Dekubitusprophylaxe...Drei Dekubitus-Verbände haben Ende letzten Jahres eine Leitlinie zur...

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Ja Nein Ausgewählte Fachartikel und Interviews aus den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 inklusive Literaturangaben zur weiterführenden Recherche. Dekubitusprophylaxe Dossier

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Pflegen + Unterstützen

der Dekubitusprophylaxe gekom-men sei.

Diese Empfehlung geht maß-geblich zurück auf die in Fachkreisen lange Zeit übliche Anforderung, zweistündliche Lagerungsintervalle zu gewährleisten. Mittlerweile hat sich der Stand der wissenschaft- lichen Erkenntnisse aber weiter ent-wickelt. Damit stellt sich im Kontext der Entbürokratisierung die Frage, ob es angemessen ist, auch weiterhin Bewegungs- und Lagerungsproto-kolle extra zu führen.

Neuere Erkenntnisse zur Deku-bitusprophylaxe finden sich vor allem im Expertenstandard „Deku-bitusprophylaxe in der Pflege“ des Deutschen Netzwerks für Qualitäts-entwicklung in der Pflege (DNQP), der erstmals im Jahr 2000 veröffent-licht und zuletzt 2010 aktualisiert wurde (2).

Die Zielsetzung dieses Standards besteht darin, einen Dekubitus zu verhindern. Dies ist entsprechend der vorhandenen Evidenz weitge-hend möglich. Ausnahmen können beispielsweise im Gesundheitszu-stand der pflegebedürftigen Men-schen begründet liegen. Als zentrale Maßnahmen zur Dekubitusprophy-laxe gelten eine systematische Risi-koeinschätzung, die Schulung der Betroffenen sowie Bewegungsförde-rung, Druckverteilung und -entlas-tung. Darüber hinaus ist es not- wendig, die Kontinuität und die Evaluation der prophylaktischen Maßnahmen sicherzustellen.

Ablauf der Dekubitusprophylaxe im

Expertenstandard

Der Expertenstandard sieht vor, dass zu Beginn des Pflegeprozesses eine Risikoeinschätzung durch eine er-fahrene und geschulte Pflegefach-kraft erfolgt. Bei Personen, bei denen ein Dekubitusrisiko nicht ausge-schlossen werden kann, erfolgt eine differenziertere Einschätzung durch Beobachtung, Sammlung von weite-ren Informationen und Inspektion der Haut. Ursachen für eine erhöhte und/oder verlängerte Einwirkung von Druck und/oder Scherkräften

Sämtliche Maßnahmen der Dekubitusprophylaxe orientieren sich am individuellen Risiko,

den individuellen Möglichkeiten und der Eigenbewegung des Pflegebedürftigen

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RISIKOSKALEN – WICHTIG ODER ÜBERSCHÄTZT?

Dekubitusprävention. Die Dekubitusrate in deutschen Pflegeheimen liegt aktuell zwischen vier und 7,3 Prozent. Erfolgreichen Präventionsstrategien kommt also enorme Bedeutung zu. Der Einsatz von Risikoskalen kann diese Arbeit unterstützen. Das klinische Urteil der Pflegenden wird aber weiterhin die wichtigste Rolle spielen.

Von Katrin Blanck-Köster

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Praxis

Übersicht der Anpassungen

In der zweiten Aktualisierung konnten Kinder als Ziel-gruppe deutlich stärker berücksichtigt werden, da mitt-lerweile mehr Veröffentlichungen für diese Zielgruppe vorliegen und zudem zwei ausgewiesene Expertinnen aus der Kinderkrankenpflege für die Mitarbeit in der Exper-tenarbeitsgruppe gewonnen werden konnten. Eine weite-re Änderung betraf die Reihenfolge der Handlungsebe-nen des Expertenstandards. Diese orientieren sich nun-mehr klarer an den Schritten des Pflegeprozesses und folgen somit stärker der Logik der anderen Experten-standards.

Eine Veränderung gab es hinsichtlich der Aussagen zu den Ursachen für eine erhöhte und/oder verlängerte Einwirkung von Druck auf das Gewebe. Während in der ersten Aktualisierung noch zwischen Einschränkungen der Aktivität und Einschränkungen der Mobilität unter-

Bedeutsame pflegerische AufgabeDie derzeit verfügbaren Hilfsmittel und das Wissen um Prophylaxe-

maßnahmen reichen aus, um einen Dekubitus weitestgehend zu vermeiden

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schieden wurde, wird in der zweiten Aktualisierung aus-schließlich der Begriff der Mobilität verwendet, wenn es um die Identifikation von Risikopatienten geht. Die Trennschärfe beider Begriffe war in der Praxis problema-tisch und es bot sich an, die Definition aus dem Exper-tenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ aus dem Jahr 2014 zu übernehmen.

Darüber hinaus ist im aktualisierten Expertenstan-dard – in Anlehnung an die internationale Dekubitusleit-linie der NPUAP/EPUAP/PPPIA (2014) – nicht mehr von Graden, sondern von Kategorien die Rede. Neu sind auch die zwei zusätzlichen Klassifizierungen, die aller-dings keiner Kategorie zugeordnet werden können, son-dern lediglich beschrieben werden mit „keiner Kategorie zuordenbar: Tiefe unbekannt“ und „vermutete tiefe Ge-webeschädigung: Tiefe unbekannt“.

Bei den einzelnen Standardkriterien wurden folgende Änderungen vorgenommen:

Ausgewählte Fachartikel und Interviews aus den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 inklusive

Literaturangaben zur weiterführenden Recherche.

Dekubitusprophylaxe

Dossier

Dekubitusprophylaxe: Druckentlastend positionieren Vollständige oder kleine Positionsveränderungen erfolgen reflektorisch aufgrund von Druckeinwirkung auf die Haut und dienen dazu, den Druck zu verlagern. Altersbedingt nimmt die Druckwahrnehmung ab. Mit passiven Positionierungen können gefährdete Körperstellen druckentlastet und somit das Dekubitusrisiko gesenkt werden. Von Siegfried Huhn (02/2017)

Aktualisierter Expertenstandard: Dekubitusprophylaxe: Was hat sich geändert?Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) hat den Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ zum zweiten Mal an den aktuellen Stand des Wissens angepasst. Der Artikel befasst sich mit den Änderungen des aktualisierten Standards. Von Prof. Dr. Andreas Büscher und Petra Blumenberg (09/2017)

Internationale Dekubitusleitlinie: Konkrete Hilfe für Praktiker Drei Dekubitus-Verbände haben Ende letzten Jahres eine Leitlinie zur Dekubitusprophylaxe und -behandlung veröffentlicht. Diese gibt für konkrete Pflegehandlungen stark positive, schwach positive oder keine Empfehlungen. Im Folgenden werden ausgewählte Empfehlungen vorgestellt.Von Dr. Jan Kottner (04/2015)

Dekubitusprophylaxe: Brauchen wir noch Lagerungsprotokolle? Die Rechtsprechung empfiehlt, bei Dekubitus-Gefährdung ein Lagerungs- und Bewegungsprotokoll mit Einzelleistungsnachweis zu führen. Der Expertenstandard hingegen rät nicht dazu, ein längerfristiges Lagerungsintervall standardmäßig zu planen. Was bedeutet das für die Praxis?Von Prof. Dr. Andreas Büscher (03/2016)

Dekubitusprophylaxe: Bewegung fördern, Druck entlastenDie Entstehung eines Dekubitus wird von vielen Faktoren bestimmt - eine wirksame Prophylaxe daher herausfordernd. Aus der internationalen Leitlinie und dem nationalen Expertenstandard lassen sich jedoch erfolgversprechende Maßnahmen ableiten. Von Steve Strupeit und Gonda Bauernfeind (12/2016)

Pflegerecht: Wer haftet für einen Dekubitus? Druckgeschwüre sind nach Sturzereignissen die zweithäufigsten unerwünschten Zwischenfälle in der Pflege, die gerichtlich entschieden werden. Immer wieder stellt sich dann die Frage: Wer hat was zu verantworten?Von Prof. Hans Böhme (01/2018)

Dekubitusprävention: Risikoskalen – wichtig oder überschätzt? Die Dekubitusrate in deutschen Pflegeheimen liegt zwischen vier und 7,3 Prozent. Erfolgreichen Präventionsstrategien kommt enorme Bedeutung zu. Risikoskalen können diese Arbeit unterstützen. Das klinische Urteil der Pflegenden wird aber weiterhin die wichtigste Rolle spielen. Von Katrin Blanck-Köster (08/2015)

Übersichtsartikel: Bewegung gezielt fördern Wenn sich Patienten zu wenig bewegen, kann eine gefährliche Negativspirale entstehen. Diese zu durchbrechen und Mobilität bestmöglich zu forcieren, ist eine der wichtigsten pflegerischen Aufgaben überhaupt.Von Siegfried Huhn (03/2016)

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Inhaltsverzeichnis

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Druckentlastend positionierenDekubitusprophylaxe Mit passiven Positionierungen können gefährdete Körperstellen druckentlastet und somit das Dekubitusrisiko gesenkt werden. Die Positionswechsel müssen in vielen Fällen halbstündlich bis stündlich erfolgen. Sie sind daher gezielt und ohne großen personellen Aufwand auszuführen.

Von Siegfried Huhn

E in besonderes Dekubitusrisiko besteht dann, wenn selbstständige oder assistierte Positionswechsel

nicht möglich sind. Damit haben alle Personen mit man-gelhafter Mobilität ein erhöhtes Dekubitusrisiko. Für die Einschätzung der individuellen Gefährdung sind jedoch auch die Spontanbewegungen einer Person bedeutend, die zu einer vollständigen oder kleinen Positionsverände-rung führen. Solange diese Positionswechsel möglich sind, besteht nicht sofort ein erhöhtes Dekubitusrisiko – selbst wenn eine Person als „bettlägerig“ gilt.

Vollständige oder kleine Positionsveränderungen er-folgen reflektorisch aufgrund von Druckeinwirkung auf die Haut; sie dienen der Druckverlagerung. Innerhalb der Haut gibt es bestimmte Rezeptoren, die den auftretenden Druck mit der Gewebefläche abgleichen. Kommt es zu einer bestimmten Druckeinwirkung, regen sie eine Ver-änderung der Körperstellung an. Das geschieht fast im-mer unbewusst. Nur in wenigen Fällen wird dieser Vor-gang bewusst gestaltet, etwa wenn der Positionswechsel herausgezögert wird und sich eine wahrnehmbare Miss-empfindung einstellt.

Altersbedingt nimmt die Druckwahrnehmung ab. Dadurch ändern alte Menschen die einmal eingenomme-ne Position seltener oder überhaupt nicht, während junge Menschen auf dem Stuhl hin und her rutschen oder im Schlaf das Bett zerwühlen.

Altersbedingt reduzierte Positionswechsel müssen unbedingt berücksichtigt werden, wenn das Dekubitus-risiko eingeschätzt wird. Zum Teil haben Personen, die zwar grundsätzlich mobil sind oder sogar keinerlei Bewe-gungseinschränkungen zeigen, im Schlaf aufgrund der mangelhaften Druckwahrnehmung und verzögerter Spontanbewegung ein sehr hohes Dekubitusrisiko.

Ein ähnliches Phänomen ist auch bei Patienten oder Bewohnern zu beobachten, die Schmerzmittel, Psycho-pharmaka oder Schlafmittel einnehmen. Auch hier kommt es zu einer Veränderung der Druckwahrneh-mung, der einen selteneren oder völlig fehlenden Positi-onswechsel zur Folge hat.

Neben der Mobilität ist die Druckeinwirkzeit für die Dekubitusgefährdung ausschlaggebend. Je länger der Druck einwirkt, umso höher ist das Risiko.

Die lange angenommene Toleranzzeit von zwei Stun-den gilt inzwischen als widerlegt. Die Dekubitusentste-hung ist ein komplexes Geschehen, das in seiner Ge-samtheit noch nicht erfasst ist. Deshalb sind einfache Festlegungen auf eine gleiche Zeit für alle Patienten und Bewohner fachlich nicht vertretbar. Bei einzelnen Perso-nen kann es schon nach kurzen Einwirkzeiten zu einem Dekubitus kommen, andere wiederum haben eine über zwei Stunden hinausgehende Toleranz. Praxiserfahrun-gen zeigen zudem, dass Toleranzwerte zudem von den verschiedene Liegepositionen abhängen. Deshalb muss bei allen gefährdeten Personen eine genaue Hautbeob-achtung – eventuell mittels Fingertest – vorgenommen werden, um eine individuelle Zeit zur Positionsverände-rung festzulegen.

Lagerungsmaterial sorgsam auswählen

Die zeitlichen Intervalle der Positionsveränderung lassen sich über fachgerechte Positionierungen meistens verlän-gern. Hierbei kommt es entscheidend auf das verwendete Lagerungsmaterial an. Auch die verwendete Unterlage, die Matratze, ist bedeutsam. Als eine Regel kann gelten: Je härter die Unterlage beziehungsweise das Lagerungs-material, umso kürzer die Verweildauer in einer Position.

Als Auflagedruck wird der Druck beschrieben, der dem Körper von der Unterlage entgegengebracht wird. Demnach bestimmt die Härte der Unterlage oder des Lagerungsmaterials den Auflagedruck. Weiche Unterla-gen, die ein Einsinken ermöglichen, vergrößern die auf-liegende Fläche. Sie führen somit zu einer besseren Druckverteilung. Damit kommt dem verwendeten Lage-rungsmaterial eine besondere Bedeutung zu.

Materialien zur Dekubitusprophylaxe, auch einfache Lagerungskissen, müssen so weich sein, dass die Person in das Material einsinken kann, ohne dass sich dieses ver-

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härtet. Der Körper liegt in einem relativen Schwebezu-stand. Feste Füllungen, die sich zwar der Körperform an-passen und eine Modellierung vornehmen, wirken für den Moment angenehm, bauen dann aber einen zu ho-hen Auflagedruck auf.

Ähnlich verhält es sich bei Feder- oder Wattekissen. Durch das Körpergewicht werden die Kissenfüllungen so komprimiert, dass sie verhärten und in ihrer Druck- reduktion dann der normalen Matratze vergleichbar sind oder oft sogar einen höheren Druck aufbauen. Lage-rungskissen, in denen die Füllung ungleich verteilt ist, können punktuell einen höheren Druck entstehen lassen und somit eine zusätzliche Gefährdung darstellen. Da-durch kann das Lagerungsmaterial selbst zum Risiko werden.

Obgleich Weichheit gewünscht wird, kann nicht ge-nerell zu Weichmatratzen geraten werden. Ist die Mat-ratze zu weich, wird die Druckwahrnehmung weiter re-duziert. Auch lassen sich Spontanbewegungen auf wei-chen Unterlagen deutlich schwerer durchführen. Daher muss bei der Entscheidung für Weichmatratzen diese

Wahrnehmungsreduktion mit möglicher Immobilisie-rung dem positiven Effekt der Druckreduktion gegen-übergestellt werden.

Druckentlastung durch Positionswechsel

Inzwischen hat sich statt des Begriffs der Lagerung der Begriff der Positionierung durchgesetzt. Damit soll auch sprachlich gegen das „Ablagern“ der Personen ein Zei-chen gesetzt werden. Eine Lagerung zur Dekubituspro-phylaxe wird häufig als fixierte Lagerung durchgeführt. Pflegepersonen beklagen sogar oft, dass die Patienten oder Bewohner nicht in der vorgegebenen Lagerung ver-bleiben, sondern sich selbst „völlig entlagern“ oder die Körperposition verändert. Deshalb werden mit einer Vielzahl von Kissen Fixierungen vorgenommen und da-mit Zwangshaltungen verordnet.

In der Dekubitusprophylaxe wird jedoch angestrebt, dass Spontanbewegungen erhalten bleiben und von den betroffenen Personen durchgeführt werden. Deshalb ist

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Individueller Blick erforderlichDie Dekubitusentwicklung ist ein komplexes Geschehen. Pauschale Festlegungen

auf bestimmte Lagerungsintervalle sind daher fachlich nicht vertretbar

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Praxis

das selbstständige Verändern der Position positiv zu se-hen und zu fördern.

Ziel der Positionierung ist es, möglichst viele der be-sonders gefährdeten Stellen – der sogenannten Prädikati-onsstellen – frei oder druckentlastend zu lagern. Daran lässt sich feststellen, ob die jeweils gewählte Position fachgerecht ist.

Positionswechsel müssen in vielen Fällen halbstünd-lich bis stündlich vorgenommen werden und daher schnell und ohne besonderen personellen und materiellen Aufwand durchführbar sein. Deshalb ist es sinnvoll, zur Arbeitserleichterung nicht nur die Methode der Positio-nierung, sondern auch die des rückengerechten Arbeitens zu lernen. Selten werden als Lagerungsmaterial mehr als zwei Kissen gebraucht. Spezialmaterial ist nur bei spe-ziellen Lagerungen nötig, wie etwa bei der schiefen Ebe-ne oder der Mikrolagerung.

Welche Arten der Positionierung kommen infrage?

