Der kommende Aufstand

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Unsictbares Komitee

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ersienen im Jahr 2007 unter dem Titel„L‘insurrection qui vient“ in französier Sprae

übersetzt von uns im Frühjahr 2010

zur freien Verbreitung

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Warum eine deutsspraige Ausgabe?Bevor wir uns daran maten „L‘insurrection qui vient“ zu übersetzen, wa-ren wir eigentli der Meinung, es nit zu tun. Im Grunde daten wir, dassdieses Bu zu speziell auf die französise Situation zugesnien ist, in denBeispielen wie in der Swerpunktsetzung.Warum haben wir es trotzdem getan?

Der witigste Grund ist wohl, dass wir es sa haben, politise Pamphletezu lesen, die si mit der Darstellung der sleten Verhältnisse begnügen,ohne konkrete Srie zu ihrer Auebung in die Diskussion zu werfen. „Derkommende Aufstand“ besreibt die bröeligen Fundamente der gegen-wärtigen Ordnung nit, um aufzurüeln oder Therapien zu ihrer Reungvorzuslagen, im Gegenteil. Die Zerbrelikeit der versiedenen Aspekte

dieser Welt der Domestizierung und Vernutzung, ihre neusten Transformati-onen werden nur durgespielt, um endli ihre Zerstörung konkret ins Augezu fassen. Die Selbst-Zuritung der Individuen, die si mit Pillen im Ren-nen der Vermarktung halten, die Gewöhnung son der Kleinsten daran, dassihr Leben in der Selektion für eine Arbeitswelt bestehen wird, deren einzigerZwe der Erhalt des Hamsterrades selbst ist; der Angri auf unser Lebenwird nur gesildert, damit wir uns darin erkennen und dagegen in Stellungbringen können. Die Rundreise dur das trostlose Existieren der Metropoleist Aulärung nit im mythisen, sondern im militärisen Sinne: die

Klärung eines gemeinsamen Ausgangspunktes, der operativen Bedingungeneiner Real-Exit-Strategie aus der globalen Misere, und nit zuletzt der prak-tisen Hebel, die uns in diesem Kampf zur Verfügung stehen.

Die Tatsae, dass der soziale Angri der Eliten in den versiedenen Staatender westlien Welt zusehends ähnlie Formen annimmt, kann eine derartigePositionsbestimmung über alte kulturelle Grenzen hinweg tragen. Die Ver-messung und Verwaltung des Mensenmaterials kommt uns allen bekannt

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vor, au wenn Dateien und Polizeien andere Namen tragen. Der Klartexthinter der Billig-Propaganda von Managern und Kriegsherren tri internati-onal so klar zutage wie die Erfahrung si versärfender Ohnmat ange-sits der unbelehrbaren Arroganz der Mat. Die Kolonisierung verarmter

Viertel, der expandierende Assimilationsdru nit nur in den Banlieuessär das Verständnis eines Widerstands, der si nit mehr mit Forde-rungen auält. Der si in der Tat organisiert.

Wir sätzen den Text der französisen GenossInnen als Beitrag zururalten, immer wieder neu auammenden Debae darüber, wie wir unsdiesen Quats vom Hals saen können, diese ewig gleie Reduzierungder Welt auf die Verwertung der Welt. Eine Gebrausanweisung für dieRevolte ist das Bu nit. Das wäre vollkommen absurd. Jedes Auegehrenist so einzigartig wie die Revoltierenden selbst; eine Vielfalt an Traditionen,Kampferfahrungen und Träumen, erkennbar aber nit vereinheitlit durden Glutkern ihrer Sehnsut na Befreiung. Viele Überlegungen über denkommenden Aufstand nden wir inspirierend, mane Taktiken direkt über-tragbar, und einiges führt uns zu anderen Slussfolgerungen, weil unsereStärken andere, unsere Kämpfe nit identis sind. Ritig und gut für dieÜberwindung hiesiger Dezite nden wir, dass der in diesem Bu vertreteneZugang helfen könnte, den Status Quo linker Teilbereiskämpfe aufzubre-

en, der im Horizont der Opposition o an die unverbundene Aufzählungunzähliger Antis gebunden bleibt und dadur nahe legt, si in feindlienKategorien einzukästeln.

Die Bedeutung der Diskussionen und praktisen Versue, die in den letzten Jahren um die Idee des Aufstands kreisen, sehen wir in der Erneuerung einerlebendigen revolutionären Perspektive, im handgreiien Ringen um dieWiedervereinigung von Denken und Handeln - nit in 500 Jahren oder amanderen Ende der Welt, sondern hier und heute. Das Experimentieren mit

 Alternativen und der Kampf gegen das Establishment sind nit nur nitunvereinbar, sie ergänzen si und sind unmielbar aufeinander angewiesen.Das unsitbare Komitee fordert uns auf, die Wae der Kritik nit in denDienst der eigenen Entwanung zu stellen und den Kampf auf der Strassenit in den Absied vom Nadenken darüber münden zu lassen, wie wiruns langfristig halten können, denn der Auau autonomer Strukturen istnotwendige Basis für jeden ernst gemeinten Angri auf dieses System. Derallerdings hat viele Formen und bringt untersiedliste Kommunen hervor.

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„Der kommende Aufstand“ wird uns nit ersparen, in unseren eigenen Zu-sammenhängen klar zu kriegen, wer unsere Feinde sind und wo ihre Swa-stellen liegen, wie sie angegrien werden können und wele Fallen es zuvermeiden gilt. Wir können den Text nutzen, um unsere Ideen und unsere

Praxis weiterzuentwieln.Wir können kritis darauf antworten und die in-ternationale Debae um unser Tortenstü Erfahrung bereiern, und so dazubeitragen, eine neue Sprae der Rebellion zu entwieln. Notwendig ist dasBu dafür keinesfalls. Um unsere Situation zu erkennen und daraus aufzu-breen braut es keinen Masterplan, keine eine Wahrheit, die uns oenbartwerden muss. Wir können an jeder Ee loslegen, unser Leben in die eigenenHände nehmen und uns gegen die herrsenden Verhältnisse verbünden.Was die unsitbaren GenossInnen allerdings zu bedenken geben, ist, dass eszum Smieden einer nahaltigen, den absehbaren Aaen der Gegenseite

 gewasenen Strategie Sinn mat, eine gewisse Koordination zwisen deneinzelnen Gruppen zu kultivieren, um eine gemeinsame Verteidigung zuermöglien.

 Als Diskussionsvorslag in Ritung einer derartigen strategisen Koo- peration nden wir das Bu der französisen GenossInnen gut, nit alsneue Sule oder Kult. Diese undogmatise Weigerung beinhaltet, dass esuns im Grunde gleigültig ist, ob die AutorInnen die Emanzipation der

anderen Kollektive zentral am Herzen liegt oder ob sie lieber alle na ihremEbenbild saen würden. Es geht nit darum ja oder nein zu ihrem Vor-slag zu sagen, sondern um die Eskalation einer Diskussion, zu der au sienur beigetragen. Ein libertärer Aufstand wird si nit ausbreiten, von derRevolution ganz zu sweigen, solange der Ruf na FührerInnen uns in-nerli swät. Wie alle Büer hat au „Der kommende Aufstand“ seineblinden Fleen, und die Untersätzung der Möglikeit einer autoritärenWendung der ganzen Angelegenheit zählt mit Sierheit dazu. Was nitsanderes heisst, als dass diese Auseinandersetzung no darauf harrt, von uns

 geführt und aufgesrieben zu werden! Wenn es gelingt zu vermeiden, dieDiskussion über den kommenden Aufstand auf eine banale Zugehörigkeitsma-sine einzudampfen, könnten folgende Analysen und Vorsläge helfen, unsmit organisierteren Strukturen gegen die fortsreitende Zerstörung unsererLebensgrundlagen zu formieren und eine lange nit gesehene Slagkra zuentfalten.

