BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19....

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Plenarprotokoll 875 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon: (02 21) 97 66 83 40, Telefax: (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-7999 BUNDESRAT Stenografischer Bericht 875. Sitzung Berlin, Freitag, den 15. Oktober 2010 Inhalt: Einführung des Direktors des Bundesrates, Gerd Schmitt, und der Stellvertretenden Di- rektorin des Bundesrates, Ministerialdirek- torin Dr. Ute Rettler Zur Tagesordnung Rückblick des Präsidenten 1. Wahl des Präsidiums – gemäß Artikel 52 Absatz 1 GG i.V.m. § 5 Absatz 1 GO BR – Beschluss: Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Hanne- lore Kraft, wird zur Präsidentin des Bundesrates gewählt. Der Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen, Bürgermeister Jens Böhrnsen, und der Ministerpräsident des Freistaates Bayern, Horst Seehofer, werden zu Vizepräsidenten gewählt 2. Wahl der Vorsitzenden und der stellver- tretenden Vorsitzenden der Europakam- mer – gemäß § 45c GO BR – Beschluss: Es werden gewählt: Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren (Nord- rhein-Westfalen) zur Vorsitzenden, Se- nator Dr. Reinhard Loske (Bremen) und Staatsministerin Emilia Müller (Bayern) zu stellvertretenden Vorsitzenden 3. Wahl der Vorsitzenden der Ausschüsse – gemäß § 12 Absatz 1 GO BR – (Druck- sache 556/10) Beschluss: Die Vorsitzenden der Aus- schüsse werden gemäß dem Antrag des Präsidenten in Drucksache 556/10 ge- wählt 4. Wahl der Schriftführer – gemäß § 10 Ab- satz 1 GO BR – Beschluss: Ministerin Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt) und Staatsmi- nisterin Dr. Beate Merk (Bayern) wer- den wiedergewählt 5. Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2011 (HBeglG 2011) – gemäß Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG – (Drucksache 532/10) Erwin Sellering (Mecklenburg-Vor- pommern) Michael Boddenberg (Hessen) Dr. Ulrich Nußbaum (Berlin) Sven Morlok (Sachsen) Dr. Carsten Kühl (Rheinland-Pfalz) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekre- tär beim Bundesminister der Finanzen Carola Bluhm (Berlin) Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti- kel 76 Absatz 2 GG 6. Entschließung des Bundesrates zum Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden – Antrag des Landes Rheinland-Pfalz – (Drucksache 479/10) Bernd Busemann (Niedersachsen) Beschluss: Die Entschließung wird ge- fasst 7. Entschließung des Bundesrates zur bes- seren Kennzeichnung von zusammenge- fügten Formfleischprodukten (Klebe- fleisch) – Antrag des Freistaates Bayern – (Drucksache 568/10) Beschluss: Die Entschließung wird ge- fasst . . . . . . . . . . 343 A . . . . . . . . . . . 343 B . . . . . . . 343 B 344 C . 345 A . . . . . 345 B . . 345 B . . . . . . . . . . . 345 B . . . . . . . . . . . . . . 345 C . . . . . . . . . . 345 C . . . . . . . . 345 C 348 A . . . . . . . . . . 348 A . . . 349 A . . . 350 B . . . . . 352 B . 353 A . . . . . . . . . . 354 D . . . . . . 381*C . . . . . . . . 356 B . . . . . . . . 364 A . 384*D . . . . . . . . . . . . . . 364 B . . . . . . . . 364 B . . . . . . . . . . . . . . 385*A

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Plenarprotokoll 875

BUNDESRATStenografischer Bericht

875. Sitzung

Berlin, Freitag, den 15. Oktober 2010

I n h a l t :

Einführung des Direktors des Bundesrates,Gerd Schmitt, und der Stellvertretenden Di-rektorin des Bundesrates, Ministerialdirek-torin Dr. Ute Rettler

Zur Tagesordnung

Rückblick des Präsidenten

1. Wahl des Präsidiums – gemäß Artikel 52Absatz 1 GG i.V.m. § 5 Absatz 1 GO BR –

Beschluss: Die Ministerpräsidentin desLandes Nordrhein-Westfalen, Hanne-lore Kraft, wird zur Präsidentin desBundesrates gewählt.

Der Präsident des Senats der FreienHansestadt Bremen, Bürgermeister JensBöhrnsen, und der Ministerpräsidentdes Freistaates Bayern, Horst Seehofer,werden zu Vizepräsidenten gewählt

2. Wahl der Vorsitzenden und der stellver-tretenden Vorsitzenden der Europakam-mer – gemäß § 45c GO BR –

Beschluss: Es werden gewählt: MinisterinDr. Angelica Schwall-Düren (Nord-rhein-Westfalen) zur Vorsitzenden, Se-nator Dr. Reinhard Loske (Bremen) undStaatsministerin Emilia Müller (Bayern)zu stellvertretenden Vorsitzenden

3. Wahl der Vorsitzenden der Ausschüsse– gemäß § 12 Absatz 1 GO BR – (Druck-sache 556/10)

Beschluss: Die Vorsitzenden der Aus-schüsse werden gemäß dem Antrag desPräsidenten in Drucksache 556/10 ge-wählt

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Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.deVertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon: (02 21) 97 66 83 40, Telefax: (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.deISSN 0722-7999

4. Wahl der Schriftführer – gemäß § 10 Ab-satz 1 GO BR –

Beschluss: Ministerin Prof. Dr. AngelaKolb (Sachsen-Anhalt) und Staatsmi-nisterin Dr. Beate Merk (Bayern) wer-den wiedergewählt

5. Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes2011 (HBeglG 2011) – gemäß Artikel 76Absatz 2 Satz 4 GG – (Drucksache 532/10)

Erwin Sellering (Mecklenburg-Vor-pommern)

Michael Boddenberg (Hessen)

Dr. Ulrich Nußbaum (Berlin)

Sven Morlok (Sachsen)

Dr. Carsten Kühl (Rheinland-Pfalz)

Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekre-tär beim Bundesminister derFinanzen

Carola Bluhm (Berlin)

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

6. Entschließung des Bundesrates zumVerbot des Schenkelbrandes bei Pferden– Antrag des Landes Rheinland-Pfalz –(Drucksache 479/10)

Bernd Busemann (Niedersachsen)

Beschluss: Die Entschließung wird ge-fasst

7. Entschließung des Bundesrates zur bes-seren Kennzeichnung von zusammenge-fügten Formfleischprodukten (Klebe-fleisch) – Antrag des Freistaates Bayern –(Drucksache 568/10)

Beschluss: Die Entschließung wird ge-fasst

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II Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

8. Entschließung des Bundesrates zur Stär-kung der Verwendung von Biokraftstof-fen – Antrag des Freistaates Bayern –(Drucksache 569/10)

Margit Conrad (Rheinland-Pfalz)

Beschluss: Annahme der Entschließungnach Maßgabe der festgelegten Ände-rung

9. Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebungdes Freihafens Hamburg (Drucksache533/10)

Beschluss: Keine Einwendungen gemäßArtikel 76 Absatz 2 GG

10. Entwurf eines Gesetzes zur Restrukturie-rung und geordneten Abwicklung vonKreditinstituten, zur Errichtung eines Re-strukturierungsfonds für Kreditinstituteund zur Verlängerung der Verjährungs-frist der aktienrechtlichen Organhaftung(Restrukturierungsgesetz) – gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 Satz 4 GG – (Drucksache534/10)

Dieter Posch (Hessen)

Dr. Norbert Walter-Borjans (Nord-rhein-Westfalen)

Dr. Carsten Kühl (Rheinland-Pfalz)

Dr. Monika Stolz (Baden-Württem-berg)

Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekre-tär beim Bundesminister derFinanzen

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

11. Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigenund sozial ausgewogenen Finanzierungder Gesetzlichen Krankenversicherung(GKV-Finanzierungsgesetz – GKV-FinG)– gemäß Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG –(Drucksache 581/10)

Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz)

Dr. Monika Stolz (Baden-Württem-berg)

Dr. Markus Söder (Bayern)

Dr. Heiner Garg (Schleswig-Holstein)

Dr. Philipp Rösler, Bundesministerfür Gesundheit

Peter Jacoby (Saarland)

Thomas Kutschaty (Nordrhein-West-falen)

Dr. Jürgen Schöning (Thüringen)

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

12. Entwurf eines Gesetzes zur Anpassungdes deutschen Rechts an die Verordnung(EG) Nr. 380/2008 des Rates vom

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18. April 2008 zur Änderung der Verord-nung (EG) Nr. 1030/2002 zur einheitlichenGestaltung des Aufenthaltstitels für Dritt-staatenangehörige (Drucksache 536/10)

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

13. Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände-rung des Stipendienprogramm-Gesetzes(1. StipG-ÄndG) (Drucksache 550/10)

Karl Peter Bruch (Rheinland-Pfalz)

Beschluss: Keine Einwendungen gemäßArtikel 76 Absatz 2 GG

14. Entwurf eines Gesetzes zur Änderungdes Vormundschafts- und Betreuungs-rechts (Drucksache 537/10)

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

15. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung derPressefreiheit im Straf- und Strafpro-zessrecht (PrStG) – gemäß Artikel 76 Ab-satz 2 GG – (Drucksache 538/10)

Gisela von der Aue (Berlin)

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretärbei der Bundesministerin der Jus-tiz

Mitteilung: Eine Stellungnahme wirdnicht beschlossen

16. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzungder Dienstleistungsrichtlinie in der Jus-tiz und zur Änderung weiterer Vorschrif-ten (Drucksache 539/10)

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

17. Entwurf eines Gesetzes über den Rechts-schutz bei überlangen Gerichtsverfahrenund strafrechtlichen Ermittlungsverfah-ren (Drucksache 540/10)

Bernd Busemann (Nieder-sachsen)

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretärbei der Bundesministerin der Jus-tiz

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

18. Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokollvom 23. Juni 2010 zur Änderung desProtokolls über die Übergangsbestim-mungen, das dem Vertrag über die Euro-päische Union, dem Vertrag über die Ar-beitsweise der Europäischen Union unddem Vertrag zur Gründung der Europäi-schen Atomgemeinschaft beigefügt ist(Drucksache 541/10)

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

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Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III

19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zumAbkommen vom 17. Oktober 1962 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschlandund Irland zur Vermeidung der Doppel-besteuerung und zur Verhinderung derSteuerverkürzung bei den Steuern vomEinkommen und vom Vermögen sowieder Gewerbesteuer (Drucksache 542/10)

Beschluss: Keine Einwendungen gemäßArtikel 76 Absatz 2 GG

20. Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein-kommen des Europarats vom 16. Mai2005 zur Verhütung des Terrorismus(Drucksache 543/10)

Beschluss: Stellungnahme gemäß Arti-kel 76 Absatz 2 GG

21. Grünbuch der Kommission: Angemes-sene, nachhaltige und sichere europäi-sche Pensions- und Rentensysteme – ge-mäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache419/10)

Beschluss: Stellungnahme

22. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi-schen Parlaments und des Rates über dasRecht auf Belehrung in Strafverfahren– gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV und§§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 459/10, zu Drucksache 459/10)

Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3und 5 EUZBLG

23. Vorschlag für eine Verordnung des Euro-päischen Parlaments und des Rates überdie Typgenehmigung von land- undforstwirtschaftlichen Fahrzeugen – ge-mäß Artikel 12 Buchstabe b EUV und§§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache 515/10, zu Drucksache 515/10)

Beschluss: Stellungnahme gemäß §§ 3und 5 EUZBLG

24. Zweite Verordnung zur Änderung vonVorschriften zur Durchführung des ge-meinschaftlichen Lebensmittelhygiene-rechts (Drucksache 529/10)

Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80Absatz 2 GG nach Maßgabe der be-schlossenen Änderung – Annahme ei-ner Entschließung

25. Zweite Verordnung zur Durchführungdes Finanzausgleichsgesetzes im Aus-gleichsjahr 2009 (Drucksache 544/10)

Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80Absatz 2 GG

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26. Zweite Verordnung zur Änderung derErsten Bundesmeldedatenübermittlungs-verordnung (Drucksache 545/10)

Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80Absatz 2 GG

27. Verordnung über die Zulassung von Per-sonen zum Straßenverkehr (Fahrerlaub-nis-Verordnung – FeV) (Drucksache 531/10)

Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 80Absatz 2 GG

28. Allgemeine Verwaltungsvorschrift überden Austausch von Daten im Bereich derLebensmittelsicherheit und des Verbrau-cherschutzes (AVV Datenaustausch –AVV DatA) (Drucksache 185/10)

Beschluss: Zustimmung gemäß Artikel 84Absatz 2 GG nach Maßgabe der ange-nommenen Änderungen

29. Benennung von Beauftragten des Bun-desrates in Beratungsgremien der Euro-päischen Union für die Ratsarbeits-gruppe Forstwirtschaft – gemäß § 6Absatz 1 EUZBLG i.V.m. Abschnitt I derBund-Länder-Vereinbarung – (Drucksa-che 571/10)

Beschluss: Zustimmung zu der Empfeh-lung in Drucksache 571/1/10

30. Bestellung von Mitgliedern des Verwal-tungsrates der Kreditanstalt für Wieder-aufbau – gemäß § 7 Absatz 1 Nummer 3und Absatz 3 KfW-Gesetz – (Drucksache590/10)

Beschluss: Minister Dr. Norbert Walter-Borjans (Nordrhein-Westfalen) wird be-stellt

31. Benennung eines Mitglieds des Kurato-riums der Stiftung „Haus der Geschichteder Bundesrepublik Deutschland“ – ge-mäß § 7 Absatz 3 des Gesetzes zurErrichtung einer Stiftung „Haus der Ge-schichte der Bundesrepublik Deutsch-land“ – (Drucksache 547/10)

Beschluss: Staatssekretär Hansjörg König(Sachsen) wird benannt

32. Benennung eines Mitglieds für den Ei-senbahninfrastrukturbeirat – gemäß § 4Absatz 4 BEVVG – Antrag des LandesNordrhein-Westfalen gemäß § 36 Absatz 2GO BR – (Drucksache 598/10)

Beschluss: Minister Harry Kurt Voigts-berger (Nordrhein-Westfalen) wird vor-geschlagen

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IV Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

33. Verfahren vor dem Bundesverfassungs-gericht (Drucksache 559/10)

Beschluss: Von einer Äußerung und ei-nem Beitritt wird abgesehen

34. Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderungder Strafprozessordnung – Neuordnungder Anordnungskompetenz für die Ent-nahme von Blutproben – gemäß Arti-kel 76 Absatz 1 GG – Antrag des LandesNiedersachsen gemäß § 36 Absatz 2 GOBR – (Drucksache 615/10)

Bernd Busemann (Niedersachsen)

Mitteilung: Überweisung an die zustän-digen Ausschüsse

35. Entschließung des Bundesrates zum Jah-resbericht der Bundesregierung zur Auf-arbeitung der SED-Diktatur – Antrag derLänder Hessen, Thüringen und Sachsengemäß § 36 Absatz 2 GO BR – (Drucksa-che 613/10)

Michael Boddenberg(Hessen)

Beschluss: Die Entschließung wird ge-fasst

36. Benennung eines Mitglieds und einesstellvertretenden Mitglieds für den Beiratder Bundesnetzagentur für Elektrizität,Gas, Telekommunikation, Post undEisenbahnen – gemäß § 5 Absatz 1BEGTPG – Antrag der Freien und Hanse-stadt Hamburg gemäß § 36 Absatz 2 GOBR – (Drucksache 630/10)

Beschluss: Es werden vorgeschlagen: Se-nator Ian Karan (Hamburg) als Mitgliedund Senator Reinhard Stuth (Hamburg)als stellvertretendes Mitglied

37. Entschließung des Bundesrates für eineneinheitlichen „Freiwilligen sozialenDienst“ – Antrag des Landes Rheinland-Pfalz – Geschäftsordnungsantrag desLandes Rheinland-Pfalz – (Drucksache576/10)

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Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz)

Mitteilung: Fortsetzung der Ausschuss-beratungen

38. Entschließung des Bundesrates zumEnergiekonzept der Bundesregierung– Antrag der Länder Rheinland-Pfalz,Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bran-denburg gemäß § 36 Absatz 2 GO BR –(Drucksache 633/10)

Margit Conrad (Rheinland-Pfalz)

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden-Württemberg)

Dr. Reinhard Loske (Bremen)

Katherina Reiche, Parl. Staatssekre-tärin beim Bundesminister für Um-welt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit

Emilia Müller (Bayern)

Mitteilung: Überweisung an die zustän-digen Ausschüsse

39. Dreiundzwanzigstes Gesetz zur Ände-rung des Bundesausbildungsförderungs-gesetzes (23. BAföGÄndG) (Drucksache655/10)

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden-Württemberg), Berichterstatter

Christoph Matschie (Thüringen)

Prof. Dr. Annette Schavan, Bundes-ministerin für Bildung und For-schung

Dr. Heiner Garg (Schleswig-Holstein)

Beschluss: Zustimmung gemäß Arti-kel 104a Absatz 4 GG

Nächste Sitzung

Beschlüsse im vereinfachten Verfahren ge-mäß § 35 GO BR

Feststellung gemäß § 34 GO BR

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Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 V

Verzeichnis der Anwesenden

V o r s i t z :

Präsident J e n s B ö h r n s e n , Präsident desSenats, Bürgermeister der Freien HansestadtBremen

Vizepräsidentin H a n n e l o r e K r a f t , Minis-terpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfa-len – zeitweise –

Amtierende Präsidentin E m i l i a M ü l l e r ,Staatsministerin für Bundes- und Europa-angelegenheiten und Bevollmächtigte desFreistaates Bayern beim Bund – zeitweise –

S c h r i f t f ü h r e r i n :

Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt)

B a d e n - W ü r t t e m b e r g :

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart, Minister für Bun-des-, Europa- und internationale Angelegen-heiten und Bevollmächtigter des LandesBaden-Württemberg beim Bund

Willi Stächele, Finanzminister

Dr. Monika Stolz, Ministerin für Arbeit undSozialordnung, Familien und Senioren

B a y e r n :

Horst Seehofer, Ministerpräsident

Emilia Müller, Staatsministerin für Bundes- undEuropaangelegenheiten und Bevollmächtigtedes Freistaates Bayern beim Bund

Martin Zeil, Staatsminister für Wirtschaft, Infra-struktur, Verkehr und Technologie

Dr. Markus Söder, Staatsminister für Umweltund Gesundheit

B e r l i n :

Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister

Dr. Ulrich Nußbaum, Senator für Finanzen

Gisela von der Aue, Senatorin für Justiz

Carola Bluhm, Senatorin für Integration, Arbeitund Soziales

B r a n d e n b u r g :

Matthias Platzeck, Ministerpräsident

Dr. Volkmar Schöneburg, Minister der Justiz

B r e m e n :

Karoline Linnert, Bürgermeisterin, Senatorin fürFinanzen

Dr. Kerstin Kießler, Staatsrätin, Bevollmächtigteder Freien Hansestadt Bremen beim Bund

Dr. Reinhard Loske, Senator für Umwelt, Bau,Verkehr und Europa

H a m b u r g :

Heino Vahldieck, Senator, Präses der Behördefür Inneres

H e s s e n :

Volker Bouffier, Ministerpräsident

Michael Boddenberg, Minister für Bundesange-legenheiten und Bevollmächtigter des LandesHessen beim Bund

Dieter Posch, Minister für Wirtschaft, Verkehrund Landesentwicklung

M e c k l e n b u r g - V o r p o m m e r n :

Erwin Sellering, Ministerpräsident

Uta-Maria Kuder, Justizministerin

N i e d e r s a c h s e n :

David McAllister, Ministerpräsident

Jörg Bode, Minister für Wirtschaft, Arbeit undVerkehr

Bernd Busemann, Justizminister

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VI Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

N o r d r h e i n - W e s t f a l e n :

Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin

Dr. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister

Thomas Kutschaty, Justizminister

R h e i n l a n d - P f a l z :

Karl Peter Bruch, Minister des Innern und fürSport

Malu Dreyer, Ministerin für Arbeit, Soziales,Gesundheit, Familie und Frauen

Dr. Carsten Kühl, Minister der Finanzen

Margit Conrad, Ministerin für Umwelt, Forstenund Verbraucherschutz

S a a r l a n d :

Peter Jacoby, Minister der Finanzen

Annegret Kramp-Karrenbauer, Ministerin fürArbeit, Familie, Prävention, Soziales undSport

Dr. Simone Peter, Ministerin für Umwelt, Ener-gie und Verkehr

S a c h s e n :

Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft,Arbeit und Verkehr

Dr. Johannes Beermann, Staatsminister undChef der Staatskanzlei

S a c h s e n - A n h a l t :

Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident

Jens Bullerjahn, Minister der Finanzen

Prof. Dr. Angela Kolb, Ministerin der Justiz

S c h l e s w i g - H o l s t e i n :

Dr. Heiner Garg, Minister für Arbeit, Sozialesund Gesundheit

Dr. Ekkehard Klug, Minister für Bildung undKultur

T h ü r i n g e n :

Christoph Matschie, Minister für Bildung, Wis-senschaft und Kultur

Dr. Jürgen Schöning, Minister für Bundes- undEuropaangelegenheiten und Chef der Staats-kanzlei

Matthias Machnig, Minister für Wirtschaft,Arbeit und Technologie

V o n d e r B u n d e s r e g i e r u n g :

Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesund-heit

Prof. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin fürBildung und Forschung

Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bun-deskanzlerin

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei derBundesministerin der Justiz

Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beimBundesminister der Finanzen

Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-minister für Wirtschaft und Technologie

Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit

Page 7: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

875. Sitzung

Berlin, den 15. Oktober 2010

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 343

D)(B)

(C)(A)

Beginn: 9.33 Uhr

Präsident Jens Böhrnsen: Meine sehr geehrtenDamen und Herren, ich eröffne die 875. Sitzung desBundesrates.

Ich möchte zunächst den neuen Direktor des Bun-desrates, Herrn Gerd S c h m i t t , und seine Stell-vertreterin, Frau Dr. Ute R e t t l e r , herzlich begrü-ßen.

Herr Direktor Schmitt, Sie leiten seit Beginn diesesMonats als Nachfolger des von uns in der letzten Sit-zung verabschiedeten Direktors Dirk B r o u ë r dasSekretariat des Bundesrates. Sie werden dabei vonIhrer Nachfolgerin im Amt des stellvertretendenDirektors, Frau Dr. Rettler, unterstützt. Ich wünscheIhnen beiden im Namen des Hauses viel Erfolg in Ih-ren neuen Ämtern. Auf gute Zusammenarbeit!

(Beifall)

Ich komme zur Tagesordnung. Sie liegt Ihnen invorläufiger Form mit 39 Punkten vor. Die Punkte 11und 34 werden – in dieser Reihenfolge – nach Punkt 5aufgerufen. Die Punkte 37 und 38 werden nachPunkt 8 behandelt, Punkt 39 nach Punkt 4. Im Übri-gen bleibt es bei der ausgedruckten Reihenfolge.

Gibt es Wortmeldungen zur Tagesordnung? – Dasist nicht der Fall.

Dann ist sie so festgestellt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, man darfdie heutige Sitzung des Bundesrates durchaus histo-risch nennen. Historisch nicht deshalb, weil es die875. ist – auch wenn das für manchen nach Jubiläumklingt. Historisch auch nicht deshalb, weil die BremerBundesratspräsidentschaft endet; das gab es in derVergangenheit schon viermal, und das wird es auchin der Zukunft wieder geben. Nein, besonders wirddie Sitzung dadurch, dass zum ersten Mal eine Frauin das Amt der Bundesratspräsidentin gewählt wird.Nach dem Bundestag, dem Bundesverfassungsge-richt und der Bundesregierung erreicht die gesell-schaftliche Normalität ein weiteres Verfassungsor-gan.

(

Meinen persönlichen Glückwunsch dazu gibt esnatürlich erst nach der Wahl. Mein Dankeschön andas bisherige Präsidium mit Peter Müller und JürgenRüttgers möchte ich aber schon jetzt abstatten. Eswar eine gute Zusammenarbeit. Vielen Dank dafür!

Meine Damen und Herren, vor einem Jahr war dieFinanz- und Wirtschaftskrise das alles beherr-schende Thema. Mit dem Finanzmarktstabilisie-rungsgesetz haben Bund und Länder auch und ge-rade in der Krise die staatliche Verantwortunggemeinsam übernommen.

Mit der Griechenland-Krise nahmen die Herausfor-derungen, die sich uns stellten, europäische Dimen-sionen an. Entschlossen und zügig musste gehandeltwerden: mit den Vorlagen zum Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz und zum Euro-Stabilisie-rungsmechanismus. Als Alternative stand die Zu-kunft einzelner Mitgliedsländer, ja sogar die ZukunftEuropas, zumindest des Euro, in Frage.

Ich denke, wir dürfen feststellen: Das föderale Sys-tem hat sich an dieser Stelle bewährt. Die Krisenwurden erfolgreich bekämpft. Wer Sorge hatte, dieBeteiligung der Länder an der Gesetzgebung desBundes könnte wichtige Verfahrensabläufe verzö-gern, wurde eines Besseren belehrt.

Ebenso kraftvoll wie in der Griechenland- und derEuro-Entscheidung hätten wir uns das Zusammen-spiel von Bund und Ländern beim gemeinsamen Wegin die Bildungsrepublik Deutschland gewünscht.Lernbereite und wissenshungrige Kinder und Ju-gendliche sind entscheidend für die Gestaltung unse-rer Zukunft. Daran gibt es kaum Zweifel, welchepolitische Seite sich auch immer äußert. Der chan-cengerechte Zugang zu Lernen und Bildung für alleKinder und Jugendlichen von jüngsten Jahren an istunerlässlich, diese wichtigste ZukunftsressourceDeutschlands auszuschöpfen.

Der Weg zu gemeinsamen Anstrengungen vonBund und Ländern für mehr Chancengerechtigkeitund mehr Teilhabe erwies sich als wesentlich steini-ger als die gemeinsamen Anstrengungen, das Landoder Europa aus der Finanzkrise zu führen. Hierbleibt noch viel zu tun. Das bedeutet aber vor allem,

Redetext

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D)(B)

C)(A)

die finanziellen Rahmenbedingungen für Länder undKommunen zu verbessern.

Mehr gemeinsame Beschulung von Kindern, frü-heste Sprachförderung insbesondere von Kindern mitMigrationshintergrund, gemeinsames Mittagessenfür Kinder in Kitas und Grundschulen – kostenfrei zu-mindest für die Kinder aus armen Familien –, alldiese Notwendigkeiten sind keine Wohltaten einesspendierfreudigen Staates, diese Maßnahmen sinddas Fundament, um die zentralen Zukunftsthemen zugestalten. Eigentlich ist allen Handelnden klar, dassnur mit einer großen Bildungsoffensive, die auch vorlebenslangem Lernen nicht Halt macht, die Problemeder Integration oder des demografischen Wandelsgelöst werden können.

In diesem Jahr ist es nicht gelungen, den Bildungs-gipfel gemeinsam erfolgreich zu bewältigen. Einneuer Versuch ist es wert, angegangen zu werden.

Ich persönlich meine, dass wir weiter daran arbei-ten sollten, auch dem Bund Möglichkeiten zu ver-schaffen, in Bildungsfragen hilfreich zu sein. DasGanztagsschulprogramm bleibt beispielhaft.

Meine Damen und Herren, die PräsidentschaftBremens war in ein Jubiläumsjahr eingebettet. Der20. Jahrestag des Falls der Mauer markierte den An-fang, die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Ein-heit vor zwei Wochen in Bremen bildete den Aus-klang des Jahres.

Ich darf mich an dieser Stelle bei den vielen Kolle-gen und Kolleginnen aus diesem Haus bedanken, diein Bremen dabei waren. Mit großem Nachdruck ha-ben Sie durch Ihre Beteiligung deutlich gemacht,dass den Ländern die deutsche Einheit ein zentralesAnliegen ist.

Ich begrüße es deshalb ausdrücklich, weiter andem damaligen Vorschlag des früheren Bundesin-nenministers Wolfgang S c h ä u b l e festzuhalten,den Tag der Deutschen Einheit im jährlichen Wechseljeweils in dem Bundesland zu gestalten, das die Prä-sidentschaft des Bundesrates innehat. In Bremen istes meines Erachtens gelungen, den besonderen bun-desstaatlichen Charakter unseres Gemeinwesens he-rauszustellen.

Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auf einekleine Ausstellung hinweisen, die hier im Bundesratzu finden ist. „Einheitsbilder – Deutsche und euro-päische Staatsschiffe in der Karikatur (1871 bis2010)“ heißt eine Ausstellung des Bremer Sonderfor-schungsbereichs „Staatlichkeit im Wandel“. Sieweist nicht nur auf die relativ kurze Geschichte einerdeutschen Staatlichkeit in Einheit seit 1871 hin, son-dern weitet den Blick zugleich auf die europäischeEinheit. Über alle aktuellen Jahrestage hinaus gehörtdas weitere Zusammenwachsen Europas sicherlichzu den beständigen Aufgaben auch dieses Hauses.

Meine Damen und Herren, fast ein bisschen unter-gegangen wäre ein weiterer Jahrestag, nämlich dassder Bundesrat vor ziemlich genau 20 Jahren zumersten Mal im Kreis der 16 Länder tagte. In der DDRwaren die alten Länder durch Verwaltungsbezirke

(

(ersetzt worden, die Wiedervereinigung ermöglichtedas Entstehen der sogenannten neuen Länder. Ausdiesem Anlass hat das Sekretariat des Bundesrateseine Broschüre herausgegeben. Sie gibt einen Über-blick über die Entwicklung des Bundesrates vomMauerfall bis zur Wiedervereinigung und zeigt, wiedie damals neuen Länder 1990 und danach in denBundesrat integriert worden sind.

Ich darf an dieser Stelle dem Sekretariat herzlichdanken – nicht nur dafür, sondern auch für die Unter-stützung im ablaufenden Jahr. Das ablaufende Jahrwar für den Bundesrat arbeitsreich, weshalb ich michsehr beim Ständigen Beirat und bei allen Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern des Hauses für die Unter-stützung bedanke. Das betrifft nicht nur die Alltags-arbeit. Besonders möchte ich den Tag der offenen Tür– gemeinsam mit dem Berliner Abgeordnetenhaus –in Erinnerung rufen, der viele Bürgerinnen und Bür-ger auf die Arbeit des Hauses aufmerksam gemachthat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen allendarf ich für die vertrauensvolle und gute Zusammen-arbeit im ablaufenden Jahr herzlich danken.

Wir kommen zur Tagesordnung.

Ich rufe Punkt 1 auf:

Wahl des Präsidiums

Nach dem vereinbarten Turnus schlage ich Ihnenfür das am 1. November 2010 beginnende neue Ge-schäftsjahr vor, die Ministerpräsidentin des LandesNordrhein-Westfalen, Frau Hannelore Kraft, zur Prä-sidentin des Bundesrates zu wählen.

Über die Wahl der Präsidentin wird nach unsererPraxis durch Aufruf der Länder abgestimmt. Ich bitte,die Länder aufzurufen.

Prof. Dr. Angela Kolb (Sachsen-Anhalt), Schriftfüh-rerin:

Baden-Württemberg Ja

Bayern Ja

Berlin Ja

Brandenburg Ja

Bremen Ja

Hamburg Ja

Hessen Ja

Mecklenburg-Vorpommern Ja

Niedersachsen Ja

Nordrhein-Westfalen Ja

Rheinland-Pfalz Ja

Saarland Ja

Sachsen Ja

Sachsen-Anhalt Ja

Schleswig-Holstein Ja

Thüringen Ja

344 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Präsident Jens Böhrnsen

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D)(B)

C)(A)

Präsident Jens Böhrnsen: Demnach kann ich fest-stellen, dass Frau Ministerpräsidentin HanneloreK r a f t für das Geschäftsjahr 2010/2011 einstimmigzur Präsidentin des Bundesrates gewählt ist.

Frau Ministerpräsidentin, ich frage Sie: NehmenSie die Wahl an?

Hannelore Kraft (Nordrhein-Westfalen): Ja, ichnehme die Wahl gerne an!

Präsident Jens Böhrnsen: Dann darf ich Ihnen dieGlückwünsche des Hauses aussprechen.

(Beifall – Gratulation im Halbrund)

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zurWahl der Vizepräsidenten. Nach dem verabredetenTurnus schlage ich Ihnen zur Wahl vor: zum ErstenVizepräsidenten den Präsidenten des laufenden Ge-schäftsjahres, zum Zweiten Vizepräsidenten denMinisterpräsidenten des Freistaates Bayern, HerrnHorst S e e h o f e r .

Mit Ihrem Einverständnis lasse ich über diese Vor-schläge gemeinsam abstimmen. Wer zustimmenmöchte, den bitte ich um das Handzeichen.

Die Vorschläge sind einstimmig angenommen.

Ich kann wohl davon ausgehen, dass Herr KollegeSeehofer diese Wahl ebenso wie ich selbst annimmt,und spreche ihm, aber nicht mir, die Glückwünschedes Hauses aus.

(Heiterkeit)

Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:

Wahl der Vorsitzenden und der stellvertreten-den Vorsitzenden der Europakammer

Die Länder, deren Regierungschefs das Präsidiumdes Bundesrates bilden, stellen in gleicher Reihen-folge die Vorsitzende der Europakammer und ihrezwei Stellvertreter.

Dementsprechend schlage ich Ihnen vor, FrauMinisterin Dr. Angelica S c h w a l l - D ü r e n(Nordrhein-Westfalen) zur Vorsitzenden, Herrn Se-nator Dr. Reinhard L o s k e (Bremen) zum erstenstellvertretenden Vorsitzenden und Frau Staatsmi-nisterin Emilia M ü l l e r (Bayern) zur zweiten stell-vertretenden Vorsitzenden der Europakammer fürdas Geschäftsjahr 2010/2011 zu wählen.

Wer diesem Vorschlag zuzustimmen wünscht, denbitte ich um das Handzeichen.

Damit sind die Vorsitzende der Europakammer undihre zwei Stellvertreter einstimmig gewählt.

Punkt 3:

Wahl der Vorsitzenden der Ausschüsse (Druck-sache 556/10)

Für diese Wahl liegt Ihnen der Antrag des Präsi-denten vor.

(

(Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den

bitte ich um das Handzeichen.

Damit ist einstimmig so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 4:

Wahl der Schriftführer

Ich schlage vor, für das Geschäftsjahr 2010/2011Frau Ministerin Professor Dr. Angela K o l b (Sach-sen-Anhalt) und Frau Staatsministerin Dr. BeateM e r k (Bayern) als Schriftführerinnen wiederzu-wählen.

Wer dem Vorschlag zustimmen möchte, den bitteich um das Handzeichen.

Damit sind beide Schriftführerinnen einstimmiggewählt.

Tagesordnungspunkt 39:

Dreiundzwanzigstes Gesetz zur Änderungdes Bundesausbildungsförderungsgesetzes(23. BAföGÄndG) (Drucksache 655/10)

Meine Damen und Herren, das Gesetz kommt un-verändert aus dem Vermittlungsausschuss zurück.

Zur Berichterstattung erteile ich Minister ProfessorDr. Reinhart (Baden-Württemberg) das Wort. Bitteschön.

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden-Württemberg),Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren! Der Bundesrat hat in seiner873. Sitzung am 9. Juli 2010 beschlossen, zu demvom Deutschen Bundestag am 18. Juni 2010 verab-schiedeten 23. Gesetz zur Änderung des BAföG zuverlangen, dass der Vermittlungsausschuss einberu-fen wird. Ziel des Anrufungsbegehrens war es, dassder Bund die aus dem Gesetz resultierenden Mehr-ausgaben für die Weiterentwicklung des BAföG unddie Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungs-gesetzes allein trägt.

Der Vermittlungsausschuss hat sich in drei Sitzun-gen – am 14. September, am 5. und am 14. Oktober2010 – mit der Vorlage befasst. Er hat am 14. Septem-ber eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese hat jedochkeine Einigung erzielt.

Der Vermittlungsausschuss hat schließlich gesternAbend beschlossen, den Gesetzesbeschluss desDeutschen Bundestages zu bestätigen. Es bleibt alsobei der bisherigen Kostenverteilung für das BAföGzwischen Bund und Ländern.

Um dem Anrufungsbegehren der Länder Rechnungzu tragen, hat man sich im Kern auf Folgendes ver-ständigt: Das BMBF wird ab dem Haushaltsjahr 2011im Rahmen der direkten Projektförderung an Hoch-schulen aus seinen Fachprogrammen eine Pro-grammpauschale für Hochschulen in Höhe von 10 %der Projektausgaben gewähren. Ab 2012 erhöht sichdiese Programmpauschale bei Neubewilligungenvon 10 auf 20 %. Die Programmpauschale dient zurTeilfinanzierung der durch das jeweilige Forschungs-projekt verursachten indirekten Projektkosten.

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 345

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D)(B)

C)(A)

Besonderen Wert hat der Vermittlungsausschuss

darauf gelegt, dass es sich dabei um eine langfristigeund dauerhafte Weichenstellung handelt.

Die Bundesregierung wird heute eine detaillierteProtokollerklärung abgeben.

Deshalb schlage ich Ihnen vor, dem Gesetz zuzu-stimmen.

Präsident Jens Böhrnsen: Vielen Dank!

Das Wort hat Minister Matschie (Thüringen).

Christoph Matschie (Thüringen): Zunächst darf ichIhnen von meiner Seite, Frau Kraft, sehr herzlich zuIhrer Wahl zur Präsidentin des Bundesrates gratulie-ren.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Der Vermittlungsausschuss hat gestern den Weg freigemacht. Wenn der Bundesrat dem Gesetz heute zu-stimmt, ist das eine gute Nachricht für die Studieren-den in Deutschland; denn sie sind in großer Zahl aufdie Förderung durch das BAföG angewiesen. Wir allewissen, dass Investitionen in die Köpfe und Fähigkei-ten von Menschen die wichtigsten Investitionen sind,die wir tätigen können, wenn wir eine gute Zukunftfür das Land wollen.

Nutzen wir alle vorhandenen Begabungen! DieserImperativ wird durch die demografische Entwicklungverstärkt, die besonders wir in den neuen Bundeslän-dern spüren. Dort haben sich die Geburtenraten hal-biert. Wir können es uns nicht mehr leisten, auch nurein einziges Talent ungenutzt zu lassen. Deshalbbrauchen wir eine gute finanzielle Unterstützung allderjenigen, die die Möglichkeit und das Können ha-ben, ein Studium aufzunehmen oder eine Ausbildungzu absolvieren.

Das heute vorliegende Gesetz verbessert die Leis-tungen deutlich, was sowohl die Bedarfssätze alsauch die Freibeträge angeht. Wichtig ist aber aucheine Reihe von strukturellen Änderungen. Ich willnur die Tatsache herausgreifen, dass das BAföG inZukunft, wenn die Zustimmung heute erfolgt, bis35 Jahre gezahlt werden kann. Das ist ein wichtigerstruktureller Schritt; denn auch wenn man zu einemspäteren Zeitpunkt – nach einer Bachelorausbildungund anschließender Berufskarriere – ein Masterstu-dium aufnimmt, ist Unterstützung möglich.