Es werden folgende Varianten der passiven Positionie-rung unterschieden:

30-Grad-Positionierung: Hierbei wird die Person zunächst zur Seite gebracht. In den Rücken und

unter das obenliegende Bein wird je ein Kissen gelegt. Das Kissen sollte 40 mal 80 Zentimeter groß und nicht zu dick sein. Die Person wird rücklings auf das Kissen-material zurückgebracht. Die 30-Grad-Lagerung (Abb. 1) ist daran zu erkennen, dass das Kreuzbein freiliegt und das obenliegende Bein gestreckt in einer Ebene mit der Hüfte liegt. Der Rollhügel (trochanter major) liegt frei und ist tastbar. Die untenliegende Schulter wird vorgezo-gen, sodass der Arm frei beweglich ist und die Person diesen selbst bewegen kann. Es wird nichts zwischen die Beine gelagert. Die Beine werden nur dann angewinkelt, wenn es physiologisch – etwa aufgrund von Kontrakturen – nicht anders möglich ist. Dann muss die 30-Grad- Lagerung entsprechend modifiziert werden, was auch in der Pflegeplanung vermerkt werden sollte.

135-Grad-Positionierung: Bei der 135-Grad-Po-sitionierung (Abb. 2) liegt die Person bauchwärts.

Dazu wird zunächst der Arm, über den gerollt werden muss, nah an den Körper – oder besser unter den Körper – gebracht. Nun ist das Rollen über den Arm unproble-matisch durchführbar. Vorher wird ein Kissen so positio-niert, dass die Person mit dem Oberkörper in das Kissen hineinrollt. Das obenliegende Bein wird angewinkelt auf ein Kissen gelegt. Jetzt wird das Becken an der untenlie-genden Seite herausgezogen, sodass nur noch der Be-ckenkamm aufliegt und im Grunde eine relativ flache Position entsteht. Der unten/hinten liegende Arm wird in eine bequeme Lage neben den Körper gebracht, der oben/vorne liegende Arm wird frei positioniert. Der un-tenliegende Fuß liegt nun mit dem Fußrücken auf, was schmerzhaft sein kann. Deshalb wird hier eine kleine Halbrolle oder eine andere Unterlage angebracht. In

dieser Position sind bis auf den Beckenkamm alle gefähr-deten Stellen druckentlastet. Diese Position wird zu sel-ten angewandt, obwohl die meisten Patienten und Be-wohner diese Position als angenehm beschreiben und so-gar oft als Einschlafposition wählen. Jedoch muss be-rücksichtigt werden, dass sich Patienten und Bewohner selten selbstständig umpositionieren können. Dem muss Rechnung getragen werden, indem in der Anfangsphase häufig geprüft wird, wie die Position erlebt wird und ob eine Veränderung nötig ist.

Mikrolagerung: Bei der Mikrolagerung werden kleine, spontane Bewegungen kopiert. Sie zeich-

net sich dadurch aus, dass nur kleine Veränderungen vor-genommen werden. Dabei werden unter verschiedene Körperstellen kleine Lagerungshilfen gebracht, zum Bei-spiel unter einer Seite des Beckens oder unter einer Schulter. Diese verbleiben bis zu einer Stunde und wer-den dann an eine andere Stelle gebracht – oder es wird ei-ne andere Form der Druckentlastung gewählt. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass bei einer Unterlagerung des Beckens ein höherer Druck auf der Ferse entsteht und dass das Bein insgesamt angespannt wird. Deshalb sollte der Bereich zwischen Ferse und Wade leicht unter-lagert werden. Die Industrie hält für die Mikrolagerung kleine Keile und Halbrollen vor, die den häufig empfoh-lenen Handtüchern vorzuziehen sind (Abb. 3). Der Ein-satz dieser Hilfsmittel erleichtert den Lagerungsvorgang enorm. Aufgrund der einfachen Handhabung kann er nach Möglichkeit sogar vom Betroffenen selbst durchge-führt werden. Die Mikrolagerung ist auch bei über länge-re Zeit sitzenden Personen möglich.

Schiefe Ebene: Bei der schiefen Ebene (Abb. 4) wird das Lagerungsmaterial unter die Matratze

gebracht. Hierzu eignen sich spezielle Lagerungskeile, die aus hartem Material bestehen, deshalb auch rücken-entlastend sind und recht schnell unter die Matratze ver-bracht werden können. Decken und Kissen führen leider fast immer dazu, dass die Ebene nicht glatt ist, sondern es eher zu Abknickungen in der Matratze kommt, wodurch der eigentliche Zweck nicht erfüllt wird und der Liege-komfort enorm abnimmt. Bei einer glatten Liegefläche ist die Person immer in Teilen druckentlastet – unabhän-gig davon, wie sie tatsächlich auf der Matratze liegt. Des-halb ist diese Methode insbesondere bei Personen ange-zeigt, die klassische Positionierungen nicht tolerieren. Außerdem ist das Unterbringen von Decken unter die Matratze kraftaufwendig und nicht rückenfreundlich.

Freilagerung: Ziel der Freilagerung (Abb. 5) ist, die besonders gefährdeten Körperstellen frei zu

lagern. Eine Möglichkeit bietet die Vier-Kissen-Metho-de, bei der Patienten oder Bewohner in Rückenlage blei-ben können. Deshalb wird sie bevorzugt für Personen eingesetzt, die nur in Rückenlage verbleiben wollen. Die Weichheit der unterlegten Kissen wird als sehr ange-nehm beschrieben und auch für Schmerzpatienten, etwa bei Osteoporose empfohlen. Neben der beschriebenen

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Positionierung werden im Handel auch verschiedene Hilfsmittel zur Freilagerung empfohlen. Hierzu wird der Kontakt zum Sanitätshandel empfohlen.

Herausforderung an Fachlichkeit

Die Dekubitusprophylaxe stellt eine Herausforderung an die Fachlichkeit der Pflegepersonen dar. Jedoch braucht es nicht nur das Fachwissen um die Entstehung von De-kubitus und die beschriebenen Positionierungen, sondern auch das Wissen zu fachgerechten Hilfsmitteln.

Da es sich bei der Prophylaxe um eine häufig wieder-kehrende Tätigkeit mit Risiko für die eigene Rückenge-sundheit handelt, müssen auch Techniken des rückenge-rechten Transfers und der Lagerungsvorgänge erlernt werden. Dadurch achten Pflegepersonen nicht nur auf

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ihre eigene Gesundheit, sondern bei diesen Transfer- und Lagerungstechniken wird auch die Bewegungsmöglich-keit der zu bewegenden Person gefördert, was dieser den Vorgang angenehmer erlebbar macht und dadurch für alle Beteiligten störungsfreier und leichter ist.

Schröder, G.; Kottner, J. (2011): Dekubitus und Dekubitusprophylaxe. Bern: HuberBauernfeind, G.; Strupeit, St. (2014): Dekubitusprophylaxe und -be-handlung. Praxisleitfaden zum Expertenstandard „Dekubitusprophy- laxe in der Pflege“. Stuttgart: Kohlhammer

Siegfried Huhn ist selbstständiger Pflegeexperte aus Berlin. Mail: [email protected]

Praxis

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Brauchen wir noch Lagerungsprotokolle?Dekubitusprophylaxe. Die Rechtsprechung empfiehlt, bei dekubitusgefährdeten Patienten ein Lagerungs- und Bewegungsprotokoll mit Einzelleistungsnachweis zu führen. Der Expertenstandard hingegen rät explizit nicht zu einer standardisierten Planung eines längerfristigen Lagerungsintervalls. Dieses Spannungsfeld sorgt für Unsicherheit – speziell im Hinblick auf das neue Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation. Was tun?

Von N. Albert, E.-M. Matzker, A. Muhle, Prof. Dr. A. Büscher und Prof. Dr. M. Roes

V iele ambulante Pflegedienste und stationäre Pflegeeinrich-

tungen haben bereits mit der Ein-führung des neuen Strukturmodells zur Entbürokratisierung der Pflege-dokumentation begonnen, andere bereiten sich darauf vor. Die Umset-zung ist mit vielen Einsichten ver-bunden, wirft jedoch auch Fragen auf. Eine dieser Fragen betrifft den Umgang mit Einzelleistungsnach-weisen und dem „Immer-so-Beweis“ im Rahmen der Risikoeinschätzung. In diesem Beitrag wird dieser Frage am Beispiel der Dekubitusprophyla-xe nachgegangen.

Einzelleistungsnachweise können verzichtbar sein

Im Zuge der neuen Pflegedokumen-tation wurden Kriterien formuliert, die einen Verzicht auf Einzelleis-tungsnachweise in der Dokumenta-tion dann zulassen, wenn Handlun-gen regelmäßig und wiederkehrend in vergleichbarer Art und Weise („Immer so“) durchgeführt werden.

Voraussetzung dafür ist, dass für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter nachvollziehbar ist, wie und zu

welchem Zeitpunkt beziehungsweise in welchen Zeitabständen Maßnah-men durchzuführen sind. Dies kann durch einrichtungsinterne Verfah-rensanweisungen oder durch eine eindeutige Beschreibung der ver-einbarten und durchzuführenden Maßnahmen in der Pflegeplanung erfolgen. In diesem Fall ist es nicht erforderlich, die Durchführung der Maßnahmen jeweils einzeln und im Detail zu dokumentieren. Sie wer-den immer nach dem selben Muster durchgeführt, bis sich eine Ände-rung ergibt, zum Beispiel weil sich der Gesundheitszustand eines Men-schen verschlechtert. Sollten Abwei-chungen der im Maßnahmenplan vorgesehenen Leistungen auftreten, werden diese im Berichteblatt do-kumentiert. Dann erfolgt bei Bedarf eine neue Einschätzung des Risikos, und die Maßnahmenplanung wird angepasst.

Einrichtungsinterne Verfahrens-anweisungen für die Durchführung regelmäßig wiederkehrender Maß-nahmen müssen für alle Mitarbeiter verfügbar sein. Dies sollte aufgrund der Verantwortung für das interne Qualitätsmanagement in den Pfle-

geeinrichtungen vorausgesetzt wer-den können. Auch über Personal-entwicklungsmaßnahmen wie Stel-lenbeschreibungen, Schulungen oder Pflegevisiten lässt sich die vergleich-bare Durchführung von Hand- lungen sicherstellen.

Trotz dieser grundsätzlich recht klaren Empfehlung sind Unsicher-heiten im Rahmen der Einführung des Strukturmodells entstanden. Diese sollen nachfolgend am Bei-spiel des Bewegungs- und Lage-rungsprotokolls bei der Dekubitus-prophylaxe verdeutlicht werden.

Bieten Lagerungsprotokolle mehr Rechtssicherheit?

Unter Bezugnahme auf die Recht-sprechung aus den Jahren 1986 und 1987 (1) wird – auch fast 30 Jahre nach den entsprechenden Urteilen – die haftungsrechtliche Empfehlung ausgesprochen, ein Lagerungs- und Bewegungsprotokoll mit entspre-chendem Einzelleistungsnachweis zu führen. Es heißt, damit könne man im Falle haftungsrechtlicher Auseinandersetzungen nachweisen, dass es zu keinen Versäumnissen bei

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der Dekubitusprophylaxe gekom-men sei.

Diese Empfehlung geht maß-geblich zurück auf die in Fachkreisen lange Zeit übliche Anforderung, zweistündliche Lagerungsintervalle zu gewährleisten. Mittlerweile hat sich der Stand der wissenschaft- lichen Erkenntnisse aber weiter ent-wickelt. Damit stellt sich im Kontext der Entbürokratisierung die Frage, ob es angemessen ist, auch weiterhin Bewegungs- und Lagerungsproto-kolle extra zu führen.

Neuere Erkenntnisse zur Deku-bitusprophylaxe finden sich vor allem im Expertenstandard „Deku-bitusprophylaxe in der Pflege“ des Deutschen Netzwerks für Qualitäts-entwicklung in der Pflege (DNQP), der erstmals im Jahr 2000 veröffent-licht und zuletzt 2010 aktualisiert wurde (2).

Die Zielsetzung dieses Standards besteht darin, einen Dekubitus zu verhindern. Dies ist entsprechend der vorhandenen Evidenz weitge-hend möglich. Ausnahmen können beispielsweise im Gesundheitszu-stand der pflegebedürftigen Men-schen begründet liegen. Als zentrale Maßnahmen zur Dekubitusprophy-laxe gelten eine systematische Risi-koeinschätzung, die Schulung der Betroffenen sowie Bewegungsförde-rung, Druckverteilung und -entlas-tung. Darüber hinaus ist es not- wendig, die Kontinuität und die Evaluation der prophylaktischen Maßnahmen sicherzustellen.

Ablauf der Dekubitusprophylaxe im

Expertenstandard

Der Expertenstandard sieht vor, dass zu Beginn des Pflegeprozesses eine Risikoeinschätzung durch eine er-fahrene und geschulte Pflegefach-kraft erfolgt. Bei Personen, bei denen ein Dekubitusrisiko nicht ausge-schlossen werden kann, erfolgt eine differenziertere Einschätzung durch Beobachtung, Sammlung von weite-ren Informationen und Inspektion der Haut. Ursachen für eine erhöhte und/oder verlängerte Einwirkung von Druck und/oder Scherkräften

Sämtliche Maßnahmen der Dekubitusprophylaxe orientieren sich am individuellen Risiko,

den individuellen Möglichkeiten und der Eigenbewegung des Pflegebedürftigen

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auf die Haut des pflegebedürftigen Menschen bestehen in Einschränkun-gen der Mobilität, Einschränkungen der Aktivität und der extrinsisch bedingten Exposition gegenüber Druck und Scherkräften.

Auf Basis der gesammelten In-formationen wird ein Bewegungs-plan erstellt, der auf die individuelle Situation des pflegebedürftigen Menschen abgestimmt ist. Innerhalb des Bewegungsplanes ist zu ent-scheiden, ob, in welchem Ausmaß und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt eine selbstständige und/oder unselbstständige Positionierung/ Lagerung zur Druckentlastung/ -reduktion erfolgen soll. Diese kann durch regelmäßige Bewegung des Pflegebedürftigen sowie – soweit möglich – durch Förderung der Ei-genbewegung erfolgen. Weiterhin werden benötigte druckverteilende Hilfsmittel bedarfsgerecht einge-setzt. Individuelle Vorlieben und Abneigungen des Pflegebedürftigen leiten sich ebenso aus der Einschät-zung ab wie Informations- und Beratungsaktivitäten.

Es leuchtet vor diesem Hinter-grund ein, dass die Planung sämt- licher Maßnahmen der Dekubitus-prophylaxe sich am individuellen Risiko, den pflegerischen Zielen, den individuellen Möglichkeiten und der

Eigenbewegung des Pflegebedürfti-gen orientieren. Eine schematische Planung eines über einen längeren Zeitraum bestehenden Lagerungsin-tervalls bei pflegebedürftigen Men-schen, die in ihrer Eigenbewegung beeinträchtigt sind, sollte keinesfalls zur Regelanwendung werden und wird im Expertenstandard explizit nicht empfohlen.

Warum diese Auffassung den-noch weit verbreitet ist, lässt sich vielleicht mit einem Blick in die Ge-schichte erklären. Der Ansatz geht zurück auf Florence Nightingale (3). Im Krimkrieg 1853, wo bereits der Zusammenhang zwischen Druck-einwirkung und Dekubitusentstehung bekannt war, wurden alle Verwunde-ten im Lazarett umgebettet. Das vielzitierte Intervall ergab sich aus der benötigten Zeit, um alle Ver-wundeten umzulagern und nicht aus wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer tatsächlich maximal möglichen Liegezeit. Florence Nightingale war es auch, die vor zirka 150 Jahren Pflegekräfte aufforderte, ihre Arbeit zu dokumentieren, solange es unter-stützend für die Arbeit war.

In Deutschland gewann die Pflegedokumentation vor allem durch das Krankenpflegegesetz von 1985 an Gewicht. Ein Lagerungs-protokoll wurde im Zuge dieser Ent-

wicklung zunehmend eingesetzt. Es sollte den Nachweis erbringen, dass ein pflegebedürftiger Mensch, der eine Dekubitusgefährdung aufweist, in zweistündigen Abständen ge- lagert wurde.

Lagerungsprotokolle weisen in der Regel neben der Lagerungsart auch die Lagerungshilfsmittel und zeitlichen Intervalle auf. Durch das entsprechende Kreuzchen bei der jeweiligen Lagerungsart und das Handzeichen sowie Datum und Uhrzeit der durchführenden Pflege-kraft wird die Durchführung be- stätigt. Die Weiterentwicklung des Lagerungsprotokolls, das Bewe-gungsprotokoll, dient dazu, Positio-nierungen festzuhalten, die nicht durch eine Lagerung stattgefunden haben, sondern beispielsweise durch Eigenbewegung des Pflegebedürfti-gen oder als Resultat von Beratungs- und Schulungsmaßnahmen.

Das Vorgehen im neuen Strukturmodell

Angesichts der fachlichen Weiter-entwicklungen bei der Dekubitus-prophylaxe wie sie hier nur kurz skizziert wurden und im Experten-standard ausführlich dargelegt sind, erscheint die fachliche Grundlage der genannten Rechtsprechung nicht mehr dem aktuellen Erkenntnis-stand zu entsprechen.

Im Strukturmodell zur Entbüro-kratisierung – insbesondere in der Strukturierten Informationssamm-lung (SIS) – wurde dem aktuellen Erkenntnisstand Rechnung getra-gen. Es sieht in der Ersteinschätzung die Festlegung vor, ob ein Risiko für einen Dekubitus besteht oder nicht. Wird eine mögliche Gefährdung festgestellt, wird entschieden, ob eine Differenzialeinschätzung notwendig ist, um alle individuellen Risiko- faktoren zu identifizieren. Ist dies nicht unmittelbar der Fall, wird eine Beobachtungsphase festgelegt und im Anschluss daran erneut über den Einsatz eines Differentialassessments entschieden. Dies wird im Berichte-blatt oder mit Hilfe ergänzender Assessment- und/oder kriterienge-stützter Erhebungsverfahren schrift-lich festgehalten. Damit korrespon-

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diert dieser veränderte Prozess auch mit der Intention zur Entbürokrati-sierung auf Grundlage einer stärkeren Berücksichtigung der fachlichen Kompetenz.

