Carl Sternheim - Guter Prosastil [1921]

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  • 8/9/2019 Carl Sternheim - Guter Prosastil [1921]

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    Carl Sternheim (18781942)Guter Prosastil

    1921Es gibt darber nur ein einziges zu sagen: Stil ist nichts als ins Wort umgesetzte, wirklich

    zu Ende erkannte Erkenntnis oder zu Ende geschaute Anschauung, je nachdem ich eineabsolute Notwendigkeit oder meine freie Vision niederschreiben will. Es ist Niederschrift,nicht ein primrer, sondern ein sekundrer Vorgang, und ihr Rang hngt von der Qualittdes ersten ab.

    Praktisch zerfllt also jede Aufsatzfhrung in zwei Momente, von denen das erste,wichtigere bis jetzt so gut wie bersehen wurde. Bevor ich den Satz endgltigniederschreibe, mu das Niederzuschreibende plastisch wie Bild. Statue in mir selbst auf

    seine prgnanteste, das heit vom knftigen Leser unbedingt in meinem gewollten Sinn zufassende Formel gebracht sein; denn besteht fr diesen die Mglichkeit, meinGeschriebenes anders aufzufassen, ist der wesentliche Zweck des Textes nicht erreicht. Esmacht das den Reiz jeder wissenschaftlichen Formel, doch auch jedes plastischen Bildwerkesaus, da der Leser und Beschauer an des Autors gewollter Eindeutigkeit nicht vorbei kann;und es ist die unertrgliche Qual aller deutschen Prosa, nicht nur der Schulaufstze, damangelnde Erkenntnis aus Unbildung, mangelnde Anschauung aus Talentlosigkeit diephotographische Platte schon undeutlich machte, bevor der trostlose Abzug unleserlichentstand. (Einzig die Musik und die Lyrik sind diesem Gesetz nicht absolut untertan.)

    Ist endlich in dem Schreibenwollenden durchsichtigste Klarheit des Beabsichtigtenerreicht, seine Vision des Satzes komplett, mu auf das Papier der vollendete Proze sich so

    bersetzen, da des Mitzuteilenden Kern, seine Substanz, das Subjekt im Satz, denprimiantesten, dem Leser wie ein Signal ins Auge fallenden Platz hat. Ich will in einem Satzberhaupt nur dies Subjekt, gereinigt von aller Mideutung, mitteilen, und diesem hchstenVerlangen ordnet sich, was ich sonst noch sage, unter.

    Wie ich diesem Subjekt durch Stellung im Satz, Rhythmus, Zustze oder seine KahlheitBedeutung zu geben vermag, ist der springende Punkt. Es ist verflucht nicht dasselbe, ob icheinem Subjekt-Substantiv den Artikel oder ein anderes Beiwort gebe oder nicht; es war biszu einem Stil ganz unbekannt, da der Artikel und noch mehr das Adjektiv, dessen HufungStefan George und andere sttzende, hervorhebende Wirkung des Substantivs zutrauten, inden meisten Fllen erheblich schwcht; wie in der deutschen Hamletdichtung, von HamletsVater gesagt, nicht steht: "Er war, nehmt alles nur in allem, ein erhabener, gewaltiger usw.

    Mann", sondern: "Er war, nehmt alles nur in allem, ein Mann."Whrend es fr den wuchtigen Eindruck htte heien sollen: "Er war, nehmt alles nur inallem, Mann." Die Stellung der brigen Worte im Satz ergibt sich dann aus ihrer fernerenBedeutung, aber auch bei ihnen ist zu begreifen, da knappste begriffliche Fassung die aufden Leser wirksamste ist und da ich niemals, wo ich den Eindruck besser durch einkurzsilbiges erreichte, das mehrsilbige Wort setzen darf, weil mir der instinktsichere Leserdiesen unzeitgemen, unheiligen Brauch aus dem Zeitsinn, der heilige konomie ist, sobelnimmt, da er ber ihn hinwegliest. Also hchste Sicherheit und Krze schon derErkenntnis oder Vision und ihre entsprechende bersetzung in das Wort das wren dieVorbedingungen zu einem guten Aufsatz.

    Sternheim, Carl: Guter Prosastil [1921].In: ders.: Gesammelte Werke in sechs Bnden. Hrsg. von Fritz Hofmann, Berlin/ Weimar,Aufbau-Verlag, 1965, Bd. 6 (Vermischte Schriften), Seiten 274/ 275.