Hermetische Offenheit : Nietzsches Also sprach Zarathustra ... · PDF fileZarathustra...

98
Universität Potsdam Philosophische Fakultät Magisterarbeit Hermetische Offenheit Nietzsches Also sprach Zarathustra als Buch für Alle und Keinen Erstgutachter: Prof. Vanessa Lemm Zweitgutachter: Dr. Helmut Heit Eingereicht von: Alexander Tröger Studienfächer: Philosophie und Alte Geschichte Eingereicht am: 11. Dezember 2012

Transcript of Hermetische Offenheit : Nietzsches Also sprach Zarathustra ... · PDF fileZarathustra...

  • Universitt Potsdam

    Philosophische Fakultt

    Magisterarbeit

    Hermetische Offenheit

    Nietzsches Also sprach Zarathustra als Buch fr Alle und Keinen

    Erstgutachter: Prof. Vanessa Lemm

    Zweitgutachter: Dr. Helmut Heit

    Eingereicht von:

    Alexander Trger

    Studienfcher: Philosophie und Alte Geschichte

    Eingereicht am: 11. Dezember 2012

  • Online verffentlicht auf dem Publikationsserver der Universitt Potsdam: URN urn:nbn:de:kobv:517-opus4-77258 http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:517-opus4-77258

  • Gliederung

    1. Einleitung S. 2

    1.1. Forschungsstand S. 4

    1.2. Probleme der Interpretation Nietzsches, Desintegrative Tendenzen S. 12

    1.3. Das sthetische Kalkl S. 16

    1.4. Esoterisch/exoterisch, Die Ebenen des Textes S. 20

    2. Ein Buch fr Alle und Keinen S. 23

    3. Die Selbstreferentialitt des Textes S. 35

    3.1. Von den Dichtern S. 36

    3.1.1. Der Dichter als Betrger S. 43

    3.1.2. Das Gleichnis S. 44

    3.1.3. Die Lge S. 46

    3.2. Von der Erlsung S. 49

    3.3. Vor Sonnenaufgang S. 51

    3.4. Die Heimkehr S. 55

    3.5. Von alten und neuen Tafeln S. 58

    3.5.1. Der Tanz, das Lachen, die Parodie und das Spiel S. 59

    3.5.1.1. Lachen und Parodie S. 60

    3.5.1.2. Der Tanz S. 63

    3.5.1.3. Das Spiel S. 67

    4. Fazit Hermetische Offenheit S. 73

    5. Siglen S. 82

    6. Literaturverzeichnis S. 83

    6.1. Schriften Nietzsches S. 83

    6.2. Verwendete Literatur S. 84

    7. Eigenstndigkeitserklrung S. 94

  • 1

    Caminante, son tus huellas

    el camino, y nada ms;

    caminante, no hay camino, se hace camino al andar.

    Al andar se hace camino,

    y al volver la vista atrs

    se ve la senda que nunca se ha de volver a pisar.

    Caminante, no hay camino,

    sino estelas en la mar.

    (Wanderer, deine Spuren sind

    der Weg, und nichts weiter;

    Wanderer, es gibt keinen Weg,

    der Weg entsteht beim Gehen.

    Beim Gehen entsteht der Weg

    und wenn man zurckschaut,

    sieht man den Pfad, den man niemals von neuem gehen kann.

    Wanderer, es gibt keinen Weg - nur Kielspuren im Meer.)1

    Den Weg nmlich den giebt es nicht! 2

    1 Machado, Antonio: Poesas completas, Alvar Manuel (Hg.), Madrid 1994(19), S. 239-240;

    bersetzung A.T. 2 Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra III, KSA IV, S. 245.

