Das Königreich Juda zwischen Ägypten und Babylon

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ABRAHAM MALAMAT Das Königreich Juda zwischen Ägypten und Babylon Ein Kleinstaat im Spannungsfeld der Großmächte* Die vorliegende Untersuchung beruht auf einigen meiner Studien zu den letz- ten Jahren des Königreiches Juda, hier jedoch aus einer expliziten geopoliti- schen bzw. geostrategischen Perspektive. Unsere Aufmerksamkeit auf diesen  besonderen Aspekt richtend, der sich in dem „Machtspiel“ der Zeit aus- drückt, schärfen wir unsere Wahrnehmung, vor allem wenn wir hier auf die Politologie und „Internationale Beziehungen“ zurückgreifen 1 . Zugegeben sei, dass wir uns bei der Anwendung anachronistischer Begriffe vor den darin ver-  borgenen Fallen hüte n müssen. Um nur ein Beispie l zu nennen, die V orstel- lung eines „Staates Juda“ ist ein offenkundiger Anachronismus, doch wird man schwerlich auf diese Terminologie verzichten können. Wie dem auch sei, das klare Wissen um den Anachronismus der Vorstellungen ist geeignet, die methodologische Schwierigkeit, die aus der Benutzung der Kategorien mo- derner Disziplinen entspringt, in Grenzen zu halten. Zumal sich derartige moderne Kategorien in Hinblick auf antike Phänomene als ebenso nützliche analytische Instrumente erweisen. Eingedenk der sehr differenzierten historischen Methodik, die zur Erfor- schung dieses Zeitraumes eingesetzt wird, ist zunächst eine Bemerkung zum Quellenmaterial unumgänglich. Die Vielfalt der Quellen für diese spannungs- reiche Zeit erlaubt einen besonders detaillierten Einblick in die politische Si- tuation und Entwicklung Judas. Zu den relevanten biblischen Büchern kommt das zeitgenössische hebräische epigraphische Material hinzu, das für diese Periode, mehr als für vorangegang ene, reichhaltiger und vielfältiger ist. Eine Andeutung mag genügen: die Ostraka aus Lakisch und neuerdings die aus Arad, die aus einem Jerusalemer Archiv kürzlich publizierten mehr als fünfzig Bullae, die der Zeit unmittelbar vor Nebukadnezars Eroberung ent- stammen 2 ; ein weiterer Schatz von zweihundert Bullae aus dieser Zeit, die nun von Prof. Avigad veröffentlicht wurden, deren sensationellste jene mit der Inschrift „Berachyahu ben Neriyah ha-sof er“ ist, des in der Bibel erwähn- ten Schreibers Jeremias 3 . Die archäologischen Ausgrabungen weisen auf die  Auswirkungen der politisch-m ilitärischen Ereignisse hin, eine fast völlige Zer- störung Judas 4 , von Tell Batash (Timnah) im W esten bivs Ein Gedi im Osten, von Jerusalem im Norden bis Lakisch im Süden. * Vortrag gehal ten in der Sitzu ng der philo sophi sch-h istor ische n Klasse am 2. Mai 2001. 1  Vgl. A. M  alamat, History of Biblical Israel, Leid en 2001, S. 189. Zum theoretischen Rahme n z. B. R. L. Rothstein, Alliances and Small Powers, New York 1968; J. N. Ro- senau (ed.), International Politics and Foreign Policy, New York (2 ed.) 1969. 2  Veröffentlicht von Y. Shiloh, A Group of Hebrew Bullae from the City of David, IEJ 36 (1986 ), S . 16–38. 3 N. Avigad, Hebrew Bullae from the Time of Jeremiah, Jerusalem 1986. 4 S. jetzt E.  Stern, Archaeology o f the Land of the Bible, II, New York 2001, S. 130 ff.

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    ABRAHAM MALAMAT

    Das Knigreich Juda zwischen gypten und BabylonEin Kleinstaat im Spannungsfeld der Gromchte*

    Die vorliegende Untersuchung beruht auf einigen meiner Studien zu den letz-ten Jahren des Knigreiches Juda, hier jedoch aus einer expliziten geopoliti-schen bzw. geostrategischen Perspektive. Unsere Aufmerksamkeit auf diesenbesonderen Aspekt richtend, der sich in dem Machtspiel der Zeit aus-drckt, schrfen wir unsere Wahrnehmung, vor allem wenn wir hier auf diePolitologie und Internationale Beziehungen zurckgreifen1. Zugegeben sei,dass wir uns bei der Anwendung anachronistischer Begriffe vor den darin ver-borgenen Fallen hten mssen. Um nur ein Beispiel zu nennen, die Vorstel-lung eines Staates Juda ist ein offenkundiger Anachronismus, doch wirdman schwerlich auf diese Terminologie verzichten knnen. Wie dem auch sei,das klare Wissen um den Anachronismus der Vorstellungen ist geeignet, diemethodologische Schwierigkeit, die aus der Benutzung der Kategorien mo-derner Disziplinen entspringt, in Grenzen zu halten. Zumal sich derartigemoderne Kategorien in Hinblick auf antike Phnomene als ebenso ntzlicheanalytische Instrumente erweisen.

    Eingedenk der sehr differenzierten historischen Methodik, die zur Erfor-schung dieses Zeitraumes eingesetzt wird, ist zunchst eine Bemerkung zumQuellenmaterial unumgnglich. Die Vielfalt der Quellen fr diese spannungs-reiche Zeit erlaubt einen besonders detaillierten Einblick in die politische Si-tuation und Entwicklung Judas. Zu den relevanten biblischen Bchernkommt das zeitgenssische hebrische epigraphische Material hinzu, das frdiese Periode, mehr als fr vorangegangene, reichhaltiger und vielfltiger ist.Eine Andeutung mag gengen: die Ostraka aus Lakisch und neuerdings dieaus Arad, die aus einem Jerusalemer Archiv krzlich publizierten mehr alsfnfzig Bullae, die der Zeit unmittelbar vor Nebukadnezars Eroberung ent-stammen2; ein weiterer Schatz von zweihundert Bullae aus dieser Zeit, dienun von Prof. Avigad verffentlicht wurden, deren sensationellste jene mitder Inschrift Berachyahu ben Neriyah ha-sofer ist, des in der Bibel erwhn-ten Schreibers Jeremias3. Die archologischen Ausgrabungen weisen auf dieAuswirkungen der politisch-militrischen Ereignisse hin, eine fast vllige Zer-strung Judas4, von Tell Batash (Timnah) im Westen bivs Ein Gedi im Osten,von Jerusalem im Norden bis Lakisch im Sden.

    * Vortrag gehalten in der Sitzung der philosophisch-historischen Klasse am 2. Mai2001.

    1 Vgl. A. Malamat, History of Biblical Israel, Leiden 2001, S. 189. Zum theoretischenRahmen z. B. R. L. Rothstein, Alliances and Small Powers, New York 1968; J. N. Ro-senau (ed.), International Politics and Foreign Policy, New York (2 ed.) 1969.

    2 Verffentlicht von Y. Shiloh, A Group of Hebrew Bullae from the City of David, IEJ 36(1986), S. 1638.

    3 N. Avigad, Hebrew Bullae from the Time of Jeremiah, Jerusalem 1986.4 S. jetzt E. Stern, Archaeology of the Land of the Bible, II, New York 2001, S. 130 ff.

