Der Humanismus an Theologischen Fakultäten des ...

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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg HERIBERT SMOLINSKY Der Humanismus an Theologischen Fakultäten des katholischen Deutschland Originalbeitrag erschienen in: Gundolf Keil (Hrsg.): Der Humanismus und die oberen Fakultäten. Weinheim: Acta Humaniora, VCH, 1987. (Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung ; 14), S. 21-42

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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

HERIBERT SMOLINSKY Der Humanismus an Theologischen Fakultäten des katholischen Deutschland Originalbeitrag erschienen in: Gundolf Keil (Hrsg.): Der Humanismus und die oberen Fakultäten. Weinheim: Acta Humaniora, VCH, 1987. (Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung ; 14), S. 21-42

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Deutsche Forschungsgemeinschaft

Der Humanismusund die oberenFakultäten

Herausgegeben von Gundolf Keil,Bernd Moeller und Winfried Trusen

Mitteilung XIVder Kommission für Humanismusforschung

Acta humaniora VCHWeinheim 1987

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rung wäre noch näher zu untersuchen, während sein Anteil an derRomantik bekannt ist, ebenso wie an der Philosophie, den Natur- undGeisteswissenschaften und auch an der Soziologie des 19. und 20. Jahr-hunderts.

Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen und Zeitgenossen glaube ichan die Gültigkeit, die Kontinuität und mit gewissen Vorbehalten an denFortschritt der Wissenschaft, der Gelehrsamkeit und der Philosophie undan die Mission der Universität, ihrer Lehrer und Studenten, diese Tradi-tion zu pflegen und unsere Kenntnisse zu bewahren und zu vermehren,nicht aber nur Modegedanken und politische Ideologien kritiklos anzu-nehmen und zu glauben, daß alles andere erworbene Wissen damitungültig oder überflüssig geworden ist. Ich hoffe, Heidelberg und dieanderen deutschen und westlichen Universitäten werden diese Aufgabeweiterhin erfüllen oder, soweit sie davon abgewichen sind, wieder dahinzurückkehren. In diesem Sinne wünsche ich der Universität Heidelberg,als Gelehrter und als früherer Student und Doktorand, noch viele Jahr-hunderte fruchtbarer Tätigkeit im Dienste der deutschen, der europäi-schen, der westlichen und der Weltkultur.

Korrekturnote: Zu Anna. 5 erganze: Anuents and Modems. A Symposium, mit Bein-tim)von W. J Courtenay, C. Tankaus, H. Oberinan und N W. Gilbert, Journal of the Historyof Ideas 48 (1987), S 3-50.Zu Anm 31 trag nach: M Watanahe, Luiho's Rtlartons 7twth liumantsts,1 uthet j ahthuA 54 (1987), S. 23-48.

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Der Humanismus an Theologischen Fakultätendes katholischen Deutschland

Von HERIBERT SMOLINSKY

Für die Universitätstheologie des ausgehenden 15. und des 16. Jahrhun-derts, die in der Umbruchs- und Übergangssituation des „Herbstes dermittelalterlichen Theologie" stand und von den verschiedenstenReformbewegungen sowie später von der sich formierenden Reforma-tion beeinflußt war, ist die Forschungslage trotz intensiver Arbeitenimmer noch unbefriedigend. Ein wesentlicher Grund dafür ist diegeringe Produktivität der damaligen Professoren an den TheologischenFakultäten, so daß wenig Material überliefert ist und Kleineidam für dieErfurter Theologie zu Beginn des 16. Jahrhunderts geradezu von einer„geistigen Stagnation" sprechen kann'. Damit werden die Aussagen überdie inhaltliche Wissenschaftlichkeit und die in den Vorlesungen vermit-telte Theologie aufgrund der dürftigen Quellenlage schwierig. Dazukommt ein moderner Trend zur Institutionen- und Verfassungsgeschich-te der Universitäten, der die Gefahr in sich birgt, die konkrete Lehre zuvernachlässigen. Außerdem hatte die Theologie dieser Zeit den Zug zum„Außeruniversitären" an sich, was dem eben Gesagten korrespondiertund sich im Gang dieser kurzen Untersuchung noch weiter zeigen wird.

In diesem Beitrag geht es darum, das Eindringen des Humanismus indie katholische Universitätstheologie und in den Studiengang an Theo-logischen Fakultäten des katholischen Deutschland an einigen ausge-

E. Kleineidam, Universitas Studu Edfordensis. Überblick aber die Geschichte der UmnrsitatErfurt im Mittelalter 1392-1521, Teil 1460-1521, Leipzig 1969 (= Erf urter TheologischeStudien 22), S.156: „Ausdruck dieser geistigen Stagnation ist die uberaus geringe litera-rische Tatigkeit der damaligen theologischen Fakultät." Ähnliches ließe sich vonanderen Theologischen Fakultaten sagen. Die umfangreiche Literatur zur Universitats-geschichte soll hier nicht autgefuhrt werden. Anstoße zur Beschaftigung mit derGeschichte von Fakultäten gaben oft Jubilaen. Vgl. allgemein: N. Hammerstein, ZurGeschichte und Bedeutung der Universaalen im Heiligen Romischen Reith Deutscher Nation,Historische 7citschrift 241 (1985), 287-328.

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wählten Beispielen zu untersuchen und den Gang der Entwicklung zuerklären, wobei die eben genannte Komplexität und die schwierigeQuellenlage den unausgesprochenen Hintergrund bilden. Es wird alsoanhand einer — allerdings wichtigen — Fragestellung die katholische Uni-versitätstheologie untersucht, was bei der deutlichen Zentrierung der bis-herigen Forschung auf das Thema „Humanismus und Reformation" alsein Desiderat erscheint. Die Reformation war sicherlich ein tiefer Ein-schnitt für die Theologischen Fakultäten im katholischen Deutschland;trotzdem soll von einer gewissen Kontinuität vom ausgehenden 15. undden ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts ausgegangen werden. DieTheologie änderte sich nicht schlagartig ab 1517, sondern erst allmählichunter Einbeziehung mannigfacher Übergangsformen und nicht zuletztunter dem Einfluß des Humanismus'.

Humanistische Bildungsreform und Universitätstheologie

Als die große Bildungsbewegung des Humanismus in der zweiten Hälftedes 15. Jahrhunderts in Deutschland und in den Niederlanden Fuß faßte,entwickelte sie ein bis dahin in dieser Intensität bei ihr kaum gekanntesInteresse an religiösen Fragen. Die durch Sprachstudien und neueMethoden des Verstehens gekennzeichnete Hinwendung zur Bibel undzu den Kirchenvätern, welche Erasmus von Rotterdam in seinen Einlei-tungsschriften zum Neuen Testament, besonders in der 'Ratio seu

2 Vgl. etwa: A. Buck [Hg.], Renaissance — Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten,Wiesbaden 1984 Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung Bd. 5);H. Junghans, Der junge Luther und die Humanisten, Göttingen 1985, S.11-62; Lhumanismeallemand (1480-1540). XVIII' Colloque international de Tburs, München und Paris 1979(= Humanistische Bibliothek, Reihe I: Abhandlungen Bd. 38); L. Petry,DicReformationals Epoche der deutschen Untversllätsgeschichte. Eine Zwischenbilanz, in: Glaube undGeschichte. Festgabe J. Lortz, Bd. 2, hg. v. E. Iserloh und P. Manns, Baden-Baden 1958,S.317-353. Eine gute Übelsicht bietet E. Meuthen, Charakter und Tendenzen des deutschen1111111,17110171h, Sakulare Aspekte der Reformationszeit, hg. v. H. Angermeier undR Seyboth, Munchen und Wien 1983 Schi ften des Historischen Kollegs, Kollo-quien 5), S. 217-266.Damit soll die Bedeutung der Reformation und ihre Wirkung nicht geschmälertwerden. Vgl. auch N. Hammerstein, Bilditegeschichthche Traditionszusammenhängeza'ischen Mittelalter und fiuher Neuzeit, in: Der Übergang zur Neuzeit und die Wirkung

an Traditionen, Gottingen 1978 (= Veroffentlicliung der Joachim Jungius-Gcsell-schaft der Wissenschaften Hamburg Nr. 32), S. 32-54.Vgl L.W. Spitz, Tbc Religions Renaissance 01 the Gennan flumantsts, Cambridge/Mass.19o3; ders , 7he Couhe Geiman Iluoianism, Itmeranum Italicum, hg. v. H. A. Ober-man und h A Brad, Jr., Leiden 1975 (= Stud les in Medieval and Reformation1 lionght 141. 371 136; Meuthen Arm] 2), S. 220 f.

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Methodus compendio perveniendi ad veram Theologiam, eindrucksvolldarlegte, beinhaltete bald Konsequenzen, bei denen die Theologie, dieFrömmigkeitspraxis und das Kirchenbild gleichermaßen berührt waren'.Zu Recht übernahm Erasmus auf diesem Felde in der ersten Hälfte des16. Jahrhunderts die unbestrittene Führung. Die zahlreichen deutsch-sprachigen Übersetzungen seiner biblizistischen Arbeiten steigertendabei beträchtlich seine Wirkung'.

