Cornerstone Investors in IPOs - media.homburger.ch · 259 Aufsätze Frank Gerhard / Claude Humbel...

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257 Aufsätze GesKR 3 2018 V. Kapitalmarktrechtliche Aspekte 1. Zulässigkeit einer Preferential Allocation 2. Offenlegung der Identität von Cornerstone Investors 3. Acting in Concert 3.1 Offenlegungspflicht 3.2 Angebotspflicht 4. Haftung VI. Fazit I. Prolegomena Im Rahmen eines Cornerstone Investments erklären ein Investor oder mehrere Investoren im Vorfeld eines In- itial Public Offering (IPO) ihre Bereitschaft, eine be- stimmte Anzahl Aktien übernehmen zu wollen. 1 Der vorliegende Beitrag möchte das auf solche Investitionen anwendbare Normengefüge aus Schweizer Perspektive beleuchten. 1. Herkunft und Entwicklung Cornerstone Investments waren herkömmlich vor allem in Hong Kong weit verbreitet. Dort griffen Investoren darauf zurück, um sich einen Anteil an den angebote- nen Aktien in besonders lukrativen Transaktionen zu sichern. 2 Diese Praxis wurde von den Marktteilnehmern indes als unfair wahrgenommen, was das Listing Com- mittee der Hong Kong Stock Exchange (HKEx) dazu bewog, einzugreifen und das Phänomen in geregelte Bahnen zu lenken. 3 1 Zur Definition siehe Clifford Chance, Market Trends in Cor- nerstone Investment, Briefing Note vom 23. August 2012, 1; Philippe Espinasse, Cornerstone Investors, A practice Guide for Asian IPOs, Hong Kong 2018, 7 f.; Ross McNaughton/James Cole/David Gossen, Cornerstone Investments in IPOs, PLC Ma- gazine, September 2015, 39 ff.; Tze-Gay Tan/Jeanne Ong, Cor- nerstone investors in IPOs – an Asian perspective, Capital Markets Law Journal, Vol. 8 No. 4, 428. 2 Siehe dazu Clifford Chance (FN 1), 1; McNaughton/Cole/ Gossen (FN 1), 39 f. 3 Zur Entwicklung McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 39 f.; mit Blick auf die Regeln an der HKEx s. Jeckle Chiu, Pre-IPO Investments: The Dos and Don’ts, Mayer Brown JSM Legal Up- date vom 1. November 2012; ders., Revised HKEx Pre-IPO In- vestments Guidance (2017), Mayer Brown JSM Legal Update vom Inhaltsübersicht I. Prolegomena 1. Herkunft und Entwicklung 2. Definition und Abgrenzungen 2.1 Definition 2.2 Abgrenzungen 3. Vorteile 3.1 Vorteile aus Sicht des Emittenten 3.2 Vorteile aus Sicht des Cornerstone Investors 4. Mögliche Risiken und Bedenken 4.1 Fairness 4.2 Liquidität 4.3 Mögliche Risiken für den Cornerstone Investor II. Platzierungsprozess und Kontrolle über den Informationsfluss 1. Einbezug des Cornerstone Investors in den Platzierungs- prozess 1.1 Vorbereitungsphase 1.2 ITF und Investor Education 1.3 Bookbuilding Period und Roadshow 2. Kontrolle über den Informationsfluss 2.1 Zulässigkeit der Due Diligence 2.2 Privilegierter Zugang zu Informationen 2.3 Insiderrechtliche Fragen III. Zugang zum Eigenkapital des Emittenten 1. Art des Instruments 1.1 Ausgabe von Aktien 1.2 Ausgabe von eigenkapitalbezogenen Instrumenten 2. Zugangsschranke und ihre Aufhebung: Bezugsrechts- ausschluss 2.1 Problemstellung 2.2 Voraussetzungen des Bezugsrechtsauschlusses IV. Vertragliche Rechte und Pflichten des Cornerstone Investors 1. Preis 2. Most Favored Nation (MFN) 3. Lock-up und Orderly Sale Agreement 4. Right to Match 5. Call Option gegenüber Altaktionären 6. Widerrufsrechte (Conditions Precedent) 7. Governance-Rechte und Relationship Agreement Frank Gerhard* / Claude Humbel** Cornerstone Investors in IPOs * Dr. iur., Rechtsanwalt, LL.M. Der Autor ist Partner bei Hombur- ger AG und befasst sich mit M&A-, Private Equity-, Kapitalmarkt- transaktionen (inkl. IPOs) sowie Gesellschafts- und Börsenrecht. ** MLaw, LL.M. Der Autor ist Junior Associate bei Homburger AG und befasst sich vornehmlich mit Finanzmarktinfrastrukturen, Ka- pitalmarkttransaktionen sowie Gesellschafts- und Börsenrecht.

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V. Kapitalmarktrechtliche Aspekte1. Zulässigkeit einer Preferential Allocation 2. Offenlegung der Identität von Cornerstone Investors3. Acting in Concert

3.1 Offenlegungspflicht3.2 Angebotspflicht

4. HaftungVI. Fazit

I. Prolegomena

Im Rahmen eines Cornerstone Investments erklären ein Investor oder mehrere Investoren im Vorfeld eines In-itial Public Offering (IPO) ihre Bereitschaft, eine be-stimmte Anzahl Aktien übernehmen zu wollen.1 Der vorliegende Beitrag möchte das auf solche Investitionen anwendbare Normengefüge aus Schweizer Perspektive beleuchten.

1. Herkunft und Entwicklung

Cornerstone Investments waren herkömmlich vor allem in Hong Kong weit verbreitet. Dort griffen Investoren darauf zurück, um sich einen Anteil an den angebote-nen Aktien in besonders lukrativen Transaktionen zu sichern.2 Diese Praxis wurde von den Marktteilnehmern indes als unfair wahrgenommen, was das Listing Com-mittee der Hong Kong Stock Exchange (HKEx) dazu bewog, einzugreifen und das Phänomen in geregelte Bahnen zu lenken.3

1 Zur Definition siehe Clifford Chance, Market Trends in Cor-nerstone Investment, Briefing Note vom 23.  August 2012, 1; Philippe Espinasse, Cornerstone Investors, A practice Guide for Asian IPOs, Hong Kong 2018, 7  f.; Ross McNaughton/James Cole/David Gossen, Cornerstone Investments in IPOs, PLC Ma-gazine, September 2015, 39  ff.; Tze-Gay Tan/Jeanne Ong, Cor-nerstone investors in IPOs – an Asian perspective, Capital Markets Law Journal, Vol. 8 No. 4, 428.

2 Siehe dazu Clifford Chance (FN  1), 1; McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 39 f.

3 Zur Entwicklung McNaughton/Cole/Gossen (FN  1), 39  f.; mit Blick auf die Regeln an der HKEx s.  Jeckle Chiu, Pre-IPO Investments: The Dos and Don’ts, Mayer Brown JSM Legal Up-date vom 1.  November 2012; ders., Revised HKEx Pre-IPO In-vestments Guidance (2017), Mayer Brown JSM Legal Update vom

InhaltsübersichtI. Prolegomena

1. Herkunft und Entwicklung2. Definition und Abgrenzungen

2.1 Definition2.2 Abgrenzungen

3. Vorteile3.1 Vorteile aus Sicht des Emittenten3.2 Vorteile aus Sicht des Cornerstone Investors

4. Mögliche Risiken und Bedenken 4.1 Fairness4.2 Liquidität4.3 Mögliche Risiken für den Cornerstone Investor

II. Platzierungsprozess und Kontrolle über den Informationsfluss1. Einbezug des Cornerstone Investors in den Platzierungs­

prozess1.1 Vorbereitungsphase1.2 ITF und Investor Education1.3 Bookbuilding Period und Roadshow

2. Kontrolle über den Informationsfluss2.1 Zulässigkeit der Due Diligence2.2 Privilegierter Zugang zu Informationen2.3 Insiderrechtliche Fragen

III. Zugang zum Eigenkapital des Emittenten1. Art des Instruments

1.1 Ausgabe von Aktien1.2 Ausgabe von eigenkapitalbezogenen Instrumenten

2. Zugangsschranke und ihre Aufhebung: Bezugsrechts­ausschluss 2.1 Problemstellung2.2 Voraussetzungen des Bezugsrechts auschlusses

IV. Vertragliche Rechte und Pflichten des Cornerstone Investors1. Preis2. Most Favored Nation (MFN)3. Lock­up und Orderly Sale Agreement4. Right to Match5. Call Option gegenüber Altaktionären6. Widerrufsrechte (Conditions Precedent)7. Governance­Rechte und Relationship Agreement

Frank Gerhard* / Claude Humbel**

Cornerstone Investors in IPOs

* Dr. iur., Rechtsanwalt, LL.M. Der Autor ist Partner bei Hombur-ger AG und befasst sich mit M&A-, Private Equity-, Kapitalmarkt-transaktionen (inkl. IPOs) sowie Gesellschafts- und Börsenrecht.

** MLaw, LL.M. Der Autor ist Junior Associate bei Homburger AG und befasst sich vornehmlich mit Finanzmarktinfrastrukturen, Ka-pitalmarkttransaktionen sowie Gesellschafts- und Börsenrecht.

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2. Definition und Abgrenzungen

2.1 Definition

Ein Cornerstone Investment ist eine vor der Bekanntga-be der IPO-Preisspanne und der Veröffentlichung des Preliminary Prospectus (sc. vor dem Launch)9 getroffe-ne Verpflichtung eines Investors oder mehrerer Inves-toren  – üblicherweise Sovereign Wealth Funds, institu-tionelle Investoren oder grosse Family Offices10 –, im Rahmen eines Börsenganges eine feste Anzahl Aktien ausserhalb des Orderbuchs zu übernehmen.11 Spiegel-bildlich wird dem Investor die Zuteilung der gewünsch-ten Anzahl Aktien vertraglich zugesichert.12

Dabei entspricht der Preis, zu dem der Cornerstone In-vestor die Aktien erwirbt, meist jenem des IPOs oder wird in Referenz zu diesem bestimmt.13 Üblicherweise wird ferner eine Sperrfrist vereinbart, in deren Rahmen der Investor seine Anteile für einen bestimmten Zeit-raum nach dem Börsengang nicht veräussern darf, um einen exzessiven Preisdruck auf den Kurs der neu emit-tierten Aktie zu vermeiden (sc. ein Lock-up).14 Schliess-lich ist es üblich, sowohl den Namen des oder der Cor-nerstone Investors als auch die wichtigsten Eckdaten der entsprechenden Vereinbarung im Kotierungsprospekt zu veröffentlichen.15

2.2 Abgrenzungen

a. Strategische Pre-IPO Investors

Bei sog. Pre-IPO Investors handelt es sich um strategisch ausgerichtete Anleger, die in ein Unternehmen investie-ren, das zwar beabsichtigt (oder zumindest nicht aus-schliesst) in Zukunft einen Börsengang vorzunehmen, sich aber noch nicht in der Vorbereitungsphase des IPOs befindet.16 Ein solcher Pre-IPO Investor hat jedoch

(Deutschland, 2014); Zalando SE (Deutschland, 2014); Hapag-Lloyd (Deutschland, 2015); Lifco AB (Schweden, 2014); Dustin Group AB (Schweden, 2015); Eltel AB (Schweden, 2015); Integra-ted Diagnostics Holdings Plc (Vereinigtes Königreich, 2015).

9 Siehe zum Platzierungsprozess eines IPOs mit Cornerstone Inves-tor Abschnitt II. unten; zum Ablauf von IPOs im Allgemeinen sie-he Mark Hammarskjold/Amanda Robinson, Pilot Fishing and Anchor Investor Process, in: Going Public on SIX Swiss Exchange, 2. Aufl., 2015, 101.

10 McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 40; Tan/Ong (FN 1), 429, mit umfangreichen w.H. Aus einer geographischen Warte betrach-tet, kommen Cornerstone Investors aus sehr verschiedenen Rechts-ordnungen, vgl. Espinasse (FN 1), 2, der zugleich auf den wachsen-den Anteil an chinesischen Cornerstone Investors hinweist.

11 Siehe dazu Espinasse (FN  1), 7; Hammarskjold/Robinson (FN  9), 101; McNaughton/Cole/Gossen (FN  1), 39  ff.; Tan/Ong (FN 1), 428.

12 Espinasse (FN 1), 7; McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 40.13 Espinasse (FN 1), 46; McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 39 ff.14 Espinasse (FN 1), 46; McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 39 ff.15 Vgl. z.B. die Offenlegung der Bedingungen der Investition durch

CMA CGM S.A. anlässlich des IPOs von CEVA Logistics AG im Preliminary Prospectus vom 19. April 2018, 52–54.

16 Siehe dazu McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41.

Dementsprechend kennt die HKEx seit 2010 umfassende Regeln für Investitionen, die einem IPO zeitlich vorgela-gert sind.4 Die Leitlinien des HKEx normieren vielfältige und grundlegende Aspekte solcher Investitionen, wie etwa Preisfestsetzung, Veräusserungsverbote (sog. Lock-up- Vereinbarungen), Offenlegungsfragen oder die Nomi-nierung von Verwaltungsratsmitgliedern durch den Cor-nerstone Investor.5

Das Phänomen ist in Europa hingegen relativ neu, wes-halb es keinen mit Hong Kong vergleichbaren, mass-geschneiderten Regulierungsrahmen gibt.6 Das erste IPO dieser Art in Europa war jenes von Glencore auf der London Stock Exchange im Jahre 2011, in welchem zwölf Cornerstone Investors ca. USD 3,1 Mia. beitrugen, was ungefähr einem Drittel der Platzierung entsprach.7 Seither sind Cornerstone Investments auch im Rahmen europäischer und schweizerischer IPOs zunehmend an-zutreffen.8

8. Mai 2017; Tan/Ong (FN 1), 436 ff. Der Erlass neuer Regeln hat der Beliebtheit von Cornerstone Investments im Rahmen von IPOs an der HKEx keinen Abbruch getan. Als jüngstes Beispiel sei auf das Hong Konger IPO von USD 4,7 Mia. des chinesischen Smart-phone-Herstellers Xiaomi (2018) hingewiesen, bei welchem sieben Cornerstone Investors die Zeichnung und Übernahme von Anteilen im Umfang von USD 548 Mio. zusicherten.

4 Siehe etwa die Interim Guidance zu pre-IPO-Investitionen HKEx, Guidance Letter, HKEX-GL29-12 (January 2012) (Updated in March 2017) oder jene zu Convertible Bonds, Exchangeable Bonds und ähnlichen Instrumenten, vgl.  HKEx, Guidance Letter, HKEX-GL44-12 (October 2012) (Updated in March 2017), siehe dazu Chiu (FN 3), Revised HKEx Pre-IPO Investments Guidance (2017).

5 Vgl. HKEx News Release (Updated 13 October 2010); HKEx, Guidance Letter, HKEX-GL43-12 (October 2012) (Updated in July 2013 and March 2017); HKEx, Guidance Letter, HKEX-GL44-12 (October 2012) (Updated in March 2017); HKEx, Guidance Let-ter, HKEX-GL51-13 (February 2013), siehe dazu Chiu (FN  3), Pre-IPO Investments: The Dos and Don’ts; ders. (FN 3), Revised HKEx Pre-IPO Investments Guidance (2017).

