Dachmarkenstrategie Wer oder was ist hier die...

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Science Factory 4/2004 absatzwirtschaft 6 Medien Die Dachmarkenstrategie hat sich seit Jahren als Erfolgsrezept für Markenar- tikler wie Beiersdorf erwiesen. So wird unter dem Markennamen Nivea eine Vielzahl von Produkten gebündelt, die von Nivea Beauté über Nivea for Men nahezu das gesamte Sortiment der Körperpflege abdecken. Beiersdorf nutzt geschickt die produktübergrei- fenden Ausstrahlungseffekte einer Dachmarkenstrategie. So wirken gene- relle Werbekampagnen für Nivea auf die einzelnen Produkte der Submarken ebenso wie spezielle Kampagnen, zum Beispiel für Nivea Shampoo, positiv auf die restliche Produktfamilie. Eine Dachmarkenstrategie wie die von Bei- ersdorf für Nivea erlaubt so eine effi- ziente Kommunikation über viele unterschiedliche Produkte hinweg. Marken in der Medienindustrie Die Medienindustrie ist prädestiniert für eine vergleichbare Strategie, denn Verlage, Filmstudios oder Musiklabels müssen ebenfalls viele Produkte mar- kieren. Entlang der Wertschöpfungs- kette bieten sich mehrere markenstra- tegische Möglichkeiten, denen in der Vergangenheit mit höchst unterschied- licher Intensität und Erfolg nachgegan- gen wurde. So ist es nur wenigen Medienunterneh- men als solchen gelungen, sich mit ei- nem besonderen Image gegenüber den Konsumenten zu positionieren, wel- ches auf das gesamte Produktportfolio abstrahlt und als corporate brand wahr- genommen wird. Vereinzelte erfolgrei- che Beispiele dieser Strategie können im Buchbereich und der Filmindustrie gefunden werden. So konnten sich ei- nige Verlage wie zum Beispiel Dioge- nes als Einzelmarke für kulturell hoch- wertige Bücher positionieren. Ebenso zehren Filme des Disney-Studios (und seit Findet Nemo auch Pixar) von dem etablierten Markennamen des Studios, denn häufig spricht man vom "neuen Disney-Film", aber selten vom neuen "Warner Bros. Film". Während der Medienkonzern somit selten das Ziel der Markierung ist, steht im Musikbereich dagegen schon häufiger ein Geschäftsfeld oder Gen- re, was von einem Label besetzt wird, im Mittelpunkt (siehe Abbildung). Derartige label brands, wie bspw. das Jazz-Label Blue Note von EMI, ha- ben (zumindest theoretisch) die Auf- gabe, sämtliche Teile der heterogenen Produktlinie (die jeweiligen Künstler) vom Markenimage profitieren zu las- sen. Eine ähnliche Strategie wird bei CD-Compilations versucht: Die Bra- vo-Hits oder die Kuschelrock-Reihe Dachmarkenstrategie Wer oder was ist hier die Marke? • Medien • Dachmarkenstrategie • Kommunikation • Budgetierung • Positionierung Die Marken von Medienunternehmen sind typischerweise die Künstler. Je stärker der Markenkern aber auf den Künstler zugeschnitten ist, desto mehr Macht kann er ausüben. Eine Dachmarkenstrategie könnte helfen, die Marketing-Maßnahmen besser zu nutzen und Spill-Over-Effekte auf andere Künstler zu generieren. FACHINFO AUTOREN Dr. Michel Clement ist Habilitand am Institut für Innova- tionsforschung der Christian-Al- brechts-Universität zu Kiel und be- schäftigt sich mit Medienmanagement. Zuvor war er drei Jahre im Bertelsmann-Konzern in verschiedenen Managementposi- tionen tätig. Dr. Jan U. Becker ist Mitarbeiter am Institut für Innova- tionsforschung der Christian-Al- brechts-Universität zu Kiel und be- schäftigt sich mit Peer-to-Peer-Netzwerken. Zudem ist er als Berater in der Medienindustrie tätig. Kontakt: www.bwl.uni-kiel.de/In- novation-Marketing/

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Science Factory 4/2004absatzwirtschaft 6

Medien

Die Dachmarkenstrategie hat sich seitJahren als Erfolgsrezept für Markenar-tikler wie Beiersdorf erwiesen. So wirdunter dem Markennamen Nivea eineVielzahl von Produkten gebündelt, dievon Nivea Beauté über Nivea for Mennahezu das gesamte Sortiment derKörperpflege abdecken. Beiersdorfnutzt geschickt die produktübergrei-fenden Ausstrahlungseffekte einerDachmarkenstrategie. So wirken gene-relle Werbekampagnen für Nivea aufdie einzelnen Produkte der Submarkenebenso wie spezielle Kampagnen, zumBeispiel für Nivea Shampoo, positivauf die restliche Produktfamilie. EineDachmarkenstrategie wie die von Bei-ersdorf für Nivea erlaubt so eine effi-ziente Kommunikation über vieleunterschiedliche Produkte hinweg.