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    Dennoch lt sich eine angemessene Perspektive fr die Bewertung derhistorischen Faktoren, die das Schicksal Judas besiegelten, nur aus den au-erpalstinensischen Quellen gewinnen, vorzugsweise aus den neubabyloni-schen Chroniken5 und in geringerem Mae den gyptischen Dokumentatio-nen. Die Zusammenschau biblischen und externen Quellenmaterials, insbe-sondere des in ihnen enthaltenen detaillierten Datensystems, ermglicht soetwas wie eine mikroanalytische Erforschung dieser Zeit6. So begegnen wirder faszinierenden Unmittelbarkeit, die die Mikro-Historie in sich birgt, wennwir den historischen Proze in Zeiteinheiten aufspren, deren Umfang sehrviel geringer ist als allgemein fr die israelitische Periode blich, nmlich inder Zeiteinheit eines bestimmten Jahres, Monates oder gar Tages (Gott be-findet sich in den Einzelheiten). Hier, wie gleicherweise in der spannendenmakrohistorischen Analyse, vermag der scharfsinnige Historiker aus ver-meintlich lngst ausgeschpften Quellen gelegentlich neue Ausknfte empor-zuziehen. Die Originalitt eines Historikers liegt oft in seiner Fhigkeit, dieseQuellen zum Sprechen zu bringen und so neue Einblicke zu gewhren.

    Nicht zuletzt noch eine Anmerkung zur Chronologie. Das Zeitrechnungs-system, das hier zugrunde liegt, hat mehr als einmal unsere Rekonstruktiondes Verlaufs der Ereignisse bestimmt. Zwar besteht ein fast allgemeiner Kon-sensus darber, da die Antrittsjahre in dieser Zeit in Juda nachdatiert wur-den, ein anderes Faktum ist aber immer noch kontrovers, der Monat desneuen Knigsjahres in Juda. Unsere Berechnung geht von dem Herbstkalen-derjahr aus, das am 1. Tishri beginnt und nicht von dem Frhjahreskalender,der von der Mehrheit der Forscher akzeptiert wird, und der allgemein in Ba-bylon gebruchlich war. Bei frheren Gelegenheiten habe ich versucht, denVorzug der Tishri-Datierung in Juda zu demonstrieren und der in ihr enthal-tenen Mglichkeit, den grten Teil unterschiedlichster Daten, zumindestwas diesen Zeitraum betrifft, miteinander zu vereinbaren7. Daher mchte ichin diesem Punkt nicht in die Diskussion eintreten. Zumal wir uns hier ber-wiegend mit der internationalen Politik und umfassender Strategie in Hin-blick auf die verschiedenen handelnden Personen beschftigen.

    Mit dem Niedergang des mchtigen assyrischen Reiches gegen Ende des7. Jh. v. Chr. und den beeindruckenden Siegen des jungen Nebukadnezar imSommer 605 v. Chr. wurde ein sehr widerstrebendes Juda hineingezogen indie sich anschlieende Konfrontation zwischen dem neubabylonischen Reichund gypten. Diese beiden Gromchte waren eine umtriebige und berra-schende Erscheinung im Nahen Osten. Nrdlich von Juda war das emporstre-bende neubabylonische oder genauer gesagt das chaldische Imperium zumentscheidenden militrischen und politischen Faktor in Mesopotamien ge-worden, whrend im Sden davon die Pharaonen der 26. Dynastie gyptens(Psammetich I, Necho II, Psammetich II, Hophra) nun erneut in Asien inter-venierten, sobald sich die Gelegenheit bot, denn zuvor hatte gypten langeZeit seine Ostpolitik vernachlssigt. Die Auseinandersetzung zwischen die-sen beiden Mchten schwankte zwischen offenem militrischen Konflikt undKaltem Krieg hin und her. Der Kleinstaat Juda, an den besonders verwund-

    5 D. J. Wiseman, Chronicles of Chaldaean Kings, London 1956.6 S. unsere Tabelle in A. Malamat, The Twilight of Judah: In the Egyptian-Babylonian

    Maelstrom, SVT 28 (1975), S. 14445.7 Besonders A. Malamat, The Last Kings of Judah and the Fall of Jerusalem, IEJ 18

    (1968), S. 137156. Nach dieser Chronologie bestand Jerusalem bis 586 v. Chr. undnicht nur bis 587, wie meistens akzeptiert.

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    baren, Asien und Afrika miteinander verbindenden Querrouten gelegen,wurde mehr als jemals zuvor durch das internationale Machtsystem beein-flut, denn nun stand die faktische Existenz des Knigreiches auf dem Spiel.

    In der Sprache der politischen Wissenschaft war Juda unentrinnbar ineinem bipolaren System gefangen, d. h. die ausschlieliche Kontrolle ber dieinternationalen Beziehungen lag bei diesen zwei Mchten, die allein fr dieBewahrung des Friedens oder den Ausbruch des Krieges verantwortlich wa-ren8. Zwar fehlt den antiken Denkern ein so modernes Konzept wie das derBipolaritt, doch waren sie nichtsdestoweniger sich in der Praxis dieser Artdes Machtsystems bewut; was z. B. die Betrachtung der Auseinandersetzungzwischen den beiden Zentren Athen und Sparta durch Thukydides zeigt9.hnlich drckt der Prophet Jeremia diesen Sachverhalt metaphorisch aus:und nun, was frommt es dir, nach gypten zu laufen, um Wasser des Sihor zutrinken? Und was frommt es dir, nach Assur zu laufen, um Wasser des Eu-phrat zu trinken? (Jer 2,18); und wenig spter, in demselben Kapitel: Wieleicht nimmst du es doch, deinen Weg zu ndern! Auch an gypten wirst duzuschanden, wie du an Assur zuschanden wurdest (ebenda, V. 36). (Die poli-tischen Umstnde, die in diesen uerungen aufscheinen, werden gelegent-lich in die Jahre 623617 v. Chr. verwiesen, eine Zeit, in der Assyrien wiegypten als potentielle Bndnispartner Judas betrachtet wurden.) Von nunan war die Bipolarisation der Macht in das biblische Bewutsein getreten10.

    Offensichtlich entspricht ein multipolares System kleinen oder zweitran-gigen Staaten mehr, da es eher in der Lage ist, die empfindliche Machtbalanceaufrechtzuerhalten und so die Unterdrckung der Staaten innerhalb der Re-gion verhindert. Indes das bipolare System, dessen Stabilitt als solche nochvon den Politikwissenschaftlern in Frage gestellt wird11, bringt auch Ruhe(Befriedung) fr zweitrangige Staaten mit sich, vorausgesetzt die Gromchteverfolgen eine Politik friedlicher Koexistenz. Ist das Gleichgewicht erst ein-mal ge- oder zerstrt durch einen hegemonialschtigen Partner, dann wendetsich eine zweitrangige Macht wohlfeilen diplomatischen Mitteln zu, um ihreLage zu verbessern.

    Dieses war das Schicksal Judas. In den letzten beiden Dekaden seinerExistenz erfordert der sich beschleunigende internationale Szenenwechselvon den judischen Herrschern auerordentliche Steuergewandtheit, umstndig wechselnde Situationen zu meistern. Eine Reihe von nicht weniger alssechs kritischen Dreh- und Angelpunkten kann in der judischen Auenpoli-tik ausgemacht werden, die drastische Loyalittsumschwnge von einemMehrheitslager in das andere markieren, all das innerhalb von zwanzig Jah-ren. Andersherum gesprochen, die politische Orientierung Judas verndertesich radikal durchschnittlich alle drei Jahre. In der Reaktion auf von auenherangetragene Versuchungen erlag das kleine Knigtum mglicherweisenicht nur internationalen Intrigen, sondern ebenso seiner eigenen risikorei-chen Politik. Welches waren diese sechs kritischen Situationen mit ihremWechsel zwischen Loyalitt und Rebellion?

