Das Eisenbahnnetz -...

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30 Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Verkehr und Kommunikation Das Eisenbahnnetz Konrad Schliephake Körperschaften, für dem öffentlichen Verkehr dienende Eisenbahnen, „die sich nach Ausdehnung, Anlage und Einrichtung der Bedeutung der Neben- bahnen nähern“, lediglich eine Konzes- sion durch den Regierungspräsidenten und nicht durch das Verkehrsministeri- um. Die separat ausgewiesenen Bahnen blieben in vielen Übersichten verges- sen, erst nach 1945 wurden sie zum ein- heitlichen Bahnnetz nach Eisenbahn- Betriebsordnung gezählt. Ein weiteres – hier nicht berücksichtigtes – Netz bil- den die Straßenbahnen. Abbildung 1 zeigt die typologische Vielfalt der Eisen- bahnen im engeren und weiteren Sinn in den Jahren der höchsten Blüte 1910 und 1920. Zur Zeit der größten Ausdehnung des Netzes dürfte es 1917 auf dem Gebiet Das Eisenbahnzeitalter 1871- 1920 Mit dem preußischen Primat, der Reichseinigung 1871 und der Durchset- zung des Staatsbahngedankens gewann der Ausbau endgültig an Dynamik. Bau und Betrieb wurden überwiegend von den Staaten Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklen- burg-Schwerin, Oldenburg sowie dem Reichsland Elsass-Lothringen getragen. Das Netz vergrößerte sich um 73% von 19.575 km plus 766 km in Elsass-Loth- ringen 1870 auf 33.838 km im Jahr 1880. Als besonders förderlich erwiesen sich die „Bahnordnung für Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung“ von 1887 bzw. das Preußische Kleinbahngesetz von 1892. Danach benötigten lokale In- teressenten, d.h. private oder regionale Deutschlands in den Grenzen von 1937 etwa 68.000 km Schienenstrecke (ohne Straßenbahn) gegeben haben, davon 79,5% in staatlicher Hand und 11% als Schmalspurbahnen. Weitere ca. 8500 km lagen in den von den Nachbarstaa- ten Polen, Frankreich, Belgien und Dä- nemark gewonnenen Gebieten. Bis Anfang der 1930er Jahre blieb die Eisenbahn Transportmonopolist und für die Betreiber höchst ertragreich. Von den Gesamteinnahmen der deutschen Länder im Jahr 1911 stammten 50% aus Steuereinnahmen, 36% oder 708 Mio. Mark jedoch aus den Nettoerträgen der Staatsbahnen. Auch das Deutsche Reich profitierte und vereinnahmte die Überschüsse aus dem Post- und Telegra- phenwesen in Höhe von 88 Mio. Mark und aus der Reichs-Eisenbahn- R * Gebietsstand 1937 Deutsche Bahn AG Privatbahnen (einschl. Kleinbahnen) Deutsche Reichsbahn (DDR) Deutsche Bundesbahn Lnderbahnen / Deutsche Reichsbahn davon elektrifiziert (inkl. Privatbahnen) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 1900* 1910* 1920* 1930* 1938* 1950 1960 1970 1980 1990 1998 Tsd. km Jahr ' Institut für Lnderkunde, Leipzig 2000 Lnge des Eisenbahnnetzes 1900 - 1998 Als fränkische Unternehmer am 12.07.1835 die erste deutsche Eisen- bahn zwischen Nürnberg und Fürth in Betrieb nahmen, gab es weltweit bereits 2400 Streckenkilometer. Der Aufbau des schon 1833 von Friedrich List 2 konzipierten 4290 km langen deutschen Grundnetzes in Normalspur (1435 mm), von Zeitgenossen als Phantasterei abge- tan, ging nur langsam voran. Zu konträr waren die partikularistischen Interessen der deutschen Staaten, von denen Ba- den zu Beginn sogar für Breitspur (1,6 m, 1840-1854) votierte. So gab es bis 1840 erst 549 km, allerdings 1850 schon 5856 km und 1860 11.633 km Eisen- bahnschienen im damaligen Deutschen Bund. 1910 1920 Gesamtstreckenlnge 1910: 71 292 km 1920: 67 598 km alle Schienenbahnen 1910: 75 679 km 1920: 72 478 km Normalspur Schmalspur privat staatlich 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Haupt- bahnen Neben- bahnen Schmalspur- bahnen Klein- bahnen Straen- bahnen Tsd. km ' Institut für Lnderkunde, Leipzig 2000 Lnge der Schienenstrecken nach Bahntypen 1910 und 1920 Deutschland (jeweilige Gebiete) A B Friedrich Lists Konzept eines deutschen Fernbahnnetzes 1833 TEE 1957