Der Augsburger Humanist Conrad Peutinger machte am 25. Juli 1513in einem Brief an Konrad Mutian deutlich, wie das Programm einerhumanistisch-christlichen Bildung aussehen solle': Theologie undBeredsamkeit seien unlösbar miteinander zu verbinden, christlicheLehre und christliches Leben miteinander in Einklang zu bringen. DieIntentionen einer vom Humanismus beeinflußten Theologie formu-lierte Petrus Mosellanus, als er bei theologisch relevanten Texten den.Rückgriff auf die Ursprache forderte und in dem dadurch gewährleiste-ten genuinen Zugang zu den Quellen der Offenbarung und ihrer Über-lieferung eine Möglichkeit sah, die damals häufig kritisierten theologi-schen Streitereien zu überwinden. Nach dem Konzept des Hermannvon dem Busche, das er 1518 im 'Valium humanitatis' niederlegte, mußten

5 Vgl. H. Holeczek, Humanistische Bibelphilologie als Reformproblem bei El (19111l, 7 ,071 Rottcr-dam, Thomas More und William Tyndale, Leiden 1 9 75 (= Studies in the History ofChristian Thought 9); ders., Erasmus' Stellung zur Reformation: St wha bumanitatis undKirchenreform, in: Renaissance - Reformation [wie Anm. 2], S.131-153; R. Padberg,Gl as-mus von Rotterdam. Seine Spiritualität, Grundlage seines Reformprogr am m s, Paderborn 1979

Oecumenismus Spiritualis 2). Zu den Einleitungsschriften des Erasmus vgl. G. B.Winkler, Erasmus von Rotterdam und die Einleitungsschriften zum Neuen Tstament,Münster 1974 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 108); zum Kirchen-begriff vgl. W. Hentze, Kirche und kirchliche Einheit bei Desrarer lies Ei asmus Pon Rothi dam,Paderborn 1974 Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien 34)Weitere Literatur in: C. Augustijn, Erasmus, Theologische Realen zyklopadie 10, S.1-18.

6 Vgl. H. Holeczek, Erasmus Deutsch, Bd. I, Die volkssprachliche Rezeption des Erasmus 7'011

Rotterdam in der reformatorischen Öffentlichkeit 1519-1536, Stuttgart und Bad Cannstatt1983.

7 Konrad Peutingers Briefwechsel, hg. v. E. König, Munchen 1923 (= Veroffentlichungender Kommission für Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreforma-tion, Humanisten-Briefe Bd. 1), Nr. 125, S. 211-214. Vgl. H. Lutz, Peidinger, Lexikon I uiTheologie und Kirche 2 VIII, S. 391.

8 Vgl. R. Weier, Die Rede des Petrus Mosellanus 'Über die rechte Weise, theologisch zu ihspritnrin:Trierer Theologische Zeitschrift 83 (1974), 232-245; U. M. Kremer, Mosellanus. Huma-nist zwischen Kirche und Reformation, Archiv fur Reformationsgeschichte 73 (1982),20-34. Die Kritik an den quisquilienhaften Streitereien der Theologen ist ein durch-gängiges Thema bei den Humanisten. Beachtenswert ist die Mitteilung Wimpf elings,daß auch ein Scholastiker wie Konrad Summenhart in Tübingen daran Anstoß nahm.

Wimpfeling) Appologetica declaratio wymphelingii in libellum suum de integri-tate, s.l.e.a. Blatt Aiii. Vgl. auch unten Johannes Eck, Anm. 40.

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antike und christliche Ethik enger zusammengerückt und in der Bibel-exegese neben den Sprachen und der Textkritik auch Rhetorik, Poesie,Geschichte und Realienkunde angewandt werden. Da für den Predigerdie Eloquenz, für das Verständnis der Liturgie vor allem die Poesie unddie Musik notwendig seien, meinte er, daß die studia humanitatis unver-zichtbar in die theologische Ausbildung hineingehörten'.

Umgekehrt zählte es zu den Topoi der humanistischen Kritik, sichüber die Kommentare, Glossen und Summen der theologischen Schola-stik, ihre Schultraditionen und Parteiungen zu mokieren. Erasmusdrückte es im `Methodus' prägnant aus: „Schließlich möchte ich liebermit Hieronymus ein frommer Theologe sein als mit Scotus ein unbesieg-ter."' Die im Mittelalter entwickelte theologische Fachsprache wurde als„barbarisch" abgelehnt, die mangelnde Bildung der Theologen mit spit-zer Zunge karikiert und von von dem Busche in dem boshaften Satzzusammengefaßt: „Quanto quis rudior, tanto ferme nunc aptior ad theo-

Obwohl sich dieses auf das Theologiestudium und die theologischenMethoden bezogene Programm partiell mit anderen Reformansätzendes 15. Jahrhunderts treffen und damit an Wirkung gewinnen konnte,sprechen die Quellen nicht dafür, daß der Humanismus an den Theologi-schen Fakultäten des katholischen Deutschland im ausgehenden 15. undbeginnenden 16. Jahrhundert wirklich Fuß fassen konnte. Sieht man vonTurbulenzen wie dem Reuchlinstreit oder den bekannten Auseinander-setzungen des Humanisten Jakob Locher mit dem IngolstädterTheologen Georg Zingel und mit Jakob Wimpfeling sowie ähnlichenVorfällen ab, deren Bedeutung man schon deshalb nicht allzu sehr über-

Ilermannz Buschic Panphil% Valium humanitatis, Köln 1518, Blatt Ciijb - Diijb, Diijb:„Studium humanitatis ad intelligendum sacram scripturam conducere, et eius litera-turae peritia aliquantulum, immo multum, adiuvari lectorem"; Fit: „Magnam, praecla-ramque rem esse eloquentiam, et ad movendos, flectendosque hominum animospotentissimam, atque ideo ecclesiasticis quoque concionatoribus non inutilem, immoadprime profuturam, si ea, aut uti quidam vellent, aut possent". Vgl. H. J. Liessem, Her-mann van d 111 Busche. Sein Leben und seine Schriften, Köln 1884-1908, Unv. Nachdr.Nieuwkoop 1965, Nr. XLVI, 1, S. 49-52. Allgemein vgl. G. E. Grimm, Literatur undGelehrtentram in Deutschland, Tübingen 1983 (= Studien zur Deutschen Literatur Bd. 75),S. 68-114.

10 Erasmus von Rotterdam, Methodus, in: In Novum Testamentum Praefationes, hg. v.G. B. Winkler, Darmstadt 1967 (= A usgewahlte Schriften Bd. 3), S. 74 ft.

11 Valium bitmamians [wie Anm. 9], Blatt D IV b. Eine geschickte Verteidigung der Fach-terminologie findet sich bei (Konrad Wimpina), Grano In re«nninendatione Sacre theolo-gle . . Wuripme ..., Leipzig o. J., Blatt Air - Aijh. Vgl. 1. Negwer, Konrad IVnwilna. Einkatholische, Theologe aus der Reformationszeit, Breslau 1909 (= KirchengeschichtlicheAbhandlungen 7), S 209.

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schätzen sollte, weil die Front quer durch die Parteien lief und beide Fällenicht auf den einfachen Nenner „Scholastiker gegen Humanisten"gebracht werden können, dann gab es meist ein friedliches Nebeneinan-der von Humanisten und Theologen an den Universitäten'. KonradSummenhart und Wendelin Steinbach in Tübingen sowie Jodokus Trut-fetter in Erfurt seien beispielhaft genannt". Trotz der sonst erstaunlichentheologischen Vielfalt am Vorabend der Reformation scheinen sich dieMagister den humanistischen Vorschlägen wenig geöffnet und die neuenMethoden, ihre sprachliche Komponente und ihre Verlagerung derSchwerpunkte von der spekulativ ausgerichteten auf eine ethisch-prak-tische Theologie sowie den Rückgriff auf den genuinen Text der Bibelund der Kirchenväter nicht praktiziert zu haben. Gegenseitige Auf-geschlossenheit und freundschaftlicher Umgang zwischen Theologenund Humanisten müssen nicht eine humanistische Neigung oder einevom Humanismus beeinflußte Theologie bedeuten, wie die ältere For-schung gerne allzu vorschnell folgerte'. Es ist daher kein Wunder, wenndie meist landesherrlich initiierten Reformversuche zu Beginn des16. Jahrhunderts in Leipzig, Heidelberg, Mainz und Tübingen auf einegrößere Berücksichtigung humanistischer Anliegen in der Theologiedrängten. Die Vorschläge von Jakob Wimpfeling und Jakob Spiegel inHeidelberg, von Herzog Georg von Sachsen für seine Leipziger Universi-tät, die Ordinatio Ferdinands für Tübingen sowie die mehrfachenReformversuche Albrechts von Brandenburg in Mainz führten zu kei-nem durchgreifenden Ergebnis'. Während in Wittenberg vorbildhaftder Humanismus durch die Melanchthonsche Reform integriert wurde,kann insgesamt an den katholischen Theologischen Fakultäten Deutsch-

12 Zusammenfassend J.H. Overfield, Humanism and Scholastimm in Laie MedievalGermany, Princeton/New Jersey 1984. Vgl. G. Heidloff, Untersuchungen zu Leim/ undWerk des Humanisten Jakob Locher Philomusus (1471-1528), Diss. phil., Munster 1975,S. 223 ff.

" Vgl. H. Feld, Martin Luthers und Wendelm Sternbachs Vorlesungen aber den Hebraerbrief,Wiesbaden 1971 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische GeschichteMainz Bd. 62), S. 40-43; Kleineidam [wie Anm. 11, S. 160 f.

14 Vgl. die Korrekturen, welche z. B. H. A. Oberman, Wrden lind Wertung der Reloimation,Tübingen 1977, bringt.

15 Vgl. F. Zarncke, Die Statutenbiecher der Universitat Leipzig aus den ersten 150 Jahren ihresBestehens, Leipzig 1861, S. 27 f., 34-42; E. Winkelmann, Urkundenbuch der UnipersltatHeidelberg, Bd. I, Heidelberg 1886, Nr.163 f., S. 216-219; H. Mathy, Die Univers/tat Mainz1477-1977, hg. v. Präsident und Senat der Johannes Gutenberg-Universitat, Mainz1977, S. 56-61; R. von Roth, Urkunden zur Geschichte der Universitat Tubingen aus denJahren 1476-1550, Tübingen 1877, Unv. Nachdruck Aalen 1973, Nr. 33, S. 141-144. Vgl.auch H. Helbig, Die Reformation der Universitat Leipzig im 16. lahrhundei Gutersloh 1953(= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 171), S. 13-49.