6 Allgemein hierzu McNaughton/Cole/Gossen (FN  1), 39  f. Zu Deutschland siehe etwa Matthias von Oppen/Ian Maywald, IPO Cornerstone-Investitionen immer beliebter, Platow Online vom 23.  März 2016, abrufbar unter <  https://www.platow.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=112121:ipo-cornerstone-in-vestitionen-immer-beliebter > (zuletzt besucht am 7. August 2018). Zu Frankreich siehe etwa Florent Le Quintrec, Des introduc-tions en Bourse d’un genre nouveau en Europe, in: L’AGEFI vom 9. Februar 2017. Zu Schweden siehe Jonathan Engman/Markus Levéen Pehrson, Cornerstone Investors on the Swedish IPO Mar-ket – Salvation or Damnation?, Lund University, Spring 2017, pas-sim.

7 Siehe dazu Le Quintrec (FN  6); McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 39 f.

8 In der Schweiz ist etwa an den Re-launch des IPOs von Molecu-lar Partners mit der Unterstützung von Allergan und anderen Investoren zu denken, vgl.  Pressemitteilung vom 3. November 2014, abrufbar unter <  https://www.molecularpartners.com/wp-content/uploads/2014/12/2014-11-03-mp-relaunch-bookbuilding.pdf  > (zuletzt besucht am 7.  August 2018) oder an das IPO von CEVA Logistics  AG im April 2018, bei dem die Reederei CMA CGM als Cornerstone Investor fungierte, vgl.  Pressemitteilung vom 20. April 2018, abrufbar unter < https://ir.cevalogistics.com/websites/ceva/ English/2999/news.html?newsID=1690877  > (zu-letzt besucht am 7.  August 2018). Weitere europäische Beispiele umfassen etwa die Börsengänge von: Euronext NV (Niederlande, 2014); NN  Group NV (Niederlande, 2014); Rocket Internet AG

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Zum einen sind im Rahmen von Anchor Investments in der Regel keine Lock-ups vorgesehen. Zum anderen und vor allem erfordern sie grundsätzlich keine Offenlegung im Prospekt, da bei ihnen keine (Mindest-)Allokation garantiert wird und es im Bookbuilding-Prozess zu einer Reduzierung ihres Anteils kommen kann.22

c. Concurrent Private Placements

In den Vereinigten Staaten muss gemäss den Bestim-mungen des Securities Act von 1933 (SA) jedes Angebot zum Verkauf von Wertpapieren entweder bei der United States Securities and Exchange Commission (SEC) regis-triert werden oder bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um es von einer solchen Registrierung auszunehmen. Eine solche Ausnahme ist in der sog. Regulation D (oder Reg  D) enthalten. Danach gibt es einen Safe Harbor für Transaktionen, die kein öffentliches Angebot i.S.v. Sect. 4(a)(2) SA umfassen («transactions by an issuer not involving any public offering»), sog. Private Placements. Diese sind auch parallel zu einem IPO möglich und wer-den als Concurrent Private Placements bezeichnet.23 Im Unterschied zu Cornerstone Investments handelt es sich hierbei aber um eine Transaktion, die separat vom IPO stattfindet.

3. Vorteile

Ein Cornerstone Investment im Rahmen einer Aktien-platzierung bietet den beteiligten Parteien verschiedene Vorteile.

3.1 Vorteile aus Sicht des Emittenten

Für den Emittenten hat es zunächst den Vorteil, dass der Eintritt eines namhaften Investors die Glaubwürdigkeit der Transaktion stützt und somit für eine positive Be-wertung des Emittenten sorgt.24 Diese Signalwirkung ist vor allem in gewissen Regionen, wie etwa Schwellenlän-dern, oder in bestimmten Wirtschaftszweigen, wie etwa im Gesundheitswesen, von Bedeutung.25 Daneben kann der Eintritt eines Cornerstone Investors die Nachfra-ge ankurbeln und somit die Erfolgschancen eines IPOs erhöhen.26 Schliesslich ist es dem Emittenten durch die

22 Siehe dazu Hammarskjold/Robinson (FN  9), 101; Le Quint-rec (FN 6); McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41; Tan/Ong (FN 1), 428.

23 Siehe Latham & Watkins, «For a Fistful of Dollars»: IPOs and Concurrent Private Deals, abrufbar unter <  http://www.wowlw.com/Article/Index/65 > (zuletzt besucht am 7. August 2018).

24 Siehe dazu Hammarskjold/Robinson (FN  9), 101; McNaugh-ton/Cole/Gossen (FN 1), 41; Tan/Ong (FN 1), 429.

25 McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41.26 Espinasse (FN 1), 2; Hammarskjold/Robinson (FN 9), 101; Le

Quintrec (FN 6); McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41; Tan/Ong (FN 1), 429. Ferner zeigt eine Studie der Universität Manches-ter, dass der Einbezug von langfristig eingebundenen Investoren (wie es Cornerstone Investors sind) sich positiv auf die langfristi-ge Entwicklung der Gesellschaft auswirkt, vgl.  Espenlaub et al.,

keine Garantie, dass ein Börsengang auch durchgeführt wird und er geht deshalb das Risiko ein, dass er auf ei-nem illiquiden Titel sitzen bleibt.

Im Vergleich zu Cornerstone Investments sind solche strategische Investitionen oftmals mit einem Aktionärs-bindungsvertrag verknüpft und deren Strukturierung ist auch flexibler. Beispielsweise sind Ausgestaltungen als Wandelanleihen denkbar, welche es dem Investor erlau-ben, nach der Kotierung des Unternehmens die Anlei-he in Aktien des Schuldners umzuwandeln (sog. Going Public-Wandelanleihe) oder, falls kein IPO erfolgt, die Rückzahlung des Darlehens zu fordern und damit zu verhindern, auf illiquiden Aktien sitzen zu bleiben.17 Der wohl zentralste Unterschied liegt freilich in der Tat-sache, dass im Rahmen von Pre-IPO Investments we-niger Beschränkungen hinsichtlich der Weitergabe von Informationen durch die Gesellschaft an den Investor bestehen als bei Cornerstone Investments. Da Pre-IPO Investments aus zeitlicher Warte deutlich vor dem IPO stattfinden, muss nämlich nicht jeweils die Offenlegung im Prospekt der dem Investor mitgeteilten Informatio-nen sichergestellt werden.18

b. Anchor Investors

Wie Cornerstone Investments können auch Anchor In-vestments im Rahmen eines IPO-Prozesses getätigt wer-den. Sie stellen die Zusicherung eines Investors dar, zu bzw. gegen Beginn des Bookbuilding-Prozesses einen grossen Auftrag im Orderbuch zu platzieren.19 Anchor Investments haben eine mit Cornerstone Investments vergleichbare positive Auswirkung auf das Nach-fragemoment und reduzieren somit die Risiken bei der Durchführung des Börsenganges.20 Gemeinhin werden Anchor Investments durch die Abwesenheit verschiede-ner Merkmale, die als conditio sine qua non eines Cor-nerstone Investments gelten, von diesem abgegrenzt.21

17 Vgl. die 23⁄4 % nachrangige Wandelanleihe Emmi 2001 bis 2007 von CHF 71,43 Mio. mit aufschiebend bedingtem Wandelrecht (das IPO der Emmi AG erfolgte im 2004). Auch die 21⁄2 %- Wandelan-leihe 2006 bis 2014 der HBM Bioventures diente der Vorbereitung eines IPO (das IPO der HBM Bioventures AG erfolgte im 2008). (Pflicht-)Wandelanleihen können freilich auch im Rahmen von Cornerstone Investments eingesetzt werden, siehe dazu III.1.2. un-ten.

18 Zum zeitlichen Aspekt siehe Tan/Ong (FN 1), 428. Zu den Pub-likationspflichten im Rahmen von Cornerstone Investments siehe V.2. unten.

19 Siehe dazu Hammarskjold/Robinson (FN  9), 101; McNaugh-ton/Cole/Gossen (FN  1), 41. Zur rechtlichen Einordnung von Anchor Investments in der Schweiz siehe Rolf Watter/Dieter Dubs, Anchor Shareholders und Grossaktionäre: Ihr Einstieg, ihre vertragliche Einbindung und ihre Information, in: Tschäni (Hrsg.), Mergers & Acquisitions XII, Zürich/Basel/Genf 2010, 1 ff.

20 Hammarskjold/Robinson (FN  9), 101; McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41.

21 Siehe dazu Hammarskjold/Robinson (FN  9), 101; McNaugh-ton/Cole/Gossen (FN 1), 41. In Parenthese sei angemerkt, dass es bislang keine rechtliche Definition beider Phänomene gibt, wes-halb jeglichem Abgrenzungsversuch eine subjektive Konnotation zukommen muss.

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4.3 Mögliche Risiken für den Cornerstone Investor

Die obigen Bedenken gründen auf der Wahrnehmung, Cornerstone Investors stellten einen Weg dar, bei einem IPO einfache Gewinne gleichsam einzustreichen. Indes bergen Börsengänge immer gewisse Risiken für die teil-nehmenden Investoren, dies gilt umso mehr, wenn sich Investoren – wie im vorliegend interessierenden Rah-men – zur Übernahme eines festen Anteils an einer Ak-tien platzierung verpflichten. Verbunden mit einem Lock-up bedeutet dies für die Investoren, dass sie an allfälligen Verlusten im Aftermarket partizipieren müssen.35

Darüber hinaus besteht das Risiko, dass der Investor eine Beteiligung an der Gesellschaft erwirbt, es aber nicht zu einem erfolgreichen IPO kommt. Um diesem Risiko zu begegnen, enthalten die Vereinbarungen zwischen dem Cornerstone Investor und der Gesellschaft regelmässig Widerrufsmöglichkeiten des Investors für den Fall des Ausbleibens bestimmter Voraussetzungen.36

II. Platzierungsprozess und Kontrolle über den Informationsfluss

1. Einbezug des Cornerstone Investors in den Platzierungsprozess

1.1 Vorbereitungsphase

Die Vorbereitungsphase eines IPOs dauert in der Regel mindestens sechs Monate. In dieser Phase gilt es für den potentiellen Emittenten, sich darauf vorzubereiten, eine Publikumsgesellschaft zu werden. Regelmässig bedarf es der Anpassung der Statuten und des Organisations-reglements, um den erhöhten Corporate Governance-Standards zu genügen, die auf Publikumsgesellschaften anwendbar sind.37 Erfolgt das IPO durch eine Primär-platzierung, muss zusätzlich eine Kapitalerhöhung vor-bereitet und durchgeführt werden.38

Mit Blick auf den Informationsfluss sind im Rahmen der Vorbereitungsphase vor allem die Publicity Guidelines und Research Guidelines von Bedeutung. Erstere sol-

35 Espinasse (FN 1), 7 f.; relativierend Chee Keong Low, «Corners-tone Investors and initial public offerings on the Stock Exchange of Hong Kong», Fordham Journal of Corporate and Financial Law, Vol. XV, No. 1, 2009, der im Rahmen einer Studie zu den Risiken von Cornerstone Investors an der HKEx zum Schluss kommt, die Risiken solcher Investoren seien «more perceived than actual».

36 Siehe zu den Widerrufsrechten des Cornerstone Investors unten IV.6.

37 Siehe dazu Hans-Jakob Diem, Vorbereitung auf die Publikums-gesellschaft, in: Reutter/Werlen (Hrsg.), Kapitalmarkttransaktio-nen VIII, Zürich/Basel/Genf 2014, 94 ff.

38 Vgl. statt vieler Thomas Reutter, IPO – Ablauf, Struktur, Haftung und Schadloshaltung, in: Reutter/Werlen (Hrsg.), Kapitalmarkt-transaktionen VIII, Zürich/Basel/Genf 2014, 7 ff.

feste Zuteilung des Cornerstone-Anteils möglich, die Ri-siken des IPOs zu reduzieren, zumal der bei Dritten zu platzierende Betrag geringer ist.27

3.2 Vorteile aus Sicht des Cornerstone Investors

Für den Investor hat ein Cornerstone Investment v.a. den Vorteil der Zusicherung der Zuteilung einer bestimmten Anzahl Aktien. Hierdurch kann er das Risiko ausschlie-ssen, bei einem erfolgreichen IPO (sc. bei einer starken Überzeichnung) nur anteilig oder gar nicht berücksich-tigt zu werden.28

4. Mögliche Risiken und Bedenken

4.1 Fairness

Im Zusammenhang mit Cornerstone Investments wur-den verschiedentlich Bedenken hinsichtlich der Fairness geäussert.29 Kritisiert wurde zum einen, dass bestimm-ten Marktteilnehmern im Rahmen von solchen Investiti-onen vorab Informationen gewährt würden, die anderen Marktteilnehmern verwehrt bleiben. Dies komme einem right of first refusal gleich.30 Zum anderen äusserten ver-schiedene Autoren Kritik an der Tatsache, durch solche Strukturen würden viele Marktteilnehmer faktisch von er-folgreichen IPOs ausgeschlossen.31 Diese Kritik gewinnt vor allem dann an Bedeutung, wenn man berücksichtigt, dass der Anteil an IPOs mit einem Cornerstone Investor stetig zunimmt.32

4.2 Liquidität

Aufgrund der Tatsache, dass im Rahmen von Cornersto-ne Investments eine Lock-up-Vereinbarung abgeschlos-sen wird, wurden teilweise Bedenken hinsichtlich der Liquidität der Aktie im Aftermarket geäussert, zumal ein grosser Anteil der Aktien nicht verkauft und damit nicht gehandelt werden darf.33 Diese Problematik wird allerdings erst dann virulent, wenn bei einer Transaktion zu viele Aktien einer Verkaufssperre unterliegen.34

Committed anchor investment and IPO survival  – The roles of cornerstone and strategic investors, Working Paper, University of Manchester, passim.

27 Espinasse (FN  1), 2; Hammarskjold/Robinson (FN  9), 101; McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41; Tan /Ong (FN 1), 429 f.

28 Espinasse (FN  1), 7; Hammarskjold/Robinson (FN  9), 101; McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 40.

29 Siehe Espinasse (FN 1), 109 ff.; Le Quintrec (FN 6).30 Siehe Espinasse (FN 1), 109 ff.; ders., «Cornerstone Investors and

ethics», in: WSJ vom 22. Dezember 2010, abrufbar unter < https://blogs.wsj.com/exchange/2010/12/22/cornerstone-investments-and-ethics/ > (zuletzt besucht am 7. August 2018).

31 Siehe dazu Le Quintrec (FN  6); McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 39 f.

32 Le Quintrec (FN 6). Wir konnten in der Tat in der jüngeren Pra-xis beobachten, dass das Thema Cornerstone Investor einen festen Platz auf den Checklisten der Emissionsbanken hat.

