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Filme zum Aktiven Hinschauen … demokratisches Kopfkino in Offenburg Axel Eberhardt , Kursleiter und Kursleiter(innen)fortbildner an der VHS Offenburg, für den vhs-Landesverband und die Landeszentrale für Politische Bildung Baden Württemberg Axel Eberhardt +++ Franz-Ludwig Mersy-Str. 7 in 77654 Offenburg +++ [email protected] +++ Tel.: 0781 / 2055 2223

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Filme zum Aktiven Hinschauen … demokratisches Kopfkino in Offenburg

Axel Eberhardt , Kursleiter und Kursleiter(innen)fortbildner an der VHS Offenburg, für den vhs-Landesverband und die Landeszentrale für Politische Bildung Baden Württemberg

Axel Eberhardt +++ Franz-Ludwig Mersy-Str. 7 in 77654 Offenburg +++ [email protected] +++ Tel.: 0781 / 2055 2223

Legende zu den Folien „Filme zum Aktiven Hinschauen“ ist das Leitmotiv aller filmkulturellen Aktivitäten an der VHS Offenburg. Seit knapp 10 Jahren versuchen wir drei Entwicklungsziele systematisch miteinander zu verknüpfen (cf Folie 1):

Erstens wollten wir Auswege aus der Krise der Allgemeinbildung und vor allem der Politischen Bildung finden. Dieses Feld war lange Zeit vernachlässigt worden. Über kognitive und affektive Reize wollten wir die Lust am Politischen, am kollektiven Denken und nicht zuletzt am herrschaftsfreien Streitgespräch neu beleben. Als Ausgangspunkt sollten jedoch nicht primär tagespolitische Fragen dienen, da diese in Presse, Funk und Fernsehen ausführlich thematisiert werden. Stattdessen setz(t)en wir auf künstlerisch verfremdete und ideologiekritische Blicke auf gesellschaftliche Fragen. Der Film als die Siebte Kunst liefert(e) uns die Bilder, die wir brauch(t)en, um an einem Abend deliberativ, das heißt auf der Grundlage einer wissenschaftlichen und/oder künstlerischen Quelle über demokratiepädagogische Fragen im weitesten Sinne zu diskutieren.

Zweitens wollten wir auf der Grundlage des Beutelsbacher Konsens eine Kultur des Hinschauens und wenn möglich des Mitmachens etablieren. Dafür benötig(t)en wir Formate und Settings handlungsorientierter Perspektivenbildung. Strukturierte Begegnungen mit Akteuren aus dem (lokal)politischen Feld trugen dazu bei , dass die Diskussionen problem- und handlungsorientiert gerahmt werden. Einige dieser Akteure beteiligen sich regelmäßig an den Filmgesprächsreihen. Dadurch entstand ein dynamisches Netzwerk, das inzwischen weite Teil der Offenburger Zivilgesellschaft erschließt.

Drittens schließlich sollte der qualitative Sprung von der positionsbildenden Rezeption und Reflexion über künstlerisch verfremdete Fragen der Demokratisierung hin zur Produktion eigener Bilder vollzogen werden, von der Sphäre der Impressionen, über die Sphäre der (kollektiven) Reflexion zur Sphäre der Expression als höchster Form der Aneignung von Kunstwerken und Sachverhalten. In Workshops, Seminaren und Projekten wurden Spielfilme zu Clips verarbeitet. Die Siebte Kunst wurde zum Kopfkino. Die Bildsprache wurde zum verbindenden Element zwischen Cineasten und Cinephilen, die visual literacy zu einem intrinsischen Lernziel.

Das dreigliedrige Aktivierungskonzept hinter der Filmkultur an der VHS Offenburg

Folie 6 illustriert den dreigliedrigen Aufbau und gleichzeitig das dreistufige Entwicklungskonzept. Folie 7 zeigt das komplette Programm der aktuellen Reihe „Die Macht der Worte“ und die 4 zentralen Diskursfelder: Worte, die aufrichten (grüne Linie), Worte, die zerstören (rote Linie), Worte, die Sozial- und/oder Filmgeschichte geschrieben haben (blaue Linie), und schließlich Filme, die sich staatlichen Machtworten widersetzten (gelbe Linie). Alle Filme werfen filmspezifische Leitfragen auf, die aber in ihrem Zusammenspiel für die Kohäsion der Reihen sorgen.