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Inhaltsverzeicnis

 Aus weler Sit ... 9

Erster Kreis 13

Zweiter Kreis 17

Drier Kreis 23

Vierter Kreis 31

Füner Kreis 39

Sester Kreis 45

Siebter Kreis 53

AUF GEHT´S! 61

SICH FINDEN 63

SICH ORGANISIEREN 67

AUFSTAND 77

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Aus weler Sit man sie au betratet, die Gegenwart ist ohne Aus-weg. Das ist nit die geringste ihrer Tugenden. Denjenigen, die unbe-dingt hoen möten, raubt sie jeden Halt. Diejenigen, die vorgeben Lö-sungen zu haben, werden sofort entkräet. Es ist bekannt, dass alles nurno slimmer werden kann. »Die Zukun hat keine Zukun mehr«ist die Weisheit jener Epoe, die unter dem Ansein einer extremenNormalität auf der Bewusstseinsebene der ersten Punks angelangt ist.

Die Sphäre der politisen Repräsentation sließt si. Von Links naRets nimmt die gleie Nitigkeit mal die Pose von Maern, mal ein

 jungfräulies Gehabe an, sind es die gleien Ausverkäufer, die ihreRede gemäß den neuesten Erndungen der Abteilungen für Öent-likeitsarbeit austausen. Diejenigen, die no wählen, seinen dies

nur no mit der Absit zu tun, die Urnen dur pure Proteststimmenhogehen zu lassen. Man fängt an zu erraten, dass gegen die Wahlenselbst weiter gewählt wird. Nits von dem, was si ergibt, ist au nurim Entferntesten der Situation angemessen. In ihrer Stille selbst seintdie Bevölkerung unendli viel erwasener als all die Hampelmänner,die si darum zanken, sie zu regieren. Jeder Chibani1 aus Belleville istweiser in seinen Worten als jeder einzelne unserer sogenannten Füh-rer in seinen Verlautbarungen. Der Deel des sozialen Kotopfs ver-sließt si dreifa, während der innere Dru stetig steigt. Von Ar-

gentinien aus beginnt das Gespenst des »Que se vayan todos!« ernsthain den führenden Köpfen umzugehen.

Die Feuer vom November 2005 werfen unauörli ihre Saen auf jedes Bewusstsein. Diese ersten Freudenfeuer sind die Taufe eines Jahr-hunderts voller Verspreungen. Fehlt es dem medialen Mären derBanlieues-gegen-die-Republik nit an Ezienz, fehlt es ihm an Wahr-heit. Bis in die Stadtzentren hinein haben si die Feuer gebrannt, diemethodis verswiegen wurden. Ganze Straßen in Barcelona haben

1 Slang für alte Mensen

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in Solidarität gebrannt, ohne dass, außer ihren Bewohnern, irgendweretwas davon mitbekommen hat. Und es stimmt nit einmal, dass dasLand seither aufgehört hat zu brennen. Unter den Besuldigten sindganz untersiedlie Prole, die nur no der Hass auf die bestehende

Gesellsa eint, nit mal die Zugehörigkeit zu einer Klasse, einer Ras-se oder einem Stadeil. Das Einmalige besteht nit in einer »Revolteder Banlieues«, die bereits 1980 nits Neues war, sondern in dem Brumit den etablierten Formen. Die Angreifer hören auf niemanden mehr,weder auf die großen Brüder, no auf den lokalen Verein, weler dieRükehr zum Normalen verwalten sollte. Kein SOS Racisme2 kannseine krebserregenden Wurzeln in dieses Ereignis slagen, dem nurdie Müdigkeit, die Verfälsung und die mediale Omertà3 ein vorge-täustes Ende bereiten konnten. Die ganze Serie nätlier Anslä-ge, anonymer Angrie und der wortlosen Zerstörung hat den Verdienst,die größtmöglie Klu zwisen die Politik und das Politise zu rei-ßen. Niemand kann ernstha die Oenkundigkeit des Angries vernei-nen, der keine Forderung stellte, der keine andere Botsa hae als dieBedrohung; der nits mit der Politik zu saen hae. Man muss blindsein, um das rein Politise nit zu sehen, das in dieser entslossenenVerneinung der Politik stet; oder keine Ahnung von den autonomenBewegungen der Jugend der letzten dreißig Jahre haben. Wie verlorene

Kinder haben wir den Nippes einer Gesellsa verbrannt, die nitmehr Aufmerksamkeit verdient als die Monumente in Paris zum Endeder Blutigen Woe4 , und die si dessen bewusst ist.

Für die gegenwärtige Situation wird es keine soziale Lösung geben.Zuerst, weil die verswommene Anhäufung von Milieus, Instituti-onen und individuellen Blasen, die ironiserweise als »Gesellsa«

 bezeinet wird, keine Konsistenz hat, des Weiteren, weil keine Spraemehr für die gemeinsame Erfahrung existiert. Und Reitümer können

nit geteilt werden, wenn man keine Sprae teilt. Es bedure eineshalben Jahrhundert des Kampfes um die Aulärung, um die Franzö-sise Revolution zu ermöglien, und ein Jahrhundert von Kämpfenum die Arbeit, um den furterregenden Wohlfahrtsstaat hervorzubrin-gen. Die Kämpfe saen die Sprae, in der si die neue Ordnungausdrüt. Anders heute. Europa ist ein Kontinent, der pleitegegangenist, der im Geheimen bei Lidl einkau und der Billigüge nutzt, um

2 antirassistise Organisation3 Gesetz des Sweigens der Maa4 Niederslagung der Pariser Kommune

- Aus welcher Sicht...

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überhaupt no reisen zu können. Keines der in der sozialen Spraeformulierten »Probleme« führt darin zu einer Lösung. Die Fragen der»Renten«, jene der »Prekarität«, der »Jugendlien« und ihrer »Gewalt«können nur in der Swebe bleiben, während jene Gewalt, die immer

verblüender zur Tat übergeht, mit polizeilien Maßnahmen verwal-tet wird. Es wird si nit besönigen lassen, den Hintern von altenLeuten zum Spopreis zu wisen, die von den Ihren verlassen wurdenund nits zu sagen haben. Diejenigen, wele auf kriminellem Wegeweniger Erniedrigung und mehr Prot gefunden haben als in der Arbeitals Reinigungskra, werden ihre Waen nit streen. Das Gefängniswird ihnen nit die Liebe zur Gesellsa eintritern. Die auf Genußabgehenden Horden von Rentnern werden die drastisen Kürzungenihres monatlien Einkommens nit auf den Knien hinnehmen undsi nur no mehr aufregen, dass eine breite Fraktion der Jugend dieArbeit verweigert. Wieso sließli sollte ein Grundeinkommen, ge-währt na einem Beinahe-Aufruhr, den Grundstein für einen neuenNew Deal, einen neuen Pakt, einen neuen Frieden legen. Dafür ist vomsozialen Empnden zu viel verdamp.

Als Lösung wird si der Dru, dass nits passiert, und mit ihm audas polizeilie Raster des Territoriums stetig verstärken. Die Drone,

die laut eigenem Eingeständnis der Polizei am letzten 14. Juli5

Seine-Saint-Denis überog, zeinet die Zukun in viel deutlieren Farbenals der humanistise Dunst. Dass man si die Mühe gemat hat zupräzisieren, dass sie nit bewanet war, zeigt ziemli deutli, aufwelem Weg wir uns benden. Das Territorium wird in immer diterabgeriegelte Zonen zerstüelt werden. Autobahnen, die am Rand eines»Problemviertels« gebaut werden, bilden eine unsitbare Mauer, um esganz und gar von den Reihenhäusern abzutrennen. Was au immer dieguten republikanisen Seelen darüber denken mögen, das Verwalten

von Stadeilen »dur Communities« ist bekanntli am ezientesten.Die rein metropolitanen Stüe des Territoriums, die witigsten Stadt-zentren, werden in einer immer hinterhältigeren, immer ausgefeilteren,immer eklatanteren Dekonstruktion ihr Luxusleben führen. Mit ihremBordelllit werden sie den ganzen Planeten beleuten, während diePatrouillen der BAC6 , begleitet von privaten Sierheitsdiensten, kurz:die Milizen, si unendli vervielfaen und dabei eine immer unver-sämtere Deung dur die Justiz genießen werden.

