DaswirdeinMega-Ja...jungen und weniger jungen Paaren. Ihr Eindruck vom Heiraten heute: Viele...

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G anz versunken stehen sie da zwischen zwei Ständern und betrachten Unmengen von Eheringen. Sie stehenRücken anRücken,unddochgehören sie unübersehbar zusammen. Wie das so ist, wenn man sich liebt. Am 17. Juli wol- len Sandra und Alex heiraten, genau zwei Jahre nach dem ersten Kuss. Und sie sind in den Berliner Postbahnhof gekommen, um sich Anregungen für das Fest zu ho- len.FürRinge,Hochzeitskleid,Tanzmusi- ker, Videofilmer und Fotografen – alles gibt es dort gerade auf einer Hochzeits- messe,einervonmehreren,diejedesJahr in Berlin veranstaltet werden. Liebe will einen frühlingsblauen Him- mel, erst mal jedenfalls. Deshalb kommt jetzt wieder die Hochzeitssaison. Davon abgesehen sind in Deutschland, wenn es ums Heiraten geht, zwei Trends zu beob- achten: Es wird immer weniger geheira- tet – der Hochzeitstag aber wird zum Großereignis. Von 1950 bis heute hat sichdieAnzahlderEhenprotausendEin- wohner halbiert, aus 750000 Hochzeiten 1950 wurden 387000 im Jahr 2012. Da- nebenstehtderTrendzumTraum-Event. Im Privatfernsehen wird geheiratet wie im Märchen, früher „Traumhochzeit“, jetzt „Die perfekte Hochzeit“ oder die „Hochzeit auf den ersten Blick“. Die Kombination aus Erwartung, Ro- mantik und Pla- nungsdrangbemerkt auch Pfarrerin Bar- bara Deml-Groth. Sie ist die Fachfrau für das, was die Evangelische Kirche in Berlin Heiratswilligenals Lebenshilfe an- bietet. Manchmal steht sie auf Hochzeits- messen am Stand ihrer Kirche und bietet die Broschüre „Lass uns heiraten“ an. Manchmal führt sie Traugespräche mit jungen und weniger jungen Paaren. Ihr Eindruck vom Heiraten heute: Viele Hochzeitenseien„einbisschenüberorga- nisiert“. Sie nimmt das als Zeichen dafür, dass „die Menschen Angst haben, etwas falsch zu machen“. Das dürfte einer der großen Unter- schiede zu den 50er-Jahre-Hochzeiten sein.Damalsheirateteman,weilmanhei- ratete, und lud ein, wen einzuladen sich gehörte. Heute heiratet man, weil man der Partnerschaft einen Rahmen geben will und – das geht aus einer Studie des Familienministeriums hervor – weil viele Paare glauben, Kinder seien in einer Ehe besser aufgehoben. Man heiratet aber auchgegeneinenTrendan:gegendieAuf- lösungfester,aufDauerangelegterBezie- hungsmodelle. Man feiert die Dauer. Wer wie Sandra und Alex auf einer der vielen Hochzeitsmessen in Berlin und Umgebung einfach mal schauen möchte, was für die Hochzeit zu beachten ist, be- kommt pfundweise Hochglanzkataloge geschenkt. Ihr Inhalt reicht von A wie „Außergewöhnliche standesamtliche Trauungen“überHwie„Heiraten,woan- dere Urlaub machen“ bis T wie Traum- hochzeitsauto, sei es ein Rolls Royce von 1961,seieseinTrabantinderStretchver- sion. Es finden sich die „Top Ten der IdeenfürdenMädelstag“,ListenundZeit- pläne für den Countdown: ein Jahr vor der Hochzeit, sieben Monate vorher, sechs Monate... Das Event soll lebens- lange Wirkung haben, im Sinn von „Weißt-Du-noch?“ Sandra und Alex dachten ans Heiraten, seit sie drei Monate zusammen sind, wie Sandra sagt. Beide sind 26. Sie studiert Elektrotechnik und arbeitet in einer Firma für Gebäudeautomation. Er hat In- formatik studiert und kümmert sich um die Internetseiten eines Sportwettenan- bieters. Kennengelernt haben sie sich „auf Arbeit“, sagt Sandra: „Ich sollte an einem Rechner arbeiten, der Rechner hat nicht funktioniert.