Ich will auch das Verfahren zum Thema machen;denn daraus müssen wir Schlüsse für die Zukunft zie-hen. Mir hat nicht gefallen, wie das Verfahren imVermittlungsausschuss abgelaufen ist. Auf Antragder Bundesregierung haben wir eine Arbeitsgruppeeingerichtet, die nicht zu Ergebnissen kommenkonnte, weil es von Seiten der Bundesregierung kei-nerlei Bewegung gab. Erst in der darauf folgendenSitzung des Vermittlungsausschusses ist ein Vor-schlag unterbreitet worden. Ich finde es gut, dassdiese Bewegung noch erfolgt ist; denn damit tun wirnicht nur etwas für die bessere Unterstützung derStudierenden, sondern auch für die Verbesserung derForschung in den Hochschulen. Das ist ein guter und

(

(strukturell richtiger Schritt, damit wir den Hochschu-len bei Bundesprogrammen zukünftig Mittel fürOverheadkosten zur Verfügung stellen können.

Werte Kolleginnen und Kollegen, eines muss unsallerdings nachdenklich stimmen: Wenn es um neueEntscheidungen in der Bildungspolitik geht, kommtes zwischen den Bundesländern und dem Bund im-mer wieder zu Auseinandersetzungen um Finanzie-rungsfragen. Das hat mit einer unerledigten Aufgabezu tun. Der Bildungsgipfel – der Präsident hat es ein-gangs erwähnt – hat nicht zu Ergebnissen geführt.Wir brauchen aber Ergebnisse. Wir brauchen Klar-heit über die zukünftige Bildungsfinanzierung inDeutschland.

Das 10-%-Ziel für Bildung und Forschung ist undbleibt richtig. Es bleibt aber bei Sonntagsreden,wenn der Bund die Länder nicht in die Lage versetzt,Bildung in Zukunft besser zu finanzieren. Die Länderund die Kommunen tragen den Löwenanteil der Bil-dungsfinanzierung. Deshalb brauchen wir hier einebessere Ausstattung.

Das ist nicht die normale Klage der Länder, die For-derung nach mehr Geld. Die Länder sind in Zukunftdazu verpflichtet, keine neuen Schulden mehr zumachen. Die neuen Bundesländer befinden sichzusätzlich in der Situation, dass sie bis 2020 dasAbschmelzen des Solidarpakts zu verkraften habenund mit sinkenden Haushaltsvolumina operierenmüssen. Wenn wir es angesichts dieser Situation mitdem 10-%-Ziel tatsächlich ernst meinen, dann musses einen neuen Bildungsgipfel mit einer Verständi-gung zwischen Bund und Ländern über die Bil-dungsfinanzierung geben.

Es ist am Ende auch nicht damit getan, dass derBund neue Programme auflegt, die die Länder mit-finanzieren müssen; denn die Bundesländer müssenin der Lage sein, jeweils dort zu handeln, wo geradeSchwerpunkte gesetzt werden müssen. In einemBundesland ist das vielleicht der Ausbau der früh-kindlichen Bildung, in einem anderen Bundeslandstehen zusätzliche Investitionen im Schulbereich an,in einem weiteren Land geht es darum, die Hoch-schulen besonders zu stärken. Das kann nicht alleinmit Bundesprogrammen, die die Länder kofinanzie-ren müssen, aufgefangen werden. Hier wird es da-rauf ankommen, die Länder besser auszustatten.

Deshalb heute meine klare Forderung: Wir brau-chen einen nächsten Bildungsgipfel und eine Verein-barung über die Bildungsfinanzierung in Deutsch-land. Der Bund muss sich hier bewegen. – HerzlichenDank.

Präsident Jens Böhrnsen: Vielen Dank!

Das Wort hat Frau Bundesministerin ProfessorSchavan.

Prof. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin fürBildung und Forschung: Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Studienfinanzierungnach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ist

346 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden-Württemberg), Berichterstatter

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C)(A)

seit fast 40 Jahren eine Gemeinschaftsaufgabe vonBund und Ländern. Die Studienfinanzierung nachdem BAföG entwickelte sich in diesen vier Jahr-zehnten dynamisch und erweiterte den Kreis derGeförderten mit jedem Änderungsgesetz. Das heißt,mit dem 23. BAföG-Änderungsgesetz, über das wirin den vergangenen Wochen und Monaten verhan-delt haben, wird sich der Kreis der Gefördertenwiederum um 50 000 bis 60 000 Studierende erwei-tern.

Weil wir davon überzeugt sind, dass angesichts desdemografischen Trends in Deutschland Ermutigungzum Studium einmal mehr bedeutsam ist, stärken wirdie Studienfinanzierung: mit dem Deutschland-Sti-pendium, über das wir in diesem Kreis bereits ge-sprochen haben, mit der Bereitschaft des Bundes,100 % der Kosten für den öffentlichen Anteil des Sti-pendiums und die Akquisekosten der Hochschulenzu übernehmen und heute mit dem Änderungsgesetzzum BAföG. Das ist kurz vor dem Beginn des Winter-semesters ein wichtiges und ermutigendes Signal ge-rade an die Familien mit kleinen Einkommen.

Bund und Länder sind trotz schwieriger Lage deröffentlichen Haushalte – das gilt in besonderer Weisefür die Strukturen der Länderhaushalte, wie ich alsehemalige Landesministerin weiß – verlässliche Part-ner der Studierenden und der Hochschulen.

Nach dem vorliegenden Änderungsgesetz werdendie Freibeträge um 3 % und die Förderbeträge um2 % erhöht. Das bedeutet, dass der Höchstsatz desBAföG bei 670 Euro monatlich liegen wird.

Wir werden das BAföG – Vorredner haben bereitsdarauf hingewiesen – weiter modernisieren, indemwir Anpassungen an die neuen Studienstrukturenvornehmen und Verbesserungen der Vereinbarkeitvon Ausbildungs-, Erwerbs- und Familienplanungermöglichen. Dazu gehören die Heraufsetzung derAltersgrenze, die Vereinfachung bei der Erbringungvon Leistungsnachweisen sowie flexiblere Alters-grenzen mit Blick auf die Vereinbarkeit von Aus-bildung und Studium mit Erwerbs- und Familienzei-ten.

Mit der Verbesserung des BAföG durch Weiterent-wicklung und Erhöhung der Förderbeträge und Frei-beträge verbinden wir ein langfristig wirkendes undwichtiges neues Instrument für das deutsche Wissen-schaftssystem: Wir führen eine Programmpauschalefür Forschungsprojekte an Hochschulen, die überProgramme des Bundesforschungsministeriums fi-nanziert werden, analog der Pauschale ein, die wirschon vor einigen Jahren bei den Forschungsprojek-ten der Deutschen Forschungsgemeinschaft über-nommen haben und die ebenfalls zu 100 % vomBund gezahlt wird.

Ich erkläre für die Bundesregierung: Wir werdendie Leistungsfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeitder deutschen Hochschulen durch die Einführung ei-ner Programmpauschale für Hochschulen im Rahmender direkten Projektförderung aus dem Einzelplan 30

(

(strukturell stärken. Das BMBF wird ab dem Haus-haltsjahr 2011 aus seinen Fachprogrammen im For-schungsbereich eine Programmpauschale in Höhevon 10 % der Projektausgaben gewähren. Ab 2012erhöht sich diese Programmpauschale bei Neubewil-ligungen von 10 auf 20 %. Die Programmpauschaledient zur Teilfinanzierung der durch das jeweiligeForschungsprojekt verursachten indirekten Projekt-kosten.

Über die Vergabe der Projektförderung des BMBFwird auch in Zukunft grundsätzlich in qualitätsorien-tierten und wettbewerblichen Verfahren entschie-den.

Die finanziellen Größenordnungen sowie die in-haltlichen Bemessungsgrundlagen orientieren sichan den Ist-Ausgaben im Haushaltsjahr 2009, die unsim Vermittlungsausschuss vorgelegen haben. DieProjektmittel des Bundes werden sich im Rahmen derzusätzlich für Forschung in dieser Legislaturperiodezur Verfügung gestellten Mittel gegenüber dem Ba-sisjahr kontinuierlich weiter erhöhen.

Die Programmpauschale wird dauerhaft einge-führt. Es erfolgt also eine dauerhafte strukturelleVeränderung im gesamten Bereich der Projektförde-rung für die Hochschulen durch das BMBF. DieseEinigung hat nicht nur eine finanzpolitische Kom-ponente. Vielmehr ist die Einführung der Programm-pauschale bei Forschungsprojekten an Hochschulendurch das BMBF eine wichtige, langfristig wirkendeund – im Vergleich zur Forschungsförderung auf derEbene der Europäischen Union – sachgerechte Wei-chenstellung.

Es war uns seitens des Bundes in unseren Gesprä-chen im Vermittlungsausschuss wichtig, dass wir,um eine gemeinsame Weiterentwicklung des BAföGzu ermöglichen, zu einer weiteren Maßnahme kom-men, die zur Stärkung des Wissenschaftssystemsbeiträgt. Die Programmpauschale wird die Hoch-schulen strukturell stärken, so wie wir es im Rah-men des Hochschulpaktes mit der Programmkosten-pauschale für DFG-geförderte Maßnahmen bereitserlebt haben.

Wir setzen damit übrigens die Empfehlung der Ex-pertenkommission Forschung und Innovation um,die in ihrem diesjährigen Gutachten die Einführungeiner Programmpauschale zur Deckung indirekterProjektkosten vorgeschlagen hat. Auch hier gehenwir also einen wichtigen innovationspolitischenSchritt.

Meine Damen und Herren, ich danke den Länderndafür, dass es in finanziell schwierigen Zeiten gelun-gen ist, nach dem Deutschland-Stipendium in ge-meinsamer Leistung jetzt auch die 23. BAföG-Ände-rungsnovelle zu verabschieden. Ich bin davonüberzeugt: Die Studierenden und die Hochschulenwerden das als starkes und klares Signal der Verläss-lichkeit am Beginn dieses Wintersemesters werten. –Herzlichen Dank.

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 347

Bundesministerin Prof. Dr. Annette Schavan

Page 12: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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Präsident Jens Böhrnsen: Vielen Dank!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Je eineErklärung zu Protokoll*) haben Minister Dr. Garg(Schleswig-Holstein) und Frau BundesministerinProfessor Schavan (Bundesministerium für Bildungund Forschung) abgegeben.

Wir kommen zur Abstimmung. Das Gesetz ist zu-stimmungsbedürftig. Daher frage ich: Wer stimmtdem Gesetz zu? – Das ist die Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2011(HBeglG 2011) (Drucksache 532/10)

Zunächst erhält Ministerpräsident Sellering dasWort.

Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern): HerrPräsident, meine Damen und Herren! Die Staatsver-schuldung ist in Deutschland in den letzten Jahrenund Jahrzehnten immer weiter angestiegen, teils aussehr nachvollziehbaren Gründen: Nach 1990 galt es,mit einer großen Kraftanstrengung den Aufholpro-zess der ostdeutschen Länder in Gang zu bringen.Zum 20-jährigen Jubiläum der deutschen Einheitkönnen wir feststellen: Diese Anstrengung war not-wendig, richtig und erfolgreich.

In den vergangenen beiden Jahren standen wir vorder Aufgabe, die Folgen der größten Wirtschaftskrisein der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlandzu bekämpfen. Die Konjunkturpakete, das Kurzarbei-tergeld und der Deutschlandfonds waren die richtigeAntwort darauf. Diese Maßnahmen haben dazu bei-getragen, dass Deutschland besser durch die Krisegekommen ist als viele andere Länder. Das ist inmeinen Augen das größte Verdienst der früherenBundesregierung aus Union und SPD – übrigensnicht nur der Kanzlerin, sondern gerade der frühe-ren Minister Peer S t e i n b r ü c k , Frank-WalterS t e i n m e i e r und Olaf S c h o l z . Heute, da sichdie wirtschaftliche Lage bessert, muss allerdings um-gesteuert werden.

Wir beraten über das Haushaltsbegleitgesetz, dassogenannte Sparpaket der Bundesregierung. Ichdenke, wir alle sind uns einig: Angesichts der hohenStaatsverschuldung führt an einem klugen Konsoli-dierungskurs kein Weg vorbei. Aus Verantwortunggegenüber den kommenden Generationen müssendie Ausgaben des Bundes, muss die Staatsverschul-dung begrenzt werden.

Allerdings muss man die Frage stellen: Ist das eingutes, ein ausgewogenes Paket? Ist das ein klugerKonsolidierungskurs? Ich meine, dass die Bundesre-gierung vielfach an der falschen Stelle spart. DasSparpaket hat eine soziale Schieflage.

*) Anlagen 1 und 2

(

(Ich will zwei Punkte ansprechen, in denen ich drin-

genden Korrekturbedarf sehe:

Der erste Punkt ist das Elterngeld. Die Einführungdes Elterngeldes zählt für mich zu den wichtigen Er-folgen der Bundesregierung aus Union und SPD. Esist damals vor allem deshalb eingeführt worden, da-mit Eltern Familie und Beruf besser miteinander ver-binden können. Das Elterngeld ist, wie wir alle wis-sen, sehr gut angenommen worden. Es trägt dazubei, dass sich heute auch viele Väter ganz selbstver-ständlich für einige Monate besonders um die Kinderkümmern. Familie und Kinder sind unsere Zukunft.Ich meine, die Bundesregierung hätte diesen Bereichvon Kürzungen ausnehmen müssen.

Stattdessen will sie nicht „nur“ pauschal eine Kür-zung des Elterngeldes von 67 auf 65 % vornehmen,sondern es für eine Gruppe ganz entfallen lassen: fürLangzeitarbeitslose. Langzeitarbeitslose hätten durchdie Sparpläne der Bundesregierung im ersten Jahrnach der Geburt des Kindes bis zu 3 600 Euro weni-ger zur Verfügung. Damit würden diejenigen Eltern,die besonders auf Hilfe angewiesen sind, sehr hartgetroffen, und ihre Kinder würden schon in der frü-hesten Lebensphase benachteiligt.

Das Elterngeld kompensiert den Ausfall von Ar-beitseinkommen. Es ist damit eine sehr willkommeneStarthilfe für das Neugeborene und seine Familie.Diese Starthilfe brauchen selbstverständlich auch Fa-milien, die von Hartz IV leben. Wir haben in der ver-gangenen Wahlperiode aus Gründen der sozialenAusgewogenheit gemeinsam ein Elterngeld für alleFamilien eingeführt. Ich denke, dass wir daran fest-halten sollten. Der Bereich „Familie und Kinder“ eig-net sich nicht für Kürzungen.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, istdie Abschaffung der Rentenbeiträge für Langzeitar-beitslose. In den 20 Jahren nach der deutschen Ein-heit sind besonders in Ostdeutschland, aber auch ineinigen Bereichen Westdeutschlands viele Menschenunverschuldet arbeitslos gewesen, häufig über län-gere Zeit. Bisher wird für Langzeitarbeitslose einPflichtbeitrag in die Rentenkasse eingezahlt. Darausergibt sich für jedes Jahr Arbeitslosigkeit ein zusätz-licher Rentenanspruch von 2,19 Euro im Monat.Schon vor Jahren hat die Sozialministerkonferenzfestgestellt, dass das beschämend wenig ist. Dieswird zu Altersarmut führen, wenn diejenigen inRente gehen, die zu Beginn der deutschen Einheit40 oder 50 Jahre alt waren und dann lange Zeit un-verschuldet arbeitslos waren. Deshalb war immerklar: Wir müssen so schnell wie möglich zu einer hö-heren Absicherung kommen.

Stattdessen will die Bundesregierung diesenPflichtbeitrag streichen. Das bemerken die Betroffe-nen – anders als beim Elterngeld – nicht heute odermorgen. Sie werden es erst bemerken, wenn sie insRentenalter kommen. Dann werden sie nämlich aufdie Grundsicherung angewiesen sein. Dadurch wer-den Lasten von heute in die Zukunft abgewälzt undaußerdem vom Bund auf die Kommunen verlagert.

348 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

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Ich kann nur davor warnen, die Gefahren der Al-

tersarmut in Deutschland zu unterschätzen. Das wirdin den kommenden Jahren ein großes Problem wer-den, wenn wir nicht gegensteuern. Stattdessen ver-schärft die Bundesregierung den Kurs in die falscheRichtung.

Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen,wenn wir in den weiteren Beratungen zumindest indiesen Punkten zu einer Zusammenarbeit findenkönnten – jenseits aller Parteipolitik. So hat das PaketSchieflage. Dafür wird es aus Mecklenburg-Vorpom-mern keine Unterstützung geben.

Präsident Jens Böhrnsen: Das Wort hat nunStaatsminister Boddenberg (Hessen).

Michael Boddenberg (Hessen): Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Siemich vorweg für die Hessische Landesregierungdeutlich machen, dass wir den Kurs der Bundesregie-rung, das Sparpaket, Haushaltsbegleitgesetz, begrü-ßen. Ich will dazu einige Anmerkungen machen unddabei insbesondere auf das Bezug nehmen, was meinVorredner, Herr Ministerpräsident Sellering, hin-sichtlich der aus seiner Sicht bestehenden Unausge-wogenheit dieses Maßnahmenpakets ausgeführt hat.

Zunächst haben Sie zu Recht gesagt, dass dasHaushaltsbegleitgesetz zwei Zielrichtungen hat:

Das erste und wichtigste Ziel ist, dass wir die Neu-verschuldung bis zum Jahr 2016 auf 0,35 % des Brut-toinlandsprodukts senken. Das sieht die Schulden-bremse vor. Wir alle wissen, dass vier Jahre späterauch die Länder so weit sein müssen, dass sie ausge-glichene Haushalte vorlegen.

Ich will daran erinnern, dass dieses Ziel im Grundegenommen auch schon in der Vergangenheit be-stand, heute aber klarer und präziser in der Verfas-sung verankert ist. Bei dieser Gelegenheit kündigeich an, dass wir in Hessen das Ziel der Schulden-bremse am 27. März 2011 zum Gegenstand einerVolksabstimmung machen werden, weil bei uns eineVerfassungsänderung, so wir sie vornehmen wollen,die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger benö-tigt. Ich glaube, das ist eine gute Chance – anderehaben andere Wege, dahin zu kommen –, mit denMenschen einen Diskurs über die Frage zu führen,was der Staat zukünftig leisten kann, soll und darfund wo wir möglicherweise mehr Engagement vonSeiten der Wirtschaft, aber auch der Bürgerinnen undBürger brauchen.

Das zweite Ziel ist es – heute Morgen ist schonGriechenland angesprochen worden –, die Stabilitätunserer Währung im Auge zu behalten. Sie hängtsehr davon ab, ob die Kapitalmärkte den Eindruckgewinnen, dass wir die Verfassungsänderung, die wirim vergangenen Jahr vorgenommen haben, ernstnehmen und umsetzen, indem wir in den nächstensechs Jahren zu den jeweiligen Einzelhaushaltenentsprechende Beschlüsse fassen.

(

(Herr Ministerpräsident Sellering, Sie haben gesagt,

dass eine Reihe von Maßnahmen der Politik – ich darfhinzufügen: nicht nur der vorherigen, sondern auchder jetzigen Bundesregierung – in den vergangenenJahren zu einer Situation geführt hat, in der wir Kon-solidierungsbemühungen erfolgreich gestalten kön-nen. Das reicht von der Abwrackprämie bis hin zuKonjunkturprogrammen, über die in der vorigen Le-gislaturperiode entschieden worden ist. Ich will aberdaran erinnern, dass unter anderem steuerliche Ent-lastungen, die mit Beginn dieses Jahres ihre Wirkungentfaltet haben, dazu geführt haben, dass wir in derBundesrepublik Deutschland heute Wachstumsratenhaben, wie sie in keinem anderem Industriestaat zuverzeichnen sind.

Fast noch wichtiger ist die Tatsache, dass wir mitt-lerweile die Zielmarke von drei Millionen Arbeits-losen im Blick haben, die ein früherer Bundeskanzlerplakativ „Hausnummer“ nannte, um das zentraleZiel der nationalen Politik und unserer Politik auf derLandesebene zu beschreiben. Wir sind dabei, dieseZielmarke zu unterschreiten. Einverstanden, dreiMillionen sind zwar immer noch zu viele Arbeitslose,aber das ist ein gewaltiger Fortschritt im Vergleich zuden Arbeitslosenzahlen in der Vergangenheit.

Ich finde es richtig, dass wir, der Haushaltsgesetz-geber, uns in der Krise antizyklisch verhalten undsehr viel Geld in die Haushalte implementiert haben,um Schutzschirme zu spannen. Aber jetzt geht esaufwärts, und wir generieren steuerliche Mehrein-nahmen. Diese Entwicklung ist auch für die nächstenJahre absehbar.

Angesichts dessen müssen wir – Sie haben es ge-sagt – eine deutliche Kehrtwende auch auf der Aus-gabenseite vollziehen. Insofern verhalten wir unswieder antizyklisch. Dieses Vorgehen wird zukünftigvon grundsätzlicher Bedeutung für die Politik sein.Es wird sich zeigen, dass dies der richtige Weg ist;die Erfolge der vergangenen beiden Jahre deutendarauf hin.

Herr Kollege Sellering, ich will nicht verhehlen,dass es in dem Haushaltsbegleitgesetz durchaus ein-zelne Punkte gibt, über die man sich streiten kannund die auch für Hessen nicht unproblematisch sind.Die Wirtschaft soll mit rund 7 Milliarden Euro einengewaltigen Beitrag zur Konsolidierung leisten.

Die Luftverkehrsabgabe ist ein Thema, das uns inHessen auf Grund der Hub-Funktion des FrankfurterFlughafens massiv betrifft. Ich habe sehr viele Ge-spräche mit Branchenvertretern geführt, die, wie ichfinde, durchaus zu Recht auf die Erfahrungen hinge-wiesen haben, die man in der Vergangenheit – sieheHolland – mit einer solchen Abgabe gesammelt hat.Am Ende tauchte stets die Frage auf, ob die zu er-wartenden Mehreinnahmen das Risiko der Verlage-rung von Flügen überkompensieren. Ich gehe davonaus, dass es nicht zu einer Verlagerung in großemUmfang kommen wird. Die Menschen werden diemoderaten Erhöhungen der Ticketpreise um 8 bzw.25 Euro und für die Langstrecke um 45 Euro tragen.Vermutlich werden Nachbarländer nachziehen.

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 349

Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern)

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Nicht nur durch die Luftverkehrsabgabe, sondern

auch durch die Brennelementesteuer, den Subven-tionsabbau im Ökostrombereich und viele andereMaßnahmen leistet die Wirtschaft ihren Beitrag. Wirfinden das ausdrücklich richtig und begrüßen das.Wir würden lieber darauf verzichten, aber wir brau-chen die Mittel.

Zu der von Ihnen behaupteten „sozialen Schief-lage“ will ich nur so viel sagen: Die Bundesarbeitsmi-nisterin hat in den vergangenen Wochen – wie ichfinde, zu Recht – häufig darauf hingewiesen, welchenAnteil die Sozialausgaben am Bundeshaushalt haben– weit über 40 % – und dass der Sozialbereich mit30 % des geplanten jährlichen Sparvolumens von20 Milliarden Euro einen deutlich unterproportiona-len Sparbeitrag leistet.

Zum Elterngeld kann man so argumentieren, wieSie es getan haben, Herr Sellering. Auch ich fände esschöner, wenn es bei 67 % bliebe. Aber Sie wissen,dass diese Maßnahme erst Einkommen ab 1 200 Eurobetrifft, d. h. nicht die Bezieher sehr kleiner Einkom-men.

Was das Elterngeld und die bisherigen Rentenbei-tragszahlungen für Hartz-IV-Empfänger betrifft, sohalte ich das für einen systemwidrigen Ansatz. Wirhaben andere Instrumente, um Altersarmut, die Siesoeben zu Recht als wachsendes Problem angespro-chen haben, einzudämmen.

Über all diese Fragen wird heute und damit genauzum richtigen Zeitpunkt debattiert; es muss darüberdebattiert werden.

Ferner – auch da gebe ich Ihnen recht – muss diekommunale Seite einen deutlicheren Akzent in derBundespolitik erfahren. Dazu gibt es eindeutige Aus-sagen nicht nur des Bundesfinanzministers, der bei-spielsweise die Größenordnung der Kassenkrediteder Kommunen nahezu täglich thematisiert. EineKommission berät über grundsätzliche Fragen derzukünftigen Gemeindefinanzierung; ich nenne dieGewerbesteuer. Ich hoffe, dass es insoweit gute Er-gebnisse gibt; denn die Politik vor Ort ist diejenige,die die Menschen am ehesten erfahren. Die hinterder Kommissionsarbeit stehende Absicht findet, wieich denke, breite Unterstützung in diesem Hause. –Herzlichen Dank.

Präsident Jens Böhrnsen: Das Wort hat nun Sena-tor Dr. Nußbaum (Berlin).

Dr. Ulrich Nußbaum (Berlin): Herr Präsident, meineDamen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurfmuss mindestens unter zwei Gesichtspunkten beur-teilt werden: Zum einen ist die finanz- und haushalts-politische Seite zu beleuchten, zum anderen geht esum die grundsätzliche politische Ausrichtung.

Bei den finanz- und haushaltspolitischen Aussagenkann man dem Bundesfinanzminister an einigenStellen zwar Halbherzigkeit oder Inkonsequenz vor-werfen; aber man kann grundsätzlich nichts dagegensagen, dass die öffentlichen Haushalte saniert wer-

(

(den, wenn man tatsächlich Ausgaben mindert, Sub-ventionen begrenzt und versucht, Mehreinnahmenzu generieren.

Um es vorweg zu sagen: Die Schuldenbremse warund ist alternativlos. Sie ist richtig. Sie steht imGrundgesetz. Ihr Ziel ist es, die Neuverschuldungeinzudämmen.

Das tun wir vor allem deshalb, weil die Zinslast inunseren Haushalten stärker steigt als die übrigenAusgaben – mit Ausnahme der Sozialkosten –, undwir tun es, weil die Zinsen in einigen Ländern undbeim Bund ein solches Ausmaß angenommen haben,dass sie Leistungsverbesserungen oder der Verbesse-rung der lokalen Infrastruktur spürbar entgegenste-hen. Wir verringern die Defizite auch deshalb, weildie Gebietskörperschaften mit einer hohen Grund-verschuldung noch für lange Zeit ein hohes Zinsän-derungsrisiko zu tragen haben, das aus künftig mög-licherweise wieder steigenden Zinsen resultiert.

Die Stellungnahme der Deutschen Bundesbank imlaufenden Gesetzgebungsverfahren finde ich hilf-reich, wenn sie vor einem zu hohen Ausgangswertfür die strukturelle Verschuldung warnt; denn da-durch würde für die nächsten Jahre verfassungs-rechtlich ein zu hoher zulässiger Verschuldungsspiel-raum eröffnet. Das sollten wir in der aktuellenDiskussion über die Abgrenzung von strukturellemund konjunkturellem Defizit berücksichtigen.

So richtig die Schuldenbremse ist, so richtig ist es,dass dem Bund damit besondere Verantwortung auchfür das Funktionieren von Ländern und Kommunenzukommt; denn der Bund hat einerseits mehr Gesetz-gebungskompetenzen erhalten und verfügt anderer-seits über mehr Handlungsspielraum auf der Ein-nahme- und auf der Ausgabenseite.

Das Haushaltsbegleitgesetz ist leider ein Konsoli-dierungsbaustein fast ausschließlich für den Bund.94 % der Haushaltsentlastung fließen ihm zu; dieBrennelementesteuer habe ich noch nicht einmal ein-gerechnet. Der Bund greift sozusagen in den gesamt-wirtschaftlichen Rosinentopf, und für die Haushalteder Länder und Kommunen bleiben magere 6 % üb-rig.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, wirmüssen im gesamtstaatlichen Interesse dazu überge-hen, die Finanzpolitik zwischen dem Bund und denLändern unter Berücksichtigung der Kommunenstärker zu koordinieren und mehr auf das gemein-same Ziel der Sanierung der öffentlichen Haushalteauszurichten. Die Schuldenbremse gilt für alle. Siekann meines Erachtens nur im Zusammenspiel allerstaatlichen Ebenen funktionieren.

Es gibt gute Gründe, weshalb unsere Verfassungdie Gesetzgebungskompetenz für die meisten Finanz-angelegenheiten dem Bund übertragen hat. Deshalbbedarf es einer verantwortungsvollen Politik auf derBundesebene, die ausreichend Stärke besitzt, aus ei-gener politischer Gestaltungskraft die Finanzsitua-tion nicht nur des Bundes, sondern auch die der Län-der und der Kommunen zu verbessern.

350 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Michael Boddenberg (Hessen)

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Der Bund tut mit dem Haushaltsbegleitgesetz lei-

der nur das, was er für seinen eigenen Haushalt zutun hat, und schließt Länder und Kommunen im We-sentlichen aus. Ich möchte das deutlich machen:

Der Bund hätte mit einer angemessen hohenFinanztransaktionssteuer, einer moderaten Einkom-mensteuererhöhung für Menschen mit hohem Ein-kommen oder auch nur mit der Rücknahme der Um-satzsteuerermäßigung für Hoteliers ein politischesSignal geben können. Das hätte die Koalitionsde-batte über niedrigere Steuern oder über denTreppenwitz „Stufenmodell“ der Vergangenheit an-gehören lassen. Das wäre ein vernünftiges gesamt-staatliches Signal gewesen.

Ich kann nur feststellen: Steuerpolitisch befindetsich die Bundesregierung in einer Art Schockstarre.Wir alle wissen, dass für Steuersenkungen keinRaum ist. Dafür gibt es keine Unterstützung in derBevölkerung, aber auch keine Mehrheit im Bundes-rat. Die Bundesregierung müsste mit dieser Situationverantwortungsvoll umgehen. Das kann sie abernicht. Sie schafft es noch nicht einmal, die seit lan-gem versprochene und so wichtige Neuordnung beiden ermäßigten Umsatzsteuersätzen zu realisieren.

Es gibt ein Feld, auf dem es meines Erachtensdem Bund noch gelingen kann, Verantwortung überden eigenen Tellerrand hinaus zu zeigen: die Ge-meindefinanzreform. Wenn es gelingt, die Einnah-mesituation der Kommunen zu verbessern und sievon Sozialkosten zu entlasten, dann können wir wei-terkommen. Darauf sollte die Bundesregierung ih-ren Schwerpunkt legen, nicht aber auf die Abschaf-fung der Gewerbesteuer, die zu einer strukturellenVerschiebung zwischen Ost und West, vor allen Din-gen zu einer Verschiebung zwischen armen und rei-chen Kommunen führen würde.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, das eineist die finanz- und haushaltspolitische Seite. Das an-dere ist die Feststellung, dass die grundsätzliche poli-tische Botschaft des Haushaltsbegleitgesetzes nichtstimmt. Wenn man – richtigerweise – konsolidiert, istPolitik weiterhin in der Lage, auch ohne Zuwächseeigene Schwerpunkte zu setzen; sie ist in der Lage,nachhaltiger zu agieren. Deshalb hängen von der Be-antwortung der Frage, wie – vor allen Dingen: wiefair – wir die notwendige Konsolidierungspolitik ge-stalten, die Durchsetzbarkeit und die Mehrheitsfä-higkeit, aber vor allen Dingen die Glaubwürdigkeitbei den Wählerinnen und Wählern ab.

Der Subventionsabbau ist beispielsweise einThema, von dem ich meine, dass die Bevölkerungdazu eine klare Position einnimmt. Beim Subven-tionsabbau kommt die Bundesregierung im Grundeüberhaupt nicht voran. Aus meiner Sicht gibt es nurzwei mögliche Begründungen für Subventionen: Ent-weder soll, wie bei dem Erneuerbare-Energien-Ge-setz, eine Marktzugangsschranke für neue Produkteüberwunden werden, oder es soll eine Strukturverän-derung, z. B. eine neue Steuer, in ihrer Wirkung ab-gefedert werden. In beiden Fällen müssen Subven-tionen aber zeitlich befristet und mit rückläufigenBeträgen finanziert werden.

(

(Mit dem Haushaltsbegleitgesetz sollen die Ermäßi-

gungen bei der Ökosteuer abgebaut werden, dieschon bei der Einführung nur schwierig zu vermittelnwaren: Ich meine den Steuerrabatt für Vielverbrau-cher. Das ist grundsätzlich ein Schritt in die richtigeRichtung, weil die Anpassungszeit sehr lang war. Ichhoffe nur, dass die bundespolitischen Mehrheiten dasbis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrensdurchhalten.

Ich möchte nicht den Fehler machen, alles inBausch und Bogen zu verdammen. Wenn man ein-zelne Maßnahmen kritisiert, setzt man sich dem Vor-wurf aus, man würdige das Gesamtpaket nicht aus-reichend. Deshalb sage ich: Die Senkung desElterngeldes wäre vielleicht zu rechtfertigen gewe-sen, wenn es auf der anderen Seite Maßnahmen ge-geben hätte, durch die Menschen mit höherem Ein-kommen stärker an der Staatsfinanzierung beteiligtworden wären. Das Problem der Politik der Bundes-regierung ist jedoch, dass ein Großteil der Einzel-maßnahmen entweder nur Menschen mit geringemEinkommen trifft oder dass genau diese Gruppe stär-ker belastet wird.

Die Herausnahme der Hartz-IV-Empfänger aus derRentenversicherungspflicht führt teilweise zu sin-kenden Renten, teilweise – bei Erwerbsgeminderten –auch zu höheren Renten. Eine dahinterstehende Ge-rechtigkeitsüberlegung kann ich leider nicht erken-nen.

Zusammen mit der Verlagerung von einigungsbe-dingten Mehrkosten werden Kosten von 2 MilliardenEuro jährlich auf die Beitragszahler verlagert. Diefür 2014 vorgesehene Senkung des Rentenbeitragsvon 19,9 auf 19,6 % wird nicht stattfinden können.Mit „mehr Netto vom Brutto“ hat das nichts zu tun.Dabei würden untere Einkommen verhältnismäßigstärker von sinkenden Sozialversicherungsbeiträgenprofitieren als höhere Einkommen.

Meines Erachtens wäre es richtig gewesen, in dersteuerpolitischen Diskussion Steuern und Abgabenzusammen zu betrachten und den Anteil steuerfinan-zierter Sozialausgaben zu erhöhen. Die Finanzierungeinigungsbedingter Mehrausgaben durch den Bei-tragszahler – genau das hat die Bundesregierung vor –geht sogar noch hinter die Debatte über versiche-rungsfremde Leistungen zurück.

Darüber hinaus findet teilweise eine Verlagerungvon Kosten des Bundes auf die Länder respektive dieKommunen statt, weil nach den Vorstellungen derBundesregierung mehr Menschen in der Grundsiche-rung landen.

Insgesamt sind die beabsichtigten Änderungen imRentenbereich nicht ausgegoren. Sie weisen auf kei-nen Fall in die Zukunft.

Beim Elterngeld konnten Sie an mehreren Stell-schrauben drehen, aber Sie haben vor allem bei denBeziehern unterer Einkommen gekürzt. Ich nenneals Beispiel das Elterngeld für Hartz-IV-Empfänge-rinnen und die Nichtberücksichtigung von gering-fügigen Beschäftigungen, wovon vor allem Frauenbetroffen sind. Sie hätten stattdessen den Einkom-

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 351

Dr. Ulrich Nußbaum (Berlin)

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menshöchstbetrag vermindern oder sowohl oben alsauch unten etwas wegnehmen können. Aber dieBundesregierung hat sich entschieden, einseitigMenschen mit geringem Einkommen, insbesondereFrauen, etwas wegzunehmen. Das ist eindeutigfalsch.

Beim Wohngeld müsste der Bund endlich einmalsagen, wohin er will. Ziel der Wohngeldnovelle wares doch, eine größere Anzahl von Menschen mitniedrigem Einkommen aus dem Bezug von Arbeitslo-sengeld II herauszubekommen. Die jetzt vorge-sehene Kürzung der Heizkosten läuft dem glatt zu-wider. Ich meine, man sollte sich den Bereich„Finanzierung von Wohnen“ näher, im Detail an-schauen, vor allen Dingen systematischer; denn eshat keinen Sinn, an der einen Stelle zu sparen und ananderer Stelle Mehrkosten zu produzieren, es seidenn, dahinter steht die Zielrichtung, einseitig Kos-ten vom Bund auf die Länder respektive die Kommu-nen verlagern zu wollen. Das müssen wir Länderselbstverständlich ablehnen. Ich glaube auch nicht,dass Sie damit indirekt dem Erfordernis der Zustim-mung des Bundesrates entgehen können.

Ebenfalls auf den Prüfstand muss die Luftverkehrs-steuer. Sie ist in ihrer vorgesehenen Form rechtlichproblematisch. Sie ist aber auch deswegen proble-matisch, weil die Auswirkungen auf Unternehmen,die Passagiere transportieren, und diejenigen, dieLasten transportieren, unterschiedlich sind; denn eswerden nur Passagiere, nicht Lasten besteuert. Dadie Schwerpunkte der Luftverkehrsunternehmenvoneinander abweichen, kann es zu unterschiedli-chen Belastungen und zu Wettbewerbsverzerrungenkommen. Unabhängig davon ist die Besteuerungauch deshalb falsch, weil sie nicht an die Höhe derUmweltbelastung, die ein Flug verursacht, sondernletztlich an einen willkürlichen Zusammenhang an-knüpft. Auch deshalb ist sie nicht zukunftsfähig.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, ichmeine, das Haushaltsbegleitgesetz ist handwerklichmaximal ein Gesellenstück. Auf keinen Fall ist es einMeisterstück. Das eine oder andere wird sich im wei-teren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens viel-leicht noch verbessern lassen. Ich glaube aber nicht,dass sich die von mir dargestellte grundsätzlich fal-sche politische Ausrichtung des Gesetzes weiter kor-rigieren lässt. – Vielen Dank.

Präsident Jens Böhrnsen: Das Wort hat nunStaatsminister Morlok (Sachsen).

Sven Morlok (Sachsen): Herr Präsident! Sehr ge-ehrte Damen und Herren! Die bisherige Diskussionhat gezeigt, dass wir alternativlos vor dem Bemühenstehen, unsere Staatsfinanzen auf den verschiedenenEbenen zu konsolidieren. Wir, der Freistaat Sachsen,haben klare Haushaltsdisziplin zu unserer politi-schen Maxime gemacht. Deswegen unterstützen wirselbstverständlich auch Konsolidierungsbemühun-gen auf der Bundesebene.

(

(Allerdings – das wissen wir auch – kann man eine

Unterdeckung in einem Haushalt über Maßnahmenauf der Einnahmeseite oder über Maßnahmen aufder Ausgabenseite regulieren. Wir hätten uns ge-wünscht, dass die Bundesregierung die Ausgaben-seite etwas stärker unter die Lupe genommen hätte;denn dann hätte man die eine oder andere Maß-nahme auf der Einnahmeseite nicht vorschlagenmüssen.

Kollege Boddenberg hat es bereits angesprochen:Die Wirtschaft muss einen erheblichen Beitrag leis-ten – so die Vorstellung der Bundesregierung –, umdie Einnahmelücke zu schließen. Dies hat natürlichKonsequenzen für den Wirtschaftsstandort und fürden Industriestandort Deutschland. Wir alle gemein-sam – Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat –müssen aufpassen, dass wir den IndustriestandortDeutschland durch die Maßnahmen im Haushaltsbe-gleitgesetz nicht nachhaltig schwächen oder gefähr-den. Letztendlich haben wir unter anderem deswe-gen erhöhte Ausgaben im Sozialbereich, weilArbeitsplätze in Deutschland nicht oder nicht in aus-reichendem Umfang vorhanden sind. Es wäre einefalsche Entwicklung, wenn wir durch Beiträge derWirtschaft, durch eine Belastung der Wirtschaft indi-rekt dafür sorgten, dass wir mehr Arbeitslose unddeswegen auch höhere Sozialausgaben haben. Vondaher müssen wir uns die entsprechenden Belastun-gen der Wirtschaft – ich nenne es bewusst Belastun-gen, nicht Beitrag – sehr sorgsam anschauen.

