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Folker Reichert

Das Bild der Welt im Mittelalter

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp: / /dnb.d-nb.de abrufbar.

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Der Primus Verlag ist ein Imprint der WBG.

© 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Lektorat: Kristine Althöhn, MainzLayout, Satz und Prepress: schreiberVIS, BickenbachEinbandabbildung: TO-Karte mit den drei Kontinenten Asien, Afrika und Europa. Franz. Buchmalerei des 15. Jhs., aus: Barthelemy l’Anglais, Livre de la proprieté des choses. Paris, Bibliothèque Natio-nale, Ms. français 9140, fol. 226 v. Foto: akg-images.Einbandgestaltung: Peter Lohse, HeppenheimGedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem PapierPrinted in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.deISBN 978-3-534-25613-6

Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus VerlagUmschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M.Umschlagabbildung: Weltkarte mit den drei Kontinenten Asien, Afrika und Europa. Französische Buchmalerei (15. Jh.), aus: Barthelemy l’Anglais, Livre de la proprieté des choses; © akg-imagesISBN 978-3-86312-370-3www.primusverlag.de

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (pdf): 978-3-86312-940-8eBook (epub): 978-3-86312-941-5

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

I Das Erbe der Antike . . . . . . . . . . . . . 9

Isidor von Sevilla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Antike Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Antike Kartographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Schemakarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Symbolkartographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

II Die Mitte der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Imago mundi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Kosmos-Ei und Erd globus . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Christliche Kartographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Das Heilige Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Die Heilige Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

III Die Wunder der Welt . . . . . . . . . . . 43

Göttliche und natürliche Wunder . . . . . . . . . 43 Eine Karriere zwischen Universität und Kaiserhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Wunder allerorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Gervasius von Tilbury und die Ebstorfer Weltkarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Spirituelle Kartographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

IV Die Welt der Mongolen . . . . . . . 60

Dschingis Khans Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Spion des Papstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Ein Spiegel des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Wilhelm von Rubruk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

V Die chinesische Welt . . . . . . . . . . . . 78

Reisen zum Großkhan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Begegnungen mit China . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Moralisierte Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Schöner Frauen kleine Füße . . . . . . . . . . . . . . 91

Inhalt VI Die Vermessung der Welt . . . . 95

Was der Augenschein lehrt . . . . . . . . . . . . . . . 95

Ans Ziel kommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

Inselwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Wie modern war die ptolemäische Geographie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Henricus Martellus Germanus alias Arrigho di Federigho Martello . . . . . . . 111

VII Die Erfahrung der Welt . . . . . . . . 114

Vom Niederrhein in die Welt . . . . . . . . . . . . . . 114

Roma caput mundi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Der Sinai, Tor zu einer weiteren Welt . . . . . 118

Vom Thomasgrab in Indien zu den Quellen des Nils . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Ferne Mitte Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Am Ende der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Heimkehr und Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . 127

VIII Neue Welten in Übersee . . . . . . 130

Vom Bauernjungen zum Professor . . . . . . . . 130 Typus Cosmographicus Universalis . . . . . . . 133 Unbekanntes Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Christen und Gewürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Neue Welt Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Cosmographia, das ist: Beschreibung der gantzen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Gesüdete Weltkarte des Fra Mauro, um 1459 .

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ieses Buch hat viel mit alten Karten zu tun, ist aber keine Geschichte der Kartographie, auch nicht ein Ausschnitt aus einer solchen. Vielmehr handelt es davon, welche Vor-

stellungen sich das Mittelalter von der irdischen Welt machte und wie es mit ihnen um-ging, um das Wirken Gottes zu begreifen. Gott in der Welt ist also weithin sein Thema, nur eben beschränkt auf die Welt des Menschen in seiner räumlichen und zeitlichen Existenz. Das eine ließ sich vom anderen schon deshalb nicht trennen, weil Geschichte als Heils-geschichte, als planmäßiges Handeln Gottes auf Erden, aufgefasst wurde. Mittelalterliche Karten geben davon den anschaulichsten, sinnfälligsten und komplettesten Eindruck. Deshalb ist hier so oft von ihnen die Rede. Sie geben auf einen Blick wieder, welches Bild man sich von der Schöpfung und deren alles durchwaltendem Sinn machen konnte. Die kartographiehistorische Forschung hat lange gebraucht, die Eigenart mittelalterlicher Karten adäquat zu verstehen. Die allgemein übliche Vorstellung vom kontinuierlichen Fortschritt der Wissenschaften ließ sie als unvollkommene Machwerke erscheinen, als im Ansatz verfehlt und in der Ausführung misslungen. Erst die gründliche Entschlüsselung der auf ihnen versammelten Bilder und Zeichen, der kartographischen Symbole und Le-genden, hat gezeigt, dass die Kartenmacher des Mittelalters andere Ziele als die modernen Kartographen verfolgten und ihre Erzeugnisse deshalb anders interpretiert werden müs-sen. Kein exakt vermessenes Abbild, sondern ein in allen Bestandteilen bedeutungsvolles Bild wollten die meisten vermitteln.

