der „echte“ Käfer, vergangener Glanz und bewegende Schicksale€¦ · Ein gutes Stück...

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Die Prager Strassenbahn Die Prager Strassenbahn 1 , der „echte“ Käfer, der „echte“ Käfer, vergangener vergangener Glanz und Glanz und bewegende bewegende Schicksale Schicksale 1 Die legendäre Type T3, der meistverkaufte Strassenbahnwagen der Welt, vor dem Prager Nationaltheater. Foto: Wikimedia

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Die Prager StrassenbahnDie Prager Strassenbahn11,,der „echte“ Käfer,der „echte“ Käfer,vergangenervergangenerGlanz und Glanz und bewegende bewegende SchicksaleSchicksale

1 Die legendäre Type T3, der meistverkaufte Strassenbahnwagen der Welt, vor dem Prager Nationaltheater. Foto: Wikimedia

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1. Humanic statt Grossfabrik

Nehmen wir an, Sie fahren mit der Strassenbahn - das ist in Prag, ausser zu Fuss zu gehen, diebeste Möglichkeit, die Stadt zu sehen und nahezu überall hin zu gelangen. Wenn Sie also mit derStrassenbahn fahren, mit der „alten“, also nicht mit den neuen Siemens- oder Škoda-Niederflur-Testfahrzeugen, sondern mit den wuchtigen, robusten, meist weiss-roten Zwei-Wagen-Zügen, dieseit Jahrzehnten auch in Bratislava, Brno, vielen ostdeutschen Städten, und zeitweise auch in denfrüheren europäischen und ostasiatischen kommunistischen Bruderstaaten verlässlich denöffentlichen Verkehr bewältigen, wenn Sie also zum Beispiel mit der Linie 22 die engen Kurven zurPrager Burg hinaufklettern, dann fahren Sie möglicherweise mit dem meistverkauftenStrassenbahntyp der Welt selbst, oder zumindest mit einer seiner Varianten oder einemNachfolgemodell. Der im Fachjargon T3 („Tétrojka“) genannte Typ, von 1960 bis 1989 hergestellt,wurde an die 14.000 Mal in die ganze Welt verkauft, hergestellt vom Prager Unternehmen ČKDTatra.

So weit, so gut, nette Anekdote. Sie denken dabei wahrscheinlich nicht unbedingt an Eisen-stadt oder, noch weniger, an einen VW-Käfer.

„ČKD Tatra ging 1946 als Vagonka Tatra Smíchov n.p. aus einem Unternehmensteil der ver-staatlichten Ringhoffer-Tatra AG hervor, der ursprünglich zu den Ringhoffer-Werken gehörte“2

sagt Wikipedia. Und hier wird es interessant.

Die Begründer dieser Geschichte, die weit über die Strassenbahn hinausgeht und sowohl einenwichtigen Abschnitt der Industriegeschichte, wie auch einen bedeutenden Geschichtsabschnittder k.u.k.-Monarchie, Böhmens bzw. der Tschechoslowakei darstellt, sind im Prinzip dieUnternehmerdynastie Ringhoffer, der Elektrotechniker Emil Kolben und der AutomobilentwicklerHans Ledwinka. Die Geschichte beginnt im Jahr 1769.

Ein gutes Stück südlich der Prager Burg, unterhalb des Stadtteiles Kleinseite/Malá Strana liegtSmíchov, teils bürgerlicher, teils Industriebezirk, mit seinem heutigen Zentrum Anděl, zudeutsch Engel, U- und Strassenbahnknoten, Einkaufszentrum und nebenbei auch Standort desKrálovství železnic, des „Königreichs der Eisenbahn“, der grössten tschechischenModellbahnanlage3.

Die Häuserblöcke vom Bahnhof Smíchov bzw. vomBusbahnhof Na Knížecí4 bis hinauf zur Kartouzská, derKartäusergasse, bestehen auffallend aus grossangelegtenNeubauten, eingerahmt jedoch von Gründerzeit- undZwischenkriegsarchitektur. Drei Bauten fallen demSpurensucher jedoch auf – das fast monumentaleBürogebäude in der Kartouzská 4 vom Beginn des 20.Jahrhunderts, eine in Renovierung befindliche Jugendstilvillaan der Kartouzská an der Auffahrt zur Prager Auto-bahnring,und, links vor dem Einkaufszentrum Zlatý Anděl, GoldenerEngel, scheinbar völlig unmotiviert, ein niedriger Pavillonmit Gründerzeitfassade, in dem eine Humanic-Filialeuntergebracht ist. (S. Foto; Humanic ist eine österreichischeSchuhhandelskette).

2 http://de.wikipedia.org/wiki/ Č KD_Tatra

3 www.kralovstvi-zeleznic.cz/de/ 4 Na Knížeci – „Beim Fürsten“ - Der Busbahnhof trägt den Namen der ehemaligen Gaststätte Ecke Nádražní undOstrovského. Das Stadtviertel wurde 1668 von den Fürsten Schwarzenberg gekauft, die „Nádražní“ (Bahnhofstrasse)hiess daher früher Švarcenbergova. Das Gasthaus stand in der Nähe der Ausfallstrasse Plzenská, der Pilsener Strasse,die auch heute dort beginnt, wo das Einkaufszentrum mit dem Humanic-Pavillon steht. Gäste waren daher vielfachFuhrleute („Forman“, wie z.B. in ›Miloš Forman), die Küche war nach Berichten vorzüglich. Das Gasthaus spielte in densozialen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts eine Rolle – u. A. trafen sich dort die von Chemikalien schwer inihrer Gesundheit geschädigten Färber der ganz in der Nähe an der Moldau gelegenen Portheim'schen Kattunfabrik ( ›Portheimka), bevor sie ihre Fabrik nach zahlreichen Streiks niederbrannten. Eine Zeitlang gab auch František Ponec,Betreiber des ersten mobilen Kinematografen Böhmens, hier Vorstellungen. Sein späteres Prager Kino in Žižkov istheute das ›Tanztheater Ponec. Als der Bahnhof gebaut wurde, verschwand das Fuhrwerksgewerbe aus der Gegend,1912 oder 1914 wurde das Haus abgerissen.

Die letzte Fassade der Ringhoffer-Werke: Humanic-Filiale in Anděl. Foto: Mapy.cz

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Auf dem beschriebenen Areal erstreckte sich bis zu seinem endgültigen Abriss 1999 der Ring-hoffer-Konzern bzw. seine Nachfolger, Ausrüster von Brauereien und anderen Fabriksanlagen,später auch Automobilproduzent und die grösste Strassenbahn- bzw. Waggonbaufirma der Ös-terreichisch-Ungarischen Monarchie bzw. nach 1948 des kommunistischen Wirtschaftsbündnis-ses COMECON. Von hier kam auch der oben genannte T3 bzw. seine Vorgänger und Nachfolger.

Das monumentale Bürogebäude in der Kartouzská 4 war das Verwaltungsgebäude der Ringhof-fer AG bzw. von ČKD Tatra, die glücklicherweise vor dem Abriss gerettet Villa war das Privat-haus der Gattin des letzten in Prag tätigen Ringhoffer, und die Humanic-Filiale ist der letzteRest der Fabriksgebäude.

2. Der erste Kunde, Aufstieg und ein prominenter Schwiegervater

Im Jahr 1769 kam auf seiner (damals im Handwerksbereich üblich, Stichwort Jobmobilität...)Wanderschaft (Tschechisch „vandr“) der Kupferschmiedgeselle Franz Ringhoffer aus Müllendorfbei Eisenstadt nach der Lehrzeit in Wien nach Prag, legte die Meisterprüfung ab und richtetesich 1771 in der Plattnergasse 571 bzw. 102 (Die Nummerierungen wurden Ende des 19.Jahrhunderts geändert; heute Platnéřská ulice) eine Werkstatt für Brauereipfannen ein.

Zur Motivation des Franz Ringhoffer, nach Prag zu gehen, sagt der in Wien lebende letztemännliche Nachfahre, Emanuel-Josef Ringhoffer, dass

„Verwandte sich offenbar schon vor ihm in Böhmen niedergelassen hatten. Davon zeugt eine inLatein ausgefertigte Bestätigung aus dem Jahr 1739 für Wenzel Ringhoffer in Königgrätz, unter-schrieben von Franz Neusser, Magister an der Pharmazeutischen Akademie der Gesellschaft Jesuin Breslau, die sich laut Mitteilung von Dr. Petters, dem inzwischen verstorbenen ehemaligenSekretär von Hans Ringhoffer, vom 15.9.1972 im Ringhoffer-Familienarchiv befand (welches jetztin Benešov verwahrt wird). Franz ließ übrigens auch seinen Neffen und späteren SchwiegersohnMartin und weitere Familienangehörige aus Müllendorf nach Böhmen nachkommen.“

Das 1912 abgerissene Haus (Mit „Feuerrecht“, d.h. es durfte ein Schmiedefeuer unterhaltenwerden) stand in der noch heute so bezeichneten Gasse in der Innenstadt rechts gegenüberder Hauptfassade des heutigen Prager Rathauses.

Die Ringhoffer-Werke in Smíchov, vom Nordwesten gesehen, vermutlich Ende d. 19.Jhdt. Quelle: http://smichov.blog.cz

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Die Familienchronik5 zeugt vonraschem Erfolg:

„Der junge Meister findetein reiches Betätigungsfeldvor. Neben der Ausführungverschiedenster Kupferar-beiten spezialisiert er sichauf die Herstellung vonBrauereigeräten. Die erstegroße Sudpfanne fertigt er1773 für das Brauhaus desPrämonstratenserklostersvon Strahov an. Die Quali-tät seiner Erzeugnissescheint den Erwartungenvoll zu entsprechen, dieNachfrage ist groß. Als sichFranz Ringhoffer 1821 mit77 Jahren zur Ruhe setzt,hat seine Werkstatt nichtweniger als 159 Braupfan-nen geliefert. Die hohenEinnahmen gestatten esihm, die Produktion laufend zu erweitern.

Ringhoffer war offenbar zur rechten Zeit am rechten Ort: Die Kloster-Bierbrauerei Strahov imAreal des >Klosters Strahov, das 1142 von König Vladislav II. gegründet wurde, benötigte eineneue Ausrüstung. Deren Chronik6 geginnt an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert. Mehr-mals wurde sie durch Kriegshandlungen, 1697 durch einen Brand schwer beschädigt, und derWiederaufbau zog sich offenbar bis 1759 hin, als die Siederei instandgesetzt wurde und Ring-hoffer schliesslich 1773 seine Sudpfanne ablieferte.

1907 wurde die Bierbrauerei aufgelöst und die Objekte dienten dann nur zu wirtschaftlichen Zwe-cken. Erst 2000 wurde sie nach einer umfangreichen Erneuerung des ganzen Objekts wiederher-gestellt. Wenn Sie das Kloster Strahov, das sich in Fussmarschweite der Prager Burg befindet undeines der klassischen Highlights jedes Prag-Besuchs darstellt (Bibliothek, Kirche, Galerie), besu-chen, trinken Sie ein Bier in der Brauerei. Bier spielte auch in der späteren Geschichte derRinghoffers eine bedeutende Rolle.

Franz Ringhoffer wurde baldZunftmeister der Prager Kessel-schmiede und schliesslich 1793Stadtrat.