Marken in der MedienindustrieDie Medienindustrie ist prädestiniertfür eine vergleichbare Strategie, dennVerlage, Filmstudios oder Musiklabelsmüssen ebenfalls viele Produkte mar-kieren. Entlang der Wertschöpfungs-kette bieten sich mehrere markenstra-tegische Möglichkeiten, denen in derVergangenheit mit höchst unterschied-licher Intensität und Erfolg nachgegan-gen wurde.So ist es nur wenigen Medienunterneh-

men als solchen gelungen, sich mit ei-nem besonderen Image gegenüber denKonsumenten zu positionieren, wel-ches auf das gesamte Produktportfolioabstrahlt und als corporate brand wahr-genommen wird. Vereinzelte erfolgrei-che Beispiele dieser Strategie könnenim Buchbereich und der Filmindustriegefunden werden. So konnten sich ei-nige Verlage wie zum Beispiel Dioge-nes als Einzelmarke für kulturell hoch-wertige Bücher positionieren. Ebensozehren Filme des Disney-Studios (undseit Findet Nemo auch Pixar) von demetablierten Markennamen des Studios,denn häufig spricht man vom "neuenDisney-Film", aber selten vom neuen"Warner Bros. Film".Während der Medienkonzern somitselten das Ziel der Markierung ist,steht im Musikbereich dagegen schonhäufiger ein Geschäftsfeld oder Gen-re, was von einem Label besetzt wird,im Mittelpunkt (siehe Abbildung).Derartige label brands, wie bspw. dasJazz-Label Blue Note von EMI, ha-ben (zumindest theoretisch) die Auf-gabe, sämtliche Teile der heterogenenProduktlinie (die jeweiligen Künstler)vom Markenimage profitieren zu las-sen. Eine ähnliche Strategie wird beiCD-Compilations versucht: Die Bra-vo-Hits oder die Kuschelrock-Reihe

DachmarkenstrategieWer oder was ist

hier die Marke?

• Medien• Dachmarkenstrategie• Kommunikation• Budgetierung• Positionierung

Die Marken von Medienunternehmen sind typischerweise die Künstler. Jestärker der Markenkern aber auf den Künstler zugeschnitten ist, destomehr Macht kann er ausüben. Eine Dachmarkenstrategie könnte helfen,die Marketing-Maßnahmen besser zu nutzen und Spill-Over-Effekte aufandere Künstler zu generieren.

FACHINFO

AUTOREN

Dr. Michel Clementist Habilitand amInstitut für Innova-tionsforschung derC h r i s t i a n - A l -brechts-Universitätzu Kiel und be-schäftigt sich mit

Medienmanagement. Zuvor war erdrei Jahre im Bertelsmann-Konzernin verschiedenen Managementposi-tionen tätig.

Dr. Jan U. Beckerist Mitarbeiter amInstitut für Innova-tionsforschung derC h r i s t i a n - A l -brechts-Universitätzu Kiel und be-schäftigt sich mit

Peer-to-Peer-Netzwerken. Zudem ister als Berater in der Medienindustrietätig.Kontakt: www.bwl.uni-kiel.de/In-novation-Marketing/

sind Einzelmarken, die von den Labelskreiert wurden. Kritisch ist hierbei je-doch anzumerken, dass die Wiederer-kennung dieser CDs, wie auch derMarkierung eines Labels kaum mög-lich ist, denn die Cover unterscheidensich jedes Mal von Neuem, so dasskein einheitliches Markenbild ensteht.Hierbei sollten die Medienprofis malbei den Markenprofis von Beiersdorfoder Procter und Gamble über dieSchulter schauen. Bisher ist zumindestkein zielorientiertes Verfolgen einerDachmarkenstrategie im Medienbe-reich zu erkennen, was sich darin ma-nifestiert, dass Konsumenten vonMusik oder Filmen nur sehr selten wis-sen, welches Label bzw. Studio dahin-ter steckt.Die Marke ist fast immer der Autor(z.B. John Grisham), der Musiker(Kylie Minogue oder Robbie Wil-liams) oder der Film beziehungsweiseder Filmschaffende ("Herr der Ringe"oder der "neue Spielberg-Film"). Ge-nau hier liegt das Problem dieser Mar-kenstrategie, denn Top-Autoren, Film-stars, Regisseure oder Musikstars sindin der Lage, ihren Markenwert über ih-re Gagen abzuschöpfen. Je stärker der