33 Le Quintrec (FN 6); Tan/Ong (FN 1), 438.34 Ibid.

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über den IPO-Kandidaten zu erhalten, bekommt er Ein-sicht in den endgültigen Prospekt und in eine Vergleichs-version, die die Änderungen gegenüber dem ursprüngli-chen Entwurf aufzeigt. Es liegt auf der Hand, dass dies ein Spannungsfeld eröffnet zwischen dem Wunsch, mög-lichst früh eine feste Verpflichtung seitens des Cornersto-ne Investors sicherzustellen, und der Notwendigkeit, die wesentlichen Prospektabschnitte bereits früh festzule-gen. Abhilfe schaffen lässt sich durch einen gewissenhaft durchgeführten Due Diligence-Prozess, bei welchem durch einen Dialog mit dem Cornerstone Investor dem Prospektinhalt bereits Konturen verliehen werden kön-nen.41

Am Ende der Vorbereitungsphase stellt sich regelmässig die Frage, ob und inwiefern sich ein Cornerstone Inves-tor gegenüber dem Emittenten und den Emissionsban-ken zu einer Investition verpflichten muss. Während Letztere regelmässig eine vertragliche Vereinbarung suchen, wollen sich Investoren typischerweise nicht verpflichten, bevor sie ihre Bewertungen mit jenen der Analysten vergleichen konnten. Daraus resultiert in der Regel eine nicht bindende Vereinbarung zwischen den Parteien.42

1.2 ITF und Investor Education

Mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung zur Inten-tion to Float (ITF), in welcher die Absicht des Emitten-ten öffentlich mitgeteilt wird, einen Börsengang durch-zuführen, beginnt die öffentliche Phase eines IPOs.43 Mit der ITF fällt gleichsam der Startschuss für die sog.  In-vestor Education, bei welcher die Research Reports der Syndikatsbanken an institutionelle Investoren verteilt werden und die Analysten der Syndikatsbanken sich mit vorab identifizierten Investoren treffen, um erste Rück-meldungen zum beabsichtigten Börsengang einzuholen. Darauf basierend wird eine Preisspanne bestimmt, die im sog. Preliminary Prospectus veröffentlicht wird.44 Zu diesem Zeitpunkt ist der exakte Preis pro Aktie noch ausstehend.45

Sofern die Festlegung der Preisspanne im Rahmen der Erwartungen des Cornerstone Investors liegt, wird er sich – sofern er dies nicht bereits getan hat – verbindlich verpflichten, eine bestimmte Anzahl Aktien zu überneh-men.46 Parallel dazu muss in dieser Phase die Veröffentli-

41 Dies ist sodann auch für die Bestimmung der Price Range von Be-deutung. Vgl. zum Ganzen auch McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41.

42 McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41.43 Siehe stellvertretend Mark Hammarskjold/Amanda Robinson,

Investor Education, in: Going Public on SIX Swiss Exchange, 2. Aufl. 2015, 102.

44 Ibid.45 Vgl. zum Vorgang des Pricings Mark Hammarskjold/Amanda

Robinson, Pricing and Allocation, in: Going Public on SIX Swiss Exchange, 2. Aufl. 2015, 106 f.

46 McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 41 f.

len die Kommunikation des künftigen Emittenten mit der Öffentlichkeit regeln. Formell geht es darum, die Risiken, die von einer ungewollten Überschreitung der Grenze zu einem öffentlichen Angebot ausgehen kön-nen, einzudämmen. In vielen Rechtsordnungen ist ein solches Angebot nämlich bewilligungspflichtig. Inhalt-lich geht es um die Sicherstellung der Übereinstimmung von Kommunikation und Prospektinhalt, da Art.  752 OR nicht nur eine Haftung für den Prospekt, sondern auch für jede prospektähnliche Mitteilung begründet. Research Guidelines dienen hingegen einerseits der Si-cherstellung der Unabhängigkeit der Analysten des Ban-kensyndikats, welchen die Aufgabe zukommt, anhand von öffentlich verfügbaren Informationen sowie der sog. Analyst Presentation eigene Analyst Reports über den möglichen Emittenten zu verfassen, und andererseits der Vermeidung von rechtlichen Risiken im Zusammen-hang mit der Veröffentlichung solcher Berichte und einer möglichen Qualifizierung als «ähnliche Mitteilung».39

In dieser noch nicht-öffentlichen Phase des IPOs kommt es üblicherweise schon zu einer gewissen Interaktion zwischen dem zukünftigen Emittenten und ausgewähl-ten Schlüsselinvestoren. Dabei werden diese auf einer vertraulichen Basis kontaktiert (sog. Pilot Fishing). Die-ses Vorgehen erlaubt es einerseits, wertvolle Informati-onen zur Bewertung, zur Grundeinstellung der Inves-torenbasis und zu allfälligen Zweifeln der Anleger zu sammeln, wodurch die sog. Equity Story mit Blick auf die Roadshow verfeinert werden kann. Andererseits er-möglicht es dem Emittenten, durch erste Interessenbe-kundungen (sog. Indications of Interest) bereits vor dem formellen Bookbuilding eine Einschätzung des Anleger-interessens zu erhalten, was die Erfolgschancen des IPOs erhöht. Aus diesen Gründen hat sich die Durchführung eines Pilot Fishing im Rahmen von europäischen IPOs in den letzten Jahren als Standardvorgehen etabliert.40

Falls zusätzlich der Einbezug eines Cornerstone Inves-tors anvisiert ist, kommt es zu weiteren Massnahmen durch die Gesellschaft und die Emissionsbanken. Sie müssen in einer frühen Phase potentielle Cornerstone Investors identifizieren und mit diesen Kontakt auf-nehmen. Nach diesem ersten Schritt müssen Vertrau-lichkeitsvereinbarungen abgeschlossen werden. Danach beginnen die Investoren mit der Due Diligence und der Bewertung der möglichen Zielgesellschaft. Im Rahmen dieser Due Diligence bekommen Cornerstone Investors Einblick in den Entwurf des Prospekts. Zumal der In-vestor ein Interesse daran hat, vor seinem endgültigen Investitionsentscheid einen möglichst präzisen Eindruck

39 Mark Hammarskjold/Amanda Robinson, Analyst Presentation, in: Going Public on SIX Swiss Exchange, 2. Aufl. 2015, 100. Banken müssen die Richtlinien zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Finanzanalyse der Schweizer Bankiervereinigung vom 22. Januar 2008 (aktualisiert im 2018) einhalten.

40 Hammarskjold/Robinson (FN 9), 101.

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zwei Wochen vergehen, trägt der Investor das Risiko von allfälligen Marktbewegungen. Um diesem Risiko zu be-gegnen, enthalten Cornerstone Investment Agreements in fast aller Regel eine Bedingung, wonach die Übernah-me der Aktien nur dann erfolgen muss, wenn der Emis-sionspreis innerhalb der vereinbarten Preisspanne liegt.54

2. Kontrolle über den Informationsfluss

2.1 Zulässigkeit der Due Diligence

Die öffentlich erhältlichen Informationen werden in al-ler Regel dem potentiellen Investor kaum für die Abga-be einer verbindlichen Übernahmeverpflichtung reichen und er wird zur Behebung seines Informationsdefizites eine Due Diligence durchführen wollen. Eine Reihe von gesetzlichen und vertraglichen Geheimhaltungspflichten verpflichten den Verwaltungsrat des IPO-Kandidaten indes dazu, die Geheimnisse der Gesellschaft oder Drit-ter zu schützen. Wenn und soweit der IPO-Kandidat Geheimnisherr ist, besteht nur solange eine Geheimhal-tungspflicht, als eine Offenlegung nicht durch das Ge-sellschaftsinteresse gerechtfertigt wird.55 Das verbind-lich vereinbarte Hinzutreten eines Cornerstone Investors dürfte jedoch regelmässig im Interesse der Gesellschaft liegen, da es den Abschluss der entsprechenden Trans-aktion und somit die Zufuhr finanzieller Mittel fördert. Aus der Sorgfaltspflicht des Verwaltungsrats fliesst al-lerdings die Pflicht, sicherzustellen, dass der potentielle Cornerstone Investor die anlässlich der Due Diligence erhaltenen, privilegierten Informationen nicht miss-braucht. Deshalb sollte die Weitergabe von Informati-onen mit einer Standstill-Vereinbarung und einer Ver-traulichkeitsvereinbarung mit den an der Transaktion beteiligten Personen flankiert werden. Ferner sollte der gesamte Prozess auf Grundlage eines Verwaltungsrats-beschlusses erfolgen und gebührend dokumentiert wer-den.56

54 Cornerstone Investment Agreements ohne eine solche Bedingung kommen selten vor; ein bekanntes Beispiel ist das IPO von Poly-metal International Plc im Jahre 2011, bei welchem VTB Capital (zugleich ein Mitglied des Bankenkonsortiums) eine Investition von USD 100 Mio. zusicherte ohne auf eine solche Bedingung zu beharren. Dies lässt sich freilich auf die langjährige Geschäftsbezie-hung der beiden Gesellschaften zurückführen und auf die Tatsache, dass VTB nicht durch eine Lock-up-Vereinbarung gebunden war. Vgl. <  https://www.reuters.com/article/polymetal-vtb-idAFL5E7L E1RV20111014 > (zuletzt besucht am 7. August 2018).

55 Ist hingegen ein Dritter Geheimnisherr, ist auch die Offenlegung intrikater: Selbst wenn sie aus gesellschaftsrechtlicher Warte ge-boten sein sollte, entbindet dies den IPO-Kandidaten nicht von einer potentiellen zivil- oder strafrechtlichen Haftung. Weiterfüh-rend dazu Frank Gerhard, Private Investments in Public Equity (PIPEs) in der Schweiz, in: Reutter/Werlen (Hrsg.), Kapitalmarkt-transaktionen V, Zürich/Basel/Genf 2010, 240 f. mit umfangreichen w.H.

56 Vgl. im Rahmen von PIPEs, Gerhard (FN 55).

chung der Bedingungen des Cornerstone Investments im Prospekt vorbereitet werden.

1.3 Bookbuilding Period und Roadshow

Nach der Veröffentlichung des Preliminary Prospectus beginnt der sog. Bookbuilding-Prozess, innerhalb dessen die federführenden Syndikatsbanken – die sog. Bookrun-ners – Zeichnungsaufträge von interessierten Investoren aufnehmen, während parallel dazu47 Mitglieder des Ma-nagements des Emittenten und des Konsortialführers auf der sog.  Roadshow die Gesellschaft ausgewählten (institutionellen) Investoren vorstellen.48 Diesen soll dabei die Möglichkeit eingeräumt werden, das Manage-ment und seine Qualitäten kennenzulernen und u.U. in direkte Gespräche mit diesem zu treten (sog.  One-on-ones).49 Auf Grundlage der im Rahmen des Bookbuilding eingegangenen Aufträge werden sodann der Emissions-preis für die angebotenen Aktien und das zu emittie-rende Volumen im finalen Emissionsprospekt zwischen dem Emittenten und der Emissionsbanken vereinbart (sog.  Pricing).50 Erst in diesem Zeitpunkt verpflichten sich die Emissionsbanken zur Übernahme einer be-stimmten Anzahl Aktien. Unmittelbar danach erfolgt auch die Allokation der Aktien an die Investoren, welche ein Angebot im Bookbuilding abgegeben haben.51 Bei starken Überzeichnungen kann es vorkommen, dass In-vestoren nur anteilig oder gar nicht berücksichtigt wer-den. Anders gewendet: Sie sind dem Risiko ausgesetzt, nicht am IPO partizipieren zu können. Die Banken sind nämlich nicht einem strikten Gleichbehandlungsgebot gegenüber den Investoren gebunden. Sofern die Zutei-lung auf sachlichen Kriterien beruht sowie überprüfbar und nachvollziehbar ist, dürfen die Banken die Aktien aufgrund Investorenqualität zuteilen.52

Der endgültige Emissionspreis wird i.d.R. auch für den Cornerstone Investor gelten, sofern es keine abweichen-de Vereinbarung gab.53 Da zwischen dem Moment, in dem der Cornerstone Investor sich zur Übernahme einer bestimmten Anzahl Aktien verpflichtet, und dem Pricing

47 Die Orderphase beginnt am Tag nach der Veröffentlichung der Preisspanne, daher mit einem Tag Differenz zur Roadshow, vgl. Stefan Waller, Das Underwriting Agreement, Grundlagen der vertraglichen Regelung öffentlicher Aktienplatzierungen, Diss. Zü-rich 2010, 41 f. (= Schweizer Schriften zum Finanzmarktrecht 94).

48 Statt vieler Hammarskjold Mark/Robinson Amanda, Manage-ment Roadshow and Bookbuilding, in: Going Public on SIX Swiss Exchange, 2. Aufl. 2015, 104 f.

49 Waller (FN 47), 41.50 Der finale Prospekt setzt sich zusammen aus dem Preliminary Pro-

spectus, welcher lediglich eine Preisspanne nennt, und dem sog. Pri-cing Supplement, in welchem der Emissionspreis und das Emissi-onsvolumen festgelegt werden.

51 Hammarskjold/Robinson (FN 45), 106.52 Vgl. Ziff. 6.1 der Richtlinien über die Zuteilung von eigenkapitalbe-

zogenen Effekten bei öffentlichen Platzierungen in der Schweiz der Schweizerischen Bankiervereinigung vom 2. Juni 2004.

53 Zur Möglichkeit eines abweichenden Preises für den Cornerstone Investors. IV.1. unten.

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hier sollte eine sachlich begründete Ungleichbehandlung zulässig sein. Die Einräumung eines beschränkten Infor-mationsprivilegs ist namentlich immer dann gerechtfer-tigt, wenn sie im Interesse der Gesellschaft geradezu er-forderlich ist. Neben einem sachlichen Grund wird dabei regelmässig verlangt, dass das Verhältnismässigkeitsprin-zip eingehalten und sichergestellt wird, dass es aufgrund des beschränkten Informationsprivilegs nicht zu einer Benachteiligung der anderen Aktionäre kommt.60 Was den Umfang der Ungleichbehandlung anbelangt, sollte auch für Cornerstone Investoren gelten, dass ihnen je-weils nur so viele Informationen zur Verfügung gestellt werden, die sie benötigen, um ihren vertraglichen oder gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen aus dem das Informationsprivileg begründenden Rechtsverhältnis ge-genüber der Gesellschaft erfüllen zu können.61

b. Vertretung des Cornerstone Investors im Verwaltungsrat

Bei europäischen Cornerstone Investments verlangt der potentielle Investor je nach Grösse seiner Investition oftmals, im Verwaltungsrat des IPO-Kandidaten vertre-ten zu sein.62 Es stellt sich bei einer solchen Konstellati-on die Frage, ob dem Vertreter des Cornerstone Investors im Verwaltungsrat ein Anspruch auf vertiefte Informati-on zukommt. Hier gilt prinzipiell, dass der Investoren-vertreter keine informationelle Sonderstellung geniesst: In Art. 715a Abs. 2 OR ist implizit der Grundsatz ent-halten, wonach alle Verwaltungsratsmitglieder über den-selben Informationsstand verfügen sollten. Auch dieses Gleichbehandlungsgebot ist relativer Natur und wird durch das Bedürfnis aufgeweicht, den unterschiedlichen Mitgliedern des Verwaltungsrats je nach ihrer Funktion im Verwaltungsrat unterschiedliche Informationen zur Verfügung stellen zu dürfen.63

Eine Besonderheit ergibt sich – nur, aber immerhin – hin-sichtlich der Geheimhaltungspflicht, wenn das Mitglied des Verwaltungsrats gemäss dem Wahlantrag explizit (und daher für alle Aktionäre transparent) als Vertreter des Cornerstone Investors in den Verwaltungsrat gewählt wird. Zwar gelten für das fragliche Verwaltungsratsmit-glied grundsätzlich dieselben Sorgfalts- und Treuepflich-ten wie für die übrigen Mitglieder des Verwaltungsrates. Unter den genannten Voraussetzungen bejahen Watter/Dubs in einer funktional vergleichbaren Konstellation indes die Möglichkeit der Weitergabe von Informatio-nen an den Investor durch «seinen» Vertreter im Verwal-

Schaffung eines level playing field anzustreben. Gl.M. Daeniker/Dettwiler, 31; ZK-Bühler, Art. 717 OR N 279.