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30Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Verkehr und Kommunikation

Das EisenbahnnetzKonrad Schliephake

Körperschaften, für dem öffentlichenVerkehr dienende Eisenbahnen, „diesich nach Ausdehnung, Anlage undEinrichtung der Bedeutung der Neben-bahnen nähern“, lediglich eine Konzes-sion durch den Regierungspräsidentenund nicht durch das Verkehrsministeri-um. Die separat ausgewiesenen Bahnenblieben in vielen Übersichten verges-sen, erst nach 1945 wurden sie zum ein-heitlichen Bahnnetz nach Eisenbahn-Betriebsordnung gezählt. Ein weiteres –hier nicht berücksichtigtes – Netz bil-den die Straßenbahnen. Abbildung 1zeigt die typologische Vielfalt der Eisen-bahnen im engeren und weiteren Sinnin den Jahren der höchsten Blüte 1910und 1920.

Zur Zeit der größten Ausdehnung desNetzes dürfte es 1917 auf dem Gebiet

Das Eisenbahnzeitalter 1871-1920Mit dem preußischen Primat, derReichseinigung 1871 und der Durchset-zung des Staatsbahngedankens gewannder Ausbau endgültig an Dynamik. Bauund Betrieb wurden überwiegend vonden Staaten Preußen, Bayern, Sachsen,Württemberg, Baden, Hessen, Mecklen-burg-Schwerin, Oldenburg sowie demReichsland Elsass-Lothringen getragen.Das Netz vergrößerte sich um 73% von19.575 km plus 766 km in Elsass-Loth-ringen 1870 auf 33.838 km im Jahr1880. Als besonders förderlich erwiesensich die „Bahnordnung für Eisenbahnenuntergeordneter Bedeutung“ von 1887bzw. das Preußische Kleinbahngesetzvon 1892. Danach benötigten lokale In-teressenten, d.h. private oder regionale

Deutschlands in den Grenzen von 1937etwa 68.000 km Schienenstrecke (ohneStraßenbahn) gegeben haben, davon79,5% in staatlicher Hand und 11% alsSchmalspurbahnen. Weitere ca. 8500km lagen in den von den Nachbarstaa-ten Polen, Frankreich, Belgien und Dä-nemark gewonnenen Gebieten.

Bis Anfang der 1930er Jahre blieb dieEisenbahn Transportmonopolist und fürdie Betreiber höchst ertragreich. Vonden Gesamteinnahmen der deutschenLänder im Jahr 1911 stammten 50% ausSteuereinnahmen, 36% oder 708 Mio.Mark jedoch aus den Nettoerträgen derStaatsbahnen. Auch das DeutscheReich profitierte und vereinnahmte dieÜberschüsse aus dem Post- und Telegra-phenwesen in Höhe von 88 Mio. Markund aus der Reichs-Eisenbahn- RRRRR

* Gebietsstand 1937

Deutsche Bahn AG

Privatbahnen(einschl. Kleinbahnen)

Deutsche Reichsbahn(DDR)

Deutsche BundesbahnLänderbahnen /Deutsche Reichsbahndavon elektrifiziert(inkl. Privatbahnen)