Markenkern aber auf den Künstler zu-geschnitten ist, desto mehr Macht kanner bei den Vertragsverhandlungen aus-üben. Im schlimmsten Fall könnenStars wie Robbie Williams ihren Mar-kenwert über die Gage (EMI zahlt demKünstler ca. 120 Millionen Euro fürvier Alben) vollständig monetarisie-ren. Dabei werden Stars wie RobbieWilliams erst mit hohen Investitionenvon ihren Labels zu Stars gemacht.Denn die Medienhäuser investierenviel Geld in den Aufbau von unbe-kannten Künstlern, die im Erfolgsfalldann die Hand aufhalten können, weilsie über einen Markenkern verfügen,der sich nicht ohne weiteres auf ande-re Künstler, Autoren etc. ausweitenlässt, die das Medienhaus unterVertrag hat. Vorteile einer Dachmarkenstrategieim MedienbereichDas systematische Aufbauen einerDachmarke im Musik-, Film- undBuchbereich, unter der dann die ein-zelnen Künstler als Submarken beste-hen, erleichtert das Marketing immens.Klar wiedererkennbare Markeninhalte,wie zum Beispiel ähnlich anmutendeCover, können positive Ausstrahlungs-

effekte realisieren. So ähneln sich dieCover von den Büchern Mankells, so-fern Kommissar Wallander der Heldist, jedoch werden die Bücher von ihm,die nichts mit Wallander zu tun haben,anders markiert – und der Kunde er-kennt es im Zweifel nicht wieder. Die Vorteile einer Dachmarkenstra-tegie bei Medien lassen sich wie folgtzusammenfassen:

1.Bessere Budgetierung. Bei knapp80.000 neuen Büchern oder 15.000neuen Musik CDs pro Jahr, die inDeutschland erscheinen, können nursehr wenige stark beworben werden.Die Werbung macht dann denKünstler zum Star - und zur Marke.Allerdings werden so keine über-greifenden Effekte auf die weiterenunter Vertrag stehenden Künstler er-zielt. Mit einer Dachmarkenstrategiewären allerdings die Kreuzeffekteauf die anderen, weniger stark be-worbenen Medien stärker.

2.Leichtere Positionierung unbekann-ter Autoren/Künstler. Insbesonderedie Unsicherheit vor dem Konsumvon Büchern ließe sich reduzieren.Medienprodukte sind Erfahrungs-güter, deren Nutzen man erst nachdem Konsum bewerten kann. Diesgilt insbesondere bei unbekanntenKünstlern. Marken können jedochdabei helfen, die Unsicherheit zu re-duzieren.

3.Bessere Verhandlungsposition denKünstlern gegenüber. Der einzelneKünstler ist nur noch Teil der Mar-kenstrategie – ohne jedoch den zen-tralen Markenkern darzustellen. Da-mit reduziert sich seine Verhand-lungsmacht gegenüber dem Label,denn sein Markenimage ist von demder Dachmarke nicht mehr unabhän-gig. Dies erhöht auch die Starbin-dung an den Verlag, dem Label oderdem Studio.

4.Bessere Monetarisierung der gesam -ten Wertschöpfung. Durch eine neugestaltete brand ownership würdenEinnahmen aus Merchandising undmedienübergreifender Verwertungder Marke weitgehend der Medien-industrie zukommen. Im Gegensatzzum Künstler steht die Dachmarkenunmehr im Zentrum jeglicher

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Kylie MinogueRobbie Williams

etc.

Compilations

Label Brands

CorporateBrand

Artist Brands

Kylie MinogueRobbie Williams

etc.

