Chaos um Hygieia - ZAHNHEILKUNDE.DE · Nach der griechischen Göttin der Gesundheit Hygieia wurde...

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Nach der griechischen Göttin der Gesundheit Hygieia wurde das medizinisches Fachgebiet benannt, dessen Ziel laut Pschyrembel „die primäre Prävention“ ist „um Gesundheitsstörungen und Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen sowie Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit des Menschen zu erhalten und zu steigern“. Während die primäre Prävention als Ziel unumstritten ist, bringt der Auf- wand, der den Praxen zumindest in einigen Regio- nen abverlangt wird, um dieses Ziel sicher zu errei- chen, die Zahnärzte um ihr Wohlbefinden und ihre Leistungsfähigkeit. Der Präsident der Bundeszahn- ärztekammer Dr. Dr. Jürgen Weitkamp fand während der IDS in Köln deutliche Worte dafür: „Die Praxen werden aus meiner Sicht mit einem Dokumentati- onsirrsinn überzogen, der darauf beruht, dass Gesetze und Bestimmungen willkürlich überinter- pretiert werden.“ (Lesen Sie dazu auch das Inter- view mit Dr. Dr. Weitkamp auf Seite 34.) „Dokumentationsirrsinn“ Das Epizentrum dieses „Dokumentationsirrsinns“ liegt in Nordrhein-Westfalen, genauer gesagt im Regierungsbezirk Arnsberg. Hier fanden die ersten Praxisbegehungen statt. Dr. Klaus Befelein, Leiter der Akademie für Fortbildung in der Zahnärzte-Kam- mer Westfalen-Lippe berichtet, landesweit hätten die Behörden 18 Pharmazeuten eingestellt, um die Einhaltung des Medizinproduktegesetzes zu kontrol- lieren. Diese Kontrollen, die zunächst nur ambulant operierende Praxen betreffen sollten, seien sehr schnell auch auf normale Zahnarztpraxen ausgewei- tet worden. Der Anforderungskatalog stehe dabei im krassen Missverhältnis zur Realität. Die Kontrol- leure verlangten nicht nur umfangreiche Dokumen- tationen, sondern stellten auch kaum umzusetzen- de Ansprüche an Raumgröße, Belüftung und die räumliche Abgrenzung unterschiedlicher Hygienauf- bereitungsschritte. Und die Industrie sei bislang nicht in der Lage, geeignete Verfahren zur Validie- rung und Dokumentation anzubieten. Die Oralchirurgin Anja von Bojan, Hygienebeauftragte in der Praxisklinik Prof. Dr. Dr. Hartmut Feifel und Dr. Dr. Karl Kopf in Aachen, sammelt bereits seit Mona- ten Informationen, um bestmöglich auf eine Praxis- begehung – die bislang noch ausgeblieben ist – vor- bereitet zu sein. Da die Praxisklinik am Vertrag zum ambulanten Operieren nach § 115b teilnimmt, muss sie erhöhten Anforderungen an die Hygiene genügen. 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 BRISANT AKTUELLE HYGIENEBESTIMMUNGEN Jeanette Prautzsch, Köln: Fehlende Standards verursachen Verwirrung DENTAL MAGAZIN 3/2005 Chaos um Hygieia Hygieia, die Tochter des Asklepios, verunsichert zurzeit viele Zahnärzte. Unter Berufung auf Hygienebestimmungen erscheinen Beauftragte von Bezirksregierun- gen seit Ende des vergangenen Jahres in einigen Regionen Deutschlands zu Pra- xisbegehungen. Wie den Forderungen des Medizinproduktegesetzes (MPG) und anderen rechtlichen Vorgaben zu folgen ist, darüber herrscht große Unsicherheit. Zwei Punkte sorgen vor allem für Diskussionen: Die Validierung der Aufbereitung und die Qualifikation der Mitarbeiter, die für die Aufbereitung zuständig sind. Eine Broschüre zur Instrumenten-Aufberei- tung in der Zahnarztpra- xis hat der Arbeitskreis Instrumenten-Aufberei- tung veröffentlicht. Als pdf-Datei ist sie zu finden unter www.a-k-i.org/ PDF/yel_g_e.pdf