Einen Punkt möchte ich hervorheben: die Energie-preise. Energiepreise sind wichtige Standortfakto-ren in Deutschland. Die bereits angesprocheneAbsenkung des Spitzenausgleichs könnte dazu füh-ren, dass die Energiekosten in energieintensiven Un-ternehmen um das Siebenfache steigen. Ich denke,man muss niemandem ausführlich erklären, dass diebetroffenen Unternehmen bei einer Steigerung derEnergiekosten um das Siebenfache den StandortDeutschland in Frage stellen würden.

Hier handelt es sich auch nicht um den Abbau ei-ner Subvention, wie es Dr. Nußbaum in den Raumgestellt hat. Wir alle wissen, dass die Strompreisedurch die verschiedenen gesetzlichen Regelungen inDeutschland inzwischen zu politischen Preisen ge-worden sind. Wenn man den Strompreis politischdurch eine Ökosteuer erhöht, dann kann man dieAusnahmeregelungen für die für den Wirtschafts-standort wichtigen energieintensiven Unternehmenschlechterdings als Subventionen brandmarken, son-dern man muss das im Gesamtzusammenhang sehen.

Wir appellieren an die Bundesregierung, sich imRahmen der weiteren Diskussion die verschiedenenRegulierungen noch einmal sehr gründlich anzu-schauen und darüber nachzudenken, welche Auswir-kungen sie auf den Industriestandort Deutschland,auf die Arbeitsplätze in den Industrieunternehmenund somit letztendlich auf die Kosten der Sozialkas-sen haben, die dann entstünden, wenn diese Arbeits-plätze ins Ausland verlagert würden. – Vielen Dank.

352 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Dr. Ulrich Nußbaum (Berlin)

Page 17: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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Präsident Jens Böhrnsen: Das Wort hat nunStaatsminister Dr. Kühl (Rheinland-Pfalz).

Dr. Carsten Kühl (Rheinland-Pfalz): Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! DassBund, Länder und Gemeinden ein gemeinsames Pro-blem haben, ist aus den Beiträgen der Vorrednerschon deutlich geworden. Es heißt Rekordverschul-dung. Sie lässt sich beziffern: Die Neuverschuldungbeträgt in diesem Jahr über alle drei Gebietskörper-schaften rund 100 Milliarden Euro. Sicherlich wird esim nächsten Jahr nicht signifikant weniger werden.

Es gibt eine gemeinsame Ursache für diese beson-ders hohe Verschuldung: die Wirtschafts- undFinanzkrise. Dies kommt in einem massiven Rück-gang des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2009 zumAusdruck, der zur Folge hatte, dass Bund, Länderund Gemeinden – wiederum gemeinsam und nichtohne Erfolg; Ministerpräsident Sellering hat daraufhingewiesen – eine kostenintensive, ausgabeninten-sive, aber auch – im Sinne von Mindereinnahmen –einnahmeintensive Konjunkturpolitik betrieben ha-ben.

Wenn man eine solch anspruchsvolle Konjunktur-politik betreibt und für eine spezielle Situation wiedie Finanzkrise keine Blaupause hat, dann machtman nicht alles richtig. Es ist ein Fehler in diesenKonjunkturprogrammen gemacht worden. Er hatdazu geführt, dass – wie wir heute wissen – drei Vier-tel unserer aktuellen Defizite in den öffentlichenHaushalten dauerhaft oder – in der neuen Terminolo-gie – strukturell sind.

Anders gewendet: Diese Defizite werden nicht ver-schwinden, wenn die wirtschaftliche Erholung, diewir momentan erleben, zu Ende geht, sondern siewerden strukturell in unseren Haushalten erhaltenbleiben. Da nutzt es uns auch nichts, dass wir in die-sem Jahr – wie wir gestern von den Forschungsinsti-tuten gehört haben – mit 3,5 % Wachstum rechnenkönnen.

Der Fehler, der passiert ist, lag auf der Einnahme-seite der Konjunkturpolitik. Er bestand darin, dasswir die 36 Milliarden Euro, die wir mit den Steuer-reformen in den Jahren 2008 und 2010 in Bundestagund Bundesrat beschlossen haben, nicht befristet,sondern zeitlich unbefristet, dauerhaft, nicht reversi-bel etabliert haben.

Nun kann man fragen: Sind 36 Milliarden Euro vielGeld? Das ist ja alles relativ. – Für die Länder undGemeinden war es allein schon deshalb viel Geld,weil ihr Anteil an den Steuermindereinnahmen inHöhe von 36 Milliarden Euro zwei Drittel betrug. Aufdie Länder entfielen rund 12 Milliarden Euro, auf dieKommunen rund 11 Milliarden Euro. Das ist ein deut-lich höherer Anteil, als Länder und Gemeinden amGesamtsteueraufkommen haben.

Ich kann das am Beispiel des Landes Rheinland-Pfalz verdeutlichen: Das Land hat durch diese Steu-erreformen dauerhaft 580 Millionen Euro Steuer-mindereinnahmen zu verzeichnen. Das ist so viel,wie wir für den gesamten Bereich der Polizei ausge-ben.

(

(36 Milliarden Euro sind deutlich mehr als das, was

in den drei Steuerreformen zwischen 2001 und 2005an Mindereinnahmen entstanden ist. Damals warenes 32 Milliarden Euro. Als die Auswirkungen dieserMindereinnahmen in 2005 deutlich wurden, kam diedamalige große Koalition zu der Erkenntnis, dass dieSteuerquote von 20,2 %, die daraus resultierte, einefinanzielle Schieflage von Bund, Ländern und Ge-meinden bedeutet und man gegensteuern muss. DasGegensteuern bestand in einer Erhöhung der Mehr-wertsteuer um 3 Prozentpunkte mit dem Ergebnis,dass man dann auf eine Steuerquote von 22,5 % ge-kommen ist.

Heute, nach den Steuerreformen 2008 und 2010,liegt die Steuerquote wieder bei 20,5 %. Das ist maß-geblich durch die von mir eingangs erwähnten36 Milliarden Euro bedingt, die wir zeitlich unbefris-tet, also dauerhaft, und ohne Gegenfinanzierung,beispielsweise bei den Krankenversicherungskos-ten, im Zuge der Konjunkturpolitik etabliert haben.

Wie hat die Bundesregierung mit ihrem Haushalt2011 und dem Haushaltsbegleitgesetz darauf rea-giert? Meines Erachtens zunächst durchaus vernünf-tig und nachvollziehbar. Sie ist nämlich beide Seitenangegangen: Sie hat die Ausgaben gesenkt, und siehat die Einnahmen erhöht. Die Einnahmeerhö-hungen machen sogar fast 50 % ihres gesamten Kon-solidierungsvolumens aus. Das ist grundsätzlichverständlich; denn konsolidieren heißt entwederAusgaben senken oder Einnahmen erhöhen. Das isttendenziell, vom Grundsatz her, vernünftig; denn wirwissen, dass von der Ausgabenseite her immer dieje-nigen durch den Staat stärker begünstigt sind, dieniedrige Einkommen beziehen, während durch dasSteuersystem eher diejenigen herangezogen werden,die höhere Einkommen beziehen. Vom Grundsatzher entstünde dadurch – ich benutze bewusst denKonjunktiv – ein sozialer Ausgleich.

Auf der Ausgabenseite müssen auf allen Ebenender Gebietskörperschaften die Hausaufgaben ge-macht werden. Es muss darauf geachtet werden, dassEffizienzpotenziale gehoben werden. Solche habenwir alle; da müssen wir uns nichts vormachen. Nie-mand von uns kann behaupten, wir könnten nichtmehr sparen, wir seien auf der Ausgabenseite an derGrenze. Wir müssen gucken, dass es einigermaßenvernünftig und sozial gerecht zugeht. Das ist bei denvon der Bundesregierung geplanten Ausgabenkür-zungen nicht an allen Stellen der Fall; da teile ichdurchaus die Meinung meiner Vorredner, Minister-präsident Sellering und Herrn Kollegen Nußbaum.

Auf der Einnahmeseite – darüber will ich heute re-den – hat der Bund besondere Verantwortung; dennauf der Einnahmeseite können Länder und Gemein-den ohne den Bund, ohne den Bundestag und ohnedie Bundesregierung, nicht handeln. Die Länder ha-ben – außer im Bereich der Grunderwerbsteuer –keine Möglichkeit, ihre Steuereinnahmen autonomfestzusetzen. Hier gibt es eine Gestaltungsverant-wortung des Bundes; Kollege Nußbaum hat daraufhingewiesen. Deswegen hat der Bund an dieserStelle besondere Verantwortung.

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 353

Page 18: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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Sie tun mit Ihren steuer- und abgabenpolitischen

Maßnahmen, die Sie im Rahmen des Haushaltsbe-gleitgesetzes treffen, drei Dinge, die mir und derRheinland-Pfälzischen Landesregierung missfallen.Sie handeln auf der Abgabenseite verteilungspoli-tisch unausgewogen. Sie handeln so, dass es eineLastverschiebung vom Bund hin zu den Ländern undGemeinden gibt. Und – das ist mein wichtigsterPunkt – Sie nehmen Ihre gesamtstaatliche Verant-wortung für den Konsolidierungsprozess nicht wahr,indem Sie einseitig für sich Abgaben reklamieren.

Lassen Sie mich zu den drei Punkten kurz etwassagen, zunächst zu den verteilungspolitischen Aus-wirkungen.

Sie erheben neue indirekte Abgaben, wie die Luft-verkehrsabgabe, die Brennelementeabgabe. DasÖkosteuerprivileg soll wegfallen; wenn das nichtkommt – dem BDI wurde schon in Aussicht gestellt,dass es nicht wegfällt –, dann wird die Alternativewahrscheinlich eine Erhöhung der Tabaksteuer sein.Alle diese Abgaben – auch die Alternative Erhöhungder Tabaksteuer – haben eines gemeinsam: Es sindindirekte Abgaben. Sie setzen beim Verbrauch, beimKonsum, oder beim Wareneinsatz von Unternehmenan und wirken damit, wenn es auf die Preise über-wälzt wird, regressiv. Das geht stärker zu Lasten derBezieher von niedrigen Einkommen.

Sie tun ein Zweites: Sie erhöhen Sozialversi-cherungsbeiträge, Arbeitslosenversicherungsbeiträge,Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, per-spektivisch wahrscheinlich auch Rentenversicherungs-beiträge, möglicherweise infolge der Streichung derRentenversicherungsbeiträge für die ALG-II-Emp-fänger.

Nun könnte man meinen, dass es bei den Sozial-versicherungsbeiträgen sozial etwas ausgewogenerzugeht, weil sie wie die Einkommensteuer am Ein-kommen ansetzen. Aber im Gegensatz zur Einkom-mensteuer haben Sie hier keinen progressiven Tarif,sondern einen proportionalen. Sie kennen keinenGrundfreibetrag für die Bezieher niedrigster Einkom-men, und Sie haben eine Beitragsbemessungsgrenze,die die höchsten Einkommen schont.

Lastverschiebung auf Länder und Gemeinden: So-weit indirekte Abgaben nicht überwälzt werden undArbeitgeberanteile an Sozialversicherungen erhöhtwerden, gehen sie als Betriebsausgaben in die Rech-nungen der Unternehmen ein und führen zu einerMinderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage,und zwar genau der Ertragsteuern – Einkommen-steuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer –, an de-nen Länder und Gemeinden partizipieren. Ich findees deswegen – ich drücke mich vorsichtig aus – aus-gesprochen ungewöhnlich, dass Sie in Ihrem Haus-haltsbegleitgesetz unter „Finanzielle Auswirkungen“sagen, dass 200 bis 300 Millionen Euro Mehreinnah-men der Länder zu erwarten seien, aber diese Sekun-därwirkungen, die sich je nach Überwälzung auf biszu 900 Millionen Euro beziffern lassen, völlig negie-ren.

(

(Der letzte und für mich wichtigste Punkt ist, dass

die Bundesregierung ihrer besonderen Verantwortungfür den gesamtstaatlichen Konsolidierungsprozessdurch ihre Politik auf der Steuer- und Einnahmeseitenicht gerecht wird. Das staatliche Einnahmepotenzialist begrenzt. Das heißt, der Staat kann nicht beliebigauf das zugreifen, was privat erwirtschaftet und überSteuern für staatliche Leistungen abgeschöpft wird.Aber – ich habe es bereits gesagt – ohne den Bundsind die Länder handlungsunfähig. Es kann nichtsein, dass Länder und Gemeinden, die an den Steu-ermindereinnahmen auf Grund von Maßnahmen zurBewältigung der Krise überproportional beteiligtworden sind, jetzt, da es um die Refinanzierung, umdie Bewältigung der Krise und die Einhaltung derSchuldenbremse geht, von der Bundesregierung völ-lig außen vor gelassen werden.

Letzten Endes können auch die Steuertraumata,die die Bundesregierung im ersten Jahr ihrer Regie-rungszeit erlebt hat, kein vernünftiger Grund sein,sie aus der Verantwortung zu entlassen, ein vernünf-tiges, bundesstaatlich ausgewogenes und solidari-sches Steuerkonzept vorzulegen. Solange das nichtgeschieht, kann die Rheinland-Pfälzische Landesre-gierung dem Haushalt 2011 und dem Haushaltsbe-gleitgesetz nicht zustimmen.

Präsident Jens Böhrnsen: Das Wort hat Parlamen-tarischer Staatssekretär Koschyk (Bundesministeriumder Finanzen).

Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister der Finanzen: Herr Präsident! VerehrteMitglieder des Bundesrates! Der Bundeshaushalt2011 ist die endgültige Wende von einer expansiven,konjunkturstützenden Haushaltspolitik hin zu einernachhaltigen und maßvollen Konsolidierung. In die-sem Kurs fühlt sich die Bundesregierung geradedurch das Herbstgutachten der führenden Wirt-schaftsforschungsinstitute klar bestätigt.

Bereits in seinen Empfehlungen zum Bundeshaus-halt hat der Bundesrat die Konsolidierungsanstren-gungen des Bundes begrüßt. Mit dem Anfang Junibeschlossenen Zukunftspaket hat die Bundesregie-rung mit einem Konsolidierungsvolumen von 80 Mil-liarden Euro für den neuen Finanzplan bis 2014 kon-krete Maßnahmen in Angriff genommen. Der Bundwird damit seine Neuverschuldung in den nächstenJahren im Einklang mit der gemeinsam auf den Weggebrachten Schuldenbremse und den europäischenVorgaben Schritt für Schritt zurückführen.

Wir haben uns mit dem Zukunftspaket viel vorge-nommen. Eines ist klar: Alle Politikbereiche müssenihren Beitrag leisten. Wir sparen beim Staat selbst,beim Bund und bei der Bundesverwaltung, wir er-warten aber auch von der Wirtschaft und von denBürgern Konsolidierungsbeiträge. Unser Leitgedankefür die Wahl der getroffenen Maßnahmen ist: Wo sindEinsparungen und Verbesserungen der Einnahmenmöglich, ohne Wachstumspotenziale und ohne diesoziale Balance zu gefährden?

354 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Dr. Carsten Kühl (Rheinland-Pfalz)

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Der größere Teil des Konsolidierungsvolumens

wird auf der Ausgabenseite erbracht. Hierbei ist imÜbrigen die Struktur des Bundeshaushalts zu be-rücksichtigen: Weit über 50 % der Ausgaben desBundes erfolgen für Sozial- und Familienleistungen.Damit liegt auf der Hand, dass gerade in diesem Be-reich Einsparungen vorgenommen werden müssen.

Aber die Kürzungen hier erfolgen unter dem Blick-winkel von möglichen Effizienzgewinnen und größt-möglicher Sozialverträglichkeit. Wir haben uns be-wusst auf Fehlanreize konzentriert, die für dieBetroffenen mit einer Reihe staatlicher Transfers ein-hergehen. Der Gedanke des Forderns und Fördernsim Sinne eines aktivierenden Sozialstaates bleibt da-bei unsere Leitlinie. Soziale Leistungen, die wedervor existenziellen sozialen Bedrohungen schützennoch soziale Aufstiegschancen eröffnen, müssen inihrem Sinn hinterfragt werden.

Etwa 40 % des Konsolidierungspaketes wollen wirdurch Einnahmeverbesserungen erbringen. Dabeihaben wir uns bewusst dafür entschieden, dass einwesentlicher Teil der einnahmeverbessernden Maß-nahmen auch aus Gründen einer nachhaltigen ökolo-gischen Verantwortung aus dem Bereich der Ener-giebesteuerung kommt.

Inzwischen wissen wir, dass die Konjunktur besserläuft, als noch vor einigen Monaten erwartet werdenkonnte. Im Vollzug des Bundeshaushalts 2010 wer-den sich wesentliche Einsparungen bzw. Einnahme-verbesserungen ergeben. Die Nettokreditaufnahmewird voraussichtlich mehr als 20 Milliarden Euro un-ter der geplanten Größe in Höhe von 80,2 MilliardenEuro liegen.

Manche meinen, auf Grund dieser Verbesserungenkönnte man bei den Konsolidierungsbemühungenlockerer lassen. Aber selbst wenn wir bei einer Net-tokreditaufnahme von deutlich unter 60 MilliardenEuro Ende dieses Jahres landen, ist das immer nochdie höchste Nettokreditaufnahme des Bundes allerZeiten! Das heißt, wir haben dann nicht mehr Geldzur Verfügung, sondern nur einige Milliarden Euroweniger Schulden als befürchtet.

Die hohen Anforderungen aus der Schulden-bremse und aus dem europäischen Stabilitäts- undWachstumspakt bleiben damit gleichwohl bestehen.Deren Einhaltung ist alternativlos und erfordert nachwie vor extreme Anstrengungen unseres gesamtenLandes. Die Einhaltung dieser Regeln ist kein Selbst-zweck, sondern Mittel zum Zweck: Es geht um einenachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik und umlangfristig tragfähige Finanzen. Nur so können wirdas in der Krise erschütterte Vertrauen in die Leis-tungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, aber auch indie Handlungsfähigkeit des Staates zurückgewinnenund wieder festigen.

Es geht auch um unsere Glaubwürdigkeit im inter-nationalen Kontext. Deutschland muss in Europa mitgutem Beispiel vorangehen. Wir sind und bleiben derStabilitätsanker der Währungsunion. Für uns Deut-sche hat die Stabilität der Währung ganz besondereBedeutung. Wir haben den Euro eingeführt mit dem

(

(Versprechen, dass er so stabil sein wird, wie es die D-Mark war. Deshalb treten wir auf europäischer Ebenein den aktuellen Gesprächen über die Reform desStabilitäts- und Wachstumspakts und den Ausbauder wirtschaftspolitischen Koordinierung mit hohenAnsprüchen an. Um unsere Stabilitätskultur nach Eu-ropa zu „exportieren“, muss Deutschland selbst mitgutem Beispiel vorangehen. Nur dann können wirähnliche Anstrengungen auch von den anderen Mit-gliedstaaten der Europäischen Union verlangen.

Übrigens: Die verbesserte Wirtschaftslage habenwir nicht benutzt, um die Konsolidierungsschrittenoch einmal zu verschärfen. Das heißt, der struktu-relle Abbaupfad nach der Schuldenbremse, den wirmit dem Kabinettsbeschluss zum Regierungsent-wurf 2011 zugrunde gelegt haben, wurde nicht an-gepasst.

Der Bundeshaushalt 2011 und die mittelfristige Fi-nanzplanung im Verbund mit dem Haushaltsbegleit-gesetz sind Ausweis des ernsthaften Konsolidie-rungswillens der Bundesregierung. Damit schaffenwir die Voraussetzungen für die Erreichung zweierentscheidender Zielmarken: erstens der Befolgungder Schuldenregel gemäß Artikel 115 des Grundge-setzes und zweitens der Einhaltung des 3-%-Defizit-ziels des europäischen Stabilitäts- und Wachstums-pakts bis 2013.

Deswegen lautet mein Appell zum Schluss: Jederkonstruktive Vorschlag des Bundesrates zum Haus-haltsbegleitgesetz wird von der Bundesregierungpositiv begleitet. Aber die Architektur dieses Haus-halts muss bestehen bleiben. Das Konsolidierungs-volumen muss erbracht werden; sinnvolle Alterna-tiven können also nur solche sein, die diesesnotwendige Volumen nicht in Frage stellen. – Herz-lichen Dank.

Präsident Jens Böhrnsen: Vielen Dank!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – EineErklärung zu Protokoll*) hat Frau Senatorin Bluhm(Berlin) abgegeben.

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Ab-stimmung über die Ausschussempfehlungen und diebeiden Mehr-Länder-Anträge.

Zunächst rufe ich den 5-Länder-Antrag in Drucksa-che 532/2/10 auf. Wer ist dafür? – Das ist eine Min-derheit.

Wir kommen nun zu den Ausschussempfehlungen.Zur Einzelabstimmung rufe ich auf:

Ziffer 1! – Mehrheit.

Ziffer 2! – Minderheit.

Ziffer 4! – Mehrheit.

Ziffer 5! – Minderheit.

Ziffer 6! – Mehrheit.

*) Anlage 3

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 355

Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk

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Ziffer 7! – Mehrheit.

Ziffer 8! – Minderheit.

Ziffer 9! – Minderheit.

Wir kommen zu dem 3-Länder-Antrag in Drucksa-che 532/3/10. Bitte Ihr Handzeichen! – Das ist eineMinderheit.

Ziffer 10! – Minderheit.

Ziffer 11! – Minderheit.

Ziffer 12! – Minderheit.

Ziffer 13! – Mehrheit.

Ziffer 14! – Minderheit.

Ziffer 15! – Minderheit.

Ziffer 16! – Minderheit.

Ziffer 17! – Minderheit.

Ziffer 18! – Minderheit.

Ziffer 19! – Minderheit.

Ziffer 20! – Minderheit.

Ziffer 21! – Minderheit.

Ziffer 22! – Minderheit.

Ziffer 23! – Mehrheit.

Ziffer 24! – Minderheit.

Ziffer 25! – Minderheit.

Ziffer 26! – Minderheit.

Ziffer 27! – Minderheit.

Ziffer 28! – Mehrheit.

Ziffer 29! – Mehrheit.

Ziffer 31! – Mehrheit.

Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigtenZiffern der Ausschussdrucksache! – Das ist die Mehr-heit.

Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellunggenommen.

Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:

Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen undsozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetz-lichen Krankenversicherung (GKV-Finanzie-rungsgesetz – GKV-FinG) (Drucksache 581/10)

Zunächst hat Frau Staatsministerin Dreyer (Rhein-land-Pfalz) das Wort.

Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz): Herr Präsident!Meine sehr verehrten Herren und Damen! Der vorlie-gende Gesetzentwurf zur Finanzierung der gesetz-lichen Krankenversicherung ist nicht nur ent-täuschend, er ist der Versuch, die Bürger undBürgerinnen über die wahren Absichten der Regie-rungskoalition zu täuschen. Mit wohlklingendenWorten wie „nachhaltig“ und „sozial ausgewogen“wird verschleiert, dass die Reform zu Lasten der

(

(Menschen mit kleinen und mittleren Einkommengeht, dass sie kurzsichtig ist und dass das solidari-sche Gesundheitssystem letztlich an die Wand gefah-ren werden soll. Sie ist das krasse Gegenteil vonnachhaltig und sozial ausgewogen.

Sie überzeugt auch in der Regierungskoalition nie-manden so richtig. Allein um die Koalition über dieRunden zu retten, wurde dieser Kompromiss gezim-mert. Sie ist ein weiterer Angriff auf den Sozialstaat.Zugleich setzt die Bundesregierung ihre bisherigeKlientelpolitik fort.

Neben der Einführung der Kopfpauschale enthältder Gesetzentwurf fantasielose Kostendämpfungs-maßnahmen. Einem Interview von November 2009zufolge sagte Bundesminister Rösler: „Was wir bisheran Gesundheitsreformen erlebt haben, egal von wel-cher Partei, waren im Wesentlichen Kostendämp-fungsreformen, die nie lange wirkten. So geht esnicht weiter.“

Dabei übersieht der Bundesgesundheitsminister,dass mit Gesundheitsministerin Ulla S c h m i d tKostendämpfungsmaßnahmen immer auch mit struk-turellen Reformen verbunden waren, um die gesund-heitliche Versorgung weiterzuentwickeln. Ich nennenur das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, dieÜbertragung des Morbiditätsrisikos auf die Kranken-kassen, die Veränderungen der Strukturen der Kran-kenkassen.

Der Gesetzentwurf lässt nicht nur sinnvolle Struk-turmaßnahmen vermissen, die über mehr Effizienz zuEinsparungen führen könnten, er setzt Kostendämp-fung ohne Rücksicht auf Verluste um. Die Leidtra-genden werden z. B. die Beschäftigten in den Kran-kenhäusern und damit zwangsläufig Patienten undPatientinnen sein.

Noch im März 2010 hielt Minister Rösler auch eineErhöhung des Beitragssatzes für fatal. Heute wun-dert er sich darüber, dass selbst die Arbeitgeber, dieletztlich die Hauptprofiteure der Reform sind, zu denlautesten Kritikern des Gesetzentwurfs gehören. EineBeitragssatzerhöhung – das sei klargestellt – ist im-mer noch das kleinere Übel gegenüber dem, was dieRegierungskoalition langfristig vorhat.

Viel schlimmer ist die Umstellung der Finanzierungauf eine unsolidarische Kopfpauschale, die mitdieser Reform eingeführt werden soll. Meine sehrverehrten Herren und Damen, das ist ein System-wechsel, der sich gegen die Versicherten in der ge-setzlichen Krankenversicherung richtet. Er solldurchgezogen werden, obwohl unser solidarischesKrankenversicherungssystem vielen Ländern als Vor-bild dient, bei den Bürgern und Bürgerinnen auf sehrhohe Akzeptanz stößt und einen wichtigen Beitragzur gesellschaftlichen Stabilität leistet, was dieFinanz- und Wirtschaftskrise gerade wieder gezeigthat.

Schöngeredet wird der Systemwechsel durch densogenannten Sozialausgleich, der im Gesetzentwurfüber mehrere Seiten geregelt wird. Er soll angeblichmehr Gerechtigkeit bringen und automatisiert erfol-gen. In Wahrheit wird er seinem Namen nicht ge-

356 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Präsident Jens Böhrnsen

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recht, er ist eine Mogelpackung. Die Gründe sind un-ter anderen folgende:

Bis zu einer Belastung von 2 % des Einkommens istkein Ausgleich vorgesehen. Das führt in den nächs-ten Jahren zu einer extremen Mehrbelastung vonMenschen mit geringem Einkommen. Es wird zu ei-ner Umverteilung von unten nach oben kommen.„Mehr Netto vom Brutto“ rückt vor allem für Bezie-her geringer und mittlerer Einkommen in weiteFerne.

Bis zum Jahr 2014 soll der Sozialausgleich aus derLiquiditätsreserve des Gesundheitsfonds gespeistwerden, also keinesfalls grundsätzlich aus Steuergel-dern.

Die weitere Finanzierung des Sozialausgleichs ab2015 steht in den Sternen, jedenfalls nicht im Gesetz-entwurf.

Kapital- und Mieteinkünfte bleiben bei der Be-rechnung außen vor. Die versprochene Gerechtigkeitbleibt auch hier auf der Strecke.

Entgegen der Ankündigung des Gesundheitsminis-ters kann das Ausgleichsverfahren in vielen Fällennicht automatisiert durchgeführt werden. BestimmtePersonengruppen müssen ein Antragsverfahrendurchlaufen. Kaum eine Institution wird nicht von zu-sätzlicher Bürokratie betroffen sein. Und dabei istdie FDP mit dem Anspruch angetreten, im Gesund-heitswesen Bürokratie abzubauen!

Fazit:

Ich halte das „Herzstück“ der Rösler-Reform füreher absurd. Sozial ist dieser Ausgleich auf keinenFall.

( V o r s i t z : Vizepräsidentin Hannelore Kraft)

Während es für die gesetzlich Versicherten nur bit-tere Pillen gibt, die durch den Sozialausgleich keinbisschen schmackhafter werden, werden an die pri-vate Krankenversicherung Geschenke verteilt. An-statt die überkommene Trennung zwischen gesetzli-cher und privater Krankenversicherung aufzuhebenund ein einheitliches Solidarsystem zu schaffen, wirdnicht nur die Trennung zementiert, durch erleichterteWechselmöglichkeiten für Gutverdiener werden derGKV in den nächsten Jahren sogar Mittel in Milliar-denhöhe zu Gunsten der privaten Krankenversiche-rung entzogen. Wen wundert‘s! Der Einsatz für eine„starke private Krankenversicherung“ entsprichtder Beschlusslage der FDP. Eine starke GKV ist ganzoffensichtlich nicht wichtig, vielleicht gar nicht ge-wollt, obwohl die überwiegende Mehrheit der Bürgerund Bürgerinnen dort versichert ist.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Herren undDamen, wir brauchen nicht weniger, sondern mehrSolidarität im Gesundheitswesen. Wir brauchen einePolitik für die Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen,nicht gegen sie. Rheinland-Pfalz lehnt den vorliegen-den Entwurf eines GKV-Finanzierungsgesetzes ab.Die Gründe enthält der Plenarantrag der SPD-ge-führten Länder. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-samkeit.

(

(Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Nächste Rednerinist Frau Ministerin Dr. Stolz (Baden-Württemberg).

Dr. Monika Stolz (Baden-Württemberg): Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!Wie über jede vorherige wird auch über die anste-hende Gesundheitsreform diskutiert. Salopp gesagt,wird über sie geschimpft. Die große Zahl der einge-brachten Anträge zeigt, dass viele unzufrieden sind.Ich meine, wenn ein Spargesetz beschlossen werdensoll, das viele durch Einschnitte trifft, liegt das in derNatur der Sache. Es ist schwierig in der Politik, wennes ums Sparen geht.

Bevor ich auf den Plenarantrag Baden-Württem-bergs eingehe, der das Ziel des Gesetzentwurfs un-terstützt, möchte ich betonen, dass die Reform unbe-dingt notwendig ist. Auch der gewählte Weg, dieLast von etwa 10 Milliarden Euro Defizit der gesetzli-chen Krankenversicherung auf viele Schultern zuverteilen, ist richtig. Um es klar und deutlich zu sa-gen: Baden-Württemberg steht zu der Zielrichtungdes Gesetzentwurfs der Bundesregierung und trägtihn daher in seinen wesentlichen Punkten mit.

Ich möchte nur auf ein Element des Gesetzespaketseingehen: die hausarztzentrierte Versorgung.

Ich halte den Ansatz der Bundesregierung für rich-tig, die hausarztzentrierte Versorgung, die ein nochrecht junges Vertragsinstrument im SGB V ist, stär-ker am Wirtschaftlichkeitsgebot und der Beitrags-satzstabilität auszurichten. Allerdings muss denVertragspartnern ein gewisser – auch finanzieller –Handlungsspielraum belassen werden. Nur so kön-nen diese Verträge ihren Sinn erfüllen, neue, effi-ziente Versorgungsstrukturen auszubilden. In derBilanz muss sich das natürlich rechnen, sonst klapptes auch praktisch nicht.

Unseres Erachtens sollte der Gesetzentwurf an die-ser Stelle nachjustiert werden. Wir haben dazu einenPlenarantrag vorgelegt. Wir wollen erreichen, dassdie Vertragspartner die Freiheit haben, Vergütungs-regelungen zu treffen, die über das Niveau der Ver-gütung in der Regelversorgung hinausgehen, undzwar dann – das ist der entscheidende Punkt –, wenndiese höheren Vergütungen durch Einsparungenoder Effizienzsteigerungen im Vertragssystem selbsterwirtschaftet werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Ba-den-Württemberg nimmt mehr als eine Million Versi-cherte an der hausarztzentrierten Versorgung teil.Auch viele Hausärzte haben sich in die Verträge ein-geschrieben, weil sie attraktiv für Arzt und Patientsind. Das ist einerseits ein großer Erfolg für dieseVertragsform, andererseits muss darauf geachtetwerden, dass die gesetzliche Krankenversicherungdadurch nicht über Gebühr belastet wird. Aus derSicht Baden-Württembergs galt das in § 12 SGB Vallgemein verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot auchfür die Verträge der hausarztzentrierten Versorgung.Deshalb hat die Aufsicht über die bei uns im Landansässigen Krankenkassen darauf geachtet, dass sicherhöhte Vergütungen im Rahmen der Verträge refi-

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 357

Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz)

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nanzieren. Mit dieser Praxis sind alle Beteiligten imLand zufrieden. Wenn sich letztlich z. B. durch dieVerschreibepraxis von Arzneimitteln oder, was wich-tig ist, die bessere Steuerung chronisch Krankerdurch das Versorgungslabyrinth Kosten sparen las-sen, lohnt sich die hausarztzentrierte Versorgung fürdie Versicherten, für die Ärzte und für die Kranken-kassen.

Ich war durchaus skeptisch, als die Krankenkassenverpflichtet wurden, ihren Versicherten Verträge zurhausarztzentrierten Versorgung anzubieten. Es gibthier in der Tat noch viele Unsicherheiten und Bau-stellen. Auch die Schnittstellen der Verträge zu unse-rem Regelleistungssystem bedürfen noch der Abstim-mung; da muss noch viel geklärt werden. Dennochhaben uns die Vertragspartner gezeigt, dass sie, aus-gehend vom Hausarzt als Lotsen, die Verträge inner-halb kurzer Zeit mit Leben erfüllt haben. Sie sindinnovative Wege gegangen, die zukunftsweisendsein können. Etwa die Sicherstellung der ambulantenärztlichen Versorgung ist derzeit ein Megathema, umdas wir uns dringend kümmern müssen. Hier brauchtes Vordenker, das ist sicher.

Die Vertragspartner haben viel Mut bewiesen, indie hausarztzentrierte Versorgung Geld, Mühe undZeit zu investieren. Deshalb plädiere ich über die an-gesprochene Regelung hinaus dafür, abweichendvom Gesetzentwurf der Bundesregierung den Ver-trauensschutz bis Ende des Jahres 2014 zu verlän-gern. Nach Ablauf von drei Jahren ist eine Evaluie-rung der Verträge geplant. Dies sollte abgewartetwerden, bevor wir in die Inhalte der geschlossenenVerträge eingreifen. Das verschafft auch Verträgen,die nicht nach baden-württembergischen Maßstäbengeprüft wurden, die erforderliche Zeit, um sich zu be-weisen.

Ich bin der Überzeugung, dass dieser Weg richtigist, dass wir keinen Zickzackkurs fahren dürfen. Ichbitte Sie daher um Unterstützung unseres Antragsund danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Das Wort hatHerr Staatsminister Dr. Söder (Bayern).

Dr. Markus Söder (Bayern): Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol-legen! Gesundheitspolitik ist eine der großenHerausforderungen der Zukunft. In einer älter wer-denden Gesellschaft ist Gesundheit die Frageschlechthin.

Gesundheit bedeutet nicht in erster Linie die Fi-nanzierung von Skalpellen, Technik oder Compu-tern. Die menschliche Beziehung muss im Mittel-punkt stehen.

Gesundheit ist Vertrauenssache. Das spiegelt sichfür die Mehrzahl der Menschen im Kontakt zu ihremArzt wider. Der Arzt ist derjenige, bei dem sich derPatient durch das Gespräch, durch die Behandlungaufgehoben fühlt, der ihm weiterhilft, dem er Ver-trauen in die Entwicklung schenkt. Deswegen ist esfür uns sehr wichtig, dass der Arzt – auch der nieder-

(

(gelassene, der vor Ort Kontakt zum Patienten hat –bei der Gesundheitsreform gestärkt wird. Das bedeu-tet auch eine Stärkung des freien Berufes.

Der Freistaat Bayern hat in mehrerlei Hinsicht Be-denken und Sorgen: Auch die Patienten in Bayernzahlen ihre Beiträge, ab dem 1. Januar höhere. Wirhalten das insgesamt wie den Großteil der Reform fürgerechtfertigt. Wir sind der festen Überzeugung,Frau Kollegin Dreyer, dass der Zusatzbeitrag als sol-cher keine Kopfpauschale ist. Der Zusatzbeitragwurde von Ulla Schmidt eingeführt. Ulla Schmidt alsMutter der Kopfpauschale zu bezeichnen wäre si-cherlich eine unzulässige Verkürzung. Der heutigeZusatzbeitrag ist keine Kopfpauschale.

Wir wollen, dass auch die bayerischen Patienten,deren Beiträge steigen, an der Leistung partizipierenkönnen. Was heißt das? Im Jahr 2009 flossen1,66 Milliarden Euro aus unserem Bundesland imRahmen der Solidarität in andere Länder. Das akzep-tieren wir. Die Frage ist – das betrifft die anstehendeEntscheidung –: Warum liegen wir, obwohl wir stei-gende Praxiskosten haben, gerade in den Hochleis-tungs- und Hochpreisregionen wie München, imbundesweiten Honorardurchschnitt nur auf Platz 11?Wir liegen deutlich unterhalb des Durchschnitts vie-ler anderer Bundesländer. Ist eine Beitragssatzsteige-rung auf Grund der neuen Strukturen und Steuerun-gen angemessen, wenn wir befürchten müssen, dassdurch die Verteilung der Honorare beim Patientendeutlich weniger ankommt? Diese Sorge ist derGrund für unsere Anträge.

Sie betrifft zum Ersten unsere Fachärzte. Die am-bulante Versorgung in unserem Bundesland ist ge-wachsen, sie ist gut und hat sehr viel mit Leistung vorOrt zu tun. Das führt übrigens auch zu Kosteneinspa-rungen. Viele ambulante Leistungen sind deutlichkostengünstiger, sie sparen dem System Geld, sindvertrauenswürdiger und patientenbezogener alsmanche stationäre Leistung. Unsere Fachärzte sind inSorge, dass sie bei einer neuen asymmetrischen Ho-norarverteilung nicht mehr die Leistungen erbringenkönnen, die sie auf Grund des technischen Fort-schritts erbringen könnten, weil die finanzielleGrundlage fehlt.

Wir halten eine lineare Berechnung für besser;denn „linear“ heißt pro Versicherten. Wie soll mandem Beitragszahler und Patienten erklären, dass dieHonorarverteilung auf Dauer nicht an ihm orientiertwird, sondern an anderen Gegebenheiten? Deswe-gen plädieren wir sehr dafür, grundlegend über dasSystem der asymmetrischen Verteilung nachzuden-ken und anzuerkennen, dass die Praxiskosten inMünchen anders sind als in anderen RegionenDeutschlands. Dies muss sich in einem angemesse-nen, vernünftigen Verhältnis bewegen.

Unser Vertrauen in den Bewertungsausschuss, derauf Dauer allein über die Honorarverteilung ent-scheiden soll, ist nicht so ausgeprägt, als dass wir ihmdiese Verantwortung übertragen wollten. Bei demgesamten Thema „Asymmetrie der Verteilung“ gehtes um gerechte Behandlung. Wir sind für Solidaritätim Gesundheitswesen, das kann niemand bestreiten.

358 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Dr. Monika Stolz (Baden-Württemberg)

Page 23: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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1,6 Milliarden Euro sind eine deutliche Zahl. Derfreie Beruf muss in der fachärztlichen Entwicklungaber weiterhin eine Perspektive haben.