  • 2

    1. Einleitung

    Ein Buch fr Alle und Keinen3 heit es auf dem Titelblatt von Nietzsches Also

    sprach Zarathustra. Was wie ein Paradoxon anmutet, verweist jedoch auf den

    manifesten strukturellen Gehalt eines Werkes, welches der Forschung grtenteils

    nur mit seinem reichhaltigen narrativen Inhalt entgegentritt. An Nietzsches Also

    sprach Zarathustra soll in Bezug auf die Klrung des Untertitels untersucht werden,

    inwiefern die Struktur oder Form des Textes als philosophischer Gehalt verstanden

    werden kann. Gezeigt werden soll, dass der Zarathustra nicht nur selbstreferentiell

    den Schlssel zu seinem Verstndnis in sich birgt, sondern auch unabhngig von

    seinem Inhalt Informationen transportiert, die eigentlich unter einem

    vermeintlichen methodischen Ausschluss der Mglichkeit des Verstehens, einen

    philosophischen Sinnhorizont erffnen.

    Es soll gezeigt werden, dass der Zarathustra eine Eigendynamik aufweist, welche

    im Selbstvollzug ihren philosophischen Gehalt entfaltet. Dabei soll sich zeigen, dass

    der Text sich in einem Verweisungsgeflecht von in dieser Arbeit

    herauszuarbeitenden Textebenen in einem Akt der Selbsterfllung auflst. Darber

    hinaus wird herausgestellt, wie dies geschieht, warum der herauszuarbeitende

    philosophische Gehalt dieser Dynamik die strukturelle Anforderung an den Text

    3Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra I, KSA IV, S. 9; Der Zarathustra wird folgend mit Za

    abgekrzt und zitiert mit dem Band der KSA, dem Teil und der Seitenzahl. Die Setzung des

    Zarathustra wird nicht bernommen. Die Schriften Nietzsches werden nach der ersten Nennung nur

    mit den im Anhang angestellten, gngigen Siglen sowie der Angabe des Bandes der Kritischen

    Studienausgabe zitiert. Zitiert werden die Schriften sowie der Nachlass nach: Nietzsche, Friedrich:

    Smtliche Werke, Kritische Studienausgabe (KSA), 15 Bde., Colli, Giorgio und Montinari, Mazzino

    (Hg.), Mnchen 1980. Auch zitiert wird aus dem Nachbericht zu Also sprach Zarathustra: Nietzsche,

    Friedrich: Werke, Kritische Gesamtausgabe (KGW), Colli, Giorgio und Montinari, Mazzino (Hg.),

    weitergefhrt von Mller-Lauter, Wolfgang und Pestalozzi, Karl, Abt. VI, Bd. 4: Haase, Marie-Luise:

    Nachbericht zum ersten Band der sechsten Abteilung: Also sprach Zarathustra, Berlin/New York

    1991. Aus dem Nachlass wird mit Angabe des Jahres und des Fragments zitiert aus der KGW. Briefe

    Nietzsches werden zitiert nach Nietzsche, Friedrich: Smtliche Briefe, Kritische Studienausgabe (KSB),

    8 Bde., Colli, Giorgio und Montinari, Mazzino (Hg.), Mnchen 1986 sowie aus Nietzsche, Friedrich:

    Kritische Gesamtausgabe des Briefwechsels (KSB), Colli, Giorgio und Montinari, Mazzino (Hg.),

    Berlin/New York 1975ff.

    Die Orthografie aller Zitate wird beibehalten. Zitiert wird nach der ersten Nennung des Autors, sowie

    des Titels fortfhrend nur mit Autorennamen und Erscheinungsjahr. Bei Aufstzen und Texten in

    Sammelbnden wird bei fortfhrender Zitation der Herausgeber, das Erscheinungsjahr sowie der

    Autor genannt.

  • 3

    stellt und wie der Untertitel gleichsam als Chiffre, als Leseanweisung, sowie auch als

    ein den Text manipulierender Katalysator jener skizzierten Dynamik fungiert.