Der Maßnahmenplan ermöglicht die schriftliche Fixierung der indi-viduellen Maßnahmen – auch des Bewegungsplans – zur Vermeidung eines Dekubitus, die sich aus der Einschätzung ergeben. Eine Abwei-chung der Maßnahmen sowie Ände-rungen der Risikofaktoren werden im Berichteblatt dokumentiert und eine Anpassung im Maßnahmen-plan vorgenommen. Die zielgerich-tete Beobachtung der bestehenden und drohenden Risikofaktoren durch die Pflegefachkräfte wird in Stellenbeschreibungen und Leis-tungsbeschreibungen festgelegt.

Eine Beschreibung der verschie-denen mit der Dekubitusprophylaxe korrespondierenden Maßnahmen liegt im Qualitätshandbuch vor und flankiert somit die Anforderung an die „Immer-so-Routinen“. Im Falle haftungsrechtlicher Fragen lässt sich auf Basis einer nach diesen Vorgaben geführten Pflegedokumentation ein vollständiges Bild über die geplanten und durchgeführten Maßnahmen aufzeigen.

Eine schematische Form der Be-wegungsförderung und ihre entspre-chende Dokumentation auf einem extra vorzuhaltenden Lagerungs- und/oder Bewegungsprotokoll wäre vor diesem Hintergrund begrün-

dungsbedürftig. Grundsätzlich kann jedoch auf Bewegungsnachweise verzichtet werden. Es muss aber aus der Maßnahmenplanung ersichtlich sein, zu welchen Zeiten Bewe- gungen/Lagerungen durchzuführen sind. Über das Berichteblatt müssen Abweichungen nachvollziehbar sein, ebenso wenn der Maßnahmenplan angepasst wird. Dies muss allen Be-teiligten in der Pflege bekannt sein. Diese Anforderungen sind auch im Handbuch für Pflegeleitungen des Bundesministeriums für Familien, Senioren. Frauen und Jugend (BMFSFJ) beschrieben (4).

Zwischen Rechtsprechung und Fachwissen

Für die Praxis bleibt derzeit das Spannungsfeld zwischen der Recht-sprechung und dem veränderten Stand der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse bestehen. Allerdings ist auch die Rechtsprechung kein unveränderliches Naturgesetz. So-wohl in der Pflegeversicherung wie auch in der Krankenversicherung be-steht die Anforderung, die Pflege am aktuellen Stand der wissenschaft- lichen Erkenntnisse auszurichten. Dass diese keine Protokolle mehr vorsehen, mit denen eine zweistünd-liche Lagerung nachgewiesen wird, konnte in diesem Beitrag aufgezeigt werden. Die im Strukturmodell empfohlene Vorgehensweise steht entsprechend mit den fachwissen-

schaftlichen Erkenntnissen – im Gegensatz zur genannten Recht-sprechung – im Einklang.

(1) BGH, Urt. v. 18.3.1986, AZ VI ZR 215/84, und 2.6.1987, AZ VI ZR 174/86(2) DNQP (2010): Expertenstandard „Dekubi-tusprophylaxe in der Pflege“. 1. Aktualisie-rung 2010. Osnabrück: DNQP(3) Florence Nightingales Anmerkungen zur Krankenpflege 1870(4) Pflegedokumentation stationär. Das Hand-buch für die Pflegeleitung (BMFSFJ)

Das Autorenteam: Eva Maria Matzker, Referat Altenhilfe und Sozialstationen, Projekt Prax-SIS, Anne Muhle, Referat Altenhilfe und Sozi-alstationen, Projekt PraxSIS, Natalie Albert, Referat Altenhilfe und Sozialstationen, Projekt EQMS, Prof. Dr. Martina Roes, DZNE, Prof. Dr. Andreas Büscher, DNQP

Eva Maria Matzker ist Diplom- Pflegewirtin (FH) und arbeitet als Referentin beim Caritasverband

für die Diözese Münster. Mail: [email protected]

Anne Muhle ist Diplom-Pflegewirtin (FH) und arbeitet als Referentin beim

Caritasverband für die Diözese Münster. Mail: [email protected]

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RISIKOSKALEN – WICHTIG ODER ÜBERSCHÄTZT?

Dekubitusprävention. Die Dekubitusrate in deutschen Pflegeheimen liegt aktuell zwischen vier und 7,3 Prozent. Erfolgreichen Präventionsstrategien kommt also enorme Bedeutung zu. Der Einsatz von Risikoskalen kann diese Arbeit unterstützen. Das klinische Urteil der Pflegenden wird aber weiterhin die wichtigste Rolle spielen.

Von Katrin Blanck-Köster

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Pflegen + Unterstützen

D ekubitus, Stürze, Inkonti-nenz, Mangelernährung –

der demografische Wandel wird in den nächsten Jahren nicht nur für steigende Zahlen bei chronisch Kranken und Pflegebedürftigen sor-gen, sondern zugleich auch für zu-sätzliche Gesundheits- und Pflege-probleme. Die Dekubitusrate in deutschen Pflegeheimen liegt laut aktueller Studien zwischen vier und 7,3 Prozent (Schröder, Kottner 2012). Das Statistische Bundesamt rechnet im Jahr 2020 mit 2,9 Millio-nen Pflegebedürftigen; bis zum Jahr 2030 soll deren Zahl sogar auf 3,37 Millionen steigen. Blieben die De-kubitusquoten auch nur annähernd gleich, lägen die Fallzahlen dann bei mehr als 200 000 Betroffenen.

Studien belegen zudem einen starken Zusammenhang zwischen Pflegeabhängigkeit und einer Deku-bitusprävalenz beziehungsweise -in-zidenz (Balzer et al. 2008). Es be-steht schon heute dringender Hand-lungsbedarf, die Situation in den Pflegeeinrichtungen zu verbessern. Die Frage ist: Mit welchen Instru-menten kann das am besten gelin-gen?

Risikoskalen: Es mangelt an Evidenz

Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines Dekubitus be-steht, wenn bei einer Person Risiko-faktoren vorliegen, die die Wahr-scheinlichkeit eines Dekubitus be-günstigen (Schröder, Kottner 2012). Das können intrinsische Faktoren sein, zum Beispiel die Einschrän-kung der Beweglichkeit einer Per-son. Ursächlich können aber auch extrinsische, also Umgebungsfakto-ren sein, wie harte Auflagen oder drückende Sonden und Katheter. Wie hoch das Risiko tatsächlich ist, hängt vom Wechselspiel der Fakto-ren ab.

Einige Studien konnten Zusam-menhänge zwischen dem Dekubi-tusrisiko und Inkontinenz und der Beeinträchtigung des Ernährungs-zustands ermitteln (Kottner, Tannen 2010). Als sicher gilt, dass die beein-trächtigte Fähigkeit eines Men-

schen, selbständig für Positionsver-änderungen zu sorgen, als Anzeichen für ein Dekubitusrisiko zu werten ist (Lindgren et al. 2004).

Internationale Leitlinien zur De-kubitusprophylaxe empfehlen die Anwendung von Risikoskalen als Hilfsmittel zur Einschätzung des Dekubitusrisikos. Allerdings basie-ren deren Empfehlungen bisher nur auf schwachen wissenschaftli-chen Belegen mit niedriger Evi- denz (Schröder, Kottner 2012). Im überarbeiteten Expertenstandard (DNQP 2010) findet sich diese Empfehlung bereits nicht mehr.

Derzeit existieren mehr als 100 Risikofaktoren für das Auftreten ei-nes Dekubitus. Einige davon sind zugleich Bestandteil von mehr als 30 unterschiedlichen Risikoskalen. Die Faktoren Mobilität, Ernährung und Inkontinenz finden sich in bei-nahe allen diesen Skalen wieder. Die Unterschiede liegen – neben der konkreten Auswahl der Faktoren – insbesondere in Art und Ausmaß der verwendeten Skalenstufen sowie im jeweiligen Punktesystem.

Und auch die Ziele, die mit der Anwendung von Dekubitusrisiko-skalen verfolgt werden, können viel-fältig sein: Sie sollen die klinische Entscheidungsfindung unterstützen, Benchmarking ermöglichen oder auch zur Entwicklung von Standards beitragen. Wie alle anderen Diag-nostikinstrumente auch müssen die Skalen valide, reliabel und einfach zu handhaben sein. Zudem sollte ihre Wirksamkeit zur Steigerung von Ef-fektivität und Effizienz der Dekubi-tusprophylaxe beitragen (Reuschen-bach, Mahler 2011).

Unverzichtbar für den erfolgrei-chen Einsatz von Dekubitusrisiko-skalen ist die Einweisung in dieses

Instrument und eine ausreichende pflegerische Expertise aufseiten der Anwender (EPUAP, NPUAP 2009). Nach derzeitigem Forschungsstand gewährleistet allerdings keine auf Güte hin getestete Risikoskala eine stets zuverlässige und fehlerfreie Be-stimmung des Dekubitusrisikos. Bis-lang fehlt es an Belegen, dass der Einsatz dieser Skalen dem klini-schen Urteil Pflegender überlegen wäre (Reuschenbach, Mahler 2011).

Wichtig: das Urteil der Pflegenden

Nach wie vor spielen die Pflegefach-personen bei der Dekubituspräventi-on eine herausragende Rolle, da sie sowohl für die Risikodiagnostik und Dokumentation als auch für die sys-tematische Maßnahmenplanung zur Dekubitusprävention verantwortlich sind (Bartholomeyczik 2004). Das Deutsche Netzwerk für Qualitäts-entwicklung in der Pflege hat einen Expertenstandard zur Dekubitus-prophylaxe in der Pflege entwickelt, dessen Umsetzung für die Versor-gungsqualität erhebliche Relevanz besitzt (DNQP 2002, DNQP 2010). Wichtig dabei ist sowohl die Identi-

Im überarbeiteten Expertenstandard Dekubitusprophylaxe des DNQP findet

sich keine Empfehlung für die Anwendung von Risikoskalen mehr

Katrin Blanck-Köster

40 Die Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 8|15

fizierung besonders geeigneter Qua-litätssicherungsmaßnahmen als auch die kritische Auseinandersetzung mit Assessment-Instrumenten hin-sichtlich ihrer Effektivität und Effi-zienz.

So formulierten sowohl das Eu-ropean Pressure Ulcer Advisory Panel (EPUAP) als auch das Natio-nal Pressure Ulcer Advisory Panel (NPUAP), dass ein strukturiertes Vorgehen bei der Risikoeinschät-zung nur durch eine Risikoskala in Kombination mit einer vollständigen Hautinspektion sowie einer klini-schen Beurteilung erzielt werden kann (EPUAP, NPUAP 2009, Wil-born et al. 2010). Ähnlich wird das auch in einer diesbezüglichen Studie von Paquay et al. 2010 formuliert: „The nurses’ judgement of a patient risk status was the most important factor for applying preventive mea-sures.“

Risikoskalen oder einzelne Risi-kofaktoren können nur sehr einge-schränkt mit dem Entstehen eines Dekubitus validiert werden, weil nur durch die Anwendung prophylakti-scher Maßnahmen aktiv ein Deku-bitus verhindert werden kann. Ska-len messen, wie hoch die Wahr-scheinlichkeit für einen Dekubitus ist. Die tatsächliche Dekubitusent-stehung können sie nicht vorhersa-gen (DNQP 2010).

Zudem zeigt sich, dass sich auch nach einem Risikoassessment nicht zwingend eine systematische Maß-nahmenplanung ableiten lässt (Bar-

tholomeyczik 2004). Insgesamt sind alle Studien zur Effizienz und Effek-tivität von Risikoskalen heterogen und weisen durchgehend Schwächen hinsichtlich ihrer Genauigkeit auf (Schlömer 2003). Es lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass rando-misiert-kontrollierte Studien zur klinischen sowie zur ökonomischen Effektivität der verschiedenen As-sessmentverfahren zurzeit noch feh-len (Balzer et al. 2008).

Einrichtungen müssen selbst entscheiden

Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es zurzeit weder Argumente für noch gegen die Anwendung von Risiko-skalen. Pflegeeinrichtungen müssen also selbst entscheiden, inwieweit die Anwendung einer Skala hilfreich ist. Ob Risikoskalen eine Erinnerungs-funktion besitzen, die Pflegende für das Problem Dekubitus sensibilisie-ren können, und ob schon dadurch ein Nutzen für den Pflegebedürfti-gen entsteht, all das muss erst noch in Studien geprüft werden (Reu-schenbach, Mahler 2011). Für die Identifizierung dekubitusgefährdeter Menschen ist in jedem Fall empfeh-lenswert: eine systematische Ein-schätzung auf der Basis des klini-schen Urteils gut ausgebildeter Pfle-gefachpersonen. Dafür sollte es in jeder Pflegeeinrichtung interne Ver-fahrensregelungen geben, deren Inhalte auf die durchschnittliche Häufigkeit und den Verlauf des

Dekubitusrisikos angepasst werden (Balzer, Kottner 2012, in Schröder, Kottner 2012). Bartholomeyczik, S. (2004): Pflegebedarf und Pflegebedürftigkeit. Konzeptentwicklung, Operationalisierung und Konsequenzen. Prin-terNet. 7–8Balzer, K.; Meyer, G.; Köpke, S.; Mertens, E. (2008): Standardisierte Einschätzung des De-kubitusrisikos – ein Positionspapier: Nutzen muss belegt sein. Pflegezeitschrift, 61 (8)Charité (2012): Pflegeprobleme in Deutsch-land. Ergebnisse von 12 Jahren Forschung in Pflegeheimen und Kliniken 2001–2012. Ber-lin: Charité Universitätsmedizin BerlinCharité (2011): Gesundheitsbezogene Lebens-qualität in Pflegeheimen. Längsschnittstudie. Erste Ergebnisse. Herbst 2011. Berlin: CharitéDeutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.) (2002): Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege. Entwick-lung-Konsentierung-Implementierung. Osna-brück: Schriftenreihe DNQPDeutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (Hrsg.) (2010): Experten-standard in der Pflege. 1. Aktualisierung 2010 einschließlich Kommentierung und Literatur-studie. Osnabrück: Schriftenreihe DNQPEuropean Pressure, Ulcer Advsory Panel and National (2009): Leitlinie Dekubitus Präventi-on. Eine Kurzanleitung. Erarbeitet von EPUAP und NPUAP. Washington DC: National Pres-sure Ulcer Advisory Panel. URL: http://www.epuap.org.guidelines/QRG_Prevention_in_ Germany.pdf (Stand: 10.1.2015)Kottner, J.; Tannen. A. (2010): Literaturstudie. In: DNQP. Expertenstandard Dekubituspro-phylaxe in der Pflege. 1. Aktualisierung 2010. Osnabrück: Schriftenreihe des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege: 41–61Lindgren, M.; Unosson, M.; Frederikson, M.; Ek, A. C. (2004): Immobility – a major risk factor for development of pressure ulcers among adult hospitalized patients: a prospec -tive study. Scand. J. Caring: Sci., 18 (1): 57–64Paquay, L.; Verstraete, S.; Wouters, R. et al.: J Clin Nurs. 2010 Jul;19 (13–14): 1803–11. doi: 10.1111/j.1365–2702.2009.03170.xReuschenbach, B.; Mahler, C. (2011): Pflege-bezogene Assessmentinstrumente. Interna-tionales Handbuch für Pflegeforschung und -praxis.1. Aufl. Bern: Verlag Hans HuberSchlömer, G. (2003): Dekubitusrisikoskalen als Screeningsinstrumente – Ein systemati-scher Überblick externer Evidenz. Z. ärztl. Fortbild.Qual.sich.(ZaeFQ).97: 33–46. Urban & Fischer Verlag.Schröder, G.; Kottner, J. (2012): Dekubitus und Dekubitusprophylaxe. 1. Auflage. Bern: Verlag Hans Huber.Wilborn, D.; Grittner, U.; Dassen, U.; Kottner, J. (2010): The National Expert Standard Ulcer Prevention in Nursing and pressure ulcer pre-valence in German health care facilities: a multilevel anlysis. Journal of Clinical Nursing, 19, 3364–3371

Die Arbeit entstand im Rahmen des Master Studiengangs Management von Organisatio-nen und Personal im Gesundheitswesen (M.A.) an der Hamburger Fern-Hochschule

Katrin Blanck-Köster (B.A.), Wissenschaftliche Mitarbeiterin – Master Pflege – Hochschule für Angewandte Wissenschaften [email protected]

SINNVOLL: FORSCHUNG NEU AUSRICHTENStudien belegen, dass 90 Prozent befragter Pflegekräfte in Pflegeheimen Maßnahmen wie die der Risikoeinschätzung, Mikrolagerung und Inspektion der Haut als sinnvolle Dekubitusprophylaxe ansehen (Charité 2011). Laut dem Expertenstandard DNQP 2010 besitzen die systematische Risikoeinschätzung, Schulung von Bewohnern/ Patienten, Bewegungsförderung, Druckentlastung und -verteilung sowie die Kontinuität und Evaluation prophylaktischer Maßnahmen eine herausragende Bedeutung bei der Dekubitusprophylaxe. In der 2009 erschienenen und 2014 überarbeiteten Version „Internationale Leitlinie zur Prävention von Dekubitus“ werden der Verwendung von speziellen den Druck verteilenden Unterlagen, also Spezialbetten und/oder Matratzen sowie der regelmäßigen (Um)-Lagerung von gefährdeten Personen die höchste Wirksamkeit bescheinigt (Charité 2012). In Deutschland scheint die Implementierung des Expertenstandards zur Dekubitusprophylaxe gelungen. Die Forschung sollte sich zukünftig insbesondere auf die Transparenz der Ergebnisqualität durch Qualitäts -indikatoren und auch auf die Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität Pflegebedürftiger fokussieren. Da gibt es noch erhebliche Mängel.