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Lands davon keine Rede sein'. Die Humanistenbriefwechsel bestätigendiesen Befund. In ihnen fehlen bis auf wenige Ausnahmen die Namender Universitätstheologen als Briefpartnerv'.

Zu den angedeuteten Ausnahmen ist Johannes Eck (1486-1543) inIngolstadt zu zählen'. Willibald Pirckheimer hatte ihn 1518 in seinerApologie für Johannes Reuchlin neben Staupitz, Luther, Lang und Pelli-kan zu den Humanisten in Theologischen Fakultäten gerechnet; mitzahlreichen Humanisten stand er in brieflichem Kontakt, und zu seinemUmfeld gehörten Persönlichkeiten wie Konrad Peutinger sowie derhumanistisch gelehrte Benediktiner Nikolaus Ellenboe. UrbanusRhegius war sein Schüler und Freund'. Die Persönlichkeit Ecks sprengtden Raum der Universität. Er war mit Leidenschaft Lehrer und Professor,ein wirksamer Vertreter der zunächst reformerisch orientierten undspäter gegenreformatorischen Kirchenpolitik der Bayerischen Herzöge,ein Vertrauter des herzoglichen Kanzlers und Patrons der IngolstädterUniversität, Leonhard von Eck, dezidierter Kontroverstheologe und

Vgl. G. A. Benrath, Die Deutsche Evangelische Umversitat der Reformationszeit, in: Univer-sitat und Gelehrtenstand 1400-1800, hg. v. H. Rossler und G. Franz, Limburg 1970(= Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit Band 4), S. 63-83; M. Brecht, MartinLuther. Sein Ing zut Reformation 1483-1521, Stuttgart 1981, S. 264-271.

1- Vgl. die edierten Briefe des Erasmus sowie die Briefwechsel von Pirckheimer, Peutin-ger, Beatus Rhenanus, Konrad Celtis u.a.

ia Vgl. zu Eck: E. Iserloh, Eck, Theologische Realenzyklopadie 9,249-258 (mit weitererLiteratur); ders., Johannes Eck (1486-1543). Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe,Munster 1981 Katholisches Leben und Kirchenreform 41), im folgenden zitiert alsIserloh, Eck; St. W. Rowan, Ulrich Zasius und _John Eck: 'Emds Need Not Be Kept With anEnemy:The Sixteenth Century Journal 8 (1977), 79-95; W. L.Moore,Jr.,„Protean Man":Did John Eck Conn acht/ himself at Leipzig?, The Harvard Theological Review 72 (1979),245-266; W. Klaiber, Ecclesia nulltans. Studien zu den Festtagspredigten des Johannes Eck,Munster 1982 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 120); K. Rischar, Pro-fessor Dr. Johannes Eck als akademisches Lehrer in Ingolstadt, Zeitschrift für BayerischeKirchengeschichte 37 (1968), 193-212; W. Kausch, Geschichte der Theologischen FakultatIngolstadt im 15. und 16 Jahrhundert (1472-1605), Berlin 1977 (=Ludovico Maximilianea,Forschungen 9), passim; A. Seifert, Logik zwischen Scholastik und Humanismus. Das Kom-mentarwerk Johann Lcks, München 1978 Humanistische Bibliothek Reihe 1: Abhand-lungen 31) Noch immer wertvoll ist Th. Wiedemann, Drlobann TA, Regensburg 1865.LH( ‚uni Piscator, sen f c 7117 , 1Sit nies. ßllihcrldo Puckheymero . terprete, Nürnberg 1517, BlattCj-Cjb. Eine deutsche Ubersetzung W. Ecke' t und Chr. v. Imhoff, Willibald Pink-helmer Duicrs l'reund liii Spngel seines Lebens, seine! 1Wike und seiner Umwelt, Kühn 1971,5.258 (nach dieser Übel sctzung wird im 1olgenden zitiert). Vgl. Konrad Peutin gers Brief-zeiech sel [wie Anm. 7j, Nr. 153; Nikolaus Menbog ld .wechsel, hg. v. A. Bigehnair und1. Zoepfl, Munster 1938 (= Corpus Catholicorum 19-21), passim; E Zoepfl, Ellenbog,1 exikon fur Theologie und Kirche '111, S. 824 fVgl M. 1 iehmann, Utbanus Rhmus und die Anfange der Reformation, Münster 1980( Rdoiin hichtli( he Studien und I( \te 117).

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Kirchenpolitiker in einer Person'. Dieses persönliche Profil, das ihn denHumanisten und ihrem Drang nach Öffentlichkeit ähnlich machte, hatdazu geführt, ihn in der Literatur gerne als Humanisten zu bezeichnenund sich damit dem Urteil Pirckheimers anzuschließen'.

In seiner Studienzeit war Eck, wie er selbst schreibt, in Tübingen mitden humaniora vertraut gemacht worden, hatte dann in Freiburg beiUlrich Zasius Rechtswissenschaften und bei dem Kartäuser GregorReisch Mathematik, Geographie und Astronomie studiert'. Seit 1510lehrte er in Ingolstadt als Nachfolger des Georg Zingel Theologie'. Als1515 das dortige Logikstudium reformiert werden sollte, war Eck ent-scheidend daran beteiligt'. Er edierte und kommentierte die Summulaedes Petrus Hispanus sowie einige Schriften des Aristoteles und schriebneue Lehrbücher. Dabei galt seine Sorge dem vereinfachten, besserenund ursprünglichen Text, womit er eine Reformlinie aufgriff, die sich mitden humanistischen Intentionen durchaus hätte decken können. Trotz-dem kommt Arno Seifen in seiner Untersuchung über Ecks logischesReformwerk zu einem anderen Ergebnis, wenn er ihn nicht als einen Ver-treter des Humanismus, sondern der „scholastischen Selbstreform"bezeichnet, die zwar den genuinen Text forderte, aber zugleich das Kom-mentarwerk der Schulen mitberücksichtigte. ‚Was Prantl Ecks Synkretis-mus genannt hat, läßt sich ... genauer als eine Neigung zur Klärung undVereinfachung der Wissenschaftssprache qualifizieren, als eine Tendenzalso, die sich, von humanistischen Anstößen zwar nicht unberührt, aberim wesentlichen doch autochthon, der Selbsterneuerungsbewegung derausgehenden Scholastik einordnet."'

Eine zweite Möglichkeit, humanistische Anliegen und Methodenaufzugreifen und sie als akademischer Lehrer in der Ingolstädter Theolo-gischen Fakultät den Studenten vorzutragen, wäre die Bibelinterpreta-tion gewesen. Für den an der spezifischen Form von Ecks TheologieInteressierten bietet sich deshalb eine Analyse seiner exegetischen Vor-lesungen an. Sie sind als Konzepte und Kollegmitschriften in der Univer-sitätsbibliothek München erhalten und umfassen Bücher des Alten und

21 Vgl. Iserloh, Eck [wie Anm. 18] sowie E. Metzger, 1 COilhald 74►11 Ei' (1-15(1 15- 50) U; ghreiter und Begründe/ des frubabsohittstistben Bayern, Munchen 1980.

22 Z.B. Iserloh, Eck, S. 14: „... umfassende und staunenswerte Bildung, die den Rahmender Scholastik überschritt und vom Geist des Humanismus mitgetiagen wm"; S. 19 1

25 Johannes Eck, Einstola de ration(' studiorum suorum (1538), hg. v. J Metzler, NI, it ster 1921(---- Corpus Catholicorum 2), S. 40-45. Vgl. oben Anm. 18.

24 Vgl. Kausch [wie Anm. 18], S. 25; Iserloh, Eck, S. 14-20. Zu Zingel s. u Anm 3825 Vgl. Seifen [wie Anm. 18]; Iserloh, Eck, S. 18 f.2 ' Seifen [wie Anm. 18], S. 73.

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des Neuen Testamentes'. Als Vorstufe zur Exegese liegt eine rein philo-logische Arbeit im Clm 11602 der Bayerischen Staatsbibliothek Münchenvor, die Ecks hebräische Studien über die Psalmen wiedergibt. Sie sind1521 entstanden und wurden durch Reuchlins Vorlesungen in Ingolstadt(1520-21) angeregt. Eck war nicht nur ein Hörer dieser Vorlesungen, son-dern beherbergte Reuchlin auch in einer ihm gehörenden Wohnung'.Seit den 20er Jahren hat Eck in Ingolstadt exegetische Vorlesungen gehal-ten. Psalm 3-20 erklärte er vermutlich 1533/3429.

Legen die vorgenannten philologischen Übungen zum Psalmtext denSchluß nahe, daß er in seinen Lectiones auf den hebräischen Urtextzurückgegriffen habe, so bestätigen die Vorlesungskonzepte zunächsteinmal diese Vermutung nicht. Sie enthalten nur sehr wenige Erklärun-gen einzelner hebräischer Wörter und Begriffe. Beispielhaft sei EcksLectio über den zwanzigsten Psalm (Vulgatazählung) herausgegriffen,deren Konzept in 2° Cod. ms. 37 der Universitätsbibliothek Münchenvorliegt. Sie ist nichts anderes als eine sehr knapp gehaltene Zitaten-sammlung aus der Auslegungsgeschichte des Psalmes, ohne philolo-gische Erörterungen oder Problematisierungen 30 . Allerdings sollte mansich davor hüten, allzu vorschnell hieraus Rückschlüsse auf Ecks kon-krete Vorlesungen zu ziehen. Er könnte immerhin mündlich eine Text-kritik vorgetragen haben, vorausgesetzt, die Grundkenntnisse derStudenten erlaubten diese Methode. Dafür würde ein Brief vom 8. Sep-tember 1534 an Nikolaus Ellenbog sprechen, in dem es heißt: „Ich lesejetzt ... die Psalmen, wobei es mir eine große Sorge ist, die `lectioecclesiae' (scl. die Vulgatarezension des Textes) zu verteidigen", und in derTipistola de ratione studiorum' heißt es: „librum Ruth, Genesis XXX,primi Regum XXVI Capita publice praelegerem hebraice."