60 Ebenso mit Blick auf Ankeraktionäre Watter/Dubs (FN 19), 29; ferner Daeniker/Dettwiler (FN 59), 25 ff., insb. 27.

61 Ähnlich im Allgemeinen auch Daeniker/Dettwiler (FN  59), 25 ff.

62 In bestimmten Rechtsordnungen ist dies hingegen nicht zulässig, so etwa in Hong Kong: McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 40.

63 ZK-Bühler, Art. 715a OR N 43 f.

2.2 Privilegierter Zugang zu Informationen

a. Allgemeines

Ein weiterer Problemkreis dreht sich um die Weiterga-be von Informationen an einen Cornerstone Investor, die in qualitativer und/oder quantitativer Hinsicht von denjenigen abweichen, die den übrigen bestehenden oder zukünftigen Aktionären zur Verfügung gestellt wer-den. Aus zeitlicher Warte lassen sich hierbei zwei un-terschiedliche Konstellationen unterscheiden: Vor dem Einstieg des potentiellen Cornerstone Investor stellt sich die Frage, inwiefern die Gesellschaft ihm Informationen im Hinblick auf seine mögliche Beteiligung zur Verfü-gung stellen darf. Nach dem Einstieg als Cornerstone Shareholder ist die Frage der privilegierten Informati-onsversorgung unter dem Blickwinkel des gesellschafts-rechtlichen und des kapitalmarktrechtlichen57 Gleichbe-handlungsgebotes zu beurteilen.

Vor dem Einstieg des potentiellen Cornerstone Investors lässt sich aufgrund seiner mangelnden Aktionärseigen-schaft nicht ohne weiteres eine Vorwirkung des gesell-schaftsrechtlichen (und/oder kapitalmarktrechtlichen) Gleichbehandlungsgebotes annehmen.58 Wie bereits an-gemerkt, muss der Verwaltungsrat des IPO-Kandidaten indes sicherstellen, dass der potentielle Cornerstone In-vestor die erhaltene, privilegierte Information nicht zu-lasten der übrigen Aktionäre oder der Gesellschaft miss-braucht.

Sobald der Cornerstone Investor Aktionär der Gesell-schaft geworden ist, muss man die Weitergabe von pri-vilegierten Informationen am gesellschaftsrechtlichen (und am kapitalmarktrechtlichen) Gleichbehandlungsge-bot messen. Doch auch in dieser Konstellation ist nach der hier vertretenen Auffassung eine privilegierte Wei-tergabe von Informationen an einen Aktionär möglich und erlaubt. Es ist nämlich nicht ersichtlich, weshalb der gesetzlich statuierten Relativität des Gleichbehand-lungsgebots gerade bezüglich der Informationsrechte die Geltung versagt werden sollte.59 Im Gegenteil: Auch

57 Z.B. bei Cornerstone Investments im Rahmen einer Bezugsrecht-semission einer bereits kotierten Gesellschaft sind bereits vor der Emission kapitalmarktrechtliche Informationspflichten zu beach-ten. Vgl. III.2. unten.

58 Ebenso mit Blick auf Ankerinvestoren Watter/Dubs (FN 19), 27 f.59 Gerhard (FN 55), 241; Daniel Daeniker/Emanuel Dettwiler,

Selektive Information von Grossaktionären, in: Sethe/Heinemann/Hilty/Nobel/Zäch (Hrsg.), Kommunikation, Festschrift für Rolf H. Weber zum 60. Geburtstag, Bern 2011, 25 f., beide m.w.H. auf anderslautende Meinungen. Dies gilt im Grundsatz wohl auch für das kapitalmarktrechtliche Gleichbehandlungsgebot, obwohl letz-teres strenger zu handhaben ist als das aktienrechtliche: Bei Publi-kumsgesellschaften muss ein strengerer Massstab angelegt werden als bei privat gehaltenen Gesellschaften, da die Aktien marktgängig sind und denn auch eine direkte Möglichkeit besteht, den allfälligen Informationsvorteil auszunutzen. Deshalb muss die Zulässigkeit eines beschränkten Informationsprivilegs zurückhaltender beur-teilt werden. Allerdings ginge es zu weit, ein absolutes Gleichbe-handlungsgebot im Kapitalmarktrecht zu fordern; vielmehr ist die

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Pflichten auf die Kenntnis dieser Information angewie-sen ist.70 Weiter ist die Mitteilung einer Insiderinformati-on an eine Drittperson erlaubt, wenn sie im Hinblick auf den Abschluss eines Vertrages unerlässlich ist und der In-formationsinhaber den Informationsempfänger erstens auf das Verbot des Ausnützens hinweist und zweitens sowohl die Weitergabe der Insiderinformation als auch den genannten Hinweis dokumentiert.71 Sofern diese Rahmenbedingungen eingehalten werden, ist u.E.  auch aus Perspektive des Insiderhandelsverbots die selektive Information von Cornerstone Investors möglich.72

III. Zugang zum Eigenkapital des Emittenten

1. Art des Instruments

1.1 Ausgabe von Aktien

Die vertragliche Einbindung eines Cornerstone Investors in ein IPO wird je nach dem Zeitpunkt seines Einstie-ges unterschiedlich strukturiert. In der Regel entschei-det sich der Investor bereits vor dem Launch des IPOs für eine Investition in die Gesellschaft. In einer solchen Konstellation wird neben dem Underwriting Agreement zwischen dem Emittenten und den Konsortialbanken zusätzlich ein Subscription Agreement zwischen dem Emittenten und dem potentiellen Cornerstone Investor abgeschlossen. Darin verpflichtet sich Letzterer, eine bestimmte und garantierte Anzahl Aktien des IPO-Kandidaten zu übernehmen. Obschon die Bezeichnung «Subscription Agreement» etwas Anderes suggerieren könnte, nimmt der Investor aus abwicklungstechnischen Gründe oft keine Zeichnung der Aktien im technischen Sinne vor, sondern übernimmt sie von den Konsortial-banken.

Falls sich der Cornerstone Investor erst nach dem Launch für eine Investition in die Gesellschaft entscheidet, kann er sich an die bestehenden Verträge zwischen Emitten-ten und Konsortialbanken anlehnen. Ein möglicher Lö-sungsansatz bietet dabei das sog.  Backstop-Underwri-ting, bei welchem sich der zukünftige Grossaktionär zur

70 Art. 128 lit. a FinfraV.71 Art. 128 lit. b FinfraV. Vgl. auch SK FinfraG-Sethe/Fahrländer,

Art. 142 N 53; mit Blick auf den Straftatbestand SK FinfraG- Sethe/Fahrländer, Art. 154 N 150.

72 Allgemein die Zulässigkeit der selektiven Weitergabe von Infor-mationen an entsprechend in die Pflicht genommenen Aktionä-re bejahend ZK-Bühler, Art.  717 OR N  284. Die Verordnung Nr.  596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.  April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverord-nung der EU; Market Abuse Regulation (MAR)), in Kraft seit dem 3. Juli 2016 in allen EU-Mitgliedstaaten, hat sogar ausdrücklich das Konzept der Marktsondierung als zugelassene Handlungsweise eingeführt (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a MAR, welcher grössenteils der Safe Harbor Rule von Art. 128 lit. b FinfraV entspricht).

tungsrat. Diese Aufweichung der Geheimhaltungspflicht bejahen sie allerdings nur mit der Massgabe, dass sich diese gleichsam vom Verwaltungsrat auf den Investoren «übertrage».64

2.3 Insiderrechtliche Fragen

Auch hinsichtlich insiderrechtlicher Fragen ist zeitlich zu differenzieren. Bei der Weitergabe von Informationen an den Cornerstone Investor im Vorfeld des IPOs der Gesellschaft findet das Insiderrecht grundsätzlich65 kei-ne Anwendung: Es werden nur jene Effekten als Insider-papiere erfasst, die bereits an einem Handelsplatz in der Schweiz zum Handel zugelassen sind, (noch) nicht hinge-gen jene, für die ein Antrag auf Kotierung oder Zulassung zum Handel gestellt oder gar nur anvisiert ist.66 Daher fällt der Primärmarkt nicht in den Anwendungsbereich des aufsichtsrechtlichen67 Insidertatbestandes.68 Dennoch wird im Rahmen von Cornerstone Investments genau da-rauf geachtet, dass der potentielle Investor keine preisre-levanten Informationen erhält, die nicht auch Eingang in den Emissionsprospekt finden, wodurch eine Qualifikati-on als Insider ohnehin ausser Betracht fällt.

Das rechtmässig privilegiert informierte Mitglied des Verwaltungsrats ist als Mitwisser einer nicht allen Ak-tionären bekannten Tatsache ein typischer Insider.69 Art. 142 Abs. 1 FinfraG verbietet sowohl das Ausnützen als auch die Mitteilung von vertraulichen Informationen i.S.v. Art. 2 lit. j FinfraG, deren Bekanntwerden geeignet ist, den Kurs von Effekten, die an einem Handelsplatz in der Schweiz zum Handel zugelassen sind, erheblich zu beeinflussen. Die Safe Harbor Rule von Art. 128 FinfraV enumeriert verschiedene Mitteilungen zulässiger Insi-derinformationen. Danach ist die Weitergabe einer Insi-derinformation an eine Drittperson nicht unter Art. 142 Abs.  1 lit.  b FinfraG zu subsumieren, wenn diese Per-son zur Erfüllung ihrer gesetzlichen oder vertraglichen

64 Darüber hinaus weisen Watter/Dubs auf weitere Folgen einer sol-chen Informationsweitergabe hin, die je nach Qualität der Informa-tion von Fall zu Fall variiere, vgl. Watter/Dubs (FN 19), 31 f.

65 Etwas anderes gilt freilich dann, wenn sonstige Effekten der Gesell-schaft an einem Handelsplatz in der Schweiz zum Handel zugelas-sen sind.

66 Vgl. SK FinfraG-Sethe/Fahrländer, Art. 142 N 19.67 Entsprechendes dürfte mutatis mutandis für den strafrechtlichen

Insidertatbestand gelten, u.a. da der breite persönliche Anwen-dungsbereich der Primärinsider («Organe von Emittenten») in sachlicher Hinsicht auf Effekten, die in der Schweiz zum Handel zugelassen sind, beschränkt wird. Vgl. Lukas Fahrländer, Der re-vidierte schweizerische Insiderstraftatbestand, Diss. 2015, Rn. 129 (= Schweizer Schriften zum Finanzmarktrecht 120).

68 Vgl. SK FinfraG-Sethe/Fahrländer, Art. 142 N 19. Es ist indes zu beachten, dass nach Ansicht der FINMA prudentiell beaufsich-tigte Marktteilnehmer gegen das Gewährserfordernis verstossen, wenn sie auf dem Primärmarkt Insiderhandel betreiben, siehe FINMA Rundschreiben 2013/8, Marktverhaltensregeln, Aufsichts-regeln zum Marktverhalten im Effektenhandel vom 29.  August 2013, Rn. 41 f.

69 Vgl. Daeniker/Dettwiler (FN 59), 33; ZK-Bühler, Art. 717 OR N 282.

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1.2 Ausgabe von eigenkapitalbezogenen Instrumenten

Es kommt auch vor, dass der Cornerstone Investor sich zwar zu einer Investition verpflichten möchte, deren Vollzug aber aus regulatorischen Gründen aufgeschoben werden muss, etwa weil die entsprechenden Genehmi-gungen von den Kartellbehörden nicht innert nützlicher Frist eingeholt werden können.

In solchen Konstellationen werden regelmässig Pflicht-wandel- bzw. Pflichtumtauschanleihen ausgegeben, bei welchen der Emittent oder der Selling Shareholder dem Obligationär ausschliesslich Beteiligungspapiere liefert statt die Rückzahlung der Anleihe einzufordern. Man spricht von Mandatory Convertible Notes, wenn die Transaktion vis-à-vis dem Emittenten erfolgt und dieser seine eigenen Aktien liefern muss. Die Beteiligungsnah-me der CMA CGM S.A. im Rahmen des IPOs der CEVA Logistics AG im April 2018 wurde genau so strukturiert. Die Bedingungen der Anleihe wurden dem Halten von Aktien gleichgestellt: Wandlungspreis zum Platzierungs-preis der Aktien im IPO; Pflichtwandlung bei Vorliegen der regulatorischen Genehmigungen; Unterlegung durch bedingtes Kapital; zinslose, unbesicherte und subordi-nierte Forderung; floating Coupon im Betrag von allfäl-ligen Ausschüttungen; Zeichnung bedingt durch Vollzug des IPO und Platzierungspreis nicht höher als die obere Limite der Preisspanne des IPOs; Behandlung als Ei-genkapital durch die Rating-Agenturen.78 Mandatory Exchangeables Notes hingegen führen zur Pflichtwand-lung der Anleihensobligation in Aktien, die von einem Dritten emittiert werden. Sie werden typischerweise vom Aktionär des IPO-Kandidaten ausgegeben. Die Be-teiligungsnahme von Temasek und RRJ Capital in Gate-group Holding AG nach deren abgebrochenen IPO im Juli 2018 erfolgte auf dieser Weise.79

Dieser «Umweg» über Pflichtwandel- bzw. Pflichtum-tauschanleihen ermöglicht es dem Cornerstone Investor, in einem frühen Zeitpunkt in die Transaktion einzustei-gen, ohne die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften zu verletzen.

78 Die Mandatory Convertible Securities zwischen CMA CGM S.A. und CEVA Logistics AG wurden am 13. August 2018 in Aktien der CEVA Logistics AG gewandelt. Vgl. Pressemitteilung vom 13. Au-gust 2018, abrufbar unter <  https://ir.cevalogistics.com/websites/ceva/English/2999/news.html?newsID=1713967  > (zuletzt besucht am 14. August 2018). Zu den Bedingungen der Pflichtwandelan-leihe, vgl. Preliminary Prospectus der CEVA Logistics AG vom 19. April 2018, 52 f. Vgl. auch Alexander von Jeinsen/Gabriel Flandin, Cornerstone investment in CEVA IPO, IFLR July/Au-gust 2018, 1.

79 Vgl. Pressemitteilung vom 2.  Juli 2018, abrufbar unter <  https://gategroup.com/en-gb/media/temasek-and-rrj-join-hna-group-as-investors-in-gategroup/ > (zuletzt besucht am 7. August 2018).