    Im Laufe dieser Untersuchung wird sich erhrten, was hier als Prmisse angefhrt

    wird: In der Dynamik der Auflsung des Textes sowie in dem im Vollzug des Textes

    sich ergebenden Ausschluss kommunizierbarer einheitlicher Wahrheiten lsen sich

    ebenso die vermeintlichen philosophischen Schwergewichte des Zarathustra, wie

    der Topos des bermenschen, der Willen zur Macht oder die Ewige Wiederkunft

    auf, sodass von Lehren oder gar Philosophemen im Also sprach Zarathustra nicht

    die Rede sein kann. Diese Arbeit wird zeigen, dass der Text weniger inhaltlich als

    vielmehr im Vollzug seiner Struktur von philosophischer Bedeutung ist und gar als

    das folgerichtige Paradigma einer Philosophie angesehen werden kann, welche die

    Dichotomie des binren Diskurses von wahr und falsch der abendlndischen

    Epistemologie kritisch berwunden zu haben scheint.

    Ein erster Schritt der Untersuchung wird es sein, in den Kontext der aktuellen

    Forschung einzusteigen. Hierfr wird nach einer kurzen Problemstellung sowie

    einem berblick ber die fr diese Arbeit wichtige historische Genese der

    Nietzsche-Philologie vorwiegend die Arbeit Das sthetische Kalkl von Friedrich

    Nietzsches Also sprach Zarathustra von Claus Zittel4 herangezogen werden, um

    dann kritisch auf den dort etablierten Einsichten die Untersuchung zu fundieren.

    Folgend sollen als Arbeitshypothese verschiedene Ebenen des Textes

    herausgearbeitet werden. Diese werden anschlieend auf Hinweise zur Deutung

    des Untertitels untersucht. Die vorliegende Arbeit wird dabei auf Kosten einer

    Befragung der Forschungsliteratur sich vorwiegend und intensiv auf die Arbeit am

    Text selbst sttzen.

    Nach einer auf dem Text basierenden Analyse sowie impliziter Verweise auf den

    Untertitel, sollen die dabei gewonnen Einsichten ber dessen selbstreferentielle

    Struktur dann tiefergehend verfolgt werden, bevor abschlieend versucht wird, den

    sich aus der Untersuchung ergebenden philosophischen Gehalt des Zarathustra

    zusammenfassend zu benennen.

    4 Zittel, Claus: Das sthetische Kalkl von Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra, Wrzburg

    2000a.

  • 4

    Die Arbeit am Text findet anhand ausgesuchter Reden des Zarathustra statt,

    zumeist in chronologischer Reihenfolge. Dieses fr diese Arbeit als strategisch

    sinnvoll angesehene Verfahren ist willkrlich und stellt keine Stellungnahme zu

    einer vermeintlichen Chronologie oder Teleologie des untersuchten Textes dar.

    1.1. Forschungstand

    In der Rezeption wurde zunchst, bis zum deklarierten Primat der

    verhngnisvollen Nachlasskompilation Der Wille zur Macht in den 30er Jahren, der

    Zarathustra als Nietzsches Hauptwerk betrachtet. Die folgenreiche Konzentration

    auf Nietzsches Nachlass hielt bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts an und ist in

    weiten Kreisen der angloamerikanischen Nietzsche-Forschung bis heute noch

    anzutreffen. ber eine gesteigerte Aufmerksamkeit fr die Aphorismen-Bcher,

    rckte seit einiger Zeit jedoch auch der Zarathustra wieder in den Mittelpunkt des

    Interesses. Trotz dessen konstatiert zum Beispiel Zittel, dass trotz der seit drei

    Jahrzehnten andauernden Nietzsche-Renaissance kaum eine ernstzunehmende

    Interpretation des Zarathustra vorgelegt wurde.5

    Festzustellen ist, dass der Zarathustra vorwiegend als Dichtung betrachtet und

    somit die philosophische Relevanz der Form nicht wahrgenommen wird. Dem in der

    Nietzsche-Renaissance, in den