Folie 8 illustriert die Filmgespräche aus funktionaler Sicht. Im ganzen Prozess von der Filmauswahl, über die Ausschreibungstexte bis hin zum eigentlichen Filmgespräch spielen handlungsorientierte Leitfragen eine große Rolle. Die Filmgespräche greifen diese Fragen auf. Die Beiträge der Zuschauer(innen) beziehen sich immer stärker auf die filmische Quelle. Das Vorwissen ist sekundär. Die Moderation orientiert sich am herrschaftsfreien Diskurs und damit am Prinzip des barrierefreien Zugangs zur Diskussion. An den Filmgesprächsreihen beteiligen sich regelmäßig 15 Netzwerkpartner, Tendenz steigend. Immer mehr zivilgesellschaftliche Gruppen erkennen das Potenzial der Reihe. Sie können ihre Anliegen mit filmischen Mitteln zur Diskussion stellen und erreichen ein Publikum, das weit über die eigene Klientel und das eigene Milieu hinausreicht. Alle Titel der Filmgesprächsreihen drehen sich im weitesten Sinne um die Frage, wie die Gesellschaft und ihre vielfältigen Teilbereiche demokratisiert werden können. Die Filmgespräche sind inzwischen fester Bestandteil externer Veranstaltungsreihen. Vor allem die Stadt Offenburg mit ihrem hohen erinnerungspolitischen Anspruch schätzt die VHS und die Filmgruppe als Mitveranstalter und Transmissionsriemen (1914-2014, 70 Jahre Kriegsende, Rahmenprogramm zum Übersetzerpreis, etc.) Die Begegnungspädagogik (Folie 9) ist zu einem Markenzeichen der VHS über die Filmgespräche hinaus geworden. Die Gespräche mit den Gästen sind interaktiver und multimedialer geworden. Fotos, Filmsequenzen und Tonmitschnitte illustrieren die Gespräche. In diesem Fahrwasser veränderte sich auch das Design der Vorträge. Die Partizipationsräume für das Publikum haben sich vervielfacht, ohne dass die Kohäsion der Diskurse darunter gelitten hätte. Durch den interaktiven und multimedialen Ansatz gelingt es uns, auch nicht-akademische Experten an die VHS zu lotsen. Viele von ihnen hätten uns eine Absage erteilt, wenn wir sie um einen Vortrag gebeten hätten. Expertengespräche verlagern den Vorbereitungsaufwand von den Experten zu den Moderator(inn)en.

Das demokratische Kopfkino der VHS Folie 10 illustriert das demokratische Kopfkino der VHS Offenburg. Drei Cineasten haben uns stark beeinflusst. Godard mit seiner Vorliebe für den Film im Kopf der Betrachter und dem cineastischen Imperativ, wonach man keine politischen Filme machen solle, sondern Filme politisch. An dieser Stelle begegnet uns André Bazin mit seiner Empfehlung, man möge auf Brücken der Erkenntnis verzichten und stattdessen Steine ins Bachbett werfen, damit die Betrachter ihren eigenen Parcours durch den Bach suchen könnten. Aus demokratiepädagogischerSicht ist diese Metapher natürlich zentral. Idelogiekritik trifft auf das Bedürfnis nach eigenständiger Aneignung eines Kunstwerks. Und schließlich geht es um Siegfried Kracauers Aufruf, man solle das Wesen der Städte [oder anderer Sozialräume] über die traumhaft hingesagten Bilder erschließen, die über diese Räume kursierten. Vom Bild zum Motiv, vom Kunstwerk zum Gegenstand.

Als Quelle unserer gesellschaftspädagogischen Analysen haben wir Spielfilme schätzen gelernt. Filme sind praktisch, weil sie in kurzer Zeit viele Eindrücke generieren und zahllose Fragestellungen ermöglichen. Auf der Grundlage eines gemeinsamen Erlebnisses wie einer Filmvorführung sind herrschaftsfreie Diskursräume leicht zu etablieren. Der Quellenbezug ist wichtiger als das Vorwissen. Und die Referenzialität der Argumente, das heißt der Bezug der Diskussionsbeiträge zur künstlerischen Quelle und zu den Ausführungen der anderen Diskussionsteilnehmer kann relativ leicht valorisiert werden. Außerdem spielen ideologische Aspekte eine völlig andere Rolle als bei tages- bzw. parteipolitischen Diskussionen. Beim Parcours vom künstlerischen Abbild zum gesellschaftlichen Sachverhalt wird der ideologische Gehalt eines Diskurses zwangsläufig thematisiert. Die Positionen prallen jedoch nicht mehr ungefiltert aufeinander. Die Suche nach der subjektiven Wahrheit hinter den zwangsläufig subjektiven Bildern verläuft fast zwangsläufig ideologieferner als bei parteipolitischen Richtungsfragen. Die werden zwar nicht ausgeblendet, spielen keine prominente Rolle. Sie stehen nie am Anfang und sehr selten am Ende des kollektiven Diskussionsprozesses, der Positionen und starke Eindrücke generiert, aber keine objektiven Wahrheiten. Die Positionen und die starken Eindrücke sind die Baustoffe, aus denen wir unter medienpädagogischer Anleitung neue Filme drehen. Die magischen Augenblicke in den Workshops entstehen dann, wenn ganz unterschiedliche Menschen anfangen, kollektiv zu denken, referentiell zu diskutieren, gemeinsame