5 14. Juli 20076 »Brigade Anti Criminalité«, städtise Einheit der Polizei

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Die Sagasse der Gegenwart, überall wahrnehmbar, wird überall ge-leugnet. No nie haben so viele Psyologen, Soziologen und Literatensi damit besäigt, jeder in seinem speziellen Jargon, in dem dieSlussfolgerung auf spezielle Art abwesend ist. Es reit aus, si die

Lieder der Epoe anzuhören, die Snulzen des »neuen französisenChanson«, in welen das Kleinbürgertum seine seelisen Zuständeseziert, und die Kriegserklärungen von Maa K‘1Fry7  , um zu wissen,dass die Koexistenz bald auören wird, dass eine Entseidung naht.

Dieses Bu ist mit dem Namen eines imaginären Kollektivs unterzei-

net. Seine Redakteure sind nit seine Autoren. Sie haben si damit zu-frieden gegeben, ein bissen Ordnung in die versiedenen Allgemein-plätze dieser Epoe zu bringen, in das, was an den Tisen der Bars,was hinter verslossenen Slafzimmertüren gemurmelt wird. Sie ha-

 ben nur die nötigen Wahrheiten xiert, deren universelle Verdrängungdie psyiatrisen Kliniken und die Blie mit Smerz füllt. Sie habensi zu den Sreibern der Situation gemat. Es ist das Privileg derradikalen Umstände, dass die Ritigkeit in logiser Konsequenz zurRevolution führt. Es reit aus, das zu benennen, was einem unter dieAugen kommt, und dabei nit der Slussfolgerung auszuweien.

7 französise Hip-Hop-Gruppe

- Aus welcher Sicht...

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Erster Kreis

»I AM WHAT I AM«

»I AM WHAT I AM.« Das ist die letzte Opfergabe des Marketing andie Welt, das letzte Entwilungsstadium der Werbung, und vor, weitvor all den Mahnungen, anders zu sein, man selbst zu sein, und Pepsizu trinken. Jahrzehnte von Konzepten, um dort anzukommen, bei derreinen Tautologie. ICH = ICH. Er rennt auf einem Lauand vor demSpiegel in seinem Fitnesscenter. Sie fährt am Steuer ihres Smart von derArbeit na Hause zurü. Werden sie si treen?»ICH BIN WAS ICH BIN.« Mein Körper gehört mir. I bin I, Du bistDu und es geht slet. Die Personalisierung der Masse. Die Individu-alisierung aller Bedingungen – des Lebens, der Arbeit, des Unglüs.Diuse Sizophrenie. Sleiende Depression. Atomisierung in feineparanoide Partikel. Hysterisierung des Kontakts. Je mehr i I seinwill, desto mehr habe i das Gefühl einer Leere. Je mehr i mi aus-

drüe, desto mehr trone i aus. Je mehr i hinter mir herlaufe, de-sto ersöper bin i. I betreibe, du betreibst, wir betreiben unserI wie einen gesäigen Salter. Wir sind die Vertreter unserer selbstgeworden – dieser seltsame Handel, die Garanten einer Personalisie-rung, die letzten Endes einer Amputation ähnelt. In mehr oder wenigerversteter Unbeholfenheit saen wir es zum Bankro.Bis es soweit ist, verwalte i, kriege i es hin. Die Sue na siselbst, mein Blog, meine Wohnung, der letzte angesagte Seiß, die Pär-engesiten, die Aairen... was es an Prothesen braut, um ein I

zusammenzuhalten! Wäre »die Gesellsa« nit zu dieser denitivenAbstraktion geworden, würde sie die ganzen existentiellen Krüen bezeinen, die mir gereit werden, damit i mi weitersleppenkann, die ganzen Abhängigkeiten, die i um den Preis meiner Identitäteingegangen bin. Der Behinderte ist das Vorbild der kommenden Bür-gerlikeit. Es ist nit ohne jede Vorahnung, dass die Vereine, die ihnausbeuten, ein existenzsierndes Grundeinkommen für ihn fordern.

Die allgegenwärtige Anordnung, »jemand zu sein«, erhält den pa-

thologisen Zustand, der diese Gesellsa notwendig mat. Die

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Anordnung, stark zu sein, erzeugt die Swäe, dur die sie si er-hält, so dass alles einen therapeutisen Aspekt zu bekommen seint,sogar arbeiten, sogar lieben. All die »Wie geht‘s?«, die jeden Tag ausge-taust werden, lassen ans Fiebermessen denken, wodur die einen

den anderen die Patientengesellsa aufzwingen. Gesellsalikeit besteht heute aus tausend kleinen Nisen, aus tausend kleinen Unter-slüpfen, in denen man si warm hält. Wo es immer besser ist alsdraußen in der großen Kälte. Wo alles fals ist, weil alles nur ein Vor-wand ist, um si aufzuwärmen. Wo nits entstehen kann, weil mandort taub wird beim gemeinsamen Sloern. Diese Gesellsa wird

 bald nur no dur die Spannung zwisen allen sozialen Atomen inRitung einer illusorisen Heilung zusammengehalten. Sie ist einWerk, das seine Kra aus einem gigantisen Staudamm von Tränenzieht, der ständig kurz vor dem Überlaufen ist.

»I AM WHAT I AM.« Niemals hae eine Herrsa ein unverdä-

tigeres Moo gefunden. Das Erhalten des I in einem Zustand perma-nenten Halb-Verfalls, roniser Halb-Ohnmat ist das bestgehüteteGeheimnis der aktuellen Ordnung der Dinge. Das swae, depri-mierte, selbstkritise, virtuelle I ist im Wesentlien dieses unendlianpassbare Subjekt, das von einer Produktion gefordert wird, die auf

Innovation beruht, auf dem besleunigten Veralten der Tenologien,dem stetigen Umbru der sozialen Normen und der verallgemeinertenFlexibilität. Es ist gleizeitig der gefräßigste Konsument und, para-doxerweise, das produktivste I, weles si mit einem Maximum anEnergie und Gier auf das kleinste Projekt stürzt, um später wieder inseinen larvenartigen Originalzustand zurüzukehren.

»DAS, WAS ICH BIN«, ja und? Von Kindheit an durdrungen vonFlüssen von Mil, Gerüen, Gesiten, Klängen, Aektionen, Rei-

men, Substanzen, Gesten, Ideen, Eindrüen, Blien, Gesängen undFressen. Was i bin? Von allen Seiten gebunden an Orte, Leiden, Ah-nen, Freunde, Liebsaen, Ereignisse, Spraen, Erinnerungen, anDinge aller Art, die mit aller Oenkundigkeit nit I sind. Alles, wasmi an die Welt bindet, alle Verbindungen, die mi ausmaen, alleKräe, die mir innewohnen, verstrien si nit zu einer Identität,die zur Sau zu stellen wir aufgefordert werden, sondern zu einer Exi-stenz: einzigartig, gemeinsali, lebendig, aus der stellenweise, imMoment, dieses Wesen aufsteigt, das »i« sagt. Unser Gefühl der In-

konsistenz ist nur eine Auswirkung dieses dummen Glaubens an die

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Permanenz des I, und der wenigen Sorgfalt, die wir dem entgegen- bringen, was uns ausmat.Es mat swindelig, das »I AM WHAT I AM« von Reebok an einemWolkenkratzer von Sanghai thronen zu sehen. Das Abendland rüt

überall vor wie sein bevorzugtes trojanises Pferd, diese tödlie Anti-nomie zwisen dem I und der Welt, dem Individuum und der Grup-pe, der Verbundenheit und der Freiheit. Die Freiheit ist nit die Geste,uns von unseren Verbundenheiten loszulösen, sondern die praktiseFähigkeit, auf sie einzuwirken, si in ihnen zu bewegen, sie zu ersaf-fen oder zu durtrennen. Die Familie existiert nur für denjenigen alsFamilie, das heißt als Hölle, der darauf verzitet hat, ihre Meanis-men zu verderben, die uns swasinnig maen, oder der nit weißwie. Die Freiheit si loszureißen war son immer das Gespenst derFreiheit. Wir entledigen uns nit von dem, was uns fesselt, ohne glei-

zeitig das zu verlieren, worauf si unsere Kräe ausüben könnten.»I AM WHAT I AM«, also, keine bloße Lüge, keine bloße Werbekampa-gne, sondern ein Feldzug, ein Kriegssrei, geritet gegen alles, was eszwisen den Wesen gibt, gegen alles, was ununterseidbar zirkuliert,alles, was sie unsitbar miteinander verbindet, alles, was die perfekteVerwüstung hindert, gegen alles, was bewirkt, dass wir existieren unddass die Welt nit überall wie eine Autobahn aussieht, wie ein Vergnü-

gungspark oder eine Trabantenstadt: pure Langeweile, ohne Leiden-sa und wohl geordnet, leerer Raum, eiskalt, nur no durquertvon registrierten Körpern, automobilen Molekülen und idealen Waren.Frankrei ist nit das Vaterland der Anxiolytika, das Paradies der An-tidepressiva und das Mekka der Neurose, ohne gleizeitig Europamei-ster der Stundenproduktivität zu sein. Die Krankheit, die Müdigkeit,die Depression können als individuelle Symptome dessen wahrgenom-

men werden, was geheilt werden muss. Sie arbeiten also am Erhalt derexistierenden Ordnung, an meiner folgsamen Anpassung an dumme