Das deutsche Wort „Weltbild“ machte im 19. Jahrhundert Karriere, wurde aber immer öf-ter mit Kants Neuschöpfung „Weltanschauung“ gleichgesetzt und teilte deren ambitiösen Gehalt. In andere Sprachen lässt es sich kaum übersetzen. Dabei reicht seine überliefer-te Geschichte viel weiter, nämlich bis ins Althochdeutsche, zurück. Notker der Deutsche (Notker Labeo), Mönch in St. Gallen, übersetzte mit uuérlt-pílde die lateinische Verbin-dung imago mundi, sah die Vielfalt der Schöpfung darin begriffen und unterschied – ganz platonisch – zwischen einem Urbild (idea mundi), dem göttlichen Plan, und dessen Abbild (imago mundi), der sichtbaren Welt.1 Vom Ursprung des Wortes her ist also „Weltbild“ eine Weltvorstellung, die anschaulich geworden ist. Spätere Autoren nahmen es schlichter und trugen zusammen, was sie von der Welt wussten. Denn ein Bild von ihr zu entwerfen, setz-te umfassendes Wissen voraus. Dieses konnte auf einer Weltkarte so gut wie in Form eines enzyklopädischen Texts präsentiert werden. Beide Darstellungsweisen hängen eng mitei-nander zusammen, auch wenn sie unterschiedliche Vorzüge besitzen. Beide kompilieren Informationen, ordnen verfügbares Wissen und streben eine abgerundete Darstellung an, freilich mit grundverschiedenen Mitteln. Man kann Karten als visuelle Enzyklopädien be-zeichnen und in enzyklopädischen Texten Bilder der Welt vorfinden. In beidem spiegelt

Einleitung

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sich Wissen, und durch beides wird Wissen vermittelt. Kommen sie zusammen zum Ein-satz, etwa in der handschriftlichen Überlieferung antiker oder mittelalterlicher Schriften, können sie sich gegenseitig illustrieren oder einander ergänzen. Nach dem Wechselspiel von Kartenbild und Enzyklopädie wird in allen Kapiteln zu fragen sein.

Weltbilder können sich ändern, und es gibt sogar Zeiten, in denen der Wandel beschleu-nigt erscheint. Vor allem Reisen und die damit verbundenen Einsichten nehmen darauf Einfluss. Neue, zumal geographische Kenntnisse stehen zur Verfügung, der Horizont kann sich weiten, der Transfer kultureller Praktiken wirkt sich aus. Dennoch werden sich Welt-bilder nie vollständig ändern. Denn ihr Fundament besteht im Wissen der Bücher, tra-diert über Generationen. Neuigkeiten, die auf den Erfahrungen von Reisenden beruhen, werden mit überkommenen Gewissheiten verglichen und müssen sich gegen die gelehr-te oder volkstümliche Überlieferung behaupten. Das kann sich hinziehen. Auch können alte Weltbilder neben neuen weiter bestehen. Gesichertes Buchwissen ist unreflektier-tem Reisewissen oft überlegen, Empirie nicht an sich schon im Vorteil. Das hat Sebastian Münster richtig gesehen, als er den weltkundigen Gelehrten vom reisenden Grobian un-terschied.2 In der Geschichte der Weltbilder steckt immer auch eine Geschichte des Rei-sens und seines Korrektivs, einer Existenz mit den Büchern.

1 Notker der Deutsche von St. Gallen, Die Hochzeit der Philologie und des Merkur. De nuptiis Philologiae et Mercurii von Martianus Capella, hg. von Evelyn Scherabon Firchow, Hildesheim 1999, Bd. 1, S. 60.