“ Dann kam Alex, und es ereignete sich einer dieser Momente. Sandra sagt: „Mir haben so die Hände ge- zittert.“ 83Prozentder18-bis29-Jährigenwün- schensich,„dasseinePartnerschafteinLe- ben lang hält“, heißt es in der erwähnten Studie des Bundesfamilienministeriums, die dem statistischen Dauertrend entge- gen fast ein Comeback der Ehe erkennen will. Diejenigen, die so hoffen, gehörten zu den Jahrgängen von 1980 bis 1990, „diealsReaktionaufdiesukzessiveAuflö- sungvonBindungenundSicherheitendie lebenslange Perspektive von Ehe für sich wiederentdecken und wertschätzen“, so derStudientext. Alex sagt, dass er heiraten wolle, sei „immerklar“ gewesen. Zwei Freunde hät- ten schon geheiratet, er ist der dritte. Im gemeinsamen Freundeskreis gelten San- dra und Alex als „das schnelle Pärchen“, weil sie nach gerade mal zwei Jahren des Zusammenseins die Ehe schließen. Wa- rum sie das tun? Sandra lacht. „Dann ist er meins“, sagt sie. „Er trägt mich halt auf Händen.“ Und: „Es gibt nichts, wo ich sa- gen würde, darum kann ich ihn nicht bit- ten.“ Alex sagt, Heiraten „rundet das Ganze noch mal ab“. Es sei „das ultima- tive Zeichen, dass man es wirklich ernst meint.“ Sandra und Alex hatten bei einem Aus- flug nach Potsdam die Idee, dort nach ei- nem schönen Ort für ihre Eheschließung zu suchen. Im Internet fiel ihnen das Bel- vedere auf. Andere kommen durch das Netz auf die Sacrower Heilandskirche – Romantik bleibt unschlagbar. Da gibt es imSommeranjedemSonnabenddreiTer- mine, die bereits im Winter gebucht wer- den. 60 Hochzeiten pro Jahr finden hier statt, 300 Euro pro Termin sind für die Locationzubezahlen.WeraneinemSom- merabend hier vorbeischaut, wird wo- möglich zum Sekt eingeladen. Für das Belvedere müssen Sandra und Alex noch mal 100 Euro mehr bezahlen. Wer heiratet, denkt auch in Bildern, in den Erinnerungen von übermorgen. San- dra und Alex gehören zu den Paaren, de- ren Hochzeit nicht unbedingt zum film- reifen Groß-Event werden soll. Sie wol- len allerdings auch nicht in kleinem Kreis heiraten, um Geld zu sparen. Also: Ehe- schließung im Belvedere, dann fährt man in ein Hotel in Werder an der Spree und feiert mit Freunden und Verwandten, rund 60 Leute, also schon eine große Ge- sellschaft. „Weil“, sagt Alex: „Es ist ein Tag fürs Leben.“ Den Tag fürs Leben organisieren die beiden selbst. Das ist eins der drei gängi- gen Hochzeitsmodelle. Daneben gibt es das Modell „Professionell durchgeplant“. DassetzenHochzeitsplanerinnenwieSte- fanie Frädrich mit ihrer Agentur „Ja ich will“ oder Sarah Linow von der „Agentur Traumhochzeit“ in die Wirklichkeit um. Das dritte Modell – man könnte es nen- nen: „Perfekt durchgeplant im noblen Rahmen“ – bekommt man von Monica Faas. Sie arbeitet als Eventmanagerin im Hotel de Rome am Berliner Bebelplatz. Eins verbindet die konkurrierenden Pla- nerinnen: Sie verströmen Freude am Be- ruf. Heiraten macht froh, auch die, die das Ereignis nur für andere planen. Das sagen sie auch. Stefanie Frädrich, die fünf bis acht Hochzeiten im Jahr orga- nisiert, macht das, „weil ich es schön finde, den schönsten Tag im Leben von zwei Leuten zu begleiten.