Normen, an der Modernisierung meiner Krüen. Sie umfassen dieSelektion der opportunen, konformen und produktiven Neigungen inmir, von jenen, die brav zu betrauern sind. »Man muss si verändernkönnen, weißt du.« Werden sie aber als Fakten angenommen, könnenmeine Störungen au zur Zerslagung der Hypothese des I füh-ren. Sie werden also zu Akten des Widerstandes im laufenden Krieg.Sie werden zur Rebellion und zum Energiezentrum gegen alles, wassi verswört, uns zu normalisieren, uns zu amputieren. Es ist nitdas I, was bei uns in der Krise ist, sondern die Form, die man uns

aufzuzwingen versut. Es sollen wohl abgegrenzte, wohl getrennte

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Is aus uns gemat werden, zuordenbar und zählbar na Qualitäten,kurz: kontrollierbar; während wir Kreaturen unter Kreaturen sind, Ein-zigartigkeiten unter unseresgleien, lebendiges Fleis, weles dasGewebe der Welt bildet. Entgegen dem, was uns seit der Kindheit im-

mer wieder erzählt wird, besteht Intelligenz nit darin, si anpassenzu können – oder wenn das eine Intelligenz ist, dann die der Sklaven.Unsere Unfähigkeit zur Anpassung und unsere Müdigkeit sind keineProbleme, außer aus der Sit dessen, was uns unterwerfen will. Viel-mehr deuten sie auf einen Ausgangspunkt, einen Verbindungspunktfür neue Komplizensaen. Sie erönen den Bli auf eine no vielverfallenere, aber unendli viel teilbarere Landsa als all die Trug-

 bilder, die diese Gesellsa von si selbst bereithält.Wir sind nit deprimiert, wir streiken. Wer si weigert, si zu ver-walten, für den ist die »Depression« kein Zustand, sondern ein Über-gang, ein Auf-Wiedersehen, ein Sri zur Seite hin zur Auündigungeiner politisen Zugehörigkeit. Davon ausgehend gibt es keine andereSlitung als die medikamentöse und die polizeilie. Genau deswe-gen seut si diese Gesellsa nit, ihren zu lebhaen Kindern Ri-talin aufzuzwingen, zu jeder Gelegenheit Laueinen pharmazeutiserAbhängigkeiten zu eten, und vorzugeben, son bei Dreährigen»Verhaltensstörungen« festzustellen. Weil die Hypothese des I über-

all Risse bekommt.

- Erster Kreis

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Zweiter Kreis

»Unterhaltung ist ein Grundbedürfnis«

Eine Regierung, die den Notstand über 15jährige verhängt. Ein Land,das sein Heil in die Hände einer Fußballmannsa legt. Ein Bulle ineinem Krankenhausbe, der klagt, zum Opfer von »Gewalt« gewor-den zu sein. Ein Präfekt, der eine Verordnung erlässt gegen jene, diesi Häuser in Bäumen bauen. Zwei Kinder im Alter von 10 Jahren ausChelles, die der Brandstiung an einer Ludothek8 besuldigt werden.Diese Epoe zeinet si dur eine gewisse Groteske der Situationaus, der sie si jedes Mal zu entziehen seint. Dazu muss man sagen,dass die Medialen keine Mühen seuen, mit ihrer Tonlage der Klageund Entrüstung das sallende Geläter zu erstien, das sole Neu-igkeiten eigentli begleiten sollte.Eine Explosion sallenden Geläters ist die angemessene Antwortauf all die ernsten »Fragen«, die es der Tagessau zu stellen gefällt.

Angefangen mit der abgedrosensten: Es gibt keine »Frage der Immi-gration«. Wer wäst no da auf, wo er geboren wurde? Wer wohntda, wo er aufgewasen ist? Wer arbeitet da, wo er wohnt? Wer wohntdort, wo seine Vorfahren gelebt haben? Und von wem sind die Kinderdieser Epoe, vom Fernsehen oder von ihren Eltern? Die Wahrheit ist,dass wir massenha aus jeder Zugehörigkeit gerissen wurden, dass wirvon nirgendwo mehr herkommen, und dass si daraus, gleizeitigmit einer ungewöhnlien Neigung zum Tourismus, ein nit zu leug-nendes Leiden ergibt. Unsere Gesite ist jene der Kolonisierungen,

der Migrationen, Kriege, Exile, der Zerstörung sämtlier Verwurze-lungen. Es ist die Gesite all dessen, was uns zu Fremden in dieserWelt gemat hat, zu Gästen in unserer eigenen Familie. Wir wurdenunserer Sprae enteignet dur die Sule, unserer Lieder dur dieHitparade, unseres Fleises dur die Massenpornographie, unsererStadt dur die Polizei, unserer Freunde dur die Lohnarbeit. Dazukommt in Frankrei die erbarmungslose, jahrhundertelange Arbeitder Staatsmat an der Individualisierung, die ihre Untertanen vom

 jüngsten Alter an verzeinet, vergleit, diszipliniert und trennt, die

8 Einritung, wo Spiele Kindern zur Verfügung gestellt werden

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aus Instinkt jeglie Solidaritäten, die si ihr entziehen, zermalmt, bisnur no die Staatsbürgersa bleibt, die reine, eingebildete Zugehö-rigkeit zur Republik. Der Franzose ist mehr als alle andern der Enteig-nete, der Elende. Sein Hass auf die Ausländer mist si unter seinen

Hass auf si als Fremden. Seine Eifersut, gemist mit dem Entsetzenüber die »Banlieues«, drüt nur sein Ressentiment aus, über all das,was er verloren hat. Er kann es si nit verkneifen, diese sogenanntenStadeile der »Verbannung« zu beneiden. Stadeile, in denen no ein

  bißen gemeinsalies Leben besteht, etwas Verbundenheit zwi-sen den Mensen, ein paar nitstaatlie Solidaritäten, eine infor-melle Ökonomie, eine Organisation, die no nit von denen getrenntist, die sie organisieren. Wir sind an einem Punkt des Verlusts ange-langt, an dem die einzige Art und Weise, si als Franzose zu fühlen, ist,Immigranten zu besimpfen, diejenigen, die sitbarer Fremde sind alsi. Die Immigranten haben in diesem Land eine seltsame Position derSouveränität: Wären sie nit da, würden die Franzosen vielleit nitmehr existieren.

Frankrei ist ein Produkt seiner Sule, und nit umgekehrt. Wirleben in einem übermäßig versulten Land, wo man si an das Be-stehen des Abiturs als einen prägenden Moment des Lebens erinnert.