36 Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 9|17

Dekubitusprophylaxe: Was hat sich geändert?

Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) hat den Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ zum zweiten Mal an den aktuellen Stand des Wissens angepasst. Änderungen nahmen die Autoren bei den Kommentierungen und dem Aufbau des Experten- standards vor. Zudem wurde ein sogenanntes Indikatorenset entwickelt.

Von Petra Blumenberg und Prof. Dr. Andreas Büscher

E inen Dekubitus zu vermeiden, ist eine bedeutsame pflegerische Aufgabe. Obwohl das evidenzbasierte

Wissen zur Dekubitusprophylaxe noch immer lückenhaft ist, reichen die derzeit verfügbaren Kenntnisse zu Hilfs-mitteln und anderen Prophylaxemaßnahmen aus, um ei-nen Dekubitus weitestgehend zu vermeiden.

Trotzdem kann es Gründe für die Entstehung eines Dekubitus geben. Der Expertenstandard „Dekubituspro-phylaxe in der Pflege“, erstmals 2004 und soeben in der zweiten Aktualisierung erschienen, will einen Beitrag zur Qualitätssicherung und -weiterentwicklung bei der Ver-meidung von Dekubitus leisten.

Die meisten inhaltlichen Aussagen bestätigt

Der Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pfle-ge“ ist der erste, der zum zweiten Mal aktualisiert wurde. Die Arbeit daran erfolgte von Oktober 2015 bis Juni 2017. Unter der methodischen Begleitung des DNQP traf sich eine 15-köpfige Expertenarbeitsgruppe zu zwei Sitzungen und passte den Expertenstandard an den aktu-ellen Stand des Wissens an.

Wesentliche Grundlage für die Anpassungen und Konkretisierungen war die Literaturstudie, die vom wis-senschaftlichen Leiter der Expertenarbeitsgruppe, Pri-vatdozent Dr. Jan Kottner von der Charité – Universi-tätsmedizin Berlin, verantwortet wurde. Nach einer kri-tischen Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Literaturrecherche und ihrer Übertragbarkeit auf deut-sche Praxisbedingungen wurden die Standardkriterien des „alten“ Expertenstandards geprüft und in Teilen neu formuliert.

Aktualisierter Expertenstandard

Im Ergebnis lag ein Expertenstandard-Entwurf vor, auf dessen Grundlage die Experten neue Kommentie-rungen formulierten. Wie bereits bei der ersten Aktuali-sierung im Jahr 2010 gab es nur wenige inhaltliche Än-derungen der Standardkriterien. Allerdings wurde der Aufbau des Expertenstandards verändert, um klarer der Logik des Pflegeprozesses zu folgen und die unterschied-lichen Standardkriterien zu pflegerischen Interventionen – Information und Beratung, direkte fachliche Interven-tionen zur Druckverteilung und -entlastung sowie die Nutzung von Hilfsmitteln – besser zu unterscheiden. Weitestgehend neu formuliert und zum Teil erheblich er-weitert wurden die Kommentierungen zu den Standard-kriterien, die für die Umsetzung in der Praxis vielfältige Hilfestellungen und Konkretisierungen enthalten.

Anfang 2017 lag eine überarbeitete Fassung des Ex-pertenstandards für die sich anschließende Konsultations-phase vor, bei der die Fachöffentlichkeit Stellung zu den Änderungen beziehen konnte. Im Rahmen einer sechs-wöchigen Konsultationsphase bestand Gelegenheit, an der Aktualisierung des Expertenstandards mitzuwirken.

Angesichts von 3 552 Zugriffen auf die eingestellten Dokumente erscheint der Rücklauf von elf schriftlichen Stellungnahmen als sehr gering. Diese waren jedoch sehr qualifiziert und enthielten eine Vielzahl begründeter Hinweise auf redaktionellen und inhaltlichen Überarbei-tungsbedarf. Die Hinweise wurden vom wissenschaftli-chen Team des DNQP aufbereitet und der Experten-gruppe gemeinsam mit den Original-Stellungnahmen zur Verfügung gestellt. Die Rückmeldungen der Mitglie-der der Expertenarbeitsgruppe in dieser weiteren Kon-sentierungsrunde sind in die abschließende Fassung der Veröffentlichung eingeflossen.

Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 9|17 37

Praxis

Übersicht der Anpassungen

In der zweiten Aktualisierung konnten Kinder als Ziel-gruppe deutlich stärker berücksichtigt werden, da mitt-lerweile mehr Veröffentlichungen für diese Zielgruppe vorliegen und zudem zwei ausgewiesene Expertinnen aus der Kinderkrankenpflege für die Mitarbeit in der Exper-tenarbeitsgruppe gewonnen werden konnten. Eine weite-re Änderung betraf die Reihenfolge der Handlungsebe-nen des Expertenstandards. Diese orientieren sich nun-mehr klarer an den Schritten des Pflegeprozesses und folgen somit stärker der Logik der anderen Experten-standards.

Eine Veränderung gab es hinsichtlich der Aussagen zu den Ursachen für eine erhöhte und/oder verlängerte Einwirkung von Druck auf das Gewebe. Während in der ersten Aktualisierung noch zwischen Einschränkungen der Aktivität und Einschränkungen der Mobilität unter-

Bedeutsame pflegerische AufgabeDie derzeit verfügbaren Hilfsmittel und das Wissen um Prophylaxe-

maßnahmen reichen aus, um einen Dekubitus weitestgehend zu vermeiden

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rschieden wurde, wird in der zweiten Aktualisierung aus-schließlich der Begriff der Mobilität verwendet, wenn es um die Identifikation von Risikopatienten geht. Die Trennschärfe beider Begriffe war in der Praxis problema-tisch und es bot sich an, die Definition aus dem Exper-tenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“ aus dem Jahr 2014 zu übernehmen.

Darüber hinaus ist im aktualisierten Expertenstan-dard – in Anlehnung an die internationale Dekubitusleit-linie der NPUAP/EPUAP/PPPIA (2014) – nicht mehr von Graden, sondern von Kategorien die Rede. Neu sind auch die zwei zusätzlichen Klassifizierungen, die aller-dings keiner Kategorie zugeordnet werden können, son-dern lediglich beschrieben werden mit „keiner Kategorie zuordenbar: Tiefe unbekannt“ und „vermutete tiefe Ge-webeschädigung: Tiefe unbekannt“.

Bei den einzelnen Standardkriterien wurden folgende Änderungen vorgenommen:

38 Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 9|17

Praxis

1. Ebene zur Einschätzung: Die Formulierung aus der ersten Aktualisierung des Expertenstandards – „Die Pflegefachkraft beurteilt mittels eines systematischen Vorgehens das Dekubitusrisiko aller Patienten/Bewoh-ner, bei denen eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann“ – hat in der Praxis dazu geführt, dass der Gefährdungsausschluss häufig nicht dokumentiert wurde und so nicht ersichtlich war, ob eine Risikoein-schätzung stattgefunden hat. Daher wurde in der neuen Fassung in P1 deutlicher zwischen einem initialen Screening zur Beantwortung der Frage, ob ein Dekubi-tusrisiko vorliegt oder nicht, und einer differenzierten Einschätzung unterschieden.

In E1 wurde der Begriff „Dekubitusgefährdung“ ge-gen „individuelles Dekubitusrisiko“ ausgetauscht. Damit wird deutlicher, dass es nicht nur darum geht, eine Gefährdung zu erkennen, sondern auch zu identifizieren, worin das individuelle Risiko für einen Dekubitus liegt, um die richtigen Maßnahmen ableiten zu können.

2. Ebene zur Planung und Schnittstellenorganisation:Die Inhalte der ursprünglichen Ebene 5 zur Koordinati-on der Schnittstellen wurde in die Handlungsebene 2 verschoben. Im Strukturkriterium 2b wurde die Verfah-rensregelung aufgenommen, die als Werkzeug der Quali-tätsentwicklung bereits aus anderen Expertenstandards bekannt ist, im Expertenstandard zur Dekubitusprophy-laxe aber bisher nur in der Kommentierung Erwähnung fand. Das Vorhandensein einer solchen Verfahrensrege-lung wurde von der Expertenarbeitsgruppe als hilfreich und wichtig angesehen. Deutlicher betont wird das Er-fordernis der gemeinsamen Planung von Maßnahmen mit dem Betroffenen und gegebenenfalls Angehörigen in Ebene P2.

3. Ebene zur Beratung: Hier wurde das Kriterium S3b ergänzt, mit dem die Einrichtung in die Pflicht genom-men wird, erforderliches Informations- und Schulungs-

material für die Anleitung von Betroffenen und Angehö-rigen zur Verfügung zu stellen.

4. Ebene zur Förderung der aktiven (Eigenbewegung) und passiven (Druckentlastung durch die Bewegung des Patienten/Bewohners) Bewegung: In den Interven-tionsebenen wird deutlicher als vorher dargestellt, dassdie Maßnahmen je nach Umfang der Mobilitätsein-schränkungen und anderer wichtiger Risiken individuellangepasst werden müssen. Während es bei manchen Pa-tienten/Bewohnern mit einem Dekubitusrisko ausrei-chend sein kann, umfassend zu beraten, benötigen ande-re zusätzlich Anreize zur oder Unterstützung bei der Bewegung. In der 4. Handlungsebene geht es vorrangig um die Förderung der Eigenbewegung durch unterstüt-zende oder motivierende Maßnahmen. Im Fall vonnicht ausreichender Eigenbewegung zum Beispiel auf-grund verstärkter Mobilitätseinschränkungen oder ko-gnitiver Einschränken werden die Eigenbewegung för-dernden Maßnahmen durch druckentlastende Maß-nahmen (Positionierung) durch die Pflegefachkraft er-gänzt wird. Hierzu findet sich im Anhang des Exper-tenstandards eine hilfreiche Übersicht zu möglichen Positionierungen.

5. Ebene zum Einsatz von druckentlastenden und -ver-teilenden Hilfsmitteln: In dieser Handlungsebene gab esdie wenigsten Änderungen. Die Evidenz für den Einsatz von Wechseldruck- oder Weichlagerungsmatratzen ist inden letzten Jahren eher noch besser geworden. In der Kommentierung zu S5b wurde eine Übersicht zu denderzeit verfügbaren Matratzen- und Auflagentypen er-gänzt, um eine individuelle Auswahl zu erleichtern.

6. Ebene zur Evaluation: Die neu aufgenommenen Kri-terien S6b und E6b nehmen die Evaluation aus Organi-sationsperspektive in den Fokus. Ähnlich wie beim The-ma Sturzprophylaxe erachtete die Expertenarbeitsgruppe das Ermöglichen von systematischer Evaluation durch die Erfassung von Daten sowie das Rückkoppeln dieser Daten an die Mitarbeiter für bedeutsam.

Indikatorenset entwickelt

Im Rahmen der Aktualisierung des Expertenstandards wurden erstmalig Qualitätsindikatoren für das interne Qualitätsmanagement entwickelt. Deren Einsatz in der Praxis soll den Fokus verstärkt auf die Prozesse inner-halb der Einrichtungen lenken und den Verantwortli-chen eine bessere Steuerung ihrer Qualitätsbemühun-gen ermöglichen. Dazu erfolgte auf Grundlage des ak-tualisierten Expertenstandards eine erste Einschätzung durch die Expertenarbeitsgruppe, welche Aspekte der pflegerischen Dekubitusprophylaxe besonders in den Blick genommen werden sollen. Diese Prioritätenset-zung wurde vom wissenschaftlichen Team des DNQPgemeinsam mit dem Team der Charité – Universitäts-medizin Berlin zu einem vorläufigen Indikatorenset zu-

Die aktualisierte Version des Experten-standards kann online bestellt werden unter: www.dnqp.de/bestellung

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Die Schwester Der Pfleger 56. Jahrg. 9|17 39

mente genutzt werden, wie Pflegevisiten und Fallbespre-chungen. Mit Vorliegen der Ergebnisse kann ein Vergleich mit dem Qualitätsniveau im aktualisierten Expertenstandard erfolgen und geprüft werden, inwie-weit Anpassungen oder themenspezifische Fortbildun-gen geplant werden müssen.

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hg.): Ex-pertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege – 2. Aktualisierung 2017. Osnabrück: DNQP

Petra Blumenberg ist Mitglied des wissen-schaftlichen Teams des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Mail: [email protected]

Prof. Dr. Andreas Büscher ist wissenschaft- licher Leiter des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Mail: [email protected]

Praxis

sammengestellt. Dieses wird bis Dezember 2017 im Rahmen eines Praxisprojekts mit 30 Einrichtungen er-probt. Nach Auswertung der Ergebnisse werden Er-kenntnisse aus dem Praxisprojekt zur Arbeit mit dem aktualisierten Expertenstandard sowie zur Praxistaug-lichkeit des Indikatorensets der Fachöffentlichkeit vor-gestellt. Eine gute Möglichkeit, sich zum aktualisierten Expertenstandard und zu den Ergebnissen des Praxis-projekts auszutauschen bietet der 20. Netzwerk-Work-shop am 2. März 2018 in Berlin.

DNQP rät: Aktuelles Qualitätsniveau erheben

Für Einrichtungen gilt es nun zu prüfen, ob und in wel-chem Umfang eine Anpassung des einrichtungsinternen Vorgehens aufgrund der Veränderungen erforderlich ist. Das DNQP empfiehlt hier zunächst die Erhebung des aktuellen Qualitätsniveaus, etwa durch das im Experten-standard enthaltene und zudem auf der DNQP-Website abrufbare Audit-Instrument zum Expertenstandard. Es können aber auch einrichtungsinterne Qualitätsinstru-

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Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 12|16 27

Pflegen + Unterstützen

B ei der Entstehung eines De-kubitus spielt Druck die ent-

scheidende Rolle. Bei der Prophylaxe muss der Fokus daher auf den ein- wirkenden Druck, die individuelle Expositionszeit und die einwirkenden Scherkräfte liegen. Pflegerische Auf-gabe ist es, das individuelle Risiko ein-zuschätzen, prophylaktische Maßnah-men zu planen und durchzuführen so-wie die Wirksamkeit zu evaluieren.

Risikoassessment: Das Risiko, einen Dekubitus zu entwickeln, muss zu Beginn des pflegerischen Auftrags erfasst werden. Während des Pflege-prozesses ist die Gefährdung des Be-troffenen in individuell festzulegen-den Abständen zu ermitteln. Kommt es zu Veränderungen der Mobilität oder der Aktivität sowie zur Einwir-kung externer Faktoren, die zur er-höhten oder verlängerten Einwir-kung von Druck führen, ist ein indi-viduelles Risikoprofil unverzüglich zu erstellen.

Laut internationaler Leitlinie (EPUAP/NPUAP/PPPIA 2014) soll ein strukturiertes Risikoassess-ment so schnell wie möglich inner-halb der ersten acht Stunden nach Aufnahme des Patienten erfolgen. Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf Personen zu legen, die schon ein-mal einen Dekubitus hatten oder aktuell aufweisen. Menschen, deren Aktivität und Mobilität aufgrund von akuter Erkrankung oder Multi-morbidität herabgesetzt ist, bedürfen ebenfalls einer besonderen Aufmerk-samkeit. Gleiches gilt für Menschen mit Durchblutungsstörungen.

Inspektion der Haut: Zu Beginn des pflegerischen Auftrags muss die Haut überprüft werden. Dazu kann ein Haut- und Gewebeassessment hinzugenommen werden. Die In-spektion muss sich auf die gesamte Hautfläche der pflegebedürftigen Person erstrecken. Besonders gefähr-dete Stellen, sogenannte Prädilekti-onsstellen, müssen besonders genau untersucht werden. Dies sind Areale über Knochenvorsprünge mit beson-ders dünner Hautschicht, wie das Kreuzbein, das Fersenbein, der große Rollhügel, der Außen- und Innen-knöchel, und das Sitzbein.

Zudem sollte mindestens zwei-mal täglich die Haut unter und rund um medizinische Hilfsmittel auf Anzeichen druckbedingter Verlet-zungen des umgebenden Gewebes untersucht werden (EPUAP/NPU-AP/PPPIA 2014).