“ Sarah Linow mag an ihrer Arbeit, „dass es immer neu ist – es ist alles individuell“. Monica Faas, die im Berliner Luxushotel Hotel de Rome Hochzeiten organisiert, überlegt kurz und antwortet auf die Frage, warum sie gerne Hochzeiten plant: „Weil man Menschen glücklich machen kann.“ Am Modellvergleich zwischen Allein- planung, Zusammenarbeit mit der Hoch- zeitsplanerin und Heiraten im noblen Rahmen zeigt sich, dass es heute mit dem Heiraten genauso ist wie mit Paarbezie- hungengenerell:Allesgeht,alleswirdan- geboten, alles wird gemacht. Die Organisation der Hochzeit bringt die Paare noch näher zusammen – wenn es gut läuft. Ein einziges Mal hat Planerin Sarah Linow erlebt, dass ein Paar sich in der Planungsphase trennte: zwei Men- schen, so die Menschenkennerin, die gar nicht zusammenpassten. Bei Sandra und Alex sieht es sehr gut aus. Beide wirken so, als liefe alles bestens: verliebt und fast verheiratet. Auf der Hochzeitsmesse haben sie auch gleich noch einen Tanzkurs gefun- den. Der muss sein. Sandra mag Tattoos, auch große, bunte, aber das heißt nicht, dass man beim Heiraten mit allen Tabus bricht. Also lernen die beiden Tanzen. Tanzen verlangt Harmo- nie. „Wir sind so einPaar,dasziem- lich gleich ist“, sagt Sandra. Sie meintgleicheInte- ressen, ein ähnli- ches Verständnis von Partnerschaft und Harmonie. Sie hätten „kaum Streit“, sagt Sandra. Alex neben ihr bestätigt das mit einem weichen Blick auf seine Freundin. „Ich vermisse das auch nicht“, sagt er. „Man kommt nach Hause und weiß, man hat da Ruhe.“ So weit geht die Einigkeit der bei- den, dass sie auch das wissen: Sie wollen zwei Kinder, sie haben sogar schon die Namen. So harmonisch läuft auch die Hochzeitsplanung. Eine Hochzeitsreise? „Können wir uns nicht leisten“, sagt Alex ohne jedes Bedauern, „wir sind bei 8000 Euro“. Wer mit einer Agentur plant, bekommt andere Summen genannt. Der Trend gehe „zum Gesamtkonzept“, sagt Stefa- nie Frädrich. Die Paare wollten, „dass al- les zusammenpassen soll“, bis hin zum Gastgeschenk, zum „Give away“. Je nach dem Aufwand für 50 bis 80 Gäste kostet die Hochzeit bis zu 20000 Euro. Ähnlich kalkuliert Konkurrentin Sarah Linow. In ihrem hübschen Arbeitszimmer, in dem sie heiratswillige Paare berät, kann man sich ein Bild machen von dem, was zum Gesamtkonzept Hochzeit heute gehört. In einer Vitrine zeigt Sarah Linow all die Kleinigkeiten, die den Festräumen, den Esstischen, der Feier so etwas wie ein Layout geben, von der „Papeterie“, den Tischkarten, der Speisekarte bis zum Gästebuch. Hochzeitsmandeln und Sand- dornschnäpschenfürFeiernmitbestimm- ten Themen, Herzchen, überall Herz- chen. Eine Muschel für die Hochzeit am Strand: für die Eheringe. In Anbetracht solcher Vitrinen vollzieht sich wohl die Verwandlung der Braut in eine Prinzes- sin, die von Dingen träumt, die ihre Freundinnenvon ihrer schönen Hochzeit mitnachHausenehmen,zumBeispielbe- nutzte Freudentränentaschentücher. Die Leute wollten, „dass alles schön zusam- menpasst, farblich oder thematisch, bis hin zur Dankeskarte“, sagt Sarah Linow. Die Planung beginnt mit einem Ge- spräch, in dem die Planerinnen herausar- beiten, was zu den Brautleuten passen könnte und klären, wo sie heiraten wol- len. Sarah Linow bietet 80 Schlösser in Brandenburg und Berlin, dazu auch Lofts in der Stadt. Im Hotel de Rome am