Wo Rentner vierzig Jahre später no von ihrem Durfallen in dieseroder jener Prüfung erzählen und davon, wie dies ihre ganze Karriere,und ihr ganzes Leben belastet hat. Seit eineinhalb Jahrhunderten hatdie Sule der Republik eine Art verstaatliter Subjektivitäten gebil-det, die unter allen anderen erkennbar sind. Leute, wele die Selek-tion und den Webewerb unter der Bedingung akzeptieren, dass dieChancen glei verteilt sind. Die vom Leben erwarten, dass jeder wiein einem Webewerb belohnt wird, na seinem Verdienst. Die immerum Erlaubnis fragen, bevor sie etwas nehmen. Die ganz still die Kultur,

die Regeln und die Klassenbesten respektieren. Selbst ihre Verbunden-heit mit ihren großen kritisen Intellektuellen und ihre Ablehnung desKapitalismus sind von dieser Liebe zur Sule geprägt. Diese staatlieKonstruktion der Subjektivitäten ist es, wele unter der Last der De-kadenz der sulisen Institution Tag für Tag mehr zusammenbrit.Das Wiederauauen der Sule in den letzten 20 Jahren sowie derStraßenkultur in Konkurrenz zur Sule der Republik und ihrer Papp-kultur ist das tiefste Trauma, das der französise Universalismus ak-tuell erleidet. An diesem Punkt versöhnt si die extremste Rete im

Voraus mit der giigsten Linken. Allein son der Name Jules Ferry,Minister von Thiers während der Zerslagung der Pariser Kommune

- Zweiter Kreis

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zu werden, sowie zum Verzit auf die Ernsthaigkeit, die son in derKindheit stet, unter dem Vorwand, dass man uns hat aufwasen se-hen. Vor diesem Zerfressen-werden müssen wir uns bewahren.Das Paar ist wie die letzte Stufe des großen, gesellsalien Debakels.

Es ist die Oase in der Mie der menslien Wüste. In ihm wird unterdem heiligen Sutz »des Intimen« all das gesut, was so oenkundigalle zwisenmenslien Beziehungen heutzutage verlassen hat: dieWärme, die Einfaheit, die Wahrheit, ein Leben ohne Theater und Zu-sauer. Aber ist der Liebestaumel vorbei, dann lässt die »Intimität« dieHosen runter: Sie ist selbst eine soziale Erndung, sie sprit die Spra-e der Frauenzeitsrien und der Psyologie, sie ist wie der Rest biszum Erbreen voll mit Strategien. Es gibt darin nit mehr Wahrheitals irgendwo sonst, denn au hier herrsen die Lüge und die Gesetzeder Fremdhaigkeit. Und wird sie darin gefunden, glülierweise,diese Wahrheit, dann ru sie ein Teilen hervor, das der Form des Paaresselbst widersprit. Denn das, wodur die Mensen si lieben, kannau das sein, was sie liebenswert mat, und was jede Utopie des Au-tismus zu zweit zerstört.In Wirklikeit ist die Zersetzung aller gesellsalien Formen einGlüsfall. Sie ist für uns die ideale Bedingung für ein wildes Massen-

experiment, in neuen Zusammensetzungen, mit neuen Treuen. Die so-

genannte »elterlie Vernalässigung« hat uns eine Konfrontation mitder Welt aufgenötigt, die in uns eine frühreife Hellsitigkeit erzwun-gen hat, und ein paar söne Revolten erahnen lässt. Im Tod des Paaressehen wir verwirrende Formen kollektiver Aektivität aufsteigen, jetzt,wo der Sex bis zum Versleiß abgerieben ist, wo Männlikeit undWeiblikeit zu moenzerfressenen Kostümen verkommen sind, wodrei Jahrzehnte fortgesetzter pornographiser Innovationen jeden Reizan der Übersreitung und der Befreiung genommen haben. Aus dem,was es an Unbedingtem in verwandtsalien Verbindungen gibt,

 beabsitigen wir das Gerüst für eine politise Solidarität zu erriten,die für den staatlien Zugri so undurdringbar ist wie ein Zigeu-nerlager. Sogar in den endlosen Subventionen, die viele Eltern ihremproletarisierten Nawus zu zahlen gezwungen sind, gibt es nits,was nit zu einer Art Mäzenentum für die soziale Subversion werdenkönnte. »Autonom werden« könnte au gut heißen: lernen, auf derStraße zu kämpfen, si leere Häuser zu nehmen, nit zu arbeiten, siwie verrüt zu lieben und in den Supermärkten zu klauen.

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Drier Kreis

»Das Leben, die Gesundheit und die Liebe sind prekär, wieso sollte sidie Arbeit diesem Gesetz entziehen?«

Es gibt in Frankrei keine verworrenere Frage als die der Arbeit, esgibt keine verdrehtere Beziehung als die der Franzosen zur Arbeit. Gehtna Andalusien, Algerien oder Neapel. Dort veratet man die Arbeitim Grunde. Geht na Deutsland, in die USA oder na Japan. Dortwird die Arbeit verehrt. Die Dinge ändern si, das ist wahr. Es gibtsehr wohl au Otaku in Japan, Glülie Arbeitslose in Deutslandund Workaholics in Andalusien. Aber die sind zur Zeit nur Kuriositäten.In Frankrei reißt man si Arme und Beine aus, um in der Hierar-ie aufzusteigen, aber im Privaten rühmt man si, nits zu tun. Man

 bleibt bis um zehn Uhr abends auf der Arbeit, wenn man überfordertist, aber man hat keine Skrupel, dort Büromaterial zu klauen oder si

 bei den Waren im Lager zu bedienen und diese bei Gelegenheit zu ver-kaufen. Man hasst die Chefs, will aber um jeden Preis Angestellter sein.

Eine Arbeit zu haben ist eine Ehre und arbeiten ein Zeien der Unter-würgkeit. Kurz: das perfekte Krankheitsbild der Hysterie. Man liebt,indem man hasst, und man hasst, indem man liebt. Und jeder weiß,wele Verblüung und Verwirrung den Hysterisen slägt, wenner sein Opfer, seinen Herrn verliert. In den meisten Fällen erholt er sidavon nie wieder.In diesem grundlegend politisen Land, das Frankrei ist, war die in-dustrielle Mat stets der staatlien unterworfen. Die wirtsalienAktivitäten waren niemals ohne die argwöhnis rahmende Betreu-

ung einer kleinlien Verwaltung. Die großen Chefs, die nit vomstaatlien Adel à la École Polytenique oder ENA13 stammen, sinddie Paria der Gesäswelt, wo zugegeben wird, hinter der Kulisse,dass sie ein bissen Mitleid erregen. Bernard Tapie14 ist ihr tragiserHeld: an einem Tag vergöert, am nästen Tag im Knast, immer un-berührbar. Dass er jetzt auf der Bühne steht, hat nits Erstaunlies.Indem das französise Publikum ihn bewundert, wie man ein Monster

13 Elitesulen, die alle witigen Staatsfunktionäre, PolitikerInnen und Wirtsase-

liten durlaufen14 französiser Gesäsmann und Sauspieler mit zweifelhaem Ruf

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 bewundert, hält es siere Distanz, dur das Spektakel einer so faszi-nierenden Rulosigkeit sützt es si vor dem Kontakt. Trotz demgrossen Blu der 1980er Jahre hat in Frankrei der Kult des Unternehmensnie Fuss gefasst. Wer immer ein Bu sreibt, um ihn zu verunglimpfen,

ist si eines Bestsellers sier. Die Manager mit ihren Sien und ihrerLiteratur können si zwar in der Öentlikeit präsentieren, es umgibtsie aber ein Sperrgürtel aus Gekier, ein Ozean aus Veratung, einMeer aus Sarkasmus. Der Unternehmer gehört nit zur Familie. In derHierarie des Abseus wird ihm der Bulle vorgezogen. Beamter zusein bleibt, gegen Wind und Weer, gegen Golden Boys und Privatisie-rung, na allgemeinem Verständnis die Denition  guter Arbeit. Mankann den Reitum derjenigen beneiden, die keine sind, um ihre Stellen

 beneidet man sie nit.Vor dem Hintergrund dieser Neurose können die aufeinander fol-genden Regierungen no immer der Arbeitslosigkeit den Krieg erklä-ren und vorgeben, si die »Slat um die Besäigung« zu liefern,während Ex-Führungskräe mit ihren Handies in den Zelten der Méde-cins du monde15 am Ufer der Seine campen. Während es den massivenStreiungen der ANPE16 und allen statistisen Tris nit gelingt, dieZahl der Arbeitslosen unter zwei Millionen zu senken. Während dasRMI17 und die kleinen Gaunereien selbst na der Meinung der Na-

ritendienste die einzigen Faktoren sind, die vor einer sozialen Explo-sion sützen, die zu jedem Moment mögli ist. Die psyise Öko-nomie der Franzosen genauso wie die politise Stabilität des Landesist es, wele bei der Aufreterhaltung dieser arbeiterisen Fiktionauf dem Spiel stehen.Mit Verlaub, das ist uns seissegal.Wir gehören einer Generation an, die sehr gut ohne diese Fiktion lebt.Die no nie auf die Rente oder das Arbeitsret und son gar nitauf das Ret auf Arbeit gezählt hat. Die nit einmal prekär ist, wie es

die fortsrilisten Fraktionen des linken Aktivismus gerne theoreti-sieren. Weil prekär sein no immer heißt, si in Bezug auf die Sphäreder Arbeit zu denieren, in diesem Fall: in Bezug auf ihren Zerfall. Wiranerkennen die Notwendigkeit, Geld zu nden, mit welen Mielnau immer, denn es ist zur Zeit unmögli, darauf zu verziten. Wiranerkennen nit die Notwendigkeit der Arbeit. Außerdem arbeitenwir nit mehr: wir jobben. Das Unternehmen ist kein Ort, an dem wir