    8 S. Rosenau (ed.), op. cit. (Anm. 1), Kap. 27 von M. A. Kaplan und Kap. 30 von R. N.Rosencrance.

    9 S. P. J. Fliess, Thucydides and the Politics of Bipolarity, Louisiana 1966.10 S. Appendix11 S. Rosenau, op. cit. (Anm. 1)

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    I.

    Der Judas Verhngnis bestimmende Lauf der Ereignisse setzt ein mit derSchlacht von Megiddo im Sommer 609 v. Chr., obschon dieser Vorfall sich ei-nige Jahre vor Judas direkter Verwicklung in den gyptisch-babylonischenKonflikt zutrug. Es ist mglich, da das entstehende bipolare System bereitsJosias Entscheidung, Pharao Necho zu stoppen, beeinflut hat. Denn Nechoeilte nordwrts, um seine frheren Rivalen, die Assyrer, in ihrem erlahmen-den Kampf gegen die neu aufkommenden Babylonier zu untersttzen. Ge-naueres ist schwierig zu ermitteln, doch mglicherweise handelte Juda be-reits in bereinstimmung mit Babylon, um diese gyptische Untersttzung zuvereiteln. Es gibt einige Faktoren, die zu Judas Gunsten sprechen: der geradeauf den Thron gelangte Pharao Necho II war noch sehr unerfahren; die gyp-tische Armee war weit von ihrer Basis entfernt, als die Juder beschlossen, ih-ren berraschungsangriff nahe Megiddo zu wagen; hinzu kam, da die gyp-ter nur ein halbes Jahr zuvor in der Euphratregion einen Rckschlag durchdie aufkommenden Babylonier hatten hinnehmen mssen, ein Umstand, derallgemein bersehen wird. Jedenfalls ist dieses das seltene Beispiel einer be-herzten militrischen Initiative, die von einem relativ schwachen Staat, Juda,gegen die Armee der strksten derzeitigen Macht, das gypten der 26. Dyna-stie, unternommen wird.

    An diesem Punkt mchte ich die Gelegenheit ergreifen, die Aufmerksam-keit auf eine mgliche zustzliche Quelle ber die Schlacht von Megiddo zulenken, nmlich ein fragmentarisch erhaltenes Ostrakon aus Arad. Der Falldes merkwrdigen Ostrakon (no 88), dessen linke Hlfte fehlt, hat zu zweiverschiedenen Interpretationen und Restorationen gefhrt, eine durch Prof.Aharoni12 und die andere durch Prof. Yadin13. Soweit mir bekannt ist, sinddies die einzigen Versuche und beide sind, meiner Meinung nach, recht unsi-cher. Der hebrische Text ist:

    Ich bin zur Herrschaft gekommen in allem (ber alle) . . .Sei stark und . . .Knig von gypten zu . . .

    Aharoni (in seinem Buch ber die Arad Inscriptions 1975) nimmt an, dadies sich auf die Inthronisation des Joahaz, des Nachfolgers Josias bezieht;dagegen wagt Yadin es, dies fr eine Erklrung des Assur-Uballit zu halten,des letzten Knigs von Assyrien. Da keine der beiden Versionen befriedigendscheint, mchte ich einen Alternativvorschlag wagen und den Text ergnzen:

    Ich regiere ber alle Nationen (oder: alle Berge Judas)Sei stark und ziehe gegen (oder: versammle deine Krfte gegen)Den Knig von gypten, um Krieg gegen ihn zu fhren (oder in der Ebene von Megiddo)

    Diese khne militrische Initiative vor Megiddo wurzelte in einer Kriegs-ideologie, wie sie ihren Ausdruck innerhalb des Deuteronomiums, JosiasWegweiser, findet. berdies drfen wir gewi vermuten, da diese Initiativedurch die prophetischen Zirkel ermutigt und untersttzt worden ist. Betrach-tet man zunchst Stil und Ausdrucksweise der Inschrift, dann mchte ich be-haupten, da wir hier einen prophetisch-politischen Text haben, in dem Gottdurch seine Propheten spricht, offensichtlich um Josia zum Kriegszug gegengypten Mut zu machen. Das ist kein Knig aus Fleisch und Blut wie beide,Aharoni und Yadin angenommen haben sondern Gott, der spricht:

    12 Y. Aharoni, Arad Inscriptions, Jerusalem 1981, S. 103 f.13 Y. Yadin, IEJ 26 (1976), S. 914

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    : Die besondere Wortwahl impliziert dieses: das Verb stehtim Perfekt, ist aber als Prsens zu verstehen, wie es hufig der Fall ist bei denbiblischen Zeitformen (Blake, A Resurvey of Hebrew Tenses, 1951). UnsereErgnzung wird gesttzt durch Verse wie Ps 47,9: Gott ist Knig gewordenber die Vlker, Gott hat sich gesetzt auf seinen heiligen Thron

    oder 1. Chr 16,31: Des freue sichder Himmel, des frohlocke die Erde; man sage unter den Heiden: Der Herrward Knig.

    In der zweiten Zeile ist das Wort Arm bemerkenswert. Dieser Ty-pus der Ermutigung findet sich besonders hufig in den politischen Prophe-zeiungen, z. B. Ez 30,2226: Darum spricht Gott der Herr also: Siehe, ich willan den Pharao, den Knig von gypten, will ihm die Arme zerbrechen, denstarken und den gebrochenen, da ihm das Schwert aus der Hand fllt. Unddie gypter werde ich unter die Vlker zersprengen und ber die Lnder zer-streuen. Ich werde dem Knig von Babel die Arme strken und ihm meinSchwert in die Hand geben; die Arme des Pharao aber werde ich zerbrechen,und er wird vor ihm chzen wie ein zu Tode Getroffener. Ja die Arme des K-nigs von Babel werde ich strken, dem Pharao aber werden die Arme herab-sinken. Dann werden sie erkennen, da ich der Herr bin . . . Die Ergnzungender Zeilen 2 und 3 beruhen auf dem, was wir aus 2. Chr 36 ber die Schlachtvon Megiddo erfahren. Wenn diese Wiederherstellung wie auch die Datierungdes Ostrakons (in diesem Punkt stimme ich mit Yadin berein) zutreffend sind,dann drfte es sich um eine prophetische Verheiung im Namen des Herrnhandeln, die an die Stdte Judas gesandt wurde mit dem Ziel, militrischenBeistand fr einen Feldzug gegen gypten anzufordern. Letztendlich werdeich in meiner berzeugung, da dies die richtige Rekonstruktion ist, bestrktdurch die harmonische Anordnung und die Konturen der hebrischen Buch-staben, die offensichtlich durch einen erfahrenen professionellen Schreibergeschrieben worden sind, was ebenfalls fr prophetischen Ursprung spricht.Keines der zahlreichen anderen in Arad gefundenen Ostraka ist mit diesemvergleichbar in der einzigartigen Eleganz und Schnheit der Schrift.

    Kehren wir zu der ersten unserer sechs kritischen Situationen zurck:Trotz des Versagens vor Megiddo sollte dieses nicht a priori als ein Selbst-mordunternehmen betrachtet werden, wie es so oft geschieht, sondern eherals ein sorgfltig berechneter Zug auf dem Spielbrett internationaler Macht14.Jedoch bereitete der unerwartete (durch zufllige Umstnde bedingte) TodJosias in der Ebene von Megiddo dem erneuten Aufstreben des judischenKnigreiches ein wirksames Ende. Judas Staatsgebiet wurde wieder einmalauf seine Gre zurechtgestutzt und auf den kleinsten Umfang reduziert.gypten kontrollierte nunmehr den gesamten Bereich westlich des Euphrats,oder biblisch gesprochen : . . . was dem Knig von gypten gehrte, vomBach gyptens bis zum Euphratstrom. (2. Kn 24,7). Doch seine Vorherr-schaft war nicht von langer Dauer.