Bebel- platz geht man den umgekehrten Weg: Die Planung geht vom Ort der Feier aus. Auch Monica Faas weiß aus vielen Ge- sprächen, dass das Internet zur Quelle derInspirationgewordenist.ImNetzsto- ßen Heiratswillige auf den eindrucksvol- len Ballsaal ihres Hotels in Mitte. Ein Glasdach bedeckt die über zwei Ge- schosse reichende frühere Schalterhalle der Dresdner Bank mit ihrem Mosaikbo- den. Wer es mag, kann den großen Raum mit seinen Kristallleuchtern ganz in pink- farbenesLichttauchenlassen.Außerdem gibt es eine Dachterrasse und den Bebel- platz als Kulisse. 30 bis 40 Hochzeiten organisiert Mo- nica Faas im Jahr, seit sieben Jahren macht sie das, und sie hat wachsende Freudedaran.Siesagt,dasssienachman- chen Gesprächen „einen Film im Kopf“ habe. Dann wünsche sie sich, einmal für ein Paar eine Hochzeit ganz frei zu pla- nen – zu dessen eigener Überraschung. In ihrem Beruf lernt man die Leute eben kennen: „Der Aufwand ist immer riesig bei einer Hochzeit… Das ist mit so vielen Gesprächen verbunden“, sagt sie. Man- che Paare planten ein Jahr im Voraus und legten sogar Ordner an, „dann wird das zur Wissenschaft“. Monica Faas widerspricht dem Ein- druck, Heiraten müsse heute immer tol- ler, immer teurer, immer perfekter sein: „Man will einfach nur einen schönen Tag haben.“ Letztlich feierten die meisten doch recht traditionell, mit Abendessen und Hochzeitstorte. „Da muss ich dann doch vor mich hin schmunzeln“, sagt sie. Bei Sandra, Alex und deren Gästen soll es ähnlich laufen. Gemeinsames Essen mitVerwandtenundFreunden,dannviel- leicht ein paar Spiele, danach der Hoch- zeitstanz auf der Basis des Tanzkurses, schließlich Tanzen durch eine lange Nacht. „Ein Freund von mir ist DJ“, sagt Sandra. Wenigstens das Unterhaltungs- programm muss nicht superteuer wer- den. Zumal Sandra und Alex in diesem Jahr noch ein zweites Abenteuer begin- nen wollen: den Bau ihres eigenen Hau- ses. 2001 Nur noch 389 591 Eheschließun- gen – Zeit für Werbung! In Berlin startet die BB Expo Event mit Hochzeitsmessen, erst unterm Funkturm, dann im Postbahnhof. Das Standesamt im Hotel? Geht alles. Im Berliner Ho- tel de Rome kann man sich erst trauen lassen – und dann auch stilvoll feiern. Am 17. Juli, dem Tag ihres erstes Kusses, soll es so weit sein: Sandra und Alex wollen heiraten, schön romantisch im Potsdamer Belvedere. Fotos: Kitty Kleist-Heinrich, BB Expo Event GmbH, Hotel de Rome, p-a/dpa (2) „Das ultimative Zeichen, dass man es wirklich ernst meint.“ 1992 „Dass alles schön passt, farblich oder thematisch, bis hin zur Dankeskarte.“ 1950 In Deutschland hei- raten 453 428 Paare. Einige vor lau- fender TV-Kamera: Mit Linda de Mols „Traumhochzeit“ wird auch Jeder- manns Eheschlie- ßung zum öffentli- chen Ereignis. 2010 2015 Alex, 26, Bräutigam Sarah Linow, Hochzeitsplanerin 750000 Hochzeiten werden in den deutschen Standesämtern registriert. Drei Jahre später sind es nur noch 620000 – eine davon ist die des ehe- maligen Reichskanzlers Hans Luther. Das wird ein Mega-Ja Es heiraten zwar immer weniger Menschen, aber wenn, dann so richtig: Der Hochzeitstag wird zum Großereignis, das Agenturen planen – oder mit den Worten einer Kirchenfrau: „etwas überorganisiert“ Von Werner van Bebber SONNABEND, 18. APRIL 2015 / NR. 22 375 DER TAGESSPIEGEL 29 WIE UNS DIE ZEITEN ÄNDERN