Nach dem Tod seiner ersten FrauJohanna heiratete er am 14. März1782 Elisabeth Pakeny (MehrereSchreibweisen: Packeny, Packenj,Pacqueny u.a.) aus einer ange-sehenen Goldschmiedefamilieitalienischer Herkunft, die zu Beginndes 18. Jahrhunderts aus Jülich (D)nach Böhmen eingewandert war.Elisabeths Vater Johann Dominik"Packenius" war ein bedeutenderRatsherr der Prager Kleinseite undVertrauter der hohen Geistlichkeit. Mehrere von ihm geschaffene

5 Elisabeth Gräfin Riba d'Ave, geb. Burmester; Ringhoffer, Emanuel: Os Ringhoffer. Do Moldava ao Douro: Bosquejo histórico de uma família, Porto, 2002; übersetzte Kurzfassung von E. Ringhoffer, Wien, 2013

6 www.klasterni-pivovar.cz/bierbrauerei/geschichte_der_bierbrauerei

Links die Plattnergasse, Platnéřská, rechts davon die Baustelle des neuen Rathauses, vorne jene Ecke, an der sich die erste Werkstatt des jungen Ringhoffer befand. Abb.: Kateřina Bečková: Lost Prague, 2007

Klosterbrauerei Strahov: Hier lieferte Ringhoffer seine erste Sudpfanne ab. Foto: Qype

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Monstranzen und Hostienkelche kann man heute in der >Domschatzkammer des PragerVeitsdoms sehen. Eines der bemerkenswertesten Kunstwerke des in den tschechischenChroniken als Jan Pakeny angeführten Künstlers ist jedoch wohl der Rokoko-Schrein desPražské Jezulátko7, des Prager Jesuskindes, aus dem Jahr 1741.8

Das Prager Jesulein oder Prager Jesuskind ist weltweit eines der bekanntesten, dem Glauben vie-ler Pilger gemäss wundertätigen, Jesus-Gnadenbilder. Es befindet sich in der Kirche Maria vomSiege (Kostel Panny Marie Vítězné) im Karmeliterkloster auf der Kleinseite Malá strana.Die Renaissancestatue ist aus Holz geschnitzt, mit Leinen überzogen und mit farbigem Wachsausmodelliert. Sie ist etwa 45 cm groß und stellt das Jesuskind im Alter von etwa drei Jahren dar.Sie ist das Werk eines unbekannten Künstlers aus dem 16. Jahrhundert.

Nach einer Legende soll sich das Jesulein einem Mönch gezeigt haben, der nach seiner Vision dieFigur geschnitzt haben soll. Ursprünglich befand sich die Statue im Besitz der spanischen Adels-

7 Als Devotionale käuflich zu erwerben: www.prazskejezulatko.cz (CZ; D,E, ES geplant)8 Für Feinschmecker: Jan Pakeny ist auch der Schöpfer des Tabernakels und der Altarleuchter in der St.-Thomas-

Kirche (Kostel svatého Tomáše) unweit des Kleinseitner Rings, Ecke Tomášská und Letenská, dort, wo die Strassenbahn auf einem Gleis unter dem Gewölbebogen durchfährt, von Monstranz und Kelch der Kirche Maria Schnee (Kostel Panny Marie Sněžné) am Jungmannovo náměstí, gleich neben dem österreichischen Kulturinstitut, und von Reliquiar und Lustern im Veitsdom aus den Jahren 1742-44. (>Lange Nacht der Kirchen)

Das Prager Jesulein in der Kirche Maria vom Siege. Der Schrein stammt vom Schwiegervater des Franz Ringhoffer, Johann Packenius. Foto: www.praguecityline.cz

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familie Manrique de Lara. Als im Jahre 1555 Maria Manrique de Lara den Oberstkanzler von Böh-men, Vratislav von Pernstein, heiratete, erhielt sie von ihrer Familie die Statue als Hochzeitsge-schenk. Nachdem mit ihrem Enkel Vratislav Eusebius von Pernstein die männliche Linie der Her-ren von Pernstein 1631 erlosch, übergab dessen Tante Polyxena von Lobkowicz die Skulptur demKarmeliterkloster der auf der Kleinseite. Seitdem wird es in jenem von Jan Pakeny gefertigten sil-bernen Schrein auf dem rechten Seitenaltar der Kirche aufbewahrt und als wundertätig verehrt.

Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Kloster durch die Sachsen geplündert und der Figur des Jesu-leins die Hände abgeschlagen. 1637 veranlasste ein Pater Cyrill Reparatur und Wiederaufstellung.1639 soll das Prager Jesulein die Stadt vor dem Ansturm der Schweden beschützt haben, 1655wurde es durch den damaligen Weihbischof von Prag feierlich gekrönt. Dieses Krönungsfest wirdalljährlich am ersten Sonntag im Mai gefeiert. Jedes Jahr kommen rund eine Million Pilger zu die-sem Gnadenbild.

Es entwickelte sich das Brauchtum, dem Prager Jesulein als Votivgabe Gewänder zu schenken undes einzukleiden. Die Sammlung besteht aus rund 100 Ornaten aus aller Welt. Das älteste Kleid,ein Geschenk des Königs Ferdinand III., stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunderts und ist mitRauschgoldstickerei ausgeschmückt. Als das wertvollste gilt ein mit Diamanten, Perlen und Gra-naten besetztes Kleid; es gehört zu rund zwanzig Ausstattungsstücken, welche die böhmische Kö-nigin und österreichische Erzherzogin Maria Theresia eigenhändig bestickt haben soll. Die Kleiderkönnen in einem der Nebenräume der Kirche in einem kleinen Museum besichtigt werden.

Je nach der Kirchenjahreszeit bzw. zu besonderen Anlässen wird die Figur anders bekleidet.

Ebenfalls zur Ausstattung des Prager Jesuleins gehören einige goldene Kronen. Die erste Kroneließ 1654 der Oberstburggraf von Böhmen, Bernhard Ignatz Borzita von Martinic, anfertigen. Wei-tere stammen aus dem 18. Jahrhundert; sie wurden in Prager Goldschmiedewerkstätten gefertigt.Die jüngste Krone stammt von Papst Benedikt XVI., der das Gnadenbild bei seinem Besuch am26. September 2009 damit ehrte.

Kirche Maria vom Siege (Kostel Panny Marie Vítězné)

Öffnungszeiten:Mo-Sa 9.30-17.30, So 13.00-18.00

Geschlossen während Gottesdiensten, am 25.12. sowie an Karfreitagen. Am 26.12., 1.1. und am Ostermontag wie an Sonntagen

Eintritt kostenlos.

Anfahrt:Metro Malostranská, dann zwei Stationen mit den Strassenbahnlinien 12, 20 oder 22 bis Hellichova (3 min.). Metro Anděl, dann vier Stationen mit den Strassenbahnlinien 12 oder 20 bis Hellichova(6 min).

www.pragjesu.info (CZ), www.pragjesu.info/de/ (D)

Das Haus dieses Jan Pakeny, „Zu denzwei Sonnen“ (U dvou slunců) isteine kurze Bemerkung wert. Es be-findet sich in der Nerudová 233/47,jener Strasse, die unterhalb des Pa-lais Schwarzenberg (gegenüber derPrager Burg) bis zum KleinseitnerRing (Malostranské náměstí) führt.Das Haus verfügt noch über Re-naissance-Elemente in der Fassadesowie ein barockes Hauszeichen und ist hauptsächlich wegen seines heute berühmten Mieters,des Schriftstellers Jan Neruda, bekannt („Kleinseitner Geschichten“9). Im Haus befindet sichauch eine alte Gaststätte, der „Hostinec U Dvou slunců“10, die nach geschichtlichen Quellen

9 http://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Neruda 10 http://udvousluncu.cz (nur CZ)

Das Haus zu den zwei Sonnen des Jan Pakeny, später das Wohnhaus des Dichters Jan Neruda. Foto: www.udvousluncu.cz

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zumindest seit dem Jahr 1614 nach-gewiesen ist und als eine der ältes-ten noch bestehenden Gaststättendes Viertels gilt.

Zu Beginn des 19. Jahrhundertsgehörte das Haus dem Gold-schmied Leopold Lichtenschopf,dessen Trinkhumpen aus vergol-detem Silber und Elfenbein imVictoria&Albert-Museum in Lon-don zu bewundern ist11.

Vor der Samtenen Revolution1989 war das Lokal auch ein ver-schwiegener Treffpunkt der Un-terzeichner der Charta 77 - derGegner des kommunistischen Re-gimes, unter Ihnen auch Schrift-steller und Ex-Präsident VáclavHavel. Heute gibt es dort übri-gens auch Kozel-Bier aus derehemaligen Ringhoffer-Brauereizu trinken...

3. Joseph Ringhoffer: k.k. Hof-Kupferschmiedemeister

Sein 1785 geborener Sohn Joseph Ringhoffer erlernt den väterlichen Beruf. Das Unternehmenwächst, Joseph legt 1812 die Meisterprüfung und wird „Associé“ seines Vaters. 1821übernimmt Joseph den Betrieb um 19.000 Gulden. Die Biographie beschreibt den Beginn derindustriellen Revolution:

Neue, leistungsfähigere Verfahren kommen zur Anwendung, die Produktion kann erheblichausgeweitet werden. Joseph, der seinen Vater auch in der Funktion des Innungsmeisters "be-erbt", erkennt die außerordentliche Entwicklungskapazität der jungen landwirtschaftlichen In-dustrien. Neben der Herstellung von Brauereiausrüstungen konzentriert er sich auf die Erzeugungneuartiger Apparaturen und Spezialmaschinen für Zuckerraffinerien und Spiritusbrennereien.

1822 erwirbt Joseph in >Kamenice im Süden von Prag eine Wassermühle, die er zu einemKupferhammerwerk umbaute und die später durch ein Kupferwalzwerk erweitert wurde –deren Nachfolger ist heute übrigens die Strojmetal Kamenice s.r.o.12

Franz Ringhoffer stirbt 1827. Die Biografie sagt zum Tod des Gründervaters:

„Als Franz Ringhoffer dreiundachtzigjährig für immer die Augen schließt, gehört Franz Ringhofferzu den reichsten und angesehensten Bürgern Prags, ohne den Handwerksstand verlassen zu ha-ben. Liebevoll betreut von seiner unverheirateten Tochter Franziska, wird er am 28. August 1827- wie es in der Todesanzeige heißt - "aus diesem zeitlichen in ein besseres Leben abberufen". DerPartezettel gibt sein Alter fälschlicherweise mit 87 an. Seine letzte Ruhestätte findet er 58 Jahrenach seiner Ankunft in der "Goldenen Stadt" auf dem Wolschaner Friedhof.“13

Joseph heiratet 1814 Johanna Körbl, die Tochter eines Oberamtmanns aus Kaaden an derEger/Kadaň (Nordwestböhmen). Aus der Ehe gehen 14 Kinder hervor, von denen acht - vierSöhne und vier Töchter - das Erwachsenenalter erreichen. Die Söhne Franz (1817-1873),Joseph (1821-1893), Emanuel (1823-1903) und Wilhelm (1826-1885) werden gründlich, aberstreng erzogen und ausgebildet. Die Familienchronik betont „neben dem Startvorteil einesbegüterten Elternhauses und einer sorgfältigen Ausbildung“ deren außergewöhnlicheFähigkeiten. Die Töchter heiraten Staatsbeamten und gutsituierte Kaufleute undRealitätenbesitzer.Dank der Qualität seiner Erzeugnisse wurde Joseph 1832 von Kaiser Franz I. zum k.k. Hof-Kupferschmiedemeister ernannt und erhielt die Befugnis zur Erzeugung von Kupfer- und

11 http://collections.vam.ac.uk/item/O157904/beaker-leopold-lichtenschopf/

12 www.strojmetal.cz/firmenimage.htm?lang=de 13 Olšanské hřbitovy, unsicher. www.praguewelcome.cz/srv/www/de/objects/detail.x?id=56427

Das Kupferhammerwerk Josef Ringhoffers, des Sohnes von Franz, in Kamenice, die heutige Strojmetal. Abb.: www.strojmetal.cz

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Messingwaren. Aus der Werkstatt seines Vaters machte er eine Manufaktur mit rund siebzigBeschäftigten. Der Betrieb produzierte Geräte für Bierbrauereien, Spirituosenbrennereien undZuckerfabriken in allen Teilen der Monarchie.