2 UB München 2° Cod. ms. 37; 8° Cod. ms. 8; 8° Cod. ms. 9. Clm 24561 der BayerischenStaatsbibliothek München enthalt Fol 37`-95' Ecks Collectanca rn evan,gehum Johannis.Clm. 11602 unter anderem bis Fol 117 r : Septem psa 1mi penitentiales hebraice et quo-modo a Septuagmta, 1lieronymo, Focke Pratensi ac Capnione Phon ensi versi sirrtcum explanatione grammatica. Es folgen die Grammatik des Moses Kimchi sowieweitere Ubungen philologischer Art. Vgl. auch Iserloh, Eck, S. 19; Eck, Epwola [wieAnm. 23], S. 65-68.

2') Vgl. Johannes Eck, EAplanano Psalm Vigeomi (1538), hg. v. B. Walde, Münster 1928Corpus Catholicorum 13), XXI f.

3 ' UB Munchen 2° Cod. ms. 37, Fo169'--71 r . In knappestet Foim werden B. Augustinus,Hieronymus, Cassiodor zitiert.

' 1 Nikolaus LlIenbog [wie Anm. 19], Nr. 67, S. 336. „Publice autem iam praelego psalmosDavidicos, in quo miln magn.] cura est. ut delendam leetionem ecclesiae"; Eck, Nuctola( ‘‘ I L Anm 231, S 67

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Man sollte eine Entscheidung über Ecks konkrete Vorlesungen undihren Inhalt offenlassen'. Als er 1538 eine veränderte, völlig überarbei-tete Fassung dieser Exegese des zwanzigsten Psalmes drucken ließ" -zeitgleich mit einem Kommentar zu Haggai' -, da machte er allerdingswahr, was in dem Brief an Ellenbog stand: Mit großer philologischerKenntnis, gestützt auf die zeitgenössischen Hilfsmittel der hebräischenSprache und auf die jüdische sowie die christliche Exegese, verteidigte erden Vulgatatext gegen das Psalterium iuxta Hebraeos des Hieronymusund gegen die zahlreichen lateinischen und deutschen Neuübersetzun-gen der Psalmen'. Damit wird die `Explanatio Psalmi vigesilni' zu einemphilologisch extensiv ausgearbeiteten Kommentar und übertrifft in derreinen Textkritik etwa Luthers 'Operationes in Psalmos' bei weitem. DerRückgriff auf den Text ist also gewährleistet, bleibt aber im philologi-schen Bereich, in der sprachlichen Überlegung und der Auseinanderset-zung durch das Gegenüberstellen von Autoritäten stecken. Es kommt zukeiner ernsthaften Kritik am traditionellen Vulgatatext. Jüdische Kom-mentatoren wie David Kimchi, Ibn Ezra u.a., die als „Lectio varia" imhohen Maße herangezogen werden, sollen die Lesart der Vulgata stützenund werden insofern gutgeheißen, als sie eine messianische Deutung desPsalmes vertreten'. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnenfindet nicht statt. Die Philologie ist nicht wie bei Erasmus und Lutherinnerlich mit der Auslegung und der sprachlichen Gestaltung verbun-den, sondern erweckt den Eindruck einer immensen Fleißarbeit ohnewesentliche Konsequenzen für die Exegese. Der seit den Kirchenväternchristologisch gedeutete Psalm wird im klassischen Schema von Weissa-gung und Erfüllung interpretiert, wobei sich die theologische Auslegunghäufig dem Psalterium des Thomisten Thomas a Vio (Cajetan)anschließt'.

32 Vgl. auch weiter unten.Explanatto psabm vtgesmu a Johan. Eckto, Augsburg 1538 (Metzler, Urreuhuts dc I S(bnIt(nEcks, in: Corpus Catholicorum 16, Münster 1930, Nr. 85) Eine kritische Edition bringtWalde [wie Anm. 29]; nach ihr wird im folgenden zitiert.

34 Super Atuaeo propheta /o Etku winmentanus,' Salinglaci (Solingen) 1538 (Metzler, wieAnm. 33, Nr. 86). Vgl. Wiedemann [wie Anm. 181, S. 628-633. Der Vorlesungsentssurfin 2° Cod. ms. 37, Fol 84 r-90r der UB München.

35 Vgl. die vorzügliche Einleitung von Walde [wie Anm. 29] in die Edition.36 Vgl. Walde [wie Anm. 29], XLIX—IVI.37 Vgl. die Explanatz() [wie Anm. 29], passim. Allgemein zur zettgenossischen Exegese:

H. Graf Reventlow, Bibelautontat und Geist (4, Modetne, Gottingen 1980 (= Pols( hun-gen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 30), S. 68-89,11 J. Kraus, Gesrhubh det bisto-mcb-kruls(hen Erforschung dec Alten Testaments, NeulKirclien-VluN n '1 9 82, 5 12 28.

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Ecks Exegese, die am ehesten den Humanismus rezipieren und in derUniversitätstheologie verwenden konnte, ist noch nicht ausreichenduntersucht, um ein endgültiges Urteil zu fällen. Vor allem wäre dieumfangreiche gedruckte Arbeit über den Propheten Haggai heranzuzie-hen sowie die noch zahlreich vorhandenen Vorlesungskonzepte zu denverschiedensten Büchern der Bibel, aber auch seine Predigten. Allerdingsbedeutet Ecks Arbeit an der Bibel einen deutlichen Fortschritt gegenüberden exegetischen Vorlesungen seines Vorgängers Georg Zingel, der von1474 bis 1508 Ordinarius in Ingolstadt war. Zingel hat je eine Lectio überden Ekklesiastes und den Hebräerbrief handschriftlich hinterlassen, fürderen wenige Kapitel er jeweils rund 600 Blatt brauchte". Das dabei vonihm eingesetzte aristotelisch-philosophische Instrumentarium, die über-wiegend begriffliche Analyse und die eingeschobenen Quaestionen las-sen auf ein exegetisches Verständnis und eine Methode schließen, dem-gegenüber Ecks Bemühen um die Philologie und – zumindest in seinenhandschriftlichen Exzerpten – um größere Einfachheit progressiverscheint. Reuchlins Verfahren der Auslegung „de verbo ad verbum"könnte ihn inspiriert haben'. Theologische Konsequenzen werden fürdie Exegese aus dem Urtext nicht gezogen. Eck las in der „Explanatio"und im noch höheren Maße bei seinen übrigen exegetischen Exzerptendie Schrift im Medium der kirchlichen Tradition und der scholastischenAuslegung, ohne die kritische Kraft der Philologie zu erkennen. Diesesollte erst mit der historisch-kritischen Exegese des 17. Jahrhunderts vollzum Durchbruch kommen.

In einem Brief vom 13. März 1540 an Gasparo Contarini hat Eck seine

2° Cod. ms. 41 der UB München: Lectura domni Georgia Zingel super epistolam adHebreos; 2° Cod. ms. 42 der UB München: Lectura super Ecclesiasten domni GeorgiaZingl. Vgl. die Beschreibungen in: N. Daniel u.a , Die lateinischen mittelalterlichen Hand-sch/111,n der Universdatsbibhothek Alunchen. Die Handschriften aus der Folioreihe. ErsteHalfte, Wiesbaden 1974, S. 58-60. Zu Zingel vgl. Kausch [wie Anm. 181, S. 23 f.; Heid-loff (wie Anm 121; Overfield [wie Anm. 121, 5. 185-207; A. Serfert, Statuten- und Verlas-sungsgc schichte der Umversrica Ingolstadt (1472-1586), Bei lm 1971 (= Ludovico Maximi-lednes Forschungen 1), passimAls Beispiele sei auf die Einleitung zur Vorlesung uher den Ekklesiastes, 2° Cod. ms. 42der UB Munchen, Poft-8 und die Auslegung Ekkl 1,1 in 2° Cod. ms. 42,1 . 019 i -15 r ver-wiesen. Zu Reuehirn vgl. Kraus (wie Anm. 371, S. 26: „Den `Ruchmenta linguaeHebrande' aber labt Reuchlin eine aufschluRrefthe Erklarung der sieben Bu4salmenfolgen . Es handelt sich um eine philologische Methode der Exegese (de verbo ad ver-bum')." Dazu finden sich Ubungen Ecks in Clm 11602 (vgl. oben Anm. 28). Die Aus-legung des Propheten Haggai (vgl oben Anm. 34) hat einen ausfuhrlichen philologi-schen und einen an der Tradition orientierten exegetischen Teil. Der Aufbau ist 7. B.:hebräischer Text, griechischer rext, Ubersetzung des Hieron ymus, Explanatio literalissummarid, h xplanatio am( ulatior etc.

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Auffassung über den Stand und die Konzeption der theologischenStudien niedergelegt. Das Studium der Sentenzen des Petrus Loinbardussah er darin als unabdingbar notwendig an, wollte aber alle überflüssigenSubtilitäten vermieden wissen'. Es ist eine „vereinfachte" Scholastik, dieer fordert. Zwei Jahre später, also kurz vor seinem Tode, führte er den hierpropagierten theologischen Ansatz in einer Vorlesung über das ersteBuch der Sentenzen durch'. Sie zeichnet sich durch ihre Kurie und Klar-heit wohltuend aus. Das in früheren Arbeiten Ecks störende extensiveZitieren von Autoritäten fehlt und der Stoff ist auf das Wesentliche redu-ziert. Damit realisierte er ein Anliegen, das schon in seiner Logikreformansatzweise sichtbar wurde, dort aber noch nicht konsequent durchge-führt worden war.