0

10

20

30

40

50

60

70

80

1900* 1910* 1920* 1930* 1938* 1950 1960 1970 1980 1990 1998

Tsd. km

Jahr© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000

Länge des Eisenbahnnetzes 1900-1998

Als fränkische Unternehmer am12.07.1835 die erste deutsche Eisen-bahn zwischen Nürnberg und Fürth inBetrieb nahmen, gab es weltweit bereits2400 Streckenkilometer. Der Aufbaudes schon 1833 von Friedrich List 2konzipierten 4290 km langen deutschenGrundnetzes in Normalspur (1435 mm),von Zeitgenossen als Phantasterei abge-tan, ging nur langsam voran. Zu konträrwaren die partikularistischen Interessender deutschen Staaten, von denen Ba-den zu Beginn sogar für Breitspur (1,6m, 1840-1854) votierte. So gab es bis1840 erst 549 km, allerdings 1850 schon5856 km und 1860 11.633 km Eisen-bahnschienen im damaligen DeutschenBund.

19101920Gesamtstreckenlänge

1910: 71292 km1920: 67598 km

alle Schienenbahnen1910: 75679 km1920: 72478 km

NormalspurSchmalspur

privatstaatlich

0

5

10

15

20

25

30

35

40

Haupt-bahnen

Neben-bahnen

Schmalspur-bahnen

Klein-bahnen

Straßen-bahnen

Tsd. km

© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000

Länge der Schienenstrecken nachBahntypen 1910 und 1920

Deutschland (jeweilige Gebiete)A

B

Friedrich Lists Konzept eines deutschen Fernbahnnetzes 1833

TEE 1957

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31Das Eisenbahnnetz

Oder

Main

Inn

Mosel

Werra

Elbe

Saale

Saale

Weser

Lausi tzer Neiße

Rhein

Rhein

Rhe in

DonauDonau

Weser

Elbe

Main

Fulda

Bodensee

Würzburg

Ansbach

FürthNürn-berg

Erlangen

PassauPassauPassau

Rosenheim

München

AugsburgNeu-Ulm

Freiburgi. Br.

MemmingenMemmingenMemmingen

Reutlingen

Tübingen

Stuttgart

Karlsruhe

Mannheim

Schweinfurt

Chemnitz

Dresden

Halleee/S.

Dessau

Magdeburg

BrandenburgBrandenburgBrandenburg

Potsdam

Berlin

Flensburururg

Hamburg

HH-Harburg

Kiel

Neumünster

Lübeck

Lüneburg

Schwerin

Rostock

Stral-sund

Greifs-wald

Neubrandeeenburg

Frankfurt/OderFrankfurt/OderFrankfurt/OderBraunschweig

Leipzig

Cottbus

JenaGera

Erfurt

ZwickauZwickauZwickau

PlauenPlauenPlauen

HofHofHof

BayreuthBayreuthBayreuth

CoburgCoburgCoburg

Weiden i.d.Oberpfalz

Regensburg

AmbergAmbergAmberg

Bamberg

Ingolstadt

StraubingStraubingStraubing

Landshut

KemptenKemptenKempten

UlmUlmUlm

WeingartenWeingartenWeingarten

KKKonsonsonstatatanznznz

Pforzheim

Heilbronn

HeidelbergKaisers-Kaisers-Kaisers-lauternlauternlauternSaar-Saar-Saar-

brückenbrückenbrücken

Trier

Mainz

Wiesbaden

Darm-stadt

Offen-bach

HanauFrankfurtFrankfurtFrankfurt

Koblenz

BonnBonnBonn

Aachen

KölnKölnKöln

Gießen

MarburgSiegen

Fulda

EssenEssenEssen Bochum

Dortmund

Duisburg

HagenHagenHagen

WuppertalWuppertalWuppertalDüssel-

dorfMönchen-gladbach

KrefeldKrefeldKrefeld

Paderborn

Bielefeld

Münster

Osna-brück

Hannover

Hildesheim

Kassel

GöttingenGöttingenGöttingen

Bremen

Bremerhaven

Oldenburg

WilhelmshavenWilhelmshavenWilhelmshaven

RavensburgRavensburgRavensburg

GörlitzGörlitzGörlitz

Bautzen

HoyerswerdaHoyerswerdaHoyerswerda

Ludwigshafen

© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000

Eisenbahnnetz 1999

Autor: K.Schliephake

Maßstab 1: 2750000

0 50 100 km7525

EisenbahnenDeutsche Bahn AG, private und Museumsbahnen

in Betriebseit 1970 stillgelegtseit 1970 reaktiviertStrecke für Hochgeschwindigkeitsverkehr (über 200 km/h)Strecke für Hochgeschwindigkeitsverkehr in BauAusbaustrecke für Hochgeschwindigkeitsverkehr(nach Bundesverkehrswegeplan 1992)