2 Sebastian Münster, Cosmographia, Basel 1544 [u. ö.], Vorrede.

Isidor von Sevilla 9

hne Mittelalter keine Antike. Auch umgekehrt könnte man argumentieren. Denn was wäre das Mittelalter ohne das historische, literarische und naturkundliche Wissen der

Antike, was wäre die karolingische Dichtung ohne ihre klassischen Vorbilder, das staufi-sche Kaisertum ohne das römische Recht, die scholastische Philosophie ohne Aristoteles und Platon? Doch gerade wegen seiner überragenden Bedeutung wurde das Erbe der An-tike während des ganzen Mittelalters geschätzt und gepflegt. Zahllose, meist anonyme Ko-pisten machten sich um den Wortlaut der Texte verdient, und nicht weniger machten sich jene Autoren verdient, die das Wissen der Antike zusammentrugen, kürzten, ergänzten oder kommentierten und es auf diese Weise für ihre Mit- und Nachwelt bewahrten. Von allen der erfolgreichste war Isidor von Sevilla.

Isidor von Sevilla

Isidor von Sevilla wurde wahrscheinlich um 560 in der ehemaligen römischen Provinz Baetica in Hispalis (Sevilla) geboren. Die Eltern stammten aus Carthago Nova (Cartage-na) in der Nachbarprovinz Carthaginiensis, mussten aber von dort emigrieren. In beiden Provinzen verfügten sie über Vermögen. Die Familie gehörte zur hispano-romanischen Oberschicht, die nach dem Untergang des Imperium Romanum bestrebt sein musste, auch unter schwierigen und oft wechselnden politischen Bedingungen ihren Rang und Einfluss zu bewahren. Nach dem frühen Tod der Eltern sorgte der älteste Sohn, Leander, für die Erziehung und Ausbildung seiner drei Geschwister. Alle schlugen eine geistliche Laufbahn ein. Jeder der drei Söhne erlangte ein Bischofsamt. Die einzige Tochter, Flo-rentina, leitete einen Nonnenkonvent, den (möglicherweise) ihre Mutter gegründet hatte. Man kann von einer geistlichen Dynastie sprechen.

Man weiß zwar nicht, wie und worin der junge Isidor unterrichtet wurde, ob er die Ka-thedralschule besuchte oder ob er häuslichen Privatunterricht genoss und welche Bücher zu seiner Schullektüre gehörten; aber die Belesenheit, die er später als Autor an den Tag legte, lässt darauf schließen, dass er schon als Schüler nicht nur mit der Heiligen Schrift, sondern auch mit der antiken literarischen Tradition vertraut gemacht wurde. Als er schließlich nach dem Tod Leanders (599 /600) seinem Bruder als Bischof von Sevilla und Metropolit der Kirchenprovinz nachfolgte, war es ihm ein Anliegen, die Schultradition

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aufrechtzuerhalten und das Bildungsniveau des Klerus zu heben. Er selbst scheint ein glänzender Prediger und engagierter Seelsorger gewesen zu sein. Zwei Provinzialkonzilien und vor allem dem Reichskonzil von Toledo 633 saß er vor, sein Einfluss auf deren Be-schlüsse war beträchtlich. Gleichzeitig unterhielt er enge Beziehungen zur Politik. Denn gerade zu seiner Zeit und in seinem Wirkungskreis waren politische und religiöse Fragen nicht exakt voneinander zu trennen.

Isidor lebte und wirkte in einem geographischen Raum, der von politischen, ethnischen und religiösen Spannungen geprägt war. Von Norden dehnte sich das junge Reich der Westgoten über die Pyrenäen hin aus. Dessen Mittelpunkt lag zunächst in Toulouse, dann in Narbonne und Barcelona, schließlich in Toledo im Zentrum der Iberischen Halbinsel. Der Schwerpunkt der königlichen Herrschaft verlagerte sich allmählich nach Süden. Doch ein Küstenstreifen, den Kaiser Justinian hatte besetzen lassen, um das Römische Reich zu erneuern, blieb für ein halbes Jahrhundert in byzantinischer Hand. Die hispanoromani-sche Oberschicht hatte es nicht leicht, sich zwischen den Fronten zu behaupten. Das Zah-lenverhältnis zwischen den gotischen Eroberern und der einheimischen Bevölkerung war extrem asymmetrisch. 100 000 Goten sollen über 9 Millionen Hispanoromanen geherrscht haben. Hinzu kam der religiöse Konflikt. Die Fremdherrschaft wurde als besonders be-drückend empfunden, weil die Goten sich zum arianischen Christentum bekannten und deshalb von der katholischen Bevölkerungsmehrheit als Ketzer betrachtet wurden.