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Ganz versunken stehen sie dazwischen zwei Ständern undbetrachten Unmengen vonEheringen. Sie stehenRückenanRücken, und doch gehören

sie unübersehbar zusammen. Wie das soist, wenn man sich liebt. Am 17. Juli wol-len Sandra undAlex heiraten, genau zweiJahre nach dem ersten Kuss. Und sie sindin den Berliner Postbahnhof gekommen,um sich Anregungen für das Fest zu ho-len. FürRinge,Hochzeitskleid,Tanzmusi-ker, Videofilmer und Fotografen – allesgibt es dort gerade auf einer Hochzeits-messe, einer vonmehreren, die jedes Jahrin Berlin veranstaltet werden.

Liebe will einen frühlingsblauen Him-mel, erst mal jedenfalls. Deshalb kommtjetzt wieder die Hochzeitssaison. Davonabgesehen sind in Deutschland, wenn esums Heiraten geht, zwei Trends zu beob-achten: Es wird immer weniger geheira-tet – der Hochzeitstag aber wird zumGroßereignis. Von 1950 bis heute hatsich dieAnzahl der Ehen pro tausendEin-wohner halbiert, aus 750000Hochzeiten1950 wurden 387000 im Jahr 2012. Da-neben steht der Trend zumTraum-Event.

Im Privatfernsehenwird geheiratet wieim Märchen, früher„Traumhochzeit“,jetzt „Die perfekteHochzeit“ oder die„Hochzeit auf denersten Blick“.

Die Kombinationaus Erwartung, Ro-mantik und Pla-nungsdrangbemerktauch Pfarrerin Bar-bara Deml-Groth.Sie ist die Fachfrau

für das, was die Evangelische Kirche inBerlin Heiratswilligen als Lebenshilfe an-bietet.Manchmal steht sie aufHochzeits-messen am Stand ihrer Kirche und bietetdie Broschüre „Lass uns heiraten“ an.Manchmal führt sie Traugespräche mitjungen und weniger jungen Paaren. IhrEindruck vom Heiraten heute: VieleHochzeiten seien „ein bisschen überorga-nisiert“. Sie nimmt das als Zeichen dafür,dass „die Menschen Angst haben, etwasfalsch zu machen“.

Das dürfte einer der großen Unter-schiede zu den 50er-Jahre-Hochzeitensein.Damals heirateteman,weilman hei-ratete, und lud ein, wen einzuladen sichgehörte. Heute heiratet man, weil mander Partnerschaft einen Rahmen gebenwill und – das geht aus einer Studie desFamilienministeriums hervor – weil vielePaare glauben, Kinder seien in einer Ehebesser aufgehoben. Man heiratet aberauchgegeneinenTrend an: gegendieAuf-lösung fester, aufDauer angelegter Bezie-hungsmodelle. Man feiert die Dauer.

Wer wie Sandra und Alex auf einer dervielen Hochzeitsmessen in Berlin undUmgebung einfach mal schauen möchte,was für die Hochzeit zu beachten ist, be-kommt pfundweise Hochglanzkatalogegeschenkt. Ihr Inhalt reicht von A wie„Außergewöhnliche standesamtlicheTrauungen“ überHwie „Heiraten,woan-dere Urlaub machen“ bis T wie Traum-hochzeitsauto, sei es ein Rolls Royce von1961, sei es einTrabant in der Stretchver-sion. Es finden sich die „Top Ten derIdeen für denMädelstag“, ListenundZeit-pläne für den Countdown: ein Jahr vorder Hochzeit, sieben Monate vorher,sechs Monate... Das Event soll lebens-lange Wirkung haben, im Sinn von„Weißt-Du-noch?“

Sandra undAlex dachten ans Heiraten,seit sie drei Monate zusammen sind, wieSandra sagt. Beide sind 26. Sie studiertElektrotechnik und arbeitet in einerFirma für Gebäudeautomation. Er hat In-formatik studiert und kümmert sich umdie Internetseiten eines Sportwettenan-bieters. Kennengelernt haben sie sich„auf Arbeit“, sagt Sandra: „Ich sollte aneinemRechner arbeiten, der Rechner hatnicht funktioniert.“ Dann kam Alex, undes ereignete sich einer dieser Momente.Sandra sagt: „Mir haben so die Hände ge-zittert.“