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Nach der griechischen Göttin der GesundheitHygieia wurde das medizinisches Fachgebietbenannt, dessen Ziel laut Pschyrembel „die primärePrävention“ ist „um Gesundheitsstörungen undKrankheiten zu verhüten und zu bekämpfen sowieWohlbefinden und Leistungsfähigkeit des Menschenzu erhalten und zu steigern“. Während die primärePrävention als Ziel unumstritten ist, bringt der Auf-wand, der den Praxen zumindest in einigen Regio-nen abverlangt wird, um dieses Ziel sicher zu errei-chen, die Zahnärzte um ihr Wohlbefinden und ihreLeistungsfähigkeit. Der Präsident der Bundeszahn-ärztekammer Dr. Dr. Jürgen Weitkamp fand währendder IDS in Köln deutliche Worte dafür: „Die Praxenwerden aus meiner Sicht mit einem Dokumentati-onsirrsinn überzogen, der darauf beruht, dassGesetze und Bestimmungen willkürlich überinter-pretiert werden.“ (Lesen Sie dazu auch das Inter-view mit Dr. Dr. Weitkamp auf Seite 34.)

„Dokumentationsirrsinn“

Das Epizentrum dieses „Dokumentationsirrsinns“liegt in Nordrhein-Westfalen, genauer gesagt imRegierungsbezirk Arnsberg. Hier fanden die ersten

Praxisbegehungen statt. Dr. Klaus Befelein, Leiterder Akademie für Fortbildung in der Zahnärzte-Kam-mer Westfalen-Lippe berichtet, landesweit hättendie Behörden 18 Pharmazeuten eingestellt, um dieEinhaltung des Medizinproduktegesetzes zu kontrol-lieren. Diese Kontrollen, die zunächst nur ambulantoperierende Praxen betreffen sollten, seien sehrschnell auch auf normale Zahnarztpraxen ausgewei-tet worden. Der Anforderungskatalog stehe dabeiim krassen Missverhältnis zur Realität. Die Kontrol-leure verlangten nicht nur umfangreiche Dokumen-tationen, sondern stellten auch kaum umzusetzen-de Ansprüche an Raumgröße, Belüftung und dieräumliche Abgrenzung unterschiedlicher Hygienauf-bereitungsschritte. Und die Industrie sei bislangnicht in der Lage, geeignete Verfahren zur Validie-rung und Dokumentation anzubieten.Die Oralchirurgin Anja von Bojan, Hygienebeauftragtein der Praxisklinik Prof. Dr. Dr. Hartmut Feifel und Dr.Dr. Karl Kopf in Aachen, sammelt bereits seit Mona-ten Informationen, um bestmöglich auf eine Praxis-begehung – die bislang noch ausgeblieben ist – vor-bereitet zu sein. Da die Praxisklinik am Vertrag zumambulanten Operieren nach § 115b teilnimmt, musssie erhöhten Anforderungen an die Hygiene genügen.

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BRISANT AKTUELLE HYGIENEBESTIMMUNGEN

Jeanette Prautzsch, Köln: Fehlende Standards verursachen Verwirrung

DENTAL MAGAZIN 3/2005

Chaos um HygieiaHygieia, die Tochter des Asklepios, verunsichert zurzeit viele Zahnärzte. UnterBerufung auf Hygienebestimmungen erscheinen Beauftragte von Bezirksregierun-gen seit Ende des vergangenen Jahres in einigen Regionen Deutschlands zu Pra-xisbegehungen. Wie den Forderungen des Medizinproduktegesetzes (MPG) undanderen rechtlichen Vorgaben zu folgen ist, darüber herrscht große Unsicherheit.Zwei Punkte sorgen vor allem für Diskussionen: Die Validierung der Aufbereitungund die Qualifikation der Mitarbeiter, die für die Aufbereitung zuständig sind.