Übernahme einer bestimmten, aber nicht garantierten Anzahl Aktien zu einem bestimmten oder maximalen Preis verpflichtet. Hierdurch kann das Platzierungsri-siko der Banken reduziert und dem Markt signalisiert werden, dass es sich um ein attraktives Anlageobjekt handelt.73 Von Bedeutung sind Backstop-Underwritings vor allem bei Bezugsrechtsemissionen.74 Bei solchen Transaktionen gibt der Cornerstone Investor eine Plat-zierungsgarantie ab, gemäss welcher er sich zur Über-nahme der nicht von den Altaktionären übernommenen Aktien (sog. Rump Shares) verpflichtet. Für die Altakti-onäre hat eine solche Vereinbarung den Vorteil, dass sie den bei der Festsetzung des Bezugspreises notwendigen Abschlag auf den Marktwert und somit die Verwässe-rung reduziert.75 Da Backstop-Investoren in aller Regel keine garantierte Aktienzuteilung erhalten, riskieren sie allerdings, bei einer erfolgreichen Aktienplatzierung (sc. ohne Rump Shares), gar nicht berücksichtigt zu werden. Dieses Risiko muss im Rahmen einer massgeschnei-derten Vereinbarung adressiert werden; so können sich Grossinvestoren z.B. parallel eine separate Tranche unter Ausschluss des Bezugsrechts der bestehenden Aktionäre sichern.76

Schliesslich kann auch ein sog.  Sub-Underwriting das Platzierungsrisiko im Rahmen von IPOs oder Bezugs-rechtsemissionen reduzieren. Dabei vereinbaren die fe-derführenden Banken ihrerseits mit einer Drittpartei (re-gelmässig einem Cornerstone Investor), dass diese einen Teil des Platzierungsrisikos übernimmt, ohne zugleich in eine vertragliche Beziehung mit dem Emittenten zu tre-ten.77

73 Für ähnliche Strukturierungsvarianten im Rahmen von Bezugs-rechtsangeboten, vgl. Hans-Jakob Diem/Annina Lippuner, Kapi-talbeschaffung Mittels Accelerated Bookbuilding, in: Reutter/Wer-len (Hrsg.), Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen XII, Zürich/Basel/Genf 2017, 113; Gerhard (FN 55), 219 f.

74 Ein anschauliches Beispiel bietet die Backstop-Verpflichtung in Höhe von je CHF 450 Mio. durch GIC Pte (GIC), Temasek Hol-dings Pte (Temasek) und Qatar Investment Authority (QIA) im Rahmen der CHF  2,2 Mia. Bezugsrechtsemission (Rights Offe-ring) von Dufry AG, die mit Blick auf die Übernahme von World Duty Free vorgenommen wurde; vgl. Pressemitteilung vom 3. Juni 2015, abrufbar unter <  https://www.dufry.com/en/press_release /2015-06-03/dufry-publishes-terms-capital-increase-and-rights-offering > (zuletzt besucht am 7. August 2018).

75 Bereits Diem/Lippuner (FN 73), 106; Gerhard (FN 55), 220.76 Vgl. die durch Credit Suisse Group AG im November 2015 parallel

zum Rights Offering erfolgte direkte Platzierung bei verschiedene Grossinvestoren einer bezugsrechtslosen Tranche von 58 Mio. neu-en Aktien, vgl. Pressemitteilung vom 23.  November 2015, abruf-bar unter <  https://www.credit-suisse.com/corporate/ en/articles/media-releases/csg-npp-first-trading-day-201511.html  > (zuletzt besucht am 7. August 2018).

77 Zum Begriff siehe Thomas Reutter/Claudio Bazzi, Bezugs-rechtsemissionen und Alternativen, in: Reutter/Werlen (Hrsg.), Ka-pitalmarkttransaktionen IV, 29.

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fizierten Quorum von Art.  704 Abs.  1 Ziff.  6 OR, die Verwendung des entzogenen Bezugsrechts muss offen-gelegt werden (Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 OR und Art. 651 Abs. 3 OR) und der Verwaltungsrat muss im – von der Revisionsstelle der Gesellschaft auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu prüfenden (Art. 652f OR) – Kapitalerhö-hungsbericht Rechenschaft über die Einhaltung allfälli-ger Auflagen des Generalversammlungsbeschlusses able-gen (Art. 652e Ziff. 4 OR). Bei der genehmigten und der bedingten Kapitalerhöhung kann der Entscheid über die Aufhebung des Bezugsrechts unter bestimmten Voraus-setzungen an den Verwaltungsrat delegiert werden, um die durch das genehmigte bzw. bedingte Kapital einge-räumte Flexibilität nicht sogleich wieder auszuschliessen. Voraussetzung ist allerdings, dass die wichtigen Gründe, aus welchen der Verwaltungsrat das Bezugsrecht aus-schliessen darf, in den Statuten hinreichend bestimmt aufgezählt werden; der blosse Hinweis auf «wichtige Gründe» genügt nicht.82 Auch der Entscheid über die Zuweisung nicht ausgeübter Bezugsrechte (Art.  650 Abs. 2 Ziff. 8 OR) kann sowohl bei der genehmigten als auch bei der ordentlichen Kapitalerhöhung von der Ge-neralversammlung an den Verwaltungsrat delegiert wer-den.83 Entsprechendes dürfte hinsichtlich nicht ausgeüb-ter Vorwegzeichnungsrechte gelten.84

b. Materielle Voraussetzungen

Die Bedeutung des Bezugsrechts für die Aktionäre ge-bietet, dass ein Entzug nur aus wichtigen Gründen zu-lässig sein darf. Dabei ist in Lehre und Praxis anerkannt, dass die in Art.  652b OR genannten wichtigen Grün-de  – sc. die Übernahme von Unternehmen, Unterneh-mensteilen oder Beteiligungen sowie die Beteiligung der Arbeitnehmer  – nicht abschliessend sind.85 Bei ei-ner praeterlegalen Rechtsfortbildung sind insbesonde-re die Vorgaben von Art. 4 ZGB zu berücksichtigen. In concreto ist nach herrschender Auffassung ein Bezugs-rechtsausschluss dann zulässig, wenn (i) der Ausschluss durch ein qualifiziertes sachliches Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt ist, (ii) der Grundsatz der Gleichbehand-lung der Aktionäre gewahrt wird und (iii)  das Prinzip der schonenden Rechtsausübung genügende Beachtung findet.86 Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist das

82 BGE 121 III 219 E. 2.83 Hierbei sind die Anforderungen weniger hoch anzusetzen als im

Fall der Delegation des Entzugs der Bezugsrechte selbst, zumal die Berechtigten freiwillig auf ihr Bezugsrecht verzichten, vgl. Ger-hard (FN 55), 224.

84 Im Gegensatz zur genehmigten und zur ordentlichen Kapitalerhö-hung ist beim bedingten Kapital nicht gesetzlich festgelegt, wem der Entscheid hinsichtlich der Zuweisung nicht ausgeübter Be-zugsrechte zukommt. Mit der wohl h.L. ist anzunehmen, dass diese Kompetenz dem Verwaltungsrat zukommen sollte. Vgl. weiterfüh-rend BSK OR II-Zindel/Isler, Art. 653b N 26 m.w.H.

85 Statt vieler BGE 121 III 219 E. 3; Gerhard (FN 55), 224, m.w.H.; BSK OR II-Zindel/Isler, Art. 652b N 20 m.w.H.

86 Art.  653c Abs.  2 OR sieht im Gegensatz zu Art.  652b OR keine Aufzählung von wichtigen Gründen vor, sondern beschränkt sich

2. Zugangsschranke und ihre Aufhebung: Bezugsrechtsausschluss

2.1 Problemstellung

Es ist ein Proprium von Cornerstone Investments, dass dem Investor eine feste Tranche an einer Investition zu-geteilt wird. Es ist jedoch eher selten, dass ein IPO-Kan-didat nur einen einzigen Aktionär hat. Deshalb wird sich bei der Platzierung von neuen Aktien bei einem Cor-nerstone Investor höchstwahrscheinlich die Frage des Bezugsrechts der bestehenden Aktionäre stellen. Diese Frage wird sich sogar immer stellen bei der Ausgabe von neuen Aktien durch eine schon kotierte Gesellschaft. Ge-mäss Art. 652b Abs. 1 OR hat bei einer ordentlichen oder genehmigten Kapitalerhöhung jeder Aktionär Anspruch auf den Teil der neu ausgegebenen Aktien, der seiner bisherigen Beteiligung entspricht. Bei der Ausgabe von Finanzinstrumenten mit Wandel- oder Optionsrechten, die mit bedingtem Kapital unterlegt sind, sieht das Ge-setz ebenfalls ein Vorwegzeichnungsrecht der bisherigen Aktionäre vor (Art.  653c Abs. 1 OR).80 Die Ausübung eines solchen Bezugs- oder Vorwegzeichnungsrechts er-möglicht es dem bisherigen Aktionär, seine relative Ka-pitalbeteiligungs- und Stimmrechtsquote beizubehalten und sich somit vor der Verwässerung seines Kapital- und Gewinnanteils sowie seines Stimmrechts zu schützen.81

Im Idealfall wird man von den bestehenden Aktionären eine Verzichtserklärung einholen können oder die Ge-sellschaft verfügt über einen Hauptaktionär, der willens ist, diese Bezugs- bzw. Vorwegzeichnungsrechte abzu-treten. Falls dies nicht möglich ist (und das Bezugsrecht nicht durch einen Aktionärsbindungsvertrag vertraglich gesichert ist), was bei der Kapitalerhöhung einer schon kotierten Gesellschaft der Regelfall ist, liegt der Aus-schluss des Bezugs- bzw. Vorwegzeichnungsrechts nahe, da dem Cornerstone Investor ansonsten keine festgeleg-te Tranche zugeteilt werden und er lediglich jene Aktien zeichnen kann, für die das Bezugsrecht nicht ausgeübt wurde. Dies ist für den potentiellen Investor nicht at-traktiv. Ein Bezugsrechtsausschluss ist jedoch als erheb-licher Eingriff in die vermögens- und mitwirkungsrecht-liche Stellung der Aktionäre einzustufen, weshalb hohe formelle und materielle Hürden zu überwinden sind.

2.2 Voraussetzungen des Bezugsrechts-auschlusses

a. Formelle Voraussetzungen

In formeller Hinsicht bedarf eine Einschränkung oder Aufhebung des Bezugsrechts einer Entscheidung der Ge-neralversammlung (Art. 650 Abs. 2 Ziff. 8 und Art. 652b Abs.  2 OR). Dieser Beschluss unterliegt dem quali-

80 Gerhard (FN 55), 219.81 Diem/Lippuner (FN 73), 105.

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Rahmen von Cornerstone Investments dürfte die Sach-lichkeit bzw. das Gesellschaftsinteresse darin liegen, dass die Gesellschaft zeitgerecht (ohne Bezugsfrist) und ohne Platzierungsrisiko Eigenkapital aufnehmen kann und al-lenfalls noch einen strategischen Investor an sich binden kann.91

bb. Gleichbehandlung der Aktionäre

Selbst bei Vorliegen eines qualifizierten Gesellschafts-interesses im obigen Sinne muss ein Bezugsrechtsent-zug dem allgemeinen aktienrechtlichen Gleichbehand-lungsgebot standhalten. Dementsprechend darf gemäss Art. 652b Abs. 2 OR durch die Aufhebung des Bezugs-rechts «niemand in unsachlicher Weise begünstigt oder benachteiligt werden». Entsprechendes gilt für den Ent-zug des Vorwegzeichnungsrechts. Diese Voraussetzung ist etwa dann erfüllt, wenn das Bezugsrecht allen Akti-onären auf die gleiche Weise entzogen wird und einem Nichtaktionär zugehalten wird.92 Dies entspricht einer verbreiteten Spielart von Cornerstone Investments. Aus der Warte des erwerbenden Aktionärs ist ebenfalls eine relative Gleichbehandlung notwendig: Um eine unsach-liche Begünstigung der neuen Aktionäre zu verhindern, kann man sie etwa einem Veräusserungsverbot unter-werfen (was bei Cornerstone Investments allgemein üb-lich ist) oder ihnen bezüglich der Stimmrechtsausübung bestimmte Schranken auferlegen.93

bc. Schonende Rechtsausübung

Schliesslich hat der Ausschluss des Bezugs- bzw. Vor-wegzeichnungsrecht dem Grundsatz der schonenden Rechtausübung zu genügen. In concreto bedeutet dies, dass ein Ausschluss nur gerechtfertigt ist, wenn (i)  das damit verfolgte Ziel im Gesellschaftsinteresse liegt, (ii) er das am besten geeignete Mittel ist und (iii)  die Gesell-schaftsinteressen die konkreten Nachteile für die ein-zelnen Aktionäre überwiegen. Diesen Voraussetzungen

tionalen Börsen, Rolf Watter/Thomas Reutter, Rechtsproble-me beim IPO, in: Watter (Hrsg.), Rechtsfragen beim Börsengang von Unternehmen, Zürich/Basel/Genf 2002, 9. Schliesslich bejahen Watter/Dubs den Ausschluss des Bezugs- und Vorwegzeich-nungsrechts bei zeitlicher Dringlichkeit, Watter/Dubs (FN  19), 11.

91 So hat z.B. im März 2018 Addex Therapeutics Ltd, eine Biotech-Gesellschaft aus Genf, CHF 40 Millionen Eigenkapital mittels einer fast 100 % Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss aufgenommen. Die Kapitalerhöhung wurde dank zwei Cornersto-ne Investoren gestartet, welche ca. die Hälfte des zu platzierenden Betrags im Voraus gezeichnet hatten. Die ordentliche Kapitalerhö-hung, der Bezugsrechtsausschluss und der Bezugspreis (zu einer Prämie von 10 % über dem Marktpreis) wurden durch die Gene-ralversammlung genehmigt. Vgl. die Pressemitteilung vom 15. Feb-ruar 2018, abrufbar unter < https://www.addextherapeutics.com/en/ news-and-events/press-releases/addex-launches-chf40-million-capi tal-increase-commitment-specialist-us-healthcare-investors/  > (zu-letzt besucht am 7. August 2018).

92 BGE 117 II 290 E.  4e); im Rahmen von PIPEs siehe Gerhard (FN 55), 230 f.; allgemein im Rahmen von Grossinvestoren Wat-ter/Dubs (FN 19), 10.

93 Vgl. zu letzterem eingehend Watter/Dubs (FN 19), 11.

Vorliegen eines wichtigen Grundes zu verneinen und der entsprechende Generalversammlungsbeschluss wäre nach Art. 706 Abs. 2 Ziff. 1 bis 3 OR anfechtbar.87

ba. Gesellschaftsinteresse

Bei Cornerstone Investments kann die Beteiligung eines strategischen Grossinvestors im Rahmen des weiteren Wachstums der Gesellschaft einen Ausschluss des Be-zugsrechts rechtfertigen.88 Die Frage, inwieweit ein Be-zugsrechtsausschluss zulässig ist, um Eigenkapital am Kapitalmarkt für Investitionen zu beschaffen, ist nicht abschliessend geklärt. Das Bundesgericht hat diesbezüg-lich festgehalten, dass auch die Finanzierung von Über-nahmen und Investitionen im Einzelfall einen Bezugs-rechtsentzug rechtfertigen könne. Dabei seien allerdings regelmässig besondere Umstände nötig, zumal die Fi-nanzierung alleine kaum als wichtiger Grund gelten kön-ne.89 Mittlerweile hat sich eine eher praxisfreundliche Ansicht durchgesetzt, wonach im Einzelfall die Vorteile einer Aktienplatzierung zu Marktkonditionen einen Be-zugsrechtsausschluss rechtfertigen können, selbst wenn kein spezifischer Finanzierungszweck gegeben ist.90 Im

darauf zu verlangen, dass niemand in unsachlicher Weise durch die Einschränkung oder den Ausschluss des Vorwegzeichnungsrechts begünstigt oder benachteiligt werden darf. Daraus folgert die h.L., dass dem Verwaltungsrat bei der Beurteilung der wichtigen Grün-de im Rahmen einer bedingten Kapitalerhöhung einen grösseren Ermessensspielraum hat, als dies bei der ordentlichen und der ge-nehmigten Kapitalerhöhung der Fall ist. Gerhard (FN  55), 225 m.w.H.