Die Konfrontation war am heftigsten in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts und lös-te sich in der zweiten schrittweise auf. Zuerst kam es hier und da zu gemischten Ehen, schließlich wurde das bis dahin gültige Eheverbot aufgehoben. Die Rechte von Goten und Romanen näherten sich allmählich einander an. Weniger ein Verschmelzungs- als ein Romanisierungsprozess kam in Gang. Dessen Abschluss bildete die Konversion der Go-ten zum katholischen Bekenntnis. Ein erster Versuch, über die Taufe eines rebellischen Prinzen die konfessionelle Einheit zu erreichen, war noch am Widerstand des Vaters, Kö-nig Leovigilds, gescheitert. Leander, Isidors älterer Bruder, hatte sich beteiligt, indem er nach Konstantinopel reiste, um der Rebellion Rückendeckung zu verschaffen. Doch schon wenige Jahre später, sofort nach dem Thronwechsel, nahm der neue König Reccared eine religionspolitische Kehrtwende vor und trat zum katholischen Glauben über (587). Das anschließende Konzil in Toledo konnte triumphal die konfessionelle Einheit im Reich der Westgoten verkünden. Leander hatte die Beratungen geleitet und hielt die abschließende Predigt. Reccared wurde gar als neuer Konstantin gepriesen.

Anders als sein Bruder und Vorgänger musste sich Isidor nicht mit der arianischen Hä-resie befassen. Dieser Konflikt war bereits ausgestanden, als er zum Bischof und Metro-politen berufen wurde. Er sah seine Aufgabe vielmehr darin, die neu gewonnene Einheit zu festigen und deren Grundlagen zu präzisieren. Mindestens drei seiner Werke leisteten dazu charakteristische Beiträge:• Eine „Geschichte der Goten (Historia Gothorum) rühmt die Traditionen, aus denen das

gotische Volk hervorgegangen war, und beschreibt dessen Weg in die antike Zivilisation. Dem Werk steht ein „Lob Spaniens (Laus Spaniae) voran.

• „Zwanzig Bücher Etymologien (Etymologiarum libri XX) versammeln das gesamte Wissen der Antike und stellen dem Leser das kulturelle Fundament der neuen Gemeinschaft vor Augen.

• Die Schrift „Gegen die Juden über den katholischen Glauben (De fide catholica contra Iudaeos) bestärkt die konfessionelle Einheit, indem sie sie von einem Gegenüber, der jüdischen Minderheit, abgrenzt.

Antike Geographie 11

Isidors „Etymologien hatten also nicht einfach einen pädagogisch-schulischen Zweck, sondern waren hochpolitisch gemeint. Indem sie ein kulturelles Erbe vermittelten, soll-ten sie daran mitwirken, dem nunmehr katholischen Reich der Westgoten eine die beiden wichtigsten Bevölkerungsgruppen zusammenschließende Identität zu verschaffen und die Synthese von antiker Bildung, (katholisch-)christlichem Glauben und gotischer Herr-schaft zu befördern. Die Anregung dazu ging von König Sisebut aus, und Isidor widmete ihm eine erste Fassung. Denn beide hatten ein gemeinsames Interesse an dem Werk.

Dessen Abschluss erlebte keiner von beiden. Sisebut starb schon 621, Isidor 15 Jahre nach ihm. Das unfertige Werk musste ein Schüler und Freund ordnen und redigieren. Doch alle Weichen hatte der Verfasser gestellt. Erstens hatte er sein Werk als Enzyklopädie angelegt, also als umfassende Sammlung alles Wissenswerten, geordnet nach Themenbereichen und Sachverhalten, über die man nachdenken konnte, die zu beobachten waren oder von deren Existenz man überzeugt war. Zu diesem Zweck trug er alle ihm erreichbaren Bücher zusammen (schon das war in den Wirren seiner Zeit eine Leistung) und entnahm ihnen, was er für mitteilenswert hielt. Die Liste seiner Quellen und Vorlagen ist auch dann noch erstaunlich, wenn man unterstellt, dass er manches nur indirekt, anderes nur oberfläch-lich kannte. Zweitens gab er das, was er vorfand, nur in verkürzter Form wieder. Zum Bei-spiel die „Naturgeschichte (Naturalis historia) des älteren Plinius war viel umfangreicher als Isidors „Etymologien . Er benutzte sie eifrig, übernahm aber nur einen Bruchteil ihrer Informationen. Es ging ihm nicht um jedes Detail, sondern auf das Wesen der Dinge kam es ihm an. Dieses aber glaubte er – drittens – zuerst in deren Namen zu erkennen. Sein Griechisch war bescheiden. Aber er wusste, dass to étymon „das Wahre bedeutet und dass der tiefere Sinn einer Sache sich über ihren Namen erschließt – „denn jede Einsicht in eine Sache ist klarer, wenn man die Herkunft des Wortes erkannt hat .1 Deshalb nannte er sein Werk – nach einigem Schwanken – ein Buch der Etymologien.