In demselben Brief an Contarini wird auch Ecks grundsätzliche Stel-lung zur Funktion der „studia humaniora" in der Theologie deutlicher.Schon 1518 hatte er in einem Briefwechsel mit Erasmus dessen Editiondes Neuen Testamentes kritisiert'. jetzt stellt er Erasmus und die Anhän-ger Luthers auf eine Stufe und wirft ihnen vor, die Theologie und diePhilosophie auf die bonae litterae reduziert und damit ruiniert zuhaben'. Der fundamentale Dissens zwischen Luther und Erasmus in derAnthropologie wird nicht berücksichtigt, das Problem des jeweils andersgearteten Reformansatzes zwischen den beiden übersehen und statt des-sen ihre Koalition auf der Ebene des Textes und dessen Interpretationbehauptet. Damit erhalten die humanistischen Studien für Eck im Blick

4 ° Hg. v. W. Friedensburg, Bettrdge zum Briefwechsel der katholivheil tt11 Dt /(1,41,1anim Reformationszeitalter, Zeitschrift für Kirchengeschichte 19 (1899), 253-258, Nr. 135,hier 256: ... tarnen non video quomodo exactus possit esse theologus qui sententiaspatrum a Petro Longobardo congestas non intellexerit, licet CUM nolim achgeie ad tothecritates, formalitates, relationes, instantia originis et naturae, clitia rationis, licet illaebibisse in adulescentia non poeniteat." Zu Contarini vgl. H C0111,111111, 1 ex lk anfür Theologie und Kirche 2 111, S. 49 f.

41 In primum hbrum Sententzarum Annotatiumul«e D. Johanne hien) ade( tote anno abChristo nato 1542, per dies tannulares hg. v. W. L. Moore, Ir , I eidcn 1976 ( = Said ies inMedieval and Reformation Thought 13). Der handschriftliche lext befindet sic h in 80Cod. ms. 8, 1'01 179'-260° der U13 Mii neben.

'2 Brief an Erasmus vom 2. Februar 1518, Allen 1Hg.1, Opus ( pntolai um 1.)e. hrihmtRoh) odran,, 12 Vol., Oxford 1906-58, Nr. 769. Die Antwort des Lrasnius hei Allen Ni 8 1 1 VglIserloh, S. 19 f.

4 ' Brief an Contarini vom 13. Marz 1540 [wie Anm 40], S. 256: „At ut perveniam ubl s ole-bam, Erasmus et Luderani, ad solar bonas literas (ita elegantiores appellant) scholasti-cos adhortantes, philosophiam et theologiam una pessundederunt, et etiain studia Ger-maniae quae a Luterismo sunt Hera, philosopinarn tarnen oninein perchdcrunt. Neinoest qui discat theologiam scholasticarn ltaque studia magna egent correctione, pueiidialogos chscunt Erasmi, sed non inbibunt contemptum ctiam dis drum, ceicinonia-rum et odiurn monachorum?"

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auf die Theologie eine rein dienende Funktion, was inhaltlich schon inseiner Psalmenexegese deutlich wurde. Ihr Übergreifen auf den eigentli-chen inneren Raum des theologischen Denkens wird abgelehnt. Einenwesentlichen, unauflösbaren Zusammenhang zwischen Theologie undHumanismus, wie ihn z. B. Hermann von dem Busche im 'Valium huma-nitatis' und am überzeugendsten Erasmus betonten, akzeptierte Eckletztlich nicht. Die dialogisch-literarisch vermittelte Moral und Fröm-migkeitspraxis, wie sie die Schriften des Erasmus boten, lehnte er in Formund Inhalt ab und beklagte ihr Eindringen und ihre derzeitige Herrschaftin den Schulen. Es ist folgerichtig, wenn er deshalb Oekolampad alseinen „grammatisch Theologus" abqualifiziert und Melanchthon einen„homo grammaticus" nennt, die in ihren Grenzen bleiben und sich nichtin die Theologie einmischen sollen'.

Diesem Konzept, das sich im Laufe der Reformation verstärkt habenmag, mußte sich auch Ecks Interesse an Sprachen, an der Geschichte, ander antiken Dichtung usw. unterordnen. Seine Gedichte und Redengestatteten durchaus die humanistische Attitüde, die Klassiker konntenzitiert werden, seine Bibliothek bekundet sein großes Interesse amHumanismus, aber die eigentliche Theologie sollte davon nicht einseitiggeformt werden'.

Wenn diese Beobachtungen stimmen, dann bedeuten sie für unsereFragestellung, daß auch mit der für Jahrzehnte dominierenden GestaltEcks in Ingolstadt der Humanismus nur zögernd in die Universitätstheo-logie eindringen konnte. Über die Kollegen Ecks wie Leonhard Marstal-ler und Nikolaus Appel läßt sich wenig feststellen, weil ihre literarischeProduktivität gering war. Einflüsse des Humanismus auf sie sind nichtauszuschließen, aber auch nicht schlüssig nachzuweisen'.

Die Frage nach dem Stellenwert der studia humanitatis im Rahmendes theologischen Studiums mußte in dem Augenblick reflektiert wer-den, als man daran ging, grundsätzliche Aussagen über die Inhalte, die

44 Verlegung der Asputaturn zu Bern Inngrund goilkher geschrifft: durch Johann Eck, o.O. 1528(Metzler, wie Anm. 33, Nr. 65), S. 110: „Der Grammatisch Theologus Hausschein"; S.126: „Sehe der Grammatisch theologus`l De poemtentra et conlemone Libri II JohanneAutore (Lck), Romae 1523 (Metzler, wie Anm. 33, Nr. 42,2), Lib. 1, cap. 5, Blatt Dij überMelanchthon „ab homine grammatico". Vgl. Rischar [wie Anm. 18], 203.

4 ' Beispielhaft vgl. Audi Ledor loannis EckuTheologr Ingrrlstathensrs °rationes accipe tres nonmelegantes .., Augsburg 1515 (Metzler, wie Anm. 33, Nr. 6), wo Sallust, Juvenal, Horaz,Homer, der bei den Humanisten beliebte Baptista Mantuanus u. a. zitiert werden. ZurBibliothek Ecks vgl. Walde [wie Anm. 29], XXIII—XXIX.

1 ' Vgl. Kausch [wie Anm. 18), S. 29 f. Marstaller, von dem es Kausch, S. 29, heißt, daß er„sich als Gegner der Humanisten zeigt"; hatte Kontakte mit Aleander, wie ein Brief vomNo, ember 1525 im Cod. V,it. Ist 6199 dci Vatikan. Bibliothek Rom, Fol 6 r-T belegt

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Methode und das Ziel der Studien zu machen. Diesem Versuch unterzogsich 1564 der Ingolstädter Theologe Oswald Fischer in einer breit ange-legten Schrift, der er den Titel 'De vera studendi Sacrae Theologiae ratio-ne' gab. Sie erschien 1564 in Ingolstadt, hatte aber schon eine ersteAuflage, deren Erscheinungsort und -jahr unbekannt sind und die bisheute nicht aufgefunden werden konnte'.

Oswald Fischer hatte 1543 in Ingolstadt den theologischen Doktor-grad erworben, war ein Jahr später Dekan der Theologischen Fakultätgeworden und dozierte bis 1548 an der Universität, als er Weihbischofvon Freising wurde". Die Arbeit über das theologische Studium entstandalso in der zweiten Auflage rund 16 Jahre nach seinem Weggang vonIngolstadt.

Sein Buch, dessen innere Systematik und Gesamtinhalt hier nicht zurDiskussion steht, spiegelt eine wesentlich schärfer gegenreformatorischeHaltung, als sie in Ecks Vorlesungen zum Ausdruck kam. Fischer lehntaus zwei Gründen die Beschäftigung der Studenten mit dem Urtext derBibel ab. Erstens könne man wegen des mit dem Sprachenstudium ver-bundenen großen Zeitaufwandes Wichtigeres lernen, und zweitensreiche die auf dem Tridentinum von der Kirche authentisierte Überset-zung der Vulgata als Text völlig aus, so daß sich eine philologische Text-kritik im Studium erübrige'. Die Artes liberales, konkret verstanden alsdie Fächer Grammatik, Dialektik, Naturphilosophie, Poetik undGeschichte, sind zwar die grundlegende Vorbedingung für die Theologie,behalten aber ihre rein dienende Funktion'. Die Theologie kann sachge-recht nur mit einem entsprechenden Begriffsinstrumentarium, das in der

47 De vera studendi Sacrae Theologiae tatione hbt l tre$ . Autote aivallo h,11,110, Ingolstadt1564. Dort heißt es S. 5b: „... scripsi ante aliquot annos Helium de Studio saue 1 henlo-giae ... Est autem talis per Typographum quendam clanculum impressus, ita quoll necloci, nec Typographi nomen, nec denique temporis tunt labentis numerus fuerit adiec-tus

48 Vgl. Kausch [wie Anm. 18], S. 31 f.; H. Hurter, Nomendator Literamm Theolograehtae, Bd. III, Innsbruck 1907. Unv. Nachdr. New York 1926, Sp. 1. Fischer 3.,‘ iid auchmanchmal unter dem Namen Arnsperger zitiert.