Eine Broschüre zurInstrumenten-Aufberei-

tung in der Zahnarztpra-xis hat der ArbeitskreisInstrumenten-Aufberei-tung veröffentlicht. Als

pdf-Datei ist sie zu findenunter www.a-k-i.org/

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Checklisten

Als hilfreich haben sich dabei Checklisten erwiesen,die sie von unterschiedlichen Dental-Depots erhal-ten hat. Sie stellen zwar keine verbindlichen Hand-lungsleitlinien dar und sind recht teuer, geben aberwenigstens konkrete Hinweise für den Aufbau desHygiene-Managements. Anfragen bei der KZV warenhingegen weniger erfolgreich. Manche Forderungender Bezirksregierung lassen sich allerdings über-haupt nicht umsetzen. Beispielsweise gebe es fürdie Desinfektion mit Kleinsterilisatoren keine Stan-dards für die Validierung, diese lägen nur für Groß-sterilisatoren vor, wie sie in Krankenhäusern einge-setzt werden.Unsicherheit schaffen auch die regionalen Unter-schiede in der Interpretation der Gesetze. Legendie einen Kontrolleure äußerst strenge Maßstäbe anund beanstanden einen hochmodernen Klasse BAutoklaven, weil kein Drucker angeschlossen ist, soakzeptieren andere Behördenvertreter ein betagtesGerät anstandslos, allerdings ließ der Betreiberhalbjährlich Sporenüberprüfung vom Gesundheits-amt vornehmen. Das ist einem Erfahrungsberichtdes Unternehmens Melag zu entnehmen.

Der Vertriebsleiter von Melag, Christoph Sandow,berichtet, dass Melag gemeinsam mit Vertretern derZahnärzte gegen überzogene Anforderungen kämpft.Dies geschieht unter anderem in verschiedenen Nor-mungsgruppen. „Es kann nicht im volkswirtschaftli-chen Interesse sein, dass die Anforderungen an dieAufbereitung von Instrumenten in Zahnarztpraxenmit denen in großen Krankenhäusern gleichgestelltwerden. Dies insbesondere deshalb, weil in Zahn-arztpraxen von wesentlich geringeren Infektionsrisi-ken ausgegangen werden kann.“ Vor diesem Hinter-grund müsse auch die Frage erlaubt sein, warum inZeiten, in denen überall vom „Abbau der Bürokratie“gesprochen wird, jetzt sogar eine Norm „Betrieb vonKleinsterilisatoren“ geplant sei.

Heiß diskutiertes Thema auf der IDS

Während der Internationalen Dental-Schau (IDS) imApril in Köln waren die Praxisbegehungen ein heißdiskutiertes Thema. So berichten Stefan Rippel undAxel Rieckmann von W&H Deutschland von etlichenAnfragen der verwirrten bis verärgerten Zahnärzte.Diese Fragen reichten bis zu der Forderung nacheiner schriftlichen Bestätigung, dass die Winkelstü-cke des Herstellers in einem bestimmten Sterilisa-tor aufbereitet werden können. Auch nach dennoch nicht vorhandenen Standards für Kleinsterili-satoren wurde immer wieder gefragt. Von rund 300 Gesprächen mit aufgebrachten bis„stinksauren“ Zahnärzten erzählt auch Klaus Zur-straßen von Euronda: „Alle schnappen ein bisschen

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AKTUELLE HYGIENEBESTIMMUNGEN BRISANTJeanette Prautzsch, Köln: Fehlende Standards verursachen Verwirrung