Auf diese Weise entstand ein Text, der eine Brücke von der Antike zum Mittelalter schlug. Er handelt von Grammatik, Rhetorik und Musik, von Mathematik, Medizin und Recht, von Gott, der Kirche und den Engeln, von Menschen, Tieren und Steinen, von Landwirtschaft, Hausbau und Kriegen, nicht zuletzt von Geographie. Auf allen diesen Feldern wurde das Wissen der Vergangenheit für die Zukunft bewahrt.

Antike Geographie

Welches geographische Wissen konnte der Bischof von Sevilla kommenden Generationen vermitteln? Beschränkte es sich auf den Mittelmeerraum und das vergangene Imperium Romanum oder ging es darüber hinaus? Anders gefragt: Wie weit reichte der Horizont der Antike? Wo lagen die Grenzen der Welt für Griechen und Römer?

Das geographische Wissen der Antike wurde dauerhaft in drei großen Schüben vermehrt: zuerst durch die „Große griechische Kolonisation , die das Siedlungsgebiet der grie-chischen Stämme auf die Küsten Kleinasiens, des westlichen Mittelmeerraums und des Schwarzen Meers ausdehnte, dann durch die Feldzüge Alexanders des Großen bis nach Indien, schließlich durch die Expansion des Römischen Reichs in alle Himmelsrichtun-gen. Hinzu kamen die Unternehmungen Einzelner, die Unternehmungen von Kaufleu-ten, Abenteurern und Gesandten, die mit ihren spektakulären Berichten die Lücken des Wissens auffüllen konnten und deshalb stets Aufmerksamkeit fanden. Doch je weiter sie kamen, desto mehr verschwammen ihre Erzählungen ins Ungewisse oder wurden als auf-

I Das Erbe der Antike12

regende Nachrichten von weit entfernten, entweder idealen oder schrecklichen, Welten begriffen. Auf diese Weise waren die Weltkenntnisse der Antike ebenso ausgreifend wie umhegt und begrenzt.

Als äußerste westliche Grenze wurden die „Säulen des Herkules (d. i. die Meerenge von Gibraltar) betrachtet. Der Halbgott selbst soll sie aufgestellt haben, und nur ihm war es vergönnt, über sie hinaus auf den Atlantik zu fahren, um eine seiner mythischen Taten dort zu vollbringen. Den Menschen dagegen sollten sie die Grenze ihres Wagemuts an-zeigen. Noch in römischer Zeit fühlte man sich im Mittelmeer (dem mare nostrum), nicht aber auf dem Ozean zu Hause. Die Kanarischen Inseln galten als die „Glücklichen Inseln (Fortunatae insulae) und wurden nur von ganz wenigen aufgrund besonderer Umstände betreten. Ihre Entdeckung gelang auch nicht einem Römer, sondern einem Expeditions-korps des Königs Juba von Mauretanien. Doch gerade in der Abgeschiedenheit lag ihr pa radiesischer Reiz. Ein mildes Klima, sanfte Winde, mäßige Niederschläge und Über-fluss an allem sagte man ihnen nach. Bis zu den Barbaren habe sich der Glaube verbreitet, „dass dort das Elysische Gefilde und die Wohnung der Seligen liegen, die Homer besungen hat – so noch Plutarch im 2. Jahrhundert n. Chr.2