Oberzentrum

Städte, die gemeinsamein Oberzentrum bilden

StaatsgrenzeLändergrenze

Verdichtungsraum

C

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verwaltung einschl. Fahrkartensteuer inHöhe von 66 Mio. Mark für seinen or-dentlichen Haushalt.

Die Reichsbahn 1920-1945Der Übergang der Länderbahnen an dasReich zum 01.04.1920 war trotz Wider-stand der süddeutschen Staaten uner-lässlich. An der langen Liste der Bau-projekte, zu denen sich das Reich an-lässlich der Staatsverträge gegenüberden Ländern verpflichtete, lässt sich ab-lesen, dass zu jener Zeit die Schienen-bahn als alleiniges Transportmittel für

Güter und Personen angesehen wurde.Der Schwung der Vereinheitlichung,die allerdings die verbleibenden Privat-bahnen mit 21% des Netzes von insge-samt 67.913 km (1930) unberührt ließ,erlahmte mit der anhaltenden Wirt-schaftskrise und der Gründung derDeutschen Reichsbahn-Gesellschaft(DRG) im September 1924. Die DRGsollte die Reparationszahlungen an dieAlliierten des Ersten Weltkrieges garan-tieren und brachte von 1925 bis zurEinstellung der Zahlung 1932 5 Mrd.Mark auf, eine Belastung, die größereInvestitionen in die Strecken unmög-lich machte. Während im Netz derKlein- und Schmalspurbahnen ersteStilllegungen auftraten, betrafen Aus-baumaßnahmen Verbindungen in grenz-nahen Gebieten ebenso wie Stadtver-kehrslinien in den MillionenstädtenBerlin (seit 1930 elektrische S-Bahn)und Hamburg. 1937, im Jahr der Auflö-sung der DRG, umfasste das Eisenbahn-netz 68.093 km, davon 19% privat be-trieben und 10% Schmalspurstrecken.76% aller Güter im Lande wurden mitder Bahn befördert, 21% durch die Bin-nenschifffahrt und nur 3% mit demLkw. Kein bewohnter Ort war mehr als18 km von der nächsten Bahnstationentfernt. Die Reichsbahn mit ihren773.000 Beschäftigten galt als weltweitgrößter Eisenbahnbetrieb und größtesUnternehmen Deutschlands, das allein9% der deutschen Kohlenförderung ver-brauchte.

Das Dritte Reich setzte mit seinenAutobahnen auf den Straßenverkehr.Der Ausbau des Bahnnetzes kam weit-gehend zum Erliegen. Erst mit dem„Anschluss“ Österreichs 1938 und desSudetenlandes 1939 sowie mit der Zer-schlagung Polens 1939 erweiterte sichdas Netz zumindest statistisch. Verbin-dungskurven und strategische Querach-

sen sollten es ab 1942 gegen feindlicheAngriffe resistent machen.

Die Bahn im Nachkriegs-deutschland1945 lag die Bahn als williger Erfül-lungsgehilfe nationalsozialistischer Ex-pansions- und Mordpläne in Trümmern.10.000 km Strecken gingen im Ostenauf Polen und die UdSSR über, in derrussischen und den westlichen Zonenwaren 7400 km Gleis zerstört. Dazu ka-men der Rückbau auf ein Gleis von fastallen Strecken in der damaligen sowje-tisch besetzten Zone (SBZ) und der Ab-bau von ca. 250 km Hauptbahnen. Da-gegen erweiterte sich im Osten das Netzdurch die Integration von 2720 km nor-malspurigen und 1413 km schmalspuri-gen Privatbahnen in die DeutscheReichsbahn, wovon 420 km bis 1947demontiert wurden. Mit der Schaffungder Besatzungszonen zerfiel die Deut-sche Reichsbahn (DR) in drei Teile:• Die DR als Trägerin des Namens und

damit Eigentümerin der (West-) Ber-liner S-Bahn mit 345 km elektrifizier-ten Strecken (1951), die alle öffentli-chen Bahnen in der SBZ bzw. DDRbetrieb.