Dr. Andreas Brömmelhaus, Diplom-Chemiker bei Miele,verweist darauf, dass die Validierung des Aufbereitungs-prozesses ein mehrstufiger Prozess ist. Einsätze für Miele-Thermo-Desinfektoren nehmen – je nachGröße – sechs bis 18 Sieb-Trays auf. Jedes Sieb-Tray kannmit kompletten zahnärztlichen Instrumentensets, die auf dieArt der Behandlung abgestimmt sind, bestückt werden.Dadurch wird sichergestellt, dass die Validierung der Aufbe-reitung ein mehrstufiger Prozess ist. Weitere Informationen:Miele, www.miele.de; Tel.: 0 52 41 / 89 – 0.Foto: Miele

Die Deutsche Gesell-schaft für Krankenhaus-hygiene, die DeutscheGesellschaft für Steril-gutversorgung und derArbeitskreis Instrumen-ten-Aufbereitung habengemeinsam eine „Leitlinefür die Validierung undRisikoüberwachungmaschineller Reinigungs-und Desinfektionsprozes-se für thermostabileMedizinprodukte“ erar-beitet (www.a-k-i.org/pdf/val_I05.pdf). Sieist zwar auf die Verhält-nisse im Krankenhausabgestimmt, enthält aberauch für Zahnarztpraxenwichtige grundlegendeInformationen.

arbeitet als niedergelassene Zahnärztin für Oral-chirurgie in der Praxisklinik Prof. Dr. med. Dr.med. dent. Hartmut Feifel und Dr. med. Dr. med.dent. Karl Kopf in Aachen. Ihre dreijährige Wei-terbildung zur Oralchirurgin absolvierte vonBojan in der Klinik für Zahn-, Mund-, Kiefer- undPlastische Gesichtschirurgie des Aachener Univer-sitätsklinikums, nachdem sie zuvor an der RWTHAachen 1997 ihr Examen im Fach Zahnmedizinabgelegt hatte.

ZÄ Anja von Bojan

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Jeanette Prautzsch, Köln: Fehlende Standards verursachen Verwirrung

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Gemäß der RKI-Empfeh-lung „Anforderungen andie Hygiene bei der Auf-

bereitung von Medizin-produkten“ sind Medizin-produkte einer Risikobe-wertung zu unterziehen.Weitere Informationen:

Robert-Koch Institut, Ber-lin; Tel.: 0 18 88 / 754-0;

www.rki.de/.

Überzogene BürokratieHerr Dr. Weitkamp, Sie haben die Praxiskon-trollen durch Bezirksregierungen schon frühdeutlich kritisiert. Warum?Es geht nicht darum, Hygienevorschriften aufdie leichte Schulter zu nehmen, sondern darum,eine überzogene Bürokratie im Zusammenhangmit diesen Vorschriften in Grenzen zu halten.Wenn hier Standards aus dem aseptischenBereich der Krankenhäuser eins zu eins in unserePraxen übertragen werden sollen, so ist dasweltfremd und unakzeptabel.

Sehen Sie regionale Unterschiede beim Vorge-hen der Behörden?In Nordrhein-Westfalen sind die Fronten sehrverhärtet – das kann ich nicht gutheißen. Einer-seits wurden wir aufgefordert, Vorschläge zumBürokratieabbau zu machen. Andererseits werdendie Praxen – aus meiner Sicht - mit einem Doku-mentationsirrsinn überzogen, der darauf beruht,dass Gesetze und Bestimmungen willkürlichüberinterpretiert werden.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?Der ganze Wahnsinn lässt sich darin zusammenfassen, dass das Abfüllen von Desinfektionsflüs-sigkeit aus 5-Liter-Gebinden in handliche Fla-schen für das Sprechzimer nicht von Fachange-stellten, auch nicht vom Praxisinhaber ausge-führt werden darf, sondern dass dazu nur einApotheker berechtigt ist.

In anderen Bundesländern haben die Kontrol-len ebenfalls begonnen...In Hessen und Baden-Württemberg hat es zwarauch Praxisbegehungen gegeben. Doch dort gibtes Bestrebungen der Ministerien, der Regie-rungspräsidien, der Gesundheitsämter und der

Zahnärztekammern, eine gemeinsame Lösung zufinden.