Josef Ringhoffer stirbt 1847, sein ältester Sohn Franz (Nunmehr der II.) übernimmt die Firma.

4. Franz II. Ringhoffer: Ausbau zum Konzern

Die Biografie beschreibt Franz II. Als „visionären Wirtschaftspionier“, der eine glanzvollste Laufbahn vor sich hätte:

„Mit dem Bau von Eisenbahnwaggons ist er in Böhmen wie im ganzen österreichischen Kaiserstaat zunächst so gut wie allein. Der Enkel des Kupferschmieds aus Müllendorf begibt sich damit auf ein Produktionsgebiet, auf dem seine Firma in wenigen Jahrzehnten Weltgeltung erlangt. Das Etikett des "Industriekapitäns" sollte aber nicht den Blick auf den Philanthropen verdecken, der mustergültige Sozialeinrichtungen schuf und einen beachtlichen Teil seines Vermögens wohltätigen Stiftungen zuführte. (...)

Der am 28. April 1817 geborene Franz wird im väterlichen Unternehmen ausgebildet und studiert an dem 1806 gegründeten Prager Polytechnikum, der mit kaiserlichem Privileg ausgestatteten ersten Ausbildungsstätte der technischen Intelligenz. 1837 bekommt er den Meisterbrief und gehtins Ausland, um seine Kenntnisse zu vervollkommnen und neue industrielle Fertigkeiten auszuspähen. Er volontiert in den damals renommiertesten Faktoreien Englands, Frankreichs, Belgiens und Deutschlands, lernt in Sheffield das Zentrum der britischen Stahlindustrie kennen und eignet sich ein fundiertes Fachwissen an. Während seines Aufenthalts in England vertieft er sich in das Studium wirtschaftspolitischer und sozialer Fragen. Nach seiner Heimkehr arbeitet er ab 1841 selbständig auf dem Prager Marienplatz.“ (I.e. in unmittelbarer der Nähe der ersten Werkstatt. 1839 hatte Franz II. wegen Platzmangels in der alten Werkstatt auch ein Haus in der Mariengasse, heute Opletalova 1284-II, genau gegenüber dem Hauptbahnhof, erworben . Anm. d. Autors)

Franz II. erhielt 1848 das Recht, eine Fabrik zu betreiben und verlegte die Werkstatt 1852 aus der Innenstadt in das am gegenüberliegenden Ufer befindliche Smíchov:

„Auf einem großen Areal läßt er eine Eisenbahnwagenfabrik mit angeschlossenen Schmiede-, Tischler-, Schlosser- und Montagewerkstätten errichten. Hinzu kommen eine Kesselschmiede, eine Eisengießerei, eine Trägernieterei und ein Sägehaus. Erzeugt werden Kohlen- und Güterwagen, Tender und schließlich auch Personenwagen.“

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Smíchov ein ruhiger Vorort der Stadt Prag, dominiert vonkleinen adeligen Sommerresidenzen (die Gegend gehörte vorwiegend den Schwarzenberg undMartinitz), Wein- bzw. Klostergärtenund ersten Industriebetrieben, wie derKattunfabrik des Porges von Portheim(Seit 1816). 1838 wurde Smíchov vonKaiser Ferdinand I. Zur Vorstadterhoben.

Das erste (und nunmehr letzte beste-hende) Fabriksgebäude des späterenRinghoffer-Konzerns könnte das Ge-schäftslokal (bzw. dessen Fassade) derSchuhkette Humanic an der EckePlzenská und Radlická sein, das lässtsich allerdings nicht mehr exaktfeststellen. Die Produktpalette wurde laufenderweitert, 1854 wurde der ersteEisenbahn- (Last-) Waggon gebaut,der erste Personenwagen 1863. 1870rüstete das Unternehmen den ersten

Schloss Zakupy: Erster elektrischer Lift in Böhmen von Ringhoffer. Foto www.kalendarakce.atlasceska.cz

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Personenaufzug in Böhmen im Schloss Zakupy14 auf maschinellen Betrieb um, in jenemSchloss, in dem Kronprinz Ferdinand seine „unstandesgemässe“ Braut Sophie Chotek heiraten„musste“, damit in Wien möglichst wenig Aufhebens um diese Angelegenheit gemacht würde.

Die Familienchronik erfasst den Aufstieg des Ringhoffer-Fabriken zum europäischen Konzern ineinem Schlüsselsatz:

Den eigentlichen Ruhm der Ringhofferschen Unternehmungen begründete der Waggonbau. DieSmíchover Fabrik wurde zur größten ihrer Art in der gesamten Monarchie. Zahllose Patente undSchutzrechte stehen für bedeutende Erfindungen. Ringhoffer-Straßenbahnen prägten dasStadtbild europäischer Metropolen. Die internationale Schlafwagengesellschaft "Wagons-Lits"bezog ihre Wagen ausschließlich von Ringhoffer. An europäische wie außereuropäische Monarchenwurden luxuriös ausgestattete Hof- und Salonwagen geliefert.

Franz Ringhoffer II. Verfügte offenbar nicht nur, wie seine Vorfahren, über unternehmerischesGeschick, sondern auch über politisches und soziales Bewusstsein. 1854 führte Ringhoffer alseiner der ersten Unternehmer überhaupt eine Krankenversicherung für seine ArbeiterInnen ein,1870 einen Pensionsfonds, eine Berufsschule und andere. 1861 (bis 1865, Anm. d. A.) wurdeer zum Bürgermeister von Smíchov gewählt, 1862 wurde er zum Ritter geschlagen und 1864wurde er in den böhmischen Landtag gewählt. Er setzte auch den Bau des Bahnhofs Smíchovdurch, um die Anbindung des bald grössten Waggonbau-Betriebs Österreich-Ungarns an das

Eisenbahnnetz der Monarchie und schlussendlich an Europa zu ermöglichen. 1880 wurde einVerbindungsgleis zwischen Fabrik und Bahnhof errichtet, das in letzten Resten noch heuteexistiert.

Der Bahnhof Smíchov (Früher Prager Westbahnhof) im Süden des ehemaligen Firmenarealswar der Endpunkt (Heute Durchgangsbahnhof) der Strecke Prag–Pilsen/Plzeň, die am 14. Juli

14 http://de.wikipedia.org/wiki/Zákupy. Der bestehende Aufzug aus dem Jahr 1718 (!) funktionierte mittels Gegengewichten: Petr Macek, Pavel Zahradník: Zámecký areál v Zákupech, in: Průzkumy památek II/1996, pp. 9,28, 31 www.pruzkumypamatek.cz/pdf/1996-02-02.pdf

Romantik pur mitten in der Stadt. Fahrt über den „Prager Semmering“, der alten Strecke vom Bahnhof Smìchov zu denim Westen gelegenen Kohlerevieren, die das Ringhoffer-Werke mit Energie versorgten. Foto http://dennysak.blogspot.com

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1862 eröffnet wurde. Sie war Teil derVerbindung von Prag über Pilsen zurbayerischen Grenze bei Furth im Wald,welche durch die k.k. priv. BöhmischeWestbahn errichtet wurde. Dadurchkonnte die Fabrik mit Steinkohle ausdem Pilsener Becken versorgt werden(Die weiteren, in den Siebzigerjahrenfertiggestellten Eisenbahnstreckenermöglichten dann die Zufuhr vonBraunkohle aus den nordböhmischenKohlerevieren). Diese heute langsame,im Bereich der Staatsgrenze jedochrecht malerische Strecke ist bis heutedie wichtigste Bahnverbindungzwischen Prag und München.

Die Prager Verbindungsbahn vomHauptbahnhof über die Moldau zumWestbahnhof wurde 1872 in Betrieb genommen. Sie war das letzte fehlende Teilstück zwischender Kaiser-Franz-Josephs-Bahn von Wien über Gmünd nach Prag und den in Prag-Smíchovbeginnenden Strecken nach Pilsen, Karlsbad u.a.

5. Über den Semmering mitten in der Stadt

Vor der Errichtung dieser Verbindungsbahn mussten die in Smíchov gebauten Waggons aufPferdefuhrwerken via Újezd und die Kaiser-Franz-Brücke (Heute most Legií) und >Na Příkopězum Masaryk-Bahnhof (Masarykovo nádraží) transportiert werden, ein gewaltiges Unterfangen– pro Transport mussten acht Pferde vorgespannt werden; der Transport dauerte mehrereStunden.

Für Eisenbahnfreunde: Vom Bahnhof Smíchov kann man auch über zwei Nebenstrecken rechtreizvolle Ausflüge in den Westen Prags unternehmen:

1) Durch das Prokop-Tal (Prokopské údolí, malerische Mischung zwischen Park undNaturlandschaft, Felsen, Teiche, Spielplätze und Ausflugsgasthäuser) zu westlichen Vororten wieHostivice. Die Bahnstrecke Praha-Smíchov–Hostivice wurde ursprünglich von der BuschtěhraderEisenbahngesellschaft erbaut und betrieben. Sie bindet in Hostivice in die direkt von Praha-Masarykovo nádraží kommende Hauptbahn nach Chomutov (Komotau) ein. Das Teilstück bisPraha-Jinonice ist wegen dergewundenen, über mehrere großeViadukte verlaufenden Trassen-führung auch als Prager Semmering /Pražský Semmering bekannt. Derneun Kilometer lange PragerSemmering im engeren Sinneüberwindet in zahlreichen Kurven eineHöhendifferenz von 90 Metern, seineFortsetzung nach Rudná u Prahy von190 m. Ab dem Bahnhof Praha-Smíchov verläuft die Strecke in einerlangen 180-Grad-Kurve, um dannnahe am selben Bahnhof auf größererHöhe vorbei zu führen. Bei Zlíchovüberquert die Strecke das TalProkopské údolí auf zwei großen, 20und 22 Meter hohen Viadukten. WennSie Eisenbahnfan sind, können Sie inHostivice umsteigen und direkt in dasca. 60km westlich von Prag gelegene

Praga Automuzeum im Vorort Zbuzany, drittgrösste markenspezifische Autosammlung der Welt. Foto www.muzeum.cz

Fahrtüchtiger Ringhoffer-Komarek-Dampftriebwagen im Eisenbahnmuseum in Lužná u Rakovnika. Foto ru.wikimedia.org

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Eisenbahnmuseum der TschechischenBahnen in Lužna bei Rakovník15

weiterfahren, wo Sie neben über 30Dampflokomotiven auch den in denRinghoffer-Werken hergestellten undnur mehr in zwei Exemplarenvorhandenen Dampftriebwagen M124.001 aus dem Jahr 1903 sehen. Erist er eines der ältesten fahrtüchtigenFahrzeuge mit Dampfantrieb in denSammlungen des Museums in Lužná.