    II.

    Der zweite schicksalhafte Wendepunkt wurde vier Jahre spter erreicht imSommer 605 v. Chr., als gypten in der Schlacht von Karkemisch am Eu-

    14 S. insbesonders Malamat, Josiahs Bid for Armageddon, JANES 5 (1973), S. 26779;idem, SVT 28 (1975), S. 123145 (Anm. 6)

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    phrat, an der heutigen trkisch-syrischen Grenze, von Knig Nebukadnezar,dem aufkommenden babylonischen Star, unwiderruflich geschlagen wurde.Diese berhmte Schlacht war eine hervorragende Demonstration der rein mi-litrischen berlegenheit Babylons, wodurch die Machtszenerie des NahenOstens fr die kommenden Jahre festgelegt und faktisch das Schicksal Sy-riens und Palstinas besiegelt wurde.

    Dessen nicht eingedenk erkannte die judische Fhrung die Verlagerungdes Machtgleichgewichtes nicht und hielt weiter an der zwielichtigen Vorstel-lung eines starken gyptens fest, das in Zeiten der Bedrngnis seinen Ver-bndeten zu Hilfe eilen wrde. Ein aramischer Brief aus Saqqara (Memphisin gypten) belegt, da andere Staaten Palstinas Hilfe in gypten gegen Ba-bylon suchten. In diesem Brief wendet sich ein Herrscher, hchstwahrschein-lich jener aus Ekron in Philista, an den Pharao, um unverzglichen militri-schen Beistand gegen den drohenden babylonischen Ansturm zu verlangen,indem er seinen Oberherrn an dessen Vertragspflichten erinnert. Dieses Do-kument betrifft wahrscheinlich einen der babylonischen Feldzge gegen Phi-lista im Sommer 603 oder im Winter 601/600 v. Chr. Die neuen Ausgrabun-gen von Tel-Miqneh (= Ekron) drften dies untersttzen, die eine Schicht vl-liger Zerstrung der Stadt gegen Ende des 6. Jh v. Chr. aufdeckten. So wirdman sagen knnen, da ein Kleinstaat im Altertum wahrscheinlich mehrnoch als in der Neuzeit Schwierigkeiten hatte, frhe Warnsignale einer Ver-nderung der globalen Machtstruktur angemessen zu deuten. Legt man all-gemeine Voraussetzungen internationaler Beziehungen zugrunde, dann pfle-gen Kleinstaaten eine umsichtige und vorsichtige Auenpolitik. Judas Verhal-ten in dieser Zeit widerspricht diesen Annahmen und demonstriert, daKleinstaaten in ihrer Unerfahrenheit, die einher geht mit dem Fehlen eineseffizienten Nachrichtensystems, eine uerst risikoreiche Politik betreibenknnen, die oft fatal endet15.

    In diesem Licht besehen knnen wir erst die weitblickende Voraussichtund realistische historische Perspektive der judischen Prophetenkreise wr-digen, die die internationale Szene jener Zeit tatschlich durchschauten. Diegroen Propheten jener Zeit, Jeremia und Ezechiel (bzw. Uria, der SohnSchemajas aus Kirjathjearim, der weissagte wider diese Stadt und wider die-ses Land, ganz wie Jeremia, Jer 26,20) hingen nicht den Vorstellungen derfhrenden Kreise an, was sie von den falschen Propheten unterschied, undkonnten so die Situation realistischer beurteilen16. Folglich war ihr Teil dienchterne und unverzerrte Bewertung der Situation aus der Perspektivelangfristig gesicherten Wohls der Nation heraus, im Gegensatz zu den tages-politischen Interessen, die so typisch fr die Fhrungsschicht und die sie un-tersttzenden falschen Propheten wie Hananjah sind. Nach den Worten Eze-chiels ist gypten gleich einer Sttze von Schilfrohr fr Israel . . . wenn siedich mit der Hand anfassen, so knickst du zusammen (Ez 29,67) und seineDrohungen gegen Babylonien enthllen es als Papiertiger. Der Pharao mitgroer Kriegsmacht und vielem Volk wird sich in der Schlacht als nutzlos er-weisen (ebenda 17,17). Ezechiel war uerst beunruhigt darber, dass Juda

    15 Zu diesem kontrastierenden Modellen der blichen Meinung ber dieses Phnomenin der Neuzeit s. M. A. East, Size and Foreign Policy Behavior, World Politics 25(1972/73), S. 556576.

    16 Zur Stellung der wahren Propheten s. z. B. C. R. Seitz, Theology in Conflict: Reacti-ons to the Exile in the Book of Jeremiah, BZAW 176, Berlin 1989; C. Hardmeier, Pro-phetie im Streit vor dem Untergang Judas, BZAW 197, Berlin 1990.

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    sich von gypten verfhren lie und verglich gypten mit einer Hure, die mitihren Reizen zwar locken aber nicht nhren konnte (Ez 16,16; 23,2127). Inder prophetischen Bildsprache werden internationale Beziehungen, vor allembei Ezechiel, mit der Prostitution verglichen17. Andererseits war sich Jeremia,der Nebukadnezar als Gottes auserwhlten Zuchtstab betrachtet, klar dar-ber, da der richtige Augenblick verpat worden war: jetzt konnte nur nochfreiwillige Unterwerfung Juda retten. Es gab nur noch die Wahl zwischendem Weg des Lebens und dem Weg des Todes (Jer 21,89). Wir weisen dieweit verbreitete Annahme zurck, da die unverblmten uerungen derPropheten nur Einlassungen spterer Redaktoren sind, die jene mit dem Aus-gang der Ereignisse bereinstimmen lassen. Im Gegenteil sind wir berzeugtdavon, da ihre in den biblischen Quellen zutage tretende Perspektive ihrereale Weltsicht widerspiegelt.

    Um es in der Sprache unserer Zeit zu formulieren, die wahren Prophe-ten traten in Anerkennung ihrer zugrundeliegenden Motive (ohne ihre zu-grundeliegenden Motive zu verkennen) als Analytiker und Kommentatorenauf und erwiesen sich dabei als unabhngig von der offiziellen Politik unddem allgemeinen Konsensus. Dergestalt spielten sie einen aktiven Part, wasdie Kernfrage der auenpolitischen Orientierung anbelangte, die allmhlichden Gegensatz zwischen der pro-gyptischen und der pro-babylonischenFraktion verschrft hatte. Diese Polaritt durchzog alle Gruppierungen, an-gefangen beim Knigshof, den Staatsvertretern und den priesterlichen Krei-sen bis in die groe Masse des Volkes hinein. Die politische Ausrichtung er-wies sich gleichfalls als der Zankapfel zwischen wahren und falschen Prophe-ten. Tatschlich sind Kleinstaaten mehr mit ueren als mit inneren Angele-genheiten beschftigt, ein Phnomen, das als der Primat der Auenpolitikbekanntgeworden ist.