Was tut die Bundeszahnärztekammer, um denZahnärzten Hilfestellung zu geben?Die BZÄK mit ihren hinzugezogenen Experten istin die vorbereitende Arbeit des Robert-Koch-Instituts RKI an einer auf die speziellen Belangeeiner Zahnarztpraxis zugeschnittenen Hygiene-richtlinie einbezogen. Auf dieser Expertenebenesieht die Welt zum Glück ganz anders aus, näm-lich sachlicher und kompetenter als die Kollegendas bei den „Praxis-Razzien“ erfahren haben. DieRichtlinie ist für den Frühsommer angekündigtund sollte sich bis dahin auch verwirklichen las-sen, wenn nicht einige Länder, wie sich zurzeitandeutet, ihren politischen/ideologischen Ein-fluss geltend machen. Wenn man nicht einmal die Ruhe hat, die zur-zeit in Arbeit befindliche neue Richtlinie des(RKI) für zahnärztliche Praxen abzuwarten undmit unglaublichem Personalaufwand jetzt unserePraxen filzt, kann das eigentlich nur einen ideo-logischen Hintergrund haben – nämlich den, denfreien Beruf um ein weiteres Stück freier Gestal-tung zu berauben.

Sind auch die Hersteller der Medizinproduktein die Diskussion einbezogen?Man könnte vermuten, dass den Geräteherstellern –zum Beispiel von Desinfektionsgeräten – darangelegen wäre, die Vorschriften so scharf wie mög-lich zu fassen und entsprechend zu kontrollieren.Nur, das genaue Gegenteil ist der Fall, weil dieHersteller befürchten, dass die Praxisinhaberdemnächst die Sterilisation auslagern und zentralüberörtlich vornehmen lassen. Das würde für dieIndustrie einen enormen Ausfall bedeuten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Dr. Jürgen WeitkampAm Rande der Internationalen Dentalschau (IDS) nahm Dr. Dr. JürgenWeitkamp, Präsident der Bundeszahnärztekammer, in einem Interview mit demDental Magazin Stellung zur aktuellen Diskussion um Hygienemaßnahmen inden Zahnarztpraxen und zu den Praxisbegehungen durch Behörden.

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was auf, niemand weiß etwas Genaues!“, schilderter die Lage. Er habe selbst versucht, direkt von denBehörden im westfälischen Münster zu erfahren,welche Anforderungen gestellt werden.

Maschinelle oder manuelle Aufbereitung

Dr. Andreas Brömmelhaus, Diplom-Chemiker beiMiele, führte während der IDS ebenfalls zahlreicheGespräche mit Zahnärzten, die wissen wollten, obsie ihre Altgeräte weiterhin betreiben können, wasbei der Validierung und Dokumentation zu beachtenist oder wie das Qualitätsmanagement im Hygiene-bereich aufgebaut werden muss. Brömmelhaus ver-weist darauf, dass die Validierung der Aufbereitungein mehrstufiger Prozess ist: Die Geräteherstellermachen zunächst eine Typprüfung und weisendabei nach, dass das Gerät grundsätzlich alleAnforderungen erfüllt. Der Zahnarzt als Betreibermuss darüber hinaus nachweisen, dass sein Gerätin der Praxis auch so aufgestellt und angeschlossenist und auch so betrieben wird, dass alle Vorgabenerfüllt werden (Prozessvalidierung). Wie dieserzweite Schritt im Detail zu erfolgen hat, darübergehen die Ansichten auseinander. Es gibt seit kurzem eine Leitlinie für die „Validie-rung und Routineüberwachung maschineller Reini-gungs- und Desinfektionsprozesse für thermostabile

Medizinprodukte“, gemeinsam erarbeitet von derDeutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene(DGKH), der Deutschen Gesellschaft für Sterilgut-versorgung (DGSV) und dem Arbeitskreis Instru-mentenaufbereitung. Diese Leitlinie orientiert sichallerdings an den Verhältnissen im Krankenhaus.