Zweitens knüpfe ich an Frau Stolz an, die dasGanze sehr gut beschrieben hat. Der erste Ansprech-partner in der Gesundheitsversorgung vor allem imländlichen Raum, nicht in den Hochpreisregionen,sind die Hausärzte. Sie haben ein langjährig gewach-senes Vertrauensverhältnis zu den Patienten, sie ken-nen sie am besten und sind letztlich Wegweiser imGesundheitsbereich. Deswegen ist die Einführungder Hausarztverträge gemäß § 73b ein schlüssiges In-strument.

Gerade bei Hausärzten verspüren wir in den letz-ten Jahren evidenten Nachwuchsmangel. Ich selbsthabe vor einigen Monaten mit jungen Studenten undStudentinnen an der LMU diskutiert. Der Beruf desHausarztes erhält in den Rankings der Gesundheits-prüfer mit Abstand die „skeptischste“ Beurteilung imHinblick auf die Perspektive. Dies spielt in den länd-lichen Räumen nicht nur in Bayern, sondern auch invielen anderen Regionen eine extreme Rolle. Gehtder Arzt, verliert das Dorf. Gibt es keinen Ansprech-partner vor Ort mehr, haben junge Familien, aberauch ältere Menschen erhebliche Probleme in derVersorgung.

Das Instrument Hausarztvertrag soll helfen, dieländlichen Räume attraktiv für den ärztlichen Nach-wuchs zu machen. Da es, wie Frau Stolz sagte, einnoch junges Instrument ist, müssen wir ihm eine Be-währungschance geben. Wir in Bayern haben hervor-ragende Erfahrungen damit gemacht und plädierennachdrücklich dafür, es zu verlängern und zu stärken;denn die hausärztliche Versorgung ist auf Dauer eineelementare Frage der Daseinsvorsorge.

Ein letzter Punkt, der für uns wichtig ist: Wir wün-schen uns – das wurde im Koalitionsvertrag verein-bart –, dass einige Grundprinzipien stärker zum Tra-gen kommen. Wir brauchen mehr Regionalität. DieGesundheitsstrukturen in Deutschland sind nichtüber einen Kamm zu scheren, sondern von Land zuLand unterschiedlich. Gewachsene Strukturen zu be-rücksichtigen macht effiziente Politik aus. Wir glau-ben, dass insgesamt mehr Regionalität statt Zentralis-mus – angefangen vom Morbi-RSA bis hin zu denFinanzzuteilungen –, mehr Therapie statt Bürokratieentscheidend sind. Deswegen werben wir sehr dafürund haben mit Freude gehört, dass im Bundesge-sundheitsministerium darüber nachgedacht wird, indiesem Bereich mehr zu tun.

Wir setzen uns sehr dafür ein, meine Damen undHerren, dass der freie Beruf gestärkt wird; er ist inder Medizin die Grundlage. Deswegen ist uns sowohldie fachärztliche als auch die hausärztliche Versor-gung ein besonderes Anliegen. In unseren Anträgenlegen wir Wert darauf, dass dieses Element in demReformgesetz besondere Beachtung erfährt. – VielenDank.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Nächster Rednerist Herr Minister Dr. Garg (Schleswig-Holstein).

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(Dr. Heiner Garg (Schleswig-Holstein): Frau Präsi-dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Un-sere Gesellschaft wird älter. Der medizinische undmedizinisch-technische Fortschritt macht vieles mög-lich. Die Lebensqualität steigt bis ins hohe Alter. Dasalles gibt es aber bedauerlicherweise, wie so oft imLeben, nicht zum Nulltarif.

Wir stehen vor der Situation, dass für das nächsteJahr eine Finanzierungslücke in der GKV zwischen9 und 11 Milliarden Euro prognostiziert wurde. Ichwill daran erinnern – das geht in der Diskussion überden vorliegenden Gesetzentwurf des Bundes manch-mal unter –, wie zumindest ein Teil der Finanzie-rungslücke zustande gekommen ist:

Die vergangene Bundesregierung hat – ich gehedavon aus, aus guten fachlichen Gründen – eineneinheitlichen Beitragssatz zur gesetzlichen Kranken-versicherung festgelegt und mit 15,5 % angesetzt.Dann schlitterten wir in die größte Wirtschafts- undFinanzkrise. Die vorige Bundesregierung hat deneinheitlichen Beitragssatz aus politischen – nicht ausgesundheitspolitischen – Gründen von 15,5 auf 14,9 %gesenkt. Dies wieder wettzumachen ist eine der Auf-gaben der jetzigen Bundesregierung; denn die pers-pektivische Lücke von 9 bis 11 Milliarden Euro be-droht akut die finanzielle Basis der GKV.

Das Kunststück bestand darin, einen Gesetzent-wurf vorzulegen, der kurzfristig die Finanzierungslü-cken stopft und langfristig die Finanzierung unsererGesundheitsleistungen sicherstellt. Vor dem Hinter-grund der Herausforderungen durch den demografi-schen Wandel und der Herausforderungen, vor dieuns der medizinische und medizinisch-technischeFortschritt stellt, ist der geplante einkommens-unabhängige Zusatzbeitrag aus der Sicht des LandesSchleswig-Holstein genau der richtige Schritt; dennerstmals findet eine Entkopplung der Gesundheits-kosten von den Erwerbseinkommen statt, wenn auchnur teilweise. Teilweise ist richtig: Niemand will einegrundsätzliche Abkehr von der beitragsfinanziertenZahlung im System der GKV. Das ist nicht vorstellbar.

Genauso wenig vorstellbar ist, dass bei abnehmen-der Erwerbsbevölkerung in Zukunft immer wenigerErwerbsfähige die Gesundheitskosten für immermehr Leistungsnehmer insgesamt finanzieren müs-sen. Deswegen ist es sinnvoll, zu einem neuen Ele-ment, zu der Entkopplung zu kommen.

Wenn sich der Pulverrauch verzogen hat, wird esähnlich sein wie bei der Debatte über die Implemen-tierung eines kapitalgedeckten Anteils im System dergesetzlichen Rentenversicherung. Ein Sozialdemo-krat hat die kapitalgedeckten Elemente in der soge-nannten R i e s t e r -Rente eingeführt.

Die Finanzierung der GKV wird langfristig auf dreiSäulen stehen: erstens einkommensabhängige Bei-träge, zweitens einkommensunabhängige Zusatzbei-träge, drittens steuerfinanzierter Zuschuss.

Mit der Einführung des Zusatzbeitrags wird eineÜberforderungsgrenze sicherstellen, dass niemandmit mehr als durchschnittlich 2 % des beitragspflich-tigen Einkommens belastet wird. Es wird, liebe Frau

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 359

Dr. Markus Söder (Bayern)

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Kollegin Dreyer, selbstverständlich einen Sozialaus-gleich geben, der ein Sozialausgleich ist. Der Reform-ansatz ist schon deswegen sozial, weil er die Finan-zierung des Gesundheitssystems langfristig und dau-erhaft sichert. Ich wundere mich, dass die schärfsteKritik ausgerechnet von denjenigen kommt, die sichselbst für eine Praxisgebühr nicht zu schade warenund dabei nicht für eine Ausgleichskomponente ge-sorgt haben.

Das Konzept des GKV-Finanzierungsgesetzes be-teiligt – anders als viele es wahrhaben wollen – Ver-sicherte, Leistungserbringer und die pharmazeuti-sche Industrie; Letztere in einem Ausmaß, das es indiesem Land noch nie gegeben hat. Ich will daran er-innern, dass die bereits zitierte ehemalige Bundesmi-nisterin Ulla Schmidt schon versucht hat, diepharmazeutische Industrie heranzuziehen. Daswurde nach einer nächtlichen Rotweinrunde ganzschnell wieder vergessen. Es ist zum ersten Mal ge-lungen, die pharmazeutische Industrie in einem Um-fang wie noch nie heranzuziehen. Dafür verdient derBundesgesundheitsminister nicht Kritik, sondernDank und Anerkennung.

Meine Damen und Herren, auch die viel zitiertenPKV-Versicherten werden selbstverständlich mit he-rangezogen, und zwar über Steuermittel, die lang-fristig den Solidarausgleich finanzieren müssen.

Die Kassen erhalten mit der Weiterentwicklung desZusatzbeitrags mehr Finanzautonomie zurück, wasrichtig ist. Das bewirkt mehr Transparenz und stärktden Wettbewerb untereinander. Die gesetzlichenKassen erhalten Spielräume, um regionalen Beson-derheiten auch weiterhin gerecht werden zu können.

Schleswig-Holstein unterstützt deswegen im We-sentlichen die Zielsetzung des vorgelegten Gesetz-entwurfs. Das wird niemanden besonders wundern.Selbstverständlich wünschen auch wir uns an der ei-nen oder anderen Stelle Nachjustierungen.

Für Schleswig-Holstein ist das Thema Kranken-hausbasisfallwert von besonderem Interesse. Mit derEinführung der Länderbasisfallwerte gab es von An-fang an erhebliche Unterschiede zwischen den Län-dern. Die schleswig-holsteinischen Kliniken erhal-ten für identische Leistungen einen niedrigerenPreis als die Krankenhäuser in den allermeisten an-deren Bundesländern. Ich sage deutlich: Niemandkonnte bislang nachvollziehbar erklären, warum einund dieselbe Blinddarmoperation unter Zugrundele-gung der Basisfallwerte 2010 in Rheinland-Pfalz2 308 Euro, in Nordrhein-Westfalen 2 142 Euro und inSchleswig-Holstein 2 113 Euro kostet. Warum ist eineBlinddarmoperation in Schleswig-Holstein um fast200 Euro günstiger als in einem Krankenhaus inRheinland-Pfalz, meine sehr geehrten Damen undHerren?

Die unterschiedlichen Landesbasisfallwerte ent-sprechen vermutlich nicht einmal den regionalenKostenstrukturen im Krankenhauswesen. Nordrhein-Westfalen beispielsweise hat nach dem Kostennach-weis des Statistischen Bundesamtes für Krankenhäu-ser für das Jahr 2008 die höchsten Kosten je Vollkraft.

(

(Daraus müsste man automatisch schließen, dass esauch den höchsten Landesbasisfallwert hat. Mitnich-ten! Nordrhein-Westfalen hat einen der niedrigstenLandesbasisfallwerte.

Dabei ist mir klar, dass alle Länder völlig unter-schiedliche Ausgangsvoraussetzungen bei derEinführung der Fallpauschalen bzw. des Fallpau-schalensystems hatten. Es gab unterschiedliche An-passungsgeschwindigkeiten. Die Unterschiedlich-keit in der Dynamik war dann die Rechtfertigung fürunterschiedliche Landesbasisfallwerte. Nur, meineDamen und Herren, irgendwann ist der Anpassungs-prozess auch beendet.

Mit dem DRG-Abrechnungssystem besteht einebundeseinheitliche Leistungsbeschreibung in Formvon Fallpauschalen. Das war der Sinn des Systems.Wir haben bundeseinheitliche Schweregrade, die so-genannten Relativgewichte, ein nationales Klassifi-kationssystem und einen bundeseinheitlichen Bei-trag zur gesetzlichen Krankenversicherung, leistenuns aber ein föderales Abrechnungssystem nach16 unterschiedlichen Landesbasisfallwerten. DiesenUnsinn muss mir erst einmal jemand erklären. Beivergleichbaren Kostenstrukturen und vergleichbarerAnpassungsdynamik fehlt jede Rechtfertigungs-grundlage für auf Dauer festgeschriebene unter-schiedliche Basisfallwerte.

Das derzeit geltende Krankenhausentgeltrechtsieht vor, dass sich bis Ende 2014 Länder mit niedri-gen Basisfallwerten, beispielsweise Thüringen, Nord-rhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein, stetig aneinen rechnerischen bundeseinheitlichen Durch-schnitt annähern können, allerdings nur bis auf1,25 % an den Bundesdurchschnitt. Das geltendeKrankenhausentgeltrecht sieht ebenfalls vor, dasssich nach Erreichen dieses BasisfallwertkorridorsEnde 2014 eine Option auf eine weitere Konvergenz-phase hin zu einem punktuellen Bundesbasisfallwertmit der Perspektive 2019 anschließen soll.

Meine Damen und Herren, mit der vorgesehenenÄnderung des § 10 Absatz 13 Krankenhausentgelt-gesetz würde selbst diese Option auf einen bundes-einheitlichen Basisfallwert aufgehoben. Damit würdeden bislang benachteiligten Ländern auf Dauer dieChance auf eine Angleichung der stationären Erlösevorenthalten. Ich sage deutlich: Das ist für uns nichthinnehmbar. Wir erwarten doch von unseren Kran-kenhäusern, dass sie tagtäglich die stationäre Versor-gung der Patientinnen und Patienten auf höchstemStandard sichern, und zwar unabhängig davon, inwelchem Bundesland ein Krankenhaus steht. Deswe-gen kann und darf der Erlös für eine identische medi-zinische Leistung nicht vom geografischen Standorteines Krankenhauses abhängen.

Aus diesem Grund stellt Schleswig-Holstein heuteeinen Plenarantrag. Wir wollen auf die Option aufeine Annäherung der Landesbasisfallwerte nicht be-reits heute verzichten, auch vor dem Hintergrund deszu Recht viel beklagten Fachkräftemangels. BeiFachkräftemangel sprechen wir übrigens nicht nurvon Ärztinnen und Ärzten, wir denken auch an exa-minierte Krankenschwestern und Krankenpfleger.

360 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Dr. Heiner Garg (Schleswig-Holstein)

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Wir wollen den Krankenhäusern die bereits in Aus-sicht gestellte Verbesserung ihrer Erlössituation imHinblick auf Planungssicherheit erhalten.

Ich bitte Sie herzlich um Unterstützung des schles-wig-holsteinischen Antrags. – Vielen Dank für IhreAufmerksamkeit.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Der nächste Red-ner ist Herr Dr. Rösler, Bundesminister für Gesund-heit.

Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Bundesratsmitglieder! Zunächst einmal dankeich Ihnen für die Möglichkeit der fristverkürzten Be-handlung des Gesetzentwurfs. Das unterstreicht dieBedeutung, die wir ihm offensichtlich gemeinsambeimessen.

In der Tat geht es nicht nur um eine inhaltliche Be-deutung, es geht auch um eine Zeitfrage. Mein Kol-lege Heiner Garg hat es angesprochen, Frau Dreyerhat es ein bisschen unterschlagen: Wenn wir nichtstun, müssen wir im nächsten Jahr mit einem Defizitvon 9 Milliarden Euro rechnen. Das hat der Schät-zerkreis festgestellt.

Es mag sein, dass man angesichts globaler Wirt-schafts- und Finanzkrise ganz andere Größenordnun-gen gewöhnt ist. Für die gesetzliche Krankenver-sicherung bedeuten 9 Milliarden Euro erheblicheProbleme. Wir müssten jedes siebte Krankenhaus so-fort schließen, jede vierte oder fünfte Arztpraxismüsste zum 1. Januar 2011 schließen, wir könnten je-des dritte oder vierte Medikament nicht mehr bezah-len. Das würde nicht nur die Länder, die Regionentreffen, sondern zuallererst die Menschen in unseremLande. Deswegen ist es richtig, alle Anstrengungenzu unternehmen, um das zu erwartende Defizit abzu-wenden. Das tut die Bundesregierung mit dem vor-liegenden Gesetzentwurf.

Wir nehmen alle Beteiligten im Gesundheitssystemin die Verantwortung: Für Arbeitgeber und Arbeit-nehmer wird der Krankenversicherungsbeitrag aufdie Höhe in der Zeit vor der Krise, also 1. Januar2009, zurückgeführt. Gleichzeitig werden alle Leis-tungserbringer – Heilberufe im System, Ärzte, Zahn-ärzte, Apotheker und Krankenhäuser –, aber auchdie Krankenkassen und die Pharmaindustrie mit ei-nem Sparpaket belegt, um zum Ausgleich des zu er-wartenden Defizits ihren Beitrag zu leisten.

Der Schätzerkreis hat festgestellt, dass wir mit denvorgeschlagenen Maßnahmen in der Lage sind, dasDefizit auszugleichen. Das erste Ziel, das System2011 weiter am Leben zu erhalten, wird also in jedemFall erreicht.

Eine Gruppe nehmen wir übrigens ausdrücklichnicht in Anspruch, wenn es um den Ausgleich desDefizits geht, nämlich künftige Patientinnen und Pa-tienten. Kranke Menschen, die im nächsten Jahr aufdas System vertrauen und Leistungen beziehen, wer-den nicht zusätzlich belastet, wie Sie es – das wurde

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(schon angedeutet – durch die von Ihnen eingeführtePraxisgebühr oder andere Formen der Zuzahlung ge-tan haben.

Anders als von Frau Kollegin Dreyer dargestellt,gibt es neben kurzfristigen Maßnahmen selbstver-ständlich langfristige strukturelle Änderungen.

Eine haben Sie selber schon angesprochen, näm-lich das Festschreiben des Arbeitgeberbeitrags nachder einmaligen Rückführung. Dies ist vielleicht keineangenehme Antwort auf die demografische Entwick-lung und die Zukunft der Finanzierung unseres Ge-sundheitssystems, sie ist aber zweifellos richtig, umdie Krisenabhängigkeit der Finanzierung der gesetz-lichen Krankenversicherung zu beseitigen. Wir hat-ten ja in den Jahren 2008 und 2009 ein Defizit geradeauf Grund der Krisenanfälligkeit.

Gleichzeitig ist es richtig, dauerhaft den Teufels-kreis zu durchbrechen, der da lautet, mehr Gesund-heit bedeute weniger Wachstum und Beschäftigung.Es gibt keinen sachlichen Zusammenhang zwischenden Krankenversicherungsbeiträgen auf der einenSeite und steigenden Gesundheitsausgaben auf deranderen Seite. Diese sind begründet in der demogra-fischen Entwicklung und vor allem im technologi-schen Fortschritt. Künftige Ausgabensteigerungenwerden durch Zusatzbeiträge finanziert, die einkom-mensunabhängig ausgestaltet sind.

In der Tat erfolgt ein sozialer Ausgleich, und zwarautomatisch. Das heißt, dass der Versicherte nichtmehr prüfen muss, ob er die Überforderungsgrenzeerreicht. Erreicht er sie, braucht er keinen gesonder-ten Antrag zu stellen. Zur Erinnerung: Bei dem heuti-gen System, dem System meiner Amtsvorgängerin,muss man dies tun. Der Versicherte muss selber prü-fen, ob er die Überforderungsgrenze erreicht. Ist dasder Fall, muss man einen Antrag stellen. Man wirdalso zum Bittsteller. Dieses Problem beseitigen wirmit unserem Gesetzentwurf im Interesse der Men-schen vor Ort.

Nicht nur ist die Finanzierung der gesetzlichenKrankenversicherung weit in die Zukunft hinein zustabilisieren, wichtiger noch sind Veränderungenund Verbesserungen im System. Die Krankenversi-cherungen haben wir durch Beitragsautonomie wie-der wettbewerbsfähig gemacht. In vielen weiterenBereichen des Gesundheitssystems muss der Wettbe-werb deutlich besser ausgestaltet werden, damit wirden Menschen mehr Effizienz bieten können.

Dazu gehört die Verteilung und flächendeckendeSicherstellung von medizinischen Dienstleistungenin allen Regionen unseres Landes, wie von meinenVorrednern angesprochen. Die Arbeitssituation vonÄrztinnen und Ärzten in ganz Deutschland ist zuverbessern. Das gilt für die Hausärzte, aber auch fürdie Fachärzte. Im Übrigen brauchen wir eine faireVerteilung in Bezug auf Krankenhäuser, Apothekenund andere Leistungserbringer.

Das heißt: Wenn wir die Finanzierung stabilisiertund im Sinne von Eigenverantwortung und Solidari-tät auf neue Füße gestellt haben, geht es an dieVerbesserung im System, um die flächendeckende

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 361

Dr. Heiner Garg (Schleswig-Holstein)

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Versorgung der Menschen mit hervorragenden medi-zinischen Dienstleistungen langfristig sicherstellen zukönnen. Hiermit ist die Grundlage dafür gelegt worden.

Die Vorredner in ihrer unterschiedlichen Lesart ha-ben gezeigt, dass die Diskussion über die Frage, wieman die flächendeckende regionale Versorgung si-cherstellen kann, noch spannend wird. Dass die Re-gionen, die unterschiedlich sind, in gleichem Maßedie besten Leistungen erhalten können, hat mit Ge-rechtigkeit zu tun. Womöglich hat das unterschiedli-che Finanzierungsaspekte zur Folge. Darüber wirdman im weiteren Verlauf zu diskutieren haben.

Ich bedanke mich nochmals für die Möglichkeit,den Entwurf eines GKV-Finanzierungsgesetzes unterFristverkürzung zu behandeln. – Vielen Dank für IhreAufmerksamkeit.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Mir liegen keineweiteren Wortmeldungen vor.

Je eine Erklärung zu Protokoll*) abgegeben habenHerr Minister Jacoby (Saarland) und Herr MinisterKutschaty (Nordrhein-Westfalen).

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen und 15 Landesanträge vor.

Wir beginnen mit dem Mehr-Länder-Antrag inDrucksache 581/13/10. Ich darf um die Voten bit-ten. – Minderheit.

Nun zum Antrag in Drucksache 581/3/10! – Min-derheit.

Wer ist für den Antrag in Drucksache 581/15/10? –Minderheit.

Bitte das Handzeichen für den Antrag in Drucksa-che 581/4/10! – Minderheit.

Der Antrag in Drucksache 581/10/10! – Minderheit.

Bitte das Handzeichen für den Antrag in Drucksa-che 581/5/10! – Minderheit.

Jetzt Ziffer 5 der Empfehlungsdrucksache! – Mehr-heit.

Der Antrag in Drucksache 581/6/10! – Minderheit.

Bitte das Handzeichen für den Antrag in Drucksa-che 581/11/10! – Minderheit.

Bitte das Handzeichen für den Antrag in Drucksa-che 581/16/10! – Minderheit.

Zurück zu den Ausschussempfehlungen:

Ziffer 6! – Mehrheit.

Weiter mit dem Antrag in Drucksache 581/7/10! –Minderheit.

Der Antrag in Drucksache 581/12/10! – Minderheit.

Zurück zu den Ausschussempfehlungen:

Ziffer 7! – Mehrheit.

Der Antrag in Drucksache 581/8/10! – Minderheit.

*) Anlagen 4 und 5

(

(Weiter mit den Ausschussempfehlungen:

Ziffer 9! – Minderheit.

Ziffer 10! – Mehrheit.

Ziffer 11! – Mehrheit.

Nun der Mehr-Länder-Antrag in Drucksache 581/14/10! – Minderheit.

Minister Dr. Schöning (Thüringen) gibt eine Erklä-rung zu Protokoll*).

Der Antrag in Drucksache 581/9/10! – Minderheit.

Zurück zu den Ausschussempfehlungen:

Ziffern 15 und 21 gemeinsam! – Mehrheit.

Ziffer 17! – Mehrheit.

Ziffer 18! – Mehrheit.

Nun der Antrag in Drucksache 581/2/10! – Minder-heit**).

Bitte das Handzeichen für Ziffer 20 der Empfeh-lungsdrucksache! – Minderheit.

Ziffer 22! – Mehrheit.

Bitte das Handzeichen für die noch nicht erledigtenAusschussempfehlungen! – Mehrheit.

(Prof. Dr. Wolfgang Reinhart [Baden-Würt-temberg]: Frau Präsidentin, ich bitte umWiederholung der Abstimmung überDrucksache 581/15/10! Das ging sehrschnell, ich habe nicht rechtzeitig abstim-men können!)

– Wir stellen den Antrag in Drucksache 581/15/10noch einmal zur Abstimmung. Bitte! – Das ist eineMinderheit, wie vorhin votiert. – Danke.

Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf,wie soeben festgelegt, Stellung genommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34:

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung derStrafprozessordnung – Neuordnung der Anord-nungskompetenz für die Entnahme von Blut-proben – Antrag des Landes Niedersachsen ge-mäß § 36 Absatz 2 GO BR – (Drucksache 615/10)

Es liegt mir eine Wortmeldung von MinisterBusemann (Niedersachsen) vor.

Bernd Busemann (Niedersachsen): Frau Präsiden-tin, meine Damen und Herren! Wenn vom Richter-vorbehalt nach § 81a StPO die Rede ist, dann sindnur Fachleute und vielleicht wir interessiert. Wenn esheißt, es gehe um die Blutprobe, dann sind vieleMenschen im Lande – aus guten oder unguten Grün-den – interessiert.

Warum steht die Blutprobe seit einiger Zeit wiederim Fokus der rechtswissenschaftlichen und der

*) Anlage 6**) Siehe aber Seite 371 C

362 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Bundesminister Dr. Philipp Rösler

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rechtspolitischen Diskussion? Dafür gesorgt habendie Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtsund verschiedener Obergerichte sowie die Fragenach der Sinnhaftigkeit des Richtervorbehalts in die-sem Fall.

Lassen Sie mich eines klarstellen: Der Richtervor-behalt im deutschen Prozessrecht ist ein hohes Gut.Man darf ihn auch nur sehr selten antasten. Sein Sinnund Zweck besteht darin, eine vorbeugende Kon-trolle durch eine unabhängige und neutrale Instanzzu gewährleisten und damit stets ein rechtsstaatli-ches Verfahren zu garantieren.

Aber der Richtervorbehalt ist kein Selbstzweck.Dort, wo er seinen Zweck im Rahmen des Gesamtge-füges nicht erfüllt und deshalb rechtsstaatlich nichtgeboten ist, darf man zumindest darüber nachden-ken, ob darauf verzichtet werden kann.

Wie ist bei Blutproben in den vergangenen Jahr-zehnten die Praxis gewesen? Entnahmen von Blut-proben zum Zwecke des Nachweises von Alkoholoder Betäubungsmitteln sind meist wegen Gefahr imVerzug ohne richterlichen Beschluss angeordnetworden – nicht etwa, weil sich Staatsanwaltschaftund Polizei über den gesetzlich verankerten Richter-vorbehalt hinweggesetzt haben, sondern allein des-halb, weil wegen des schnellen Abbaus der Blutalko-hol- bzw. Wirkstoffkonzentration eine Blutprobemöglichst zeitnah entnommen werden muss und essich bei der Blutentnahme um einen geringfügigen,ja harmlosen Eingriff handelt. Auf das Risiko des Be-weisverlustes bei Zeitverzögerung weisen insbeson-dere Stellungnahmen rechtsmedizinischer Instituteeindeutig hin.

Sowohl der Bundesgerichtshof als auch das Bun-desverfassungsgericht haben in den vergangenenJahren die Anforderungen an das Vorliegen vonGefahr im Verzug insgesamt verschärft, um die Ein-haltung des Richtervorbehalts – gut gemeint – sicher-zustellen. Das gilt insbesondere für Wohnungsdurch-suchungen und freiheitsentziehende Maßnahmen,aber auch für die Entnahme von Blutproben. Zu nen-nen ist hier insbesondere der Beschluss des Bundes-verfassungsgerichts vom 12. Februar 2007, der einedurch die Staatsanwaltschaft angeordnete Blutent-nahme betraf und mit einem Obiter Dictum die Ini-tialzündung für den rechtspolitischen und rechtswis-senschaftlichen Diskurs setzte. Die Folge war einebundesweit uneinheitliche Rechtsprechung in Bezugauf Blutentnahmen, sowohl was das Vorliegen vonGefahr im Verzug als auch was die Frage eines Be-weisverwertungsverbots im Prozess anbelangte. In-zwischen haben Gerichte vermehrt ein Beweisver-wertungsverbot für die so gewonnenen Beweismittelbejaht.

Diese uneinheitliche Entwicklung der Rechtspre-chung hat nicht nur zu erheblicher Unsicherheit inder alltäglichen Rechtsanwendung, insbesondere beider Polizei, geführt, sondern auch dazu, dass dieStraftat des Fahrens unter Alkoholeinfluss möglicher-weise nicht verfolgt werden kann, und dies, obwohlvon alkoholisierten oder unter Betäubungsmittelein-fluss stehenden Fahrzeugführern erhebliche Gefah-

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(ren für andere Verkehrsteilnehmer und die Sicher-heit des Straßenverkehrs ausgehen. Wir alle wissen:Der Einfluss von berauschenden Mitteln in Form vonAlkohol, Drogen und Medikamenten stellt im Stra-ßenverkehr eine der Hauptursachen für Verkehrsun-fälle mit schweren, oft tödlichen Folgen dar.

Das Dilemma der bestehenden gesetzlichen Rege-lung liegt darin, dass Verzögerungen bei der Ent-nahme von Blutproben die Genauigkeit der Feststel-lung vermindern, weil jede Rückrechnung auf denTatzeitpunkt zu Gunsten des Betroffenen von theore-tisch vorkommenden, aber der Realität regelmäßignicht entsprechenden Abbauwerten ausgehen muss.Diese zeitlichen Verzögerungen führen dazu, dass oftAbbauwerte angenommen werden müssen, die denStraftäter letztlich seiner Sanktionierung entziehen.

Die gegenwärtige Rechtslage entspricht auch nichtder Realität: Eine dem Richter vorbehaltene Anord-nungskompetenz soll eine vorbeugende Kontrollegewährleisten. Seiner Funktion als vorbeugendeKontrolle wird der Richtervorbehalt bei Blutproben-entnahmen zum Zweck des Nachweises von Alkoholoder Betäubungsmitteln im Blut aber nicht gerecht;denn der für die Anordnung zuständige Richter musssich regelmäßig auf die telefonischen Angaben desPolizeibeamten vor Ort verlassen. Er hat in der Regelweder einen Entscheidungs- noch einen Ermessens-spielraum.

Wie läuft es des Nachts in der Praxis? Ein Verkehrs-teilnehmer wird gestoppt. Wenn der Verdacht auf Al-kohol besteht, wird der Richter angerufen. Dieser fragt:„Alkoholgeruch?“ – „Jawohl!“ – „Ausfallerscheinun-gen? Schlangenlinien?“ – „Jawohl!“ Das Fahrverhal-ten wird beschrieben. Dann heißt es oft am Telefon:„Dann machen Sie mal!“

Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismä-ßigkeit bedarf es keines Richtervorbehalts. Bei derBlutprobenentnahme handelt es sich um einen mini-malinvasiven medizinischen Eingriff, der durch einenArzt vorgenommen wird. Er ist absolut ungefährlich.

Fahrten unter Alkohol- oder Betäubungsmittelein-fluss hingegen sind Straftaten mit erheblichem Ge-fährdungspotenzial. Hier gilt es einen wichtigen ver-fassungsrechtlichen Grundsatz umzusetzen, nämlichdie Sicherstellung einer effektiven Strafverfolgung.Das ist jedenfalls unter den geschilderten aktuellenVoraussetzungen zunehmend nicht mehr gewährleis-tet.

Der Richtervorbehalt bei der Blutentnahme läuftleer; er ist lediglich ein den tatsächlichen Umständengeschuldetes Feigenblatt. Er wird zur Formalie undschwächt damit unter dem Strich dieses wichtigeInstrument. Die Fachwelt ist unisono der Meinung,dass wir ihn abschaffen sollten. Ich darf daraufhinweisen, wer sich dafür ausgesprochen hat: dieGroße Strafrechtskommission des Deutschen Rich-terbundes im Herbst 2008, der Deutsche Verkehrsge-richtstag in Goslar Anfang 2009, die Generalstaats-anwältinnen und Generalstaatsanwälte auf ihrerArbeitstagung vom 10. bis 12. Mai 2010 und – manhöre und staune! – der Bundesvorstand des Deut-

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 363

Bernd Busemann (Niedersachsen)

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schen Richterbundes im März 2010 in Mannheim.Selbst der Gralshüter des Richtervorbehalts sagt: Indiesen Verfahren ist das Ganze eine Farce. Alle Ge-nannten sind der Auffassung, dass es keine Schwä-chung, sondern eine Stärkung der Bedeutung richter-licher Entscheidungen darstellt, wenn das bloßetelefonische Bestätigen polizeilich angeregter Maß-nahmen im Rahmen des § 81a StPO entfällt.

Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dank-bar, wenn Sie unsere Gesetzesinitiative unterstützenwürden, und danke für die Aufmerksamkeit.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank,Herr Minister Busemann!

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Ich weise die Vorlage dem Rechtsausschuss – fe-derführend – und dem Ausschuss für Innere Angele-genheiten – mitberatend – zu.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 6:

Entschließung des Bundesrates zum Verbot desSchenkelbrandes bei Pferden – Antrag desLandes Rheinland-Pfalz – (Drucksache 479/10)

Wortmeldungen liegen nicht vor. – Eine Erklärungzu Protokoll*) hat Herr Minister Busemann (Nieder-sachsen) abgegeben.

Der federführende Ausschuss für Agrarpolitik undVerbraucherschutz empfiehlt, die Entschließung zufassen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzei-chen. – Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat die Entschließung gefasst.

Zur gemeinsamen Abstimmung nach § 29 Absatz 2der Geschäftsordnung rufe ich die in dem UmdruckNr. 8/2010**) zusammengefassten Beratungsgegen-stände auf. Es sind dies die Tagesordnungspunkte:

7, 9, 18 bis 20, 23 bis 27, 29 bis 33 und 36.

Wer den Empfehlungen und Vorschlägen folgenmöchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das istdie Mehrheit.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8:

Entschließung des Bundesrates zur Stärkungder Verwendung von Biokraftstoffen – Antragdes Freistaates Bayern – (Drucksache 569/10)

Es liegen keine Wortmeldungen vor. – Eine Er-klärung zu Protokoll***) hat Frau StaatsministerinConrad (Rheinland-Pfalz) abgegeben.

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen vor.

Auf Wunsch eines Landes wird über den Buchsta-ben c der Ziffer 1 getrennt abgestimmt. Ich rufe da-her zunächst auf:

Ziffer 1 Buchstaben a und b! – Minderheit.

*) Anlage 7**) Anlage 8

***) Anlage 9

(

(Damit entfällt Ziffer 1 Buchstabe c.

Bitte das Handzeichen für Ziffer 2! – Mehrheit.

Ziffer 3! – Minderheit.

Wir kommen zur Schlussabstimmung: Wer die Ent-schließung, wie soeben festgelegt, fassen möchte,den bitte ich um das Handzeichen. – Mehrheit.

Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 37:

Entschließung des Bundesrates für einen ein-heitlichen „Freiwilligen sozialen Dienst“ – An-trag des Landes Rheinland-Pfalz – Geschäfts-ordnungsantrag des Landes Rheinland-Pfalz –(Drucksache 576/10)

Mir liegt eine Wortmeldung von Frau Staatsminis-terin Dreyer (Rheinland-Pfalz) vor.

Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz): Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Herren und Damen! Kollegenund Kolleginnen! Die Landesregierung von Rhein-land-Pfalz hat sich entschieden, den Entschließungs-antrag für einen einheitlichen „Freiwilligen sozialenDienst“ bereits heute zur Abstimmung zu stellen. Ichmöchte gern den Hintergrund erläutern: Die Bundes-regierung hat erklärt, Mitte November einen entspre-chenden Gesetzentwurf vorzustellen. Wir möchtennicht, dass die Ausschussberatungen im Bundesraterst stattfinden, nachdem der Gesetzentwurf vorge-legt worden ist.

Mein Kollege Bruch hat vor drei Wochen unserKonzept eines „Freiwilligen sozialen Dienstes“ vor-gestellt. Ich denke, es ist sehr klar geworden, dassuns das Freiwillige Soziale Jahr und das FreiwilligeÖkologische Jahr – unsere Jugendfreiwilligendienste –wichtig sind und uns auch in Zukunft am Herzenliegen. Wir wollen das Thema im Bundesrat nocheinmal aufrufen; denn die Bundesregierung beab-sichtigt, neben den bestehenden Jugendfreiwilligen-diensten einen eigenen freiwilligen Zivildienst auf-zubauen. Wir befürchten eine so hohe Konkurrenzzwischen den Freiwilligendiensten, dass FSJ undFÖJ, die wir als wichtig erachten, Schaden nehmenund in der bisherigen Form nicht mehr aufrechterhal-ten werden können.

Im Grunde haben Bund und Länder dasselbe Ziel:junge Menschen für eine zeitlich befristete Tätigkeitim sozialen Bereich zu gewinnen und ihnen guteRahmenbedingungen dafür zu schaffen. In den letz-ten Tagen und Wochen haben Vertreter der Länderberaten, um ein gemeinsames Konzept zu entwi-ckeln. Neben Rheinland-Pfalz hat der Freistaat Bay-ern einen Antrag in den Bundesrat eingebracht. Die-ser sieht wie der rheinland-pfälzische Antrag einebessere finanzielle Ausstattung von FSJ und FÖJ vor,allerdings wird – im Gegensatz zu unserem Antrag –das Konzept der Bundesregierung begrüßt.

In den letzten Tagen verdichteten sich Gerüchte– ich weiß nicht, ob es Tatsachen sind –, dass dasBundesministerium nunmehr bereit sei, nahezu100 Millionen Euro statt ursprünglich 20 Millionen

364 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Bernd Busemann (Niedersachsen)

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Euro in die Förderung des FSJ und des FÖJ zu ste-cken, um die koalitionsinterne Auseinandersetzungmit der CSU zu schlichten, obwohl der Bund bislangdarauf gepocht hat, dass das aus verfassungsrechtli-chen Gründen nicht möglich sei.

Wenn plötzlich alle verfassungsrechtlichen Beden-ken zurückgestellt werden, könnte der Bund auchdas rheinland-pfälzische Konzept umsetzen: besserausgestattetes FSJ/FÖJ, ohne dass die Länder ihreKompetenzen abgeben müssen; kein freiwilligerZivildienst; keine Doppelstruktur. Das ist das, waswir eigentlich alle wollen.

Die Doppelstruktur – öffentlich-rechtlicher freiwil-liger Zivildienst auf der Bundesseite und FSJ/FÖJ aufder Länderseite – kann nicht funktionieren. Ich binmir sicher: Wenn mit dem vom Bund favorisiertenfreiwilligen Zivildienst Doppelstrukturen beschlossenwerden, werden sich die Strukturen und Schwer-punkte in der Trägerszene des FSJ komplett zumSchlechteren verändern.

Nach den bislang bekannten Plänen der Bundes-regierung dürfen wir davon ausgehen, dass der frei-willige Zivildienst so aufgebaut ist und abgewickeltwird wie der heutige Zivildienst. Das bedeutet, dassder freiwillig Zivildienst Leistende in einem öffent-lich-rechtlichen Dienstverhältnis steht. Er unterliegtbei der Diensterfüllung dem Disziplinarrecht und hatEinschränkungen hinzunehmen, z. B. hinsichtlichpolitischer Betätigung. Bestimmte Dinge sind ihmnicht gestattet, seine Grundrechte sind einge-schränkt. Das betrifft etwa das Petitionsrecht, Freizü-gigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung.Meine sehr geehrten Herren und Damen, das erin-nert sehr an Berufsbeamte. Solange der Zivildienstein Ersatzdienst ist, ist dies möglicherweise die pas-sende Rechtsform. Wenn der Dienst aber freiwilligsein soll, ist das nicht adäquat.

Auch für die Träger wird es nicht einfach sein,wenn ihre Freiwilligen in einer Einsatzstelle Dienerzweier Herren sein müssen: Die FSJler stehen in ei-nem Privatrechtsverhältnis zum Träger und der Ein-satzstelle, die freiwilligen Zivis haben Dienstvorge-setzte auch außerhalb der Einsatzstelle. Sie werdenandere Seminare an den Zivildienstschulen besuchenals ihre Kolleginnen und Kollegen im FSJ. Die Trägerschließlich müssen sich darauf einstellen, dass sienicht, wie beim FSJ, einmal als Träger zugelassenwerden und dann die Freiheit haben, ihre Einsatz-stellen selbst auszusuchen. Die Einsatzstellen imfreiwilligen Zivildienst werden dagegen in einemhochbürokratischen Verfahren einzeln geprüft undzugelassen werden müssen.