    Die babylonische Unterwerfung Judas lie nicht lange auf sich warten,doch ihr genaues Datum ist immer noch umstritten. Juda scheint fr etwaweitere zwei Jahre nach der Schlacht von Karkemisch ausgehalten zu habenund sich erst im Winter 603 v. Chr. ergeben zu haben, obgleich Nebukadnezarbereits im Jahr zuvor bis Askalon, das er total zerstrte, gelangt war18. Ange-sichts dieser babylonischen Drohung versuchte gypten ernsthaft, Juda zu-rck in sein Lager zu bringen, was uns zu dem dritten Wendepunkt bringt,der wieder eine direkte militrische Konfrontation zwischen gypten undBabylon nach sich zieht19.

    III.

    Etwa 21/2 Jahre, nachdem Knig Jojakim sich Babylon unterworfen hatte,fand er eine geeignete Gelegenheit, das Joch abzuwerfen. Im Winter 601/600unternahm der babylonische Knig seinen ehrgeizigen Feldzug, einen Angriffauf gypten selber, ein hchst bedeutsames historisches Ereignis, das erstvor nicht allzu langer Zeit durch die Verffentlichung der BabylonischenChronik aus der Zeit Nebukadnezars (bekannt als die Wiseman Chronik) ent-deckt worden ist. Dieser offizielle historische Bericht verbirgt weder die Un-zulnglichkeiten der Babylonier auf diesem Feldzug, die zu schweren Verlu-

    17 Siehe Appendix18 Diese Zerstrung ist jetzt durch die Ergebnisse der Ausgrabungskampagnen belegt.19 Zum 3. Feldzug Nebukadnezars s. krzlich W. Tyborowski, ZA 86 (1996) S. 211216.

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    sten auf beiden Seiten fhrten, noch den sich anschlieenden Rckzug derBabylonier mit leeren Hnden. Gerade dieses babylonische Versagen, vermut-lich in der Darstellung der gyptischen Propaganda, ermutigte die judischeFhrung zur Rebellion und zum bergang ins gyptische Lager. In den nch-sten zwei Jahren waren die Babylonier nicht in der Lage, Juda dieses zu ver-gelten, und sie konzentrierten sich auf die Wiedererlangung ihrer Heeres-macht und vor allem die Wiederaufrstung der Streitwagentruppe.

    IV.

    Erst im Winter 598/97 v. Chr. schlug Nebukadnezar gegen Juda mit demon-strativer Strke los, die zweifellos als Warnung fr gypten und dessen Ver-bndete dienen sollte. Die erste babylonische Belagerung Jerusalems, gut do-kumentiert in der Bibel, war der vierte Wendepunkt. Der biblische Berichtwird in allen Teilen durch die Babylonische Chronik besttigt, die sogar alsden genauen Tag der bergabe der Stadt durch Jojachin (dem Sohn Jojakims,der unter obskuren Umstnden starb) den 2. Adar bzw. 16. Mrz 597 v. Chr.angibt.

    Dieses genaue Datum ermglicht uns nun, den faktischen Verlauf der Be-lagerung und des sich anschlieenden Exils von Juda neu zu bewerten20. Of-fensichtlich litt Jerusalem bereits einige Wochen unter der Belagerung, bevorNebukadnezar und seine Elitetruppen ankamen, ein Ereignis, das den Wider-standswillen der Verteidiger brach, die bereits durch das Fehlen jeglichen An-zeichens gyptischen Entsatzes demoralisiert waren. Dessen ungeachtet ret-tete die Unterwerfung des judischen Knigs Jerusalem vor der physischenZerstrung und bewahrte es vor dem Status eines eroberten Landes inner-halb des babylonischen Imperiums. Doch seine menschlichen Ressourcenwurden ernsthaft geschwcht, Zehntausende seiner Bewohner waren nachBabylon exiliert worden, einschlielich der Elite der Nation, in der Weissa-gung Jeremias die guten Feigen (Jer 24), sowie der hheren militrischenRnge.

    Nebukadnezars Politik der Deportation und des schweren Tributs er-wies sich letztlich als kurzsichtig. Die tragenden Fundamente des Knigtumswaren unterminiert worden, soziales und konomisches Chaos wie auch psy-chische und geistige Verzweiflung herrschten vor, wie aus den Worten desPropheten erkannt werden kann. Das aber bereitete die Szene vor fr dasAuftreten verantwortungsloser Elemente in der judischen Fhrung; das warimmer wieder das Schicksal besiegter Staaten, die mit so harten Kapitulati-onsbedingungen belastet wurden.

    V.

    Seiner erfahrenen Fhrung beraubt, aber mit einem Marionettenknig verse-hen, wurde Juda bald wieder in die internationale Intrige verstrickt, was zudem fnften Wendepunkt fhrt. Der neue Knig und letzte Herrscher vonJuda, Zedekia, berief, oder war zu ihrer Einberufung gezwungen, eine antiba-bylonische Konferenz der Abgesandten von Duodezstaaten in Jerusalem imJahr 594/93 v. Chr. ein. Damit lehnte er sich gegen die Macht auf, die ihn auf

    20 Siehe fr Einzelheiten Malamat, Twilight (op. cit. Anm. 6), S. 133 f.

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    den Thron gebracht hatte, ein seinem eigenen persnlichen Interesse wider-sprechender Schritt. Die Motive dieser Verschwrung sind nicht klar, dochwurde angenommen, da sie mit dem Regierungsantritt den neuen gypti-schen Knigs, Psammetich II., zusammenhngen. Jedoch nach einer relativneuen Chronologie dieses Zeitraumes (die weitgehend bersehen worden ist)bestieg Psammetich II. den Thron bereits 595 v. Chr. und nicht 594, wie bis-her angenommen worden ist21. Es ist wahrscheinlicher, da das Komplott, be-gleitet von der intensiven Ttigkeit der falschen Propheten, die die unmit-telbar bevorstehende Rckkehr der Exilierten aus Babylon vorhersagten,ausgelst worden war durch die heftige Rebellion, die in Babylonien selber imWinter zuvor ausgebrochen war. Obwohl sie unverzglich von Nebukadnezarniedergeschmettert worden war, hren wir noch ein Jahr danach (d. h. in zeit-licher Nhe zu der Konferenz von Jerusalem), da ein wichtiger Funktionrdes Knigs vor Gericht steht und wegen Hochverrats angeklagt ist22. Dahermag die Zeit fr die Vlker des Westens gnstig ausgesehen haben fr eineRebellion gegen Babylon, wie auch fr Judas Pflege illusionrer Hoffnungender Sammlung der judischen Exulanten. Die Staaten, die in Jerusalem ver-treten waren, auf diesem Mini-Gipfel von Duodezstaaten, waren Edom,Moab und Ammon sowie die Stdte der phnizischen Kste. So versuchteJuda ein Bndnis gegen Babylon zustande zu bringen, das das Gebiet des heu-tigen Jordaniens, Israels und der libanesischen Kste umfate.

    Wie so oft in der Militrgeschichte erwies sich diese Allianz kleiner undeher schwacher Staaten von geringem Nutzen gegen die Supermacht23. DieKoalition aus sechs Staaten litt auch unter einem bedrohlichen Mangel an po-litischem und militrischem Zusammenhalt, denn jeder der Partnerstaatenversuchte seine eigenen begrenzten Interessen und Prioritten weiter zu ver-folgen. Dergestalt stellte sie keine wirkliche Bedrohung fr Nebukadnezardar. gypten scheint hier wieder seine Hand im Spiel gehabt zu haben undJuda gegen Babylon umgedreht zu haben, doch haben wir keine eindeutigenHinweise. Jedenfalls wissen wir, da der neue Pharao Psammetich II. 592v. Chr. (nicht 591 v. Chr.) eine Expedition nach Palstina und Phnizien insze-nierte, ein Umstand, der zweifellos die antibabylonischen Ressentiments in-nerhalb der judischen Fhrung aufrhrte24. Dennoch brach die offene Rebel-lion gegen Babylon erst aus nach dem Regierungsantritt des aggressiven Pha-rao Hophra (Apries) in gypten; womit wir zu dem sechsten und finalen Wen-depunkt gelangen.