83Prozentder18-bis29-Jährigenwün-schensich,„dasseinePartnerschafteinLe-ben lang hält“, heißt es in der erwähntenStudie des Bundesfamilienministeriums,die dem statistischen Dauertrend entge-gen fast ein Comeback der Ehe erkennenwill. Diejenigen, die so hoffen, gehörtenzu den Jahrgängen von 1980 bis 1990,„diealsReaktionaufdie sukzessiveAuflö-sungvonBindungenundSicherheitendielebenslange Perspektive von Ehe für sichwiederentdecken und wertschätzen“, soder Studientext.

Alex sagt, dass er heiraten wolle, sei„immer klar“ gewesen. Zwei Freunde hät-ten schon geheiratet, er ist der dritte. Imgemeinsamen Freundeskreis gelten San-dra und Alex als „das schnelle Pärchen“,weil sie nach gerade mal zwei Jahren desZusammenseins die Ehe schließen. Wa-rum sie das tun? Sandra lacht. „Dann istermeins“, sagt sie. „Er trägtmich halt aufHänden.“ Und: „Es gibt nichts, wo ich sa-gen würde, darum kann ich ihn nicht bit-ten.“ Alex sagt, Heiraten „rundet dasGanze noch mal ab“. Es sei „das ultima-tive Zeichen, dass man es wirklich ernstmeint.“

Sandra und Alex hatten bei einemAus-flug nach Potsdam die Idee, dort nach ei-nem schönen Ort für ihre Eheschließungzu suchen. Im Internet fiel ihnen das Bel-vedere auf. Andere kommen durch dasNetz auf die Sacrower Heilandskirche –Romantik bleibt unschlagbar. Da gibt esimSommer an jedemSonnabenddreiTer-mine, die bereits imWinter gebucht wer-den. 60 Hochzeiten pro Jahr finden hierstatt, 300 Euro pro Termin sind für dieLocation zubezahlen.Wer an einemSom-merabend hier vorbeischaut, wird wo-möglich zum Sekt eingeladen.

Für das Belvedere müssen Sandra undAlex noch mal 100 Euro mehr bezahlen.Wer heiratet, denkt auch in Bildern, in

den Erinnerungen von übermorgen. San-dra und Alex gehören zu den Paaren, de-ren Hochzeit nicht unbedingt zum film-reifen Groß-Event werden soll. Sie wol-len allerdings auch nicht in kleinemKreisheiraten, um Geld zu sparen. Also: Ehe-schließung im Belvedere, dann fährt manin ein Hotel in Werder an der Spree undfeiert mit Freunden und Verwandten,rund 60 Leute, also schon eine große Ge-sellschaft. „Weil“, sagt Alex: „Es ist einTag fürs Leben.“

Den Tag fürs Leben organisieren diebeiden selbst. Das ist eins der drei gängi-gen Hochzeitsmodelle. Daneben gibt esdasModell „Professionell durchgeplant“.Das setzenHochzeitsplanerinnenwie Ste-fanie Frädrich mit ihrer Agentur „Ja ichwill“ oder Sarah Linow von der „AgenturTraumhochzeit“ in die Wirklichkeit um.Das dritte Modell – man könnte es nen-nen: „Perfekt durchgeplant im noblenRahmen“ – bekommt man von MonicaFaas. Sie arbeitet als Eventmanagerin imHotel de Rome am Berliner Bebelplatz.Eins verbindet die konkurrierenden Pla-nerinnen: Sie verströmen Freude am Be-ruf. Heiraten macht froh, auch die, diedas Ereignis nur für andere planen.