2) Von Smíchov aus kann man auch,gemütlich im altmodischen Schienen-bus, malerisch durch alte Villensiedlun-gen und den Wald des Prokop-Tals biszur Station Zbuzany zum >Automuze-um Praga16 fahren. Das frühere Privatmuseum, seit 2000 öffentlich, ist das weltweit drittgrössteAutomuseum, das sich ausschliesslich einer Marke widmet. Praga war die Marke des 1907 vonRinghoffer und der Ersten Böhmisch-Mährischen Maschinenfabrik (První českomoravské továrnyna stroje) in Prag-Libeň gemeinsam gegründeten Automobilherstellers. Das letzte Fahrzeugverliess die inzwischen umgesiedelte Fabrik erst im Jahr 2005. (S.a. S. X)

6. Bierbrauer und Kosmopolit

1871 kaufte Franz Ringhoffer II. die bereits im 14. Jahrhundertgegründete Brauerei >Velké Popovice17, knapp 30 km südlich vonPrag und ganz in der Nähe von Kamenice, dem Standort desKupferwalzwerks, das sein Vater errichtete, und liess sie umbauenund modernisieren. Heute ist Kozel, die Biermarke der Brauerei, dasweltweit meistverkaufte tschechische Bier. Dessen Logo, derZiegenbock (Kozel) stammt von einem französischen Maler, der VelkePopovice nach dem 1. Weltkrieg besuchte und von der örtlichenGastfreundschaft so angetan war, dass er einen Ziegenbock malte,das Symbol ehrenhafter Handwerkskunst. So kam das Bier zu Namenund Logo.

Vom Bahnhof Smíchov, aber auch (rascher) vom Hauptbahnhof/Hlavní nádraží oder vom Bahnhof Vršovice kann man bis Strančice und dann weiter mit dem Bus in insgesamt knapp 50 Minuten bisdirekt zur sehr schön restaurierten Brauerei fahren.

Aus der Familienchronik: „Die expandierende Transportindustrie macht Smíchov zu einem dergrößten Industrieparks des alten Kontinents. 1896 beschreibt der 1875 in diesem Vorortgeborene Rainer Maria Rilke die besondere Atmosphäre der Industrielandschaft in seinemGedicht 'Hinter Smichov'“18

Hinter Smíchov

Hin gehn durch heißes Abendrotaus den Fabriken Männer, Dirnen, auf ihre niedern, dumpfen Stirnen

schrieb sich mit Schweiß und Ruß die Not.

Die Mienen sind verstumpft; es brachdas Auge. Schwer durchschlürft die Sohle

den Weg, und Staub zieht und Gejohlewie das Verhängnis ihnen nach.

15 Geöffnet Mai-Oktober, www.cdmuzeum.cz/de/default.htm 16 www.automuzeum-praga.cz/kontakt.html

17 http://pivovar.kozel.cz/en/homepage.html 18 www.gedichte.com/gedichte/Rainer_Maria_Rilke/Hinter_Smichov

Die von Franz Ringhoffer II. bedeutend ausgebaute Kozel-Brauerei in Velké Popovice. Foto: www.taggmanager.cz

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Selbst wenn die Nachfahren des eingewanderten erstenRinghoffer heute in Presse und Literatur als Tschechenund Wegbereiter der landesweiten Industrialisierung inhöchsten Ehren gehalten werden, gestaltete sich in der2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die politischeBetrachtungsweise ganz anders. Die tschechischeGesellschaft befand sich im Umbruch, die Dominanzdurch „Deutsche“, die sich in Prag vor allem durchjüdische Intelligenz und Kapital sowie österreichischeBeamte und Adelige manifestierte, wurde zunehmenddurch das steigende Selbstbewusstsein der tschechischsprechenden Bevölkerung und durch den Aufbau einestschechischen Bürgertums in Frage gestellt. Smíchov spielt hier durch die starke Zuwanderung ländli-cher Bevölkerung eine bedeutende Rolle, schreibt ErikaKruppa19

„Der Sturz des neoabsolutistischen Regimes (Gemeintsind Kaiser Ferdinand und Reichskanzler Metternich,Anm. d. A.) am Ende der fünfziger Jahre und die erstenWahlen 1861 führten zu offenen Auseinandersetzungenzwischen Tschechen und Deutschen um die politischeMacht, und zwar nicht nur auf Reichs- und Provinz-,sondern auch auf kommunaler Ebene. Die Differenzierung der Bevölkerung in tschechische unddeutsche Gruppen, 'getrennt durch ethnische Identität und soziale Beziehungen, war einEntwicklungsprozess, der sich während der sechziger und siebziger Jahre vollzog' (Cohen 1981,45). Vor allem in Städten und Gemeinden mit national gemischer Bevölkerung begann sich dasethnische Zusammengehörigkeitsgefühl sowohl im politischen als auch im gesellschaftlichenLeben immer stärker auszuwirken.Am Anfang standen die Gemeindewahlen 1861, die im Rahmen der Einführung derGemeindeselbstverwaltung nach den Grundsätzen von 1849 durchgeführt wurden und einenentscheidenden Wendepunkt im Verhältnis beider nationaler Gruppen zueinander bezeichneten(Fussnote ausgelassen, Anm. d. A.). Im Unterschied zum Reichsrat und zum Landtag, wo dieDeutschliberalen die Mehrheit stellten und die politische Verantwortung trugen, gelang es denTschechen in einigen Städten Böhmens, auf lokaler Ebene die Macht zu übernehmen. So siegtebeispielsweise bei den Neuwahlen im März 1861 in Prag die in der Fortschrittspartei vereinigtentschechischen Liberalen (…). Damit ging in Prag die 'ungefähr 200jährige Vorherrschaft der Deut-schen' zu Ende“

In Smíchov, damals noch nicht Teil der Stadt Prag, gelang es den Tschechen erst 1867, in derKommunalvertretung die Macht zu übernehmen. Das Wahlrecht war damals je nach Steuerleis-tung unterschiedlich gewichtet, die meisten Wähler in Smíchov fielen damals in die 3. Steuer-klasse, die über die geringsten Stimmrechte verfügte.

Kruppa dazu:„Dies macht deutlich, dass der Bevölkerungszustrom in den fünfziger Jahren vor allem von armenländlichen tschechischsprachigen Schichten getragen wurde, die nach der Bauernbefreiung von1848 in das sich industriell entfaltende Smíchov abwanderten. Fast alle Fabriken befanden sich zujenem Zeitpunkt in deutschen Händen. (…) Die Deutschen wurden mit Macht, Wohlstand, Bildungund Ansehen identifiziert, während sich die tschechische Bevölkerung aus den „Habenichtsen“oder jenen rekrutierte, die erst im sozialen Aufstieg begriffen waren, sich aber im Vergleich zuden deutschsprachigen Bürgern ungerecht behandelt fühlten.“

Dieser Entwicklung weiss sich Ringhoffer offenbar anzupassen, denn seinem Ruf und seinemErfolg erteilt diese Entwicklung keinen Abbruch. Während seiner Amtszeit als Bürgermeister(1861-65) lässt er eine Gasanstalt und mehrere Wasserreservoirs errichten und veranlaßt diePflasterung und Beleuchtung der Straßen. Als Anerkennung seiner karitativen Tätigkeit undseines opferwilligen Einsatzes während einer verheerenden Überschwemmungskatastrophewird er 1862 mit dem Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens ausgezeichnet. 1873 erfolgte dieErhebung in den erblichen Freiherrenstand und die Mitgliedschaft im Herrenhaus des Reichs-rats.

19 Erika Kruppa: Das Vereinswesen der Prager Vorstadt Smichow 1850-1875, Oldenbour, 1992, S. 71ff

Franz Freiherr von Ringhoffer-Grossindustrieller mit hohem sozialen Bewusstsein und Kosmopolit im wachsenden ethischen Spannungsfeld Böhmen. Foto ÖNB/ www.bildarchivaustria.at

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Die im Allgemeinen zunehmenden Spannungen zwischen den ethnischen Gruppierungen (Sym-bolisiert durch Vereinsgründungen wie dem Sportverband Sokol auf der einen, dem DeutschenTurnverband auf der anderen Seite, dem Bau des Nationalmuseums oder des GemeindehausesObecní dům auf tschechischer, jenem des Deutschen Theaters, heute Staatsoper/statní operaauf deutscher Seite usw.) kommentiert die Familienchronik:

„Durch besondere Eintracht zeichnete sich in der Firma das Verhältnis zwischen den Nationalitä-ten aus. Jeder Form des Volkstumskampfes abhold, erklärt Baron Franz Ringhoffer 1882 seinenAustritt aus dem "Bund der Deutschen in Böhmen", ebenso aus dem Verein "Deutsches Casino" inPrag. Im Böhmischen Landtag tritt er mit aller Konsequenz für völkerverbindende Toleranz undfür eine Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen ein. Vorstöße, den sich zuspitzendenSprachenkonflikt durch Schaffung von ethnisch abgegrenzten Bezirken einzudämmen, lehnt er alsEntzweiungsversuche grundsätzlich ab.“

Er vervielfacht das väterliche Erbe:

„Das in drei Jahrzehnten angehäufte Vermögen, das er seinen Kindern hinterläßt, ist schätzungs-weise achtzigmal größer als das Anfangskapital in den Vierzigerjahren. Die Millionengewinne wer-den in Bodenwerten angelegt. Zwischen 1860 und 1872 kauft Franz die Landgüter Kamenitz,Stirin mit Kreuzkosteletz, Lojowitz, Popowitz und Pischely in Mittelböhmen. Der Umfang dieserLändereien macht deutlich, wie intensiv die Kapitalbildung sein mußte. Die zu den Landgütern ge-hörenden Betriebe - Mühlen, Mälzereien, Sägewerke, Meierhöfe, Molkereien, Ziegeleien, Gärtne-reien, Fischteiche u.a. - werden mit modernstem Gerät ausgerüstet und vorbildlich bewirtschaf-tet. 1874, kurze Zeit nach seinem Tod, nimmt die von Franz Ringhoffer gegründete Brauerei inGroß-Popowitz mit einem Bierausstoß von 18.000 Hektolitern im ersten Jahr die Produktion auf(1939: 400.000). (...)“ (Biografie)

Anfang 1873 erfolgte die Erhebung in den erblichen Freiherrenstand und die Mitgliedschaft imHerrenhaus des Reichsrats. Allerdings kann er sich dieser Ehre nicht mehr erfreuen: Im März1873 stirbt Franz Ringhoffer nach längerem Leiden an Lungenlähmung.