• Das 1949 in Deutsche Bundesbahn(DB) umbenannte westliche Unter-nehmen war ebenso wie sein Vorgän-ger dem Verkehrsministerium unter-stellt, allerdings mit Verpflichtungzur „Eigenwirtschaftlichkeit“.

• Die 1947-57 an Frankreich abgetrete-nen „Eisenbahnen des Saarlandes“.

Daneben wurden die sog. „nicht bun-deseigenen Eisenbahnen“ des öffentli-chen Verkehrs auf 6300 km Strecke(1950) weiterhin eigenständig geführt.

Nach 1945 unterbrach der „EiserneVorhang“ 47 Bahnstrecken zwischenWest und Ost. Lediglich acht Übergän-ge besorgten den grenzüberschreitendenGüter- bzw. Personenverkehr. Die Re-konstruktion der Netze wurde zügig vor-genommen: 1947 standen im Westen90% und im Osten 70% der zerstörtenBrücken wieder, 1951 waren die Netze –bis auf grenzbedingte Ausnahmen – wie-der in Betrieb, und die DB erwirtschafte-te mit 521.000 Mitarbeitern auf 30.500km Streckenlänge zum letzten Mal Ge-winn, zu 66% aus dem Güterverkehr.

Beginnender Rückzug aus derFlächeStraßenbau und Motorisierung beende-ten endgültig den Vorrang der Schiene.Während die Halbierung des Nahver-kehrs-Eisenbahnnetzes von 6300 km(1950) auf 3100 km (1980) und derStraßenbahn- und U-Bahnstrecken von4181 km (1950) auf 1928 km (1980)wenig Aufmerksamkeit erregte, be-kämpfte die Öffentlichkeit den bereits1960 im Brand-Gutachten (Stilllegungvon 8000 km) und 1964 im Konzept des

DB-Vorstands vorgeschlagenen „Rück-zug aus der Fläche“ vehement. Ein wei-terer Vorschlag der DB 1976 für ein „be-triebswirtschaftlich optimales Netz“von 16.000 km statt der existierenden29.000 km scheiterte am Widerstandder Länder.

1983 sah die „Strategie DB ’90“ wei-tere Stilllegungen von 5600 km Bahn-strecken vor. Die Staatsbahn schienzum Haushaltsrisiko zu werden. TrotzZahlungen des Bundes von fast14 Mrd. DM p.a. (1982) blieb ein Be-triebsverlust von 4,1 Mrd. DM, der vorallem aus den Schulden von 44 Mrd.DM (1989) resultierte. Die qualitativeVerbesserung des Angebotes auf denReststrecken war dagegen bemerkens-wert. Waren 1950 erst 5,5% der DB-Strecken elektrifiziert, so stieg der An-teil 1970 auf 29% und 1990 auf 43%.

Den Schrumpfungen im Westen standeine relative Stabilität bei der DR derDDR gegenüber. Die Stilllegungen von2400 km Neben- und Schmalspurbahn-strecken wurden teilweise kompensiertdurch strategische Neubauten wie denBerliner Außenring (125 km, 1951-56).Diese Aktivitäten wurden 1980 ausenergiepolitischen Gründen abgebro-chen. Es fehlte an Investitionsmitteln,und die zögerlichen Elektrifizierungs-programme seit 1958 erreichten bis1989 erst 27% der Strecken.

Wiedervereinigung und Neuor-ganisationIm Westen begann 1973 mit dem Bauder 327 km langen Neubaustrecke Han-nover – Würzburg für 10,5 Mrd. DM(Fertigstellung 1989) eine neue Zeit.Gemäß Bundesverkehrswegeplan solltenhier und auf weiteren Schnellstrecken(Mannheim – Stuttgart, 99 km) undAusbaustrecken Intercity-Experimental-Triebzüge (ICE) mit Hochgeschwindig-keiten von 200-250 km/h verkehren.