    VI.

    Als Nebukadnezar schlielich im Winter 589/88 v. Chr. reagierte, befand sichJuda in einer mehr als ungeschtzten Position25. Juda wurde in diplomati-scher und militrischer Hinsicht im Stich gelassen und mute der babyloni-schen Macht allein entgegentreten alle ihre Freunde sind untreu, sind ihrzu Feinden geworden (Klgld 1,2). Darber hinaus war die Nation gespalten

    21 Fr die revidierte gyptische Chronologie der 26. Dynastie s. R. A. Parker, MDAIK15 (1957), S. 208212, und E. Hornung, ZS 92 (1965), S. 38 f.

    22 E. Weidner, Hochverrat gegen Nebukadnezar II, AfO 17 (195456), S. 1923 S. Rothstein, op. cit. (Anm. 1), S. 169 ff.24 Fr Einzelheiten s. Malamat, Twilight (op. cit. Anm. 6), S. 14114225 ber Jerusalems Zerstrung aus einer theologischen Sicht s. H. Migsch, Gottes Wort

    ber das Ende Jerusalems, Kath. sterr. Bibelwerk, Klosterneuburg 1981.

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    zwischen den Falken, die zum totalen Kriege entschlossen waren, und denTauben, die Nachgiebigkeit und Kapitulation empfahlen. Umso bemerkens-werter ist unter diesen Umstnden Jerusalems Widerstand ber 11/2 Jahrehinweg, noch mehr, falls wir die abweichende, aber wahrscheinlichere Tischri-Zeitrechnung unterstellen, der zufolge die Belagerung ber 21/2 Jahre andau-erte26. Der Rest des Knigreiches war sehr schnell unterworfen worden, nureinige knigliche Festungen wie Lakisch hatten der Bezwingung lnger wi-derstanden. Auch Judas nrdliche Region, im Territorium von Benjamin (so-wie in der Gegend von Bethlehem), das sich anscheinend den Babyloniern un-terwarf, wurde nicht zerstrt27. Nur einmal erhellten sich die Aussichten, unddie Belagerung Jerusalems wurde zeitweise aufgehoben, als die Babylonierabzogen, um einem vermeintlich anrckenden gyptischen Entsatzheer ent-gegenzutreten. Doch letztendlich erwies sich dies als Fehlschlag, wie die Pro-pheten Jeremia und Ezechiel richtig vorhersahen.

    Die babylonische Armee stellte nun ihre Flexibilitt wie auch die berle-genheit ihrer militrischen Strategie unter Beweis. Anfnglich ausgerckt umeine rebellische Stadt zu bezwingen, war sie nun gezwungen, von der Belage-rungstaktik zur offenen Feldschlacht berzugehen (und wiederum zurck),ein durchaus schwieriges Unternehmen. Die Eroberung der Hauptstadt warfr Nebukadnezar eine ernsthafte Herausforderung; daher setzte er seine be-sten militrischen Anfhrer und die am hchsten entwickelte Belagerungs-technik seiner Zeit ein, als er die Armee reorganisierte: Bollwerke und Ram-pen, auf denen Waffen wie Sturmbcke stationiert wurden. Doch am Endewar es der Veteran jeglichen Belagerungskrieges, der Hunger, der das Schick-sal der Bevlkerung von Jerusalem, die stndig den Zustrom von Flchtlin-gen aus den Landstdten hatte verkraften mssen, entschied.

    Die Wissenschaftler sind oft verwirrt gewesen ber den Zeitabstand zwi-schen dem Fall der Mauern von Jerusalem am 9. Tammuz (18. Juli 586 v. Chr.nach einem der chronologischen Systeme) und dem Beginn der totalen Zer-strung der Stadt erst einen Monat spter am 7. oder 10. Ab (14. oder 17. Au-gust 586 v. Chr.). Warum wurde die wehrlose Stadt nicht unmittelbar ge-schleift, nachdem der Feind erst einmal ihre Mauern berwunden hatte?Diese Verzgerung kann schwerlich dem Kampfgeist der Stadtverteidiger zu-geschrieben werden, der die letzte Belagerung Jerusalems in der Zeit deszweiten Tempels so ausgezeichnet hat. Eher scheint die Zerstrung der Stadtdurch die Babylonier verschoben worden zu sein, da sie von NebukadnezarsSchluurteil ber die Stadt abhing28.

    Zu jener Zeit hatte Nebukadnezar sein Hauptquartier in Riblah aufge-schlagen, im Land von Hamat im Inneren Syriens (sdlich von Kadesch amOrontes), etwa in einer Entfernung von 350400 km von Jerusalem bzw. 10bis 12 Tagesmrschen, bercksichtigt man die langen Sommertage. Whrenddie Mauern durchbrochen wurden, stahlen sich Zedekia und seine Begleitungaus der Stadt fort, doch nur um spter in der Nhe von Jericho gefangen ge-nommen und nach Riblah geschleppt zu werden. Dort wurde die judischeFhrung wegen des Treuebruchs angeklagt und offenbar wurde dann das

    26 Zur Bevorzugung der Tischri-Chronologie ber die Nisan v. Chr. zu jener Zeit siehedie Reihe meiner Artikel seit 1956.

    27 S. Malamat, The Last Wars of Judah, JNES 9 (1950), S. 22627. Es knnte sein, dadieses Gebiet sich schon 598/7 v. Chr. dem Feinde unterwarf.

    28 S. E. J. Bickerman, Nebuchadnezzar and Jerusalem, Proceedings Amer. Acad. for Je-wish Research, 46/47 (197980), S. 6985, besonders S. 84.

  • 51

    Schicksal Jerusalems durch den Knig von Babylon entschieden. Nebuzara-dan, der Oberkommandierende der babylonischen Armee, wurde zu der judi-schen Hauptstadt gesandt, um die Befehle seines Herrn auszufhren. Hltman sich an die zwingenden biblischen Quellen, dann bezieht sich das Datum7. oder 10. Ab eher auf die Ankunft Nebuzaradans in Jerusalem (2. Kn 25,8)denn auf die Zerstrung der Stadt. Diese aufeinanderfolgenden Ereignisse f-gen sich gut in das Zeitintervall zwischen dem Durchbruch der Mauern vonJerusalem und Nebuzaradans Erscheinen vor ihren Toren ein, das das Schick-sal der Stadt besiegelte. Mit dem Fall Jerusalems und der totalen Zerstrungdes Palastes und des heiligen Tempels endete die davidische Dynastie undJuda wurde seiner Staatlichkeit ber viele Generationen hinweg beraubt.

    Letztlich mag die Fallstudie ber Juda in seinen letzten Jahren als weit-verbreitetes gltiges Paradigma dienen fr das Verhalten und die Funktioneines kleinen oder zweitrangigen Staates in einem bipolaren Machtsystem.Der kleine oder schwache Staat kann sich nicht abseits stellen, wenn dieGromchte in eine umfassende Konfrontation geraten, sondern mu sichauf die Seite eines der beiden Hauptakteure stellen. Im Augenblick des Kon-flikts ist der prekre Status der Neutralitt fr einen Kleinstaat nicht zu hal-ten, ein Umstand, den bereits Machiavelli betonte29; dies gilt vor allem, wennsich der Kleinstaat im Zentrum des Machtgefges befindet. Denn bleibt erneutral, erregt er schlielich in gleicher Weise die Feindschaft jedes der bei-den groen Kontrahenten. Echte Neutralitt, die auf einer starken Unabhn-gigkeit ruht, geht von einer Vorbedingung aus: der friedlichen Koexistenz derbeiden Gromchte oder der Existenz einer Anzahl von Staaten etwa ver-gleichbarer Strke, also ein multipolares Machtsystem.

