutzversicherung gewappnet. Deshalb sollte es inkeiner Anwaltskanzlei fehlen.

Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung, die traditionellin der „Kaiserpfalz“ stattfand, begrüßte der Präsident desVerkehrsgerichtstags, Generalstaatsanwalt a.D. KayNehm, die anwesenden Teilnehmer.

Erneut wies er auf die von Goslar ausgehenden Impulsehin und nannte beispielhaft den „Goslarer Orientierungs-rahmen“ zur Quotenbildung bei Streitigkeiten zwischenVersicherern und ihren Versicherten nach dem neuen Ver-sicherungsvertrags-Gesetz, der im Herbst vergangenen

Jahres auf Empfehlung des Arbeitskreises (AK) II des47. VGT erarbeitet wurde.

An die Adresse des Oberbürgermeisters von Goslar Bin-newies gerichtet äußerte er seine Bedenken, dass der Ta-gungsort allmählich an seine Grenzen stößt, zumal einigeVeranstaltungsräume zukünftig wegfallen würden. Dar-über hinaus sei zukünftig eine bessere technische Ausstat-tung vonnöten.

Hernach widmete er sich aktuellen verkehrsrechtlichenProblemen.

Neue Geschwindigkeits-Messgeräte hätten Hersteller undNutzer zunächst in Euphorie versetzt, bis dann erste Zwei-fel und Kinderkrankheiten die Forderung aufkommen lie-ßen, die Messungen durch Bildaufnahmen beweissicherzu dokumentieren. Allerdings habe das Bundesverfas-sungsgericht mit seinem Beschluss vom 11.08.2009 Schran-ken aufgezeigt. Eingriffe in Persönlichkeitsrechte aufinformationelle Selbstbestimmung bedürften einer ge-setzlichen Ermächtigungsgrundlage, die bei Anwendungeiniger Messverfahren fehlten.

Im Weiteren kritisierte Nehm auch die Zunahme gericht-licher Deals bei Verfahren wegen Verkehrsverstößen.„Dass damit das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung un-tergraben wird, bekommen wir nicht zuletzt an der sin-kenden Verkehrsmoral zu spüren“, so Nehm.

Hart ins Gericht ging er mit Verkehrspolitikern aus Bundund Ländern, weil sie kein Interesse an probeweisen Ab-schnittskontrollen (Section Control) zur Einhaltung vonTempolimits auf Autobahnen hätten. Kein Bundeslandhabe bislang Bereitschaft gezeigt, einen entsprechendenVersuch durchzuführen. Dies, obwohl der vorausgegan-gene VGT aufgrund positiver Erfahrungen in Österreicheinen Pilotversuch auch in Deutschland vorgeschlagenhatte. Die Resonanz sei allerdings gleich null.

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ACE AUTO CLUB EUROPA

AUSGABE 1/2010

DER VERKEHRSJURISTRechtszeitschrift des ACE in Zusammenarbeit mit Straßenverkehrsrecht (SVR)

INHALTZu aktuellen Themen48. Deutscher Verkehrsgerichtstag vom 27.-29. Januar 2010 .............................. 1

RechtsprechungStundenverrechnungssätze bei fiktiver Schadensberechnung ............................. 11 Restwertermittlung bei Totalschaden ................................................................ 13Schadenabrechnung auf Neuwagenbasis .......................................................... 14Zulässigkeit von Video-Abstandsmessungen ..................................................... 17Beweisverwertungsverbot bei Abstandsmessung mit Vibram-Anlage ................. 19Verkehrssicherungspflicht bei Schlagloch .......................................................... 22Restwertangebot des Vollkaskoversicherers ...................................................... 23Anordnung einer Blutprobe .............................................................................. 26Übersehen einer Geschwindigkeitsbeschränkung .............................................. 29Fahrverbot und Existenzgefährdung .................................................................. 30Blutprobe im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren .............................................. 32Geschätzter Rotlichtverstoß .............................................................................. 34

Verkehrsrecht in KürzeUnfall beim Entladen ....................................................................................... 36Frist zu Nachbesserung .................................................................................... 36Richtlinien zur Geschwindigkeitsmessung ......................................................... 36Aktenversendungspauschale ............................................................................ 36Keine Versicherungsleistung bei ungeklärten Vorschäden .................................. 36Kein Anwalt für verklagten Fahrzeugführer ....................................................... 36Regress des Vollkaskoversicherers ..................................................................... 37Geschwindigkeitsverstöße und Führerschein auf Probe ...................................... 37Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage ....................................................... 37Sichtbarkeit von Verkehrszeichen ..................................................................... 37Abschleppen in Anwohnerparkzone ................................................................. 37Kfz-Entwendung und grobe Fahrlässigkeit ....................................................... 37Ermessen des Haftpflichtversicherers ............................................................... 37Fabrikneuheit von Reifen ................................................................................. 38Parken in Umweltzone .................................................................................... 38Rückstufung trotz Schadensübernahme ........................................................... 38

BuchbesprechungenStraßenverkehrsrecht ....................................................................................... 39Beck’sches MandatsHandbuch Verkehrszivilsachen .......................................... 39Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle .................................................................. 39Handbuch Rechtsschutzversicherung ............................................................... 40

Postvertriebsstück E 6475 Entgelt bezahlt

Der Verkehrsjurist des ACE erscheint viermal imJahr und berichtet über die verkehrsrechtliche Ent-wicklung und aktuelle Recht sprechung. Der Bezugpreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.Herausgeber: ACE Auto Club Europa e. V., Vorsit-zender: Wolfgang RoseVerlag:ACE-Verlag GmbH, Geschäftsführer: Erwin BraunRedaktion: Rechtsanwalt Volker Lempp (verantwortlich für den Inhalt)Gestaltung: ACE-WerbungAnschrift: Schmidener Straße 227, 70374 Stuttgart, Tel. 0711 5303-185 Internet: www.ace-online.de, E-Mail: [email protected] Nachdrucke mit Quellenangaben sind mit unsererZustimmung gerne gestattet.

IMPRESSUM

BUCHBESPRECHUNGEN

48. Deutscher Verkehrsgerichtstagvom 27.–29. Januar 2010 in GoslarZum 48. Verkehrsgerichtstag (VGT) waren rund 1.750 Verkehrsexperten aus dem In- und Ausland indas tief verschneite Goslar angereist. Auf der Tagesordnung standen sowohl Probleme bei der Umsetzung von EU-Richtlinien und Verordnungen in nationales Recht als auch solche, die deutscheVerbraucher und Verkehrsteilnehmer betreffen.

Gute Fahrt. Wir sind dabei.