15 internationale humanitäre Hilfsorganisation16 »Agence Nationale Pour l‘Emploi«, Agentur für Arbeit17 »Revenu Minimum d‘Insertion«, Fürsorgezahlungen

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existieren, es ist ein Ort, den wir durqueren. Wir sind nit zynis,wir seuen nur, uns missbrauen zu lassen. Der Diskurs der Motivati-on, der Qualität und des persönlien Einbringens perlt zur großen Ver-zweiung aller Verwalter des Humankapitals an uns ab. Man sagt, wir

seien von den Unternehmen enäust, dass diese die Loyalität unsererEltern nit honoriert häen, sie häen sie zu snell entlassen. Manlügt. Um enäust zu werden, muss man einst geho haben. Und wirhaben uns von den Unternehmen nie etwas erho: wir sehen sie alsdas, was sie sind und was zu sein sie nie aufgehört haben, ein doppeltesSpiel mit weselhaem Komfort. Wir bedauern vor allem unsere El-tern, dass sie in diese Falle getappt sind, die zwei zumindest, die darangeglaubt haben.Die sentimentale Verwirrung um die Frage der Arbeit lässt si folgen-dermaßen erklären: Der Begri der Arbeit umfasste son immer zweigegensätzlie Dimensionen: Eine Dimension der Ausbeutung und eineDimension der Teilnahme. Ausbeutung der Arbeitskra, individuell undkollektiv, dur die Aneignung des Mehrwerts, privat oder sozial; Teil-nahme an einem gemeinsamen Werk dur die Verbindungen, die sizwisen denen knüpfen, die im Universum der Produktion kooperie-ren. Im Begri der Arbeit sind diese zwei Dimensionen pervers verwor-ren, was im Grunde die Gleigültigkeit erklärt, mit der die Arbeiter der

marxistisen Rhetorik, wele die Dimension der Teilnahme leugnet,ebenso begegnen wie der Rhetorik der Manager, wele die Dimensionder Ausbeutung leugnet. Daher au die Ambivalenz des Verhältnisseszur Arbeit, zuglei verabseut, weil sie uns von dem entfremdet, waswir tun, und verehrt, da si ein Teil von uns selbst darin abspielt. DasDesaster ist dabei vorbedingt: es besteht in allem, das es zu zerstörengalt, in all denjenigen, die es zu entwurzeln galt, damit die Arbeit letz-ten Endes als einzige Art zu existieren ersien. Der Horror der Arbeitliegt weniger in der Arbeit selbst als in der methodisen Verwüstung,

seit Jahrzehnten, all dessen, was sie nit ist: Vertrautheiten des Stadt-teils, des Berufs, des Dorfes, des Kampfes, der Verwandtsa, die Ver- bundenheit mit Orten, mit Lebewesen, mit Jahreszeiten, mit der Art undWeise zu handeln und zu spreen.Hierin besteht das aktuelle Paradox: Die Arbeit hat restlos über alle an-deren Formen der Existenz triumphiert, genau zu der Zeit, in der dieArbeiter überüssig geworden sind. Die Steigerungen der Produktivi-tät, die Auslagerung, die Meanisierung, die Automatisierung und dieDigitalisierung der Produktion sind derart fortgesrien, dass sie die

Menge an lebendiger, zur Herstellung der Ware benötigter Arbeit, auf

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 beinahe nits reduziert haben. Wir erleben das Paradox einer Gesell-sa von Arbeitern ohne Arbeit, in der die Ablenkung, der Konsum,das Vergnügen nur no den Mangel daran beklagen, wovon sie unseigentli ablenken sollten. Die Mine von Carmaux, die ein Jahrhundert

lang aufgrund ihrer gewalätigen Streiks Berühmtheit erlangte, wurdein den Cap Découverte umgerüstet. Es handelt si dabei um ein »mul-tiples Vergnügungszentrum«, wo Skateboard und Fahrrad gefahrenwird, und das si dur ein »Minenmuseum« auszeinet, wo für dieUrlauber Steinsläge simuliert werden.In den Unternehmen teilt si die Arbeit immer oensitlier in ho-

qualizierte Arbeitsplätze in Forsung, Entwilung, Kontrolle, Koor-dination und Kommunikation, im Zusammenhang mit dem Einbringendes notwendigen Wissens in die neuen kybernetisierten Produktions-prozesse, und in entqualizierte Arbeitsplätze zur Instandhaltung undÜberwaung dieser Prozesse.Erstere sind von geringer Zahl. Sehr gut bezahlt und dadur dermaßen

 begehrt, dass die Minderheit, die sie vereinnahmt, nit auf die Ideekäme, si au nur ein Krümelen davon entgehen zu lassen. Ihre Ar-

 beit und sie versmelzen in einer angsterfüllten Umklammerung eek-tiv zu Einem. Manager, Wissensaler, Lobbyisten, Forser, Program-

mierer, Entwiler, Berater und Ingenieure hören im wahrsten Sinne nie

auf zu arbeiten. Selbst ihre Fibeziehungen sollen ihre Produktivitätsteigern. »Die kreativsten Unternehmen sind zuglei diejenigen, in de-nen die Intimbeziehungen am zahlreisten sind«, theoretisiert ein Phi-losoph des Humankapitals18. »Die Mitarbeiter der Firma«, bestätigt derAbteilungsleiter Humankapital von Daimler Benz, »gehören zum Kapi-tal der Firma. […] Ihre Motivation, ihr Know-How, ihr Innovationsver-mögen und ihre Sorge darum, was die Kundsa verlangt, sind derRohsto für innovative Dienstleistungen. […] Ihr Verhalten, ihre sozialeund emotionale Kompetenz sind von zunehmender Bedeutung für die

Evaluation ihrer Arbeit. […] Diese wird nit mehr anhand der Zahl derAnwesenheitsstunden bewertet, sondern auf Basis der erreiten Zieleund der Qualität der Resultate. Sie sind Unternehmer.«Alle Aufgaben, die nit an die Automation delegiert werden konnten,

 bilden ein Nebelfeld von Arbeitsplätzen, die, weil nit dur Masi-nen besetzbar, mit irgendwelen Mensen zu besetzen sind – Hand-

langer, Lagerarbeiter, Fließbandarbeiter, Saisonarbeiter, etc.. Diese e-xible, undierenzierte Arbeitskra, die von einer Aufgabe zur nästenweselt und nie lange in einem Unternehmen bleibt, kann si nit

18 »DRH (Direction des Ressources Humaines)«, die Abteilung Humankapital.