Präventive Hautpflege und Inkonti-nenzmanagement: Darüber hinaus ist eine präventive Hautpflege för-derlich. Die Haut einer pflegebe-dürftigen Person sollte grundsätzlich sauber und trocken sein. Es sollten Hautreinigungsmittel mit einem auf die Haut angepassten pH-Wert von 5,5 zum Einsatz kommen. Bei beste-hender Inkontinenz sollte die Haut umgehend nach Inkontinenzepiso-den gereinigt werden. Zudem ist ein individueller Plan zur Kontinenzför-derung beziehungsweise zum Inkon-tinenzmanagement zu erarbeiten (EPUAP/NPUAP/PPPIA 2014). Wichtig zu wissen ist hierbei: Lang-fristiger Kontakt mit Stuhl und Urin kann die Haut schädigen. Das kann zu einer Inkontinenzasoziierten Dermatitis (IAD) führen. Dies hat zwar primär nichts mit einem Deku-bitus zu tun. Geschädigte Haut ist jedoch ein Risiko für die Entwick-lung eines Dekubitus. Deshalb sind Hilfsmittel wie Urinalkondome und adäquate Inkontinenzartikel wie Slips und Vorlagen von entscheiden-der Bedeutung. Diese Hilfsmittel sollen den Urin von der Haut weg-leiten. Vorsichtig ist bei preiswerten Inkontinenzartikeln geboten. Sie sind meist mit Plastikfolien versehen, die den Urin nicht wegleiten, sondern einen Urinstau verursachen können, der die Haut schädigen kann.Prophylaktische Verbände: In der internationalen Leitlinie (EPUAP/NPUAP/PPPIA 2014) wird der Einsatz von prophylaktischen Ver-bänden empfohlen. Bei prominenten Knochenvorsprüngen wie Fersen und am Kreuzbein, die naturgemäß großen Scher- und Reibungskräften ausgesetzt sind, sollten Polyurethan-schaumverbände verwendet werden. Trotz Schaumverband muss weiter-hin eine Haut- und Gewebebewer-tung stattfinden. Empfehlenswert sind daher Produkte mit Silikonrän-dern, die ein einfaches Anheben zur

täglichen Kontrolle ermöglichen, ohne dass invasiv agiert werden muss. Das prophylaktische Verband-material soll sobald es beschädigt ist, verrutscht, lose oder außergewöhn-lich feucht ist, ersetzt werden. Bei der Auswahl eines Produkts sind fol-gende Aspekte zu berücksichtigen:n Das Produkt muss Feuchtigkeit abdunsten können.n Es sollte ein Produkt mit leichter Anwendbarkeit verwendet werden, um die Haut nicht zusätzlich zu schädigen.n Es sind Produkte und Verband-techniken zu wählen, die sich ohne Faltenbildung der Körperform an-passen können.n Es ist auf die korrekte Größe des Verbandes zu achten. Die Größe ist so zu wählen, dass das Polster des Ver-bandes mindestens zwei bis drei Zen-timeter aller Seiten der prominenten Knochenvorsprünge umschließt. Der Kleberand schließt danach erst an.

Angepasste Ernährung: Ernährung spielt bei der Dekubitusprophylaxe eine wichtige Rolle, weil mangel- ernährte Menschen ein erhöhtes Dekubitusrisiko haben. Mangeler-nährung entsteht häufig aufgrund einer akuten Erkrankung oder Mul-timorbidität. Die Erfassung des Ernährungsstatus dient dazu, einen unbeabsichtigten Gewichtsverlust von fünf Prozent in drei Monaten und zehn Prozent in sechs Monaten eine Rolle. Diese Personen, die so schnell an Gewicht verloren haben, sind im weiteren Verlauf zu beurtei-len. Bei untergewichtigen Menschen kommt zusätzlich die erhöhte Druckexposition durch prominente Knochenvorsprünge hinzu. Deshalb sollen angereicherte Lebensmittel und/oder hochkalorische oral zu ver-abreichende Protein-Nahrungser-gänzungsmittel zwischen den Mahl-zeiten angeboten werden, wenn der Nährstoffbedarf nicht durch die Nahrungsaufnahme gedeckt werden kann. Die Ernährungssituation des Betroffenen ist daher regelmäßig zu erheben. Bei einer Fehl- und Man-gelernährung sind zusätzlich die Vorgaben des Expertenstandards zur oralen Ernährung zu beachten (NPUAP/EPUAP/PPPIA 2014).

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28 Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 12|16

Druckentlastend positionieren

Wird eine Person aufgrund von Bewe-gungseinschränkungen als dekubitusge-fährdet eingestuft, sollte eine sofortige Bewegungs-, Liege- und Sitzanalyse er-folgen. Gefährdete Körperstellen müssen druckentlastend positioniert werden. Dies wird zum einen durch Positionswechsel erreicht, etwa durch eine Freilage der vor-her belasteten Region, zum anderen durch Druckverteilung mit Hilfsmittel.

Eigenbewegung fördern: Die Eigenbe-wegung des Betroffenen ist stets zu för-dern. Hierzu ist zunächst abzuklären, ob bestimmte Einschränkungen die Bewe-gung behindern, beispielsweise Schmer-zen. Hilfreich ist es auch, dem pflegebe-dürftigen Menschen Mobilitätsanreize zu geben, zum Beispiel über Musik, direkte Aufforderung oder aktivierende Pflege. Hierbei müssen individuelle Vor-lieben und der biografische Hintergrund berücksichtigt werden.

Positionsänderung: Druckentlastung wird durch die Freilage einer Körpersei-te oder eines Körperteils erzielt. Eine gute Möglichkeit zur Druckentlastung sind Positionswechsel. Dazu zählen die rechte und linke 30-Grad-Lage, die 135-Grad-Bauchlage sowie die Rücken-lage, die weniger als 30 Grad beträgt.

Die Häufigkeit des Positionswechsels hängt von individuellen Faktoren ab, wie der Aktivität, der Mobilität, dem allgemei-nen Gesundheitszustand und dem Haut-zustand. Kleinste Bewegungen eignen sich nur bedingt zur Positionsveränderung, da sie lediglich eine Schwerpunktverlagerung darstellen. Zu vermeiden sind Positionen, die zur Druckerhöhung führen – hierzu zählen die 30-Grad-Oberkörperhochlage, die 90-Grad-Seitenlage und eine halb- liegende Position.

Es ist nicht zu empfehlen, ein starres Intervall zur Bewegungsförderung an-zuwenden, zum Beispiel einen generel-len Positionswechsel alle zwei Stunden bei allen dekubitusgefährdeten Perso-nen. Es ist ebenfalls nicht empfehlens-wert, nachts weniger Bewegungsförde-rung durchzuführen als tagsüber. Denn je nach individuellem Risiko kann eine stringente Bewegungsförderung not-wendig sein, die in der Nacht nicht unterbrochen werden sollte – zumal be-sonders in der Nacht Patienten pharma-

DRUCKVERTEILENDE HILFSMITTEL EINSETZENDruckverteilende Hilfsmittel können die Belastung reduzieren, die auf ein bestimmtes Körperareal einwirkt. Es muss beim Einsatz solcher Hilfsmittel jedoch genau geprüft werden, ob diese für den Betroffenen in seiner individuellen Situation geeignet sind. Denn auch hier steht die Möglichkeit einer individuellen Bewegungsförderung immer im Vordergrund.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Pflegeperson im Umgang mit den ein- zusetzenden Hilfsmitteln geschult ist. Eine Fehl-, Über- oder Unterversorgung von Hilfsmitteln ist zu vermeiden.

Bei der Entscheidung, ob ein Hilfsmittel zum Einsatz kommt, sind folgende Fragen zu berücksichtigen:�� Welche Vorteile bringt der Einsatz des Hilfsmittels für den Klienten?�� Wie ist die körperliche und psychische Verfassung des Klienten? �� Welche Pflege- und Therapieziele stehen im Vordergrund, zum Beispiel � � Schmerzreduktion, Bewegungsverbesserung und Ruhigstellung? �� Zu welchen negativen Auswirkungen, zum Beispiel Einschränkung der � � Eigenbewegung, kann der Einsatz des Hilfsmittels potenziell führen?�� Welche Körperstellen sind gefährdet? �� Wie hoch ist das Gewicht des Klienten? �� Welche Vorlieben und Wünsche hat der Klient?�� Wie hoch sind die Kosten des Hilfsmittels im Verhältnis zum Nutzen?

Druckverteilende Unterlagen: Reicht die Bewegungsförderung allein zur Deku- bitusprophylaxe nicht aus, müssen die Betroffenen unverzüglich auf ein druckver-teilendes Hilfsmittel positioniert werden. Unter unverzüglich versteht das Experten-team des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP 2010), dass der Patient ohne zeitliche Verzögerung auf einer druckverteilenden Unterlage liegt. Dies betrifft beispielsweise pflegebedürftige Menschen mit Kachexie, starkem Bewegungsmangel, fehlender Eigenbewegung, krankheits- oder therapie-bedingten Kontraindikationen, akutem Atemnotsyndrom (ARDS), Verbrennungen oder Polytrauma. Für Personen mit erhöhtem Dekubitusrisiko, bei denen eine häufige manuelle Umlagerung nicht möglich ist, sollte eine aktive druckverteilende Unter- lage in Form einer speziellen Auflage oder Matratze eingesetzt werden.

Weichlagerungsmatratzen: Weichlagerungsmatratzen sind viscoelastische Schaumstoffmatratzen. Bei diesen Matratzen sinkt der Körper ein, dadurch wird die Auflagenfläche vergrößert, was einem Dekubitus entgegenwirkt. Dennoch muss immer bedacht werden, dass durch die Komprimierung Scherkräfte entstehen können.Falls der Klient aufsteht oder auf der Bettkante sitzt, sind Randverstärkungen not-wendig aufgrund der Sturzgefahr.

Wechsellagerungssysteme: Mögliche Nachteile einer Wechsellagerung können sein, dass sich vorhandene Schmerzen, Spastiken sowie Wahrnehmungs- und Körperbildstörungen verstärken. Zudem ist zu beachten, dass nicht bei jedem Wechsellagerungssystem eine Hochlage des Oberkörpers möglich ist. Sowohl bei Wechseldruckauflagen als auch bei Wechseldruckmatratzen kann eine Kopfteil-hochlagerung eine Funktionsstörung der Luftkammern durch Abknicken bewirken.

Umlagerungssysteme: Umlagerungssysteme sind Seitenlagerungssysteme. Sie drehen den Klienten um die Körperlängsachse. Je nach Hersteller sind die Zeiten stufenlos bis zu 90 Minuten und der Winkel um bis zu 90 Grad einstellbar. Der Klient wird je nach Einstellung von der rechten Seite zur Mitte und zur linken Seite bewegt. Eine Seite kann auch ausgespart werden, zum Beispiel kann bei einem Dekubitus am linken Trochanter das Umlagerungssystem die linke Seite komplett auslassen. Der Nachteil bei solchen Matratzen besteht darin, dass sie eine Eigen- bewegung voraussetzen. Bei Patienten mit Halbseitenlähmung zum Beispiel kann es daher passieren, dass sich der Betroffene nicht aus der Situation befreien kann. Bei kognitiv eingeschränkten Menschen können Umlagerungssysteme zudem Angstzustände sowie Wahrnehmungs- und Körperbildstörungen auslösen.

Mikrostimulationssysteme: Mikrostimulationssysteme sind wahrnehmungsför-dernde Matratzensysteme, die das Körperbild fördern. Bei einem solchen System befindet sich unter einer Schaumstoffmatratze ein Lattenrost mit einem Federsystem aus Metall und Kunststoff. Es ist als passives und aktives System erhältlich. Beim passiven System werden die Federn mit Eigenbewegung aktiviert, der Mensch spürt seinen Körper. Bei dem Aktivsystem werden die Federn mit einem Motor unterhalb der Matratze bewegt.

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Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 12|16 29

kologischen Einflüssen von Sedativa und Hypnotika ausgesetzt sein kön-nen und so ein Bewegungsimpuls herabgesetzt sein kann.

Fersen freilegen: Fersen gelten als besonders gefährdet für Dekubital-geschwüre. Lahmann et al. (2010) fanden heraus, dass sowohl in Kran-kenhäusern als auch in Pflegeheimen rund ein Viertel aller Dekubitus an der Ferse entstanden. Der Präventi-on kommt daher eine hohe Bedeu-tung zu. Zunächst ist es wichtig, die Haut an den Fersen regelmäßig auf Hautrötungen und -defekte zu un-tersuchen. Hierbei ist zu beachten, dass Hautrötungen und Blasenbil-dung aufgrund der Hautdicke an Fersen häufig erst sehr spät erkannt werden. Eine wirkungsvolle Maß-nahme ist es, die Fersen freizulegen. Dabei sollen sie komplett angehoben und das Gewicht des Beins über die Wade und Oberschenkel verteilt werden. Die Achillessehne ist bei der Fersenfreilage nicht zu belasten. Ei-ne Überdehnung des Knies kann zu einer Verengung der Kniekehlenvene führen, was wiederum eine tiefe Venenthrombose begünstigen kann. Deshalb sollten die Knie leicht ange-winkelt werden (NPUAP/EPUAP/PPPIA 2014).

Positionierung im Sitzen: Im Sitzen ist der Druck aufgrund der kleinen Auflagefläche erhöht. Deshalb sind Personen besonders dekubitusge-fährdet, wenn sie zu lange sitzen, keinen eigenen Positionswechsel durchführen können oder ihre Posi-tion nicht entlasten können mit Schwerpunktverlagerung. Die Zeit-dauer des Sitzens muss zeitlich be-grenzt sein. Die maximale zeitliche Dauer richtet sich am Risiko und an der individuellen Gewebetoleranz. Durch Beobachtung der sitzenden Person ist die pflegerische Einschät-zung zu ergänzen und die individu-elle Zeitdauer schriftlich im Bewe-gungsförderungsplan zu fixieren. Die volle Bewegungsfreiheit soll beim sitzenden Patienten soweit wie mög-lich erhalten bleiben. Die Position soll angenehm sein sowie den Druck und die Scherkräfte auf Haut und Gewebe minimieren. Die Rücken-

lehne soll möglichst hoch sein, um die Auflagefläche zu vergrößern. Der Stuhl/Sessel sollte Armlehnen ha-ben, damit die Person ihre Position mit einer Schwerpunktverlagerung entlasten kann. Die Füße des Klien-ten sind auf dem Boden, einer Fuß-stütze oder einer geeigneten Unter-lage zu platzieren. Die Höhe der Fußstütze soll so gewählt werden, dass das Becken leicht nach vorne gebeugt ist und die Oberschenkel leicht angestellt sind. Mit dieser Po-sition rutscht der Körper im Sessel weniger abwärts und durch die Ver-änderung der Fußhöhe kommt es zu einer Änderung der Druckverhält-nisse im gesamten Oberschenkel und Gesäß (NPUAP/EPUAP/PPPIA 2014). In dieser idealen Sitz-position verteilt sich der Sitzdruck gleichmäßiger über Oberschenkel und Gesäß. Werden die Füße nicht erhöht aufgestellt, reduziert sich die Auflagefläche und der Druck kon-zentriert sich auf einen kleineren Be-reich. Die Druckbelastung steigt über dem Sitzbein.

Transfertechniken anwenden: Es sollten gewebeschonende Transfer-techniken durch die Pflegefachkraft angewendet werden. Kann keine gewebeschonende Transfertechnik angewendet werden, sind Hilfsmittel einzusetzen. Dabei gilt, die größt-mögliche Selbstständigkeit für den Klienten zu erreichen.

Häufigkeit der Bewegungsförde-rung individuell einschätzen: Die Pflegefachperson muss die Häufigkeit der Bewegungsförderung individuell für jeden Klienten auf Grundlage des jeweiligen Risikos einschätzen. Während jeder Bewegungsförderung sollte eine Hautinspektion erfolgen. Zudem müssen subjektive Äußerun-gen des Betroffenen über Schmerzen oder Unbequemlichkeit beachtet werden. Die Wirksamkeit der Bewe-gungsförderung ist kontinuierlich zu evaluieren, da Veränderungen schnell eintreten können. Auf Grundlage dieser Evaluation werden die Inter-valle zwischen den Bewegungsförde-rungen verlängert oder verkürzt. Bei sitzender Position ist darauf zu ach-ten, dass insbesondere hier laufend

Prof. Dr. Steve Strupeit ist Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule München. Er ist zudem Wundtherapeut – WTcert® DGfW (Pflege) und Mitglied der Expertenarbeitsgruppe „Erhaltung und

Förderung der Mobilität“ des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der

Pflege (DNQP). Mail: [email protected]

Gonda Bauernfeind ist Pflegedienstleiterin, Wundtherapeutin – WTcert® DGfW (Pflege) und Mitglied der Expertenarbeitsgruppen „Pflege von Menschen mit chronischen

Wunden“ und „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ des Deutschen Netzwerks für Qua-

litätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Mail: [email protected]

ein individuelles Zeitintervall festge-stellt wird, da im Sitzen ein Dekubi-tus wesentlich schneller entstehen kann als im Liegen.

Pflegefachliche Kompetenz ausschlaggebend

Eine erfolgreiche Dekubitusprophy-laxe setzt eine hohe pflegefachliche Kompetenz voraus. Bedeutsam ist hier vor allem die pflegerische Erfas-sung des individuellen Dekubitus- risikos und die Beobachtung mobili-tätseingeschränkter Personen. Senk-recht einwirkender Druck und/oder Scherkräfte, die parallel zur Haut wir-ken, müssen hier im Fokus stehen. Deshalb sind die Bewegungsförderung mit den Maßnahmen zur Druckent-lastung und der Einsatz von Hilfsmit-teln von entscheidender Bedeutung.

NPUAP/EPUAP/PPPIA: National Pressure Ul-cer Advisory Panel, European Pressure Ulcer Advisory Panel and Pan Pacific Pressure Injury Alliance. Prevention and Treatment of Pressu-re Ulcers: Quick Reference Guide. Emily Ha-esler (Ed.). Cambridge Media: Osborne Park, Australia; 2014Bauernfeind, G.; Strupeit, St. (2015): Dekubi-tusprophylaxe und -behandlung: Praxisleitfa-den zum Expertenstandard „Dekubitusprophy-laxe in der Pflege“. Stuttgart: KohlhammerDeutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (2010): Expertenstan-dard Dekubitusprophylaxe in der Pflege. 1. Aktualisierung. Osnabrück

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Es gibt nahezu keinen Lebens-bereich, der nicht an Mobilität

gebunden ist. Sie hat für Menschen ei-nen sehr hohen Stellenwert, da sie für Unabhängigkeit und Selbstbestimmt-heit sorgt.