Wenn schon der atlantische Westen den Blicken der Römer entzogen blieb, so erst recht der äußerste Norden. Zwar hatte schon im 4. Jahrhundert v. Chr. Pytheas, ein griechischer Seefahrer aus Massalia (Marseille) die karthagischen Sperren bei Gibraltar umfahren und die nördlichen Meere erkundet. Er erzählte von Packeis, Nebelbänken und endlosem Dunkel, schließlich auch von einer fernen Insel, auf der Menschen von wilden Früch-ten, Wurzeln, Kräutern und etwas Viehzucht überleben konnten. Er nannte sie Thule, der Dichter Vergil fügte das Attribut ultima hinzu, und so war der Mythos von der „entfern-testen Insel Thule (ultima Thyle) geboren.3 Man versuchte, sie zu identifizieren, hielt sie aber für unzugänglich und gab sich gerne damit zufrieden. Schon Britannien, geschweige denn Skandinavien, zählten die Römer nicht zu Europa. Denn je rauer das Klima, desto wilder seien die Menschen. Man hatte eine Vorstellung von Ostsee und Nordsee; schließ-lich gab es auch Handelsverbindungen dorthin. Aber jenseits des Rheins verschwammen die Kenntnisse der Geographen. Tacitus rühmte zwar das einfache Leben der Germanen, um seiner römischen Umgebung ein Muster an unverdorbener Moral vor Augen zu hal-ten; aber er vergaß auch nicht darauf hinzuweisen, wie schaurig die Urwälder und Moore Germaniens seien. Er schloss daraus, dass die Germanen die Ureinwohner sein müssten; denn wer hätte „Asien oder Afrika oder Italien verlassen und Germanien ansteuern mö-gen, das so ungestaltet in seinen Landschaften, rau in seinem Wetter und unfreundlich in Anbau und Aussehen ist – es müsste denn sein Heimatland sein? 4 Aus freien Stücken gehe niemand dorthin. Rhein und Donau galten als äußerste Grenzen einer Zivilisation, die ihre Wurzeln am Mittelmeer hatte.

Einer ausgreifenden Kenntnis des Südens, also Afrikas, standen das Atlasgebirge und die Wüste Sahara im Wege. Sie bildeten eine Grenze des antiken Wissens. Nur den Nor-den kannte man gut. Die Provinzen Africa und Cyrenae gehörten bereits in republikani-scher Zeit zum Römischen Reich, Mauretania wenig später, und für die Kultur Ägyptens hatten sich schon die Griechen sehr interessiert. Herodot zeigte an ihrem Beispiel, was er sich unter einer ganz anderen, einer „verkehrten Welt vorstellte. Denn alles schien dort der griechischen entgegengesetzt. Gern hätte er auch gewusst, von wo die fruchtba-ren Fluten kamen, die alljährlich das Niltal überschwemmten. Wie viele andere stellte er sich die Frage nach den Quellen des Stroms, und wie viele andere tappte er im Dunkeln. Auch eine römische Expedition, von Kaiser Nero im Jahr 61 n. Chr. befohlen, kam nicht

Antike Geographie 13

an ihr Ziel. Seitdem gingen die Meinungen vollends auseinander. Die einen nahmen an, dass der Nil in Westafrika entspringe und von dort – zum Teil unterirdisch – nach Ägyp-ten abfließe. Die anderen vermuteten den Ursprung des Stroms weit im Süden, in zwei Seen bei den sogenannten Mondbergen. Doch das alles war pure Spekulation. Das Land der „Schwarzen , der Äthiopen, blieb das, was es schon für Homer war, nämlich das Land der „äußersten Menschen . Niemand hatte eine Vorstellung, wie weit der Kontinent nach Süden reichte. Die Expedition des Karthagers Hanno entlang der westafrikanischen Küste (um 525 v. Chr.) wird immerhin noch von Plinius erwähnt. Eine andere, frühere, die um den ganzen Kontinent herumgeführt haben soll, kannten nur Herodot und nach ihm auch Strabo, aber keiner der lateinischen Schriftsteller. Sie war fast völlig in Vergessenheit ge-raten.

Weiter reichte die Kenntnis des Ostens. Das hängt mit den vielfältigen und immer beson-deren Beziehungen zusammen, die das werdende Europa mit Asien unterhielt. Oft lagen die Reiche des Ostens mit denen des Westens im Krieg miteinander. Die Griechen wehr-ten sich gegen die Ansprüche der persischen Großkönige und ergriffen schließlich selbst die Initiative. Auch als Söldner wurden sie interessant. Daraus ergaben sich geographi-sche Kenntnisse, wie sie etwa Xenophon vermittelte, als er den Zug der „Zehntausend von Mesopotamien zum Schwarzen Meer beschrieb. Alexander den Großen (den man auch den Maßlosen nennen könnte) zog es über Persien hinaus nach Indien, wo er mit Klein-königen am Oberlauf des Indus in Kontakt und Konflikt geriet. Einige seiner Gefolgsleute beschrieben seine und ihre Taten. Die Römer traten insofern ein weiteres Erbe der Grie-chen an, als auch sie mit Asien Krieg führten und zuerst mit den Parthern in Iran, dann mit deren Nachfolgern, den Sassaniden, fast unentwegt im Streit lagen.