Aus damaliger, und, wieder, aus heutiger Sicht ist der unternehmerische Ethos des Grossunter-nehmers bemerkenswert. Die Familienchronik kommentiert:

Familienschloss Štiřín in Kamenice, nahe Velké Popovice, heute Hotel und Konferenzzentrum. Im Park befindet sich die Familiengruft, angrenzend an das Areal der von Ringhoffer errichtete erste Golfplatz in Böhmen. Der letzte Ringhoffer, Josef-Emanuel, ist heute Ehrenmitglied des Golfklubs. Foto: www.laduv-kraj.cz

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„Sein altruistisches Empfinden und seinpaternalistischer Umgang mitUntergebenen kommen in einemschriftlichen Vermächtnis ("Ratschläge anmeine Kinder") aus dem Jahr 1870 zumAusdruck. Darin ermahnt er seine Erben,den Versuchungen des materiellenReichtums entgegenzuwirken und nichtnach gesellschaftlichem Ansehen zugieren. Er warnt sie vor übertriebener Ge-winnsucht; Vermögensvermehrung seikein Selbstzweck, sondern vielmehrVerpflichtung, sich für das Gemeinwohlverantwortlich zu fühlen. Er appelliert andie Familiensolidarität und ersucht seineSöhne, stets in Eintracht zu leben und sichnie "zu Heftigkeiten hinreißen" zu lassen.In ihren Unternehmen sollten sie niemalsauf den nötigen Abstand zu ihrenAngestellten vergessen. Fleiß, Kreativitätund wohlwollende Fürsorge reichten nichtaus; wer den Anforderungen einesGroßunternehmers gewachsen sein wolle, müsse auch "Menschen führen können".Testamentarisch legt er fest, daß Angestellte und Bedienstete nur im Fall einer erwiesenenStraftat entlassen werden dürften. Zahlreiche Mitarbeiter bedenkt er mit Legaten.“

7. Kaiserlicher Hofsalonzug und Prunkbegräbnis

1873 ist auch das Jahr des Wiener Börsenkrachs. Die drei Söhne Franz III., Emanuel und Vik-tor übernehmen das Erbe und können trotz Krise den wirtschaftlichen Erfolg halten und aus-bauen. 1879 wird jener Dampfmotorwagen gebaut, der sozusagen den ersten Schienenbusdarstellt und heute noch (fahrtüchtig) im Museum der Tschechischen Bahnen in Rakovník be-sichtigt werden kann. 1891 verläßt der "Kaiserzug" die Smìchover Werksanlagen, ein komplet-ter Hofzug aus acht dunkelgrünen Wagen für das Kaiserpaar.

Diesen Kaiserzug gibt es – wieder, Dank einer ungewöhnlichen Initiative eines Eisenbahnlieb-habers, der aus einem Hobby ein Unternehmen aufbaute:

Nachdem im ersten Weltkrieg beinahe alle Waggons des kaiserlich-königlichen Zuges zerstörtworden waren, wurde der Prunk nur mehr durch Erzählungen, Pläne und Fotografien überliefert.Dem Engagement des ehemaligen Lokführers Gottfried O. Rieck, seinen Partnern und deren Teamist es zu verdanken, dass heute Gäste aus aller Welt diesen Traum auf Schienen erleben können.Rieck ließ in mühevoller Handwerksarbeit die prunkvollen Waggons in Anlehnung an alte Plänenachbauen. Er legte dabei größten Wert auf die Verwendung von Originalmaterialien undauthentischen Dokumenten der österreichischen Kaiserzeit.

1991, ein Jahrhundert nach dem Bau des Original-Hofzuges, begann Gottfried Rieck mit seinerFrau Sibylle, seinen Lebenstraum zu verwirklichen (…). Nach dem Erwerb eines WaggonsBaujahrs 1905 aus der Waggonfabrik Ringhoffer und anschließender Planung und Arbeit überviele Monate, rollte der Waggon "Salon I" erstmals über die Gleise. Konstrukteure hatten diestrengen Sicherheitsauflagen moderner Züge mit der verschwenderischen Pracht des Originalsverbunden.

Der "Salon I" ist im Stil eines Wiener Kaffeehauses gestaltet und bietet Platz für 12 Gäste, verfügtüber eine wunderschöne Bar und drei prächtige kaiserliche Abteile für insgesamt 18 Personen.Der Waggon "Excelsior"- ein rollender Ballsaal - wurde in mehr als 6000 Arbeitsstunden vonKunstschnitzern verziert. Besonderes Juwel dieses mit Bar und Deckengemälde ausgestattetenWaggons ist der Originalspiegel aus dem Salonwagen von Kaiserin Elisabeth von 1891.

Am 19. Mai 1998 wurde schließlich der glanzvoll restaurierte Majestic Imperator-Luxuszug mitsechs Waggons von Maria Christina Habsburg-Lothringen, der jüngsten Nachfahrin Kaiser FranzJosephs I. und Kaiserin Elisabeth getauft. Wahlweise wird der Zug an moderne Linienzügeangehängt oder von nostalgischen Lokomotiven gezogen.20

20 Angebot und Buchungen bei Panorama Tours, Wien www.panoramatours.com oder Horatia Travel, Prag www.horatia.cz

Weitgehend originalgetreu nachgebauter Hofsalonzug nach dem Vorbild des Ringhofferschen Originals: Ein Eisenbahnfan hat einen Traum in ein Unternehmen verwandelt. Foto www.imperialtrain.com

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Einige wenige im Original erhalteneWaggons zeigen auch das NationaleTechnikmuseum in Prag (Národnítechnické muzeum, NTM21) bzw.dessen Aussenstellen.

Weiter in der Biografie:

„Mit der Blüte des Unterneh-mens geht auch ein Wachstumder Familie einher. Die drei Brü-der und ihre Schwester Emmyheiraten vier Geschwister ausder Familie Klein von Wisen-berg, deren Werdegang eineVielzahl von Parallelen zu demder Ringhoffers aufweist. DerSchwiegervater, Franz FreiherrKlein von Wisenberg (1825-1882), hatte sich als Straßen-und Eisenbahnbauunternehmerbedeutende Verdienste erwor-ben, unter anderem durch Fluß-regulierungen, Kanalbauten undden Bau der Semmeringbahn. Er war 1872 baronisiert worden. (...). Die Familie Klein besitzt dasEisenhüttenwerk in Zöptau, ist an Bergwerksunternehmungen beteiligt und verfügt überumfangreichen Großgrundbesitz in Mähren mit dem Schloß Wiesenberg.“

Unter der Führung von Franz III. Freiherr von Ringhoffer wuchs die Firma zu einem der größ-ten Industrieunternehmen in Österreich-Ungarn. Sie erzeugt Schienenfahrzeuge aller Art wieElektrolokomotiven, Triebwagen, Tender für Dampflokomotiven und Straßenbahnen, sowie Pro-duktionseinrichtungen für Zuckerfabriken, Brennereien, Brauereien und Kühlanlagen für Kühl-häuser.

Die Reaktionen auf den Tod von Franz III. während eines Kuraufenthalts in Bad Kissingen (D)im Sommer 1909 sind ein klares Zeugnis der Stellung der Familie und ihrer Betriebe. DieBiografie zitiert einen Bericht im "Prager Abendblatt" vom 28. Juli:

"Die Überführung der sterblichen Überreste des Barons Dr. Franz Ringhoffer gestaltete sich zu ei-ner Trauerfeier, wie sie in ihrer Art Prag noch nicht gesehen (...) Der Trauerzug bot zufolge dermassenhaften Beteiligung und des Umstands, daß buchstäblich alle Schichten der Bevölkerungvertreten waren, einen imposanten Anblick. Auf diese Weise kam das ganz außerordentliche An-sehen, dessen sich der Heimgegangene dank seiner hohen gesellschaftlichen Stellung, seiner in-dustriellen Bedeutung und seiner Kavaliersgesinnung und Menschengüte erfreute, zu voller Gel-tung. Unter den Trauergästen sah man in Vertretung des Erzherzogs Franz Ferdinand den Käm-merer Graf Gudenus, Ministerpräsident a.D. Graf Thun, Fürst Lobkowicz, den Erbprinzen KarlSchwarzenberg, die Grafen Oswald Thun und Carl-Erwein Nostitz-Rieneck, sowie beinahe den ge-samten übrigen in Prag weilenden Adel (...) Die Bevölkerung bezeugte durch ihre Teilnahme dieSchwere des Verlustes, den Tausende durch den frühen Heimgang des edlen Mannes erlitten ha-ben."

1909 übernahmen dessen Söhne mit Franz Ringhoffer IV. als Präsident des Verwaltungsratesdas Unternehmen, das auf Grund seiner inzwischen erreichten Grösse 1911 in eine Aktienge-sellschaft umgewandelt wird. Bruder Hans Ringhoffer wird Generaldirektor, Alfred wird Leiterdes Verkaufs.

In den Kriegsjahren 1914-18 werden Höchstleistungen erbracht. Die Stückzahl der geliefertenWaggons (ohne Straßenbahnwagen) übersteigt 6.000 jährlich. Die Zahl der Spezialfahrzeugewie Sanitätswagen, Feldküchen u.a. ist nicht bekannt.

21 www.ntm.cz

Anfang des 20. Jahrhunderts einer der grössten Industriekonzerne Österreich-Ungarns: Ehemaliges Ringhoffer-Verwaltungsgebäude in derKartouzska 4 in Prag-Smíchov. Foto: František Kada

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Die Produktion der Waggonfabrik geht aber in den ersten Nachkriegsjahren stark zurück. Nurnoch 393 Waggons verlassen 1923 das Smichower Werk. In diesem Jahr wird die mährischeWaggonfabrik Nesselsdorf/Kopřivnice, die bis dahin zur Rothschild-Gutmann-Gruppe gehörteund bereits seit 1897 auch Automobile erzeugt, an die Ringhoffer-Werke angegliedert. Aus dereinstigen "Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft" gehen die Tatra-Werke hervor, indenen der talentierte Konstrukteur Hans Ledwinka das erste Stromlinienauto mit Heckmotorentwickelt. Ledwinkas Ideen werden von zahlreichen Autobauern übernommen. Mit ihm rücktdie Fabrik zur technischen Avantgarde auf.

An dieser Stelle ein Exkurs: Die Vorgeschichte dieser nunmehrigen Tatra-Werke ist wichtig fürdas Verständnis der weiteren Entwicklung des Konzerns.

8. Die Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft und Hans Ledwinka

Die Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft (1850–1923) war ein Stellmacherbetrieb(Wagenbauer) in Nesselsdorf (heute: Kopřivnice) im Osten der heutigen TschechischenRepublik, etwa 40 km südlich von Ostrava. Dort wurden anfangs Kutschen, später auchEisenbahnwaggons und Automobile hergestellt. Gegründet wurde der Betrieb im Jahre 1850von Ignaz Schustala d. Ä. (tschechisch Ignác Šustala) (1822–1891) und Adolf Raschka d. Ä.als Kutschenfabrik Ignaz Schustala & Comp. Seit 1882 wurden auch Eisenbahnwagenhergestellt. 1890 kam der Eisenbahningenieur Hugo Fischer von Röslerstamm als Leiter desWaggonbaus in die Firma und der Betrieb wurde in eine Aktiengesellschaft namensNesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft umgewandelt.

1897/1898 kam das erste Automobil der Marke auf den Markt. An seiner Konstruktion warauch Hans Ledwinka beteiligt.

Hans Ledwinka22 kam 1878 in Klosterneuburg zur Welt. Der Vater war aus dem mährischenPirnitz bei Iglau (Jihlava) nach Dobersberg im Waldviertel gekommen, wo er LeopoldineWeissmann kennenlernte, die er dann in Klosterneuburg heiratete. Vater Anton Ledwinka warKantineur in der (alten) Pionierkaserne in der Klosterneuburger Markgasse. Auch zwei seiner

22 "Ledwinka“ heisst auf Tschechisch "kleine Niere", auf Wienerisch also "Nierndl“.