Ein Mensch, der sich frei bewegen kann, führt diese Fähigkeit im Alltag ganz selbstverständlich und unreflek-tiert aus. Den meisten gesunden Men-schen ist nicht bewusst, dass Bewe-gungsfähigkeit die Grundlage aller körperbezogenen Verrichtungen ist. Auch sozialer Kontakt mit anderen Menschen ist vom Grad der eigenen Mobilität abhängig.

Häufiges Gesundheitsproblemalter Menschen

Die Abnahme funktioneller Fähig-keiten in den Bewegungsabläufen gehört zu den häufigsten Gesund-heitsproblemen alter Menschen. Ursachen sind altersbedingte Verän-derungen im Bewegungsapparat. Sieäußern sich in einer Minderung der groben Kraft, der Feinmotorik undGelenkbeweglichkeit, im Nachlassen der Reaktionsgeschwindigkeit sowie in herabgesetzter Stell- und Gleich-gewichtsreaktion.

In die altersbedingte Mobilitäts-einschränkung wächst der Mensch langsam hinein. Er lernt gleichzeitig dabei, diese Einschränkungen weit-gehend und über lange Zeit auszu-gleichen.

Problematisch wird die herabge-setzte Mobilität oft erst, wenn sie Schmerzen verursacht, wesentliche Einschränkungen der Funktionalität mit sich bringt oder die Fähigkeit zur Lebensbewältigung mindert. g

Mobilitätseingeschränkte Perso-nen, die pflegebedürftig sind, habenneben den altersbedingten Bewe-gungseinschränkungen in der Regel zusätzliche Erkrankungen, die dazu führen, dass dieses an sich fein aus-balancierte System der Alterungs-prozesse nicht aufrecht erhaltenwerden kann. Es kommt in der Regel zu gravierenden Einschränkungen bei der Orts- und Lageveränderung des Körpers. Massive Pflegeproble-me wie Dekubitus, Kontrakturen und ein reduzierter Allgemeinzu-

stand können die Folge sein. Be-stimmte Risiken können diese Nega-tivspirale begünstigen. Beispiele sind freiheitsentziehende Maßnahmenund medizinisch notwendige Maß-nahmen wie Blasenverweilkatheter, Infusionstherapie und die Gabe bestimmter Medikamente. Hinzukommen psychologische Faktoren wie Sturzangst, fehlende Anspracheund Depression.

Einschränkungen in der Mobilität ist für Betroffene oft sehr belastend, be-sonders wenn es darum geht, Orte auf-zusuchen oder nicht verlassen zu kön-nen. Je nach Ausprägung der Be- wegungseinschränkung kann diese zu Resignation und Selbstaufgabe führen.

Die Basis: Mobilitätsstatus erheben

Mit einer gezielten Förderung vonBeweglichkeit können Pflegende wesentlich dazu beitragen, die be-schriebenen Komplikationen zu ver-hindern. Insofern ist es fatal, dass dies in der Pflege – egal ob im Kran-kenhaus, im Heim oder in der am-bulanten Pflege – zu wenig statt- findet.

Der pflegerische Blick ist eher defizitorientiert und der Fokus liegt auf dem Hilfebedarf, der sich aus den vorhandenen Mobilitätsein-schränkungen ergibt. Bewegung zu fördern und zu unterstützen, ist meist ein Begleithandeln, um weitere Komplikationen wie Druckstellen oder Gelenkversteifungen zu ver-meiden.

Der wesentliche Aspekt der pfle-gerischen Bewegungsförderung liegt in der Verhinderung unnötiger Bett-lägerigkeit und im Angebot fördernder Pflege. Sie gewährt den Patienten und Bewohnern Unter-stützung bei den Alltagsaktivitäten und geht dabei so vor, dass die Res-sourcen der Betroffenen genutzt werden. Wichtig ist, dabei nicht inAktionismus zu verfallen und dasnatürliche Bedürfnis alter Menschen nach Ruhe und Erholung zu respek-tieren. Der individuelle Bedarf anBewegung muss abgewogen werden, um dadurch die Bewegungsfähigkeit zu erhalten und zu fördern.

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Pflegewissenschaftlerinnen wie Mo-nika Krohwinkel, Marlies Beckmannund Angelika Zegelin haben schon früh auf die Bedeutung von Mobilität undMobilitätsförderung hingewiesen, hier-

Abb. 1 Erfassungsbogen zur Mobilität (EBoMo)© Universität Witten/Herdecke/A. Zegelin

Erfassungsbogen zur Mobilität (EBoMo)

Name des Bewohners: ___________________________________WG: ____________

Datum: _______________________ Handzeichen: ____________

Bemerkungen:

A1: Positionswechsel im Bett

A1.1 Dreht sich im Bett von einer Seite zur anderen

A1.2 Aufstellen der Beine

Gesamt A1.1–A1.2

A2: Transfer

A2.1 Von der Rückenlage im Bett in die Sitzposition

A2.2 Kann in sitzender Position Gleichgewicht zum Stehen verlagern

A2.3 Oberkörper aufrichten

Gesamt A2.1–A2.3

A3: Sitzen im Stuhl

A3.1 Kann frei sitzen (Rumpfkontrolle)

A3.2 Kann für ____ Minuten sitzen

Gesamt A3.1–A3.2

A4: Stehen/Gehen/Treppen steigen

A4.1 Kann beim Stehen das Gleichgewicht halten

A4.2 Kann mindestens ____ Sekunden stehen

A4.3 Kann beim Gehen das Gleichgewicht halten

A4.4 Kann auf der Ebene mindestens ____ Meter gehen

A4.5 Treppen steigen

Gesamt A4.1–A4.5

A5: Bewegung innerhalb/außerhalb der Einrichtung

A5.1 Bewegt sich innerhalb der Einrichtung

A5.2 Bewegt sich außerhalb der Einrichtung

Gesamt A5.1–A5.2

Gesamt A1–A5

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zu gearbeitet und Förderkonzepteentwickelt. Ihnen ist zu verdanken, dass der Themenkomplex Mobilität in den pflegerischen Fokus rückte.

Da der Abbau von funktionellenFähigkeiten mit dem Alterungspro-zess einhergeht, müssen Mobilitäts-erhalt und -förderung früh beginnenund nicht erst bei vorliegender Pflege-bedürftigkeit. Hier kommt der pro- fessionellen Pflege im Rahmen vonPrävention und Gesundheitsberatung eine besondere Aufgabe zu.

Ausgangspunkt für bewegungs-fördernde Interventionen ist die Erhebung des Bewegungsstatus. Hier müssen eindeutige Kriterienvorgegeben werden, weil Pflegeper-sonen mobilitätsbezogene Fähigkei-ten oft unterschiedlich einschätzen.

Eine Arbeitsgruppe um AngelikaZegelin der Universität Witten/Herdecke hat in einem Projekt zur Bewegungsförderung in Pflegehei-men das Instrument „Erfassungsbo-gen zur Mobilität (EBoMo)“ entwi-ckelt (Abb. 1). Dieser enthält insge-samt fünf Mobilitätskategorien, de-nen 14 Items zur Einschätzung der mobilitätsbezogenen Ressourcen zu-geordnet sind. Für jedes Item werden das Ausmaß der Ressourcen in denvier Antwortmöglichkeiten „selbst-ständig“, „mit Hilfsmittel“, „Perso-nenhilfe“ und „komplett unselbst-ständig“ eingeordnet. Je nach Ausprä-gung werden zwischen einem und vier Punkten vergeben. Die Item-Scores dienen der mobilitätsbezoge-nen Statuserhebung. Bei wiederholter Anwendung kann zudem ein Mobili-tätsverlauf abgebildet werden. Für die einzelnen Mobilitätskategorien wer-den Zwischensummen gebildet, aus deren Addition sich eine Gesamt-summe ergibt. Bei weiteren Erhebun-gen wird anhand des Scores ein Ver-lauf skizziert.

Die Autoren des Expertenstan-dards „Erhalt und Förderung der Mo-bilität“ empfehlen zur Einschätzung kein spezielles Instrument, sondern nennen für die Gesamtbeurteilung der Mobilität bestimmte Faktoren (DNQP 2014). Sie beziehen sich auf die Bewe-gungsfähigkeit der Person, auf biografi-sche Aspekte, auf physische, psychische und kognitive Ressourcen und Beein-trächtigungen, auf aktuelle Erkrankun-

Die Schwester Der Pfleger 55. Jahrg. 3|16 17

gen und therapeutische Maßnahmen sowie auf die umfeldbezogenen mate-riellen und sozialen Merkmale.

Aus der Einschätzung ergebensich Mobilitätsprofile, um die Bewe-gungsfähigkeit oder auch die Bewe-gungsbeeinträchtigung zu beschreiben und daraus den Bedarf abzuleiten:n Weitgehende Immobilität: Beiunterschiedlichen Positionen wie Rücken- oder Seitenposition, Schräglage und Sitzen sind kleine Bewegungen selbstständig oder mit Unterstützung möglich.n Teilmobilität außerhalb desBetts: Der Schwerpunkt dieser Fest-legung liegt auf Transfer, Balance, Rumpfkontrolle, Stehen, Standsi-cherheit und Gehfähigkeit. Auch Aspekte wie Kraft, Energie und Mo-tivation sollen berücksichtigt wer-den, die für den Aufenthalt außer-halb des Betts verfügbar sind. n Mobilität außerhalb des Betts: Hier liegen die Schwerpunkte auf selbstständigen Bewegungsabläufen. Beispiele sind der Transfer vom Bett in den Stuhl, das aktive Rollstuhl-fahren, das zielsichere Benutzen vonGehhilfen, das Gehen in Wohnräu-men, auf dem Flur oder der Etage sowie die Ausdauer des Betroffenen.

Pflegerisch gezielt handeln

Interventionen zum Mobilitätserhalt und zur -förderung liegen im Wesent-lichen in der Patienten- und Ange-hörigenedukation, in der Umsetzung von Bewegungskonzepten und demgezielten Einsatz von Hilfsmitteln.

Der Begriff der Patientenedukati-on setzt sich mehr und mehr als über-geordneter Begriff für Pflegeberatung durch. Als Übersetzung bietet sich„Gesundheitsberatung in der Pflege“ (Huhn 2013) an. Die Patienten- und Angehörigenedukation orientiert sich an der Belastungsfähigkeit der zu be-ratenden Personen. Folgende Aspektesollten dabei berücksichtigt werden(DNQP 2014):n Bewegung ist bedeutsam für dieGesundheit, Selbstständigkeit und soziale Möglichkeiten. Dabei mussder Aspekt des Ausruhens themati-siert werden.n Krankheitsspezifische Aspektemüssen bei der Mobilitätsförderung

berücksichtigt werden. Möglichkei-ten anderer Berufsgruppen werden hier aufgegriffen.n Handlungsgewohnheiten und Alltagsverhalten – etwa die grund-sätzlichen Bewegungsmöglichkeiten der Person, das Bewegungsverhaltenim Umfeld, Formen der Alltagsge-staltung, Assistenzbedarf und dasAnwenden von Hilfsmitteln – haben Bedeutung für die Förderung der Beweglichkeit.

n Bedeutung haben auch Einstel-lungen und emotionale Hintergrün-de, die sich insbesondere auf Mobili-tätseinschränkungen beziehen. Daskönnen Ängste sein, fremde Hilfe inAnspruch zu nehmen oder anderen Menschen zur Last zu fallen.n Räumliche Gestaltung und Wohnraumanpassung sind Möglich-keiten, die Mobilität zu erhalten oder zu fördern. Aspekte wie Stol-perfallen und Möbelplatzierung zur

Abb. 2

Konzepte zur Förderung der Bewegung und Wahrnehmung

Aktivitas Pflege®(begründet durch Marlies Beckmann)

Bobath-Konzept(begründet durch Berta Bobath und Karel Bobath)

Kinästhetik in der Pflege®(begründet durchFrank Hatch und Lenny Maietta)

Aktivierend- rehabilitative Pflege –

Fördernde Pflege

Mobilitätsförderung durch das Drei- Schritte-Programm(nach einer Idee vonAngelika Zegelin)

Basale Stimulation® in der Pflege(begründet durch Andreas Fröhlich und Christel Bienstein)

Aktivitas Pflege® ist ein auf Aktivierung ausgerichtetes Konzept, das erhaltene Fähigkeiten erweitern und neue Möglichkeiten initiieren möchte. Grenzen der Personen, die miteinander in Interaktion sind, sollen rechtzeitig erkannt und respektiert werden. Die Bewegungsanalyse ist dabei ein grundlegendes Beobachtungs- und Bewertungsinstrument. Die Reduktion von Bewegungsschmerz und Gelenkmobilisation ist ein wichtiger Aspekt des Konzepts.

Das Bobath-Konzept ist ein multiprofessioneller Ansatz in der Rehabilitation und Therapie von Patienten mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Besonders bekannt ist es in der Arbeit mit Schlaganfallkranken und zur Verhinderung von Spastizität. Das Bobath-Konzept stellt einen Lernprozess dar. Die Klienten sollen lernen, die Kontrolle über die Muskelspannung und Bewegungsfunktionen wiederzuerlangen. Im Vordergrund stehen die Regulation des Muskeltonus und die Anbahnung physiologischer Bewegungsabläufe.

Kinästhetik in der Pflege® ist das Studium der Bewegung und der Wahrnehmung, die wiederum aus Bewegung entsteht. Bewegung von Klienten wird im Konzept als Dialog gestaltet. Bewegungsabläufe werden kräftesparend und nach physio- logischen Bewegungsmustern durchgeführt.

Aktivierend-rehabilitative Pflege – Fördernde Pflege ist eine pflegerische Grundhaltung, durch die das Pflegeangebot an den Möglichkeiten und Zielen des Klienten ausgerichtet wird und der Bedarf an Unterstützung unter dem Aspekt der Förderung von Selbstständig- und Unabhängigkeit gestaltet wird.

Es handelt sich um ein Programm zur Förderung der Beweglich-keit. Die Idee ist, Personen mit weitgehenden Einschränkungen der Mobilität einige Schritte mit Unterstützung gehen zu lassen. Personen, die bei größeren Entfernungen im Rollstuhl transportiert werden, sollen wenigstens die letzten drei Schritte laufen. Hierdurch soll ein Anreiz zu selbstständigem Bewegen gesetztwerden und ein Trainingseffekt einsetzen. Pflegende unterstützen soweit wie nötig und nehmen sich in der Assistenz mehr undmehr zurück.

Basale Stimulation® in der Pflege ist ein Konzept zur Förderung der Wahrnehmung und die Anregung primärer Körper- und Be-wegungserfahrungen. Zielgruppe sind Menschen mit erheblicher Wahrnehmungsbeeinträchtigung, deren Eigenaktivität aufgrund mangelnder Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist. Mit einfachen Mitteln wird versucht, den Kontakt zu den Menschen aufzu-nehmen, um ihnen den Zugang zu ihrer Umgebung und ihren Mitmenschen zu ermöglichen und Lebensqualität zu erleben.

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Unterstützung der Bewegungsabläu-fe sollten angesprochen werden.n Finanzielle und soziale Unter-stützung ist möglich in Form einer Kostenübernahme bei Hilfsmitteln oder Wohnraumanpassung. Weitere Informationen sollten Unterstüt-zungsmöglichkeiten betreffen, die sich aus dem persönlichen Umfeld oder als professionelle Dienstleis-tung ergeben.n Es bestehen Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Übungsange-boten, die in Einrichtungen zur Mo-bilitätsförderung angeboten werden. Im ambulanten Bereich bestehen zum Teil Angebote der Krankenkas-se wie Krafttraining oder Senioren-gymnastik.n Bewegungsübungen für den All-tag meint insbesondere Übungen, die nach Anleitung gefahrlos selbst-ständig ohne Begleitung durch- geführt werden können, wie Sitz-gymnastik, oder aber Training in Alltagsfertigkeiten.n Außerhäusliche Angebote be-treffen Tageseinrichtungen und am-bulante Rehabilitation. Sie stellen auch eine Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt sicher.n Weitere Aspekte mit Mobilitäts-bezug wie Kontinenzförderung, Sturz- und Dekubitusprophylaxe so-wie Sicherstellung der Ernährung werden thematisiert.

Seit Ende der 1980er-Jahre set-zen sich immer mehr Konzepte der Bewegungs- und Wahrnehmungs-förderung durch. Das Ziel der meis-ten Konzepte besteht darin, die Wahrnehmung für den eigenen Kör-per und die Bewegungsabläufe zu-rückzuerlangen oder zu erhöhen, diese entsprechend der natürlichen Bewegungsmuster zurückzubahnen und die Bewegungsfähigkeit zu för-dern. Neben der handwerklichen Fertigkeit werden auch Umgebungs-faktoren, Raumgestaltung und zum Teil Hilfsmittelnutzung einbezogen.