Das überzeugt nicht, vor allem vor dem Hinter-grund, dass wir in den nächsten Jahren eher wenigerJugendliche als mehr haben und deshalb sehr daraninteressiert sein müssen, junge Menschen für freiwil-lige soziale Dienste zu gewinnen.

Baden-Württemberg hat dankenswerterweise ei-nen Vermittlungsvorschlag vorgelegt. Leider könnenwir ihm nicht zustimmen. In einer Übergangs- oderPilotphase soll nämlich zunächst der Vorschlag des

(

(Bundes umgesetzt werden. Erst nach einer Evalua-tion – und damit nach einigen Jahren – könnte dievon Rheinland-Pfalz vorgeschlagene Struktur reali-siert werden. Wir befürchten, dass schon durch dieDoppelstruktur in der Übergangszeit FSJ und FÖJ inihrer Struktur gefährdet werden. Wir wollen nicht,dass ein Provisorium geschaffen wird; denn Proviso-rien überdauern in der Regel viel zu lange.

Lassen Sie mich zusammenfassen:

Die in den vergangenen Jahrzehnten gewachsenenJugendfreiwilligendienste haben wir alle als bedeut-sam eingeschätzt. Wir sollten im Bundesrat und imBundestag eine breite Mehrheit dafür suchen, dasssie auch in Zukunft sinnvoll organisiert sind. Bundund Länder sollten nicht um die sozial engagiertestenJugendlichen konkurrieren, sondern ihnen gemein-sam vermitteln, dass der freiwillige soziale Dienstnicht nur einen Vorteil für ihre Persönlichkeitsent-wicklung mit sich bringt, sondern sich auch beruflichlohnt.

Die Wehrdienstreform bietet eine historischeChance, die freiwilligen sozialen Dienste und den Zi-vildienst komplett neu zu organisieren. Ich appellierean alle, diese Möglichkeit zu nutzen und keine hal-ben Strukturen oder Doppelstrukturen zuzulassen,die am Ende nichts bringen. Bund und Länder solltendie Kraft aufbringen, ein Konzept aus einem Guss zuentwickeln, das den Jugendlichen und letztendlichder ganzen Gesellschaft nutzt. – Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank,Frau Kollegin Dreyer!

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Die Ausschüsse haben ihre Beratungen noch nichtabgeschlossen. Rheinland-Pfalz hat beantragt, be-reits heute in der Sache zu entscheiden. Wer ist da-für? – Das ist eine Minderheit.

Dann werden die Ausschussberatungen fortge-setzt.

Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt 38:

Entschließung des Bundesrates zum Energie-konzept der Bundesregierung – Antrag derLänder Rheinland-Pfalz, Berlin, Nordrhein-Westfalen gemäß § 36 Absatz 2 GO BR –(Drucksache 633/10)

Dem Antrag ist das Land Brandenburg beigetre-ten.

Es liegen mehrere Wortmeldungen vor. Es beginntFrau Staatsministerin Conrad (Rheinland-Pfalz).

Margit Conrad (Rheinland-Pfalz): Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Län-der Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg undRheinland-Pfalz bringen heute einen Entschließungs-antrag ein, weil sie die energiepolitische Debatteauch im Bundesrat führen wollen.

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 365

Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz)

Page 30: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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Sie wissen, die Bundesregierung hat Ende Septem-

ber ihr Energiekonzept beschlossen. Bis heute liegenuns die entsprechenden Gesetzentwürfe nicht vor.Wir sind über die energiepolitischen Absichten le-diglich unterrichtet worden. Die Bundesregierunghat es vorgezogen, zur Umsetzung der wesentlichenWeichenstellungen des Energiekonzepts soge-nannte Fraktionsentwürfe vorzulegen. Das bedeutetfür uns ein verkürztes Verfahren. Das ist sicherlichgewollt.

Vor dem Hintergrund der weitreichenden Konse-quenzen des Energiekonzepts für Klimaschutz, Ener-giewirtschaft, Wettbewerb, aber auch für den Wirt-schaftsstandort und für Arbeitsplätze müssen wir zueinem solchen Verfahren deutlich Nein sagen. Wirappellieren an die Bundesregierung einmal mehr, fürein geordnetes Verfahren zu sorgen. Ich kann michnoch gut an die Diskussion im Zusammenhang mitder Novellierung des Erneuerbare-Energien-Geset-zes erinnern; damals haben wir das länderübergrei-fend gefordert. Bei dem anstehenden weitreichendenVorhaben ist das erst recht angebracht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kern desEnergiekonzepts ist die Laufzeitverlängerung vonAtomkraftwerken, auch wenn das immer wieder be-stritten wird. Atomkraftwerke sollen bis ca. 2040– also noch 30 Jahre – laufen.

Der Beleg dafür, dass es eigentlich ein Laufzeitver-längerungskonzept ist: Bei den wissenschaftlichenGutachten, die erarbeitet worden sind, wurde nichteinmal ein Szenario gerechnet, wonach man amAtomausstieg bis 2022/2025 festhält. Es wurde auto-matisch unterstellt, dass eine Stromlücke entsteheund man die Atomkraftwerke noch brauche. Sogardiese Gutachten bescheinigen – das kann man zwi-schen den Zeilen lesen –, dass es vor dem Hinter-grund der bereits getätigten Investitionen und derAusbaudynamik bei den erneuerbaren Energienkeine Stromlücke gibt. Es fehlt also jede Grundlagefür eine Laufzeitverlängerung.

Die direkten Auswirkungen sind klar: weitere Zu-nahme hochradioaktiven Mülls, weiteres Absinkender Sicherheitsstandards – ältere Kraftwerke sindbekanntlich störanfälliger –, noch Jahrzehnte dau-erndes Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung; dennim Prinzip sind alle unsere Atomkraftwerke nicht ge-gen einen in terroristischer Absicht gezielt herbeige-führten Absturz von großen Flugzeugen ausgelegt.

Wir Länder wenden uns auch deswegen gegen dasKonzept, weil wir der Meinung sind, dass damit diefalschen Weichen gestellt werden. Wir haben nochnicht einmal eine Endlagerlösung für den atomarenMüll, auch wenn Sie in der sogenannten 12. Atomge-setznovelle vorsehen, dass es in Zukunft zur Be-schleunigung der Endlagerfrage – aber ausdrücklichnur in Gorleben – zu Enteignungsverfahren kommensoll, was Grundstücke- und Bergrechte betrifft.

Die Bundesregierung greift mit ihrer Entscheidungfür Laufzeitverlängerungen in einem nie da gewese-nen Maß zu Gunsten der vier großen Energiekon-zerne in den Markt ein, die bereits über 85 % der

(

(Energieerzeugung verfügen. Das heißt, deren Markt-macht wird auf Jahrzehnte zementiert, und zwar zuLasten der mittelständischen und vor allen Dingender kommunalen Energiewirtschaft.

Letztere hat in den vergangenen zehn Jahren imVertrauen auf den Atomausstieg ca. 6 MilliardenEuro investiert. Eine ähnliche Größenordnung waroder ist geplant. Dadurch ist natürlich das zartePflänzchen eines Wettbewerbs im Energiemarkt be-lebt worden. Die kommunalen Unternehmen müssennun befürchten, dass ökologischere Kraftwerke, indie sie ebenso wie in Strukturen erneuerbarer Ener-gien investiert haben, nicht mehr wirtschaftlich be-trieben werden können.

Das kann uns Länder nicht unberührt lassen. Wirwissen, wie viel an Dienstleistungen und Infrastruk-tur aus den Erträgen kommunaler Unternehmen zurVerfügung gestellt wird. Ich nenne nur den öffentli-chen Personennahverkehr – im Querverbund – undBäder. Wir meinen, dass mit einer solchen Entschei-dung ein ziemlich verheerendes Signal ausgesendetund eine eher rückwärts gewandte Orientierung ein-geleitet wird. Ich formuliere verkürzt: Alt und abge-schrieben hat Vorrang vor Innovation und neuenInvestitionen.

Dies wird insgesamt zu erheblicher Zurückhaltungbei Investitionen führen; denn wir wissen, dass ge-rade lange Planungszeiträume verlässliche Rahmen-bedingungen bedeuten. Wir hätten uns Prozesse ge-wünscht, die ein Nachsteuern ermöglichen, wo esnotwendig ist, aber keine Brüche verursachen, wie esjetzt der Fall ist.

Fehlender Wettbewerb – ich habe die Auswirkun-gen auf den Wettbewerb deutlich gemacht – ist im-mer teuer für die Verbraucher und Verbraucherinnen,aber auch für die Wirtschaft. Bereits heute werdengünstige Stromgestehungskosten nicht an die End-kunden weitergegeben. Wir haben in Deutschlandsowohl für die Haushalte als auch für die Wirtschaftvergleichsweise hohe Endverbraucherpreise. Nunkann man fragen, woher das kommt; denn wir habenja noch die Atomkraftwerke. Man kann es auch nichtden erneuerbaren Energien zuschreiben. Nur wennman die Preisbildungsmechanismen und den Merit-Order-Effekt – in dieser Reihenfolge – im Strommarktignoriert, kann man die Mär aufrechterhalten, dasses günstigere Stromtarife gibt, wenn die Atomkraft-werke von vier Konzernen weiterlaufen.

Das Energiekonzept formuliert sicherlich an-spruchsvolle Ziele, was die CO2-Minderung bis 2050und den Ausbau der erneuerbaren Energien betrifft.Aber es muss die Frage erlaubt sein: Werden dieseZiele mit diesem Konzept erreicht? – Wir vermissensehr wohl belastbare Strategien oder Maßnahmenpa-kete, die dies unterfüttern. Das ist an einigen Punk-ten erkennbar. Ich will wenige nennen.

Die Laufzeitverlängerung wird sich nicht als Brü-cke zur Versorgung mit regenerativen Energien er-weisen, sondern – das ist nicht nur unsere Meinung,sie wird durch die überwiegende Zahl der Gutachtergestützt – als Bremse für den Ausbau der erneuerba-

366 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Margit Conrad (Rheinland-Pfalz)

Page 31: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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ren Energien. Sogar die Berater der Bundesregie-rung bestätigen das.

Darüber hinaus sind im Energiekonzept Ansätzeerkennbar – man muss genau lesen –, dass die Atom-kraftwerke in ihrer Grundlast abgesichert werdensollen und die erneuerbaren Energien, die mit zuneh-mendem Ausbau auch die Versorgung in der Grund-last übernehmen könnten, in die Spitzenlast abge-drängt werden sollen. Auch wenn Sie es nicht sagen:Sie stellen damit perspektivisch den Vorrang der er-neuerbaren Energien ebenso in Frage wie, ohne esheute zu formulieren, die kostengünstigste Finanzie-rung für die Markteinführung dieser Technologienüber das EEG.

Im Interesse der Versorgungssicherheit und lang-fristig wettbewerbsfähiger Preise müsste als Haupt-aufgabe im nächsten Jahrzehnt die Integration deswachsenden Anteils der erneuerbaren Energien be-trieben werden. Das Konzept der Bundesregierungbeschränkt sich insoweit im Wesentlichen auf denAusbau der Übertragungsnetze – z. B. die großenNord-Süd-Achsen und -Trassen – und auf Großspei-cherlösungen, auch im internationalen Maßstab.

Man hat den Eindruck, in dem Energiekonzeptfehlt die Reflexion darüber, was sich in Deutschlandin der Energieerzeugung in den letzten zehn Jahrenan dezentralen Versorgungsstrukturen, an Vielfaltder Energieerzeugung entwickelt hat, auch im Sinneeiner starken Wertschöpfung und Schaffung vonArbeitsplätzen gerade in unseren ländlichen Räu-men; diese Energien basieren ja auf heimischen Res-sourcen. Sie wissen offensichtlich nicht – jedenfallskommt es im Energiekonzept nicht vor –, dass bereitsviele Regionen, auch bei uns in Rheinland-Pfalz,rechnerisch mehr als 100 % ihres Strombedarfs ausregenerativen Energien decken. Regenerative Ener-gien sind massiv auf dem Vormarsch. Das heißt, dieIntegration muss vor allen Dingen regional und aufder Verteilnetzebene stattfinden, ergänzt durch fle-xible Kraftwerke und ein regionales und lokalesEnergiemanagement.

Solche Ansätze fehlen ebenso wie der Ausbau derKraft-Wärme-Kopplung. Offensichtlich hat dieBundesregierung die Absicht – man hört jedenfallsdavon –, sich von der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung zu verabschieden. Ich frage aber: Wie willman die in diesem Energiekonzept formulierten an-spruchsvollen Steigerungen der Energieeffizienzoder der Rohstoffeffizienz erreichen, wenn man diesehocheffiziente Strom- und Wärmeproduktion kun-den- und verbrauchsnah nicht weiter fördert? Das istdie Voraussetzung. Also müsste man eine andereEntscheidung treffen.

Gerade das letzte Beispiel macht deutlich, dass dieBundesregierung sehr auf zentrale und große Ver-sorgungsstrukturen setzt. Das merkt man auch,wenn es um den Ausbau der erneuerbaren Energiengeht. Offensichtlich will man der Offshore-Windkraftdeutlichen Vorrang einräumen, auch durch höhereFörderungen, obwohl wir merken, dass sie die teu-rere Art dieser Versorgung ist.

(

(Im Ergebnis schaden Sie mit diesen Systement-

scheidungen der stark mittelständisch ausgerichtetenEnergiewirtschaft, aber auch den Energietechnolo-giebranchen und ihren Märkten. Das Konzept wirktdeswegen auch in diesem Punkt eher ineffizient. Eswird wahrscheinlich auch teurer sein. Das ist eigent-lich schade; denn ich dachte, die Systemfrage – zen-tral oder dezentral – sei parteiübergreifend dahingehend beantwortet worden: Ja, wir werden zuneh-mend eine dezentrale Energieversorgung haben,selbstverständlich gestützt durch zentrale Struktu-ren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, manmag unterschiedlicher Auffassung sein, was z. B. dieBrückentechnologie der fossilen Energieträger an-geht. Aber die Tatsache, dass durch den Vorrang derAtomenergie, wie er jetzt formuliert ist, die heimi-schen Energieträger, vor allem die subventionsfreieBraunkohle, vorzeitig und kurzfristig aus dem Ener-giemarkt vertrieben werden, hat natürlich massiveAuswirkungen auf Arbeitsplätze, Kraftwerksstand-orte und Förderregionen. Ich schaue nicht nur nachNordrhein-Westfalen, sondern auch in die neuenBundesländer. Ich kann und will mir nicht vorstellen,dass wir solch weitreichende Entscheidungen in ei-nem verkürzten Verfahren durchwinken, salopp for-muliert, was ich aber auch nicht glaube.

In der Haushaltsdebatte vorhin ist im Zusammen-hang mit den Finanzbeziehungen zwischen Bund,Ländern und Gemeinden einiges zur sogenanntenAbschöpfung der durch die Laufzeitverlängerung er-zielten Gewinne gesagt worden. Dazu will ich michnicht äußern. Aber hier wird nicht durch Gesetz, son-dern durch einen Förderfondsvertrag eine Bezie-hung zwischen Nachrüstmaßnahmen in die Sicher-heit von Atomkraftwerken und der Höhe derBeträge, die abgeschöpft werden, hergestellt. Um esdeutlich zu sagen: Wenn an einem Kraftwerksstand-ort über 500 Millionen Euro in Sicherheit investiertwerden, dann wird das zu geringeren Erträgen imHaushalt führen. Das ist ein fataler Interessenkonfliktzwischen Sicherheit und Einnahmeeffekten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß,dass wir die Debatte heute beginnen. Wir werdenwohl Ende dieses Monats die dazugehörigen Gesetzevorgelegt bekommen. Die Bundesregierung erwartetvon uns, dass sie bis zum 26. November, glaube ich,verabschiedet werden.

Ich will betonen, obwohl das öffentlich schon getanworden ist: Vor dem Hintergrund der weitreichendenEntscheidungen, von denen ich einige angeführthabe, gibt es Länder – dazu zählt meines –, die dasBundesverfassungsgericht anrufen werden. Die Mi-nisterpräsidentin und die Ministerpräsidenten habendas der Bundeskanzlerin geschrieben. Sollte die Bun-desregierung versuchen, die Laufzeitverlängerungentgegen der Mehrzahl von Gutachten ohne Zustim-mung des Bundesrates durchzusetzen, wird das einGrund sein, das Bundesverfassungsgericht anzurufen –nicht weil einem danach ist, sondern weil das in derSache an dieser Stelle geboten ist. – Vielen Dank.

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 367

Margit Conrad (Rheinland-Pfalz)

Page 32: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank,Frau Kollegin Conrad!

Der Nächste ist Herr Minister Professor Reinhart(Baden-Württemberg).

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden-Württemberg):Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Un-sere Landesregierung begrüßt und unterstützt dasEnergiekonzept der Bundesregierung. Es hat geradefür Baden-Württemberg besondere Bedeutung.

Ich möchte keinen Vortrag von 20 Minuten Längeüber Energiepolitik halten, sondern nur auf wenigeGesichtspunkte kurz eingehen.

Der vorliegende Entschließungsantrag gibt Gele-genheit, Behauptungen richtigzustellen.

Beispielsweise wird behauptet, es habe einen„Deal“ zu Gunsten der Stromkonzerne gegeben.Diese Behauptung halten wir für völlig falsch; dennes erfolgt – im Gegenteil – eine Abschöpfung der Zu-satzerträge in der Größenordnung von mehr als 60 %.Insgesamt ergibt sich ein Beitrag der EVUs von etwa30 Milliarden Euro.

Soeben wurde die Behauptung aufgestellt, die er-neuerbaren Energien würden behindert. Diese Be-hauptung ist völlig falsch; denn die erneuerbarenEnergien genießen – im Gegenteil – gesetzlichenVorrang sogar vor Strom aus Kohle und Kernkraft.Zukünftig fließen Jahr für Jahr 3 Milliarden Euro indie Weiterentwicklung und Unterstützung der erneu-erbaren Energien. Erst dadurch wird es einen massi-ven Schub für den raschen Umstieg in der Energie-versorgung geben. Das wäre, nebenbei bemerkt,ohne die Laufzeitverlängerung nicht darstellbar.

Weiter wird behauptet, die Sicherheit der Kern-kraftwerke werde verringert. Auch hier gilt, dass dasGegenteil richtig ist. In das Atomgesetz wird diePflicht der Betreiber zur Nachrüstung der Anlagenaufgenommen, und zwar aller Anlagen sofort undunabhängig vom Beginn der Laufzeitverlängerung.

Der Punkt, bei dem die Antragsteller Mitwirkungs-rechte verletzt sehen, betrifft die Frage der Zustim-mungsbedürftigkeit einer Atomgesetzänderung.Soeben wurde erwähnt, es gebe dazu mehrereRechtsgutachten. Dabei wird verschwiegen, dass esin gleicher Zahl Rechtsgutachten gibt, die die Zu-stimmungsbedürftigkeit verneinen. Deshalb sehenwir einer Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts sehr gelassen entgegen.

Ich darf aus einer neuen Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts zitieren. Das Gericht weist ineiner Pressemitteilung vom 11. Juni 2010 auf seineaktuelle Entscheidung zur Bundesratsbeteiligungbeim Luftsicherheitsgesetz hin. Danach führt einebloß quantitative Erhöhung der Aufgabenlast derLänder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltungnicht zu einer Zustimmungspflicht des Bundesrates.Damit bestätigt das Verfassungsgericht seine bishe-rige Rechtsprechung im Bereich der Bundeseigenver-waltung und der Länderverwaltung unter Bundes-aufsicht nun auch für die Bundesauftragsverwaltung.

(

(Eine zustimmungsbedürftige neue Aufgabenübertra-gung liegt demnach nur dann vor, wenn damit dieWahrnehmung der übertragenen Aufgabe strukturelloder in anderer Weise schwerwiegend verändertwird. Die bloß quantitative Erhöhung genüge dazuaber grundsätzlich nicht. – So das Bundesverfas-sungsgericht.

Ich will einen Hinweis geben. Baden-Württemberghatte damals bei dem „Trittin-Gesetz“ für die Zustim-mungsbedürftigkeit plädiert. – Ja, so war es, FrauKollegin! – Der Bundesrat hat das Gesetz nicht als zu-stimmungsbedürftig angesehen. Wäre es damals zu-stimmungsbedürftig gewesen, dann wäre es verfas-sungswidrig. Wir könnten das heute genausofeststellen lassen. Dann wären wir im Status quoante, sogar vor dem Atomausstiegsgesetz. Insoweitmeine ich, dass man für alles den gleichen Maßstabgelten lassen sollte, wenn man darüber spricht. Icherinnere mich noch daran, dass wir das damals an-ders gesehen haben.

Der Entschließungsantrag bezieht sich lediglich inseinem Titel auf das Energiekonzept der Bundesre-gierung, ansonsten ausschließlich auf das Thema„Atomkraft“. Ich vermute, dass man damit eine ge-wisse polarisierende Wirkung entfalten möchte. Ausunserer Sicht wäre es besser gewesen, sich mit demgesamten Konzept zu befassen, mit dem erstmals seitvielen Jahren wieder die Energieversorgung als Gan-zes, nicht nur der Atomausstieg in den Blick genom-men wird.

Es entspricht nicht den Tatsachen, dass durch eineLaufzeitverlängerung die erneuerbaren Energien inihrer Entwicklung behindert werden. Dies ist schon– ich wiederhole das – wegen des gesetzlichen Vor-rangs dieser Energien eine falsche Darstellung.

Eine Laufzeitverlängerung ist auch zum Erreichender Klimaschutzziele unabdingbar. Dazu wurde keineinziger Satz gesagt. Wir haben nichts über CO2-Emissionen gehört, die sowohl bei Gas- als auch beiKohlekraftwerken deutlich höher als bei Kernkraft-werken liegen.

Außerdem fließen zukünftig Jahr für Jahr 3 Milliar-den Euro in die Weiterentwicklung und Unterstüt-zung einer Energieversorgung aus regenerativenQuellen. Ohne diese massive finanzielle Unterstüt-zung könnte – das will ich wiederholen – das ehrgei-zige Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2050 ei-nen Anteil von 80 % erneuerbarer Energien zuhaben, aus unserer Sicht nicht erreicht werden.

Soweit der Entschließungsantrag Wettbewerbs-nachteile zu Lasten der kommunalen und mittelstän-dischen Energieversorger besorgt, kann dies jeden-falls nicht für deren Investitionen in erneuerbareEnergien gelten, da diesen, wie ausgeführt, ein ge-setzlicher Vorrang eingeräumt wird.

Meine Damen und Herren, ich komme zumSchluss. Es wird noch ausreichend Gelegenheit ge-ben, sich mit dem Konzept vertieft zu befassen, wenndie Gesetzesvorlagen den Bundesrat offiziell erreichthaben. Aber ich darf schon heute für unsere Landes-

368 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Page 33: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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regierung erklären, dass sie das Energiekonzept derBundesregierung als notwendig und – ich füge hinzu –zukunftsweisend erachtet.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank!

Nächster Redner ist Herr Senator Dr. Loske (Bre-men).

Dr. Reinhard Loske (Bremen): Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bremi-sche Landesregierung hält das Energiekonzept derBundesregierung für nicht überzeugend und siehtnoch erheblichen Veränderungs- und Beratungsbe-darf.

Wenn man in Bremen einen Zirkel einsticht undden Radius auf 130 km stellt, dann finden wir indiesem Kreis sechs Atomkraftwerke: Esenshamm,Grohnde, Lingen, Brunsbüttel, Krümmel und Stade.Einzelne dieser Kraftwerke standen in den vergange-nen Jahren massiv in der Kritik, was die Sicherheits-standards betrifft. Ich nenne das AtomkraftwerkKrümmel. Andere würden, wenn es nach dem Atom-gesetz möglich wäre, im nächsten oder übernächstenJahr abgeschaltet.

Insofern sind wir von den Planungen der Bundesre-gierung, die Atomkraftwerkslaufzeiten bei alten An-lagen um acht Jahre und bei neueren um 14 Jahre zuverlängern, in erheblicher Weise betroffen. Es gibtmit Ausnahme des Rhein-Main-Gebietes keinen ver-gleichbaren Raum, in der eine derartige Dichte anAtomkraftwerken vorhanden ist. Das ist nur einer derGründe, warum wir der Meinung sind, dass es hierder Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Herr Professor Reinhart – er ist, glaube ich, geradenicht anwesend –, im Jahr 2001 herrschte eine völligandere Situation. Als wir 2001 das Atomgesetz novel-liert haben, haben wir Risiken von den Ländern ge-nommen. Wir haben Risiken reduziert, wir habenMüll reduziert, wir haben die Zahl von Transportenreduziert. Heute ist es genau umgekehrt: Wir bürdenden Ländern zusätzliche Risiken, zusätzliche Trans-porte und zusätzlichen Atommüll auf. Das ist ein ge-waltiger Unterschied.

Wir Länder, das Land Bremen beispielsweise, sindaber auch betroffen, weil wir Häfen haben. VieleTransporte laufen über die Häfen. Wir haben Schie-nen- und Straßentransporte. Insofern berührt unsdieses Thema in besonderer Weise.

Wir sind, wenn man etwas weiter ausholt, auchüber die Frage der Haftung aller staatlichen Ebeneninvolviert. Wir haben faktisch eine Deckungsvor-sorge von 2,5 Milliarden Euro bei den Atomkraft-werksbetreibern. Jenseits dieser Grenze besteht fak-tisch eine Staatshaftung. Insofern sind auch indiesem Punkt alle staatlichen Ebenen berührt.

Bei der Frage der Endlagerung – das kam schonzur Sprache – setzt die Bundesregierung in ihremEnergiekonzept auf das Prinzip „Augen zu unddurch!“. Gorleben soll unbedingt realisiert werden.Was wir brauchen, ist ein „Endlagersuchgesetz“, das

(

(ein transparentes und ergebnisoffenes Verfahrenvorsieht.

Eine zweite Perspektive aus dem NordwestenDeutschlands: Es ist bekannt, dass wir dort oben sehrstark auf Windenergie im Allgemeinen und auf Off-shore-Windenergie im Besonderen setzen. Selbst dieBundesregierung bestätigt noch einmal das Ziel, dasssie bis zum Jahr 2030 25 000 MW Offshore-Wind-energie auf dem Meer installieren will. Dies sind ge-waltige Größenordnungen. Das wären 15 bis 20 %des gesamten deutschen Stromverbrauchs.

Deshalb haben wir doppelt Sorge, wenn die Atom-kraftwerkslaufzeiten verlängert werden sollen. Zumeinen befürchten wir, dass beim Ausbau der erneu-erbaren Energien Tempo herausgenommen werdensoll. Dafür bietet die Bundesregierung durchaus An-lass und Indizien. Sie hat noch vor kurzem in ihremBericht an die Kommission in Brüssel höhere Ausbau-zahlen für die erneuerbaren Energien vorgesehen,als sie sie jetzt im Energieprogramm vorsieht. DieseZahlen bleiben erst recht weit hinter dem zurück,was die Branche der erneuerbaren Energien selbstfür möglich hält. Insofern ist unsere erste Sorge, dassTempo herausgenommen werden soll, durchaus be-rechtigt, wie wir finden.

Auch die zweite Sorge ist nicht unerheblich, näm-lich dass wir dann, wenn die Netze mit Atomkraftquasi geflutet bleiben und gleichzeitig die erneuer-baren Energien stark aufwachsen, eine politischeDiskussion, politischen Druck auf den Einspeisevor-rang für erneuerbare Energien bekommen, wobeimanche sicherlich der Meinung sind, man solle die„flexiblen“ – oder unflexiblen – in der Grundlast ge-fahrenen Atomkraftwerke doch bevorzugen.

Insofern ist aus der Perspektive neuer Technolo-gien und im Besonderen der erneuerbaren Energien– das wurde gerade moniert – die Sorge berechtigt,dass durch längere Atomkraftwerkslaufzeiten weni-ger Innovationen und weniger Arbeitsplätze entste-hen.

Aber nicht nur im Bereich der erneuerbaren Ener-gien setzt die Bundesregierung auf Tempodrosse-lung. Obwohl sie in dem Konzept – das soll ausdrück-lich konzediert werden – eine deutliche Erhöhungder Energieeffizienz und eine deutliche Erhöhungder Gebäudesanierungsraten vorsieht, werden keinewirksamen Instrumente zur Zielerreichung angebo-ten:

Die Mittel für die Altbausanierung und den Einsatzvon erneuerbaren Energien im Wärmesektor werdennicht erhöht, sondern gekürzt.

Die Energieeffizienzrichtlinie der EuropäischenUnion wird minimalistisch umgesetzt; wir haben ineiner der letzten Sitzungen darüber gesprochen.

Die Effizienzkennzeichnung von Automobilen sollintransparent bleiben; sie hat keine nennenswerteQualität, was Auskünfte betrifft.

Zur Weiterentwicklung des Emissionshandels, ei-nem zentralen Instrument im Bereich des Klima-schutzes, fehlen verbindliche Festlegungen.

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 369

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart (Baden-Württemberg)

Page 34: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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Anreize zur Förderung der dezentralen Kraft-

Wärme-Kopplung – darauf wurde schon hingewiesen –fehlen völlig.

Insofern ist auch bei den großen ThemenkreisenEnergieeffizienz und Energieeinsparung zwar eineambitionierte Zielstellung vorhanden, mit Maßnah-men sind sie jedoch nicht ohne weiteres unterlegt.

Der nächste Punkt: Die besonderen Verlierer beider AKW-Laufzeitverlängerung sind die neuen Ak-teure auf den Energiemärkten – sie sind in diesemoligopolistischen Markt ausdrücklich erwünscht –und vor allem die Stadtwerke. Diese setzen stark auferneuerbare Energien und auf dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung. Sie haben sich darauf verlassen,dass die Rahmenbedingungen, der Atomausstieg,gelten, und sind jetzt gewissermaßen die Dummen.Es ist kein Zufall, dass sie sich, unabhängig von derpolitischen Couleur, massiv zu Wort melden. Sie sa-gen, es sei suggeriert worden, es gebe Investitions-und Planungssicherheit. Jetzt ist das Gegenteil derFall. Man könnte auch die rhetorische Gegenfragestellen: Angenommen, es gelingt, die Laufzeitverlän-gerung durchzudrücken, und 2013 treten drei Par-teien mit der Aussage an, sie zurückzuholen, wennsie die Regierung stellen, was ist dann? – Das ist allesandere als Planungs- und Investitionssicherheit. Inso-fern kann man die Regierung nur davor warnen, dieLaufzeit zu verlängern, wie sie es vorhat.

Es wurde angesprochen, dass monopolistischeStrukturen am Energiemarkt verfestigt werden. Esist bekannt, dass 80 % der Stromerzeugung direktoder indirekt von den Großen Vier kontrolliert wer-den. Diese oligopolistischen Strukturen werden nocheinmal gestärkt. Den vier Akteuren werden 100 Mil-liarden Euro zugespielt. Die Leistung, die sie erbrin-gen müssen, die Speisung des Klimafonds auf der ei-nen, die Brennelementesteuer auf der anderen Seite,ist nur ein kleiner Teil dessen, was sie an zusätzli-chen Monopolrenditen einstreichen können. Eswurde bereits darauf verwiesen, dass die Speisungdes Klimafonds indirekt mit der Sicherheit zusam-menhängt: Geld, das in Sicherheit jenseits eines be-stimmten Niveaus investiert wird, kann von dem Be-trag abgezogen werden, der dem Klimafondszugeführt wird. Das heißt faktisch, Sicherheit wirdfinanziell gedeckelt. Auch das halten wir nicht fürakzeptabel.

Ich fasse zusammen:

Erstens. Das verkürzte Verfahren, das die Bundes-regierung plant, ist angesichts der Bedeutung desThemas für Energieversorgung, Klimaschutz undWettbewerb unangemessen. Eine faktisch vierwö-chige Beratungszeit für ein derartig wichtiges Geset-zespaket ist unangemessen.

Zweitens. Die Atomgesetznovelle ist zustimmungs-bedürftig. Es wurde gerade so getan, als gäbe es daFifty-fifty-Meinungen. Wenn man sich die Literaturanschaut, kann man sagen: Der größere Teil derVerfassungsrechtler – Professor P a p i e r , ProfessorW i e l a n d und andere – ist der Meinung, es be-stehe Zustimmungspflicht. Nur ein kleiner Teil der

(

(Verfassungsrechtler ist der Meinung, man könne dieZustimmung des Bundesrates eventuell umgehen,nämlich wenn es sich um moderate Laufzeitverlänge-rungen handelt. Meine sehr verehrten Damen undHerren, sind 8 bzw. 14 Jahre moderate Laufzeitver-längerungen? Das kann man nicht ernsthaft behaup-ten.

Dritter und letzter Punkt: AKW-Laufzeitverlänge-rungen gehen zu Lasten der erneuerbaren Energien,zu Lasten der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung,zu Lasten der Stadtwerke und der neuen Akteure amEnergiemarkt sowie zu Lasten des Wettbewerbs.

Zu den Themenkreisen Energieeffizienz und Ener-gieeinsparung liegen zwar ambitionierte Ziele vor;das soll ausdrücklich anerkannt werden. Aber es feh-len die angemessenen Instrumente.

Die Bremische und die Rheinland-Pfälzische Lan-desregierung sowie einige andere Landesregierun-gen haben bereits angekündigt, das Verfassungsge-richt anzurufen, wenn die Bundesregierung beiihrem Weg bleibt, die Zustimmung durch den Bun-desrat faktisch zu umgehen. – Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank,Herr Senator Dr. Loske!

Frau Parlamentarische Staatssekretärin Reiche(Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit).

Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bun-desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit: Frau Präsidentin, meine Damen und Her-ren! Das Energiekonzept ist langfristig angelegt. Esist eine Strategie, die erstmals alle Sektoren umfasstund den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Ener-gien und der Energieeffizienz weist. Das ist in Eu-ropa und weltweit einmalig. Wir formulieren ambitio-nierte Ziele zur Minderung von Treibhausgasen, fürden Ausbau der erneuerbaren Energien und fürEnergieeffizienz bis zum Jahr 2050. Es enthält kon-krete Maßnahmen, wie die Ziele erreicht werden sol-len, sowie erstmals einen soliden Finanzierungsplan.

Der Zielhorizont 2050 trägt den langen Investi-tionszyklen im Bereich der Energiewirtschaft Rech-nung. Er gibt allen Akteuren klare Orientierung undgenügend Zeit, um die richtigen Schritte einzuleiten.Damit schaffen wir verlässliche Rahmenbedingun-gen für Technologieentwicklung und Investitionen.

Ich möchte auf einige Punkte eingehen.

Erstens Ausbau und Modernisierung der Strom-netze: Ohne moderne intelligente Stromnetze ist derkonsequente Ausbau von dezentralen Versorgungs-einheiten für erneuerbare Energien nicht möglich.Besonders wichtig werden die Planung und der Auf-bau eines deutschen Overlay-Netzes sein. Wir brau-chen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-netze, die den Transport großer Mengen vonOffshore-Windenergie aus dem Norden des Landesin den Süden möglichst verlustarm garantieren. Wirbrauchen aber auch intelligente Verteilnetze. Deswe-

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Dr. Reinhard Loske (Bremen)

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gen werden wir ein „Zielnetz 2050“ entwickeln undwollen eine Bundesfachplanung einführen.

Wir werden eine Informationsoffensive über denLeitungsausbau in Deutschland starten. Wir bittendie Länder und Kommunen dabei um Unterstützung.Es wäre wünschenswert, wenn wir gemeinsam umAkzeptanz für den Leitungsausbau werben könnten.

Zweitens. Selbstverständlich entwickeln wir dasErneuerbare-Energien-Gesetz weiter. Es garantiert,dass wir unsere Ausbauziele erreichen. Gleichzeitigwerden wir den Druck auf Innovationen erhöhen unddie Potenziale zur Kostensenkung nutzen. JüngsteZahlen zeigen, dass die erfreulichen Ausbauziele beiden erneuerbaren Energien mit hohen Kosten ver-bunden sind. Wir müssen private Verbraucher, aberauch die Industrie vor Überlastung schützen.

Wir werden in Offshore-Parks investieren. Die KfWwird ein Sonderprogramm in Höhe von 5 MilliardenEuro auflegen, um die hohen wirtschaftlichen Risi-ken, die mit dem Ausbau verbunden sind, abzufe-dern.

Ich möchte etwas zur Kernenergie sagen: Unserewünschenswerten Ziele – Ausbau der erneuerbarenEnergien, Investitionen in moderne Netze, Investitio-nen in Bildung und Forschung, Elektromobilität, Sa-nierung von Gebäuden – erfordern zum einen Zeit,zum anderen Wirtschaftlichkeit. Deswegen brauchenwir die Kernenergie als Brückentechnologie. Ausdiesem Grunde werden wir die Laufzeit von 17 Kern-kraftwerken um durchschnittlich 12 Jahre verlän-gern.

Was die im Antrag angesprochenen formalen Vo-raussetzungen für das Inkrafttreten des Gesetzes an-geht, so ist es die klare Auffassung der Bundesregie-rung, dass das Gesetz nicht der Zustimmung desBundesrates bedarf. Das ist die Auffassung der Ver-fassungsressorts. Es ist die herrschende Meinung inder Rechtswissenschaft und wird eindeutig durch diejüngste Entscheidung des Bundesverfassungsge-richts zum Luftsicherheitsgesetz gestützt.

Die Bundesregierung widmet sich erstmals umfas-send neuen Sicherheitsanforderungen, einer neuenQualität der Sicherheit der Kernkraftwerke. Wir ha-ben in der Novelle des Atomgesetzes zusätzlich ein-zuhaltende dynamische Sorgfaltspflichten der Anla-genbetreiber formuliert.

Meine Damen und Herren, die Verlängerung derLaufzeiten geht sehr wohl mit den Ausbauzielen dererneuerbaren Energien konform. Es bleibt beim Ein-speisevorrang für die erneuerbaren Energien undbeim Vergütungsmodell. Insofern möchte ich meinenVorrednern, die daran Zweifel hatten, widersprechenund betonen, dass wir bei unserer Systematik blei-ben.

Mit dem Energiekonzept sind wir auf einem gutenWeg, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands aufwichtigen Zukunftsmärkten zu sichern und das zen-trale Nervensystem unserer Volkswirtschaft, dieEnergieversorgung, modern zu gestalten.

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(Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank!

Eine Erklärung zu Protokoll*) hat Frau Staatsmi-nisterin Müller (Bayern) für Herrn StaatsministerZeil abgegeben.

Ich weise die Vorlage dem Umweltausschuss – fe-derführend – sowie dem Finanzausschuss, dem Aus-schuss für Innere Angelegenheiten und dem Wirt-schaftsausschuss – mitberatend – zu.

Meine Damen und Herren, bevor wir in der Tages-ordnung fortfahren, möchte ich auf Tagesordnungs-punkt 11, GKV-Finanzierungsgesetz, zurückkom-men.

Hierzu bittet das Land Schleswig-Holstein um Wie-derholung der Abstimmung zu dem Antrag des Lan-des in Drucksache 581/2/10.

Dies setzt Einvernehmen voraus. Wenn sich hierge-gen kein Widerspruch ergibt, lasse ich erneut abstim-men. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall.