49 De vera studendi Sacrae Theologiae ratrone, Lib. 1, Cap. 6: Non admodum Giaeca etHebraica lingua necessaria futuro Theologo cuilibet, S. 29-36 b.S. 32 b: „Postea vero quando talis translatio ab Ecclesia tanquam vera, pel fecta etintegra recepta est, nos Christian ' in fide stabiles non Opus habemus amplius recurreread eiusmodi Hebraea, et Graeca ..."

50 De vera studendi Sacrae Theologiae ratione, Lib. I, Cap. 5: Grammatic am et [Ulieum'noportere studiosum Theologiae perdiscere, eadem iatione et philosophiam natun'leinet Poetarum scripta, quae a lascivia tarnen absunt, a quibus historiar um cognitiotanquam noticia utilissima haud separetur, S. 26-29.

te

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Philosophie vermittelt wird, betrieben werden, nicht autodidaktisch'.Das Verdikt über den Humanismus ist vollkommen, wenn Fischer sichim Blick auf Erasmus und die Reformation der Meinung des italieni-schen Grafen Alberto Pio Carpi anschließt, es wäre besser gewesen, wenndie humanistische Bewegung nie die Alpen überschritten hätte'.

Der zu lehrende Stoff und seine Inhaltlichkeit werden auf die Funk-tion, den möglichen Einsatz der Theologie hin abgezweckt, ohne daßman davon sprechen kann, Fischer habe schon ein Fachstudium anbietenwollen. Einen ausgearbeiteten Lehrplan legt er sowieso nicht vor. Dievon ihm empfohlenen Lehrbücher erstrecken sich von den Sentenzen-kommentaren der älteren Scholastik bis hin zu Gabriel Biel und Johan-nes Maior, so daß keine schulmäßige Bindung erkennbar ist. Entschei-dend ist die Brauchbarkeit und die Orthodoxie, der „sensus catholicus",auf den es jetzt, nach dem Abschluß des Trienter Konzils und im Zeichender sich formierenden Gegenreformation, ankommt'. Die 'Ratio studio-rum' der Jesuiten von 1599 sollte in diesem Punkte Ähnliches sagen'.Das Studium erhält bei Fischer eine dreifache Funktion': Erstens soll eszum Disput mit den Ungläubigen und Häretikern befähigen; zweitenssoll es das christliche Leben des Studierenden formen und prägen; drit-tens soll auf der Basis dieser Formung der Studierende befähigt werden,die Theologie in der Predigt weiterzugeben.

Fischers Vorstellungen, die auf keinen Fall eine grundlegende, garhumanistisch beeinflußte Reform der Theologie propagierten, wärenvielleicht weniger ablehnend gegenüber den bonae litterae ausgefallen,wenn er sie und speziell die Sprachstudien nicht so eng mit der Reforma-

51 De vera studendi Sacrae Theolograe ranolle, Lib. I, Cap. 11: Difficilem esse Theologicamscientiam, et num caStoöiöax-cog quas tam arduam disciplinam addiscere queat?S. 50-51 b.

52 De vera studendi Sacrae Theolograc rat'olle, Lib 1, Cap. 7, S. 38 b-39. Zu Carpi vgl.G. Fussenegger, Alberto 111. Pro Carpi, Lexikon für Theologie und Kirche 2 11, S. 955.

53 Z. B. De vera studench Sacrae Theobeule ratione, Lib. III, Cap. 8: Theologus debet instruc-tus esse in tribus exeremis, et qui autores pro his comparandis sint lectitandi, S.126 b-131.Vgl. G.M. Pachtler [Hg.], Ratio Studioruin et Institutiones Scholastuae Soelaalls Jesu, VoI.II, 1887, Unv. Nachdr. Osnabrück 1968,294-298.

s ' De vera studendi Sacrae Theolograe ratione, Lib. 111, Cap. 8, S. 127 b: „Pro hac re sane estnotandum, quoll hoc sacrae 1 heosophiae studium potest ad tria exercitia, sive functio-nes, et usus tres differenter applicari, nempe, vel ad disputandum contra impugnatoresorthodoxae fidel, ad impetendum illos, eorumque erroneas opiniones expugnandas,Vel secundo ad aedificandum, regulandum, componendum legenils mores, vitam, etconversationem, Vel tertio, ut huiuscemodi aedificatio, et instructio non tantum respi-ciat ipsum proficientem, sed etiam lese exerat per officium de cathedra profitendi, aufconcionandi cid plures allos, qui aus possunt fiert capaLes"

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tion in Zusammenhang gebracht hätte. Nach seiner Meinung wechselteder größte Teil der Humanisten zum Luthertum über'. Damit verstelltesich Fischer selbst den Weg zu einem klaren und zeitgerechten Urteil. Diedreifache Funktion der Theologie hätte durchaus ein am christlichenReformhumanismus orientiertes Konzept zugelassen. Eine kontrovers-theologische Auseinandersetzung mit der reformatorischen Theologiehätte profunder Sprachkenntnisse bedurft, was z. B. die Jesuiten klarerkannten'. Die Einheit von Lehre und Leben des Theologen war eineklassische Forderung der Reformtheologie im 15. und 16. Jahrhundert,der sich auch der Humanismus anschloß'. Die Predigt wäre der natür-liche Ansatzpunkt für die vom Humanismus hoch geschätzte Rhetorikund Öffentlichkeit gewesen. Solche Folgerungen hat Oswald Fischernicht gezogen. Stattdessen vertrat er eine rückwärts orientierte Position,die für eine zukünftige Universitätstheologie und Theologenausbildungnicht tragfähig sein konnte. Das einzige größere theologische Werk, daser hinterlassen hat, ist eine Auslegung der sieben Bußpsalmen. Es vermit-telt den Eindruck einer „frommen Theologie", deren Ziel ein vorbildhaf-ter Klerus war. Philologische Überlegungen am Urtext, wie sie Eckanstellte, fehlen". Wenn Fischers Bemühungen auch ein berechtigtesAnliegen und eine dringende Notwendigkeit waren, so wurde man damitallein nicht den Bedürfnissen der Zeit und den durch Humanismus undReformation erhobenen wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht.

Die hier vorgestellte Schrift wollte programmatisch, aber keineZustandsbeschreibung der Theologie an den katholischen Universitätenin Deutschland sein. Sie hatte auch keinerlei offiziellen Charakter undsagte über die konkret gelehrte Theologie in Ingolstadt nichts aus. Sollteman aus Fischers Programm schließen, daß der von ihm konstruierteZusammenhang zwischen den Sprachen und der Reformation eine

'6 De vera studendi Sacrae Theoigitte ratione, Lib. I, Cap. 7, S. 45 : „... utpote quod ia in maiorliteratorum seu eloquentiae ac linguarum studiosorum caterva potissimum in Luthers-nismum et alias haereses incidit."

57 Vgl. Pachtler [wie Anm. 54], S. 161: „Quarto turpe est in ea re vinci ab haereticis, qui ateneris annis Graece instituti contemnunt Catholicos Graeci sermonis impentos, ...";sowie: A. Seifert, Der Humanismus an den Artistenlakulialen des katholischen Deutschland,in: Humanismus im Bildungswesen des 15. und 16. Jahrhunderts, hg. v. W. Reinhard,Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft. Mitteilung XII der Kommissionfür Humanismusforschung), S. 152.

58 Vgl. B. Hamm, Frömmigkeit als Gegenstand theologiegeschuhtlicher Forschung, Zeitschrift furTheologie und Kirche 74 (1977), 464-497. Bei den Humanisten bedingte schon ihrInteresse an der Ethik diese Einheit.

59 Seinem Psalmos Poenitentlak brems, simul et iitihN ex:11(111(111o, orthodoxis, et ,amtis »an 1-bus conformis, per... Osze)aldum Fischerum, Ingolstadt 1564. Zur Methode vgl. doit S.171.,22.

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durchgängige Abwehrhaltung der katholischen Theologen bewirkt habe,dann wäre eine solche Folgerung voreilig. Im Gegenteil: Vom Humanis-mus geprägte katholische Kontrovers- und Reformtheologen forderten,motiviert durch die eigene Grundüberzeugung, dezidiert die drei klassi-schen Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch als Unterrichts- undVorlesungsfach an den Schulen und Universitäten, weil sie ein hoff-nungsloses Bildungsdefizit der Katholiken befürchteten. Julius Pflugwünschte 1559 in einer auf dem Augsburger Reichstag gehaltenen Redeeine humanistisch inspirierte Schulreform, und Georg Witzel wandtesich 1538 in außergewöhnlich scharfer Form gegen die theologischeScholastik, als er ein Reformgutachten für Herzog Georg von Sachsenanfertigte". Hätte der Herzog die Anregungen Witzels aufgreifen kön-nen, wäre die Konsequenz auch eine Reform der Leipziger Theologi-schen Fakultät und ihres Studienganges gewesen. Selbst bei Eck, dersolch radikalen Forderungen gegenüber mehr als skeptisch war, wurdeder philologische Humanismus zumindest tradiert.