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Klaus Zurstraßen vonEuronda: „Alle schnap-

pen ein bisschen wasauf, niemand weiß etwasGenaues!“ Weitere Infor-

mationen: EurondaDeutschland,

www.euronda.de; Tel.: 0 25 05 / 93 89 0.

Legen die einen Kontrolleure äußerst strenge Maßstäbean und beanstanden einen hochmodernen Klasse B Auto-klaven, weil kein Drucker angeschlossen ist, so akzeptie-ren andere Behördenvertreter ein betagtes Gerätanstandslos. Das ist einem Erfahrungsbericht des Unter-nehmens Melag zu entnehmen. Weitere Informationen:MELAG Medizintechnik, www.melag.de, 030 / 75 79 11-0.Foto: Melag

Stefan Rippel und Axel Rieckmann von W&H Deutschlandberichten von zahlreichen Anfragen der Zahnärzte, zumBeispiel nach den noch nicht vorhandenen Standards fürKleinsterilisatoren und der Aufbereitung von Winkelstü-cken. Weitere Informationen: W&H Deutschland,www.wh.com, Tel.: 0 86 82 / 8 96 70.

Die Dürr Dental GmbH bietet Unterlagen zum Hygienema-nagement an wie beispielsweise Vorlagen für einen Pra-xis-Hygieneplan. Über die Mitgliedschaft im Hygiene Clubsind auch Fortbildungen und weitergehende Information zuerhalten. Weitere Informationen: www.duerr.de; Tel.: 0 71 42 / 7 05-0. Foto: Dürr Dental

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Brömmelhaus kritisiert, dass diese Leitlinie zwarder maschinellen Aufbereitung den Vorzug gibt, diemanuelle Aufbereitung aber weiterhin zulässt,obwohl sie kaum zu validieren sei: „Eigentlichkommt man um die maschinelle Aufbereitung nichtherum.“ Brömmelhaus kritisiert zudem, dass dieAnforderungen, die an die Valdierung und Doku-mentation von maschinellen Aufbereitungsverfahrengestellt werden, immer höher würden und auf deranderen Seite die manuelle Aufbereitung, die nichtvalidierbar und nachvollziehbar sei, weiter geduldetwerde. Das passe nicht zusammen: An der maschi-nellen Aufbereitung führe kein Weg vorbei.

RKI-Empfehlung wird überarbeitet

Klarheit in diese unübersichtliche Gemengelage ausGesetzen, Empfehlungen und Normen könnte eine

Neufassung der Empfehlung des Robert Koch-Insti-tutes (RKI) „Anforderungen an die Hygiene in derzahnärztlichen Praxis“ bringen, die derzeit unterBeteiligung von Experten der Bundeszahnärztekam-mer erarbeitet wird. Voraussetzung dafür ist aller-dings, dass diese Empfehlung in allen Bundeslän-dern als rechtsverbindlich anerkannt wird. Michael Krone, in der BZÄK-Geschäftsstelle zustän-dig für die zahnärztliche Berufsausübung, ist sichda nicht ganz sicher. In einigen Bundesländernwaren die Behörden bereit, mit ihren Maßnahmenabzuwarten, bis diese Richtlinie vorliegt. Das sollim Sommer der Fall sein. Doch insbesondere dieBezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen wolltenso lange nicht waren. Die Empfehlung soll dengesamten Hygienebereich in der Zahnarztpraxisabdecken – von den baulichen Anforderungen überden Hygieneplan bis hin zur Aufbereitung.