87 Nicht möglich ist eine Anfechtungsklage bezüglich des Bezugs-rechtsausschlusses, wenn der entsprechende Entscheid an den Ver-waltungsrat delegiert worden ist. Ebenso wenig dürfte eine Nich-tigkeitsklage nach Art.  706b OR i.V.m. Art.  714 OR zielführend sein, da eine statutarische Ermächtigung wohl kaum den notwen-digen Schweregrad für eine erfolgreiche Nichtigkeitsklage (sc. eine qualifizierte Gesetzesverletzung) erreichen dürfte. Es ist indessen zu beachten, dass der Verwaltungsrat weiterhin nach Art. 754 OR haftbar bleibt. Gerhard (FN 55), 225.

88 V.a. im Rahmen von PIPEs wurde auch die Verbesserung der Eigen-kapitalbasis zu Sanierungszwecken als wichtiger Grund diskutiert, um neuen Investoren den Zugang zu einer Publikumsgesellschaft unter Ausschluss des Bezugs- bzw. des Vorwegzeichungsrechts zu gewähren. Die dortigen Argumente lassen sich u.E. unter gewissen Voraussetzungen mutatis mutandis auf den Einbezug eines Cor-nerstone Investors übertragen, v.a. wenn die Beteiligung des Cor-nerstone Investors von einer Mindestbeteiligung abhängig gemacht wird. Vgl. weiterführend i.R.v. PIPEs, Gerhard (FN 55), 226 f.

89 Vgl. hierzu die Ausführungen in BGE 121 III 219 E. 3 und die um-fangreichen Hinweise in Gerhard (FN 55), 227 ff.

90 Dabei variieren die Begründungen im Einzelfall: So möchte Böckli gar für den Verzicht auf den Nexus zur Finanzierung von Übernah-men verzichten, wenn die Aktien der Gesellschaft börsenkotiert, li-quide und weit gestreut sind, die Platzierung zu Marktkonditionen am Markt stattfindet und die Verwässerung gering ist, Peter Böck-li, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. Zürich 2009, § 2 Rn. 326. Zin-del/Isler sehen den wichtigen Grund bereits im Bedarf der Ge-sellschaft, möglichst viel Eigenkapital zum Marktwert aufnehmen zu können, verweisen aber weiter auf die bundesgerichtliche Recht-sprechung, BSK OR II-Zindel/Isler, Art. 652b N 20 f.; Lambert/Gericke sehen den wichtigen Grund u.a. bereits in der Platzierung von Aktien an (inter-)nationalen Börsen, wollen aber auf den Ein-zelfall abstellen, OR Handkommentar-Lambert/Gericke, OR Art. 652b N 7 f.; Watter/Reutter sehen ebenfalls einen sachlichen Grund bei einer Platzierung von Aktien an nationalen und interna-

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einer Verringerung des Free Floats und der Liquidität der Aktien nach dem Eintritt des Cornerstone Investors.

IV. Vertragliche Rechte und Pflichten des Cornerstone Investors

1. Preis

Im Rahmen von IPOs mit Cornerstone Investors kann sich die Frage stellen, ob den Grossinvestoren ein tie-ferer Preis angeboten werden darf als den übrigen Marktteilnehmern (sog. Discount). Während dies eine Abweichung vom idealtypischen IPO mit Cornerstone Investors darstellt,99 wäre eine solche Massnahme zu-mindest in theoria denkbar. In Praxis sprechen verschie-dene Argumente gegen die Einräumung eines Preisab-schlages für ausgewählte Grossinvestoren, nicht zuletzt würde dies Platzierungsbemühungen des Emittenten er-heblich erschweren. Dies steht denn auch in einem direk-ten Konflikt mit einem der Beweggründe für die Einbin-dung eines Cornerstone Investors in ein IPO, namentlich der positiven Signalwirkung gegenüber dem Markt.100 Dennoch werden es potentielle Grossinvestoren unwei-gerlich anstreben, nicht nur in informationeller und allo-kativer Hinsicht privilegiert behandelt zu werden, son-dern auch aus preislicher Warte.101

Selbst wenn dies aus einer rein rechtlichen Perspektive als zulässig erachtet werden sollte, würde eine solche Privilegierung gegen die herrschenden Marktgepflogen-heiten verstossen, die mit Bezug auf den Preis von einer absoluten Gleichbehandlung der Anleger ausgehen. Ein direkter Discount würde in der Praxis daher kaum ak-zeptiert.

Ein gangbarer Weg bestünde freilich darin, dass die Kon-sortialbanken mit Blick auf diejenigen Grossanleger, welche durch den IPO-Kandidaten oder den verkaufen-den Aktionär (d.h. nicht durch die Konsortialbanken) in die Transaktion eingebunden werden, auf ihre Gebühren verzichten. Auf diese Weise würde der fragliche Gross-aktionär den Emissionspreis minus die Gebühren bezah-len. Ein solcher Preisabschlag ist freilich nur vorbehalt-lich einer entsprechenden Vereinbarung mit den Banken möglich und würde selbst dann «lediglich» zu einem Discount im Rahmen von ca. 2 bis 5 % des Emissions-preises führen.

99 Siehe McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 43, die dies mit dem ursprünglichen Verständnis von Cornerstone Investments in Hong Kong zu erklären versuchen und auf Beispiele europäischer IPOs verweisen, bei denen ein Preisabschlag gewährt wurde.

100 Vgl. hierzu bereits I.3.1.101 Dies wird v.a. mit den erhöhten Risiken der Cornerstone Investors

begründet, vgl. McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 43.

wird in aller Regel durch eine angemessene Preisgestal-tung der neuen Aktien entsprochen:94 Diese müssen sich am Marktwert bzw. am Börsenkurs orientieren, wobei die herrschende Auffassung Abschläge von 5 bis 10 Pro-zent zum Börsenkurs als zulässig erachtet.95 Darüber hinaus verlangt das Prinzip der schonenden Rechtsaus-übung, dass nur so viele Aktien ausgegeben werden wie notwendig, um den mit dem aufgenommenen Zweck zu erreichen.96

c. Fazit

Quintessenz der vorstehenden Ausführungen ist, dass der Verwaltungsrat stets eine Gesamtwürdigung der in-volvierten Interessen aufgrund des konkreten Einzelfalls vornehmen muss, wenn er das Bezugs- bzw. Vorweg-zeichnungsrecht zugunsten eines Cornerstone Inves-tors entziehen will. Entscheidende Argumente für einen Entzug des Bezugs- bzw. Vorwegzeichnungsrechts sind dabei wohl ein angemessenes Verhältnis der Kapitaler-höhung im Vergleich zum bestehenden Aktienkapital97 bzw. zum damit verfolgten Zweck, eine breite Streuung des Aktienkapitals ohne massgebende Minderheitsakti-onäre, ein möglichst liquider Titel98 und ein am Markt-wert orientierter Ausgabepreis. Ungleich schwieriger sind insbesondere Konstellationen, bei welchen es in Folge einer bezugsrechtslosen Kapitalerhöhung zu einer erheblichen Verwässerung bei den Altaktionären kommt oder es zu einer erheblichen Verschiebung des Machtge-füges innerhalb des Aktionariats kommt – etwa als Folge

94 Das BGer hat kürzlich das Prinzip der schonenden Rechtsaus-übung bei der Festsetzung des Ausgabepreises bei einer Kapital-erhöhung (mit Wahrung des Bezugsrechts) bestätigt: vgl. Urteil des BGer 4A_531/2017 vom 20. Februar 2018, kommentiert von Lino Hänni, Le principe de l’exercice mesuré des droits, Com-mentaire de l’arrêt du Tribunal fédéral 4A_531/2017 du 20 février 2018, GesKR 3/2018. Dieser Entscheid ist im Einklang mit dem im Rahmen der Aktienrechtsrevision vorgeschlagenen neuen Art. 652b Abs. 4 E-OR, welcher den letzten Satz des jetzigen Art. 652b Abs. 2 OR übernimmt und ausdrücklich erwähnt, dass nicht nur durch die Aufhebung des Bezugsrechts, sondern auch durch die Festsetzung des Ausgabebetrags niemand in unsachlicher Weise begünstigt oder benachteiligt werden darf. Mit dieser Regelung wird zum Schutz des Eigentums der Aktionärinnen und Aktionäre ausgeschlossen, dass durch eine Kapitalerhöhung der Substanzwert ihrer Aktien verwässert wird, wenn sie sich nicht an der Erhöhung beteiligen können oder wollen; vgl. Botschaft zur Änderung des Obligatio-nenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016, BBl 2017, 399 ff., 498. Vgl. auch allgemein Tom Schaffner/Adam Weibel, Die Fest-setzung des Ausgabebetrags in der Kapitalerhöhung, GesKR 2017, 307  ff., 319  f.; Peter Böckli, Kritischer Blick auf die Botschaft und den Entwurf zur Aktienrechtsrevision 2016, GesKR 2017, 138; Hans Caspar von der Crone/Luca Angstmann, Kernfragen der Aktienrechtsrevision, SZW 2017, 3 ff., 5 f.

95 Zu einem Länderübergreifenden Vergleich siehe Gerhard (FN 55), 231 ff.; sowie ferner Watter/Dubs (FN 19), 11. Bei der Kapitaler-höhung von Addex Therapeutics Ltd von März 2018 (FN 91) haben die Investoren eine 10 % Prämie über den Börsenkurs bezahlt.

96 Vgl. Diem/Lippuner (FN 73), 125.97 In BGE 121 III 219 betrug der maximale Kapitalzuwachs 11,6 %.98 Wegen der Möglichkeit der Altaktionäre, ihre Beteiligung durch

Zukäufe über die Börse aufrecht zu erhalten, vgl. bereits Gerhard (FN 55), 234.

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dass sich die verkaufswilligen Aktionäre untereinander koordinieren oder während bestimmter Zeitspannen je-weils nur eine Maximal-Anzahl Aktien veräussern.106

4. Right to Match

In Praxis bislang noch eher selten sind sog.  Right to Match-Klauseln.107 Diese sind vor allem dann von Be-deutung, wenn man eine grosse Nachfrage für die Aktien des IPO-Kandidaten antizipiert. Sie ermöglichen es dem Cornerstone Investor, die ihm zugeteilte Anzahl Aktien zum Emissionspreis zu erwerben, auch wenn dieser über dem ursprünglich kommunizierten und im Subscription Agreement festgelegten Maximalpreis liegt, weil die Price Range aufgrund der hohen Nachfrage nach oben korri-giert worden ist.108

5. Call Option gegenüber Altaktionären

In gewissen IPOs mit Cornerstone Investors wurde den künftigen Grossaktionären eine Kaufoption eingeräumt, durch deren Ausübung sie weitere Aktien der Gesell-schaft von deren Altaktionären erwerben konnten.109 Die durch die Kaufoption erworbenen Aktien unterlie-gen regelmässig keinem Lock-up und können durch den Grossaktionär daher ohne Umschweife wieder veräu-ssert werden.110

Die Einräumung einer solchen Kaufoption ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten unbedenklich, zu-mal sich die Altaktionäre und nicht die Gesellschaft zum Verkauf der zusätzlichen Aktien verpflichten und die verkaufenden Aktionäre nicht dem Gleichbehandlungs-prinzip unterworfen sind.111 Allerdings wird wohl eine

106 Vgl. hierzu auch Le Quintrec (FN  6); ferner McNaughton/Cole/Gossen (FN 1), 43.

107 McNaughton/Cole/Gossen (FN  1), 45, gehen davon aus, dass solche Klauseln vermehrt in Subscription Agreements Eingang fin-den werden.

108 So geschehen etwa im IPO von Aena SA (Spanien, 2015), bei wel-chem die ursprüngliche Preisspanne von EUR 43 bis 55 auf EUR 53 bis 58 korrigiert wurde. Der Emissionspreis lag schliesslich am obe-ren Ende der zweiten Preisspanne, also EUR 58, vgl. dazu < https://www.reuters.com/article/aena-ipo/demand-for-shares-pushes-up-spains-aena-ipo-price-sources-idUSL6N0VF55420150205  > (zu-letzt besucht am 7. August 2018).

109 Vgl. etwa den Börsengang von Inventiva, siehe dazu Le Quintrec (FN 6).

110 Die französische Finanzmarktaufsicht (Autorité des marchés finan-ciers, AMF) hat solche Kaufoptionen mit dem Vorbehalt erlaubt, dass sie zu keinen Marktverwerfungen führen würden, siehe Le Quintrec (FN 6).

111 Vgl. explizit Zbinden (FN 104), 140, mit Hinweis auf Art. 680 OR. Zur gleichen Ansicht gelangte für das französische Recht die fran-zösische AMF «[…] il n’y a rien en droit français sur cette inégalité de traitement, car ce sont les actionnaires qui ont consenti cet avan-tage, et non la société.», zit. nach Le Quintrec (FN 6).

2. Most Favored Nation (MFN)

Da im Rahmen von Kapitalmarkttransaktionen regel-mässig mehrere potentielle Cornerstone Investors kon-taktiert werden, verlangen diese oft die Einführung einer sog.  Most Favored Nation-Klausel (MFN). Diese soll verhindern, dass Investoren, die später zu einer Transak-tion hinzutreten, bessere Konditionen aushandeln kön-nen als diejenigen Investoren, die sich als erste verpflich-tet und somit zum Erfolg der Transaktion beigetragen haben. Solche Klauseln können im Kartellrecht zu Prob-lemen und sogar zu unerlaubten Preisbindungen führen. Bei Investitionsvorhaben sind sie üblicherweise rechtlich weniger problematisch. Beim IPO der CEVA Logistics AG wurde dem alleinigen Cornerstone Investor CMA CGM beim Lock-up eine Art Meistbegünstigungsklausel gegenüber allen historischen Anchor Shareholders (alles Private Equity-Investoren) gewährt, gemäss welcher die Gesellschaft auf das Veräusserungsverbot verzichten muss, sollten die Konsortialbanken die Anchor Sharehol-ders voll oder teilweise aus der Lock-up-Verpflichtung freistellen.102

3. Lock-up und Orderly Sale Agreement

Cornerstone Investors wird im Rahmen von Börsengän-gen definitionsgemäss eine feste Anzahl Aktien zugeteilt. Im Gegenzug dazu verpflichten sie sich regelmässig103 zu einem Veräusserungsverbot. Hierdurch soll die Vola-tilität des Aktienkurses im Aftermarket verringert und ein übermässiger Preisdruck auf die Aktie verhindert werden, was auch mit Blick auf allfällige Stabilisierungs- oder Stüt-zungskäufe der Emissionsbanken von Relevanz ist.104 Die Dauer solcher Lock-up-Vereinbarungen variiert dabei ty-pischerweise zwischen sechs Monaten und zwei Jahren.105

Auch dem Ende der Lock-up-Periode wohnt das Poten-tial inne, den Aktienkurs der Gesellschaft unter Druck zu setzen. Wenn sämtliche Cornerstone Investors, die zu-vor einem Veräusserungsverbot unterlagen, gleichzeitig ihre Aktien veräussern, kann es bei geringer Liquidität zu einem sog. Overhang kommen. Um diesen Preisdruck zu verhindern, unterliegen die Cornerstone Investors re-gelmässig neben dem Veräusserungsverbot auch einem sog.  Orderly Sale Agreement. Dieses soll sicherstellen,

102 Vgl. Preliminary Prospectus vom 19. April 2018, 53.103 In bestimmten Rechtsordnungen, wie etwa Hong Kong, ist ein

sechsmonatiges Veräusserungsverbot sogar von den Regularien der HKEx vorgeschrieben (allerdings steht es den Lead Banks frei, dar-auf zu verzichten), vgl. dazu statt vieler Espinasse (FN 1), 7, 46.