Hans Ledwinka, hier nach der Okkupation der Tschechoslowakei 1942 oder 1943, begnadeter Automobilkonstrukteur bei Tatra, musste auf Hitlers Druck auf seine Patente zugunsten Ferdinand Porsches Volkswagen verzichten. Foto: www.skautskydenik.cz

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Söhne waren in der Gastronomietätig. Heinrich (1880 - 1911)und Friedrich (1875 - 1910)waren Pächter des seinerzeit re-nommierten Lokals Herzogshutauf dem Rathausplatz in Kloster-neuburg, und offenbar sollteHans ebenso diesen Berufswegeinschlagen. Es stellte sich aller-dings im Laufe der Erziehungbald heraus heraus, dass der ga-stronomische Bereich nicht wirk-lich den Neigungen des jungenHans Ledwinka entsprach, son-dern dass dessen Vorlieben eherauf handwerklichem Gebiet zufinden waren. Unter diesen Um-ständen erschien es Vater Antonsinnvoll, seinem kinderlosenSchwager, Johann Zwieauer, dereine gutgehende Schlosserei im 15. Wiener Gemeindebezirk besaß, mit der Ausbildung seinesSohnes Hans, im Besonderen aber mit dessen beruflicher Entwicklung zu betrauen.

So besuchte Hans von 1884 bis 1889 die Volksschule der Schulbrüder in Wien-Fünfhaus unddann für drei Jahre die Bürgerschule. Von 1892 bis 1895 erlernte er daraufhin bei JohannZwieauer das Schlosserhandwerk. Hier eignete er sich sein umfassendes Verständnis fürmetallische Werkstoffe an. Nach abgeschlossener Lehrzeit besuchte er zur Weiterbildung dieWerkmeisterschule der Staatsgewerbeschule im 10. Bezirk in Wien.

9. Vom Schüler zum Autopinier

Zu dieser Zeit wurde der Onkel eines Mitschülers, der Direktor der NesselsdorferWaggonbaufabrik23, Hugo Fischer von Röslerstamm, auf Ledwinka aufmerksam und – Fügung,Schicksal, wie auch immer - holte den jungen Ledwinka 1897 von der Staatsgewerbeschuleweg direkt in die Nesselsdorfer Wagenbaufabrik, wo dieser auch am 1. September desselbenJahres eintrat. Vorgesehen war er als Konstrukteur für den Bau von Eisenbahnwaggons, ermeldete sich jedoch spontan zur Mitarbeit an dem ersten Automobil, das die Firma damalsbaute und das den Namen "Präsident" bzw. „Nesselsdorf Prezident“ erhielt. Der "Präsident"erinnerte in seinem Erscheinungsbild noch sehr an eine Kutsche und war mit einem 5-PS-Zweizylinder-Kontramotor der Benz-Werke in Mannheim ausgestattet, besorgt vombefreundeten Textilfabrikanten und Automobilsportler Theodor Freiherr von Liebieg24 ausReichenberg (Liberec). Es war, abgesehen vom Wagen des Siegfried Marcus – ein Prototyp ausdem Jahr 1888 (oder später) – das erste Automobil Österreich-Ungarns.

Nachdem der "Präsident" erfolgreich war, baute die Firma noch zehn weitere Automobile, derenMotoren jedoch nicht mehr in Mannheim gekauft, sondern aus Einzelteilen der Wiener FirmaHardy zusammengebaut wurden. Diese Autos verfügten über mehrere technischeVerbesserungen und besaßen als große Neuerung Luftreifen. Diese Wagen hiessen"Nesselsdorf", "Netrans", "Wien", "Bergsteiger" etc. Mit einigen dieser Modelle nahm BaronTheodor von Liebieg, an diversen Wettfahrten im In- und Ausland teil und errang immer wiederPreise. Liebig erkannte jedoch durch seine Rennerfahrungen die Nachteile desKutschenfahrzeugtyps. Auf Basis dieser Erfahrungen entwickelte Hans Ledwinka innerhalb vonnur fünf Wochen dann den Nesselsdorfer Rennwagen25, der durch einen Benz-Viertakt-Zweizylinder-Boxermotor mit drei Ventilen je Zylinder ausgestattet war und 12 PS bei 13.000U/min leistete. Der gesamte Rennwagen wog inklusive Ausrüstung 970 kg.

23 Nesselsdorf, heute Kopřivnice, liegt in Ostmähren, nahe Ostrava, die Direktion der Firma befand sich allerdings in Wien-Simmering, s.a. „Austro-Tatra“, weiter unten.

24 http://de.wikipedia.org/wiki/Liebieg 25 Nesselsdorf Präsident und der Nesselsdorfer Rennwagen befinden sich im Technischen Nationalmuseum in Prag

www.ntm.cz

Der Präsident NW 1, Baujahr 1897/98, das erste Automobil der Nesselsdorfer Waggonbaufabrik und auch das erste, das Hans Ledwinka mitkonstruierte. Heute im Technischen Nationalmuseum in Prag. Foto: www.tatra.ch

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10. Von Nesselsdorf nach Wien nach Nesselsdorf

Meinungsdifferenzen mit dem leitenden Meister des Nesselsdorfer Automobilbaues,Obermeister Leopold Svitak, und die Hochzeit mit Maria Fabig aus Neutitschein/Nový Jičín 1901sowie die Geburt seines ersten Sohnes Fritz waren Gründe, warum Ledwinka der Wechsel 1902zur Firma Alexander Friedmann, einer alten Armaturenfabrik in Wien, offenbar leicht gefallenwar. Hier sollte er an der Entwicklung und dem Bau eines Dampfmotorwagens nach Plänen desIngenieurs Richard Knoller mitarbeiten.

Knoller hatte den Wagen mit Vorderradbremsen ausgestattet, was 1904 eine Pionierleistungdarstellte, aber damals noch unbefriedigende Resultate lieferte, da der Wagen beim Bremsenin der Kurve geradeaus weiter fuhr. Es stellte sich heraus, dass für dieses Fehlverhalten nichtdie Art der Bremsen, sondern deren Blockieren verantwortlich war. Ledwinka zog aus diesenErfahrungen Kenntnisse, die er dann später bei der Entwicklung von Vierradbremsen bei seineneigenen Fahrzeugkonstruktionen anwenden konnte.

1904 wurde der zweite Sohn Hans Ledwinkas, Erich, in Klosterneuburg geboren. Er solltespäter die Vorlieben und Ambitionen seines Vater voll übernehmen und ein erstklassigerAutokonstrukteur werden.

Der Friedmann'sche Dampfwagen war zwar eine interessante Entwicklung, aber es zeigte sichdamals schon der allgemeine Trend zum Benzinmotor und, dass sich letztlich der Dampfwagennicht durchsetzen würde. Als dann von Direktor Fischer von Röslerstamm ein Angebot zurWiedereinstellung als Leiter des Automobilbaus kam, ging Hans Ledwinka am Ende 1905wieder nach Nesselsdorf.

Dort waren zwei ältere Ingenieure tonangebend, Kronfeld und Lang, die neue Chassistypenentwickelt hatten, sowie eine Serie von 10 Grubenlokomotiven mit Zweizylinder-Boxermotoren

Die Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft, die Wiege der k.k-Automobilproduktion, des Ur-Volkswagens und des späteren Tatra-Erfolges. Aus einem Tatra-Prospekt. Quelle: www.zuckerfabrik24.de

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für das nahegelegene Mäh-risch-Ostrauer Steinkohlere-vier. Die Hoffnungen, die dieGeneraldirektion in diese Neu-entwicklungen gesetzt hatte,gingen allerdings nicht auf.Die Konstruktionen warenFehlschläge - die damaligenKonstrukteure Lang und Kron-feld schieden aus der Firmaaus. Ledwinkas früherer Ge-genspieler Leopold Svitakging zur selben Zeit in Pensi-on. Das war die Lage, in dersich die Automobilbau-Abtei-lung in Nesselsdorf befand,als sie Hans Ledwinka über-nahm.

Die erste Aufgabe für HansLedwinka in seinem neuen Ar-beitsfeld war die Adaptierungder Lang- und Kronfeld-Typenzur Fabrikation. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese Konstruktionen dazu einfach nichtgeeignet waren, wodurch die Einstellung des Automobilbaus für Nesselsdorf drohte. Um dies zuverhindern, konzentrierte sich Ledwinka 1906 mit voller Kraft und all seinem Wissen auf dieKonstruktion eines völlig neuen Modells auf dem letzen Stand der damaligen Technik.

An dieser Stelle muss des besseren Verständnisses wegen auf technische Details eingegangenwerden. Ledwinka entwickelte die "Type S", einen 30 PS-Vierzylinder mit paarweisegegossenen Zylindern, von oben gesteuerten Ventilen mit halbkugeligen Verbrennungsräumen.die in einem Winkel von 90 Grad schräg zueinender standen. Diese Neuerung verhalf derFirma, ihren angeschlagenen Ruf mit einem weit über seine Zeit hinausgehenden Konzeptwieder herzustellen. Dazu kamen eine reihe weiterer innovativer konstruktiver Merkmale wiedie Anordnung der Königswelle mit ihrem Schraubenräderantrieb, die Druck-Umlaufschmierung, die Kugellagerung der Kurbelwelle etc., die ihrer Zeit weit voraus waren.

Mit dem Vierzylinder Typ "S" und dessen Weiterentwicklung dem Typ "T" hatte Ledwinka für diedamalige Zeit richtungsweisende Konstruktionen herausgebracht, die international großeBedeutung fanden. Der Typ "T" unterschied sich vom vorangegangenen "S"-Typ dadurch, daßdie 4-Zylinder zusammen in einem Block gegossen waren. Das war möglich, weil in Nesselsdorfeine eigene leistungsfähige Gießerei eingerichtet worden war.

Inzwischen waren im Automobilbau schon Sechszylinder-Motoren aufgetaucht. Ledwinka hattejedoch offenbar damit gerechnet, da der S-Motor durch Hinzufügen eines weiterenZylinderpaares zu einem Sechzylinder ausgebaut werden konnte. Der Nachfolger dieses 1910auf den Markt gekommenen 6-Zylinder-Typs "U 40/50", nämlich der 6-Zylinder "U20/65"enthielt bereits alle sechs Zylinder in einem Block und wurde bereits in den Jahren 1914/15serienmäßig mit Vierradbremsen ausgestattet. Mit den "S" und "T" Typen wurden auch, leichtadaptiert, Lastwagen gebaut, die sich bestens bewährten. Der Erfolg liess sich an dergewachsenen Belegschaft ablesen: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte dieNesselsdorfer Firma 5.300 Arbeiter und 350 Angestellte.

Im 1. Weltkrieg stieg die Autofabrikation derartig an, dass der Verwaltungsrat das Kapital füreine von Ledwinka bereits geforderte neue Fabrikshalle für den Automobilbau bewilligte. Derneue Generaldirektor Erhard Köbel, der Nachfolger des 1912 pensionierten Fischer vonRöslerstamm, ließ jedoch mit diesem Geld eine Halle für den Waggonbau errichten. Dasverärgerte Ledwinka, und so nahm er im Mai 1916 ein Angebot der Steyr-Werke inOberösterreich als Chefkonstrukteur für die dort neu zu errichtende Automobilfabrik an.

Nesselsdorf Typ S, heute im Tatra-Museum Kopřivnice www.tatramuseum.cz. Quelle: de.wikipedia.org

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11. Von Nesselsdorf nach Steyrnach Nesselsdorf

1914 war der erste Weltkrieg ausge-brochen, und angesichts des immensanwachsenden Bedarfs des Heeres anKraftfahrzeugen enstanden 1915/16Pläne zur Errichtung einer Automobil-fabrik in Steyr. Das k. u. k. TechnischeMilitärkomitee schlug Hans Ledwinkaals leitenden Konstrukteur vor. Dieserwar allerdings mangels einesNachfolgers in Nesselsdorf so loyal,dass er erst 1917 mit seiner Frau undden Söhnen Fritz und Erich nach Steyrübersiedeln konnte.