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mehr zu einer Kra verditen. Dies, weil sie nie im Mielpunkt desProduktionsprozesses steht, sondern wie pulverisiert in einer Vielzahlvon Zwisenräumen damit besäigt ist, die Löer dessen zu stop-fen, was nit meanisiert wurde. Der Leiharbeiter ist die Figur dieses

Arbeiters, der keiner mehr ist, der keinen Beruf mehr hat, sondern Fä-higkeiten, die er bei seinen Einsätzen verkau, und deren Bereitstellungeine weitere Arbeit ist.Am Rande des Kerns dieser eektiven, für das reibungslose Funktio-nieren der Masine notwendigen Arbeitersa breitet si nunmehreine überzählig gewordene Mehrheit aus, die zwar dem Absatz der Pro-duktion dient, do kaum zu mehr, und die das Risiko birgt, dass sie inihrer Untätigkeit damit beginnt, die Masine zu sabotieren. Die Dro-hung einer generellen Demobilisierung ist das Gespenst, weles imgegenwärtigen Produktionssystem umgeht. Auf die Frage »Warum alsoarbeiten?« antworten nit alle wie diese ehemalige Sozialhilfeempfän-gerin gegenüber der Libération19: »Für mein Wohlbenden. I musstemi besäigen«. Es besteht das ernsthae Risiko, dass wir letztendlidazu kommen, in unserer Untätigkeit eine Besäigung zu nden.Diese treibende Bevölkerung muss besäigt oder im Zaum gehaltenwerden. Denn bis heute wurde keine bessere Methode zur Disziplinie-rung gefunden als die Lohnarbeit. Deshalb muss der Abbau der »so-

zialen Errungensaen« weitergeführt werden, um die Widerspen-stigsten in den Soß der Lohnarbeit zu treiben, diejenigen, die si nurangesits der Alternative zwisen Sterben an Hunger und Verfaulenim Knast ergeben. Die Explosion des Sklavenhändlersektors der »Per-sonaldienstleistungen« muss weitergehen: Frauen in Putzjobs, Gastro-nomie, Massage, Haushaltshilfe, Prostitution, Pege, Privatunterrit,therapeutise Vergnügungen, psyologise Betreuung etc.. All dies

 begleitet von si stetig versärfenden Standards der Sierheit, derHygiene, des Benehmens und der Kultur, von einer Besleunigung der

Flütigkeit der Moden, die allein die Notwendigkeit soler Dienstlei-stungen siern. In Rouen haben die Parkuhren ihren Platz an »mens-

lie Parkuhren« abgetreten: Jemand, der si auf der Straße langweilt,stellt Ihnen einen Parksein aus und vermietet Ihnen, gegebenenfalls,

 bei sletem Weer einen Regensirm.

Die Ordnung der Arbeit war die Ordnung einer Welt. Die Oenkun-digkeit ihres Ruins slägt bereits die Idee davon, was alles darausfolgt, mit Lähmung. Arbeiten bezieht si heutzutage weniger auf die

19 Tageszeitung

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wirtsalie Notwendigkeit, Waren zu produzieren, als auf die poli-tise Notwendigkeit, Produzenten und Konsumenten zu produzieren,um mit allen Mieln die Ordnung der Arbeit zu reen. Si selbst zuproduzieren ist dabei, zur vorherrsenden Besäigung einer Gesell-

sa zu werden, in der die Produktion zwelos geworden ist: wie einTisler, dem seine Werksta enteignet wurde und der in seiner Ver-zweiung beginnt, si selbst zu hobeln. Daher das Spektakel all dieser

  jungen Mensen, die für ihr Vorstellungsgesprä läeln üben, diesi die Zähne für ihre Beförderung bleien, die in Clubs gehen, um denTeamgeist anzuregen, die Englis lernen, um ihre Karriere zu boosten,die si seiden lassen oder heiraten, um wieder in Gang zu kommen,die Theater-Workshops besuen, um Führungskräe zu werden, oderSulungen in »Persönlikeitsentwilung«, um »Konikte besser zumanagen« - »Die intimste ›Persönlikeitsentwilung‹«, behauptet ir-gendso ein Guru, »wird zu einer besseren emotionalen Stabilität führen,einer größeren Oenheit für Beziehungen, einer zielgeriteteren intel-lektuellen Sinnessärfe und damit zu einer verbesserten wirtsa-

lien Leistung.« Das Gewimmel dieser kleinen Welt, die ungeduldigdarauf wartet, ausgewählt zu werden, während sie trainiert natürlizu sein, enthüllt den Versu, die Ordnung der Arbeit dur eine Ethikder Mobilisierung zu reen. Mobilisiert zu sein heißt si auf die Arbeit

nit als Aktivität zu beziehen, sondern als Möglikeit.Wenn der Arbeitslose si seine Piercings entfernt, zum Friseur geht,und seine Projekte entwielt, ernstha »an seiner Besäigungsfähig-keit« arbeitet, wie man sagt, dann zeugt er dadur von seiner Mobi-lisierung. Die Mobilisierung ist dieses leite Ablösen von si selbst,dieses belanglose Ausreißen von dem, was uns ausmat, dieser Zu-stand der Fremdartigkeit, von dem aus das I als Objekt der Arbeitgehalten werden kann, aus dem heraus es mögli wird, si selbst zuverkaufen und nit seine Arbeitskra, si entlohnen zu lassen, nit

für das, was man tut, sondern für das, was man ist, für unsere exquisi-te Beherrsung sozialer Codes, unsere zwisenmenslien Talente,unser Läeln oder unsere Art zu präsentieren. Dies ist die neue Normder Sozialisierung. Die Mobilisierung führt die Fusion der zwei wider-sprülien Pole der Arbeit herbei: Hier nimmt man an seiner Ausbeu-tung teil und beutet jeglie Teilnahme aus. Man ist an si idealerweisesein kleines Unternehmen, sein eigener Chef und sein eigenes Produkt.Ob man arbeitet oder nit, es geht darum, die Kontakte, Kompetenzen,das »Netzwerk« auszubauen, kurz: das »Humankapital«. Die planetare

Anweisung, si beim geringsten Vorwand zu mobilisieren – der Krebs,

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der »Terrorismus«, ein Erdbeben, die Obdalosen – fasst die Entslos-senheit der herrsenden Mäte zusammen, die Herrsa der Arbeitüber ihr physises Verswinden hinaus aufret zu erhalten.Der gegenwärtige Produktionsapparat ist nun einerseits diese gigan-

tise Masine zur physisen und psyisen Mobilisierung, zumAbpumpen der Energie der überüssig gewordenen Mensen, undandererseits diese Sortiermasine, die den konformen Subjektivitätendas Überleben gewährt und all die »Risiko-Individuen« fallen lässt, all

  jene, die einen anderen Gebrau des Lebens verkörpern und ihr so-mit Widerstand leisten. So ru man einerseits die Gespenster ins Leben,und lässt andererseits die Lebendigen sterben. Dies ist die eigentliepolitise Funktion des gegenwärtigen Produktionsapparats.

Si darüber hinaus und gegen die Arbeit zu organisieren, kollektivvom Regime der Mobilisierung zu desertieren, der Existenz einer Vitali-tät und einer Disziplin in der Demobilisierung selbst Ausdru zu ver-leihen, ist ein Verbreen, das diese Zivilisation in äußerster Bedrängnisnit bereit ist uns zu vergeben; denn dies ist die einzige Art, sie zuüberleben.

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Vierter Kreis

»Einfaer, spaßiger, mobiler, sierer!«

Erzählt uns nits mehr von »der Stadt« und »dem Land«, und noweniger von ihrer althergebraten Opposition. Was si um uns he-rum ausbreitet, ähnelt dem weder von nah no von fern: Eine ein-zige urbane Swade ist es, ohne Form und Ordnung, eine trostloseZone, unbestimmt und unbegrenzt, ein weltweites Kontinuum vonmusealisierten Mega-Cities und Natursutzgebieten, von Hohaus-siedlungen und riesigen Agrarbetrieben, von industriellen Zonen undReihenhaussiedlungen, Landgasthöfen und Yuppie-Kneipen: die Me-tropole. Da war die antike Stadt, die mielalterlie Stadt oder die mo-derne Stadt; die metropolitane Stadt gibt es nit. Die Metropole strebtna der Synthese aller Territorien. In ihr lebt alles zusammen, wenigerim geographisen Sinn, als dur Verwebung ihrer Netzwerke.Gerade weil sie vollends am verswinden ist, wird die Stadt jetzt fe-tisisiert, als Gesite. Die Manufakturen von Lille werden zu Sä-

len für das Spektakel, das zubetonierte Stadtzentrum von Le Havre istWeltkulturerbe der Unesco. In Peking werden die Hutongs um die Ver- botene Stadt zerstört und als Imitationen wieder aufgebaut, etwas wei-ter weg, für die Neugierigen. In Troyes klebt man Fawerk-Fassadenauf Betonbauten. Eine Kunstform der Pastie, die einen zwangsläugan die Boutiquen viktorianisen Stils im Disneyland Paris erinnert. Diehistorisen Stadtzentren, einst Herd des Aufruhrs, nden brav ihrenPlatz im Organigramm der Metropole. Sie sind dem Tourismus unddem zur Sau gestellten Konsum preisgegeben. Sie sind die Inselen