Doch da man nicht immer Krieg führen kann, blieb auch Raum für friedliche Kontakte. Ein gewisser Skylax von Karyanda fuhr im Auftrag des persischen Großkönigs die südasi-atische Küste entlang (512 /509), der Arzt Ktesias aus Knidos in Kleinasien lebte 17 Jahre am Hof in Persepolis (405 – 388), und Megasthenes, von dem wir sonst nicht viel wissen, wurde als seleukidischer Gesandter an den Hof des Maurya-Kaisers Chandragupta in Pa-taliputra (Patna) am Ganges geschickt (um 302 v. Chr.). Alle drei hörten und erzählten von seltsamen Menschenrassen, die in Indien ihr Wesen oder Unwesen trieben: Kynokephale (Hundsköpfige), die einen Hundekopf auf einem menschlichen Körper trugen; Akephale (Kopflose) oder Blemmyer, die gar keinen Kopf besaßen, sondern Mund, Nase, Augen auf der Brust hatten; Skiapoden oder Monopoden, die sich selbst mit ihrem einen großen Fuß Schatten spenden und auf diesem auch noch besonders schnell laufen konnten; Pygmäen, die immerwährend gegen Kraniche kämpften; mundlose Astomen, die sich vom Geruch von Wurzeln, Blüten oder Äpfeln ernährten; Makrobier, die 120 Jahre, andere, die nur acht Jahre alt wurden, deren Frauen aber schon im Alter von fünf Jahren gebärfähig waren; Opisthodaktylen (Rückwärtsfüßler), Struthopoden (Straußenfüßler), Panotier (Großoh-rige), Ichthyophagen (Rohfischesser), Großlippler, Nasenlose, Giganten, Zyklopen und andere mehr. Sie wurden später als „Wundervölker (homines monstruosi) bezeichnet und sollten in der mittelalterlichen Literatur und Kosmographie eine bemerkenswerte Karri-ere erleben.

Über Indien hinaus reisten nur die Kaufleute. Zwar wurde im Jahr 166 n. Chr. am chinesi-schen Kaiserhof in Luoyang eine Gruppe von Besuchern registriert, die sich als Gesandte des römischen Kaisers Mark Aurel ausgaben. Aber wahrscheinlich handelte es sich um Kaufleute, die sich davon eine bessere Behandlung und wohl auch bessere Geschäfte ver-sprachen. Etwas früher, wohl um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert kamen Agenten ei-

I Das Erbe der Antike14

nes gräko-syrischen Geschäftsmanns Maës Titianos ins östliche Turkestan und erfuhren dort einiges über die Handelsrouten, die ins Innere Chinas führten. Sie erkundeten also die zentralasiatischen Verkehrswege, während ihre Nachfolger ein halbes Jahrhundert später über die sogenannte maritime Seidenstraße, auf dem Seeweg über Südostasien, nach China gelangten. Immer ging es um die chinesische Seide als wertvollstem Handelsgut, und die Leute, die sie herstellten (oder verkauften), nannte man Serer („Seidenleute ). Zahlrei-che römische Autoren befassten sich mit ihnen, hatten also einen vagen Begriff von China und den Chinesen. Nur in der griechischen Tradition sprach man auch (und zutreffender) vom Land Thin und den Sinern, die es bewohnten.

Aus all dem ergab sich ein Bild: Asien galt bei Griechen und Römern als der mit Abstand größte und bevölkerungsreichste Kontinent. Mehrere Großreiche gehörten zu ihm, und noch von fernen Inseln wie Taprobane (Ceylon, Ðri Lanka), Chrysé (Goldinsel) oder Ar-gyre (Silberinsel) wurden großartige Dinge erzählt. Asien galt in vielem als überlegen, überlegen durch sein warmes, feuchtes Klima und die davon herrührende Fruchtbarkeit, überlegen durch Reichtum und Luxus. Plinius beklagte den andauernden Abfluss von Edelmetall durch den Handel mit Seide und warnte vor den langfristigen Folgen. Man konnte sich damit trösten, dass Reichtum die Menschen verdirbt. Orientalen galten des-halb als weich, dekadent und effeminiert, als schwach, feige und dem Wohlleben ergeben. Doch je größer die Entfernung, umso idealer schienen die Welten. Das galt schon für die „barbarischen Skythen, also die Völker jenseits des Schwarzen Meeres, des Tanais (Don) und der Mäotischen Sümpfe (Asowsches Meer), deren Lebensweise man für frugal und vorbildlich hielt. Das galt erst recht für die Serer, denen Langlebigkeit, Gerechtigkeit und moralische Integrität nachgesagt wurden. Eine Art Serer-Mythos war in Umlauf. Doch die meiste Bewunderung wurde Indien und den Indern entgegengebracht. Man hörte von der Weisheit der Brahmanen und Gymnosophisten, hielt sich den Reichtum des Landes an Edelsteinen, Gewürzen und Duftstoffen vor Augen, staunte über indische Witwen, die sich (angeblich) freiwillig verbrannten, und erfreute sich an den Kapriolen, die die Natur dort schlug. Auch von den „Wundervölkern wurde immer wieder Neues und Faszinierendes erzählt. Indien blieb im Weltbild der Europäer eine „verzauberte Welt , deren Schätze als „das Köstlichste galten, „was es auf Erden gibt .5