II. Gründe für das langsame Eindringen des Humanismus in dieKatholisch-Theologischen Fakultäten

Wenn es richtig ist, daß zu einer Zeit, als in den protestantischen Territo-rien und Städten schon längst eine Schul- und Universitätsreform imGange war, der Humanismus an den Theologischen Fakultäten deskatholischen Deutschland nur mühsam und zaghaft Fuß fassen konnte,dann müssen sich auch Gründe dafür finden lassen, die über ein mög-licherweise zu formulierendes Schlagwort „Die Reformation hat denHumanismus an Katholisch-Theologischen Fakultäten verhindert" hin-

'0 Vgl. G Pfeilschifter, Die Revision der Notula reformationis Karls V von 1548 aufdem Augs-buiger Reichstag 1559 und die in ihrem Zusammenhang gehaltene, neu aufgefundene Rede desNaumburger Bischofs Julius von Pflug uber schulische Restauration und klerikale Reform, in:Julius Echter und seine Zeit, hg. v. F. Merzbacher, Würzburg 1973, S. 317-347, bes.S. 329 f.; Georg Witzel, Auf welche weise die Kira) Gottes tzu reformieren sey, StaatsarchivWürzburg, Mainzer Urkunden, Geistlicher Schrank 20/2, Fo154`-57": ,Von hoen undnidrigen Schulen". Zu Pflug und Witzel vgl. I.V. Poltet, Julius Pflug, in: Gestalten derKirchengeschichte Bd. 6: Die Reformations zeit 11, hg. v. M. Greschat, Stuttgart u. a.1981, S.129-146; R. Baumer, Geoig Witzel, in: Katholische Theologen der Reformations-zeit 1, hg. s. E Iserloh, Münster 1984 Katholisches Leben und Kirchenreform 44),S. 125-132

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ausreichen'. Sie liegen auf verschiedenen, ineinander verschränktenEbenen und sollen hier nur aufgezählt, aber nicht einzeln gewichtetwerden.

Von Anfang an etablierten sich die Humanisten nur langsam an denUniversitäten und waren mehr dem städtischen und höfischen Lebens-raum, ihren Sodalitates und ihren durch regen Briefwechsel aufrecht-erhaltenen Freundeskreisen als der universitären Korporation verpflich-tet. Ihre eigene Ausbildung war für die statutarisch festgelegte Laufbahnbis hin zum Universitätslehrstuhl nicht immer geeignet, und der unend-lich lange Weg zum theologischen Doktorat schreckte grundsätzlich ab,wie die geringe Zahl theologischer Promotionen belegen kann. WieL. Boehm zeigen konnte, machte die Integration der Humanisten in dieverfassungsmäßig festgeschriebene Korporation der Hochschule Schwie-rigkeiten. Das landesherrliche Interesse und Protektorat gab ihnen dieMöglichkeit, außerhalb des Studienganges der Artes ihre Vorlesungen zuhalten'. Diese Konstruktion wäre bei der theologischen Ausbildung erstim Zuge des ständig wachsenden Einflusses der Landesherrn auch auf dieentsprechenden Theologischen Fakultäten möglich gewesen. Ansätzedazu gab es z. B. bei Reformversuchen in Leipzig, ohne daß ein Erfolgerzielt wurde'.

Humanistisch ausgerichtete Theologen waren daher gar nicht odernur partiell in der Theologischen Fakultät engagiert bzw. verließen nacheiniger Zeit des Studiums dieselbe wieder. So waren z. B. FriedrichNausea und Michael Helding in Mainz, die dem Humanismus zuzurech-nen sind, in erster Linie Prediger, Katecheten und Traktatenschreiber imkonfessionellen Streit. Sie engagierten sich in der Kirchenreform undKirchenpolitik der Mainzer Kurfürsten und auf der Reichsebene.Helding promovierte zwar 1543 an der Mainzer Theologischen Fakultät,

61 Vgl. Erasmus von Rotterdam an Franz von Vitoria, 29. Nov. 1527, Allen [wie Anm. 42],Nr. 1909, S. 259: " Iam mundus et principes magna ex parte intelligunt hunc esse pseu-domonachorum tumultum, hoc agentium ut simul cum Luther() linguas ac bonas litte-ras obruant."

62 L. Boehm, Humanistische Bildungsbewegung und mittelalterliche Universitatsverlasvcng.Aspekte zur frühneuzeitlichen Reformgeschichte der deutschen Universitaten, in: Les u n iversi-tes ä la fin du moyen äge. Actes du congres international de Louvam 26-30 Mai 1975,hg. v. J. Paquet und J. Ijsewijn, Löwen 1978, S. 315-346. Einen sehr guten Überblickbietet N. Hammerstein, Humanismus und Univenitaten, in: Die Rezeption der AntikeZum Problem der Kontinuität zwischen Mittelalter und Renaissance, hg. v. A. Buck,Hamburg 1981 (= Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissancetorschung Bd. 1),S. 23-39. Vgl. auch W. Reinhard [Hg.], Humanismus im Bildungswesen des 15 und 16 Iaht-hunderts [wie Anm. 57].

61 Vgl. Anm. 15.

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aber die Universitätstheologie hat er nicht befruchtet". Wolfgang Capitound Kaspar Hedio waren mehr an der Mainzer Domkanzel als an derUniversität interessiert'.

Der Brief, die Rede, die Predigt, die Erstellung von Editionen undÜbersetzungen, die Arbeit am Text der Bibel, die Katechismen und in derReformationszeit die kontroverstheologische Publizistik waren die lite-rarischen Ausdrucksformen, deren sich die Humanisten bedienten, nichtdie universitäre Vorlesung. Ihr pädagogisches und kirchenpolitischesInteresse drängte auf Reformen, wie Johannes Gropper, Georg Witze!,Julius Pflug u. a. beweisen". Mit ihrem irenisch-vermittelnden Einsatzfür eine Konfessionseinigung in den 40er und 50er Jahren des 16. Jahr-hunderts wandten sie sich lieber der konkreten religiösen Gestaltungsowie der Kirchenpolitik zu als einer trockenen, durch Statuten undLehrbetrieb reglementierten Schultheologie'. Der über die rein philolo-gischen Interessen weit ausgreifende religiöse Humanismus eines Eras-mus mit seinen sprachlich und methodisch andersgearteten theologi-schen Ansätzen sowie seiner kirchenkritischen Komponente hätte sichauch inhaltlich ebensowenig wie die eben genannten literarischenGenera für den theologischen Unterricht in der aus dem Mittelalter tra-dierten Form geeignet.

So blieb zuerst einmal, ähnlich wie bei der Frömmigkeitstheologie des15. Jahrhunderts", der außeruniversitäre Raum das bevorzugte Feld, wosich Humanismus und Theologie trafen. Wieweit die durchaus mögli-chen Ansätze zur Begegnung etwa in der Bibellektur von einigen trotz-dem aufgenommen wurde, konnte am Beispiel Ecks gezeigt werden. Einefeste Institutionalisierung und inhaltliche Rezeption scheint aber nichtstattgefunden zu haben. Vermutlich war das auch gar nicht möglich,solange nicht der Studiengang in den Artes liberales oder bei anderenaußeruniversitären Einrichtungen, wie z. B. den Schulen, die Grund-voraussetzungen dafür schuf, in der Theologie auf humanistische Vor-kenntnisse wie die Sprachen zurückzugreifen. Hier wird der enge Zusam-

64 Vgl. R. Bäumer, Friedrich Nausea (ca. 1490-1552), in: Katholische Theologen der Refor-mationszeit 2, hg. v. E. Iserloh, Münster 1985 (= Katholisches Leben und Kirchen-reform 45), S. 92-103; H. Smolinsky, Michael Holding (1506-1561), in: ebd., S. 124-136.Vgl. H. Mathy, Die Universlidt Mainz 1477-1977, hg. v. Präsident und Senat der Johan-nes Gutenberg-Universität, Mainz 1977, S. 57.

66 oben, Anm. 60, sowie R. Braunisch, Johannes Gropper, in: Katholische Theologender Reformationszeit [wie Anm. 60], S. 117-124.

67 Vgl. R. Stupperich, Der Ilunianisinus und die Wiedervereinigung der Konfessionen, Leipzig1936 (= Schriften des Vereins Fur Refoimationsgeschichte 160).Vgl oben, Anm 58.

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menhang zwischen Artistenfakultät und Theologieausbildung sichtbar,auf den Philipp Melanchthon schon 1518 hingewiesen hatte". Erst einegeänderte Ausbildung in den Grundstudien ermöglichte und forderteeinen geänderten Vorlesungsbetrieb bei den Theologen. Dieser Zusam-menhang wird an der Ingolstädter Realität sichtbar, als Petrus Canisius1550 über das niedrige Bildungsniveau der Studenten klagte, das wederernsthafte scholastische Theologie zulasse noch Kenntnisse in der Gram-matik voraussetzen dürfe'. 1552 las man deshalb in Ingolstadt statt derSentenzen über das Evangelium'. Unter diesen Bedingungen könntenauch die Vorlesungskonzepte Ecks, welche im Gegensatz zu den Druckenvon 1538 nur wenige philologische Überlegungen beinhalten, auf diekonkreten Verhältnisse abgestimmt sein, was nicht — wie oben gesagt —weitere mündliche Explikationen ausschließen muß. Obwohl seit 1520in Ingolstadt ein Lehrstuhl für Griechisch existierte, konnte man keinesystematisch vermittelten Sprachkenntnisse erwarten'.

Faßt man den Humanismus nicht allzu eng, sondern als eine breiteBildungsbewegung, dann mußte er trotz aller personellen und strukturel-len Widerstände zwangsläufig irgendwann einmal nicht nur punktuellbei einzelnen Universitätstheologen Resonanz finden, sondern in dieSchule und in das System der Theologenausbildung integriert werden.Motive und Ansatzpunkte dafür gab es zur Genüge. Schon für JakobWimpfeling scheint die Fähigkeit der Laien, durch ihre eigene Bildungden Klerus kontrollieren zu können, mit ein Grund dafür gewesen zusein, auf bessere Lateinkenntnisse zu drängen'. Der durch die Publizi-stik gut informierte, eventuell auch sprachen- und bibelkundige Laieforderte den gebildeten, rhetorisch versierten und in der praktischenTheologie ausgebildeten Seelsorger und Prediger. Die protestantischenSchulen und Universitäten übten den nötigen Konkurrenzdruck aus, um

69 Vgl. Benrath [wie Anm. 16], S. 67; H. Scheible, Gründung und Ausbau der Univer srtat Wü-tenberg, in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgrundungen der (ruhen Neu-zeit, hg. v. P. Baumgart und N. Hammerstein, Nendeln/Liechtenstein 1978 (= Wolfen-bütteler Forschungen Bd. 4), S. 131-147.