Ledwinka konstruierte in Steyr 1920ein elegantes Fahrzeug namens "TypII", das nach seinen neuesten Ideenmit einem 3,3l-Sechszylindermotorausgestattet war. Sein markantesAussehen mit Spitzkühler und Steyr-Firmenzeichen wurde sehr bald in Österreich wie auch imAusland populär. In der Folge wurden bis 1925 noch die ähnlichen Typen "V und VII" gebaut.Mit dem Sechszylindermotor des Personenwagens und dessen konstruktiven Merkmalenwurden in Steyr nun auch Schnelllastwagen für 2,5 t Nutzlast gebaut, die den Anfang einer fürÖsterreichs Wirtschaft wichtigen Lastwagenproduktion bildeten.

Während der Zeit Ledwinkas in Steyr war Generaldirektor Köbl in Nesselsdorf verstorben, undsein Nachfolger Leopold Pasching wollte Ledwinka für Nesselsdorf zurückgewinnen. Ledwinkaseinerseits war auf Grund von Unstimmigkeiten mit der Leitung in Steyr bereit, die mit einemAufstieg verbundene Stelle in Nesselsdorf wieder zu übernehmen. Nach einem Unfall mussteLedwinka für etliche Tage ins Spital. Während dieser erzwungenen Ruhezeit entwickelte er einvöllig neues, für den konventionellen Automobilbau revolutionäres Konzept: Den rahmenlosenleichten Wagen mit Zentralrohrträger, luftgekühltem Boxermotor und gelenklosemSchwingachsenantrieb. Eigentlich wollte Ledwinka diesen Wagen noch in Steyr bauen, abernach sorfältiger Prüfung der Nesselsdorfer Gegebenheiten (wie z.B. zweisprachige Belegschaft)nahm er das Angebot aus Mähren an und ging Ende 1921 zum dritten Mal in das vertrauteWerk zurück - jetzt als Chefkonstrukteur und technischer Direktor.

Die Zentrale wurde von Wien nach Prag verlegt, da Österreich nach dem Krieg zum Auslandgeworden war. Gleichzeitig wurde in Wien als Generalvertretung die Austro-Tatra gegründet.(S. a. S. X). Nesselsdorf lag nun in der Tschechoslowakei und hieß Kopřivnice. Die Firma selbstwar bis auf eine neue 15.000 qm Autohalle gleich geblieben. Ca. 3.000 Mann Belegschaftwaren da, von denen rund drei Viertel tschechisch sprachen. Man kam damit zurecht, indemalle Zeichnungen zweisprachig beschriftet wurden. Nun wurde vorrangig der Bau des neuenWagentyps mit Zentralrohrfahrgestell in Angriff genommen.

Ledwinka ging davon aus, dass der Krieg eine Verarmung der Absatzmärkte zur Folge hatte, sodass keine hohen Absatzzahlen für große Personenwagen erwartet werden konnten. Weiterswar der Straßenzustand auch noch äusserst schlecht. Die Neukonstruktion musste also sobeschaffen sein, dass ein Laie das Fahrzeug selbst betreuen und auch kleinere Reparaturenselbstständig durchführen konnte. Es waren ja weder in den Städten noch auf dem Landentsprechende Werkstätten vorhanden. Das Auto sollte einfach, sparsam, billig und langlebigsein. Aus diesen Überlegungen heraus entstand der Zweizylinder-Tatra "Typ 11", der 1923herauskam. Generaldirektor Ledwinka fuhr den Wagen selbst kreuz und quer durch die Alpenund erzielte beste Ergebnisse. In sieben Jahre wurden 25.000 Exemplare gebaut. DieTschechen bezeichneten den Wagen scherzhaft als "Tatříček", die Wiener nannten ihn"Blechdackel". Manche Exemplare fuhren 1.000.000 km.

Internationale Berühmtheit: Der Tatra Typ 11 (1923) mit luftgekühltem Zweizylinder-Boxermotor, Zentralrohrrahmen und Schwingachsen. Dieser war nicht als Sportwagen konzipiert, siegte aber bei internationalen Rennen, ebenso der 1932 vorgestellte Vierzylinder vom Typ 57. Foto de.wikipedia.com

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12. Fusion mit Ringhoffer,Autos für alle

1923 erfolgte aus wirtschaftlichenNotwendigkeiten die Fusion derNesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft, nunmehr Kopřivnickávozovka a.s. mit der Ringhoffer AGin Prag-Smíchov. Als Name für dieneue Firma mit Generaldirektion inPrag hatte man „Ringhoffer-TatraAG“ gewählt, nach dem höchstenGebirge des Landes.

Um 1929/30 gewann derallgemeine Gebrauchswagen inFolge der damaligen Wirtschafts-krise erneut an Bedeutung.Ledwinka entwickelte daher ab1930 wieder einen kleinen 4-Zylin-der-Wagen mit 1,6l-Boxermotor,der im März 1932 als Tatra Typ 57 herauskam. Nach drei Monaten waren bereits tausendFahrzeuge verkauft, die Absatzzahlen übertrafen die des Zweiylinders noch erheblich. Esfolgten weitere Modelle mit 1,23l- und 1,69l-Motoren. Ledwinkas unermüdlicher Erfindergeistbeschäftigte sich jedoch bereits mit einem völlig neuen Konzept: Der luftgekühlte Motor solltenicht vorne, sondern am Heck montiert sein, um den Fahrgastraum zu vergrößern, dessenGeräuschpegel zu senken und schließlich auch lange Übertragungswellen zum hinterenPendelachsantrieb zu vermeiden. Dieses Konzept ging zwar wegen der Auslastung durch denüberaus begehrten Typ 57 nicht in die Fabrikation, wurde aber dann bei den Tatra-Heckmotor-Stromlinienmodellen "77" und "87" schlussendlich doch verwirklicht.

Die neuen Wagen waren eine ausgesprochene Sensation ihrer Zeit. Im Jahr 1935 wurden dieTatra-Werke nach der nun erfolgten Vollfusion mit dem Ringhofferschen Waggonfabriken-Kon-zern in Ringhoffer-Tatra-Werke umbenannt. Mit den Stromlinienwagen hatte die Firma eineähnliche Erfolgsschöpfung Ledwinkas in der Hand wie 1923, als der kleine Zweizylinder vom"Typ 11" den Namen "Tatra" populär machte.

Dem Lastwagenbau räumte Ledwinka immer große Wichtigkeit ein. Nach der Konstruktion desrahmenlosen Zweizylinder-Tatra-Wagens und dem Vorliegen entsprechender Erfahrungen über-trug er das Prinzip des Zentralrohres mit angetriebenen, gelenklosen Pendelachsen nun auchauf den Bau vonNutzfahrzeugen. Eine langeSerie von Lastkraftwagen,beginnend mit dem Einton-nenmodell "Typ 13", dasdirekt vom Zweizylinder-Personenkraftwagenabgeleitet war, bis zum 10-Tonner mit luftgekühltem 210PS- und 12-Zylinder-Dieselmotor wurden nunverwirklicht. Alle dieseFahrzeuge trugen dieGrundmerkmale der Tatra-Bauweise: das verwin-dungssteife Zentralrohr-Fahrgestell mit schwingendenHalbachsen und luftgekühltenDieselmotoren.

„Allgemeiner Gebrauchswagen“, kleiner 4-Zylinder-Wagen mit 1,6l-Boxermotor. Foto www.tatraportal.sk

Sensation 1 - Tatra 77: Design, Luftgekühlter Motor am Heck, niedriger Geräuschpegel, kurzer Übertragungsweg zum hinteren Pendelachsantrieb. Foto:www.kultur-klosterneuburg.at/Bereiche/Dokumentation/ONLINE/BEDEUTENDE_KLBGer/LEDWINKA_Hans/Bilder/T_77.jpg

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13. Hitler und der „Ur-Käfer“

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland bereitete den Ringhoffer-Werkenneben allen offensichtlichen auch ein unerwartetes Problem: Als sich die endgültige Gestalt vonFerdinand Porsches "Volkswagen" abzeichnet, erwies sich, daß das VW-Konzept maßgeblicheTatra-Patente verletzte.

Ab 1934 hatte Porsche mit seinem Büro im Auftrag des Reichsverbandes derAutomobilindustrie den deutschen Volkswagen konstruiert, später auch KdF-Wagenbeziehungsweise VW Käfer genannt. Die Konstruktion des Käfers griff auf Entwürfe von BélaBarényi26 und Hans Ledwinka für Tatra zurück, denen später mehrere Patente zugesprochenwurden. Es ging dabei offenbar um Tatras Typ 11 bzw. den V 570 - Ledwinka war mitFerdinand Porsche befreundet und führte mit ihm einen regen Ideenaustausch.

Bei seinem Besuch der Berliner Autoausstellung 1936 wurde Hitler persönlich auf dieKonfliktsituation aufmerksam gemacht, welche sich mit der VW-Produktionsaufnahme ergebenwürde.

Prag intervenierte bei der "Deutschen Arbeitsfront", die den Bau des sogenannten "KdF"- (Kraftdurch Freude) Wagens übernommen hatte - erfolglos. Da die Rechtslage zwischen derTschechoslowakei und Deutschland ein gerichtliches Vorgehen nicht zuließ, wurde Klage beimHaager Internationalen Gerichtshof eingereicht. Als deutsche Truppen nach dem MünchnerAbkommen Ende September 1938 einmarschierten, um die Sudetengebiete in Besitz zunehmen, hatte die Grenzziehung für Nesselsdorf den katastrophalen Effekt, daß das Areal derTatra-Werke willkürlich zerschnitten wurde. Die Maschinen standen still, die Kontakte zurPrager Generaldirektion waren unterbrochen, die Ringhoffers befanden sich in einem Dilemma.

Als "Gegenleistung" für eine Grenzverlegung im Sinne von Tatra mußte die Patentklage gegenVW widerrufen werden. Ende November 1938 kam eine Grenzkorrektur zustande, dieTeilbesetzung der Nesselsdorfer Fabrik wurde beendet. Nach achtwöchiger Zwangspause setzte

26 Béla Viktor Karl Barényi, geboren 1907 in Hirtenberg, NÖ, Sohn eines Oberstleutnants der k.u.k-Armee und Urenkeldes Seraphin Keller, des Gründers der Hirtenberger Patronenfabrik, war er in Österreich, Deutschland und Frankreich bei verschiedenen Firmen, wie z.B. Austro-Fiat, Steyr und Adler, als Konstrukteur und Erfinder tätig. Ab 1939 arbeiteteBarényi für die Daimler-Benz AG und machte die passive Sicherheit von Autos zu seinem Berufs- und Lebensziel. Der „Vater der passiven Sicherheit“, Urheber von 2500 angemeldeten Patenten, starb am 30. Mai 1997 im Alter von 90 Jahren in Böblingen. Teile seines Nachlasses erhielt das Technische Museum Wien. Quelle: Tw. Wikipedia

Welchem späteren Welterfolg könnte dieses Auto wohl Modell gestanden haben? Ledwinkas Tatra 87, 1937. Foto OliverKurmis, Pinakothek der Moderne, München, 17. April 2005

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der alte Arbeitsrythmus wieder ein.27 Nesselsdorf kam als ehemals deutsches Sprachgebietnach dem Einmarsch Hitlers 1938 unter nationasozialistische Verwaltung. Die Ringhoffer-Tatra-Werke wurden in den Großdeutschen Wirtschaftsraum eingegliedert, und ihre Produktion unterneuen Aspekten teilweise umgestellt. Die Belegschaft umfasste nun über 5.500 Mann. DirektorLedwinka konnte seinen Sohn, Dipl.-Ing. Erich Ledwinka, als äußerst fähigen und tatkräftigenMitarbeiter im Betrieb einstellen.