104 Siehe die ähnlichen Ausführungen in McNaughton/Cole/Gos-sen (FN 1), 43; Daniel Zbinden, Börsenrechtliche Aspekte eines Initial Public Offering (IPO) in der Schweiz, Diss. St. Gallen 2003, 110 ff.

105 Die Dauer kann dabei durchaus variieren, so gehen etwa Engman/Pehrson (FN 6), 13, von 180 bis 360 Tagen aus. Beim IPO von Eu-ronext NV (Niederlande, 2014) wurde hingegen gar ein dreijähriges Veräusserungsverbot mit den «Reference Shareholders» vereinbart.

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teiligung abhängig machen.116 Der Einsitz von Vertretern des Cornerstone Investors im Verwaltungsrat der Gesell-schaft birgt das Risiko von Interessenskonflikten und des Abflusses von Informationen, weshalb ein sorgfältig gestaltetes Relationship Agreement von zentraler Bedeu-tung ist.117 So müssen insbesondere Ausstandregeln und Bestimmungen über die Weitergabe von vertraulichen Informationen festgelegt werden. Die Gesellschaft muss ferner sicherstellen, dass es bei der Wahl der Verwal-tungsratsmitglieder nicht zu Konflikten zwischen dem Grossinvestor und den übrigen Verwaltungsratsmitglie-dern kommt und schliesslich, dass die Unabhängigkeit der Gesellschaft gewahrt bleibt. Dies kann u.a. durch eine Vereinbarung erreicht werden, wonach der Gross-investor die von den «unabhängigen» Verwaltungsrats-mitgliedern vorgeschlagenen Kandidaten unterstützen muss.118 Allgemein kann die Verpflichtung des Investors, bei Abstimmungen und Wahlen den Empfehlungen des Verwaltungsrates zu folgen (sog.  Voting Commitment) vertraglich an den konkreten Bedürfnissen ausgerichtet werden: Möchte man dem Cornerstone Investor mög-lichst viel Freiheit einräumen, ist die Verpflichtung eng auszugestalten, indem sie etwa auf Fragen der Unab-hängigkeit der Gesellschaft vom Investoren beschränkt wird. Möchte man der Gesellschaft etwas entgegenkom-men, kann dies mit der Pflicht einer vorgängigen Benach-richtigung verknüpft werden, wenn der Investor gegen die Empfehlung des Verwaltungsrates stimmen möchte. Noch weiter ginge ferner die Verpflichtung des Inves-tors, sämtlichen Empfehlungen des Verwaltungsrates zum «üblichen Geschäftsverlauf» der Gesellschaft und/oder bestimmten Sachfragen zuzustimmen. Am meisten Kontrolle gibt der Investor schliesslich im Rahmen von Vereinbarungen ab, bei welchen er sich, abgesehen von bestimmten, genau umrissenen Vetorechten (wie etwa bezüglich M&A-Transaktionen oder Dividenden, die von der Dividendenpolitik der Gesellschaft abweichen) zur Zustimmung zu sämtlichen Empfehlungen des Ver-waltungsrates verpflichtet.

In einem solchen Relationship Agreement verpflichtet sich der Investor neben dem üblichen Lock-up119 auch zu einer Stillhaltevereinbarung (sog. Standstill), wonach der Investor seinen Anteil an der Gesellschaft nach dem

116 So geschehen etwa bei der Investition von CMA CGM S.A. beim IPO von CEVA Logistics AG, vgl. Preliminary Prospectus vom 19. April 2018, 53.

117 Ebenso von Jeinsen/Flandin (FN 78), 1.118 Im Relationship Agreement zwischen CMA CGM S.A. und CEVA

Logistics AG hat sich Erstere verpflichtet, die Anträge des Gesamt-verwaltungsrates bzgl. Wahlen in den Verwaltungsrat zu unterstüt-zen. vgl. Preliminary Prospectus vom 19. April 2018, 53. Falls je-doch CMA CGM die Mehrheit der Sitze des Verwaltungsrates von CEVA Logistics AG für sich beanspruchen würde, verpflichtet sie sich gegenüber der Gesellschaft, ein Kaufangebot für 100 % der Ak-tien zu machen.

119 Siehe hierzu bereits IV.3.

Veröffentlichung der Call Option im Emissionsprospekt zu fordern sein.112

6. Widerrufsrechte (Conditions Precedent)

Wie eingangs erläutert, verpflichten sich Cornerstone In-vestors bereits im Vorfeld eines IPOs. Diese Verpflich-tung birgt das Risiko, dass der Investor eine Beteiligung an der Gesellschaft erwirbt, der Börsengang indessen nicht erfolgreich zu Ende gebracht werden kann.113 Der Investor würde somit eine Beteiligung an der Ge-sellschaft erwerben, die er u.U. ohne ein erfolgreiches IPO gar nicht haben möchte und – im Falle vertraglicher Lock-up-Vereinbarungen  – kurzfristig nicht mehr ver-äussern könnte.

Um diesen Risiken zu begegnen, lassen sich Cornerstone Investors regelmässig Widerrufsrechte einräumen, wenn bestimmte Voraussetzungen (Conditions Precedent), wie etwa die erfolgreiche Durchführung des IPOs, nicht er-füllt sind. In der Regel wird die im Subscription Agree-ment eingegangene Verpflichtung, eine Beteiligung an der Gesellschaft zu erwerben, an die Bedingungen ge-knüpft, dass (i)  das Underwriting Agreement zwischen dem Emittenten und den federführenden Banken gültig unterzeichnet wird und die dortigen Conditions Prece-dent erfüllt sind, (ii) die Beteiligungspapiere des Emitten-ten gültig am entsprechenden Handelsplatz kotiert und gehandelt werden und (iii)  bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich Emissionsvolumen und Preis erfüllt sind.114 Schliesslich wird teils weiter vereinbart, dass der finale Prospekt nicht materiell von jenem Prospektentwurf ab-weichen darf, der dem Investoren bei Unterzeichnung des Subscription Agreements vorlag. Hierdurch wird es dem Investor ermöglicht, die Risiken der Transaktion besser abzuschätzen und gestützt darauf zu handeln.

7. Governance-Rechte und Relationship Agreement

Während es in bestimmten asiatischen Rechtsordnun-gen115 nicht zulässig ist, einem Cornerstone Investor Rechte einzuräumen, die über eine präferentielle Alloka-tion hinausgehen, ist es v.a. in Europa durchaus üblich, bedeutenden Investoren Einsitz im Verwaltungsrat der Gesellschaft zuzusichern. Ob dem Grossinvestor nur ein oder gar mehrere Sitze im Verwaltungsrat eingeräumt werden, kann man beispielsweise von der Grösse der Be-

112 Siehe wiederum die entsprechende Forderung für das französische Recht Le Quintrec (FN 6).

113 Siehe bereits I.4.3.114 Vgl. Espinasse (FN 1), 49; mit Blick auf den IPO von CEVA Logi-

stics AG, bei welchem die französische Reederei CMA CGM S.A. als Investor fungierte, vgl. Preliminary Prospectus vom 19. April 2018, 52.

115 Wie etwa Hong Kong, vgl. FN 62.

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tur oder der Unternehmensstrategie begründbar sein muss.125 Dabei wird den Emissionsbanken bei der Zutei-lung ein gewisser Ermessensspielraum belassen (wobei ein Ermessensmissbrauch aber gewährsrelevant ist):126 Ziff.  6.3 Zuteilungsrichtlinien SBVg gestattet es aus-drücklich, verschiedene Kunden bzw. Kundengruppen im Rahmen einer angemessenen Interessenabwägung differenziert zu behandeln. Die bevorzugte Behandlung von Cornerstone Investors ist mit den Zuteilungsricht-linien der SBVg vereinbar, sofern sie unter diesen Ge-sichtspunkten erfolgt und (bankintern) dokumentiert wird.127

Mit Blick auf die Offenlegung der Zuteilung ist schliess-lich festzuhalten, dass die Zuteilungsrichtlinien die vor-gängige Bekanntgabe des Zuteilungsverfahrens nicht vorschreiben. Eine Veröffentlichung des gewählten Zuteilungsverfahrens im Vorfeld eines IPOs müsste da-her freiwillig erfolgen.128 Nach Abschluss der Emission bestehen nach Ziff.  11 Zuteilungsrichtlinien SBVg be-schränkte Publikationspflichten für die federführende Syndikatsbank, welche zur Veröffentlichung des Zutei-lungsergebnisses verpflichtet ist. Auch dabei beschränkt sich die Pflicht zur Identifikation besonderer Zutei-lungskategorien allerdings auf die Höhe von Zuteilungen im Rahmen von sog. Friends & Family-Programmen.

2. Offenlegung der Identität von Cornerstone Investors

Nach dem IPO sind die Bestimmungen von Art. 120 ff. FinfraG zur Offenlegungspflicht unverzüglich anwend-bar, weshalb diejenigen Cornerstone Investors, welche einen der Schwellenwerte von 3, 5, 10, 15, 20, 25, 331⁄3, 50 oder 662⁄3 Prozent der Stimmrechte erreichen oder über-schreiten, zur Meldung der Höhe ihrer Beteiligungen verpflichtet sind.129 Um eine hinreichende Auskunft der Anleger im Vorfeld der Kotierung sicherzustellen, müs-sen bedeutende Aktionäre indessen bereits im Prospekt publiziert werden.130 Bei der Bestimmung eines bedeu-tenden Aktionärs sind wiederum Art. 120 FinfraG und dessen Ausführungsbestimmungen heranzuziehen.131

125 von der Crone/Nänni/Sibbern (FN 123), 165, m.w.H.126 Daeniker (FN 123), 349, 351.127 Zu den Dokumentationspflichten gemäss Ziff.  6.1 und 13 Zutei-

lungsrichtlinien SBVg siehe Daeniker (FN  123), 352; von der Crone/Nänni/Sibbern (FN 123), 164.

128 Daeniker (FN 123), 354 f.129 Gemäss Art. 120 Abs. 4 lit. a FinfraG wird die erstmalige Kotierung

von Beteiligungspapieren einem Erwerb gleichgestellt; Botschaft FinfraG, BBl 2014 7483. Vgl. unter den entsprechenden Bestim-mungen von Art. 20 aBEHG gl. M. Zbinden (FN 104), 107.

130 Vgl. Art.  28 Kotierungsreglement der SIX Swiss Exchange vom 4. April 2018 i.V.m. Ziff. 2.5.9 (Bedeutende Aktionäre) Schema A. Danach müssen die Angaben nach Art. 120 ff. FinfraG und den ent-sprechenden Ausführungsbestimmungen der FinfraV- FINMA ver-öffentlicht werden, sofern sie dem Emittenten bekannt sein, was bei Cornerstone Investors grundsätzlich der Fall sein dürfte.

131 Ibid.

IPO nicht weiter erhöhen darf.120 Regelmässig steht eine solche Vereinbarung unter dem Vorbehalt, bei der Aus-übung einer allfälligen Mehrzuteilungsoption (Over-Allotment Option) die nötige Anzahl Aktien erwerben zu können, um eine Verwässerung des eigenen Anteils zu verhindern.121

Schliesslich kann man in Relationship Agreements auch die Pflichten der Parteien bei einem Übernahmeangebot einer Drittpartei regeln. Eine einschneidende Regelung zu Lasten des Cornerstone Investors ist z.B. die Pflicht, seine Aktien beim Übernahmeangebot andienen zu müs-sen, vorausgesetzt der Cornerstone Investor hat selbst kein höheres Angebot abgegeben und/oder der Preis des Drittangebots ist höher als ein im Voraus festgesetzter Mindestpreis.122

V. Kapitalmarktrechtliche Aspekte

1. Zulässigkeit einer Preferential Allocation

Zunächst muss die Zulässigkeit einer bevorzugten Al-lokation der Aktien an einen ausgewählten Investor untersucht werden. Von Bedeutung sind in diesem Zu-sammenhang die am 1.  Januar 2005 in Kraft getretenen Zuteilungsrichtlinien der Schweizerischen Bankierver-einigung (Zuteilungsrichtlinien SBVg), welche als auf-sichtsrechtlicher Mindeststandard anerkannt sind.123

Eine bevorzugte Aktienallokation an Cornerstone In-vestors muss danach auf sachlichen Kriterien beruhen.124 Materiell wird daher auch hier eine relative Gleichbe-handlung der Anleger verlangt, weshalb die Allokations-kriterien etwa mit der beabsichtigten Aktionariatsstruk-

120 Standstill Agreements sind auch im Zusammenhang mit den kapi-talmarktrechtlichen Offenlegungs- und Angebotspflichten zu lesen, zumal das Risiko besteht, dass Cornerstone Investor und Gesell-schaft als «in gemeinsamer Absprache handelnd» qualifiziert wer-den könnten. Vgl. hierzu sogleich V.3.

121 So geschehen etwa im Rahmen des IPOs von CEVA Logistics AG, vgl. Preliminary Prospectus vom 19. April 2018, 53.

122 Vgl. als Anschauungsbeispiel wiederum das IPO von CEVA Logi-stics AG, vgl. Preliminary Prospectus vom 19. April 2018, 53, bei dem in den zwei Jahren nach dem IPO eine Andienungspflicht nur besteht, falls der Angebotspreis des Drittangebotes mindestens der Höhe des Emissionspreises entspricht.

123 Vgl. dazu und weiterführend zur sog.  «gesteuerten Selbstregulie-rung» Hans-Caspar von der Crone/Matthias Nänni/Eric Sib-bern, Bankaufsichtsrechtliche und vertragsrechtliche Aspekte von IPOs, in: Emmenegger (Hrsg.), Bankhaftungsrecht, Schweizerische Bankrechtstagung 2006, Basel 2006, 163 f.; Daniel Daeniker, Zu-teilungsgrundsätze bei Aktienplatzierungen, in: von der Crone/Forstmoser/Weber/Zäch (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Bank- und Finanzmarktrechts, Festschrift für Dieter Zobl zum 60. Geburtstag, Zürich/Basel/Genf 2004, 348; eingehend zu den unterschiedlichen Regulierungsarten ferner Pascal Zysset, Selbstregulierung im Fi-nanzmarktrecht, Diss. Zürich 2017, 159 ff. (= Schweizer Schriften zum Finanzmarktrecht  124). Vgl. zur Anerkennung als Mindest-standard auch Ziff. 14 Zuteilungsrichtlinien SBVg.