Das sagen sie auch. Stefanie Frädrich,die fünf bis achtHochzeiten im Jahr orga-nisiert, macht das, „weil ich es schönfinde, den schönsten Tag im Leben vonzwei Leuten zu begleiten.“ Sarah Linowmag an ihrer Arbeit, „dass es immer neuist – es ist alles individuell“.Monica Faas,die im Berliner Luxushotel Hotel deRome Hochzeiten organisiert, überlegtkurz und antwortet auf die Frage, warumsie gerne Hochzeiten plant: „Weil manMenschen glücklich machen kann.“

Am Modellvergleich zwischen Allein-planung, Zusammenarbeit mit der Hoch-zeitsplanerin und Heiraten im noblenRahmen zeigt sich, dass es heutemit dem

Heiraten genauso ist wie mit Paarbezie-hungen generell: Alles geht, alleswird an-geboten, alles wird gemacht.

Die Organisation der Hochzeit bringtdie Paare noch näher zusammen – wennes gut läuft. Ein einzigesMal hat PlanerinSarah Linow erlebt, dass ein Paar sich inder Planungsphase trennte: zwei Men-schen, so die Menschenkennerin, die garnicht zusammenpassten. Bei Sandra undAlex sieht es sehr gut aus. Beide wirkenso, als liefe alles bestens: verliebt und fastverheiratet.

Auf der Hochzeitsmesse haben sieauch gleich noch einen Tanzkurs gefun-den. Der muss sein. Sandra mag Tattoos,auch große, bunte, aber das heißt nicht,dass man beimHeiraten mit allenTabus bricht. Alsolernen die beidenTanzen. Tanzenverlangt Harmo-nie. „Wir sind soein Paar, das ziem-lich gleich ist“,sagt Sandra. Siemeint gleiche Inte-ressen, ein ähnli-ches Verständnisvon Partnerschaftund Harmonie.Sie hätten „kaum Streit“, sagt Sandra.Alex neben ihr bestätigt das mit einemweichen Blick auf seine Freundin. „Ichvermisse das auch nicht“, sagt er. „Mankommt nachHause undweiß, man hat daRuhe.“ So weit geht die Einigkeit der bei-den, dass sie auch das wissen: Sie wollenzwei Kinder, sie haben sogar schon dieNamen. So harmonisch läuft auch dieHochzeitsplanung. Eine Hochzeitsreise?„Könnenwir uns nicht leisten“, sagt Alexohne jedes Bedauern, „wir sind bei 8000Euro“.

Wermit einer Agentur plant, bekommtandere Summen genannt. Der Trendgehe „zum Gesamtkonzept“, sagt Stefa-nie Frädrich. Die Paare wollten, „dass al-les zusammenpassen soll“, bis hin zumGastgeschenk, zum „Give away“. Je nachdem Aufwand für 50 bis 80 Gäste kostetdie Hochzeit bis zu 20000 Euro. Ähnlichkalkuliert Konkurrentin Sarah Linow. Inihrem hübschen Arbeitszimmer, in demsie heiratswillige Paare berät, kann mansich ein Bild machen von dem, was zumGesamtkonzept Hochzeit heute gehört.

In einer Vitrine zeigt Sarah Linow alldie Kleinigkeiten, die den Festräumen,den Esstischen, der Feier so etwas wieein Layout geben, von der „Papeterie“,den Tischkarten, der Speisekarte bis zumGästebuch.Hochzeitsmandeln undSand-dornschnäpschen für Feiernmit bestimm-ten Themen, Herzchen, überall Herz-chen. Eine Muschel für die Hochzeit amStrand: für die Eheringe. In Anbetrachtsolcher Vitrinen vollzieht sich wohl dieVerwandlung der Braut in eine Prinzes-sin, die von Dingen träumt, die ihreFreundinnen von ihrer schönenHochzeitmit nachHause nehmen, zumBeispiel be-nutzte Freudentränentaschentücher. DieLeute wollten, „dass alles schön zusam-menpasst, farblich oder thematisch, bishin zur Dankeskarte“, sagt Sarah Linow.

Die Planung beginnt mit einem Ge-spräch, in dem die Planerinnen herausar-beiten, was zu den Brautleuten passenkönnte und klären, wo sie heiraten wol-len. Sarah Linow bietet 80 Schlösser inBrandenburg und Berlin, dazu auch Loftsin der Stadt. ImHotel de Rome amBebel-platz geht man den umgekehrten Weg:Die Planung geht vom Ort der Feier aus.