Die Wiedervereinigung 1990 führtezwei in Netz, Aufgaben und Selbstver-ständnis grundverschiedene Eisenbahn-betriebe zusammen. Ihre Vereinigungdurch die neun „Verkehrsprojekte Deut-sche Einheit“ (AA Beitrag Holzhauser/Steinbach und Beitrag Kagermeier,Bd. 1), von denen acht bis zum Jahr2000 weitgehend abgeschlossen waren,sowie durch drei lokale Lückenschlüssehatte erste Priorität. Die „Bahnreform“vom 01.01.1994 integrierte DB und DRin die DB AG, deren alleiniger Eigentü-mer die Bundesrepublik Deutschlandist. Doch die Staatsbahnzeit ist vorbei,die DB AG tut sich schwer mit demErbe von 38.100 km Schienenstrecken,von denen weniger als 50% elektrifi-ziert sind.

Grafik 4 zeigt die Entwicklung desgesamten nach Eisenbahn-Betriebsord-nung genutzten Schienennetzes (ohneStraßenbahnen) von 1900 (Gebiets-

* Gebietsstand 1937

Deutsche Bahn AG

Privatbahnen(einschl. Kleinbahnen)

Deutsche Reichsbahn(DDR)

Deutsche BundesbahnLänderbahnen /Deutsche Reichsbahndavon elektrifiziert(inkl. Privatbahnen)

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Tsd. km

Jahr© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000

Länge des Eisenbahnnetzes 1900-19984

ICE mit Neigetechnik auf der Fahrt zwischen Stuttgart und Zürich 1999

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33Das Eisenbahnnetz

Bodensee

Flensburg

Kiel

Neumünster

Lübeck

Hamburg

Lüneburg

Schwerin

Rostock

Stralsund

Greifswald

Neubrandenburg

Berlin

Frankfurt/Oder

Potsdam

Magdeburg

Brandenburg

Braunschweig

Leipzig

Dessau Cottbus

Dresden

Jena

Halle/S.

Gera

Erfurt

ChemnitzZwickau

Plauen

Hof

Bayreuth

Coburg

Weideni.d. Oberpfalz

Regensburg

Amberg

Bamberg

Erlangen

Fürth Nürnberg

Schweinfurt

Würzburg

Ansbach

Ingolstadt

Straubing

Passau

Landshut

Augsburg

München

Rosenheim

Kempten

Memmingen

Neu-UlmUlm

Weingarten

Konstanz

Reutlingen

Tübingen

Freiburgi. Breisgau

Stuttgart

Karlsruhe

Pforzheim

Heilbronn

Heidelberg

MannheimLudwigs- hafen

Kaisers-lautern

Saarbrücken

Trier

Mainz

Wiesbaden

Darmstadt

OffenbachHanau

Frankfurt

Koblenz

BonnAachen

Köln

Gießen

Marburg

Siegen

Fulda

Essen

BochumDortmund

Duisburg

Hagen

WuppertalDüsseldorf

Mönchen-gladbach

Krefeld

Paderborn

BielefeldMünster

OsnabrückHannover

Hildesheim

Kassel

Göttingen

Bremen

Bremerhaven

Oldenburg

Wilhelmshaven

Ravensburg

Bautzen

Hoyerswerda

HH-Harburg

Görlitz

Autor: K.Schliephake

Eisenbahnfernverkehr 2000

© Institut für Länderkunde, Leipzig 2000 Maßstab 1: 3750000

0 50 100 km7525

ICE, IC/ECim Takteinzelne Züge

im Takteinzelne Züge

IR, sonstige(soweit nicht auf ICE/IC-Achsen)

Oberzentrum

Städte, die gemeinsamein Oberzentrum bilden

Staatsgrenze

Ländergrenze

Verdichtungsraum

stand 1937) bis 1998. Deutlich zu er-kennen sind der hohe Anteil der Privat-bahnen bis in die 1960er Jahre wie auchdie Verluste von 1945 und die anschlie-ßende Teilung in zwei Netze. Die be-reits vor 1910 beginnende, anfangs zö-gerlich ablaufende Elektrifizierung wirderst ab 1950 erfasst. Das elektrifizierteNetz erbringt aktuell fast 90% der Lei-stungen.