Compilations

Label Brands

CorporateBrand

Artist Brands

Abbildung 1: Praxis der Markenstrategie in der Musikindustrie

Quelle: Clement/Becker

Wertschöpfungsaktivitäten.5.Effektivere Kommunikation. Top-

Stars werden in der heutigen Zeitüber mehrere Kanäle verwertet. Solassen sich Marken medienübergrei-fend positionieren. RTL liefert meh-rere gute Beispiele wie "Big Bro-ther" oder "Deutschland sucht denSuperstar", in der aus einer TV-Sen-dung Musikstars enstehen und mul-timedial verwertet werden. Der Er-folg der Sendung zeigt auch, dassDachmarken sehr gut geeignet sind,Synergien in den typischweise starkintegrierten Medienhäusern wie Ber-telsmann oder Time Warner zu er-zielen.

6.Erfolgsbeitrag auch von "one hitwonders". Das Markenimage wirdauch von kurzfristig erfolgreichenKünstlern gestützt, indem sie dieDachmarke erfolgreich machen.

Risiken einer Dachmarkenstrategieim MedienbereichNatürlich birgt die Dachmarkenstra-tegie auch Risiken. So pausiert RTLregelmäßig Big Brother oder DSDS,weil die Marken sonst verwässern. DasMarkenmanagement ist dann erfolg-los, wenn folgende Risiken ausserAcht gelassen werden:

1.Zu heterogene Zusammensetzungdes Repertoirs. Das Markenimagemuss bestimmbar sein. So macht eskeinen Sinn, zum Beispiel im Mu-sikmarkt eine umfassende Jazzdach-marke zu gründen. Es macht aber

Sinn, innerhalb eines eng abgegrenz-ten Musikbereiches (z.B. CafeHouse Music) ein klar positioniertesLabel zu etablieren.

2.Verwässerung eines berühmtenKünstlerimages. Freilich kann manmit dem Image von U2 versuchen,eine Rock-Dachmarke im Markt zuplatzieren. Jedoch ist dies nicht ohneRisiko, denn floppt die Marke, bleibtdas Image von U2 nicht unbescha-det.

3.Sehr hohes Floprisiko: Das Buch-,Musik und Filmgeschäft haben ge-meinsam, dass sie eine sehr hoheMisserfolgsrate haben. So gleichensich die Risiken dem von VentureCapital Gesellschaften, bei denenganz wenige Erfolge die vielenMisserfolge mit refinanzieren müs-sen. Wenn nun ein erfolgreicherKünstler innerhalb einer Dachmar-ke von den Misserfolgen seinerMitstreiter überdeckt wird, dannkann der Erfolgsbringer nicht mehrso schnell repositioniert werden.

FazitEs zeigt sich, dass für Content-Anbie-ter und -verwerter wie beispielsweiseBertelsmann große Potenziale beste-hen. Allerdings gelten die oben ge-nannten Vorteile einer Dachmarken-strategie nicht nur für integrierte Me-dienunternehmen, die ein Produktüber weite Strecken der Verwertungs-kette begleiten können. Insbesonderekleinere Musikproduktionsunterneh-men können Nischen besetzen, in de-

nen die Produktion die Marke darstelltund dies nach Außen kommuniziertwird. Dies ist in bestimmten Genreswie der klassischen Musik oder Jazzohne weiteres möglich. Hier kann einLabel sein Markenpotenzial dadurchausschöpfen, indem es über verschie-dene Künstler hinweg ein einheitli-ches Branding verwendet und kom-muniziert. Eine andere Form der Vermarktungunter der Dachmarke eines Labelsoder einer Produktion ist ansatzweiseim Genre Hiphop zu beobachten. Dortzeigt das Beispiel der Produktions-firma 3p, die bekannte Künstler wieXavier Naidoo oder Sabrina Setlurherausgebracht hat, sowohl die Gefahrdes bisherigen Vorgehens als auch dasPotential einer starken Marke. Als sol-che steht die Produktionsfirma gegen-über dem Konsumenten als Gatekee-per für Qualität, was sich auch daranverdeutlicht, dass sie erfolgreich dieStrategie verfolgen, die bekannten un-ter Vertrag stehenden Künstler für diePromotion neuer Künstler zu verwen-den. So wirkt sich die starke Einbin-dung sämtlicher Künstler in die Akti-vitäten der Produktion positiv auf dieMarke 3p aus. Die Problematik, dieentsteht, wenn ein Künstler populärerals die dahinter stehende Produktionwird, zeigte sich am Beispiel von Xa-vier Naidoo, der sich von 3p trennteund mittlerweile seine Songs selbstproduziert - das investierte Kapital indie Markenbildung kommt nunmehreinzig dem Künstler zu Gute.

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