Positionen erarbeiten und in eine künstlerische Form bringen. Vor allem bei diesem letzten Schritt, in dem Diskussionsergebnisse bildsprachlich umgesetzt werden, sprühen Götterfunken. Die Ästhetisierung der Ergebnisse hätten sich die TN zuvor nie zugetraut. Die Phantasie ist grenzenlos, verleiht Flügel und schärft das Auge. Die „Schule des Sehens“ ist immer auch eine Schule des „Drehens“, des Filmemachens. Plötzlich entwickeln TN einen Sinn für dramat(urg)ische Entscheidungen. Narrative Künste werden vor dem Hintergrund solcher Entscheidungen nachvollziehbar. Kunst wird fassbar und machbar. Diese Erkenntnis und die entsprechende Selbsterfahrung sind ist für viele TN unfassbar. Die ersten Eindrücke dieser Art sammelten rund 160 Gymnasiasten der Jahrgangsstufe 7. Vier Tage lang beschäftigten sie sich mit Literaturverfilmungen rund um das Thema Menschen- und Kinderrechte. Am Ende standen bemerkenswerte Filme über Filme. Materialisiertes Kopfkino in seiner reinsten Form. Ein Jahr später beschäftigten sich Schülerinnen der Jahrgangsstufe 8 mit „Weibs-Bildern“ aus Marokko, dem Partnerland der VHS Offenburg. „Die freie Entfaltung der Weiblichkeit“ und die Faktoren, die ihr entgegenwirken, wurden zum Gegenstand eines viertägigen Projekts, bei dem das Globale Lernen die medienpädagogischen Prozesse lenkten. Inzwischen haben auch nicht-schulische Gruppen Filme über Filme gedreht. Im Oktober 2016 findet ein FilmüberFilme-Festival zum Thema „Baustelle Heimat“ in Offenburg statt. Das Festival wird von einer Ausstellung zu demselben Thema flankiert. Erarbeitet werden die Produkte von sehr unterschiedlichen Arbeitsgruppen: von Schülern, von Konfirmanden, von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, von jungen Erwachsenen auf der Suche nach einem guten Job, von Sprachkursteilnehmern an der VHS, von zivilgesellschaftlichen Zielgruppen, von Vereinen und Stadtteilgruppen, von kirchlichen und wahrscheinlich auch gewerkschaftlichen Gruppen, die sich konfessions- und ideologieübergreifend über ethische Fragen beim Bau eines demokratischen, menschlichen und damit wirtlichen Sozialraums, den man Heimat nennen könnte, auseinandersetzen. Folie 10 ist eine Hommage an die cineastischen Ideengeber. Außerdem illustriert sie die Entwicklung des demokratischen Kopfkinos von den Schülerprojekten „Literatur bewegt“ und „Lernkarawane“ hin zum zivilgesellschaftlichen, stadtübergreifenden Projekt „Baustelle Heimat“. Bei diesem Projekt profitiert die VHS natürlich von ihrer langjährigen Netzwerkarbeit im Rahmen der begegnungspädagogischen Filmgespräche und von fachbereichsübergreifenden regionalen und landesweiten Fortbildungsaktivitäten der VHS im Bereich der Medienpädagogik… Die Folien 11 + 12 schließlich beschreiben die beiden Schülerprojekte.

Demokratische Filmkultur ein dreigliedriges Aktivierungskonzept

1. Die deliberativen Filmgespräche

2. Spillover + Begegnungspädagogik

Beutelsbacher Konsens Überwältigungsverbot + Kontroversität +

Handlungsorientierung

Erfahrungswissen Experten, die Binnenperspektiven und

Handlungsoptionen liefern

3. Materialisiertes Kopfkino

De-Konstruktivismus Vom Film über Diskursanalysen und

Positionierungen zum Clip

1. Die deliberativen Filmgespräche

Filmauswahl und Handlungsorientierung

15 ständige Netzwerkpartner + punktuelle Partnerschaften *** 15-20 Filmgespräche pro Semester *** 40 Besucher im Schnitt **

D

C

A

B

A – Perspektiven bilden

B – Heimat bauen

C – Intervenieren

D – Gegendiskurse entwerfen + Gegenfeuer entfachen

Deliberative Filmgespräche, die gesamte Diskursfelder ab-decken, stets aber eine zentrale alltagspraktische Frage behandeln. Die Leitfragen reproduzieren die dynamische Arbeitsteilung zwischen den Netzwerkpartnern…

2. Neue Formate und Begegnungspädagogik

Spillover-Effekte zu den Vorträgen, die interaktiver, visueller und konfrontativer wurden… > Besucherzahlen Partizipationskultur + Durchmischung des Publikums

Begegnungspädagogisches Seminar über (Non)Konformismus

3. Demokratisches Kopfkino

3. Baustelle Heimat

1. Literatur bewegt

2. Weibs- Bilder :

Lern- karawane

Offenburg – Rabat