Ausbau und RestrukturierungDie Zukunft des heutigen Netzes ist wiefolgt zu bewerten:• Der Fernverkehr mit seinem ICE- und

IC-Angebot im Takt nutzt die Neu-und Ausbaustrecken sowie ausgewähl-te zweigleisig elektrifizierte Linien.

• Auf Strecken mit gutem Ausbauzu-stand und attraktiven Fahrzeitpoten-zialen verkehren Regionalexpresszügeder DB AG oder anderer Schienen-verkehrsanbieter, teilweise auf Bestel-lung der Länder, denen der Bund ca.12 Mrd. DM Regionalisierungsmittelp.a. bereitstellt.

• Rund um die Millionenstädte und inden städtischen Agglomerationenwird es S-Bahnen und ähnliche An-gebote in den Verkehrsverbünden ge-ben.

• Einige wenige weitere Strecken mitentsprechender Nachfrage (Ganzzü-ge) bleiben dem Güterverkehr erhal-ten.

• Für die übrigen ca. 10.000 km langenStrecken tragen die Länder als Bestel-ler von Schienenpersonennahver-kehrsleistungen alleinige Verantwor-tung. Sie werden voraussichtlich vonder DB AG auf regionale Träger über-gehen und im positiven Fall in ver-schiedensten Formen – bis hin zurMuseumsbahn – weiterbetrieben.

Das heißt, dass die für 1970 bis 1999 aufder Karte 3 gezeigte Entwicklung desRückzugs aus der Fläche weiter anhaltenwird. Besonders hervorzuheben sind die– allerdings im Vergleich zu z.B. Frank-reich quantitativ nicht hervorstechen-den – Hochgeschwindigkeitsstrecken.Neben den oben genannten, vor 1990konzipierten Abschnitten Würzburg –Hannover und Mannheim – Stuttgartsowie dem „Verkehrsprojekt DeutscheEinheit“ Wolfsburg – Stendal – Berlin(fertiggestellt) befinden sich im Rah-men des seit 1992 aktuellen Bundesver-kehrswegeplanes (Realisierung bis ca.2012) zwei weitere Hochgeschwindig-keitsstrecken im Bau: Köln – Frankfurtsowie Nürnberg – Ingolstadt – Mün-chen. Die in den „VerkehrsprojektenDeutsche Einheit“ vorgesehene Neu-baustrecke Nürnberg – Erfurt ( – Leip-zig) wird sich vorerst in einem „qualifi-zierten Zwischenschritt“ auf den Ab-schnitt Erfurt-Ilmenau beschränken.

Das auf Karte E dargestellte Fernver-kehrsnetz der DB AG stellt eine Mo-mentaufnahme des Jahres 2000 dar. DieDeutsche Bahn AG wird die IC- undICE-Linien auch künftig betreiben. Dasie das Produkt Interregio auslaufen unddurch länderfinanzierte Angebote erset-zen will, ist mit einer Reduzierung der

entsprechenden Strecken zu rechnen,obwohl die Länder sich dagegen weh-ren, weil sie künftig die Belastungendurch den Unterhalt aufwendiger Netzefürchten.

Die Zukunft der bis in die 1970er Jah-re (DDR: 1989) bestehenden „Flächen-bahn“ bleibt unklar. Doch hat dasSchienennetz im Konkurrenzkampf der

Verkehrsträger seine Aufgaben nichtverloren. Die Zunahmen der Kilometer-leistungen im Personenverkehr um2,5% p.a. und der tonnenkilometri-schen Leistungen um 0,9% p.a. (1992-98) zeigen, dass der mobile Bürger eben-so wie die verladende Wirtschaft denSchienenweg weiterhin braucht undnutzt.?

E