Ich bitte dann um das Handzeichen zu Drucksache581/2/10. – Das ist die Mehrheit. Dann hat sich dasErgebnis geändert**).

Ziffer 20 der Ausschussempfehlung entfällt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 10:

Entwurf eines Gesetzes zur Restrukturierungund geordneten Abwicklung von Kreditinstitu-ten, zur Errichtung eines Restrukturierungs-fonds für Kreditinstitute und zur Verlängerungder Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Or-ganhaftung (Restrukturierungsgesetz) (Druck-sache 534/10)

Das Wort hat Herr Staatsminister Posch (Hessen).

Dieter Posch (Hessen): Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Die Finanzmarkt-krise hat uns gemeinsam sicherlich zwei Dinge deut-lich gemacht: Zum einen hat sie aufgezeigt, dass einsystemrelevantes Kreditinstitut so stark in wirtschaft-liche Schwierigkeiten geraten kann, dass sich dieseSchwierigkeiten zu einer nationalen oder sogar welt-weiten Finanz- und Wirtschaftskrise ausweitenkönnen. Zum anderen hat sie gezeigt, dass die öf-fentlichen Haushalte in ihrem finanziellen Krisenbe-wältigungspotenzial begrenzt sind und die Krisenbe-wältigungskosten nicht per se auf den Steuerzahlerabgewälzt werden können.

Angesichts dieser Erkenntnisse begrüßt die Hessi-sche Landesregierung das von der Bundesregierungmit dem Restrukturierungsgesetz verfolgte Ziel, ge-eignete Instrumente und Verfahren einzuführen, mitdenen die Schieflage eines systemrelevanten Kredit-instituts ohne Gefahr für die Stabilität des gesamtenFinanzsystems bewältigt sowie die Belastung der öf-fentlichen Haushalte bei einer Krisenlage auf dasNotwendigste beschränkt werden kann. Es steht imEinklang mit den derzeitigen Entwicklungen und

*) Anlage 10**) Siehe Seite 362 C

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 371

Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche

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Forderungen auf der europäischen und der interna-tionalen Ebene.

Die Staats- und Regierungschefs der G 20 habensich nicht nur für neue Eigenkapitalregeln ausge-sprochen, sondern wiederholt – zuletzt Ende Junidieses Jahres – die Entwicklung international ein-heitlicher Rahmenbedingungen für unternehmens-spezifische Strategien in Krisenfällen gefordert.Jetzt wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, der in sol-chen Krisenfällen Vorsorge treffen soll. Sosehr seineZielstellung auch zu begrüßen ist, können jedocheinzelne Regelungsvorschläge – auf diese will ichnoch eingehen – im Ergebnis einer kritischen Würdi-gung nicht standhalten.

Positiv zu bewerten ist die Schaffung eines zwei-stufigen Verfahrens, das mit einem Sanierungs- undeinem Reorganisationsverfahren wirksame Rahmen-bedingungen für gemeinsame und eigenverantwort-liche Verhandlungslösungen schaffen soll. Auf derersten Stufe steht das Sanierungsverfahren, das dieBewältigung von Schieflagen weit im Vorfeld einerInsolvenz ermöglicht, indem diskret, frühzeitig undeffektiv Maßnahmen ergriffen werden. Sollte eineSanierung nicht möglich sein oder von vornhereinausgeschlossen erscheinen, kann das angeschlageneKreditinstitut durch das auf der zweiten Stufe befind-liche Reorganisationsverfahren restrukturiert wer-den. Auf dieser Stufe kann nicht nur in Rechte derGläubiger, sondern auch dauerhaft in Rechte der An-teilseigner – hier seien die Umwandlung oder Aus-gliederung von Unternehmensteilen genannt – ein-gegriffen werden. Uns allen ist sicherlich bewusst,dass hier sehr weitreichende Eingriffsmöglichkeitengegeben werden.

Ebenfalls positiv zu bewerten ist die Schaffung zu-sätzlicher Befugnisse für die Finanzdienstleistungs-aufsicht. Es ist beklagt worden, die Instrumentereichten nicht aus. Diese Befugnisse sollen es ermög-lichen, weit im Vorfeld einer Insolvenz Sanierungs-schritte der Kreditinstitute zu fordern und durchzu-setzen. So soll die Finanzdienstleistungsaufsicht etwaeinen Sonderbeauftragten einsetzen und Aufgabenauf ihn übertragen können.

Darüber hinaus sollen die bestehenden hoheitli-chen Handlungsinstrumente zur Restrukturierungund geordneten Abwicklung eines gefährdeten Kre-ditinstituts erweitert werden.

Hervorzuheben ist, dass notfalls ohne Zustimmungder Betroffenen das Vermögen oder Teile des Vermö-gens eines systemrelevanten Kreditinstituts auf eineprivate Bank oder vorübergehend auf eine staatlicheBrückenbank übertragen werden können.

Meine Damen und Herren, dies sind sehr weitrei-chende Eingriffe, die aber dem Diskussionsprozessauf nationaler und internationaler Ebene Rechnungtragen.

Hinsichtlich der im Rampenlicht der Diskussionstehenden und vielfach als „Ärgernis“ kritisiertenBankenabgabe sieht das Restrukturierungsgesetz mitdem Restrukturierungsfondsgesetz die Errichtung ei-nes Fonds für Kreditinstitute vor, der von der Bun-

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(desanstalt für Finanzmarktstabilisierung verwaltetwird. Er soll als Vorsorge für künftige Krisen dienenund den Finanzmarkt durch die Überwindung einerBestands- und Systemgefährdung stabilisieren.

Dieses Ziel kann dem Grunde nach befürwortetwerden; denn die vorrangige Heranziehung desFinanzsektors zu den Kosten der Krisenbewältigungin Form einer Abgabe an einen gemeinsamen Fondswird nicht nur stabilisierend für das gesamte Finanz-system wirken, sondern darüber hinaus das Ver-trauen der Bankenkunden in die Stabilität desFinanzsystems wiederherstellen und stärken. Des-wegen ein eindeutiges Ja hierzu.

Allerdings bedarf der Fonds aus Ländersicht einergenaueren Betrachtung. Es zeigt sich, dass die vonder Bundesregierung vorgeschlagene Ausgestaltungder Bankenabgabe in einigen Punkten nicht über-zeugen kann.

Bevor ich zu den Punkten im Einzelnen komme,gebe ich zu bedenken, dass sich bei der Konzeptionund Umsetzung einer Bankenabgabe ein sowohl aufeuropäischer als auch auf internationaler Ebeneabgestimmtes Vorgehen empfiehlt. Ein andauerndernationaler Alleingang hätte mittelfristig Wettbe-werbsnachteile für die deutschen Kreditinstitute zurFolge und würde im Fall einer Überregulierung zurSchwächung des Finanzplatzes Deutschland führen.Ich sage das vor dem Hintergrund der Erfahrungen,die wir in Hessen am Finanzplatz Frankfurt machen.Nur durch ein abgestimmtes und gemeinsames Vor-gehen lassen sich auch künftig fairer Wettbewerbund höhere Akzeptanz bei allen Beteiligten gewähr-leisten.

Die Bankenabgabe muss bald eingeführt werden.Wir müssen die Banken zeitnah an den Kosten betei-ligen und beginnen, einen Finanzstock aufzubauen,um den Steuerzahler zu entlasten und damit aus derDiskussion herauszukommen, dass die Kosten aus-schließlich auf ihn abgewälzt würden.

Dies soll Anreiz für andere Länder sein, dem Bei-spiel Deutschlands zu folgen, wenn eine Abstim-mung kurzfristig noch nicht erreicht werden kann.

Wenn aber dieser Weg beschritten wird, wenn wiralso Vorreiter sind, muss man bereit sein, unter Um-ständen diese Regelung zu überarbeiten, wenn eineeuropäische oder internationale Einigung erzieltwird. Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Alles,worüber wir hier diskutieren, muss unter dem Vor-behalt anderweitiger Regelungen stehen, die dannGültigkeit haben. Dies haben wir beispielsweise imZusammenhang mit den Leerverkäufen und der Ver-briefung aus hessischer Sicht in gleicher Weise er-klärt. Es kann nicht angehen, auf internationaleRegelungen zu verzichten und damit die Wettbe-werbsfähigkeit der Finanzdienstleistungen bei uns inHessen bzw. in Deutschland auf Dauer zu beschädi-gen. Die Forderung nach internationalen Regelnsteht jedenfalls an vorderster Front. Ich weiß, dassdas nicht einfach ist.

Zur Ausgestaltung der Bankenabgabe sind zweiEckpunkte zu nennen: Erstens soll sie risikobegren-

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Dieter Posch (Hessen)

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zende Wirkung entfalten und die Kreditwirtschaft imHinblick auf die weiteren regulatorischen Vorhaben– die Eigenkapitalvorschriften nach Basel III sowiedie EU-Pläne zur Einlagensicherung – nicht überfor-dern. Zweitens darf sie nicht als Haftungsausschlussfür unternehmerisches Versagen oder Fehlverhaltenverstanden werden, wodurch sie im Ergebnis das vonihr verfolgte Ziel konterkarieren würde.

Meine Damen und Herren, der Vorschlag der Bun-desregierung, dass alle – mit wenigen Ausnahmen –Kreditinstitute zur Bankenabgabe herangezogenwerden sollen, kann nicht unterstützt werden. Im Ge-gensatz zur Kreditanstalt für Wiederaufbau sollen so-wohl die rechtlich selbstständigen als auch die recht-lich unselbstständigen Förderinstitute der Länderbeitragspflichtig sein. Dem können wir nicht zustim-men. Hierfür besteht kein sachlicher Grund. Denndiese Förderinstitute unterfallen ebenso wie die Kre-ditanstalt für Wiederaufbau einer besonderen staatli-chen Aufsicht. Auch obliegt ihnen die monetäre För-derung von Aufgaben, die im öffentlichen Interesseliegen, etwa Struktur- und Wirtschaftspolitik. Eskann nicht angehen, die Wirtschafts- und Infrastruk-turbank Hessen und die Förderinstitute in anderenLändern, die stabilisierende Wirkung haben, geradewenn es darum geht, Unternehmen zu helfen, die inSchwierigkeiten geraten, heranzuziehen.

Ich füge mit besonderer Betonung hinzu, dass das,was für die Kreditanstalt für Wiederaufbau Gültigkeithat, auch für die Förderinstitute der Länder geltenmuss. Die Förderinstitute der Länder basieren eben-falls auf der Verständigung II zwischen der Bundes-regierung und der Europäischen Kommission. Daherbesteht keine Veranlassung, die Kreditanstalt fürWiederaufbau anders zu behandeln als die Förderin-stitute der Länder.

Hinzu kommt, dass sich die Förderinstitute derLänder nicht in Geschäftsbereichen und Finanzpro-dukten mit so hohem Krisenverursachungspotenzialbetätigen, dass sie mit der Bankenabgabe belegtwerden müssten. Sie stellen kein Risiko für die Sta-bilität des Finanzsystems dar, weil sie bekanntlichder Gewährträgerhaftung unterfallen. Die von derBundesregierung in ihrem Gesetzentwurf implizitunterstellte Inanspruchnahme des Restrukturierungs-fonds durch Förderinstitute der Länder kann ausge-schlossen werden.

Auch die Bürgschaftsbanken der Länder, die ge-rade in der Wirtschaftskrise hervorragende Arbeitgeleistet haben, müssen von der Bankenabgabe aus-genommen werden. Auf sie trifft die mit dieser Ab-gabe verfolgte Lenkungswirkung ebenfalls nicht zu.Ihr Geschäftsmodell ist auf die Förderung kleinerund mittelständischer Unternehmen unter Einbin-dung staatlicher Rückbürgschaften ausgerichtet, wo-bei sie bei deren Vergabe engen Restriktionen unter-worfen sind. Wir haben – ich glaube, das geht vielenLändern so – gerade mit den Bürgschaftsbanken her-vorragende Ergebnisse erreicht. Es wäre völligfalsch, sie einer Abgabepflicht zu unterwerfen. Füreine Ausnahme spricht auch die bereits erwähnte

(

(Tatsache, dass sie in der aktuellen Krise einen stabili-sierenden Beitrag geleistet haben.

Alle diese Kritikpunkte spiegeln sich in den Aus-schussempfehlungen – insbesondere unter Ziffer 16 –wider.

Die Einbeziehung der Kreditinstitute, die einem in-stitutssichernden System angeschlossen sind, in dieBankenabgabe kann ebenfalls nicht unterstützt wer-den. Insbesondere die Sparkassen und Genossen-schaftsbanken haben das Entstehen der aktuellen Fi-nanzmarktkrise zum einen nicht verursacht, zumanderen verfügen sie mit ihren Institutssicherungenüber eigene Schutzsysteme, nach denen sie für dieSolvenz und die Liquidität der angeschlossenen Insti-tute eigenverantwortlich zu sorgen haben. Insoferngilt das Gleiche, was ich in Bezug auf die Förderban-ken und die Bürgschaftsbanken gesagt habe.

Schließlich kann der Vorschlag, dass die näherenEinzelheiten zu Jahres- und Sonderbeiträgen von derBundesregierung im Benehmen mit der DeutschenBundesbank unter Ausschluss des Bundesrates gere-gelt werden können, nicht befürwortet werden. Aufdie Einbindung des Bundesrates kann nicht verzich-tet werden. Das ergibt sich auch aus meinen Ausfüh-rungen zu den übrigen Themen.

Meine Damen und Herren, nach dem Willen derBundesregierung soll sich die Beitragsbemessungvorrangig und ausschlaggebend nach der Summe dergegenüber anderen Kreditinstituten eingegangenenVerbindlichkeiten richten. Dieser Ansatz ist zwar ausGründen der Krisenprävention zu befürworten. Je-doch müssen sich aus Gründen einer verursachungs-gerechten Beitragsbemessung auch risikoärmere Ge-schäftsmodelle und damit risikobegrenzende Postenbei der Bemessung der Höhe der Bankenabgabe inangemessenem Umfang widerspiegeln. Dies gilt ins-besondere für Sparkassen und Genossenschaftsban-ken – sofern sie nicht generell ausgenommen werden –,deren Geschäftsmodell wegen der starken Betonungdes Einlagengeschäfts wenig risikoträchtig und über-aus solide ist.

Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Ver-längerung der Verjährungsfrist von fünf Jahren aufzehn Jahre wird von uns befürwortet. Hierdurch wirddie Eigenverantwortlichkeit der handelnden Perso-nen für die Stabilität des Finanzsystems hervorgeho-ben.

Zusammenfassend ist – trotz der angesprochenenKritikpunkte – festzuhalten, dass die Bundesregie-rung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf den Hebelinsgesamt an den richtigen Stellen des Systems an-setzt. Der Entwurf bedarf an einigen sensiblen Stel-len jedoch der Nachjustierung. Dies bezieht sich aufdie von mir genannten Förderbanken, Bürgschafts-banken sowie Sparkassen und Genossenschaftsban-ken. Wir werden darauf achten, dass diesen Aspek-ten im weiteren Gesetzgebungsverfahren genügendRaum gegeben wird. – Vielen herzlichen Dank fürIhre Aufmerksamkeit.

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 373

Dieter Posch (Hessen)

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Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank,Herr Kollege Posch!

Der nächste Redner ist Herr Minister Dr. Walter-Borjans (Nordrhein-Westfalen).

Dr. Norbert Walter-Borjans (Nordrhein-Westfalen):Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seitdem Beginn der Finanzkrise ist eine ganze Reihe vongesetzgeberischen Maßnahmen auf den Weg ge-bracht worden. Dazu gehört das Restrukturierungs-gesetz, über das wir jetzt sprechen. Wir sind uns si-cher einig darüber, dass eine der Lehren, die wir ausder Finanzkrise ziehen müssen, lautet: Wir brauchengeeignete Instrumente, um Banken, insbesonderesystemrelevante Banken, die in wirtschaftlicheSchwierigkeiten geraten sind, in einem geordnetenVerfahren zu sanieren oder gegebenenfalls abzuwi-ckeln.

Das Restrukturierungsgesetz zielt auf diesen Tatbe-stand. Es gibt aber – das ist bereits Gegenstand derAusführungen meines Vorredners, des KollegenPosch, sowie vieler Debatten im Finanzausschuss undanderen Ausschüssen gewesen; ich kann mich demnur anschließen – eine Reihe von Details, die nochklärungsbedürftig und überarbeitungsbedürftig sind,etwa die Einbeziehung der Förderinstitute, der Spar-kassen und der Genossenschaftsbanken in die Ban-kenabgabe, aber auch die Frage, ob bei einer Ausla-gerung von toxischen Papieren und der Gründungeiner Abwicklungsanstalt nur das ursprünglich abge-bende Institut oder alle nach § 8a Finanzmarktstabili-sierungsgesetz Berechtigten in diese Abwicklungs-anstalt abspalten dürfen.

Ich will mich auf einen Punkt beschränken, in demwir Nachbesserungsbedarf besonders deutlich se-hen: die Bemessung der Vergütungen in den staat-lich unterstützten Instituten. Nicht nur ich sehe eindeutliches Missverhältnis, wenn auf der einen SeiteBanken, die, wie es so schön heißt, „too big to fail“sind, mit öffentlichen Geldern in Millionenhöhe ge-rettet werden, auf der anderen Seite eine nur vorder-gründig verabredete Begrenzung der Gehälter schonin der zweiten Reihe unterlaufen wird. Dabei geht esnicht nur um die festen Vergütungen; die variablenLeistungen sind in zahlreichen Fällen deutlich höherund umfassen ein Vielfaches des Grundgehalts.

Eine Lehre, die wir aus der Finanzkrise gezogenhaben, beabsichtigen wir im Restrukturierungsgesetzzu verankern: Wir müssen immer ein Stück weit da-rauf achten, dass wir die Menschen im Land mitneh-men und dass sie ein gewisses Verständnis für dasaufbringen, was der Staat an manchen Stellen tut,weil er dazu in der Lage ist. Auf der anderen Seitemüssen wir die Risiken begrenzen. Es darf keinenHaftungsausschluss geben, sondern die Verantwor-tung ist bei denen zu belassen, die sie tatsächlich tra-gen müssen.

Bei der Gründung der Finanzmarktstabilisierungs-anstalt und der Fassung der entsprechenden Rege-lungen sind diese Fragen erörtert worden. Diegesetzliche Grundlage, das Finanzmarktstabilisie-

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(rungsfondsgesetz, ermächtigt die Bundesregierungdeshalb, für Unternehmen des Finanzsektors, dieStabilisierungsmaßnahmen in Anspruch nehmen, imWege der Rechtsverordnung nähere Bestimmungenüber „die Vergütung ihrer Organe, Angestellten undwesentlichen Erfüllungsgehilfen“, wie es so schönheißt, zu erlassen. Die Bundesregierung hat von derErmächtigung Gebrauch gemacht und in der von ihrerlassenen Rechtsverordnung die Vergütung aufmaximal 500 000 Euro als angemessen festgesetzt.

Aus heutiger Sicht muss man leider feststellen: DieBundesregierung hat den Geltungsbereich der Ver-gütungsobergrenze auf Organmitglieder und Ge-schäftsleiter beschränkt. Offenbar ist sie – wie manchanderer – von der idealtypischen Vorstellung ausge-gangen, dass Geschäftsleiter die höchste Vergütungin einem Unternehmen beziehen. Ich meine, Sinn derRegelung war es, die Begrenzung auf alle Mitarbei-ter der betreffenden Institute zu erstrecken. WennInstitute, die zum Entstehen der Finanzkrise beige-tragen haben, staatliche Hilfe in Anspruch nehmen,dann ist es nur recht und billig, dass im Wege derSchadensbegrenzung die Gehälter gedeckelt wer-den, und zwar für alle. Das ist unsere Vorstellung.Wir sind überzeugt davon, dass sie unter dem Ge-sichtspunkt der Gerechtigkeit und der Vermittlungvon Stabilisierungsmaßnahmen nach draußen aufbreites Verständnis stößt.

Wir haben in jüngster Zeit verschiedentlich fest-gestellt: Die Wirklichkeit in der Finanzbranche siehtanders aus. Es werden ungerührt auch in mit Milliar-denbeträgen vom Staat gestützten Banken beträchtli-che Boni ausgezahlt. Eine vertretbare Vergütungs-obergrenze für alle Mitarbeiter staatlich gestützterBanken ist ohne ausdrückliche rechtliche Regelungoffenbar nicht erreichbar. Deswegen muss eine sol-che Regelung in das Restrukturierungsgesetz aufge-nommen werden.

Mein dringender Appell an Sie alle lautet, das zuunterstützen. Die Signale, die es im Vorfeld gegebenhat, klingen sehr positiv. Sie kommen aus dem Kreisaller Parteien, aus dem Bundestag und dem Bundes-rat. – Herzlichen Dank.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank!

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. – Je eineErklärung zu Protokoll*) haben Herr StaatsministerDr. Kühl (Rheinland-Pfalz), Frau Ministerin Dr. Stolz(Baden-Württemberg) für Herrn Minister Stächeleund Herr Parlamentarischer Staatssekretär Koschyk(Bundesministerium der Finanzen) abgegeben.

Zur Abstimmung liegen Ihnen neben den Aus-schussempfehlungen drei Landesanträge vor.

Wir beginnen mit dem 5-Länder-Antrag in Druck-sache 534/3/10, bei dessen Annahme Ziffer 1 derAusschussempfehlungen entfällt. Ich bitte um dasVotum. – Minderheit.

*) Anlagen 11 bis 13

374 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Page 39: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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Wir kommen zu Ziffer 1 der Empfehlungen. Auf

Wunsch eines Landes stimmen wir zunächst über dieBuchstaben a bis e und den Buchstaben h ab. Bittedas Handzeichen für die genannten Buchstaben! –Mehrheit.

Bitte noch die verbleibenden Buchstaben f und g! –Minderheit.

Wir kommen zum Antrag Nordrhein-Westfalens inDrucksache 534/2/10, dem Baden-Württemberg,Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz undSchleswig-Holstein beigetreten sind. Bitte das Hand-zeichen! – Mehrheit.

Aus den Empfehlungen rufe ich auf:

Ziffer 2! – Minderheit.

Ziffer 3! – Mehrheit.

Ziffer 5! – Mehrheit.

Ziffer 6! – Mehrheit.

Ziffer 15! – Mehrheit.

Ziffer 16, bei deren Annahme der Antrag Hessensin Drucksache 534/4/10 sowie die Ziffern 17 und 19der Empfehlungen entfallen! – Mehrheit.

Damit entfallen der hessische Antrag sowie die bei-den genannten Ziffern der Ausschussempfehlungen.

Ziffer 21! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 22.

Ziffer 23! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 24.

Ziffer 26! – Mehrheit.

Ziffer 27! – Mehrheit.

Somit entfällt Ziffer 28.

Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigtenZiffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf,wie soeben beschlossen, Stellung genommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 12:

Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung desdeutschen Rechts an die Verordnung (EG)Nr. 380/2008 des Rates vom 18. April 2008 zurÄnderung der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltsti-tels für Drittstaatenangehörige (Drucksache536/10)

Gibt es Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.

Wir stimmen über die Ausschussempfehlungen ab.Zur Einzelabstimmung rufe ich auf:

Ziffer 2! – Mehrheit.

Ziffer 5! – Mehrheit.

Bitte das Handzeichen für alle noch nicht erledig-ten Ziffern! – Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurfentsprechend Stellung genommen.

(

(Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 13:

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderungdes Stipendienprogramm-Gesetzes (1. StipG-ÄndG) (Drucksache 550/10)

Wortmeldungen liegen nicht vor. – Herr Staatsmi-nister Bruch (Rheinland-Pfalz) gibt eine Erklärungzu Protokoll*) ab.

Wir kommen zur Abstimmung. Die Ausschüsseempfehlen, gegen den Gesetzentwurf keine Einwen-dungen zu erheben. Wer dieser Empfehlung folgenmöchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Mehr-heit.

Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 14:

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vor-mundschafts- und Betreuungsrechts (Druck-sache 537/10)

Auch hierzu gibt es keine Wortmeldungen.

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen vor. Daraus rufe ich zur Einzelabstimmungauf:

Ziffer 2! – Mehrheit.

Ziffer 3! – Mehrheit.

Ziffer 4! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 5.

Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigtenZiffern! – Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellunggenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15:

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Pres-sefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht(PrStG) (Drucksache 538/10)

Hierzu gibt es zwei Wortmeldungen. Es beginntFrau Senatorin von der Aue (Berlin).

Gisela von der Aue (Berlin): Frau Präsidentin,meine Damen und Herren! Berlin befürwortet denEntwurf der Bundesregierung, soweit er in seinemArtikel 1 eine Ergänzung von § 353b des Strafgesetz-buches vorsieht.

Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgerichtin seiner sogenannten „Cicero“-Entscheidung dieverfassungsrechtlichen Grenzen für eine Strafbarkeitvon Medienangehörigen wegen einer Beteiligung amGeheimnisverrat im Einzelnen dargelegt. Fest stehtdanach: Die bloße Veröffentlichung eines Dienstge-heimnisses durch Journalisten reicht zur Begrün-dung der Strafbarkeit nicht aus. Anderenfalls wäreder besondere grundrechtliche Schutz von Medien-angehörigen gefährdet. Allein die Möglichkeit vonDurchsuchungsmaßnahmen nach einer bloßen Veröf-

*) Anlage 14

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 375

Vizepräsidentin Hannelore Kraft

Page 40: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

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fentlichung von Dienstgeheimnissen kann Journalis-ten einschüchtern und droht den Informantenschutzauszuhöhlen.

Das wird durch die vorgeschlagene Einschränkungdes § 353b des Strafgesetzbuches ausgeschlossen.Damit wird Journalisten selbstverständlich keinstrafrechtlicher Freibrief erteilt. Auch Medienange-hörige können an der Verletzung eines Dienstge-heimnisses oder einem Geheimnisverrat in strafbarerWeise beteiligt sein. So bleiben die Anstiftung zumVerrat und die Förderung der eigentlichen Tathand-lung strafbar.

Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabeals Gesetzgeber, im Spannungsverhältnis zwischender Pressefreiheit und den Geheimhaltungsinteres-sen des Staates durch klare Regelungen Rechts-sicherheit herzustellen. Die Abwägung sollte deswe-gen nicht, wie es in der Stellungnahme heißt, durcheine einschränkende Auslegung des § 353b StGBoder den Rückgriff auf einen allgemeinen Rechtferti-gungstatbestand auf die Strafverfolgungsbehördenoder letztlich auf die Strafgerichte abgewälzt wer-den. – Vielen Dank.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank!

Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekre-tär Dr. Stadler (Bundesministerium der Justiz).

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bun-desministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Man möchte mei-nen, dass spätestens seit der „Spiegel“-Affäre desJahres 1962 der Wert der Pressefreiheit in der Bun-desrepublik Deutschland als geklärt gelten kann.Auch hat das Bundesverfassungsgericht Artikel 5des Grundgesetzes immer wieder als konstituierendfür den demokratischen Rechtsstaat gewürdigt.

Dennoch kann auch heute noch eine kritische Be-richterstattung durch staatliche Maßnahmen erheb-lich beeinträchtigt werden. Das hat der bekannte undvon Frau Senatorin von der Aue zu Recht zitierte Fall„Cicero“ vor wenigen Jahren gezeigt. Redaktions-räume dieser Zeitung und das Arbeitszimmer einesJournalisten wurden durchsucht; es gab Beschlag-nahmen. Erst das Bundesverfassungsgericht hatdiese Maßnahmen für unzulässig und grundgesetz-widrig erklärt.

Der Fall „Cicero“ ist zwar der bekannteste, aberbeileibe nicht der einzige derartige Fall in den ver-gangenen Jahren gewesen. Deshalb hat die Bundes-regierung auf der Grundlage der Koalitionsverein-barung beschlossen, die Pressefreiheit im Straf- undStrafverfahrensrecht zu stärken.

Dabei geht es um zweierlei: Zum einen soll klarge-stellt werden, dass sich Journalisten nicht wegen Bei-hilfe zum Geheimnisverrat strafbar machen, wenn sielediglich geheimes Material, das ihnen zugespieltworden ist, besitzen, auswerten oder veröffentlichen.Die Medienangehörigen haben selbst keine Pflichtzur Geheimhaltung. Sie können sich allerdings – das

(

(haben Sie zu Recht erwähnt, Frau Senatorin – wegenAnstiftung zum Geheimnisbruch strafbar machen.Aber in den vergangenen Jahren sind immer wiederErmittlungsmaßnahmen mit einer anderen Begrün-dung gegen Medienangehörige durchgeführt wor-den, nämlich wegen des Verdachts der Beihilfe.Jeder Praktiker weiß, dass dabei häufig der Neben-zweck verfolgt wird, über den Journalisten an den ei-gentlichen Täter des Geheimnisverrats heranzukom-men.

Nun ist es selbstverständlich notwendig, undichteStellen im Staatsapparat aufzuspüren. Das soll aberunserer Meinung nach nicht über den Umweg derVerfolgung von Journalisten geschehen, zumal dasKonstrukt der Beihilfe an einer eigentlich schon be-endeten Haupttat juristisch ohnehin fragwürdig ist.

Wir stellen nun klar, dass eine Beihilfestrafbarkeitnicht in Betracht kommt. Damit schützen wir Journa-listen vor Durchsuchungen und Beschlagnahmen, diebisher genau auf diesen Verdacht gestützt wordensind. Wir stärken damit auch den Quellen- und Infor-mantenschutz und sichern eine kritische Rechercheund Berichterstattung.

Die Einwendungen, die im Rechtsausschuss desBundesrates erhoben worden sind und die zum Inhalthatten, dass kein Regelungsbedarf bestehe, teile ichnicht; denn nach meiner Meinung hat nicht einmaldie „Cicero“-Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts allerletzte Klarheit geschaffen. Sie stütztesich vor allem auf Verhältnismäßigkeitserwägungen.Die Praxis, die ich dargestellt habe, zeigt ja gerade,dass das geltende Recht eben nicht eindeutig genugGrenzen für unangebrachte Ermittlungsmaßnahmengegen Journalisten setzt. Deshalb sollte der Gesetz-geber selbst für Klarheit im Sinne der Pressefreiheitsorgen.

Ich mache eine kurze Anmerkung zu dem zweitenAspekt, den wir mit dem Gesetz angehen. Das ist derbessere Schutz vor Beschlagnahmen. Schon heutedürfen Polizei und Staatsanwaltschaft Material, dasJournalisten von Informanten erhalten haben, nurunter engen Voraussetzungen und nach einer stren-gen Abwägung mit der Pressefreiheit beschlagnah-men. Wir wollen diese Hürden zu Gunsten der Pres-sefreiheit noch ein Stück höher legen. In Zukunftwird nicht mehr nur ein auf bestimmte Tatsachen ge-stützter einfacher Tatverdacht gegen einen Journalis-ten ausreichen, sondern es muss ein dringender Tat-verdacht vorliegen.

Dagegen ist eingewandt worden, dass man damitdas bewährte System der verschiedenen Verdachts-grade in der Strafprozessordnung verlasse. Es istrichtig, dass wir damit eine Abweichung vom bisheri-gen System vornehmen. Aber es handelt sich umeine Modifizierung, die zulässig und angesichts derBedeutung der Pressefreiheit auch sachgerecht ist.

Ich darf noch darauf aufmerksam machen, dasssich diese Neuregelung nur auf Verfahren gegenDritte bezieht, bei denen der MedienangehörigeZeuge ist.

376 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Gisela von der Aue (Berlin)

Page 41: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

D)(B)

C)(A)

Insgesamt bin ich daher der Meinung, dass mit

dem Entwurf der Bundesregierung dem gemeinsa-men Anliegen, die Pressefreiheit besser zu schützen,entsprochen wird. Es besteht angesichts der Praxis,die ich geschildert habe, die Notwendigkeit, dies zutun. Ich bitte Sie sehr herzlich, mit uns gemeinsamein Zeichen für die Pressefreiheit zu setzen. – VielenDank.

Vizepräsidentin Hannelore Kraft: Vielen Dank!

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen.

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen vor. Der federführende Rechtsausschussempfiehlt dem Bundesrat, den Gesetzentwurf abzu-lehnen.

Auf Wunsch eines Landes stimmen wir über dieseEmpfehlung sowie über die Begründung unter denBuchstaben a und b getrennt ab.

Zunächst bitte Ihr Handzeichen für die Empfeh-lung, den Gesetzentwurf abzulehnen. – Das ist eineMinderheit.

Dann frage ich, wer dafür ist, gegen den Gesetz-entwurf keine Einwendungen zu erheben. Ihr Hand-zeichen bitte! – 25 Stimmen; das ist eine Minderheit.

Damit ist ein Beschluss des Bundesrates nicht zu-stande gekommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 16:

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung derDienstleistungsrichtlinie in der Justiz und zurÄnderung weiterer Vorschriften (Drucksache539/10)

Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen vor. Daraus rufe ich zur Einzelabstimmungauf:

Ziffer 2! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 3.

Bitte das Handzeichen für alle noch nicht erledig-ten Ziffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellunggenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17:

Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutzbei überlangen Gerichtsverfahren und straf-rechtlichen Ermittlungsverfahren (Drucksache540/10)

Hierzu liegen zwei Wortmeldungen vor. Ich bittezunächst Herrn Minister Busemann (Niedersachsen).

Bernd Busemann (Niedersachsen): Frau Präsiden-tin, meine Damen und Herren! Mit Ihrer freundlichenErlaubnis möchte ich nur eine oder zwei grundsätzli-che Bemerkungen machen und im Übrigen die Rede

(

(zu Protokoll*) geben, damit auch hier keine Überlän-gen entstehen. Aber wenn etwas falsch läuft, kann esfür die Länder sehr teuer werden. Deswegen möchteich doch auf ein paar Dinge hinweisen.

( V o r s i t z : Amtierende Präsidentin Emilia Müller)

Verfahren in der ordentlichen Gerichtsbarkeit inDeutschland dauern neun Monate. Man kann sagen,das ist in Ordnung.

In anderen Bereichen ist das anders. Zur Wahrheitgehört eben, dass Verfahren zum Teil Jahre dauern,dass es Ausreißersituationen gibt, die man nur teil-weise mit dem Prozessverhalten der Parteien, mit Er-krankungen von Gutachtern usw. entschuldigenkann. Manchmal dauern Prozesse Jahre, und daskann man nicht mehr entschuldigen. Somit ist Hand-lungsbedarf gegeben.

Deswegen finde ich es grundsätzlich richtig, dassdie Bundesregierung dieses Thema angepackt hat.Wir versuchen gesetzlich etwas zu ordnen. Übrigensergibt sich aus unserem Grundgesetz das Prinzip derRechtsgewährung. Die Bürger müssen also binnenangemessener Zeit zu ihrem Recht kommen.

Allerdings gibt es einige Dinge, die hier kritischanzusprechen sind und im weiteren Verfahren be-achtet werden müssen.

Zunächst ist meine herzliche Bitte an den Gesetz-geber, an uns alle im Verfahren, es zu vermeiden, dasGesetz mit zu vielen unbestimmten Rechtsbegriffenzu spicken. Manchmal muss das sein, aber bisweilenführt das zu Streitsituationen. Bei den Hartz-IV-Ge-setzen merken wir, dass Prozessfluten die Folge sind.

Ich wäre auch dankbar, wenn man das Gesetz sodimensionierte, dass nur die Ausreißerverfahren er-fasst werden, nicht etwa ein Massengeschäft produ-ziert wird, bei dem wir der Dinge, die wir in Bewe-gung gesetzt haben, nicht mehr Herr werden.

Es ist mein Wunsch, das mit einem unkomplizier-ten Verfahren zu verbinden, so dass sehr früh er-kennbar ist, wer einen Anspruch auf Entschädigunghaben könnte und wer sie am Ende festsetzt. Es darfuns nicht passieren, dass wir mit Entschädigungspro-zessen überschwemmt werden und diejenigen Ver-fahren am längsten dauern, die im Grunde genom-men nach diesem Gesetz kreiert worden sind.

Schließlich noch ein Hinweis: Wir müssen aufpas-sen, dass wir nicht Missbrauch auslösen. Ich nehmeeinmal den Bereich des Sozialrechts. Hier liegen inNiedersachsen 50 000 Prozesse „auf Halde“, bundes-weit 400 000 bis 500 000 Prozesse, wobei die durch-schnittliche Verfahrensdauer vier Jahre beträgt. Pro-zessgegenstand sind manchmal nur 100 EuroHeizkosten oder was auch immer. Wenn die Dauerdes Verfahrens dazu führt, dass für die rechtsuchen-den Bürger der Entschädigungsanspruch interessan-ter ist als der Prozessgegenstand, lösen wir Prozess-fluten aus, die nicht gewollt sind. Auch hier bitte ich

*) Anlage 15

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 377

Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler

Page 42: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

D)(B)

C)(A)

den Bundesgesetzgeber aufzupassen und Bagatell-schranken, Verhältnismäßigkeitsschranken einzu-ziehen, damit jedermann klar ist, dass eine solcheRegelung nur für Ausreißersituationen gedacht ist.Dem wollen wir uns stellen. – Danke.

Amtierende Präsidentin Emilia Müller: VielenDank, Herr Minister!

Ich rufe Herrn Parlamentarischen StaatssekretärDr. Stadler auf.

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bun-desministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Angesichts derfortgeschrittenen Zeit liegt es nahe, mit der Verhei-ßung zu beginnen, dass Sie zum Thema „überlangeVerfahrensdauer“ keine überlange Rede befürchtenmüssen. Aber einige wenige Anmerkungen möchteich für die Bundesregierung doch machen.

Zunächst einmal liegt mir daran festzustellen, dasswir in der Bundesrepublik Deutschland eine sehrleistungsfähige, effizient und zügig arbeitende Justizhaben. Wenn Prozesse erst nach überlanger Verfah-rensdauer erledigt werden, handelt es sich um Ein-zelfälle. Für die Betroffenen ist aber jeder Einzelfallein Fall zu viel. Damit Bürgerinnen und Bürger davorbesser geschützt werden, wollen wir mit dem vorlie-genden Gesetzentwurf einen Entschädigungsan-spruch gegen den Staat schaffen.

Wir schließen damit eine Rechtsschutzlücke. Nachdem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Men-schenrechte von Anfang September 2010 sind wirdazu verpflichtet. Zeit zur Schließung dieser Lückehaben wir bis Ende 2011.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Rang desRechts auf angemessene Verfahrensdauer stets be-tont. Das ist altbekannt. Dennoch sind in der Vergan-genheit Lösungsversuche immer wieder gescheitert.Wir schlagen jetzt einen Weg vor, der nach vielenJahren der Diskussion offenbar im Grundsatz sowohlvon den Ländern als auch von den Verbänden derRichter- und Anwaltschaft mitgetragen werden kann.

Der entscheidende Punkt ist – um die Befürchtun-gen, die Herr Minister Busemann formuliert hat, zuzerstreuen –: Der Entschädigungsanspruch setzt vo-raus, dass eine Verzögerungsrüge im Verfahren er-hoben worden ist. Dadurch soll es erst gar nicht zuüberlangen Gerichtsverfahren kommen. In den ent-sprechenden Fällen können die Gerichte dann be-rechtigten Verzögerungsrügen Abhilfe leisten und sospätere Entschädigungsprozesse, die die Finanzender Länder belasten würden, verhindern.

Nach dem Entwurf der Regierung werden für dieJustiz keine unnötigen Mehrbelastungen entstehen;denn es gibt keine neuen Nebenverfahren, wie siefrüher in Gestalt der seinerzeit diskutierten Untätig-keitsbeschwerde vorgesehen waren. Wir verhindernauch, dass die Prozessparteien nach dem Motto„Dulde“ – nämlich die lange Verfahrensdauer – „undliquidiere später!“ vorgehen können. Diese Sorge ha-

(

(ben Sie formuliert. Ich glaube nicht, dass sie durchunseren Entwurf ausgelöst wird.