Für die Pflegepersonen ergibt sich bei den meisten Konzepten die Möglichkeit, die eigene Körperhal-tung und Bewegung zu reflektieren und das Pflegehandeln an Patienten/Bewohnern rückengerecht zu gestal-ten. Es sollten möglichst viele Pfle-gepersonen in diese Konzepte unter-wiesen werden, damit sich die beschriebene Kontinuität herstellen lässt und erfolgreich wird. Für alle in Abbildung 2 aufgeführten Beispiele für Bewegungskonzepte lassen sich entsprechende Erfolge belegen, wenn die Assistenzangebote gleich-bleibend gestaltet werden.

Wichtig zu beachten: Besonders bei der Gestaltung von Maßnahmen der Mobilisation und der direkten Förderung der Mobilität durch Pfle-gepersonen sollen die Vorgehenswei-

sen mit den Akteuren der anderen Berufsgruppen abgestimmt werden. Vielfach macht es Sinn, dass Physio-therapeuten direkte Bewegungsab-läufe für den Alltag planen, wie etwa den Transfer vom Bett in den Stuhl.

Hilfsmittel gezielt einsetzen

Der Einsatz von Hilfsmitteln kann für die Mobilitätsförderung hilfreich sein. Nachfolgend werden einige Beispiele aufgeführt, um deutlich zu machen, wie weit das Feld gesteckt wird, wenn es um Mobilitätshilfen geht. Der Einsatz muss jedoch re-flektiert erfolgen. Denn unter Um-ständen schränkt eine Person die ei-gene Mobilität ein, weil sie Angst hat, im Bedarfsfall keine Hilfe rufen zu können. Oder die Bewegungs-möglichkeiten verändern sich, weil eine sehr weiche Matratze die Wahr-nehmung für den eigenen Körper herabsetzt oder Spontanbewegung erschwert.

Kleine technische Hilfen: Zur Er-leichterung der Pflege, zur Sicher-heit beim Personentransfer und zum rückengerechten Bewegen empfeh-len Unfallversicherer sogenannte technische Hilfsmittel. Diese ma-chen Bewegungsabläufe sicherer und fördern das rückengerechte Arbeiten der Pflegepersonen. Dennoch müs-

1 Mobilisationsgürtel

2 Gleitbrett „Easyglide“

3 Einstiegshilfe „Savanah“

4 Pflegebett „Vis-a-Vis“ von Völker

5 Pflegebett „Vertica care“ von Stiegelmeyer

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sen Pflegepersonen die jeweiligen Transfertechniken beherrschen, die sich an den natürlichen Bewegungs-abläufen der Person orientieren.

Mobilisationsgürtel: Gepolsterte Mobilisationsgürtel mit Griffschlau-fen werden um die Taille des Patien-ten/Bewohners gelegt und fixiert. Die Pflegeperson greift in die Griffschlaufen und unterstützt den Klienten beim Aufstehen. Ist die Person gangunsicher, kann die Pfle-geperson auch während des gemein-samen Gehens in den Griffschlaufen Halt geben und so einen Sturz ver-hindern.

Drehscheibe: Mit der Drehscheibe soll das Problem der fixierten Füße umgangen werden. Die Füße werden auf die Scheibe aufgebracht und bleiben dort fest stehen. Beim Rich-tungswechsel dreht sich die Scheibe und auf ihr die Person und deren Beine. So soll das Risiko der „Kno-ten“ in den Beinen aufgehoben wer-den, wenn der Patient beim Transfer die Beine nicht entsprechend bewe-gen kann. Aus heutiger Sicht gilt der Transfer mit Drehscheibe als über-holt, weil sich die positiven Effekte auch anders erreichen lassen, etwa durch kinästhetischen Transfer. Dennoch: Wo mit der Scheibe er-folgreich gearbeitet wird, kann sie weiter zum Einsatz kommen.

Gleitbrett: Das Gleitbrett ist eine Brücke beim Transfer vom Bett in den Stuhl oder umgekehrt. Das Gleitbrett wird dann eingesetzt, wenn der Patient/Bewohner keine Stabilität in den Beinen hat, kein Bodenkontakt möglich ist oder die Person in sich zu instabil ist, um eine andere Transferlösung zu wählen.

Bade- oder Bettstufe Savanah: Die-ses Stufensystem erleichtert den Einstieg in die Badewanne oder an-dere höher gelegene Bereiche wie Betten oder Sessel. Die einzelnen Stufen sind leicht zu transportieren und dem Höhenunterschied entspre-chend stapelbar. Das System ist als Podest zum Betteinstieg hervorra-gend geeignet, wenn die Betten sich nicht tief genug absenken lassen.

Pflegebetten: Ein höhenverstellbares Pflegebett kann insbesondere dann Mobilität fördern, wenn es von den pflegebedürftigen Personen selbst elektrisch eingestellt werden kann. Für die Pflegeperson ermöglicht es ein rückengerechtes Arbeiten – vo-rausgesetzt, es wird auf die entspre-chende Höhe eingestellt. Die Rollen machen das Bett mobil, wodurch es bequem und bedarfsgerecht positio-niert werden kann. Die Entwicklung von Pflegebetten ist in den letzten Jahren enorm vorangetrieben wor-den. Verfügbar sind unter anderem Multifunktionsbetten mit verschie-denen Einstellungen, Niedrigbetten zur Absenkung des Verletzungsrisi-kos und hochtechnisierte Betten, die als direkte Mobilisationshilfe ange-sehen werden können. Das Bett „Vertica care“ von Stiegelmeyer bei-spielsweise hebt den Patienten dem natürlichen Bewegungsablauf fol-gend sanft aus der horizontalen Lage in eine sitzende und anschließend stehende Position. Der Ablauf wird elektrisch gesteuert, manuelle Unter-stützung ist nicht nötig. Das Klinik-bett „Vis-a-vis“ von Völker wird be-sonders zur Frühmobilisation em-pfohlen. Es erleichtert das Aufstehen der Patienten und das richtige Sitzen mit Bodenkontakt. Das Unterschen-kelteil lässt sich leicht von Hand ver-schieben. Zudem braucht es nicht mehr Platz als ein Nachttisch breit ist.

Notfallhebekissen: Mithilfe des Notfallhebekissens können gestürzte Personen ohne Kraftaufwand und auch von nur einer Pflegeperson auf-gerichtet werden. Das Luftkissen wird ungefüllt unter die liegende Person gebracht. Dann wird Luft eingefüllt, das Hebekissen hebt die liegende Person zunächst in eine sit-zende Position, indem das Rücken-teil sich mit Luft füllt. Aus der sit-zenden Position wird dann Luft in den unteren Teil gebracht, der sich wie ein Sitzhocker entfaltet und den Menschen hebt.

Alle Personen mit Pflegebedarf sind gefährdet

Es zeigt sich, dass es beim Thema Bewegung einen hohen Bedarf an

Wissen gibt, was ein klarer Auftrag für die Pflegewissenschaft ist.

Dennoch lassen sich Möglich-keiten der Mobilitätsförderung er-kennen. Diese konnten in diesem Artikel nur grob skizziert werden. Zur Vertiefung wird die Lektüre des „Praxisheftes Mobilität“ empfohlen, das beim DBfK Nordost erschienen ist und dort bestellt werden kann.

Wichtig zu wissen ist, dass grundsätzlich alle Personen mit Pfle-gebedarf gefährdet sind, Mobilitäts-einschränkungen zu entwickeln. Alte Menschen und Langzeitkranke be-nötigen besondere Aufmerksamkeit.

Es liegen inzwischen ausreichend Informationen zu Risiken und Folgen von Bewegungseinschränkung vor. Auch wissen wir um die Gefahren vermeintlicher Schutzmaßnahmen – etwa beim Sturzrisiko und den damit verbundenen Bewegungseinschrän-kungen. Jetzt braucht es robuste Studien, um handlungsorientierte Maßnahmen zur Mobilitätsförderung zu entwickeln.Literatur und Hilfsmittelquellen beim Verfas-ser.

Siegfried Huhn, M.A., ist Krankenpfleger für geriatrische Rehabilitation und

Gerontopsychiatrie. Er hat Gesundheits- wissenschaften, Sozial- und Bildungs- management studiert. Kontakt über

www.pflegeberatung-siegfried-huhn.de

ZUR VERTIEFUNGPraxisheft Mobilität für die ambu- lante und stationäre Versorgung. Welchen Auftrag hat die Pflege?

Von Siegfried Huhn. Für 12 Euro zu bestellen über [email protected]

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Internationale Dekubitusleitlinie. Drei Dekubitus-Verbände haben Ende letztenJahres eine Leitlinie zur Dekubitusprophylaxe und -behandlung veröffentlicht. Diese gibt für konkrete Pflegehandlungen stark positive, schwach positive oder keine Empfehlungen. Im Folgenden werden ausgewählte Empfehlungen vorgestellt.

Von Dr. Jan Kottner

E N HILFESTELLUNG L EEN BIETEN HLLEITLINIEN BIETEN HFÜR DIE PRAXISFÜR DIE PRAPRAXISDIE PRADIE PRAXISPflegeentscheidungen und -handlungen müssen dem aktuellenP

tand des Wissens entsprechen. Leitlinien können dabei helfen. Sts sind Dokumente, die aktuelle Erkenntnisse zu einem pflege-Essch-medizinischen Gebiet zusammenfassen, dieses Wissen risewerten und praktische Handlungsempfehlungen geben.be

Leitlinien werden systematisch in mehreren aufeinander olgenden Schritten entwickelt. Dazu gehören eine Literatursuche,fo

Bewertungen und Zusammenfassungen von Studienergebnissen.BIn der Regel sagen jedoch Studienergebnisse nicht unmittelbar, wasdiese für die Praxis bedeuten und wie Handlungen durchzuführen sind. Deshalb werden, basierend auf der vorliegenden Evidenz und auf einem formalen Abstimmungsprozess, Empfehlungen erarbeitet, auf e

ktikern Hilfestellung geben sollen, gute klinische Entschei-die Praktikern Hdungen zu treffen.

gen geben einen Handlungskorridor für be-LeitlinienempfehlungeLecheidungen vor, sie sind keine Vorschriften.dete praktische Entscgründ

Studien- ergebnisse

Abstimmung von

Experten

Leitlinien- empfehlungen

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Pflegen + Unterstützen

Im Jahr 2009 wurde vom Europe-an Pressure Ulcer Advisory Panel

(EPUAP) und vom National Pres -sure Ulcer Advisory Panel (NPUAP) mit Sitz in den USA eine Leitlinie zur Dekubitusprophylaxe und -the-rapie herausgegeben. Leitlinien ha-ben eine begrenzte Gültigkeit, des-halb müssen diese regelmäßig, zum Beispiel alle fünf Jahre, aktualisiert werden. Gemeinsam mit der Pan Pacific Pressure Injury Alliance (PPPIA) wurde die Dekubitusleit -linie deshalb überarbeitet und er -weitert und im September 2014 ver-öffentlicht.

Unterschiedliche Evidenz- und Empfehlungsstärken

Die Leitlinie umfasst 575 Empfeh-lungen in 36 Kapiteln auf zirka 300 Seiten. Nach jeder Empfehlung fin-den sich in Klammern die „Stärke der Evidenz“ und die „Empfeh-lungsstärke“.

Die Evidenzstärke gibt an, wie überzeugend die Studienergebnisse sind, die die Empfehlung stützen. Hierfür werden drei Buchstaben ver-wendet:■ A: Diese Empfehlung wird durch Ergebnisse unterstützt, die in me-thodisch hochwertigen klinisch kon-trollierten Studien direkt bei deku -bitusgefährdeten Menschen erzielt wurden. In der Leitlinie wurde diese höchste Evidenzstärke nur sechsmal zugewiesen.■ B: Diese Empfehlung wird durch Ergebnisse unterstützt, die in me-thodisch hochwertigen Studien di-rekt bei dekubitusgefährdeten Men-schen erzielt wurden. Diese Evidenz-stärke wurde 71-mal zugewiesen.■ C: Diese Empfehlung wird durch Ergebnisse unterstützt, die bei nicht-dekubitusgefährdeten Perso-nen oder anderen Wundtypen oder Tiermodellen erzielt wurden. Exper-tenmeinungen gehören auch dazu. Die Mehrheit aller Empfehlungen wird durch diese Evidenzstärke un-terstützt.

Je nach der Evidenzstärke vorliegen-der Studienergebnisse und je nach dem Ergebnis des Abstimmungspro-

zesses wurden den Empfehlungen in einem abschließenden Schritt Emp-fehlungsstärken zugewiesen. Folgen-de drei Empfehlungsstärken und da-zugehörige Symbole kommen in der Leitlinie vor:■ „Mach es (auf jeden Fall!)“ (��). Diese stark positive Empfehlung be-deutet, dass die meisten Betroffenen von der Empfehlung profitieren würden und dass Praktiker deutliche Gründe benennen sollten, wenn sie dieser Empfehlung nicht folgen. In der Leitlinie gibt es 247 starke Emp-fehlungen.■ „Mach es vielleicht“ (�). Das ist eine schwach positive Empfehlung. Auch hier wird angenommen, dass die meisten Betroffenen diese Maß-nahme befürworten würden, doch für viele passt die Maßnahme nicht. Die meisten Empfehlungen in der Leitlinie (294) sind schwach.■ Keine Empfehlung (�). DieVor- und Nachteile der Intervention wiegen in etwa gleich, die Maßnah-me passt nicht zur Zielgruppe oder die Evidenz reicht für eine Empfeh-lung nicht aus. Dieser Fall trat 34- mal auf.

Empfehlungen zur Dekubitusprophylaxe

Im Folgenden werden ausgewählte Empfehlungen zur Dekubituspro-phylaxe vorgestellt, die wesentliche Schritte des Pflegeprozesses betref-fen:

Assessment des Dekubitusrisikos:■ Führe eine strukturierte Risiko-bewertung sobald wie möglich durch – innerhalb von maximal acht Stun-den nach Aufnahme –, um dekubi-tusgefährdete Personen zu identifi-zieren. (Evidenzstärke = C; Empfeh-lungsstärke = ��) (S. 41)■ Führe ein umfassendes Hautas-sessment als Teil jedes Risikoassess-ments durch, um Hautveränderun-gen frühzeitig zu entdecken. (Evi-denzstärke = C; Empfehlungsstärke = ��) (S. 41)■ Führe ein strukturiertes Risiko-assessment in Kombination mit ei-ner klinischen Beurteilung vor demHintergrund relevanter Risikofakto-

ren durch. (Evidenzstärke = C;Empfehlungsstärke = ��) (S. 42)■ Betrachte bettlägerige und/oder nur sitzende Personen als dekubi -tusgefährdet. (Evidenzstärke = B;Empfehlungsstärke = �) (S. 43)■ Betrachte Personen mit vorhan-denen Dekubitus, ungeachtet der Kategorie, als gefährdet, weitere Dekubitus zu bekommen. (Evidenz -stärke = B; Empfehlungsstärke =��) (S. 44)■ Beachte zusätzliche Risikofakto-ren und die klinische Beurteilung, wenn eine Risikoskala verwendet wird. (Evidenzstärke = C; Empfeh-lungsstärke = ��) (S. 53)

Hautpflege:■ Halte die Haut sauber und tro-cken. (Evidenzstärke = C; Empfeh-lungsstärke = ��) (S. 66)■ Vermeide Massieren und starkesReiben dekubitusgefährdeter Haut -areale. (Evidenzstärke = C; Empfeh-lungsstärke = �) (S. 67)

Bewegung und Mobilisierung:■ Bewege alle Personen mit Deku-bitusrisiko oder mit vorhandenemDekubitus, sofern nicht kontraindi-ziert. (Evidenzstärke = A; Empfeh-lungsstärke = ��) (S. 89)■ Lagere Personen niemals auf Knochenvorsprünge mit nicht weg-drückbarer Rötung. (Evidenzstärke =C; Empfehlungsstärke = ��) (S. 91)

TIPPEine Kurzversion der Leitlinie ist

kostenfrei im Internet verfügbar unter:http://www.epuap.org/guidelines

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■ Lagere Personen nicht direkt auf einen Dekubitus. (Evidenzstärke = C; Empfehlungsstärke = ) (S. 95)■ Stelle sicher, dass die Fersen frei gelagert werden. (Evidenzstärke = C; Empfehlungsstärke = ) (S. 100)

Auflagen:■ Bewege/lagere Personen auf druckverteilenden Auflagen weiter. (Evidenzstärke = C; Empfehlungs-stärke = ) (S. 105)■ Verwende eine reaktive Spezial-schaummatratze statt einer reaktiven Nicht-Spezialschaummatratze für alle Personen mit Dekubitusrisiko. (Evidenzstärke = C; Empfehlungs-stärke = ) (S. 106)■ Verwende eine aktive Auflage oder Matratze bei Personen mit ho-hem Dekubitusrisiko, wenn regelmä-ßige Lagerungen nicht möglich sind. (Evidenzstärke = B; Empfehlungs-stärke = ) (S. 108)■ Verwende ein druckverteilendes Sitzkissen bei sitzenden Personen, deren Mobilität eingeschränkt ist. (Evidenzstärke = B; Empfehlungs-stärke = ) (S. 112)

Geräte-assoziierter Dekubitus■ Betrachte Erwachsene mit medi-zinischen Geräten als dekubitusge-fährdet. (Evidenzstärke = B; Emp-fehlungsstärke = ) (S. 117)■ Führe mindestens zweimal täg-lich eine Inspektion der Haut auf Druckschäden unter und um das medizinische Gerät durch. (Evi-denzstärke = C; Empfehlungsstärke = ) (S. 119)

Die genannten Beispiele machen deutlich, dass für viele Empfehlun-

gen die Evidenzstärken eher niedrig sind, die Empfehlungsstärken aber sehr hoch. Das verdeutlicht zum ei-nen, dass viele Detailfragen in der Dekubitusprophylaxe bislang voll-kommen unzureichend erforscht sind. Zum anderen wirft es die Frage auf, ob nicht viele Phänomene in der Pfle-ge- und Gesundheitsversorgung, so auch in der Dekubitusprophylaxe, zu vielschichtig und zu kompliziert sind, um in klassischen klinisch kontrollier-ten Studien untersucht werden zu können. Andere Forschungszugänge sind möglicherweise eher geeignet, komplexe Interventionen auf ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen.