124 Ziff. 6.1 und 6.3 Zuteilungsrichtlinien SBVg.

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fern die Gesellschaft selbst keiner Veräusserungssperre unterliegt;135 führen etwa die Abmachungen zwischen der Gesellschaft und dem Cornerstone Investor hin-sichtlich der Ausübung der Stimmrechte oder der Zu-sammensetzung des Verwaltungsrates136 oder einer all-gemeinen Erwerbssperre (Standstill) zu einer möglichen Qualifikation als gemeinsame Gruppe.137

3.2 Angebotspflicht

a. Überschreitung des Schwellenwerts

Sofern ein Cornerstone Investor ein Pflichtangebot nach Art. 135 FinfraG für die Beteiligungspapiere der Zielge-sellschaft vermeiden möchte, darf er nach der Transakti-on nicht mehr als 331⁄3 Prozent der Stimmrechte kontrol-lieren. Im Gegensatz zur Offenlegungspflicht wird die Angebotspflicht erst mit dem Übergang der Stimmrechte ausgelöst, was etwa bei der Zeichnung einer Pflichtwan-delanleihe noch nicht der Fall ist. Möchte man vermei-den, dass der Cornerstone Investor ein Pflichtangebot unterbreiten muss, ist darauf zu achten, dass der ent-sprechende Schwellenwert nicht durch den technischen Wandlungsvorgang überschritten wird. Im Zeitpunkt der Wandlung einer durch bedingtes Kapital unterlegten Anleihe ist nämlich die einzige für die Beurteilung des Überschreitens der Angebotspflichtschwelle relevante Zahl der ausstehenden Aktien (nämlich gemäss Handels-register) noch nicht nach oben angepasst worden.138

Auch hinsichtlich der Angebotspflicht gelten qua Ver-weis über Art. 33 FinfraV- FINMA ebenfalls die Regeln über die gemeinsamen Absprachen oder die organisier-ten Gruppen nach Art. 12 Abs. 1 FinfraV- FINMA. Da-bei kommt ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal hinzu: Die Verhaltenskoordination zwischen der Gesellschaft und dem Cornerstone Investor muss «im Hinblick auf die Beherrschung» erfolgen.139 Obwohl es sich bei der Beherrschungsabsicht um ein subjektives Tatbestands-merkmal handelt, kommt ein objektivierter Massstab zur Anwendung,140 d.h. der gemeinsame Erwerb muss eine solche Beherrschung objektiv ermöglichen und es muss

135 Entscheidendes Element ist hierbei gemäss der ständigen Praxis der Offenlegungsstelle der SIX Swiss Exchange, dass es bei einem Lock-up von aussen betrachtet zu einer Abstimmung kommt. Daher sind alle Gruppenmitglieder einer Lock-up Gruppe erfasst, selbst wenn es zu keiner Koordination kommt. Vgl. Jahresbericht 2016 der Of-fenlegungsstelle der SIX Swiss Exchange, 17.

136 Mit Blick auf PIPE-Investoren Gerhard (FN 55), 249; im Hinblick auf Anchor Investors und Grossaktionäre Watter/Dubs (FN 19), 34.

137 Vgl. bereits Jahresbericht 2008 der Offenlegungsstelle der SIX Swiss Exchange.

138 Die UEK gewährt in einem solchen Fall auf Gesuch hin jedoch eine Ausnahme von der Angebotspflicht unter der Bedingung, dass die Eintragung der neu geschaffenen Aktien im Handelsregister spätes-tens drei Monate nach der Schaffung erfolgt. Vgl. zuletzt Verfügung 703/01 der UEK vom 9. August 2018 i.S. CEVA Logistics AG.

139 Vgl. mit Blick auf Ankerinvestoren Watter/Dubs (FN 19), 35.140 SK FinfraG-Barthold/Schilter, Art. 135 N 63.

Die Identität des Cornerstone Investors muss nur im Fal-le, dass er nach der Kotierung tatsächlich die gesetzlichen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, im Prospekt veröffentlicht werden. Eine Beteiligungsnahme unter-halb dieser Schwellenwerte, obschon sie in einem frühen Zeitpunkt vertraglich vereinbart wird, wird wohl kaum jene Wesentlichkeit erreichen, dass die Offenlegung der Identität nötig ist, um dem sachkundigen Anleger ein begründetes Urteil über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage und die Entwicklungsaussichten des Emit-tenten sowie über die mit den Effekten verbundenen Rechte zu gestatten.132 Über die Tatsache des Cornersto-ne Investments sowie namentlich die maximale Höhe der Quote insgesamt und die Kategorien von Begünstigten von Friends  & Family-Programmen muss der Prospekt jedoch Aufschluss geben.133

3. Acting in Concert

3.1 Offenlegungspflicht

Sofern der Beteiligungsnahme des Cornerstone Investors eine Vereinbarung zwischen dem Grossaktionär und der Gesellschaft zugrunde liegt, die über eine blosse Ver-einbarung hinsichtlich der Übernahme der Wertpapiere hinausgeht, stellt sich die virulente Frage, ob und gege-benenfalls ab wann eine solche Vereinbarung einen der-artigen Intensitätsgrad erreicht, dass ein «Handeln in ge-meinsamer Absprache» gemäss Art. 120 Abs. 1 FinfraG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 FinfraV- FINMA vorliegt. Ein sol-ches Vorgehen liegt dann vor, wenn die fraglichen Par-teien ihre Verhaltensweise im Hinblick auf den Erwerb oder die Veräusserung von Beteiligungspapieren oder die Ausübung von Stimmrechten mit Dritten durch Vertrag oder andere organisierte Vorkehren abstimmen. Nach Behördenpraxis und Lehre sind dabei die beiden quali-fizierenden Elemente Organisation und Unterordnung zu berücksichtigen: So müssen die Handlungen der Par-teien einerseits einen gewissen Mindestgrad an Intensität aufweisen, die sich durch eine gemeinsame innere Finali-tät und äussere Organisation manifestiert, zum anderen müssen die Parteien zwecks Erreichung eines gemeinsa-men Zieles ihre Einzelinteressen dem Gesamtinteresse der Gruppe unterordnen.134

Dabei führt nicht bereits die Vereinbarung über den Erwerb von Beteiligungspapieren zu einer Gruppenbil-dung. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn weitere Klauseln im Kaufvertrag auf eine entsprechende Organi-sation und Unterordnung hinweisen: Während befristete Veräusserungssperren nur seitens der sich verpflichten-den Aktionäre zur Gruppenbildung führen können, so-

132 Vgl. Art. 27 Kotierungsreglement der SIX Swiss Exchange.133 Vgl. Ziff. 6 Zuteilungsrichtlinien SBVg.134 Gerhard (FN 55), 247 f.; Watter/Dubs (FN 19), 31 f., beide mit

umfangreichen w.H.

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Möchte man die Auswirkungen der potentiellen Anrech-nung der eigenen Aktien der Gesellschaft mit den Akti-en des Cornerstone Investors neutralisieren, ist über ein selektives Opting-out (oder Opting-up) nachzudenken. Dies könnte so strukturiert werden, dass nur die Gesell-schaft und der Cornerstone Investor von der Angebots-pflicht ausgenommen werden, und dies auch nur solan-ge die Beteiligung des Cornerstone Investors alleine den Schwellenwert von 331⁄3 Prozent nicht überschreitet.145

4. Haftung

Im Rahmen von Cornerstone Investments bekommt der zukünftige Grossinvestor verschiedene Vorabinformati-onen. Diese Vorabinformationen werden häufig bereits zwei bis drei Wochen vor dem Tag der ITF-Pressemittei-lung u.a. in Form eines Entwurfes des vorläufigen Pros-pekts gewährt.

Man könnte sich daher fragen, ob der Cornerstone In-vestor allfällige Ansprüche gestützt auf diese Vorabinfor-mationen geltend machen kann oder ob er auf die allge-meinen Bestimmungen zur Prospekthaftung verwiesen werden muss.146 Hierbei ist zu beachten, dass sich der Cornerstone Investor im Subscription Agreement regel-mässig ein Widerrufsrecht ausbedingen wird für den Fall, dass der finale Prospekt materiell von dem letzten Ent-wurf, welcher ihm offengelegt wurde, abweicht. Gleich-sam spiegelbildlich hierzu wird der Emittent versuchen, die Haftung auf den Inhalt des Prospektes zu beschrän-ken. Eine vertragliche Haftung bleibt daher nur in jenen Fällen möglich, in denen der entsprechende Vertrag147 direkt auf die Richtigkeit der Angaben im Prospekt ab-

ven Opting-outs, vgl. UEK-Verfügung 0600/01 i.S. Kaba Holding SA vom 22. April 2015 E. 1.4.2; vgl. auch UEK-Verfügung 0610/01 i.S. Schindler Holding AG vom 21. Juli 2015 E. 3. Zum Ganzen ein-gehend SK FinfraG-Barthold/Isler, Art. 125 N 30, 44.

145 Vgl. Art. 5a der Statuten der CEVA Logistics AG: «Die Gesellschaft und Aktionäre der Gesellschaft, die mit der Gesellschaft in gemein-samer Absprache im Sinne des Art. 135 Abs. 1 FinfraG i.V.m. Art. 33 FinfraV- FINMA handeln, sowie deren wirtschaftlich Berechtigte sind von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebots nach Art. 135 FinfraG befreit, sofern und soweit die mit der Gesellschaft in ge-meinsamer Absprache handelnden Aktionäre der Gesellschaft zu-sammen alleine (d.h. ohne Berücksichtigung der eigenen Aktien der Gesellschaft) oder der mit der Gesellschaft in gemeinsamer Abspra-che handelnde Aktionär der Gesellschaft alleine (d.h. ohne Berück-sichtigung der eigenen Aktien der Gesellschaft) den Grenzwert von 331⁄3 Prozent der Stimmrechte der Gesellschaft nicht überschreiten. Überschreitet oder überschreiten der mit der Gesellschaft in gemein-samer Absprache im Sinne des Art. 135 Abs. 1 FinfraG i.V.m. Art. 33 FinfraV- FINMA handelnde Aktionär oder die in gemeinsamer Ab-sprache handelnden Aktionäre zusammen den angebotspflichtigen Grenzwert ohne die Gesellschaft, sind der oder die Aktionäre ver-pflichtet, alleine (d.h. ohne die Gesellschaft) ein Pflichtangebot zu unterbreiten».

146 Vgl. zur allgemeinen Prospekthaftung im Rahmen von IPOs, vgl. Reutter (FN 38), 38 ff.

147 Solche Klauseln sind beispielsweise auch in einem Notes Purchase Agreement enthalten, wenn im Rahmen eines IPOs Mandatory Ex-changeable Bonds oder Mandatory Convertible Notes ausgegeben werden.

aufgrund der Umstände darauf zu schliessen sein, dass eine Beherrschung auch angestrebt wird.141 Mit Blick auf das Subscription Agreement zwischen Cornerstone In-vestors und der Gesellschaft sind vor allem Abreden über die Stimmrechtsausübung oder über die Zusammenset-zung des Verwaltungsrats sowie die gemeinsame Festle-gung der Strategie für die Zielgesellschaft sorgfältig zu formulieren.142 Dabei ist zu beachten, dass die UEK die von der Gesellschaft gehaltenen Beteiligungsrechte einer angebotspflichtigen Gruppe bislang hinzugerechnet hat, wenn die Gesellschaft selbst als Subjekt und nicht ledig-lich als Objekt einer Kooperation oder Vereinbarung in Erscheinung trat.143 Je nach konkreter Sachlage besteht daher für Cornerstone Investors das Risiko, den Schwel-lenwert von 331⁄3 Prozent der Stimmrechte aufgrund der Anrechnung der von der Gesellschaft selbst gehaltenen Beteiligungsrechte zu überschreiten.

b. Opting-Out und Opting-Up

Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Proble-matik der Anrechnung eigener Aktien muss beim Ein-stieg eines Cornerstone Investors dafür Sorge getragen werden, dass die Angebotspflicht auch in solchen Kon-stellationen nicht ausgelöst wird.

Gemäss Art. 125 Abs. 3 und 4 sowie Art. 135 Abs. 1 Fin-fraG dürfen Zielgesellschaften durch eine entsprechende Statutenbestimmung die Erwerber von Beteiligungsrech-ten von der Angebotspflicht ausnehmen (Opting-out) oder die Schwelle der Auslösung auf bis zu 49 Prozent anheben (Opting-up). Ein solches Opting-out ist nach der Kotierung nur noch möglich, sofern dies im Einklang mit Art.  706 OR geschieht. Anders gewendet: Ein Be-schluss der Generalversammlung darf nicht in unsachli-cher Weise Aktionären Rechte entziehen oder durch den Gesellschaftszweck nicht gerechtfertigte Ungleichbe-handlung oder Benachteiligung der Aktionäre bewirken. Da die Statuten der Gesellschaft regelmässig im Vorfeld eines IPOs modifiziert werden, stellt diese Bestimmung freilich keine Hürde für ein Opting-out dar.144

141 BGE 130 II 530 E. 6.5.7.142 Ähnlich Watter/Dubs (FN  19), 35. Dabei ist zu beachten, dass

nach der UEK-Verfügung 0521/01 i.S. Repower AG vom 13. No-vember 2012 E. 1.2 eine gemeinsame Beherrschungsabsicht nur bei der Bestimmung der Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder be-jaht wurde. Vgl. dazu ferner UEK-Empfehlung 0251/01 i.S. Aare-Tessin für Elektrizität AG vom 11. August 2005 E. 1.1.

143 SK FinfraG-Barthold/Schilter, Art.  135 N  68; BSK BEHG-Hofstetter/Schilter-Heuberger, Art. 32 N 35a; beide m.H. auf die Praxis der UEK.

144 Ohnehin wäre dies seit der Praxisänderung in UEK-Verfügung 0518/01 i.S. Advanced Digital Broadcast Holdings AG vom 11. Ok-tober 2012 leichter zu erreichen als unter der früheren Praxis der UEK zu (materiell) selektiven Opting-outs, vgl. dazu Gerhard (FN  55), 254  f.; neu bedarf es für ein nachträgliches Opting-out (i)  eine transparente Information der Aktionäre über das Opting-out und dessen Folgen und (ii) die Zustimmung der Mehrheit der vertretenen Stimmen und der Mehrheit der Minderheitsaktionäre an der Generalversammlung, vgl. UEK-Verfügung 0594/01 i.S. Sika AG vom 5. März 2015 E. 1.2.2; dies gilt übrigens auch bei selekti-

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stellt und sich diese als unrichtig herausstellen. Für eine weitergehende, auf die Vorabinformationen gestützte Haftung bleibt vorbehaltlich anderslautender Vereinba-rungen, analog z.B. dem Katalog von Gewährleistungen im Underwriting Agreement zwischen dem Emittenten und den Konsortialbanken, wohl kein Raum.

VI. Fazit

Cornerstone Investments sind vor der Bekanntgabe der IPO-Preisspanne und vor dem Launch eines Börsengan-ges getroffene Verpflichtung eines Investors oder mehre-rer Investoren, eine feste Anzahl Aktien ausserhalb des Orderbuchs zu übernehmen. Im Gegenzug wird dem oder den Investoren die Zuteilung der gewünschten An-zahl Aktien vertraglich zugesichert.

Aufgrund der mannigfaltigen Vorteile, die solche Inves-titionen sowohl für potentielle IPO-Kandidaten als auch für Cornerstone Investors bergen, erfreuen sich Corners-tone Investments auch in Europa an zunehmender Be-liebtheit und sind mittlerweile von den Checklists der Emissionsbanken kaum mehr wegzudenken. Anders als im asiatischen Raum, wo die Regulierungsbehörden das Phänomen einem engmaschigen Regelungsrahmen un-terstellt haben, fehlt es in der Schweiz bis anhin an einer massgeschneiderten Regulierung.

Wie der vorliegende Beitrag aufgezeigt hat, wirft das Phänomen eine ganze Reihe von Fragen auf, welche man durchaus auch mit dem bestehenden Instrumentarium bewältigen kann. Freilich gibt es auch Fallstricke, die ein Rechtsberater bei der Strukturierung stets zu beachten hat. Insbesondere im Rahmen der kapitalmarktrechtli-chen Vorschriften zur Offenlegung und zur Angebots-pflicht ist ein sorgfältiges Vorgehen unerlässlich.