Antike Kartographie

Ohne Mittelalter keine Antike. Das gilt grosso modo auch für die Kartographie. Denn aus der Zeit vor 500 n. Chr. sind fast keine Karten im Original erhalten geblieben, und bei den wenigen, die es gibt, handelt es sich um rohe Skizzen oder topographische Ansich-ten von begrenzter Reichweite. Dass es viel mehr und auch weiträumigere gegeben haben muss, wissen wir aus Andeutungen, Hinweisen, praktischen Anleitungen und gelehrten Diskussionen. Karten wurden im Katasterwesen, für die Kriegführung, auf Reisen und zu didaktischen Zwecken gebraucht. Sogar Globen sind textlich wie bildlich bezeugt. Doch nur der Tätigkeit mittelalterlicher Kopisten verdanken wir einen anschaulichen Eindruck von der kartographischen Expertise der alten Griechen und Römer. Es genügt, auf die drei bekanntesten und wichtigsten Beispiele einzugehen.

Klaudios Ptolemaios (Claudius Ptolemäus, um 100 – um 170 n. Chr.) lebte und wirkte in Alexandria, dem bedeutendsten Zentrum hellenistischer Gelehrsamkeit. Das zum Königs-hof gehörende Museion mit seiner berühmten Bibliothek bestimmte den Ruf der Stadt. Namen wie die des Dichters Kallimachos, des Geographen Eratosthenes, der Philologen

Antike Kartographie 15

Aristophanes von Byzantion und Aristarchos von Samothrake bezeichnen die intellektuel-le Tradition, in die sich Ptolemäus mit seinen Forschungen einreihte. Sie galten zunächst dem Kosmos und den Gestirnen (Mathematiké sýntaxis, der sogenannte Almagest, ferner der Tetrábiblos, ein Handbuch der Astrologie), wandten sich dann den irdischen Dingen zu (Schriften zu Mathematik, Harmonielehre und Optik) und nahmen schließlich die Erde im Ganzen in den Blick: Sein letztes Werk, die Geographiké hyphégesis, wörtlich: „Einfüh-rung in die Geographie (kurz: Geographia), setzt sich mit dem Werk eines Vorgängers, Marinos von Tyros, auseinander, gibt eine Anleitung zum Zeichnen von Welt- und Re-gionalkarten und bespricht die Möglichkeiten, den dreidimensionalen geographischen Raum auf eine zweidimensionale Fläche zu projizieren. Den anschließenden Hauptteil füllen endlose Listen mit geographischen Namen, etwa 8100 an der Zahl, Namen von Or-ten, Flüssen und Bergen, alle mit genauen Daten zu ihrer Lokalisierung auf Längen- und Breitengraden versehen. Mit ihnen ließen sich Karten zeichnen, die den Anspruch erho-ben, die Welt genau so wiederzugeben, wie sie in Wirklichkeit aussah. Wann das geschah, ob Ptolemäus selbst solche Karten zeichnete oder zeichnen ließ, ob sie bald nach ihm oder viel später entstanden, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die heutige Forschung nimmt an, dass eine Weltkarte und eine größere Anzahl von Regionalkarten von Anfang an zu dem Werk gehörten. Die ältesten erhaltenen Exemplare stammen allerdings aus dem späten 13. Jahrhundert, als in Byzanz das Interesse an Ptolemäus neu erweckt wurde. Der lateinische Westen bekam die ersten Ptolemäuskarten mehr als ein Jahrhundert später zu Gesicht. Zu ihren Stärken gehörte die mathematische Genauigkeit, mit der sie die Welt

1Griechische Weltkarte nach Ptolemäus,

14. Jh. (London, British Library, Additional MS 19391, fol. 17v – 18r).