    Die Entscheidung, mit welchem der beiden Antagonisten man die Seiteteilen soll, wird fr den Kleinstaat zum ausschlaggebenden Faktor und bein-haltet ein ernstes Dilemma. Denn um zu berleben, mu diese Wahl vonnchternen Situationseinschtzungen und weitreichenden Zielen ausgehen.gypten konnte seinen Feldgenossen bestenfalls kurzfristig Vorteile bietenund erwies sich in der Stunde der Gefahr als machtlos. Anstatt sich demmchtigeren Babylon zuzuwenden, spielte Juda mit den falschen Hoffnungen,die durch ein unzutreffendes Bild ber gypten entstanden, das zu Judas Ha-sardspiel mit ihm fhrte. Auf der internationalen Bhne wie im Falle Judas beobachten die beiden Gromchte den Kleinstaat aufmerksam und sind je-derzeit zur Intervention bereit, um seinen bertritt ins gegnerische Lager zuverhindern, was schlielich zur vlligen bernahme der Kontrolle und letzt-endlich zur Eroberung fhren wird.

    APPENDIX

    DIE POLITIK DER BIPOLARITT IN VERKLEIDUNG SEXUELLER BEZIEHUNGEN:DER FALL EZECHIEL 16 UND 2330

    In der Bibel, vor allem in den prophetischen Bchern, findet sich hufig frdas Volk Israel, das Ehebruch begeht, diese sexuelle Metapher. Neben Ez 16und 23 kann man dazu auch Jer 25 und Hos 13 heranziehen. Gott wird so-gar oft Ehemann von Jerusalem genannt und noch hufiger Ehemann des

    29 S. N. Machiavelli, The Prince (bersetzt und ed. R. M. Adams), New York 1977,Kap. 21, S. 64

    30 Die Bibelbersetzung folgt der Zrcher Bibel.

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    Volkes Israel31. Dieses Bild drfte darauf abzielen, anderen konkurrierendenVorstellungen von Gott als Ehemann entgegenzutreten, insbesondere jenerdes Ehemannes von Aschera32. Aschera wird als potentielle Partnerin vonGott nicht nur im biblischen Text erwhnt, sondern auch in hebrischen epi-graphischen Quellen, wie den Inschriften von Kuntillet Ajrud oder Hirbet el-Qom33. Doch nehmen einige an, da Aschera eher ein Kultobjekt als eine Gt-tin bezeichnet34.

    In der vorliegenden Untersuchung beschrnken wir uns auf das ThemaJuda unter den Bedingungen politischer Bipolaritt, das heit, das Schwan-ken Judas zwischen gypten und Babylonien. Dieses Thema ist seiner Anlagenach enger gefat als jenes der Beziehung Gottes zur Bevlkerung von Jeru-salem oder dem Volk Israel. Insbesondere die prophetischen Bcher veran-schaulichen Judas Bndnisschlsse mit fremden Nationen und Groreichenin pornographischen Begriffen35.

    Bereits Jeremia ist sich der Wirksamkeit einer bipolaren Vorstellung be-wut, allerdings ohne pornographische Versinnbildlichung, wenn er meta-phorisch ausruft: Und nun, was frommt es dir, nach gypten zu laufen, umdas Wasser des Sihor zu trinken? Und was frommt es dir, nach Assur zu lau-fen, um Wasser des Euphrat zu trinken? (2,18; vgl. V. 36). Von da an war die bi-polare Struktur der Macht dem biblischen Bewutsein prsent36.

    Schon Ezechiel fgt dieser Vorstellung das erotische, ja pornographischeElement hinzu. Wie bei Jeremia wird die Bipolaritt begrndet durch gyp-ten einerseits und ein mesopotamisches Groreich andererseits, Assyrienoder Babylonien37. Im Gegensatz zu den anderen Propheten erwhnt Ezechieldiese Lnder explizit. Die betreffenden Aussagen in Ez 16 und 2338, wahr-scheinlich die am meisten obsznen Kapitel der Bibel, behandeln den Gegen-stand der bipolaren Machtstrukturen. Wir wollen hier den biblischen Text frsich selber sprechen lassen, zunchst Ez 16 und danach Ez 23. In Ez 1639 wer-

    31 Vgl. G. Baumann, Liebe und Gewalt. Die Ehe als Metapher fr das Verhltnis JHWHIsrael in den Prophetenbchern, Stuttgart 2000; N. Stiestra, YHWH is the Husbandof His People, Kampen 1993.

    32 Vgl. J. Hadley, The Cult of Asherah in Ancient Israel and Judah, Cambridge 2000.33 Vgl. die Inschriften in der bersetzung von G. I. Davis, Ancient Hebrew Inscriptions,

    Cambridge 1991, Kap. 8 und 25. Literatur und Texte S. 341.34 S. J. A. Emerton, Yahwe and his Asherah, the Godesses and her Symbols, VT 49

    (1999), 315337.35 Zu den spteren Propheten vgl. u. a. A. Brenner (ed.), A Feminist Companion to the

    Latter Prophets, Sheffield 1995; L. M. Russel (ed.), Feminist Interpretation of the Bi-ble, Philadelphia 1985.

    36 Vgl. A. Malamat, The Kingdom of Judah Between Egypt and Babylon, StTh 44 (1990),6577.

    37 Zur Vasallitt Israels zu gypten und dessen kriegerischer Auseinandersetzung mitMesopotamien vgl. M. Greenberg, Ezekiel 120 (New York, 1993), 282; idem, Ezekiel2137 (New York, 1997), 475. S. nchste Anmerkung ber Greenberg.

    38 Hier sind die neueren Kommentare heranzuziehen; u. a. W. Zimmerli, Ezechiel 1 (Ez124), Neukirchen-Vluyn 1969, 331371 (Ez 16), 528556 (Ez 23). Zimmerli beschf-tigt sich auch mit dem Verhltnis zwischen Ez 16 und Ez 23 (vgl. S. 343, 536); Letzte-res ist nach seiner Meinung der originale Text; D. I. Block, The Book of Ezehiel, 134(Grand Rapus, 1992), 459623 (Ez 16), 724747 (Ez 23).

    39 Zu Ez 16, dem lngsten Kapitel des Buches vgl. die neuere Diskussion: L. Day, Rhe-torical Domestic Violence in Ez 16, Biblical Interpretation 8 (2000), 209230; P. L.Day, Adulterous Jerusalems Imagined Demise: Death of a Metaphor in Ez XVI, VT50 (2000), 285309. Abweichend von den modernen Kommentaren argumentiert jetztL. Day, The Bitch Had it Coming to Her: Rhetoric and Interpretation in Ezekiel 16,

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    den wir anfangs gypten betrachten. Die Untreue Judas gegenber gyptenwird in folgenden prophetischen Aussagen beschrieben: Du buhltest mit denShnen gyptens, deinen stark entwickelten Nachbarn, . . . (Ez 16,26a; vgl.23,3)40.