Meine Damen und Herren, in den Ausschüssen desBundesrates sind einige Punkte angesprochen wor-den, die ich noch kurz erwähnen möchte.

Wir meinen, dass man bei der Einbeziehung vonStrafverfahren keine Abstriche wird machen können.Auch kann man die Entschädigungsklage nicht erstzulassen, wenn das Ausgangsverfahren beendet ist.Das würde der Regelung einen großen Teil ihrerEffektivität nehmen. Und die Übergangsregelungkann aus konventionsrechtlichen Gründen nicht aufVerfahren beschränkt werden, die nach Inkrafttretender Neuregelung beginnen.

Meine Damen und Herren, der Entwurf der Bun-desregierung hat erhebliche Vorzüge gegenüberdem Vorgängermodell der sogenannten Untätigkeits-beschwerde. Ein dritter Weg, ein „Königsweg“, wieman die Probleme, die von Herrn Minister Busemannbeschrieben worden sind, sonst noch lösen könnte,ist in der Diskussion nicht vorgeschlagen worden.Wir meinen, dass der Entwurf sowohl den berechtig-ten Ansprüchen der Bürger auf zügige Erledigung ih-rer Verfahren Rechnung trägt als auch Gefahren ei-ner übermäßigen Belastung der Justiz und derLänderhaushalte ausräumt. Daher bitte ich Sie, aufdieser Basis gemeinsam zu einer Lösung zu kommen. –Vielen Dank.

Amtierende Präsidentin Emilia Müller: VielenDank, Herr Staatssekretär!

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Zur Abstimmung liegen Ihnen die Ausschussemp-fehlungen vor. Daraus rufe ich zur Einzelabstimmungauf:

Ziffer 1! – Mehrheit.

Ziffer 2! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 3.

Ziffer 5! – Mehrheit.

Ziffer 6! – Mehrheit.

Ziffer 7! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 21.

Ziffer 10! – Mehrheit.

Ziffer 11! – Mehrheit.

Ziffer 12! – Mehrheit.

Ziffer 17! – Mehrheit.

Ziffer 18! – Minderheit.

Ziffer 23! – Mehrheit.

Bitte Ihr Handzeichen für alle noch nicht erledigtenZiffern der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurfentsprechend Stellung genommen.

378 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

Bernd Busemann (Niedersachsen)

Page 43: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

D)(B)

C)(A)

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 21:

Grünbuch der Kommission: Angemessene,nachhaltige und sichere europäische Pensions-und Rentensysteme (Drucksache 419/10)

Es liegen keine Wortmeldungen vor.

Wir stimmen über die Ausschussempfehlungen ab.Ich rufe auf:

Ziffer 4! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 5.

Ziffer 6! – Mehrheit.

Ziffer 25! – Minderheit.

Ich bitte um Ihr Handzeichen für alle noch nicht er-ledigten Ziffern der Ausschussempfehlungen. –Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat entsprechend beschlos-sen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 22:

Vorschlag für eine Richtlinie des EuropäischenParlaments und des Rates über das Recht aufBelehrung in Strafverfahren (Drucksache 459/10, zu Drucksache 459/10)

Es liegen keine Wortmeldungen vor.

Wir stimmen über die Ausschussempfehlungen ab.Zur Einzelabstimmung rufe ich auf:

Ziffer 2! – Mehrheit.

Ziffer 3! – Minderheit.

Ziffer 4! – Mehrheit.

Ziffer 5! – Mehrheit.

Ziffer 6! – Mehrheit.

Ziffer 9! – Mehrheit.

Ziffer 11! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 12.

Ich bitte um Ihr Handzeichen für alle noch nicht er-ledigten Ziffern der Ausschussempfehlungen. –Mehrheit.

Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellunggenommen.

Tagesordnungspunkt 28:

Allgemeine Verwaltungsvorschrift über denAustausch von Daten im Bereich der Lebens-mittelsicherheit und des Verbraucherschutzes(AVV Datenaustausch – AVV DatA) (Druck-sache 185/10)

Es liegen keine Wortmeldungen vor.

(

(Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen

der Ausschüsse vor. Ich rufe auf:

Ziffer 1! – Mehrheit.

Ziffer 2! – Mehrheit.

Ziffer 3! – Mehrheit.

Damit entfällt Ziffer 4.

Der Bundesrat hat der Verwaltungsvorschrift ent-sprechend zugestimmt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35:

Entschließung des Bundesrates zum Jahresbe-richt der Bundesregierung zur Aufarbeitungder SED-Diktatur – Antrag der Länder Hessen,Thüringen gemäß § 36 Absatz 2 GO BR –(Drucksache 613/10)

Dem Antrag ist Sachsen beigetreten.

Es liegt eine Wortmeldung vor: StaatsministerBoddenberg.

Michael Boddenberg (Hessen): Frau Präsidentin,meine Damen und Herren! Selten habe ich so vieleerwartungsvolle Blicke auf mich gerichtet gesehenwie gerade auf dem Weg zum Mikrofon. Ich gebemeine Rede zu Protokoll*), möchte mich aber bei denThüringer und sächsischen Freunden dafür bedan-ken, dass sie dem Antrag beigetreten sind.

Ich wollte für den Antrag werben. Wir werden nochGelegenheit haben, uns ausführlich mit diesemThema zu beschäftigen – ich meine, es ist es wert –,beispielsweise bei der Vorlage des Jahresberichts derBundesregierung. – Herzlichen Dank.

Amtierende Präsidentin Emilia Müller: Wir kom-men zur Abstimmung. Ausschussberatungen habennoch nicht stattgefunden. Es ist jedoch beantragt, so-fort in der Sache zu entscheiden. Wer für sofortigeSachentscheidung ist, den bitte ich um das Handzei-chen. – Mehrheit.

Dann verfahren wir so.

Wer für die Annahme der Entschließung ist, denbitte ich um das Handzeichen. – Mehrheit.

Dann ist so beschlossen.

Meine Damen und Herren, die nächste Sitzung desBundesrates wird einberufen auf Freitag, den 5. No-vember 2010, 9.30 Uhr.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 13.34 Uhr)

*) Anlage 16

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 379

Amtierende Präsidentin Emilia Müller

Page 44: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

(B)

C)(A)

Beschlüsse im vereinfachten Verfahren (§ 35 GO BR)

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und desRates zur Änderung der Richtlinien 98/78/EG, 2002/87/EG und2006/48/EG hinsichtlich der zusätzlichen Beaufsichtigung derFinanzunternehmen eines Finanzkonglomerats

(Drucksache 505/10)

Ausschusszuweisung: EU – Fz – R – Wi

Beschluss: Kenntnisnahme

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und desRates über das Europäische Jahr für aktives Altern (2012)

(Drucksache 546/10, zu Drucksache 546/10)

Ausschusszuweisung: EU – AS – FS – G – K

Beschluss: Kenntnisnahme

Feststellung gemäß § 34 GO BR

Einspruch gegen den Bericht über die 874. Sitzungist nicht eingelegt worden. Damit gilt der Berichtgemäß § 34 GO BR als genehmigt.

380 Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

(

(D)

Page 45: BUNDESRATdipbt.bundestag.de/dip21/brp/875.pdfBundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 III 19. Entwurf eines Gesetzes zu dem Ände-rungsprotokoll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen

Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 381*

D)(B)

C)(A)

Anlage 1

Erklärung

von Minister Dr. Heiner Garg(Schleswig-Holstein)

zu Punkt 39 der Tagesordnung

Die Änderung des Bundesausbildungsförderungs-gesetzes (BAföG) durch den Bund führt zu einer zu-sätzlichen finanziellen Belastung der Länderhaus-halte.

Das Konsolidierungsland Schleswig-Holstein be-dauert es, dass der Bund keine Möglichkeit sah, ei-nen adäquaten Ausgleich zu gewährleisten, der denLänderhaushalten direkt zufließt und von den Län-dern selbst zweckgebunden eingesetzt werden kann.

Anlage 2

Erklärung

von Bundesministerin Prof. Dr. Annette Schavan(BMBF)

zu Punkt 39 der Tagesordnung

Die Bundesregierung begrüßt die Zustimmung desBundesrates zum 23. BAföGÄndG.

Die Bundesregierung beabsichtigt, die Leistungs-fähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit der deut-schen Hochschulen durch die Einführung einer Pro-grammpauschale für Hochschulen im Rahmen derdirekten Projektförderung aus dem Einzelplan 30dauerhaft strukturell zu stärken.

Das BMBF wird ab dem Haushaltsjahr 2011 imRahmen der direkten Projektförderung an Hochschu-len aus seinen Fachprogrammen eine Programmpau-schale in Höhe von 10 % der Projektausgabengewähren. Ab 2012 erhöht sich diese Programmpau-schale bei Neubewilligungen von 10 auf 20 %. DieProgrammpauschale dient zur Teilfinanzierung derdurch das jeweilige Forschungsprojekt verursachtenindirekten Projektkosten.

Die in den Verhandlungen zwischen den Ländernund dem Bund genannten finanziellen Größenord-nungen sowie die inhaltliche Bemessungsgrundlageorientieren sich an den Ist-Ausgaben im Haushalts-jahr 2009.

Über die Vergabe der Projektförderung des BMBFwird grundsätzlich in qualitätsorientierten und wett-bewerblichen Auswahlprozessen entschieden.

Die dauerhafte Einführung der Programmpau-schale bei Forschungsprojekten an Hochschulendurch das BMBF ist eine wichtige, langfristig wir-kende Weichenstellung im Wissenschaftssystem: Sieunterstützt substanz- und strukturbildend die Wett-bewerbsfähigkeit der Hochschulen – auch im inter-nationalen Kontext.

(

(Anlage 3

Erklärung

von Senatorin Carola Bluhm(Berlin)

zu Punkt 5 der Tagesordnung

Haushaltsbegleitgesetz – das ist ein ziemlich ver-harmlosender Begriff für eines der größten Sparpaketeder letzten Jahrzehnte. Das Haushaltsbegleitgesetz istin erster Linie ein Armutsbegleitgesetz; denn es gehtvor allem zu Lasten von Geringverdienern, vonHartz-IV-Empfängern und von Alleinerziehenden,und es geht zu Lasten der Länder und Kommunen.

Eine Kürzung des Wohngeldes führt dazu, dasswieder mehr Menschen in den Hartz-IV-Bezug rut-schen. Die Kosten der Unterkunft tragen dann dieKommunen.

Den Rentenzuschuss bei Hartz-IV-Bezug zu strei-chen bedeutet mehr Grundsicherungsrentner in derZukunft. Viele Arbeitslose werden nicht genug füreine auskömmliche Altersrente ansammeln können.Sie sind dann auch im Alter auf einen staatlichen Zu-schuss angewiesen. Auch diese Kosten trägt nicht derBund, sondern tragen die Kommunen.

Der Bund verlagert die Kosten also gezielt auf dieKommunen oder verschiebt sie auf die Zukunft. Sinn-volles Sparen sieht anders aus.

Leidtragende der Sparvorhaben sind Alleinerzie-hende und Eltern im Hartz-IV-Bezug, denen dieschwarzgelbe Koalition das Elterngeld streichen will.Das sind für Familien Mindereinnahmen von3 600 Euro im Jahr – zu Lasten vor allem der neu ge-borenen Kinder. Auch Minijobberinnen erhalten keinElterngeld, weil diese Regelung in erster LinieFrauen trifft. Familienfreundliche Maßnahmen sehenanders aus.

Auch sozial ausgewogenes Sparen sieht andersaus. Wenn man alle geplanten Kürzungen zusam-menrechnet, will die Regierung in den kommendenvier Jahren rund 80 Milliarden Euro einsparen. Wasnicht im Haushaltsbegleitgesetz steht, wird im nor-malen Haushaltsverfahren gestrichen.

Niemand bestreitet, dass die öffentlichen Haus-halte notleidend sind. Das ist die Folge einer verfehl-ten Steuer-Einnahmepolitik. Niemand bestreitet,dass wir die Haushalte konsolidieren müssen. Aberdazu müssen wir die Einnahmebasis ausweiten, unddazu müssen wir die Verursacher dieser massivenKrise der öffentlichen Haushalte, also vor allem Ban-ken und das Finanzwesen, in die Finanzierung derKonsolidierung einbinden. Nichts davon geschieht.Der Paritätische hat die soziale Schieflage des Spar-paketes vorgerechnet: 37 % der vorgesehenen Ein-sparungen und Kürzungen betreffen den Sozialbe-reich, ganze 7,3 % den Bankensektor.

Hohe Einkommen und Vermögen werden über-haupt nicht belastet.

Die trotz Fachkräftemangel hohe Erwerbslosig-keit, die Prekarisierung von Beschäftigungsverhält-nissen, die wachsende Armut im Alter gehen aufKosten der Kommunen. Sie müssen einen guten Teil

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382* Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010

D)(B)

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der fälligen Transferzahlungen aufbringen. Das fehltdann wieder an anderer Stelle: bei der Unterhaltungsozialer und kultureller Infrastruktur, in öffentlichenGebäuden, im öffentlichen Personennahverkehr, beiSchwimmbädern oder Schulen.

Das Sparpaket wird dazu beitragen, dass mehrMenschen in Arbeitslosigkeit verharren und nochweniger Chancen auf die Rückkehr in einen Job ha-ben.

Die Pläne der Bundesregierung, bei Arbeitsmarkt-politik zu sparen, sind nicht nur sozialpolitisch ver-fehlt, sondern auch ein arbeitsmarktpolitischer Irr-weg. Denn diese Einsparungen gehen auf Kosten derAus- und Weiterbildung sowie Qualifizierung vonArbeitslosen. Für Berlin heißt das: Insgesamt soll2011 ein Viertel des Geldes, das für die Wiederein-gliederung von Langzeitarbeitslosen vorgesehen ist,gestrichen werden. Das sind 171 von 677 MillionenEuro. In den Folgejahren sollen die Kürzungen nocherheblich höher ausfallen.

Die Bundesregierung will die geplanten Bildungs-ausgaben für Kinder im Hartz-IV-Bezug aus dem Ein-gliederungstitel für Langzeitarbeitslose finanzieren.Das heißt, man nimmt das Geld von der einen Seitedes Schreibtisches, wo der Fallmanager im Jobcenterdem Hartz-IV-Empfänger gerade eine Weiterbildungstreicht, und gibt es dem gleichen Hartz-IV-Empfän-ger auf der anderen Seite des Tisches als Zuschussfür den Musikunterricht der Kinder. Die Arbeitslosensollen die Zusatzleistungen für ihre Kinder also durchVerzicht auf Maßnahmen, die ihre Chancen auf Ar-beit erhöhen, selber finanzieren.

Was für ein Irrweg! Dieses Geschacher auf demRücken der Betroffenen und zu Lasten der Kommu-nen wird der Bundesrat hoffentlich verhindern.

Das gesamte Sparpaket und dieses sogenannteHaushaltsbegleitgesetz sind der falsche Weg, die öf-fentlichen Haushalte zu sanieren und die Folgen derFinanzmarktkrise zu bewältigen. Deshalb werbe ichdafür, dieses Gesetz nicht zu verabschieden und demAntrag der A-Länder zuzustimmen.

Anlage 4

Erklärung

von Minister Peter Jacoby(Saarland)

zu Punkt 11 der Tagesordnung

Im Hinblick auf das in der gesetzlichen Kranken-versicherung 2011 zu erwartende Defizit von bis zu11 Milliarden Euro besteht unmittelbarer Handlungs-druck. Reine Kostendämpfungsmaßnahmen, diekeine strukturverbessernden und effizienzsteigern-den Wirkungen entfalten, werden aber auf Dauernicht gewährleisten, dass die Menschen auch in Zu-kunft auf eine gute medizinische Versorgung auf derBasis des medizinischen Fortschritts vertrauen kön-nen. Um die Krankenversicherungen langfristig zustabilisieren, die Voraussetzungen für einen funk-tionsfähigen Wettbewerb zu schaffen und die Bedin-

(

(gungen für die Erhaltung versicherungspflichtigerBeschäftigungsverhältnisse zu verbessern, ist dahereine Reform unumgänglich.

Zu der Frage, in welcher Weise das deutsche Ge-sundheitssystem mit Blick auf die angestrebte nach-haltige und sozial ausgewogene Finanzierungweiterzuentwickeln ist, werden unterschiedliche Lö-sungsansätze diskutiert. Der von der Bundesregie-rung vorgelegte Gesetzentwurf setzt unter anderemdarauf, den allgemeinen Beitragssatz, insbesondereden Arbeitgeberbeitrag auf 7,3 %, festzuschreiben.Gleichzeitig sollen durch die Einnahmeentwicklungnicht gedeckte Ausgabensteigerungen künftig übereinkommensunabhängige Zusatzbeiträge der GKV-Mitglieder finanziert werden, für die ein aus Steuer-mitteln finanzierter Sozialausgleich greifen soll.

Mit der geplanten Umstellung der Finanzierungs-grundlagen der gesetzlichen Krankenversicherungerfolgen erste Weichenstellungen, die das Finanzie-rungssystem und die bisherigen sozialen Ausgleichs-mechanismen verändern. Die damit zusammenhän-genden Fragen der sozialen Gerechtigkeit und dievolkswirtschaftlichen Auswirkungen werden auf derpolitischen Ebene im Bund kontrovers beurteilt. Diesgilt ebenso für die die Regierung des Saarlandes tra-genden Parteien.

Anlage 5

Erklärung

von Minister Thomas Kutschaty(Nordrhein-Westfalen)

zu Punkt 11 der Tagesordnung

Mir liegt die gesundheitliche Versorgung derMenschen in unserem Lande sehr am Herzen. Zumeinen geht es mir um die Versicherten, die Patientin-nen und Patienten und die Ärzteschaft in NRW, zumanderen um einen unsere Gesellschaft zusammen-haltenden Grundsatz. Ich will werben für eine bun-desweit gerechte und gleiche Ärztevergütung undunseren hierzu heute eingebrachten Plenarantrag so-wie für den Fortbestand einer von den Menschen inDeutschland gewollten solidarischen Krankenversi-cherung.

Lassen Sie mich mit unserem ureigenen nordrhein-westfälischen Anliegen anfangen!

Ziel der Honorarreform war es unter anderem, einetransparente und einheitliche Vergütungsstruktur fürdie niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zu schaf-fen. Bundesweit sollte unter den Bedingungen desGesundheitsfonds mit einem einheitlichen Beitrags-satz auch gelten: gleiches Geld für gleiche Leistung.Das Ergebnis aber sieht – leider – anders aus: Derhohe Punktwert in Nordrhein hat bundesweit für alleÄrztinnen und Ärzte zu einem höheren sogenanntenOrientierungspunktwert geführt, von dem nun alleprofitieren. Was dabei vergessen wurde: Die Ärztin-nen und Ärzte in Nordrhein haben sich ihren hohenPunktwert dadurch erkauft, dass sie nicht alle er-brachten Leistungen dokumentiert und vergütet be-kommen haben, eine Vergütungsstrategie, die – ins-

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Bundesrat – 875. Sitzung – 15. Oktober 2010 383*

D)(B)

C)(A)

besondere im Nachhinein – zu kritisieren ist. Das istaber nicht mehr zu ändern. Bundesweit fair wäre esgewesen, nicht nur die eine Seite der Medaille, denhohen Punktwert, zu nutzen, sondern auch die Kehr-seite der Medaille, den Behandlungsbedarf, derneuen Welt anzupassen. Dazu war die Selbstverwal-tung offensichtlich nicht in der Lage. Schade!

Nun muss die Politik handeln. Unsere Aufgabe istes, nicht Klientel zu bedienen, nicht Partikularinte-ressen, sondern das große Ganze zu sehen und in die-sem Sinne zu entscheiden. Ich bitte Sie deshalb, IhrAbstimmungsverhalten unter diesem Aspekt zu be-denken. Stimmen Sie für den Antrag aus NRW, dernicht Abstand nimmt von der Morbiditätsorientierungder Ärztevergütung, sondern die Anhebung des Be-handlungsbedarfs aller betroffenen KVen auf denBundesdurchschnitt in Form einer asymmetrischenVerteilung vorsieht! Anschließend gilt es, die Vergü-tung morbiditätsorientiert zu verteilen.

Unser Antrag ist sachgerecht, weil mit dem bundes-einheitlichen Morbiditäts-Risikostrukturausgleich al-len Krankenkassen nach bundeseinheitlichen Mor-biditätskriterien die Aufwendungen für ärztlicheVersorgung erstattet werden. Es soll niemandemGeld weggenommen werden, weshalb wir das Mittelder asymmetrischen Verteilung von Honorarzuwäch-sen für ein geeignetes Instrument halten. Die ak-tuelle Entscheidung des Erweiterten Bewertungsaus-schusses geht in die richtige Richtung, reicht aber– ebenso wie die Regelung im Gesetzentwurf – nochnicht aus. NRW liegt am Ende der Honorarskala, wasnicht ohne Auswirkungen auf die Versorgung bleibt.Denn eine im bundesweiten Vergleich gerechte Ver-gütung ist eindeutig ein Standortfaktor bei Nieder-lassungsentscheidungen.

Deshalb bitte ich um Unterstützung unseres Antra-ges und um Ablehnung der Anträge aus Bayern undHessen, die darauf gerichtet sind, die Ungleichbe-handlung festzuschreiben.

Nun zur Reform selbst! Es ist kein Geheimnis, dassunsere rotgrüne Koalition in Nordrhein-Westfalenangetreten ist, um den sich abzeichnenden Sozialab-bau und hier konkret die schrittweise Zerstörung dersolidarischen gesetzlichen Krankenversicherung zuverhindern.

Dieser und andere Gesetzentwürfe sowie immerwieder nachgeschobene Reformüberlegungen zei-gen, dass der Bundesgesundheitsminister sein Ziel ineiner Art Salamitaktik verfolgt. Man muss deshalbeine Gesamtschau betreiben, um das wahre Ausmaßder Veränderungen unseres grundsätzlich bewährtenGesundheitssystems zu erkennen. Klar scheint zusein: Die Versicherten und die Patientinnen und Pa-tienten werden nicht im Mittelpunkt der Reformenstehen, sondern zu den Leidtragenden gehören.

Positive Effekte wird es für die PKV und für man-che Anbieter geben. Das möchte ich an einigen Bei-spielen zeigen:

Das Wettbewerbs- und Kartellrecht soll der GKVsystemfremd übergestülpt werden. Hier wird die Pri-vatisierung des GKV-finanzierten Gesundheitswe-sens durch die Hintertür vorangetrieben.

(

(Die Vorgaben zur Kosten-Nutzen-Bewertung von

innovativen Arzneimitteln werden auf Wunsch derPharmaindustrie wieder ausgehöhlt.

Die PKV wird gestärkt, indem sie auch von denPreisverhandlungen für neue Arzneimittel ohne eige-nes Dazutun profitieren soll und der unsolidarischeWechsel Gutverdienender in die PKV erleichtert wird.

Daneben wird der Systemausstieg klar strukturiertvorangetrieben, indem der Arbeitgeberbeitrag fest-geschrieben und der künftige Ausgabenzuwachs al-lein den Versicherten aufgebürdet wird. Sie müssenzukünftig alle Kostensteigerungen allein schultern –und solche wird es in unserem Gesundheitswesenschon demografiebedingt mit Sicherheit geben. Dasist nichts anderes als der Einstieg in die Kopfprämie,die Herr Seehofer doch eigentlich so vehement ab-lehnt. Ich erinnere mich daran, dass er immer be-hauptet hat, dass es diese mit ihm nicht geben werde.

Der Weg von dem jetzt Angestrebten bis zu einerkompletten einkommensunabhängigen Finanzierungist nicht weit. Der anschließend zu vollziehende Schrittzu einer risikoabhängigen Finanzierung à la PKV– wie schon immer von der FDP gewollt – ist über-schaubar.

Das ist mit meinen und den rotgrünen Vorstellun-gen von einer einkommensabhängig und paritätischfinanzierten Gesundheitsabsicherung als wesentli-chem Baustein einer gerechten Gesellschaft absolutunvereinbar.

Damit wird ein Kernelement der Solidarität unse-rer sozialen Marktwirtschaft angegriffen, dass näm-lich die Sicherheit des Einzelnen, der Schutz vorKrankheit in Deutschland eine gemeinsame Sachevon Arbeitgebern und Versicherten ist. Wird der Ge-setzentwurf Realität, werden die Versicherten abnächstem Jahr den technischen Fortschritt und dieKosten der demografischen Entwicklung alleine be-zahlen.

Daran ändert auch der sogenannte Sozialausgleichnichts. Damit soll die Kopfprämie doch nur das Män-telchen des sozial Gerechten bekommen. Ich stellefest: Es handelt sich um einen arg fadenscheinigenMantel.

Was jetzt vorgesehen ist, belastet die Kassenmit-glieder deutlich stärker als der heutige Zusatzbei-trag, den die SPD in der großen Koalition nurgeschluckt hat, um Schlimmeres, nämlich die Kopf-pauschale in Reinkultur, zu verhindern. Dabei warein Deckel vorgesehen, der – das muss man zugeben– auch die Schwächeren stärker belastet hat, aller-dings insgesamt wesentlich geringer. Wenn man denAufschrei über die ersten Zusatzbeiträge von 8 Eurohört, wird schnell deutlich, was auch Umfragenzeigen: dass die Bevölkerung eine einkommens-unabhängige und unsolidarische Finanzierungablehnt. Das dann noch als wirksames Wettbe-werbsinstrument zu verkaufen ist perfide.

Das gilt auch für den Hinweis, jeder könne dochdie Kasse wechseln, um Zusatzbeiträge zu vermei-den, und zwar nicht nur deshalb, weil – vielleichtnicht im nächsten Jahr, aber sehr bald – steigendeund flächendeckende Zusatzbeiträge zu erwartensind. Wer wechselt erfahrungsgemäß die Kasse? Das

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sind vor allem die jungen und gesunden Kassenmit-glieder. Für ältere und kranke Versicherte, aber auchfür bildungsfernere Schichten ist dagegen meist dieoft seit Jahrzehnten gewohnte Kasse ein Wert an sichoder vielleicht auch nur eine Notwendigkeit.

Der sogenannte Sozialausgleich ist außerdem allesandere als gerecht. Seine Finanzierung ist mittelfris-tig unsicher. Die Beschränkung der Härtefallprüfungauf das beitragspflichtige Einkommen, d. h. auf Er-werbseinkommen und Rente, führt zu absurden undungerechten Auswirkungen.

Das geschieht allein, um den Systemausstieg an-geblich halbwegs bürokratisch handhabbar zu hal-ten. Von Entbürokratisierung ist offenbar dann keineRede mehr, wenn es gilt, ideologische Ziele um jedenPreis durchzusetzen.

Schnell wird sich zeigen, dass der Sozialausgleichden Staat und die Steuerzahler auch vor dem Hinter-grund der notwendigen Haushaltskonsolidierungüberfordert. Die Folge wird sein, dass bei nicht odernicht adäquat steigendem Steuerzuschuss der Sozial-ausgleich aus dem Gesundheitsfonds finanziert wer-den muss. Dadurch reduzieren sich die Zuweisungendes Gesundheitsfonds an die Kassen, was den Zwang,einen Zusatzbeitrag zu erheben, verstärkt. Für diesenwiederum greift der Sozialausgleich, d. h. es wird einPerpetuum mobile konstruiert, das zu Lasten von Ver-sicherten und Patientinnen und Patienten geht.

Auch das von Dr. Rösler öffentlich erklärte Ziel,Kostenerstattung zum Regelfall zu machen undgleichberechtigt neben der Sachleistung zu etablie-ren, nähert die GKV an die PKV an. Auch hier sindPatientinnen und Patienten die Verlierer, wenn sieunter Druck gesetzt und finanziell belastet werden.Dagegen wird den Ärzten ohne Qualitätsverbesse-rungen in der Versorgung eine zusätzliche Einkom-mensquelle verschafft.

Es ist schon nicht mehr verwunderlich, dass wegender krampfhaften Fixierung auf die Finanzreformkeine Optimierung der Versorgung stattfindet, son-dern eine reine Kostendämpfung. Dabei wird in Kaufgenommen, dass die Ausgabenbremse z. B. in Kran-kenhäusern dazu führen kann, dass Pflegestellen ab-gebaut und die Versorgung verschlechtert wird.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir haben ei-nen Gesetzentwurf vor uns, der mehr Bürokratie,eine ungerechte Belastung, aber keine Strukturre-form bringt. Er beinhaltet eine Gesundheitsreform,die kein einziges Strukturproblem in unserem Ge-sundheitswesen anpackt. Vielmehr wird ein System-wechsel vollzogen, der die Gesundheitsversorgung inunserem Land und damit die gesellschaftliche Situa-tion verändern – ich sage: verschlechtern – wird.Nicht jeder wird mehr das bekommen, was medizi-nisch benötigt wird, sondern das, was der Einzelneoder seine Familie sich finanziell leisten kann. Nichtqualitative Schwachstellen in der Versorgung wer-den behoben, sondern die Spaltung der Gesellschaftwird betrieben. Das sollten wir Länder, die wir für diegesundheitliche Daseinsvorsorge zuständig sind undversuchen, im Sinne der Patientinnen und Patientenmehr Instrumente zu bekommen, nicht mit uns ma-chen lassen.

(

(Daher lehnen wir die Reform generell ab, was wir

in einem Antrag zum Ausdruck gebracht haben.Auch hier bitte ich um breite Unterstützung, damitder Bundesregierung klar wird, dass wir Länderdiese unsoziale Reform nicht mittragen wollen.

Anlage 6

Erklärung

von Minister Dr. Jürgen Schöning(Thüringen)

zu Punkt 11 der Tagesordnung

Für die Länder Thüringen, Berlin, Brandenburgund Mecklenburg-Vorpommern gebe ich folgendeErklärung zu Protokoll:

20 Jahre nach der Wiedervereinigung muss es einezeitliche Perspektive für eine vollständige Anglei-chung der Vergütung in den neuen Ländern an dasNiveau der alten Länder für alle noch immer ausste-henden Berufsgruppen im Gesundheitswesen geben,damit Abwanderungen vermieden werden könnenund die medizinische Versorgung in den neuen Län-dern auch weiterhin flächendeckend sichergestelltwerden kann. Deshalb wird die Bundesregierung ge-beten, im Rahmen eines die finanziellen Rahmenbe-dingungen in der gesetzlichen Krankenversicherungberücksichtigenden Gesamtkonzepts Lösungsmög-lichkeiten für eine vollständige Angleichung der Ver-gütung in den neuen Ländern an das Niveau der al-ten Länder im Gesundheitswesen entsprechend derjeweils erforderlichen Anpassung der Vergütung zuentwickeln und mit den neuen Ländern zu diskutie-ren.

Anlage 7

Erklärung

von Minister Bernd Busemann(Niedersachsen)

zu Punkt 6 der Tagesordnung

Der Schutz der Tiere, insbesondere der warmblüti-gen Wirbeltiere, ist ein wichtiges Anliegen. Dennochist es derzeit Tatsache, dass zum Schenkelbrand alsunverzichtbare hilfsmittelfreie Identifikation geradeder wirtschaftlich wertvollen Rassepferde keine Al-ternative besteht.

Da der von Mecklenburg-Vorpommern und Nie-dersachsen im Ausschuss für Agrarpolitik und Ver-braucherschutz gestellte Antrag, die Entschließungdahin gehend zu ändern, den Schenkelbrand bisEnde 2013 zuzulassen und zu fordern, die verblei-bende Zeit für eine wissenschaftliche und technischePrüfung von Alternativen zu nutzen, keine ausrei-chende Unterstützung fand, kann Niedersachsen derEntschließung nicht zustimmen und enthält sich.

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Anlage 8

Umdruck Nr. 8/2010

Zu den folgenden Punkten der Tagesordnung der875. Sitzung des Bundesrates empfehlen die Aus-schüsse bzw. der Ständige Beirat dem Bundesrat:

I.

Die Entschließung zu fassen:

Punkt 7Entschließung des Bundesrates zur besseren Kenn-zeichnung von zusammengefügten Formfleisch-produkten (Klebefleisch) (Drucksache 568/10)

II.

Gegen die Gesetzentwürfe keine Einwendungenzu erheben:

Punkt 9Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Frei-hafens Hamburg (Drucksache 533/10)

Punkt 19Entwurf eines Gesetzes zu dem Änderungsproto-koll vom 25. Mai 2010 zum Abkommen vom17. Oktober 1962 zwischen der BundesrepublikDeutschland und Irland zur Vermeidung derDoppelbesteuerung und zur Verhinderung derSteuerverkürzung bei den Steuern vom Einkom-men und vom Vermögen sowie der Gewerbe-steuer (Drucksache 542/10)

III.

Zu den Gesetzentwürfen die in der jeweils zitier-ten Empfehlungsdrucksache wiedergegebene Stel-lungnahme abzugeben:

Punkt 18Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom23. Juni 2010 zur Änderung des Protokolls überdie Übergangsbestimmungen, das dem Vertragüber die Europäische Union, dem Vertrag überdie Arbeitsweise der Europäischen Union unddem Vertrag zur Gründung der EuropäischenAtomgemeinschaft beigefügt ist (Drucksache 541/10, Drucksache 541/1/10)

Punkt 20Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommendes Europarats vom 16. Mai 2005 zur Verhütungdes Terrorismus (Drucksache 543/10, Drucksache543/1/10)

(

(IV.

Zu der Vorlage die Stellungnahme abzugeben,die in der zitierten Empfehlungsdrucksache wieder-gegeben ist:

Punkt 23Vorschlag für eine Verordnung des EuropäischenParlaments und des Rates über die Typgenehmi-gung von land- und forstwirtschaftlichen Fahr-zeugen (Drucksache 515/10, zu Drucksache 515/10, Drucksache 515/1/10)

V.

Der Verordnung nach Maßgabe der in der Emp-fehlungsdrucksache wiedergegebenen Empfehlungzuzustimmen sowie die unter Buchstabe C der Emp-fehlungsdrucksache angeführte Entschließung zufassen:

Punkt 24Zweite Verordnung zur Änderung von Vorschrif-ten zur Durchführung des gemeinschaftlichen Le-bensmittelhygienerechts (Drucksache 529/10,Drucksache 529/1/10)

VI.

Den Vorlagen ohne Änderung zuzustimmen:

Punkt 25Zweite Verordnung zur Durchführung des Fi-nanzausgleichsgesetzes im Ausgleichsjahr 2009(Drucksache 544/10)

Punkt 26Zweite Verordnung zur Änderung der Ersten Bun-desmeldedatenübermittlungsverordnung (Druck-sache 545/10)

Punkt 27Verordnung über die Zulassung von Personenzum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung –FeV) (Drucksache 531/10)

VII.

Entsprechend den Anregungen und Vorschlägenzu beschließen:

Punkt 29Benennung von Beauftragten des Bundesrates inBeratungsgremien der Europäischen Union fürdie Ratsarbeitsgruppe Forstwirtschaft (Drucksa-che 571/10, Drucksache 571/1/10)

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Punkt 30Bestellung von Mitgliedern des Verwaltungsratesder Kreditanstalt für Wiederaufbau (Drucksache590/10, Drucksache 590/1/10)

Punkt 31Benennung eines Mitglieds des Kuratoriums derStiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepu-blik Deutschland“ (Drucksache 547/10)

Punkt 32Benennung eines Mitglieds für den Eisenbahn-infrastrukturbeirat (Drucksache 598/10)

Punkt 36Benennung eines Mitglieds und eines stellvertre-tenden Mitglieds für den Beirat der Bundesnetz-agentur für Elektrizität, Gas, Telekommunika-tion, Post und Eisenbahnen (Drucksache 630/10)

VIII.

Zu den Verfahren, die in der zitierten Drucksachebezeichnet sind, von einer Äußerung und einem Bei-tritt abzusehen:

Punkt 33Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht(Drucksache 559/10)

Anlage 9

Erklärung

von Staatsministerin Margit Conrad(Rheinland-Pfalz)

zu Punkt 8 der Tagesordnung

Das Land Rheinland-Pfalz unterstützt den Ausbauder Biokraftstoffnutzung auch vor dem Hintergrunddes Ziels, im Jahr 2020 mindestens 10 % des End-energieverbrauches im Verkehrssektor aus erneuer-baren Energiequellen bereitzustellen.

Der Erfüllung von Nachhaltigkeitskriterien kommtdabei eine wichtige Rolle zu, um auch im weltweitenMaßstab einen nachhaltigen Ausbau der Biokraftstoffein ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsichtzu gewährleisten. Durch indirekte Landnutzungsände-rungen im globalen Maßstab entstehende Klimaeffektekönnen sich nachteilig auf die Treibhausgasbilanz aus-wirken. Vor diesem Hintergrund begrüßt Rheinland-Pfalz es, dass sich die EU-Kommission im Rahmen ei-ner öffentlichen Konsultation vorgenommen hat, dasAusmaß der Problematik zu ergründen und Optionenfür geeignete Maßnahmen zu finden.

Die Einführung eines pauschalen Faktors im natio-nalen bzw. im EU-Maßstab als Instrument, um klima-schädliche Landnutzungsänderungen zu verhindern,erscheint in diesem Stadium der Beratungen nicht als

(

(tauglicher Weg, um die gewünschten Effekte zu er-zielen. Die einheimischen Produzenten unterliegenden strengen Vorgaben des EU- und des nationalenUmweltrechts und können nicht für Versäumnisse inDrittstaaten verantwortlich gemacht werden, derenBewältigung in erster Linie den dafür vorgeseheneninternationalen Organisationen und laufenden Kon-sultationsprozessen obliegt.

Das Land Rheinland-Pfalz lehnt daher die in Zif-fer 1 Buchstabe c der BR-Drs. 569/1/10 enthalteneEmpfehlung ab.

Anlage 10

Erklärung

von Staatsministerin Emilia Müller(Bayern)

zu Punkt 38 der Tagesordnung

Für Herrn Staatsminister Martin Zeil gebe ich fol-gende Erklärung zu Protokoll:

Der von Rheinland-Pfalz vorgelegte Antrag isteine Mogelpackung. Die Überschrift lautet: „Ent-schließung zum Energiekonzept der Bundesregie-rung“. Was dann folgt, ist ein Sammelsurium be-kannter Argumente gegen die Verlängerung derLaufzeiten der deutschen Kernkraftwerke. Natürlichist die Laufzeitverlängerung ein wichtiger Teil desEnergiekonzepts, aber eben nur ein Teil.

Über die Änderungen des Atomgesetzes werdenwir im November im Bundesrat beraten. D a s istder richtige Ort für die Diskussion über das Für undWider, das Wie und Warum der Laufzeitverlänge-rung. Dagegen ist der Entschließungsantrag aus-schließlich eine politische Schauveranstaltung. Ichfinde es bedauerlich, dass damit die gute Traditiondes Bundesrates aufgegeben wird, Vorlagen primärunter fachlichen Aspekten zu behandeln.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zu beidem– Energiekonzept und Laufzeitverlängerung – Stel-lung zu nehmen. Ich tue dies aus der Sicht eines Lan-des, dessen Pro-Kopf-CO2-Emissionen ein Drittelunter dem Bundesdurchschnitt liegen, dessen Strom-erzeugung heute schon zu 25 % auf erneuerbarenEnergien beruht, das über fünf sichere und leistungs-fähige Kernkraftwerke verfügt und dessen Wirt-schaftskraft und Wohlstand maßgeblich von Industrie-unternehmen abhängen, die auf eine sichere undpreiswerte Stromversorgung angewiesen sind.