Die Technische Hochschule in Wien verlieh dem langjährigen technischen Direktor derRinghoffer-Tatra-Werke Hans Ledwinka am 16. Juni 1944 in Würdigung seiner hervorragendenVerdienste um die Automobilentwicklung den akademischen Grad eines "Doktors dertechnischen Wissenschaften honoris causa".

1945 wurde Ledwinka, der nationalsozialistischen Kollaboration beschuldigt, sieben Jahre langinhaftiert, durfte allerdings Feldarbeit leisten. Während der Internierung arbeitete er bei derEntwicklung des Tatra 600 Tatraplan mit. 1951 wurde er aus der Haft entlassen, lehnte jedochein Stellenangebot bei Tatra ab und verliess die Tschechoslowakei, zuerst Richtung Wien, dannnach München. Ab 1955 arbeitete er mit 77 Jahren für den Maschinenbauer Harald Friedrich in

27 „1936 verließen die ersten drei Prototypen des Volkswagens die Garage von Ferdinand Porsche in Stuttgart. Die Realisierung der Volkswagenidee wurde im Dritten Reich uneingeschränkt gefördert. Als Nesselsdorf 1938 zum deutschen Reich kam, konfiszierte Hermann Göring im Interesse der Volkswagenentwicklung alle Tatra-Patente und erteilte die Weisung, von einer Klage abzusehen, da eine solche zwecklos wäre. Der VW-Käfer war das meistproduzierte Automobil der Welt. Rund 21,5 Millionen Fahrzeuge dieses Typs sind von 1945-2002 von den Bänderndes VW-Konzerns gelaufen. Quelle: "Mitteilungen des Clubs der Tatra-Freunde" 2/1983, s.a. www.kuhlaendchen.de/media/bilder/hk-neutitschein/Ledwinka.pdf

Erich Ledwinka im Haflinger, der zusammen mit dem Pinzgauer zu seinen erfolgreichsten Entwicklungen zählt. Der Sohn von Hans Ledwinka studierte Maschinenbau und absolvierte seine Praxis in den Tatra-Werken in Nesselsdorf bei seinem Vater. Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Weiterarbeit bei Tatra als Österreicher nicht mehr möglich, und so holte ihn der technische Direktor Wilhelm Rösche zu Steyr-Daimler-Puch in Graz-Thondorf, wo er später Chefingenieur wurde. Diese Position nahm er von 1950 bis 1976 ein. Zu seinen Entwicklungen zählen der luftgekühlte Motor des Puch 500 genauso wie der Haflinger oder der Pinzgauer. Er gilt als der Vater der Vierradtechnik bei Steyr. Das von ihm signierte Foto stammt aus dem Jahr 1989. Foto Ferdinand Thaler

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dessen Firma Alzmetall am Spatz (BAG). Er versuchte, zuseinem Recht zu kommen. Die Familie Ringhoffer, inderen Besitz Tatra seit 1923 gewesen war, bekam mitHilfe seiner Aussagen eine bedeutende Abfindung vonPorsche und Volkswagen für Patentvergehen imZusammenhang mit dem Volkswagen. Er konnte sichspäter keinen eigenen Anwalt mehr leisten, um zu seinenpersönlichen Rechten zu kommen und starb schliesslich1967. 1992 erfolgte die vollständige Rehabilitierung durchdas Oberste Gericht der ČSFR .

14. Ringhoffer nach 1918: Ein letzter Aufschwungvor dem Zusammenbruch

Die veränderte politische Situation in der 1918entstandenen Tschechoslowakei erschwerte dasEisenbahngeschäft der Nesselsdorfer Wagenbau AG, diesich nun „Kopřivnická vozovka as“ nannte. DasUnternehmen schloss sich, wie oben dargestellt, 1923 mitdem Konkurrenten Ringhoffer AG in Prag-Smíchovzusammen.

Im Jahr 1928 erwarb Hans Ringhoffer schließlich auch dieMehrheit der Aktien an der Waggonfabrik Studénka. Siefirmierte ab 9. November 1929 als Moravskoslezskávozovka, a.s.. Bis Mitte der 1930er Jahre kaufte Ringhoffer auch die Waggonfabriken in Kolínund Böhmisch Leipa (Česká Lípa) gänzlich auf. Im Jahr 1925 wurden die Erzeugnisse derRinghoffer-Werke, der Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft und der StaudingerWaggonfabrik, Studénka, gemeinsam von der Export-Vereinigung der ČechoslovakischenWaggonfabriken in Prag[2] vermarktet.

Im Jahr 1935 fusionierten die Ringhoffer Werke nunmehr völlig mit der Tatra-Werke AG,Automobil- und Waggonbau in Kopřivnice. Der neue Industriekonzern erhielt den NamenRinghoffer-Tatra Werke AG (Závody Ringhoffer-Tatra a.s.).

Im Jahr 1937 gehörten folgende Firmen zur Ringhoffer-Tatra AG:

• Waggonfabrik Ringhoffer, Praha-Smíchov• Tatra-Werke, Automobil- und Waggonbau, Kopřivnice• Moravskoslezská vagónka, Studénka• Waggonfabrik Bohemia, Česká Lípa• Továrna na vozy v Kolíně, Kolín• Elektrotechnická továrna Sousedík, Vsetín

Über die Zeit nach Münchner Abkommen und Einmarsch schreibt die Familienchronik:

Im März 1939 zerschlägt Hitler endgültig die Tschechoslowakei, deren ökonomische Potenz undhochentwickelte Industrie starke deutsche Begierden ausgelöst haben. Durch den "Erlaß des Füh-rers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren" vom 16. März werden die"volksdeutschen Bewohner" deutsche Reichsbürger. "Für sie gelten auch die Bestimmungen zumSchutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre".

Unter der Überschrift "Die Tatra-Werke sind deutsch" stellt die Nazipresse die Behauptung auf,daß an dem Konzern kein tschechisches Kapital beteiligt und "der Hauptaktionär Baron Ringhofferein alter sudetendeutscher Kämpfer" sei. Doch die Wahrheit sieht ganz anders aus. Wegen seinerexponierten Stellung im tschechoslowakischen Staat war Hans zur Zielscheibe von Angriffendeutschnationaler Kreise geworden, in deren Augen er als "Kosmopolit und Tschechenfreund"suspekt war, obwohl er große Summen für deutschsprachige Kultureinrichtungen wie dasDeutsche Theater in Prag28 zur Verfügung stellte.

28 Die heutige Staatsoper, statní opera

Hans von Ringhoffer, der letzte der Ringhoffers an der Spitze des Familienkonzerns. Foto: Familienbesitz

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Da er dem Verwaltungsrat dertschechoslowakischen Natio-nalbank angehörte und auchdie Funktion eines Vizegou-verneurs ausübte, trugen dieBanknoten seine Unterschriftmit dem tschechischen Vorna-men Hanuš, was ihm vondeutschnationaler Seite sehrübelgenommen wurde. SeineKontakte zur tschechischenFührungselite und zur jüdi-schen Finanzaristokratie wa-ren ebenso bekannt wie seinefreundschaftlichen Verbindun-gen mit maßgeblichenfranzösischen Industriellenund Bankiers (…).

Nach dem Tod von FranzRinghoffer IV. 1940 übernahmsein jüngerer Bruder Hans dieFührung des Konzerns undarbeitete zwangsweise mit AlbertSpeer zusammen. Jetzt wurden auch gepanzerte Schienenfahrzeuge gebaut.

15. Ende eines Imperiums

Nach dem Zusammenbruchs des 3. Reiches begann für die Familie Ringhoffer jenerLeidensweg, den so gut wie alle mehr als drei Millionen deutschsprechenden Bewohner derTschechoslowakei antreten mussten, und der in der Folge das Verhältnis zwischen derkünftigen ČSSR und Deutschland sowie Österreich jahrzehntelang prägen sollte.

Neben mehreren Deportationen und Inhaftierungen wurde auch Hans Ringhoffer nachmehreren Wochen Hausarrest in der Generaldirektion in das Internierungslager Modřanydeportiert. In seinen Lebenserinnerungen schildert Gerhard Scholten29 folgende Szene inModrany:

"... Kaum auf dem Rasen angelangt, zeigte sie (Scholtens Mutter, Anm.) auf zwei Herren, dieeinen kleinen hölzernen Wagen zogen und schoben, voll mit Brennholz für die Lagerküche. MeineMutter sagte: 'Das ist doch der Baron Ringhoffer, und der andere ist der Ingenieur Ledwinka!'Ringhoffer war ein sehr erfolgreicher Industrieller, der Besitzer der Tatra-Werke (...) Daß er sovermögend war, war eine Folge seiner Tüchtigkeit. Professor Dr. h.c. Ing. Ledwinka war der Kon-strukteur einer sensationellen Erfindung - Autos mit dem Motor am Heck (...), auch Boxermotoroder Hinterradantriebsmotor genannt (...) Und jetzt schoben und zogen Ringhoffer und Ledwinkalangsam den kleinen Wagen Holz. Meine Mutter war verständlicherweise entsetzt. Sie kanntebeide recht gut."

Wie lange Ringhoffer in Modřany war, ließ sich nicht feststellen, ebensowenig die Umständeseiner Abschiebung in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands. Sein Leidensweg endetein einem Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes in Mühlberg an der Elbe.

Am 7. März 1946 wurde die Firma entsprechend der sogenannten Beneš-Dekrete verstaatlicht.Das Unternehmen firmierte dann als Tatra, národní podnik, bis es wieder in die Einzelbetriebeaufgespalten wurde. Der Schienenfahrzeugbau wurden 1958 einschließlich der slowakischenWaggonfabrik Poprad unter der Firma Československé vagónky Tatra n.p. mit Sitz in Studénkazusammengeschlossen, etwa 20km nördlich von Kopřivnice. Tatra in Kopřivnice produziertefortan nur noch Kraftfahrzeuge. Das ehemalige Ringhoffer-Werk in Smíchov firmierte zunächstals Vagonka Tatra Smíchov n.p., ab 1963 als Teilbetrieb von ČKD als ČKD Tatra n.p. und wurdeHauptlieferant für Strassenbahnen im ganzen Ostblock und weit darüber hinaus.

29 "Zwischen allen Lagern - Leben in einer Zeit des Wahnsinns", München 1988

Jüngster - und einer der letzten sichtbaren - „Zeugen“ des ehemaligen Ringhofferschen Imperiums – die neueste Version eines Prager Metro-Zuges, gebaut von der von Siemens 2001 übernommenen ČKD dopravní systemy, allerdings bereits im Siemens-Werk in Prag-Zličín. Foto: Siemens

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Franz (I.) Ringhoffers erste Werkstatt in Prag, eingetragen in: Jaroslaus Schaller: Beschreibung der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Prag sammt allen darinn befindlichen sehenswürdigen Merkwürdigkeiten, Gerzabeck 1796, S. 657 (3. Zeile von unten) (Google eBook, http://books.google.cz/books?id=MLcAAAAAcAAJ&pg=PA667&lpg=PA667&dq=hauptviertel+plattnergasse&source=bl&ots=vZHtuyvuke&sig=X1kwZLqW7HRaQciBgHjoi1kKFRM&hl=de&sa=X&ei=4rs1UcvhOIbDswbT9YCgAg&redir_esc=y#v=onepage&q=hauptviertel%20plattnergasse&f=false)