7° 0. Braunsberger [Hg.], Beati Pein Canisu Epistolae et Acta, Bd. I, Freiburg 1896, S. 307;zitiert bei Kausch [wie Anm. 18], S. 61 Anm. 78.

71 Vgl. Kausch [wie Anm. 18], S. 61.72 Vgl. R. A. Müller, Im Zeitalter von Humanismus und Reformation, in: Ludwig-Maximi-

lians-Universität. Ingolstadt-Landshut-München 1472-1972, hg. v. L. Boeh m und J.Spörl, Berlin 1972, S. 120.

7 ' Das legt sich zumindest bei der Lekture seines Reformvorschlages von 1522 für die Uni-versität Heidelberg nahe: E. Winkelmann [wie Anm. 15], S. 217. Vgl. auch 0. Verdingund F. J. Worstbrock [Hg.], Jakob Wimpfelings Adoleventia, Munchen 1965 JacobeWimpfelingi Opera Selecta 1).

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diese Tendenz zu verstärken. Dazu kam die Notwendigkeit einer auchsprachlich dem Protestantismus gewachsenen Kontroverstheologie,welche die Bibel und die Kirchenväter in ihr System einbeziehen mußte.Man bedurfte kluger Beichtväter sowie einer geistlich gehaltvollen Lite-ratur, wie sie später der humanisme devot eines Franz von Sales bereit-stellen sollte', und man verlangte nach einer Theologie, welche sich ver-stärkt der Anthropologie zuwandte'.

Damit war auch für das katholisch-theologische Studium eine wich-tige Weichenstellung gefordert. Die Theologischen Fakultäten des Mit-telalters wollten keine Seelsorger ausbilden und hatten dementspre-chend weder methodisch noch inhaltlich auf die Praxis große Rücksichtgenomm. en76 . Die Reformtheologie des 15. Jhs. hatte dieses Problembereits erkannt, der Humanismus mit seiner auf Öffentlichkeit angewie-senen Rhetorik und seinem Sinn für die res publica bzw. Kirchenpraxis esweiter forciert. Willibald Pirckheimer lehnte 1518 eine übertrieben speku-lative Theologie ab und forderte, ganz auf die Praxis bezogen': ,Wenneinem Theologen außerdem die Rhetorik mangeln sollte, so verstehe ichnicht, wie er dem christlichen Volk die Worte der Wahrheit verkündenkann, wenigstens wenn er so lehren, daß ihn die Menge versteht, und sodas Gemüt bewegen will, daß gelegentlich ein Stachel in der Seele desMenschen zurückbleibt. Wenn er aber dem ungebildeten Pöbel Konklu-sionen, Korrollarien, Porismata und die sonstigen unbekannten Worteder Dialektik allzu prahlerisch darlegen will, dann läßt sie dies Unter-nehmen einschlafen oder doch völlig kalt."

Die neue Situation forderte neue Ziele der Ausbildung: eine geän-derte Kontroverstheologie, deren bisherige Wirkungslosigkeit im Streitmit der Häresie gerade von Humanisten wie Locher und Pirckheimerbeklagt worden war', und eine Ausrichtung des Studiums auf die reli-giöse Praxis, der man sich vor allem nach dem Tridentinum verstärkt

'4 Vgl. E.J. Lajeunie, Franz von Sales, Eichstätt und Wien 21980; H. Vorgrimler, Humanismedevot, Lexikon für Theologie und Kirche 2V, S. 525 f.

75 Vgl. H. Jedin, Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 4: Reformation, Katholische Reform undGegenreformation, Freiburg-Basel-Wien 1967, S. 561-573.

76 Vgl. F. W. Oediger, Über die Bildung der Geistlichen im späten Mittelalter, Leiden und Köln1953 (= Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 2), S. 63: „Die theolo-gischen Fakultäten hatten nicht die Aufgabe, die künftigen Geistlichen mit dem erfor-derlichen Rüstzeug zu versehen"; Kausch [wie Anm. 18], S. 64. Eine Umschreibung derTheologie durch einen spätmittelalterlichen deutschen Universitätstheologen beiA. Füssinger, Johannes Pfeffer von Weidenberg und seine Theologie, Freiburg i. Br. 1957(---- Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 12), S. 33-39.

77 Pirckheimer, Luciani Piscator [wie Anm. 19], S. 256 f.78 Vgl. Pirckheimer, Luciani Piscator [wie Anm. 19], S. 246; Heidloff [wie Anm. 12], S. 248.

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zuwandte. Als Konsequenz kamen neue Fächer in den Kanon der Theo-logie, der sich weiter differenzierte. Für Ingolstadt läßt sich in der zweitenHälfte des 16. Jahrhunderts ein Zunehmen praktisch ausgerichteter Vor-lesungen beobachten, welche die Sakramentenpastoral und die „casusconscientiae" betrafen. Ein Lehrstuhl für Kontroverstheologie wurde1605 errichtet". Noch war die Pfarrerausbildung keineswegs auf die Uni-versitäten übergegangen, aber die Universitäten begannen, Pfarrerauszubilden. Ohne eine solide Rhetorik konnte es nicht den dringendbenötigten wirkungsvollen Prediger geben, ohne Kasuistik keinenBeichtvater, welcher der individuellen Situation des Pönitenten gerechtwurde. Hier konnte der Humanismus integriert werden und wurde gera-dezu gefordert.

Es waren vor allem die Jesuiten, welche diese Anliegen aufgriffenund eine Aufgabe erfüllen mußten, die ihnen mangels anderer geeigneterKräfte gleichsam schicksalhaft zufiel". Allerdings rezipierten sie auf ihreWeise den Humanismus und schlossen sich damit der allgemeinen Ten-denz zur Verschulung an. Nach ihren Studienplänen wurden die studiahumanitatis in das Gymnasium abgedrängt und bildeten die Vorausset-zung für das Philosophiestudium, das wiederum auf die Theologie hinangelegt war'. Nicht der Humanismus eines Erasmus hatte in der katho-lischen Universitätstheologie sich etabliert, sondern ein Schulhumanis-mus, der die Fähigkeiten zum Theologiestudium bereitstellen mußte.Inhaltlich schuf man eine Synthese zwischen der Scholastik in derthomasischen Form und dem Humanismus, wie z. B. die spanische Sal-matizenserschule zeigt, aus der Gregor von Valencia hervorging, der inDillingen und Ingolstadt lehrte. Seine 'Analysis fidei' bezog Schrift, Väterund Spekulation ein82 . Der pädagogische Impetus des Humanismuswurde in brauchbare Katechismen umgesetzt, wie Petrus Canisius zeigt".

Wie die Beispiele Ingolstadt und Freiburg belegen, ging diese von derRatio studiorum und ihren Vorformen geregelte Entwicklung bei ihrer

79 Vgl. Kausch [wie Anm. 18], S. 63-73.80 Vgl. Seifert [wie Anm. 57], S. 152.81 Vgl. Seifert [wie Anm. 57], S. 151 f.; E. Schubert, Zur Typologie gegenreformatorischer Uni-

versitätsgründungen: Jesuiten in Fulda, Würzburg, Ingolstadt und Dillingen, in: H. Rösslerund G. Franz [Hg.], Universität und Gelehrtenstand 1400-1800, Limburg 1970(= Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit Bd. 4), S. 85-105.

82 Vgl. Kausch [wie Anm. 18], S. 44-46, 66 f.; W. Hentrich, Gregor von Valencia und dieErneuerung der deutschen Scholastik im 16. Jahrhundert, in: Philosophia Perennis. FestgabeJ. Geyser. Bd. I, hg. v. F.J. von Rintelen, Regensburg 1930, S. 291-307; K. Kohut, DieAuseinandersetzung mit dem Humanismus in der Spanischen Scholastik, in: Renaissance -Reformation [wie Anm. 2], S. 77-104; Meuthen [wie Anm. 2], S. 226.

83 Vgl. H. Woher, Canisius, Theologische Realenzyklopädie 7, S. 611-614.

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Rezeption durch die Universitäten nicht problemlos, sondern unterheftigen Kämpfen vor sich". Die traditionsreichen Korporationen setz-ten den Jesuiten, ihrer zentralen Ordenssteuerung und ihrer andersarti-gen Bildungskonzeption heftigen Widerstand entgegen. Ähnlich wie beiden alten Humanisten ging es nicht ohne landesherrliche Protektion.Manche Universitäten, wie Köln, verschlossen sich völlig dieser Ent-wicklung". Für das Thema „Humanismus an Theologischen Fakultätendes katholischen Deutschland" bedeutet aber das Eindringen desJesuitenordens in die Universitäten einen entscheidenden Einschnitt.

84 Vgl. G. Schwaiger, Die Theologische Fakultät der Universität Ingolstadt (1472-1800), in: DieLudwig-Maximilians-Universität in ihren Fakultäten, hg. v. L. Boehm und J. Spörl, Bd.I, Berlin 1972, S. 54-89. Zu Freiburg vgl. Th. Kurrus, Die Jesuiten an der Universität Frei-burg i. Br. 1620-1773, Bd. I, Freiburg i. Br. 1963 (= Beiträge zur Freiburger Wissenschafts-und Universitätsgeschichte 21); J. Köhler, Die Universität zwischen Landesherr undBischof Recht, Anspruch und Praxis an der vorderösterreichischen Landesuniversität Freiburg(1550-1752), Wiesbaden 1980 (--- Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neu-zeit 9).

85 Vgl. K. Hengst, Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten, Paderborn u.a. 1981(= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 2).

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