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Das Stichwort Qualitätsmanagement spielt in deraktuellen Diskussion um die Hygiene in Zahnarzt-praxen eine wichtige Rolle. Eine ganze Reihe vonGesetzen stellt unabhängig von der in § 135a desSGB V festgelegten Pflicht zum einrichtungsinter-nen Qualitätsmanagement entsprechende Anforde-rungen an Zahnarztpraxen:• Festlegungen von Verantwortungen und Befug-

nissen• Anweisungen zu Standard-Abläufen und wieder-

kehrenden Prozessen• Schriftliche Dokumentation der relevanten Pro-

zesse• Festlegung von Überwachungs-Verfahren• Einführung von Risiko-Bewertungs-Systemen• Sicherstellung ständiger Verbesserung durch

Fehlerlenkung, Korrektur- und Vorbeuge-Maß-nahmen

Solche Vorgaben finden sich in mehreren Gesetzenund Verordnungen. Hier einige der wichtigsten: • Das Infektionsschutzgesetz fordert die Erstel-

lung von Hygieneplänen, in denen die Aufberei-tung von Medizinprodukten festzulegen ist undauch die Kontrolle der Aufbereitung.

• Das Medizinproduktegesetz (MPG) regelt unteranderem die Anforderungen an die funktionelleund hygienische Sicherheit von Medizinproduk-ten. Und es ist neben dem Infektionsschutzge-setz die Grundlage der aktuellen Praxisbegehun-gen.

• Die Medizinprodukte-Betreiber-Verordnung ver-langt unter anderem, dass Reinigungs-, Desin-fektions- und Sterilisationsprozesse validiertwerden. Eine ordnungsgemäße Aufbereitung derInstrumente wird dann angenommen, wenn diegemeinsame Empfehlung der Kommission fürKrankenhaushygiene und Infektionspräventionam Robert-Koch-Institut und des Bundesinstitu-tes für Arzneimittel und Medizinproduktebeachtet wird.

• Die RKI-Empfehlung „Anforderung an die Hygie-ne bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“wird durch diesen Hinweis zu einer rechtsver-bindlichen Richtlinie, sie hat den Charaktereines antizipierten Rechtsgutachtens. Sie orien-tiert sich stark an den Verhältnissen im Kran-kenhaus, argumentiert die Bundeszahnärzte-kammer; sei auf die Arbeit in der Zahnarztpraxisnicht übertragbar.

• Aktuell wird deshalb die RKI-Empfehlung„Anforderungen an die Hygiene in der zahnärzt-lichen Praxis“ unter Beteiligung der Bundes-zahnärztekammer überarbeitet. Sie befasst sichnicht nur mit der Aufbereitung der Medizinpro-dukte, sondern umfasst alle Aspekte der Hygie-ne in der Zahnarztpraxis, also beispielsweiseauch bauliche Anforderungen oder die Hände-desinfektion.

Gemäß der RKI-Empfehlung „Anforderungen an dieHygiene bei der Aufbereitung von Medizinproduk-

� Viele Gesetze fordern ein funktionierendes Qualitätsmanagement

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Umstrittene Sterilgutassistenz

Neben der Validierung der Aufbereitung ist auch dieQualifikation der zuständigen Mitarbeiter ein Streit-punkt zwischen Zahnärzten und Behörden. Semikri-tische Medizinprodukte der Gruppe B (erhöhteAnforderungen an die Aufbereitungen) dürfen lautRKI nur von Fachkräften aufbereitet werden, dieden Fachkundenachweis zur Sterilgutassistentinerbracht haben. Um diesen Fachkundenachweis zuerwerben, werden zwei- bis fünftägige Kurse ange-boten. Das NRW-Gesundheitsministerium vertrittden Standpunkt, der fünftägige Sachkundekurs füreinschlägig vorgebildete Berufsgruppen sei dieuntere Grenze, um diese Qualifikation zu erwerben. Die BZÄK ist hingegen der Ansicht, die Ausbildungzur Zahnarzthelferin beinhalte bereits die nötigeQualifikation. Der 40-stündige Kurs sei sinnvoll für

Arzthelferinnen und Krankenpflegehelfer, die übli-cherweise nichts mit der Reinigung von Medizin-produkten zu tun haben. Wie ein Winkelstück zureinigen ist, lerne eine Zahnarzthelferin aber inPraxis und Berufsschule. Zudem sei sie unter derständigen Aufsicht des Praxisinhabers, der einenbestehenden Fortbildungsbedarf erkennen könne.