Seit über drei Jahrzehnten hat sich keine Bundes-regierung mehr auf ein umfassendes und langfristigangelegtes Energiekonzept verständigt. Was dieBundesminister Brüderle und Röttgen geschafft ha-ben, kann man als historische Leistung bezeichnen.

Deutschland verfügt heute über ein konkretesKonzept mit äußerst ambitionierten Zielsetzungen fürdie CO2-Reduzierung, die Steigerung der Energie-effizienz und den Ausbau der erneuerbaren Ener-

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gien. In keinem anderen bedeutenden Industrielandder Welt gibt es ein vergleichbares Konzept.

Die maßvolle Laufzeitverlängerung der deutschenKernkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre istnotwendiger Bestandteil des Konzepts. Sie verschafftuns Zeit für den Umbau unserer Stromversorgung.

Wir wollen langfristig den größten Teil unseresStrombedarfs aus erneuerbaren Energien decken.Dafür brauchen wir einen umfangreichen Ausbau derNetze auf allen Spannungsebenen, und wir brauchenden Aufbau von Speichern für Strom aus fluktuieren-den erneuerbaren Energiequellen.

Das sind technische, finanzielle und planerischeKraftakte, die in gut zehn Jahren, wenn nach gelten-dem Atomrecht das letzte Kernkraftwerk vom Netzgehen müsste, einfach nicht zu schaffen sind.

Zugleich verschafft uns die Laufzeitverlängerungdurch die Teilabschöpfung der Zusatzgewinne die fi-nanziellen Mittel für den Umbau der Energieversor-gung.

Die im Entwurf vorliegende Vereinbarung zwi-schen der Bundesregierung und den Kernkraftwerks-betreibern ist weder ein „Geheimvertrag“ noch ein„Deal“, sondern vor allem ein großer Verhandlungs-erfolg der Bundesregierung.

Im Entschließungsantrag ist viel von den Auswir-kungen der Laufzeitverlängerung auf den Wettbe-werb die Rede. Als FDP-Wirtschaftsminister nehmeich diese Frage sehr ernst. Aber ich muss feststellen:

Erstens. Wettbewerb soll auch dem Verbraucherzugutekommen. Für den Stromverbraucher ist es gut,wenn das Stromangebot möglichst groß ist; denndann sind die Preise niedriger als bei einem künstlichverknappten Angebot.

Zweitens. Die Abschöpfung von weit über 50 %der Zusatzgewinne verhindert gerade einen übermä-ßigen Zuwachs an Marktmacht der Kernkraftwerks-betreiber.

Drittens. Das Energiekonzept sieht ausdrücklicheine Förderung hocheffizienter Kraftwerke von Be-treibern vor, die einen Anteil an den deutschenStromerzeugungskapazitäten unter 5 % haben.

Viertens. Den Missbrauch von Marktmacht aufden Energiegroßhandelsmärkten abzustellen ist Auf-gabe der Kartellbehörden. Um sie zu stärken, wirdeine Markttransparenzstelle beim Bundeskartellamteingerichtet.

Nun zur Frage der Zustimmungspflicht! Dabeigeht es juristisch darum, ob die Auswirkungen einerRechtsänderung auf die Verwaltungsaufgaben derLänder so gravierend sind, dass der Bundesrat zu-stimmen muss. Dazu hat das Bundesverfassungsge-richt in einem Urteil vom 4. Mai 2010 zum Luftsicher-heitsgesetz ausgeführt:

Die bloß quantitative Erhöhung der Aufgaben-last genügt dazu aber grundsätzlich nicht. Siestellt jedenfalls dann keine wesentliche Verän-derung der Bedeutung und Tragweite einer

(

(übertragenen Aufgabe dar, wenn die Wahrneh-mung der übertragenen Aufgabe dadurch nichtstrukturell oder in anderer Weise schwerwie-gend verändert wird.

Ich sehe nicht, warum die Laufzeitverlängerung et-was anderes sein soll als eine „bloß quantitative Er-höhung der Aufgabenlast“.

Wenn die Laufzeitverlängerung zustimmungs-pflichtig wäre, dann wäre es auch der „Atomausstieg“gewesen. Bayern wird, wenn gegen die Laufzeitver-längerung geklagt wird, einen entsprechenden Nor-menkontrollantrag stellen.

Es ist unwahrscheinlich und wäre auch unbefriedi-gend, wenn das Bundesverfassungsgericht in dieserzentralen energiepolitischen Frage das letzte Worthätte. Denn der Souverän hat sich mit der Bundes-tagswahl vom 27. September 2009 schon für die Lauf-zeitverlängerung entschieden.

Die Entscheidung war richtig. Denn es wäre volks-wirtschaftlich unsinnig, sichere und wettbewerbsfä-hige Produktionsanlagen vorzeitig außer Betrieb zunehmen. Es wäre energiepolitisch unverantwortlich,mutwillig Versorgungsrisiken und knappheitsbe-dingte Preissteigerungen herbeizuführen. Deshalb istdie Laufzeitverlängerung wichtig für unser Land.

Anlage 11

Erklärung

von Staatsminister Dr. Carsten Kühl(Rheinland-Pfalz)

zu Punkt 10 der Tagesordnung

Noch vor gut einem Jahr waren sich die Regierun-gen der G 20 – und übrigens auch die Bundesregie-rung – einig, dass der Finanzsektor einen angemes-senen und substanziellen Beitrag zu den Kosten derweltweiten Finanzkrise leisten muss.

Diese Aussage war vor einem Jahr richtig, und sieist heute noch richtig. Ein solcher Beitrag des Finanz-sektors zu den Kosten der Krise ist ein Gebot der Ge-rechtigkeit und ein Gebot der ökonomischen Ver-nunft. Vor allem zwei Gründe sprechen dafür:

Zum einen ist es ein Grundprinzip der Marktwirt-schaft, dass die Eigen- und Fremdkapitalgeber nichtnur die Gewinne, sondern auch die Verluste ihrerInvestitionsentscheidungen tragen. Kürzer: Markt-wirtschaft erfordert Haftung.

Zum anderen muss es das Ziel jeder Kostenbeteili-gung des Finanzsektors sein, risikoreiche Geldge-schäfte stärker zu belasten und weniger attraktiv zumachen. Und das heißt eben auch, ein ungezügeltesWachstum des Finanzsektors zu Lasten der anderenWirtschaftszweige künftig zu verhindern. Denn un-gezügeltes Wachstum ist die Folge, wenn Eigenkapi-talrenditen von 25 % das Minimalziel sind.

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Wenn die Finanzkrise eines gezeigt hat, dann dies:

Ein weitgehend deregulierter, mit billigem Geld be-feuerter und durch den Staat implizit versicherterFinanzsektor verursacht volkswirtschaftlich erheblichmehr Schaden als Nutzen. Es stellt sich daher zu-nächst und vor allem die Frage, ob das Restrukturie-rungsgesetz der Bundesregierung mitsamt der vieldiskutierten Bankenabgabe hier nachhaltig Abhilfeschafft.

Die Antwort lautet leider: nur zum Teil. Es bestehtsicherlich Einigkeit, dass geeignete Instrumentenötig sind, um Banken im Krisenfall in einem geord-neten Verfahren entweder zu sanieren oder aber ab-zuwickeln. Die diesbezüglichen Regelungen im vor-liegenden Gesetzentwurf, die im Wesentlichen aufeinen noch zu Zeiten der großen Koalition von denBundesministern der Justiz und der Finanzen – Zypriesund Steinbrück – vorgelegten Gesetzentwurf zurück-gehen, schaffen zumindest die Voraussetzungen da-für, dass das Prinzip der Haftung künftig auch fürsystemrelevante Banken gilt.

Es ist auch nicht grundsätzlich verkehrt, ein sol-ches Restrukturierungsverfahren mit einem Restruk-turierungsfonds zu verknüpfen, der durch eine risiko-adjustierte Sonderabgabe finanziert wird, zumal diesden entsprechenden Vorschlägen der EuropäischenKommission entspricht. Problematisch ist allerdingsdie Ausgestaltung dieser sogenannten Bankenab-gabe.

Gerade angesichts der Mittel, die von der öffentli-chen Hand zur Abwehr der Finanzkrise aufgebrachtwerden mussten, drängt sich durchaus der Verdachtauf, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschenFinanzindustrie im Vordergrund stand, die Banken-abgabe mithin nicht mehr als eine Alibiabgabe ist,um die Öffentlichkeit zu beruhigen.

So benötigt ein derartiger Krisenfonds seriösenSchätzungen zufolge eine Minimalausstattung vonetwa 1 % des BIP – das wären nach heutigem Stand,also ohne Berücksichtigung des zukünftigen Wirt-schaftswachstums, schon rund 24 Milliarden Euro.Die Bankenabgabe soll aber nur etwa 1 bis 1,2 Mil-liarden Euro pro Jahr einbringen. Mit anderen Wor-ten: Die Minimalausstattung des Fonds wäre frühes-tens nach 20 Jahren erreicht. Und das heißt: Auch dienächsten 20 Jahre müssten letztlich die Steuerzahlerdie Garantie für die systemrelevanten Banken über-nehmen.

Die Hessische Landesregierung hat zudem völligzu Recht darauf hingewiesen, dass der Gesetzent-wurf der Bundesregierung jede konkrete Zahl hin-sichtlich der erforderlichen Kapitalausstattung desRestrukturierungsfonds vermissen lässt, währendbeispielsweise Schweden entschieden hat, innerhalbvon 15 Jahren 2,5 % des BIP zurückzulegen. Nur zurVerdeutlichung: Auf Deutschland übertragen hießedies 60 Milliarden Euro in 15 Jahren.

Wie hoch auch immer die Kapitalausstattung desFonds letztlich sein muss, um in künftigen Krisen ef-fektiv arbeiten zu können, ändert dies nichts daran,dass die Bankenabgabe den Banken nützt: Banken in

(

(der Krise profitieren künftig unmittelbar, der Finanz-sektor insgesamt durch die Rettung der Krisenban-ken mittelbar. Anders gewendet: Eine solche Abgabeist jedenfalls kein angemessener und substanziellerBeitrag des Finanzsektors zu den Kosten der aktuel-len Finanzkrise.

Die Rheinland-Pfälzische Landesregierung hältdeshalb an ihrer Forderung nach Einführung einerFinanztransaktionssteuer fest. Drei Gründe sprechendafür:

Eine solche Steuer würde erstens alle Finanz-marktteilnehmer – und nicht nur die Banken – tref-fen.

Eine solche Steuer würde zweitens insbesonderediejenigen treffen, die sehr kurzfristig und mit ex-trem hohem Einsatz sehr viele Transaktionen tätigen,vor allem also auch den algorithmenbasierten Com-puterhandel, das sogenannte High Frequency Tra-ding.

Eine solche Steuer könnte drittens die öffentlichenHaushalte, denen in den nächsten Jahren eine im-mense Konsolidierungsleistung bevorsteht, entlasten.

Die Ausgestaltung der Bankenabgabe ist noch ausanderen als den bereits genannten Gründen proble-matisch. Lassen Sie mich zum Abschluss meinerAusführungen nur zwei der in den Ausschüssen vonallen Ländern kritisierten Punkte ausdrücklich an-sprechen!

Erstens ist es nicht sachgerecht, dass die Förder-banken der Länder nach dem Gesetzentwurf derBundesregierung der Bankenabgabepflicht unterlie-gen sollen. Denn die sogenannte Verständigung IIzwischen Bundesregierung und EU-Kommissionsieht vor, dass für bestimmte Spezialkreditinstitute,namentlich für Förderbanken, weiterhin Anstaltslastund Gewährträgerhaftung gelten dürfen, diesen In-stituten im Gegenzug allerdings nur ein eng be-grenzter Kanon an Geschäften erlaubt ist. Wenn aberdie öffentliche Hand für diese Institute ohnehin haf-tet, dann sind Zahlungen in einen Krisenfonds über-flüssig, zumal die betroffenen Mittel für den öffentli-chen Förderzweck verwendet werden könnten. Diesgilt umso mehr, als die KfW als Förderbank des Bun-des von der Bankenabgabepflicht ausgenommen ist.

Zweitens muss sichergestellt sein, dass die Ban-kenabgabe tatsächlich eine risikoadjustierte Abgabeist. Dafür reicht es nicht aus, dass die Bemessungs-grundlage der Bankenabgabe allein an die Summeder gegenüber anderen Kreditinstituten eingegange-nen Verbindlichkeiten oder an die Bilanzsumme ab-züglich Eigenkapital und Kundeneinlagen anknüpft.Die entscheidende Frage ist doch, was eine Bank mitihrem Fremdkapital macht. Um es ganz plakativ zusagen: Mittelstandskredite und spekulativer Eigen-handel dürfen nicht gleichbehandelt werden. Genaudeshalb sollte das Risikogewicht der Aktiva berück-sichtigt werden, zumal diesbezüglich ein austariertesund international einheitliches System der Risikobe-wertung bereits existiert.

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Noch vor gut einem Jahr waren sich die Regierun-

gen weltweit – weitgehend – darin einig, was getanwerden muss, um eine Wiederholung der Finanzkrisezu verhindern. Einiges davon ist bereits getan wor-den, vieles ist noch zu tun. Was auch immer getanwird, es sollte vor allem im Interesse des Allgemein-wohls und mit ökonomischem Sachverstand getanwerden. Das gilt auch für die deutsche Bankenab-gabe.

Anlage 12

Erklärung

von Ministerin Dr. Monika Stolz(Baden-Württemberg)

zu Punkt 10 der Tagesordnung

Für Herrn Minister Willi Stächele gebe ich fol-gende Erklärung zu Protokoll:

1. Einleitung

Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Ban-ken-Restrukturierungsgesetzes vorgelegt, um zu-künftig „systemische Risiken“ für Banken wirksambegrenzen zu können – eine gesetzgeberischeReaktion der Bundesrepublik auf die Finanzkrise,ausgelöst durch den Zusammenbruch von LehmanBrothers.

2. Restrukturierung

Die Restrukturierung einer Bank soll künftig inzwei Schritten erfolgen: erstens durch Sanierung,zweitens durch Reorganisation.

Mit Sanierungsverfahren können Schieflagendurch frühes und entschiedenes Eingreifen auf derEbene der Geschäftsführung bewältigt werden.

Ist eine Sanierung des Kreditinstituts mit dem Sa-nierungsverfahren nicht möglich, kann das Kredit-institut oder der Sanierungsberater mit Zustimmungdes Kreditinstituts bei der Bundesanstalt unter Vor-lage eines Reorganisationsplans das Reorganisations-verfahren einleiten.

Weitere Änderung: Die BaFin bekommt zusätzli-che aufsichtsrechtliche Instrumente zum frühzeitigenEingreifen und zur Krisenbewältigung.

Baden-Württemberg unterstützt die vorgesehenenÄnderungen. Sie stellen eine richtige und notwen-dige Antwort unseres Landes auf die Finanzkrise dar.

3. Bankenabgabe

Ein weiteres Instrument ist die Bankenabgabe.Damit zukünftig nicht die Steuerzahler für die ge-nannten Restrukturierungsmaßnahmen aufkommenmüssen, sollen alle deutschen Kreditinstitute eineBankenabgabe zahlen, die in einen Restrukturie-rungsfonds fließt. Dies bedeutet, dass nach dem Ge-setzentwurf auch Förderbanken der Länder – dieKfW ist davon ausgenommen, da sie kein Kreditinsti-tut i.S.d. KWG ist –, Bürgschaftsbanken, Sparkassen

(

(und Genossenschaftsbanken zur Abgabe herangezo-gen werden.

Der Gesetzentwurf übersieht erstens, dass die För-derbanken der Länder die Absicherung durch denRestrukturierungsfonds nicht brauchen. Sie verfü-gen ebenso wie die bundeseigene Kreditanstalt fürWiederaufbau (KfW) über umfassende Staatsgaran-tien. Zudem beteiligen sie sich auf Grund ihres klarumrissenen gesetzlichen Auftrags nicht am üblichenMarktgeschehen. Förderbanken der Länder sind des-halb, ebenso wie die im Gesetz von der Bankenab-gabe bereits ausgenommene KfW, von der Banken-abgabe zu befreien.

Zweitens wird übersehen, dass Bürgschaftsbankeneiner Absicherung ebenfalls nicht bedürfen. Sie sindbei Bürgschaftsvergaben engen Restriktionen unter-worfen, so dass im Vergleich zu Geschäftsbankenkaum nennenswerte Risiken begründet werden kön-nen. Im Falle der Inanspruchnahme einer Bürg-schaftsbank wird der entstandene Schaden in hohemMaße durch die Rückbürgschaften von Bund undLand aufgefangen. Eine weitere Absicherung ist da-her nicht erforderlich.

Bürgschaftsbanken haben auch keine Systemrele-vanz. Weil sie den Hausbanken gerade in wirtschaft-lich schwierigen Zeiten zusätzliche Sicherheiten zurVerfügung stellen, wirken sie mehr stabilisierenddenn risikoverschärfend.

Drittens lässt der Gesetzentwurf außer Acht, dassSparkassen und Genossenschaftsbanken nicht vomRestrukturierungsfonds profitieren. Nutznießer desRettungsfonds werden vor allem die Kreditinstitutesein, die auf Grund ihrer Größe oder Vernetzung sys-temische Risiken bergen.

Sparkassen und Genossenschaftsbanken verfü-gen über bewährte und funktionierende Sicherungs-einrichtungen. Diese sorgen für ausreichende Liqui-dität und Solvenz der angeschlossenen Banken undsichern die von ihnen selbst ausgehenden Systemrisi-ken umfassend ab. Institutsgesicherte Banken undSparkassen brauchen und sollten infolgedessen nichtzur Bankenabgabe herangezogen werden.

Die Höhe der Bankenabgabe soll sich nach der Ri-sikoausrichtung, dem Vernetzungsgrad und derGröße des jeweiligen Instituts richten. Als konkreteBemessungsgrundlage für die Beiträge nennt der Ge-setzentwurf allerdings lediglich die Summe der ge-genüber anderen Kreditinstituten eingegangenenVerbindlichkeiten. Die weiteren Parameter zur Bei-tragsbemessung der Bankenabgabe sollen nach demRegierungsentwurf von der Bundesregierung im Be-nehmen mit der Deutschen Bundesbank durchRechtsverordnung – aber ohne Zustimmung des Bun-desrates – geregelt werden. Auch hier besteht Nach-besserungsbedarf.

Um die Banken zu risikoadäquatem Verhalten an-zuhalten, muss die Beitragsbemessung zur Banken-abgabe risikodifferenziert erfolgen.

Mit der im Entwurf vorgesehenen alleinigen An-knüpfung an den Bilanzposten „Verbindlichkeiten“

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werden Banken mit niedrigem Risikogehalt abergleichbehandelt mit Banken, die in ihren Büchernhohe Risiken halten. Eine solche Gleichbehandlungwiderspricht dem Gedanken eines risikogewichtetenund damit verursachungsgerechten Beitrags. Ver-bindlichkeiten sollten zwar dem Grunde nach Basisder Beitragsbemessung sein. Daneben sollte aberauch das Risikogewicht der Aktiva Berücksichtigungfinden. Insoweit ist der Gesetzentwurf zu ergänzen.

Die Mitwirkung des Bundesrates am Erlass derRechtsverordnung ist schon verfassungsrechtlich ge-boten. Die Höhe der Beiträge bildet zudem einennicht unwesentlichen Gesichtspunkt bei der Stand-ortwahl im Wettbewerb mit europäischen oder inter-nationalen Finanzplätzen und kann sich auch auf dieallgemeine Kreditversorgung in Deutschland auswir-ken, so dass den Länderinteressen durch die Beteili-gung des Bundesrates Rechnung zu tragen ist.

4. Ergebnis

Das Bestreben der Bundesregierung, zur Vorbeu-gung und zur Bewältigung künftiger Krisen des Fi-nanzsektors geeignete Mechanismen zu entwickelnund bereitzustellen, ist zu begrüßen. Allerdings istdarauf zu achten, dass die Beiträge zur Bankenab-gabe nach dem Risikogewicht bemessen und mit denin Deutschland bereits bestehenden Institutssiche-rungen kompatibel gemacht werden. Die deutschenKreditinstitute dürfen nicht doppelt belastet werden,sonst drohen Wettbewerbsnachteile und Schwierig-keiten bei der Kreditversorgung in Deutschland.

Anlage 13

Erklärung

von Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk(BMF)

zu Punkt 10 der Tagesordnung

Wir sind uns darüber einig: Eine zentrale Lehreaus der Finanzmarktkrise muss die stärkere, vor al-lem die effizientere Regelung der Finanzmärkte sein.Dafür hat die Bundesregierung auf internationalerEbene – beim IWF, bei den G 20 und auf europäi-scher Ebene – ein Bündel von Regulierungsmaßnah-men maßgeblich vorangebracht, die national umge-setzt werden müssen.

Der enge Zeitplan für das parlamentarische Ver-fahren ergibt sich aus dem Wunsch der Bundesregie-rung, die Maßnahmen nach dem Finanzmarktstabili-sierungsgesetz Ende dieses Jahres auslaufen zulassen. Es besteht die Notwendigkeit, die auslaufen-den Maßnahmen unmittelbar durch das neue Instru-mentarium zum Umgang mit in Schieflage geratenenBanken abzulösen.

Wir führen mit dem vorliegenden Gesetzentwurfzum einen ein intelligentes Regime zur Restrukturie-rung und geordneten Abwicklung von systemrele-

(

(vanten Banken in Deutschland ein. Es geht darum,dass Banken ihre finanziellen Schwierigkeiten in Zu-kunft nicht mehr aus Furcht vor Marktreaktionenverdecken können; denn gerade in der Frühphaseder Gefährdung eines Instituts bestehen oftmals nochdie besten Chancen, die beginnende Schieflage miteinem relativ geringen Aufwand zu verhindern.

Mit diesem Regime führen wir ein Instrument ein,das Schieflagen von Instituten in Zukunft verhindernsoll. Die Entscheidung, ob eine Bank in eine Schief-lage gerät und ob sie systemrelevant ist, wird nichtmehr die Bank selber, sondern die Bankenaufsichttreffen.

Neben den Regelungen zur Restrukturierung be-nötigen wir andere Krisenreaktionsmöglichkeiten.Deshalb werden wir einen Restrukturierungsfondsschaffen, an den alle Institute eine Sonderabgabeentrichten müssen, um im Falle der Krise nicht auto-matisch wieder den Steuerzahler zur Kasse zu bitten.

Aus der Sicht der Länder erscheinen besonders dieGestaltung der Bankenabgabe und der Kreis der Ab-gabepflichtigen relevant. Die ersten Empfehlungender Ausschüsse bestätigen diese Einschätzung.

Die Bankenabgabe ist von allen zugelassenen Kre-ditinstituten mit Sitz in Deutschland zu entrichten.Dabei handelt es sich um eine klar abgegrenzteGruppe, die eine besondere Finanzierungsverant-wortung für Maßnahmen zur Stabilisierung des Ban-kenmarktes trifft. Dazu gehören auch Sparkassen,Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie Landes-banken. Gerade diese Gruppe, d. h. sämtliche Kredit-institute, profitiert davon, wenn die Stabilität der Fi-nanzmärkte gegen Bankenkrisen gewährleistet wird.Diese Gestaltung der Abgabe entspricht den zwin-genden Anforderungen, die das Verfassungsrecht aneine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion stellt.

Die Frage nach dem Kreis der Beitragspflichtigenist nicht zu trennen von den Vorgaben zur Bemes-sungsgrundlage. Die Bemessungsgrundlage für dieBankenabgabe soll in wesentlichen Punkten durchdas Gesetz vorgezeichnet und dann durch eineRechtsverordnung der Bundesregierung konkretisiertwerden.

Eines ist aber klar: Die Abgabe wird risikoadjus-tiert ausgestaltet. Das heißt: Die Höhe der Abgabeorientiert sich am Risiko, das von der jeweiligen Bankfür das Finanzsystem ausgeht. Indikatoren dafür sindz. B. die Höhe der eingegangenen Verpflichtungenoder ihre Vernetzung im Finanzbereich. Je höher dasRisiko, desto höher ist die Abgabe an den Fonds. Dieskann durch eine einfache Formel erreicht werden.

Inhaltlich möchte ich betonen, dass sich auf euro-päischer Ebene Deutschland wie die Mehrzahl deranderen Mitgliedstaaten und die Kommission dafürausgesprochen haben, bei der Berechnung der Ban-kenabgabe eine möglichst einfache Formel zu findenund hierfür an die Passivseite der Bilanz anzuknüp-fen. Aus deren Struktur und der Vernetzung desInstituts durch seine Fremdfinanzierung bei anderenKreditinstituten und am Kapitalmarkt ergeben sich

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das systemische Risiko und die Ansteckungsgefahrenfür die Finanzmärkte.

Erlauben Sie mir noch ein kurzes Wort zur steuer-lichen Behandlung der Bankenabgabe, insbesondereder Sonderbeiträge!

Der Gesetzentwurf sieht für die Sonderbeiträgeanders als für die regulären Jahresbeiträge die steu-erliche Abzugsfähigkeit vor. Der hier vorliegende Be-schlussvorschlag sieht für beide Nicht-Abzugsfähig-keit vor. Freilich sieht sich bereits die Regelung zurBankenabgabe verfassungsrechtlichen Bedenken aufGrund des sogenannten Nettoprinzips ausgesetzt.Das BMF wird die Regelungen daher einer erneutenverfassungsrechtlichen Prüfung unterziehen.

Anlage 14

Erklärung

von Staatsminister Karl Peter Bruch(Rheinland-Pfalz)

zu Punkt 13 der Tagesordnung

Für die Länder Rheinland-Pfalz, Brandenburg,Berlin und Bremen gebe ich folgende Erklärung zuProtokoll:

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwick-lung Deutschlands hängt in entscheidendem Maßedavon ab, ob es gelingt, alle Wissensressourcen, Be-gabungen und Talente junger Menschen aufzugrei-fen und zu fördern. Zu den zentralen Herausforde-rungen der Bildungspolitik zählt daher, die Zahl derStudienanfängerinnen und Studienanfänger weiterzu erhöhen. Bund und Länder gemeinsam haben mitdem Hochschulpakt wichtige Voraussetzungen ge-schaffen, um in den nächsten Jahren allen jungenMenschen, die Interesse an einem Studium haben,die Aufnahme des Studiums zu ermöglichen.

Auch der Weiterentwicklung des BAföG zu einemsozial gerechten, leistungsfähigen, an die aktuellenStudienbedingungen angepassten Förderinstrumentkommt daher eine Schlüsselrolle zu. Deshalb begrüßendie Länder Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Berlin undBremen die Einigung zwischen Bund und Ländern zurVerbesserung des BAföG. Anders als eine vage Aus-sicht auf ein Stipendium auf der Basis des Stipendien-programm-Gesetzes leistet eine verlässliche, rechts-sichere und soziale Förderung Studierender einenspürbaren Beitrag dazu, den qualifizierten Nachwuchsin großer Zahl an die Hochschulen zu bringen.

Der Bundesrat hält es im Hinblick auf beruflicheChancengleichheit junger Menschen für zielführen-der, die für das nationale Stipendienprogramm vor-gesehenen finanziellen Mittel zur Aufstockung derBAföG-Fördersätze und -Freibeträge sowie für struk-turelle Veränderungen im Bereich der Förderberech-tigungen zu verwenden, um die finanzielle Situationder BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger zu ver-bessern und die Zahl der geförderten Studierendenzu erhöhen. Deshalb wurde bereits zum Plenum am

(

(4. Juni 2010 der Antrag eingebracht, die für dieUmsetzung des Stipendienprogramm-Gesetzes vor-gesehenen Mittel für Zwecke des weiteren BAföG-Ausbaus einzusetzen. Die Länder Rheinland-Pfalz,Brandenburg, Berlin und Bremen bedauern es, dassdie Bundesregierung dem Ausbau des BAföG offen-sichtlich einen geringeren Stellenwert beimisst.

Anlage 15

Erklärung

von Minister Bernd Busemann(Niedersachsen)

zu Punkt 17 der Tagesordnung

Mit dem Entwurf eines Gesetzes über den Rechts-schutz bei überlangen Gerichtsverfahren und straf-rechtlichen Ermittlungsverfahren will die Bundesre-gierung eine Rechtsschutzlücke schließen. Beteiligtengerichtlicher Verfahren und strafrechtlicher Ermitt-lungsverfahren soll ein wirksames Mittel zur Durch-setzung ihres Anspruchs auf Rechtsschutz in ange-messener Zeit zur Verfügung gestellt werden.

Dass insoweit Handlungsbedarf besteht, kannnicht ernsthaft bestritten werden. Sowohl das Grund-gesetz als auch die Konvention zum Schutze derMenschenrechte und Grundfreiheiten billigen Betei-ligten gerichtlicher Verfahren einen Anspruch aufgerichtlichen Rechtsschutz „innerhalb angemessenerFrist“ (Artikel 6 Absatz 1 EMRK) zu.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechtehat erstmals im Oktober 2000 entschieden, dass beiüberlanger Dauer gerichtlicher Verfahren neben demRecht auf ein faires und zügiges Verfahren das in Ar-tikel 13 der Konvention verbürgte Recht auf wirk-same Beschwerde verletzt sein kann. Danach mussdem Betroffenen ein Rechtsbehelf bei einer innerstaat-lichen Instanz gegen Gefährdungen und Verletzungenseines Rechts auf angemessene Verfahrensdauer zurVerfügung stehen. Wirksam ist ein Rechtsbehelf nachAuffassung des Gerichtshofs dann, wenn er die be-fassten Gerichte zu einer schnelleren Entscheidungdes Rechtsstreits veranlasst, also präventiv wirkt.Wirksam ist er aber auch, wenn er dem Rechtsuchen-den als Kompensation für bereits entstandene Verzö-gerungen eine angemessene Entschädigung gewährt.

Einen solchen wirksamen Rechtsbehelf gibt es imdeutschen Recht bislang nicht. Das hat der Europäi-sche Gerichtshof für Menschenrechte in späterenEntscheidungen unmissverständlich klargestellt. DerBundesgesetzgeber ist daher aufgefordert, eine denAnforderungen des Grundgesetzes und der Men-schenrechtskonvention genügende Regelung zu tref-fen.

Die zu schaffende Regelung ist – das will ich her-vorheben – nur für eine verschwindend geringe Zahlgerichtlicher Verfahren von Bedeutung. Die durch-schnittliche Dauer der Verfahren vor deutschen Ge-richten ist erfreulich kurz und hält auch internationa-len Vergleichen stand. Gleichwohl sind Einzelfälle, in

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denen unglückliche Umstände zu einer grundgesetz-und konventionswidrigen Verfahrensdauer führen,nie ganz auszuschließen. Es muss daher – auch ge-genüber den Erwartungen rechtsuchender Bürgerin-nen und Bürgern – deutlich gemacht werden, dassder Gesetzentwurf kein allgemeines Verfahrensbe-schleunigungsgesetz ist, sondern dass sein Anwen-dungsbereich sich auf sogenannte Ausreißer be-schränkt.

Was die Bundesregierung nunmehr rund zehnJahre nach der wegweisenden Entscheidung desStraßburger Gerichtshofs vorschlägt, überzeugt lei-der nicht. Der Entwurf muss daher in zahlreichenPunkten nachgebessert werden. Dazu liegt eine Viel-zahl von Ausschussempfehlungen vor.

Ich will mich auf einige wenige Anmerkungen be-schränken. Der Gesetzentwurf versucht, präventiveElemente mit einem Entschädigungsanspruch zukombinieren. Wer Anlass zu der Besorgnis hat, dasssein Verfahren nicht in angemessener Zeit abge-schlossen wird, kann eine Verzögerungsrüge erhe-ben. Die Erhebung der Rüge ist Voraussetzung einesEntschädigungsanspruchs.

Dieser Konzeption liegt die Annahme zugrunde,dass die Verzögerungsrüge eine konkret-präventiveBeschleunigungswirkung entfalten werde. Die Er-wartung, ein „Warnschuss“ in Gestalt einer Verzöge-rungsrüge werde das Prozessgericht zu einer zügigenFortsetzung des Verfahrens anhalten, teile ich jedochnicht. Auf Grund der hohen Belastung der Justiz istdavon auszugehen, dass die Arbeitskapazitäten beiden Gerichten bereits jetzt überobligatorisch ausge-schöpft sind. Ungenutzte personelle Ressourcen, diedurch die Einführung einer Verzögerungsrüge mobili-siert werden könnten, gibt es nicht. Zudem kannangesichts der äußerst angespannten Lage der Haus-halte der Länder nicht mit nennenswerten Stellenver-mehrungen im richterlichen und staatsanwaltschaftli-chen Dienst gerechnet werden. Die Verzögerungsrügewird daher nicht zu einer Verfahrensbeschleunigungführen.

Hinzu kommt, dass die im Gesetzentwurf vorge-schlagenen Regelungen zu einer erheblichen Mehr-belastung der Justiz führen werden. Unberechtigteoder missbräuchliche Verzögerungsrügen werden dieBearbeitung durchschnittlicher – ordentlich geförder-ter – Verfahren erheblich erschweren. Zu erwartensind ferner zahlreiche mit hohem Aufwand zu bear-beitende Entschädigungsverfahren. Sie werden so-wohl in der Justizverwaltung, an die sich Anspruch-steller vor Erhebung einer Entschädigungsklageregelmäßig wenden werden, als auch bei den mitEntschädigungsklagen befassten Gerichten Arbeits-kraft in erheblichem Umfang binden. Die richterlicheArbeitskraft steht für die Bearbeitung „normaler“Fälle nicht mehr zur Verfügung. Deren Dauer wirdsich also tendenziell verlängern.

Auch die finanzielle Belastung durch Entschädi-gungszahlungen darf nicht unterschätzt werden. Eineweitere Belastung der Länder ist jedoch nicht akzep-tabel. Ich weise daher insbesondere auf Ziffer 23 derAusschussempfehlungen hin und bitte um Ihre Un-

(

(terstützung des Appells an den Deutschen Bundes-tag, über die vom Bundesrat eingebrachten Gesetz-entwürfe zur Begrenzung der Aufwendungen für dieProzesskostenhilfe und zur Änderung des Beratungs-hilferechts „in angemessener Frist“ zu beraten unddiese zu verabschieden. Angesichts drohender Mehr-belastungen sind die Länder dringend auf entlas-tende Maßnahmen angewiesen.

Anlage 16

Erklärung

von Staatsminister Michael Boddenberg(Hessen)

zu Punkt 35 der Tagesordnung

Es ist richtig, dass sich die Bundesregierung inJahresberichten mit dem Stand der Aufarbeitung derSED-Diktatur befasst. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist aber gemeinsame Aufgabe von Bund undLändern. Die Länder können eigene Beiträge dazuvorzeigen.

Hessen und Thüringen legen einen Entschlie-ßungsantrag vor – Sachsen ist beigetreten –, der dasBemühen der Bundesregierung um Aufarbeitung derSED-Diktatur unterstützt. Darüber hinaus wird vor-geschlagen, künftig die Aktivitäten der Länder, z. B.der Landeszentralen für politische Bildung, der Kul-tus-, Wissenschafts- und Bildungsministerien, bei derErstellung des Berichtes einzubeziehen.

Das deutsche Volk hatte das große Glück, das frei-heitsfeindliche Unrechtssystem der DDR auf friedli-chem Wege überwinden zu können. Der friedlicheUmbruch in der DDR und der 3. Oktober 1990 sindeindrucksvolle Beispiele für die demokratischenGrundprinzipien unserer Verfassung und für dasSelbstbestimmungsrecht der Deutschen in Ost undWest. Dies ist Anlass zur Freude und zur Dankbarkeit.

Wir dürfen sehr froh darüber sein, dass unsere– meine eigenen drei – Kinder keine Diktaturerfah-rung machen müssen. Sie wissen Gott sei Dank nicht,wie man sich fühlt, wenn man ins Kinderheim oder ineine „staatstreue“ Familie kommt, weil die Eltern imGefängnis sitzen, nur weil sie West-Literatur gelesenoder einen politischen Witz erzählt haben oder aus-reisen wollten. So ist es Jutta Fleck ergangen, die amCheckpoint Charlie und an vielen anderen Orten fürdie Freigabe ihrer Kinder kämpfen musste.

Unsere Kinder haben auch keine Geschwister ver-loren, denen beim versuchten Grenzübertritt in denRücken geschossen wurde und die verbluteten. DieSchicksale von Peter Fechter, Chris Gueffroy oderHeinz-Josef Große stehen beispielhaft dafür.

Sie wissen auch nicht, dass selbst mehrere hundertMenschen aus dem Westen über die Grenze ver-schleppt oder beim Grenzübertritt verhaftet wurden,wie die Journalisten Karl Wilhelm Fricke oder JörgKürschner, die beide in Berlin-Hohenschönhausensaßen, nur weil sie kritisch über die SED berichtet

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oder Bücher von Rudolf Bahro und Robert Havemannin die DDR mitgebracht hatten. Beide engagierensich heute im Förderverein und im Beirat der Ge-denkstätte Hohenschönhausen, weil sie gegen dasVergessen ankämpfen wollen.

All dies juristisch und historisch aufzuarbeitensind wir den vielen Opfern schuldig. Diese Arbeitverdient unser aller Dank und Anerkennung.

Wir tun dies aber nicht nur, um den Opfern ge-recht zu werden und ihnen eine Stimme zu geben.Wir wollen vor allem mit ihnen den Blick nach vornrichten. Gerade Zeitzeugen ist es ein Herzensanlie-gen, immer wieder darauf hinzuwirken, dass sichihre schlimmen Erfahrungen nicht wiederholen, dassMenschenwürde, Freiheit und Rechtsstaatlichkeitverteidigt und gestärkt werden.

Wenn aber jeder vierte Schüler in den früherenBundeskanzlern Adenauer und Brandt DDR-Politikersieht, wenn rund 40 % der Schüler im Osten undknapp 25 % der Schüler im Westen die Stasi für ei-nen normalen Geheimdienst halten, wie ihn jederStaat habe, wenn mehr als die Hälfte der Jugendli-chen in Ostdeutschland und etwa ein Drittel in West-deutschland in der DDR keine Diktatur sehen, wenn

(nur rund ein Drittel weiß, dass die DDR für den Bauder Berliner Mauer verantwortlich war, dann ist daserschreckend und alarmierend. Grundlegende Kate-gorien politischer Urteilskraft sind offensichtlichnicht ausgeprägt, wenn große Teile unserer Schülerden Unterschied zwischen Diktatur und Demokratienicht kennen. Wir alle müssen unsere Anstrengun-gen hierbei verstärken.

Die Länder Hessen und Thüringen haben in derVergangenheit viel getan, und wir verstärken unsereAnstrengungen. Wir fördern unsere beiden Grenz-museen Schiffelersgrund und Point Alpha. Zusam-men mit der Gedenkstätte Hohenschönhausen unter-stützen wir Klassenfahrten und Projekttage. Wirsorgen für eine bessere Vermittlung unserer Ge-schichte und des Unterschieds zwischen Diktatur undFreiheit.

Die Länder Hessen, Thüringen und Sachsen bittenum Unterstützung ihrer Entschließung. Der Bundes-rat möge der Bundesregierung empfehlen, bei derErstellung des Jahresberichts die Länder einzubezie-hen, um deren umfangreiche Bemühungen, insbe-sondere in den Bereichen Bildung, Kultur und Me-dien, darzustellen.

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