Der 5. Baustoff - Bauen mit Membranen

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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 90 (2013), Heft 4 217

Der 5. Baustoff – Bauen mit MembranenLEICHT WEIT – Intentionen, die seit langem das Bauwesen in herausfordern-der Weise prägen und von vielen innovativen Ingenieuren und Architektenmit außerordentlichem Gespür für Formensprache, Ästhetik und konstrukti-ver Stringenz umgesetzt werden. Untrennbar ist dies nach heutigem Verständ-nis mit den Begriffen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit verbunden, welcheeine Zukunftsorientierung und soziales Verantwortungsbewusstsein symboli-sieren.

Der konstruktive Membranbau – die Anwendung dünner biegeweicher Gewe-be- oder Folienmaterialien zur Umsetzung leichter und weitgespannter Kon-struktionen – hat besonders in den letzten zwei Jahrzehnten eine große Re-naissance als Bauweise erfahren und rückt seither stetig in das öffentliche Be-trachtungsfeld. Nicht zuletzt fokussiert durch exzeptionelle Bauwerke wie dieAllianz-Arena München, das Eden-Projekt in Cornwall, die Stadien der Fuß-ball-Welt-/Europameisterschaften und die Megastructure der Expo Shanghai2010. Weltweit zeigen sich herausragende Bauwerke mit Membranen als Hüll-konstruktion. Dieser global zu verzeichnende Trend hat inzwischen dazu ge-führt, dass Membranen neben den klassischen und etablierten Materialien Be-ton, Stahl, Holz und Glas als der „5. Baustoff“ bezeichnet werden. Der steigen-de Markterfolg ist vor allem dem optisch ansprechenden Charakter derartigerKonstruktionen zuzuschreiben. Zudem ist diese Bauweise leichter, flexiblerund bei entsprechender integrativer Planung kostengünstiger als konventio-nelle Gebäudehüllen aus Glas, Metall oder starren Kunststoff-Elementen. Siebietet durch den geringen Materialeinsatz neue Möglichkeiten der Formge-bung und des sortenreinen Recyclings.

Seit sich FREI PAUL OTTO ab den 1950er-Jahren intensiv mit den Themen desZeltbaus, der zugbeanspruchten Konstruktionen und leichten Flächentragwer-ke beschäftigt, diese einer vertieften wissenschaftlichen und ingenieurtechni-schen Betrachtungsweise unterzogen und durch Versuchsbauten und Prototy-pen die ersten Erfahrungen mit den Prinzipien und Methoden des Membran-baus gesammelt hat, scheinen für den unbedarften Betrachter keinerleiweitreichende Entwicklungssprünge auf diesem Gebiet erfolgt zu sein. DieFormentypologie von Membrankonstruktionen, die grundlegende Materialitätsowie die erforderlichen konstruktiven Elemente sind im Wesentlichen gleichgeblieben. Dies ist einerseits auch nicht verwunderlich, da z. B. der Formge-staltung von Membrankonstruktionen physikalische und geometrische Ge-setzmäßigkeiten zugrunde liegen. So besteht hier ein direkter Zusammenhangzwischen der Form und den Materialeigenschaften, den geometrischen Rand-bedingungen, dem Vorspannzustand, dem Materialzuschnitt und dem Trag-verhalten unter äußeren Einwirkungen. Aufgrund des hierbei notwendigenspezifischen Know-hows bleibt der Membranbau auch heute noch einem ver-gleichsweise kleinen Kreis an innovativen und interdisziplinär agierenden Pla-nungsbüros und ausführenden Firmen mit entsprechenden Praxiserfahrungenvorbehalten. Ein wesentliches Manko ist das Fehlen von spezifischen Normenoder fundierten Regelwerken für den Membranbau, die den technologischenFortschritt der Bauweise und den Stand der praktischen und wissenschaftli-chen Erkenntnisse widerspiegeln. Andererseits ist aufgrund von Forschungs-und Entwicklungsvorhaben sowie unternehmenseigenen Projekten der letzten

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Jahre in vielen Detailbereichen eine enorme Wissenssteigerung in Bezug aufdas Verständnis für die Besonderheiten und Funktionalität von Membrankon-struktionen erlangt worden. In diesem Zusammenhang sind neben den physi-kalischen und mechanischen Erkenntnisgewinnen auch Her stellungs- undVerarbeitungsverfahren erarbeitet und weiterentwickelt worden, welche inder Gesamtheit das Einsatzspektrum sowie die Qualität der Membranbauwei-se steigern.

So ist heute die Fügetechnik bei Membranfolien mittels Laserschweißverfah-ren oder Klebeverfahren mit transparentem und UV-stabilem Klebstoff mög-lich. Damit lassen sich dauerhafte Verbindungen mit extrem guter Haftungrealisieren und Folien mit unterschiedlichen Transmissionseigenschaften mit-einander verbinden. Weiterhin wurden neue Beschichtungsverfahren entwi-ckelt, mit denen Low-E-Beschichtungen auf Membranfolien aufgebracht wer-den können. Auch antimikrobielle Beschichtungen wurden erfolgreich getes-tet, die organischen Bewuchs wie Algen oder Schimmel verhindern.

All diese Bestrebungen der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, welchesgroße Potenzial vor allem im Bereich der Membranfolien-Konstruktionen undderen Weiterentwicklung und Optimierung liegt. Der zunehmende Einsatzderartiger Konstruktionen als Gebäude-Hüllkonstruktion ist neben den kon-struktiven und materialtechnischen Aspekten zwangsläufig auch mit diversenbauphysikalischen Fragestellungen verbunden. Gezielt auf die Membrankon-struktionen adaptierte Mess- und Bewertungsverfahren sind erforderlich, umdas bauphysikalische Verhalten praxisgerecht abbilden zu können.

In diesem Heft wird der konstruktive Membranbau unter verschiedenen As-pekten beleuchtet. Neben praktischen Gesichtspunkten für Entwurf und Aus-führung von Membrankonstruktionen werden projektspezifische sowie werk-stofftechnische Besonderheiten in den Fokus gerückt.

Ich freue mich außerordentlich, dass dem interessierten Leser die kommen-den Hefte der „Bautechnik“ weiterführende Beiträge zu diesem Thema bietenwerden.

Mike Sieder

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