AuchMonica Faas weiß aus vielen Ge-sprächen, dass das Internet zur Quelleder Inspiration geworden ist. ImNetz sto-ßen Heiratswillige auf den eindrucksvol-

len Ballsaal ihres Hotels in Mitte. EinGlasdach bedeckt die über zwei Ge-schosse reichende frühere Schalterhalleder Dresdner Bank mit ihrem Mosaikbo-den.Wer es mag, kann den großen Raummit seinenKristallleuchtern ganz in pink-farbenes Licht tauchen lassen.Außerdemgibt es eine Dachterrasse und den Bebel-platz als Kulisse.

30 bis 40 Hochzeiten organisiert Mo-nica Faas im Jahr, seit sieben Jahrenmacht sie das, und sie hat wachsendeFreudedaran. Sie sagt, dass sie nachman-chen Gesprächen „einen Film im Kopf“habe. Dann wünsche sie sich, einmal fürein Paar eine Hochzeit ganz frei zu pla-nen – zu dessen eigener Überraschung.In ihrem Beruf lernt man die Leute ebenkennen: „Der Aufwand ist immer riesigbei einer Hochzeit… Das ist mit so vielenGesprächen verbunden“, sagt sie. Man-che Paare planten ein Jahr im Voraus undlegten sogar Ordner an, „dann wird daszurWissenschaft“.

Monica Faas widerspricht dem Ein-druck, Heiraten müsse heute immer tol-ler, immer teurer, immer perfekter sein:„Manwill einfach nur einen schönen Taghaben.“ Letztlich feierten die meistendoch recht traditionell, mit Abendessenund Hochzeitstorte. „Da muss ich danndoch vor mich hin schmunzeln“, sagt sie.

Bei Sandra, Alex und deren Gästen solles ähnlich laufen. Gemeinsames EssenmitVerwandtenundFreunden, dannviel-leicht ein paar Spiele, danach der Hoch-zeitstanz auf der Basis des Tanzkurses,schließlich Tanzen durch eine langeNacht. „Ein Freund von mir ist DJ“, sagtSandra. Wenigstens das Unterhaltungs-programm muss nicht superteuer wer-den. Zumal Sandra und Alex in diesemJahr noch ein zweites Abenteuer begin-nen wollen: den Bau ihres eigenen Hau-ses.

2001Nur noch 389 591 Eheschließun-

gen – Zeit für Werbung! In Berlin

startet die BB Expo Event mit

Hochzeitsmessen, erst unterm

Funkturm, dann im Postbahnhof.

Das Standesamt im Hotel?

Geht alles. Im Berliner Ho-

tel de Rome kann man sich

erst trauen lassen – und

dann auch stilvoll feiern.

Am 17. Juli, dem Tag ihres erstes Kusses, soll es so weit sein: Sandra und Alex wollen heiraten, schön romantisch im Potsdamer Belvedere. Fotos: Kitty Kleist-Heinrich, BB Expo Event GmbH, Hotel de Rome, p-a/dpa (2)

„Das

ultimative

Zeichen,

dass man es

wirklich

ernst meint.“

1992

„Dass alles

schön passt,

farblich oder

thematisch,

bis hin zur

Dankeskarte.“

1950

In Deutschland hei-

raten 453 428

Paare. Einige vor lau-

fender TV-Kamera:

Mit Linda de Mols

„Traumhochzeit“

wird auch Jeder-

manns Eheschlie-

ßung zum öffentli-

chen Ereignis.

2010

2015

Alex, 26,Bräutigam

Sarah Linow,Hochzeitsplanerin

750000 Hochzeiten werden in den

deutschen Standesämtern registriert.

Drei Jahre später sind es nur noch

620000 – eine davon ist die des ehe-

maligen Reichskanzlers Hans Luther.

Das wird ein Mega-JaEs heiraten zwarimmer wenigerMenschen,aber wenn,

dann so richtig:Der Hochzeitstag

wird zumGroßereignis,

das Agenturen planen –oder mit den Worteneiner Kirchenfrau:

„etwas überorganisiert“

VonWerner van Bebber

SONNABEND, 18. APRIL 2015 / NR. 22 375 DER TAGESSPIEGEL 29WIE UNS DIE ZEITEN ÄNDERN