    Kapitel 23 zufolge41 Sie trieben Unzucht in gypten, schon in ihrer Ju-gend trieben sie Unzucht (23,3a). Der Ausdruck Jugend, der hier Juda qua-lifiziert, weist daraufhin, da sie als Jugendliche, noch vor ihrer Heirat, sichmit gypten prostituierte. In dieser Richtung argumentiert auch V. 8: Sielie auch nicht ab von ihrer Buhlerei mit den gyptern, weil diese in ihrer Ju-gend bei ihr gelegen und ihren jungfrulichen Busen betastet und ihre Un-zucht mit ihr getrieben hatten. Hier ist auch V. 21 heranzuziehen: So sehn-test du dich nach der Unzucht deiner Jugend, da die gypter deine Brstedrckten und deinen jungfrulichen Busen betasteten. Schlielich folgerndie Aussagen von V. 27: So will ich deiner Unzucht ein Ende machen und dei-ner Buhlerei von gypten her, dass du deine Augen nicht mehr zu ihnen er-hebst und der gypter nicht mehr gedenkest.

    Aus der anderen Richtung gesehen, prostituiert sich Juda mit den Natio-nen des Nordens, Assyrien, Babylonien und Chalda42. Assyrien existierte vorder Zeit Ezechiels, das babylonische Groreich zur Zeit Ezechiels, whrenddie Chalder eigentlich ein Stamm waren, aus dem die Dynastie des neubaby-lonischen Reiches abstammte. Wir beginnen wieder mit Ez 16: Du buhltestauch mit den Shnen Assyriens, weil du noch nicht satt warst, . . . (Ez 16,28a)und Ez 23,58: Und Ohola wurde mir untreu und entbrannte fr ihre Buhlen,die Assyrer, die sich ihr nahten, in blauen Purpur gekleidet, Frsten und Her-ren43, lauter hbsche Burschen, Reiter auf Rossen. Ihnen gab sie sich hin zurUnzucht, lauter auserlesenen Assyrern, und bei allen, fr die sie entbrannte,verunreinigte sie sich mit ihren Gtzen. Ez 23,12 vermerkt: Fr die Assyrerentbrannte sie, fr die Frsten und Herren, die sich ihr nahten, prchtig ge-kleidet, Reiter auf Rossen, lauter hbsche Burschen. Ez 23,17 beschreibt dieBeziehung zu den Babyloniern gleichlautend: Und die Babylonier gingen zuihr ein, um mit ihr der Liebe zu pflegen, und sie verunreinigten sie mit ihrerBuhlerei . . .

    Wir haben zahlreiche Beispiele fr sexuelle Terminologie und pornogra-phische Metaphern, die auf gypten und Babylonien bezogen werden, nichtalle der in Frage kommenden Aussagen wurden oben angefhrt. Jedoch istdie Charakterisierung der Ehebrecherin als nymphomanisch einzigartig und

    Biblical Interpretation 8 (2000), 231234; M. Pope, Mixed Marriage Metaphor in Ez16, in: Fortunate the Eyes that See, Grand Rapids 1995, 384399.

    40 Vgl. aber die bersetzung von M. Greenberg (Ez 120, 271), die von der hier bevor-zugten abweicht. Bemerkenswert ist, da die gypter nirgends in der Bibel als Nach-barn Israels und Judas erwhnt werden.

    41 Zu Ez 23 vgl. auch jetzt F. van Dijk-Hemmes, The Metaphorization of Woman in Pro-phetic Speech. An Analysis of Ezekiel 23, in A. Brenner und F. van Dijk-Hemmes, OnGendering Texts . . ., Leiden 1993, 169176; M. E. Shields, Gender and Violence inEzekiel 23, Seminar Papers, vol. 1. Society Biblical Literature. Annual Meeting 1998,86105.

    42 M. Greenberg (Ezekiel 2130, 487), der davon ausgeht, da dieses Bild historischeBedeutungen hat, nimmt an, da die Assyrer als Soldaten in der babylonischen Ar-mee dienten. Diese Annahme ist nicht notwendig.

    43 Der hebrische Begriff (vgl. ebenfalls Ez 23,23. ), der hier als Herrenvon der Zrcher Bibel wiedergegeben wird, ist fast unverstndlich, trotz einer ver-meintlich akkadischen Parallele, auf die einige Kommentatoren verweisen, vgl. Zim-merli, 530 f.

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    kommt so nur bei Ezechiel vor. Wir sehen, dass die Bevlkerung von Jerusa-lem oder das Volk Juda in Ez 16 und 23 (und an anderen Stellen) in den be-treffenden Kapiteln nicht allein unter sexuellen Aspekten thematisiert wer-den44.

    Wie bereits hervorgehoben, wird gesagt, dass Juda sich einerseits mitgypten im Sden eingelassen hat, andererseits aber mit einem mesopotami-schen Groreich Assyrien, Babylonien, Chalda im Norden. Juda liegtzwischen diesen Groreichen eingezwngt und sieht sich gelegentlich von ih-nen, bis zum Kriege hin, bedroht. Daher ist Juda gezwungen, mit dem nichtangreifenden Land einen Vertrag gegen das aggressive Land zu schlieen.Aus unserer Sicht liegt hier eine deutliche bipolare Machtstruktur vor45. Dasin dieser Situation gebotene politische Verhalten erinnert an das Verhalteneiner Prostituierten bzw. Hure46, die gewhnlich von einem Partner zum an-deren wechselt.

    Wahrscheinlich weisen die Beziehungen zwischen Juda und der auslndi-schen Macht, wie sie in der Bibel beschrieben werden, nicht auf konkrete hi-storische Ereignisse hin. Sie beschreiben eher die geopolitische Situation Ju-das im allgemeinen (vgl. aber oben Anm. 35). Juda, das metaphorisch als Ehe-frau JHWHs gilt (Ez 16,3; 23,5), ist nach biblischer Sicht daher durch einenVertrag gebunden. Juda sollte daher nicht einen anderen Vertrag mit einerauslndischen Macht anstreben. Ein derartiges Verhalten wird als Ehebruchbetrachtet, folglich erweist sich Juda dann als Hure. Unter den Bedingungenbipolarer Machtstrukturen kann ein doppelter Bruch des Bundes eintreten:1. Der Bruch des Bundes mit Gott. 2. Der Bruch des Bundes mit einem derauslndischen Partner in diesem bipolaren System. Die bipolare Machtstruk-tur ruft die Vorstellung einer intensiveren Beschaffenheit der Untreue undTreulosigkeit hervor. In der biblischen Metaphorik wird dieses bildhaft alsEhebruch thematisiert47.

    Vorgelegt vom Verfasserin der Sitzung am 24. April 2002.

    44 Eine andere Deutung vertritt J. Galambush, Jerusalem in the Book of Ezekiel. The Ci-ty as Yahwehs Wife, Atlanta 1992; P. L. Day, Adulterous Jerusalems . . . in Ez 16, VT50 (2000), 285309; J. Ch. Exum, Prophetic Pornography, in Plotted, Shot and Pain-ted. Cultural Representation of Biblical Woman, Sheffield 1996, 101128.

    45 Ein vergleichbares Verhltnis herrschte zwischen Athen und Sparta, vgl. P. J. Fliess,Thucydides and the Politics of Bipolarity, Louisiana 1966.

    46 Hebrisch zonah; Ez hat die meisten Ableitungen von der Wurzel znh. Zur Wurzel znhvgl. jetzt Ph. A. Bird, To Play the Harlot, in ihrer Sammlung von Artikeln: MissingPersons and Mistaken Identities, Minneapolis 1997, 219236.

    47 Zum Ehebruch vgl. die neueren Untersuchungen von R. Westbrook, Adultery in An-cient Near Eastern Law, RB 97 (1990), 542580; S. Lafont, Femmes, droit et justicedans lantiquit orientale, Fribourg 1999, 2964.