Keine Extrawurst

„Es geht hier nicht darum, den Zahnärzten eineExtrawurst zu braten“, rechtfertigt Krone die Positi-on der Zahnärztekammer. Es gehe vielmehr darum,die medizinischen Gegebenheiten zu berücksichti-gen. Die Mundhöhle biete als Behandlungs- undOperationsgebiet nun einmal andere Voraussetzun-gen als das Knie oder das Auge. „Hier sind keinesterilen Bedingungen zu erreichen.“

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ten“ sind Medizinprodukte einer Risikobewertungzu unterziehen. Entsprechend dieser Risikobewer-tung ergibt sich die folgende Einteilung:• Unkritische Medizinprodukte kommen lediglich

mit intakter Haut in Berührung.• Semikritische Medizinprodukte kommen mit

Schleimhaut oder krankhaft veränderter Haut inBerührung.

• Kritische Medizinprodukte durchdringen die Hautoder Schleimhaut und kommen dabei in Kontaktmit Blut, inneren Geweben oder Organen.

Semikritische Medizinprodukte sind wiederumunterteilt in die Gruppen A (ohne besondereAnforderungen an die Aufbereitung) und B (miterhöhten Anforderungen an die Aufbereitung). Indiese Gruppe gehören beispielsweise auch Hand-und Winkelstücke. Die Richtlinie fordert, dass die-se Medizinprodukte von einer Fachkraft aufberei-tet werden, die den Sachkundenachweis als Ste-rilgutassistentin hat.

Juristische und wirtschaftliche KonsequenzenFür die Zahnärzte ergeben sich aus all diesen Vor-gaben juristische und wirtschaftliche Konsequen-zen. Unterschiedliche Behörden überwachen dieEinhaltung der gesetzlichen Vorgaben – Bezirksre-gierungen, Gesundheitsämter, die Untere Gesund-heitsbehörde, aber auch Berufsgenossenschaftenkönnen sich zu Praxisbegehungen anmelden. Ins-besondere die Bezirksregierungen in verschiede-

nen Regionen – in Hessen, Baden-Württembergund Nordrhein-Westfalen – haben inzwischen mitBegehungen begonnen. Die Behörden könnenOrdnungsgelder bis 25.000 € verhängen oder gareine Praxis schließen. Und sie erheben Gebührenfür die Begehungen, die zukünftig regelmäßigerfolgen sollen.

HaftungsfälleBei Haftungsfällen – beispielsweise, wenn esbei einem Patienten durch eine Infektion zueinem Schadensfall kommt – muss der Arztbelegen, dass er alle rechtlichen Hygiene-Vorga-ben erfüllt hat. Kann er das nicht dokumentie-ren, können die Gerichte Fahrlässigkeit odersogar grobe Fahrlässigkeit annehmen. Und auchVersicherungen können sich der Zahlungspflichtentziehen, wenn Gesetzesvorgaben nicht einge-halten wurden.Die Einführung eines Hygiene-, Sicherheits- undQualitätsmanagements ist deshalb zu empfehlen.Eine Zertifizierung ist nicht zwingend erforderlich.Wenn ein Zahnarzt sich für ein Qualitätsmanage-ment-System entscheidet, sollte er sich zusichernlassen, dass es kompatibel zu allen rechtlichenAnforderungen ist.

(Quelle: Rechtliche Vorgaben zum Hygiene-,Sicherheits- Qualitätsmanagement (HSQM) in derambulanten Medizin, Dr. Ruth Kölb-Keerl, Erich-Ollenhauer-Str. 5, 40595 Düsseldorf)