Schließlich lassen sich durch den internationalen formalen Konsen-susprozess zum Ende der Leitlinien-erstellung dennoch deutliche Hand-lungsprioritäten erkennen, die heute als State-of-the-Art-Präventions-maßnahmen gelten können.

Abgrenzung zum Expertenstandard

Expertenstandards werden vom Deutschen Netzwerk für Qualitäts-entwicklung in der Pflege (DNQP) herausgegeben. Ziel von Experten-standards ist es, Pflegehandeln auf einem abgestimmten Qualitätsni-veau festzulegen. Die Befolgung von Standardaussagen soll die Pflegequa-lität verbessern. Die letzte Version des Expertenstandards Dekubitus-prophylaxe stammt aus dem Jahr 2010. Somit steht auch hier eine Aktualisierung an.

Sowohl in der Zielstellung und in der Art der Präsentation – zum Beispiel Empfehlungen versus

Struktur-, Prozess-, Ergebniskrite-rien – gibt es zwischen der NPUAP-EPUAP-PPPIA-Leitlinie und dem Expertenstandard Unterschiede. Die aktuelle Leitlinie ist wesentlich um-fangreicher und detailreicher und sie deckt viele spezielle Zielgruppen ab, beispielsweise Intensivpatienten, stark übergewichtige Personen, ge -riatrische Patienten. Die Leitlinie wurde multidisziplinär entwickelt (Ärzte, Pflegende, Grundlagenwis-senschaftler, Epidemiologen), der Expertenstandard monodiziplinär.

Ungeachtet dieser Unterschiede weisen beide Dokumente Ähnlich-keiten auf, zum Beispiel ein struktu-riertes Vorgehen bei der Erstellung, eine systematische Literaturzusam-menfassung und Bewertung. Da bei-de Dokumente auf die gleiche ver-fügbare externe Evidenz zurückgrei-fen und der internationale Diskurs national aufgegriffen wurde, ist es nicht verwunderlich, dass zwischen den Leitlinienempfehlungen und Expertenstandardaussagen inhaltlich letztlich viele Gemeinsamkeiten be-stehen. Schließlich soll nicht nur der Expertenstandard die Pflege- und Versorgungsqualität verbessern, sondern auch die Befolgung der NPUAP-EPUAP-PPPIA-Leitlinien -empfehlungen.

Wichtiger Hinweis:Die in diesem Beitrag zitierten Empfehlungen sind eine kleine Auswahl aus fast 600 Emp-fehlungen. Diese sind subjektiv ausgewählt und ersetzen auf keinen Fall das sorgfältige Studium der gesamten Leitlinie und der dazu-gehörigen Erläuterungen. Eine Gewähr für die korrekte Übersetzung der zitierten Empfeh-lungen aus dem Englischen ins Deutsche wird nicht übernommen.

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.). Expertenstandard Deku-bitusprophylaxe in der Pflege. 1. Aktualisierung. Osnabrück: Schriftenreihe des DNQP, 2010National Pressure Ulcer Advisory Panel, Euro-pean Pressure Ulcer Advisory Panel and Pan Pacific Pressure Injury Alliance. Prevention and Treatment of Pressure Ulcers: Quick Re-ference Guide. Emily Haesler (Ed.). Cam-bridge Media: Perth, Australia; 2014

Priv.-Doz. Dr. rer. cur. Jan KottnerClinical Research Center for Hair and Skin Science (CRC)Klinik für Dermatologie, Venerologie und AllergologieCharité – Universitätsmedizin BerlinCharitéplatz 1, 10117 [email protected]

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Wer haftet für einen Dekubitus?

Druckgeschwüre sind nach Sturzereignissen die zweithäufigsten unerwünschten Zwischenfälle in der Pflege, die gerichtlich entschieden werden. Immer wieder stellt sich dann die Frage: Wer hat was zu verantworten?

Von Prof. Hans Böhme

K ommt es zu einem Dekubitus, besteht der Ver-dacht, dass die Prophylaxe nicht fachgerecht aus-

geführt wurde. Kranken- und Pflegekassen initiieren da-her in aller Regel Regressverfahren, nachdem sie dem ge-schädigten Patienten Leistungen erbracht haben. Patien-ten und Angehörige selbst gehen seltener vor Gericht.

Es handelt sich dabei in der Regel um Schadenersatz-prozesse, in denen meist der Haftpflichtversicherer der jeweiligen Einrichtung in Anspruch genommen wird. Strafverfahren gegen Einzelpersonen sind selten, weil ein Pflegefehler nachgewiesen werden müsste. Dies gelingt in der Regel nicht, sodass die Staatsanwaltschaft nur in äußerst auffälligen, eindeutigen Fällen anklagt.

Pflegerecht

Dekubitus: Kein voll beherrschbares Risiko

Obwohl die Dekubitusprophylaxe als Pflegeleistung an-gesehen wird, wird sie im Medizinhaftpflichtprozess als medizinische Behandlung gewürdigt. Pflegefehler in der Dekubitusprophylaxe werden also unter dem Gesichts-punkt des medizinischen Behandlungsfehlers beurteilt. Damit kommen die §§ 630a-630h BGB (Behandlungs-vertrag) zur Anwendung. Daraus ergeben sich Besonder-heiten in der Beweislage und bei der Dokumentation.

Kranken- und Pflegekassen gehen bei Regressfällen immer davon aus, dass der eingetretene Dekubitus ver-meidbar gewesen sei. Hierbei berufen sie sich häufig auf

Die Schwester Der Pfleger 57. Jahrg. 1|18 83

Management

die altbekannte Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Köln vom 4. August 1999 (Aktenzeichen: 5 U 19/99). In dieser wurde entschieden:n dass ein Dekubitus immer auf einen groben Pflege-fehler schließen lässt,n dass das, was nicht dokumentiert wurde, im Zweifel als nicht erbracht gilt,n dass nur die schriftlich festgehaltene Maßnahme als erbracht gilt.

In einem anderen Verfahren vom 20. August 2007 (Aktenzeichen: 5 U 87/07) hat das OLG Köln wiederum klargestellt, dass es keineswegs den Grundsatz aufgestellt habe, dass ein Dekubitus immer vermeidbar sei. Die Ver-meidbarkeit habe sich ausschließlich auf den zu entschei-denden Fall bezogen, bei dem sehr schwere Pflegedefizite positiv festgestanden hätten.

In einem Fall aus dem Jahr 2016 hat das Landesge-richt (LG) Köln erneut klargestellt, dass ein Dekubitus kein voll beherrschbares Risiko darstellt. Es bezog sich dabei auf folgenden Fall aus der Praxis: Bei einer 82-jäh-rigen Patientin musste ein Herzschrittmacher implan-tiert werden. Aufgrund von zwei lebensbedrohlichen Komplikationen folgten zwei Revisionsoperationen. Auf-grund der drei operativen Eingriffe und des ohnehin er-heblich eingeschränkten Allgemeinzustands – die Pa-tientin wies unter anderem Demenz, Adipositas, Hyper-tonie und terminale Niereninsuffizienz auf – kam es zu weiteren Komplikationen, insbesondere zu einem Deku-bitus (Landgericht Köln, Urteil vom 14. Juni 2016, Ak-tenzeichen: 25 O 73/14).

Das LG Köln befand in diesem Fall, dass angesichts der komplexen Gesamtsituation und des in der Person der Patientin bestehenden erheblichen Risikos für die Entstehung eines Dekubitus nicht sicher festgestellt wer-den könne, dass ein voll beherrschbares Risiko vorgelegen habe. Die Entstehung des Dekubitus sei durch pflegeri-sche Maßnahmen nur begrenzt zu beeinflussen und nicht sicher vermeidbar gewesen.

Mit diesem aktuellen Urteil steht fest, dass ein Deku-bitus – ebenso wie ein Sturz – kein voll beherrschbares Risiko darstellt. Im Umkehrschluss bedeutet das: Der klagende Patient trägt die Beweislast. Nur wenn ein Pfle-gefehler feststeht, kommen Beweiserleichterungen in-frage. Es kann nicht einfach ein Pflegefehler unterstellt werden.

Lückenlose Dokumentation hat Vorteile für Beklagten

Die Dokumentation spielt bei der Entstehung eines De-kubitus juristisch eine große Rolle. Haftungsrechtlich kommt hier der § 630 f BGB zur Anwendung. Demnach sind in der Pflegedokumentation der Prophylaxebedarf und die erforderlichen Prophylaxemaßnahmen aufzu-zeichnen. Dabei gilt der Grundsatz: Je gefährdeter ein Pa-tient ist, desto mehr ist zu dokumentieren.

Eine lückenlose Dokumentation bedeutet für die in Anspruch genommenen Pflegepersonen und die Gesund-heitseinrichtung einen erheblichen Vorteil im Inan-spruchnahmeverfahren, wie das Urteil des LG Köln ge-zeigt hat. Dort wird zur ausreichenden Dekubitusprophy-laxe anhand der Dokumentation ausgeführt: Die Patien-tin sei als dekubitusgefährdet eingeschätzt worden; dies vor allem aufgrund ihres trockenen Hautzustands bei Ex-sikkose und der gleichzeitig bestehenden Inkontinenz. Die zentralen Dekubitusrisikofaktoren „Beweglichkeit“ und „Aktivität“ seien jedoch als kaum eingeschränkt ein-geschätzt worden. In der Pflegemaßnahmenkurve seien mindestens zwei Lagerungen pro Schicht abgezeichnet gewesen, teilweise auch nur nachmittags. Für zwei Tage liege ein differenzierter Lagerungsplan vor. Zwischenzeit-lich sei die Patientin zudem in den Stuhl mobilisiert wor-den. Der Zustand der Haut sei als intakt beschrieben, die Rötung als Pilzinfektion gedeutet und mit einer antimy-kotischen Salbe versorgt worden. Die dokumentierten Maßnahmen seien aus pflegewissenschaftlicher Sicht als ausreichend anzusehen. Angesichts des Ruhe- und Schlafbedürfnisses der Patientin sei es in Ansehung der intakten Haut und der Eigenbewegungen im unruhigen Zustand auch gerechtfertigt gewesen, die Patientin, wenn sie geschlafen habe, nicht zu wecken.

Unklar und den Behandlungsunterlagen nicht zu ent-nehmen sei, ob die Patientin auch auf der Normalstation eine Spezialmatratze erhalten habe. Auch wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, sei nicht ersichtlich, dass eine solche in der gegebenen Situation zwingend er-forderlich gewesen sei.

Insoweit vertrat die Sachverständige die Auffassung, die Dekubitusprophylaxe bestehe primär in der Lagerung

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Brennpunkt DekubitusTrotz aller Bemühungen in der Pflege kann es zu einem Dekubitus kommen. Fraglich ist, wer für ein solches unerwünschtes Ereignis haftet

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Management

und Mobilisation der gefährdeten Patienten. Nur wenn diese nicht suffizient möglich sei, sei die Verwendung ei-ner Wechseldruckmatratze erforderlich. Deren Verwen-dung müsse jeweils sorgfältig abgewogen werden, weil sie für den Patienten nicht nur Vorteile, sondern auch Nach-teile berge. Als nachteilhaft sei einerseits bei gleichzeitig bestehender Inkontinenz die hygienische Situation einzu-schätzen, andererseits berge die Lagerung auf einer Wech-seldruckmatratze gerade bei dementen Patienten häufig die Gefahr, dass diese durch das für sie ungewohnte Liege-gefühl weiter verunsichert würden. Sicher verhindern könnten auch Wechseldruckmatratzen die Entstehung ei-nes Dekubitus nicht. Denn dieser sei stets, und so auch bei der Patientin, multifaktoriell bedingt. Mit Wechseldruck-matratzen werde zwar der Auflagedruck verringert, die übrigen Risikofaktoren wie Feuchtigkeit, Schwerkräfte und mechanische Reizungen infolge des häufigen Reini-gens würden indes nicht beeinflusst.

Gerade bei der hier vorliegenden konkreten Patientin habe das Hauptproblem bei der demenzbedingten Unru-he und der gleichzeitig feuchten Haut aufgrund der In-kontinenz gelegen. Dieses sei pflegerisch nicht oder kaum zu beeinflussen und letztlich für die Entstehung der Hautschädigung entscheidend gewesen. Auch nach der Verlegung auf eine weitere Station seien keine pflege-rischen Versäumnisse festzustellen. Aufgrund vermehrter Unruhe der Patientin sei dort eine Lagerung ausweislich der Behandlungsdokumentation nicht möglich gewesen. Dies sei aus gutachterlicher Sicht nachvollziehbar. Bei dokumentierter Zunahme der Inkontinenz sei schließlich ein Blasendauerkatheter gelegt worden, mutmaßlich um die Haut vor weiterer schädigender Einwirkung von Urin und Feuchtigkeit zu schützen. Dies sei aus sachverständi-ger Sicht nachvollziehbar und richtig gewesen. In Anbe-tracht der komplexen Gesamtsituation seien auch für den Zeitraum des Aufenthalts der Patientin auf der weiteren Station keine Versäumnisse der Pflege bei der Dekubi-tusprophylaxe feststellbar.

Dokumentationslücken können durch Zeugenbeweis geschlossen werden

Aus diesen Ausführungen der Sachverständigen ist für die Pflegepraxis zu schließen, dass der Bedarf und die Maßnahmen der Dekubitusprophylaxe zu dokumentie-ren sind. Sollten dennoch Lücken in der Dokumentation sein, dann können mit Zeugenbeweis und Anhörung der beklagten Pflegekräfte die Lücken geschlossen werden. Das gilt auch für den Fall, dass die Klägerseite behauptet, die dokumentierten Maßnahmen seien nicht durchge-führt worden.

Dazu das LG Köln: Soweit die Klägerin behauptet und unter Zeugenbeweis gestellt hat, dass die dokumen-tierten regelmäßigen Umlagerungen tatsächlich nicht durchgeführt worden seien, war dies nach dem Ergebnis der Zeugenvernehmung und der informatorischen Anhö-rung der Klägerin zur Überzeugung der Kammer nicht bewiesen. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die nach Erschöpfung sämtlicher Beweismittel verbleibenden

Zweifel zulasten der nach allgemeinen Regeln beweisbe-lasteten Klägerin gehe. Denn der Klägerin würden inso-weit auch keine Beweiserleichterungen zugutekommen.

Daraus ist ersichtlich, dass die schriftlich festgehalte-ne Maßnahme als bewiesen gilt. Ein weiterer Grundsatz ist aber keinesfalls, dass alles Nichtdokumentierte im Zweifel auch als nicht als erbracht gilt. Das ist die Aus-nahme bei festgestellten schwerwiegenden Pflegefehlern.

Expertenstandard rechtlich relevant

Die Professionalisierung der Pflege hat in den zurücklie-genden 25 Jahren gerade auch das Thema Prophylaxe, insbesondere zur Vermeidung eines Dekubitus, erheblich beeinflusst. Im Zuge dieser Bemühungen ist unter ande-rem das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) entstanden, das vor fast 15 Jahren den Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pfle-ge“ erstellt hat. Dieser ist Mitte 2017 zum zweiten Mal aktualisiert worden.

Ein Expertenstandard kann zu einer Vereinheit- lichung pflegerischen Handelns beitragen. Rechtlich kann man von einem vorweggenommenen Sachverstän-digengutachten ausgehen. Damit werden also letztlich die Sorgfaltspflichten im Rahmen des Fahrlässigkeitsbe-griffs inhaltlich näher erfasst. Das schafft auch eine hö-here Rechtssicherheit in der Rechtsprechung.

Viele Richter, gerade auch der Obergerichte, Ober-landesgerichte und des Bundesgerichtshofs, stehen dem vorweggenommenen Sachverständigengutachten reser-viert gegenüber, weil jedes Gerichtsurteil auf einer Ein-zelfallbeurteilung beruht. Deshalb wird in der Regel ein Sachverständiger bestellt, der sich allerdings an einem entwickelten Standard zu messen hat.

Das LG Köln hatte in dem oben angesprochenen Ur-teil neben dem ärztlichen Sachverständigen auch einen Pflegesachverständigen beauftragt. Leider geschieht das nicht immer.

Fazit: Eine persönliche Haftung wegen Entstehens eines Dekubitus kommt in der Regel nicht in Betracht, es sei denn, dass Pflegeversäumnisse im Sinne gefährlicher Pflege nachgewiesen werden können. Eine Haftung der Gesundheitseinrichtung und der Mitarbeiter, versichert durch den Haftpflichtversicherer, kommt bei Versäum-nissen in der Prophylaxe häufiger vor, allerdings gibt es die klassische Beweislasterleichterungen nur ausnahms-weise. Erforderlich ist auf jeden Fall eine möglichst lü-ckenlose Dokumentation. Der Expertenstandard beein-flusst den Gerichtsprozess indirekt durch Einschaltung von Pflegesachverständigen.

Prof. Hans Böhme ist Jurist und Soziologe. Er ist zudem Honorarprofessor an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Mail : [email protected]