der zauberhaen Warenwelt, die dur Messen, Ästhetik und au mitGewalt aufret erhalten werden. Die Abgesmatheiten der Weih-natsmärkte lassen si mit immer mehr Waleuten und Stadtpoli-zeistreifen bezahlen. Die Kontrolle fügt si wunderbar in die Welt derWaren ein und zeigt jedem, der es sehen will, ihr autoritäres Gesit.Trend der Epoe ist die Durmisung von fader Musik mit Teleskop-slagstöen und Zuerwae. Was sie an polizeilier Überwaung

 bedarf, diese Bezauberung!Dieser Gesma für das Authentise-in-Anführungszeien und

die damit einhergehende Kontrolle begleitet das »Kleinbürgertum« bei

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Es bleiben sehr wohl einige Fragmente der Stadt und einige Abfallpro-dukte des Landes in der metropolitanen Verwebung bestehen. Aberdas Lebendige hat sein Quartier in den Orten des totalen Ausslussesaufgeslagen. Das Paradox will, dass die augenseinli unbewohn-

 barsten Orte die einzigen no in irgendeiner Art und Weise bewohntensind. Eine alte besetzte Barae wird immer einen viel bewohnterenEindru maen als all diese steifen Apartments, wo man seine Möbelhinstellen und die Ausstaung perfektionieren kann, während man aufden nästen Umzug wartet. Die Slums sind in vielen Mega-Cities dieletzten lebendigen und lebenswerten Orte; aber au, was keine Über-rasung ist, die tödlisten. Sie sind die Rüseite des elektronisenBühnenbilds der Weltmetropole. Die Slafstädte der Banlieue nörd-li von Paris, verlassen von einem Kleinbürgertum auf der Jagd naTraumhäusern, wieder zum Leben erwat dur die Massenarbeitslo-sigkeit, strahlen nun viel intensiver als das „Quartier Latin“. Dur dieWorte genauso wie dur das Feuer.Die Brände vom November 2005 sind nit aus der extremen Enteig-nung geboren, wie es so o dahergeredet wurde, sondern aus dem voll-ständigen Besitz eines Territoriums. Man kann Autos aus Langeweileanzünden, aber um einen Aufstand über einen Monat zu verbreiten unddie Polizei dauerha in Sa zu halten, muss man si zu organisie-

ren wissen, man muss auf Komplizensaen zählen, das Territoriumperfekt kennen, eine Sprae teilen und einen gemeinsam Feind haben.Weder die Kilometer no die Woen konnten die Ausbreitung desFeuers verhindern. Den ersten Feuergluten wurde mit anderen geant-wortet, da, wo sie am wenigsten erwartet wurden. Das Geraune kannnit abgehört werden.

Die Metropole ist das Terrain eines unauörlien Konikts niedrigerIntensität, dessen Höhepunkte die Einnahme von Basra, Mogadisu

oder Nablus sind. Lange war die Stadt für die Militärs ein Ort, demes auszuweien oder den es zu belagern galt. Die Metropole ist selbstmit dem Krieg völlig kompatibel. Der bewanete Konikt ist nur einMoment ihrer permanenten Umgestaltung. Die von den Großmätengeslagenen Slaten ähneln der immer zu wiederholenden Polizei-arbeit in den swarzen Löern der Metropole - »ob in Burkina Faso,der Süd-Bronx, in Kamagasaki, in Chiapas oder in La Courneuve«. Die»Polizeieinsätze« zielen weder auf den Sieg, no darauf, Ordnung undFrieden wieder herzustellen, sondern auf das Fortsetzen einer Sier-

heitsunternehmung, die immer son am Werk ist. Der Krieg kann nit

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mehr isoliert werden in der Zeit, denn er teilt si auf in eine Reihe mi-litäriser und polizeilier Mikro-Operationen, um die Sierheit zugewährleisten.Die Polizei und das Militär passen si parallel zueinander Sri für

Sri an. Ein Kriminologe verlangt von der CRS, si in kleinen mobi-len und professionalisierten Einheiten zu organisieren. Die militäriseInstitution, Wiege der disziplinarisen Methoden, stellt ihre hierar-ise Organisation in Frage. Ein Ozier der NATO wendet auf seinGrenadier-Bataillon eine »partizipative Methode« an, »die jeden einzel-nen in Analyse, Vorbereitung, Ausführung und Evaluation einer Aktioneinbezieht. Tagelang wird der Plan wieder und wieder diskutiert, imVerlauf der Übung und na Erhalt der letzten Nariten. […] Es gibtnits Besseres als einen gemeinsam erarbeiteten Plan, um Motivationund Zielstrebigkeit zu fördern«.Die bewaneten Kräe passen si nit nur an die Metropole an, sie

 bilden sie au. So die israelisen Soldaten, die si seit der Slatum Nablus zu Innenaritekten maen. Von der palästinensisenGuerilla gezwungen, die Straßen zu verlassen, weil sie zu gefährlisind, lernen sie, wie man horizontal und vertikal innerhalb der urbanenBauwerke vorankommt, indem sie Mauern und Deen sprengen,um si zu bewegen. Ein Ozier der israelisen Verteidigungskräe

mit einem Diplom in Philosophie erklärt: »Der Feind interpretiert denRaum in klassiser und traditioneller Weise und i weigere mi, sei-ner Interpretation zu folgen und in seine Fallen zu tappen. […] I willihn überrasen! Hierin liegt die Essenz des Krieges. I muss gewin-nen. […] Deshalb habe i mir die Methode ausgesut, die mi dieMauern durqueren lässt... Wie ein Wurm, der si fortbewegt, indemer alles, was er auf dem Weg ndet, frisst.« Das Urbane ist mehr als dieBühne der Konfrontation, es ist ein Miel dafür. All dies nit ohne anBlanquis Tips zu erinnern, diesmal an die Partei des Aufstands, der den

zukünigen Aufständisen in Paris empfahl, die Häuser in den verbar-rikadierten Straßen zu besetzen, um ihre Positionen zu sützen, danndie Mauern zu durbreen, um sie zu verbinden, die Treppen im Erd-

gesoss zu zerstören und die Deen zu durlöern, um si gegebe-nenfalls gegen Angreifer zu verteidigen, die Türen herauszureißen, umdamit die Fenster zu verbarrikadieren und aus jedem Stowerk einenSützenposten zu maen.

Die Metropole ist nit nur diese urbanisierte Anhäufung, dieses -

nale Aufeinanderprallen zwisen der Stadt und dem Lande, sie ist

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gleiermaßen ein Fluss von Wesen und Dingen. Ein Strom, der durein ganzes Netzwerk aus Fiberglasleitungen, TGV-Linien, Satelliten undVideoüberwaungskameras ießt, damit diese Welt nie auört ihremUntergang hinterherzurennen. Ein Strom, der in seiner honungslosen

Mobilität alles mitreißen will, der jeden mobilisiert. Wo man von In-formationen wie von genau so vielen feindlien Kräen angegrienwird. Wo nits anderes bleibt, als zu rennen. Wo es swierig wird zuwarten, selbst auf die x-te U-Bahn.Die Vervielfältigung der Transport- und Kommunikationsmiel ent-reißt uns unablässig dem Hier und Jetzt, dur die Verführung, immerwoanders zu sein. Einen TGV, eine RER oder ein Telefon nehmen, um

 bereits dort zu sein. Diese Mobilität beinhaltet nur Zerrissenheit, Isola-tion und Exil. Sie wäre für jedermann unerträgli, wenn sie nit augleizeitig die Mobilität des privaten Raumes wäre, des tragbaren In-neren. Die private Blase platzt nit, sie beginnt zu treiben. Dies ist nitdas Ende des Cocooning, nur sein In-Bewegung-Setzen. Von einemBahnhof, einem Einkaufszentrum, einer Gesäsbank oder einem Ho-tel zum anderen; überall diese Befremdung, so banal, so bekannt, dasssie die letzte Vertrautheit ersetzt.

Die Üppigkeit der Metropole ist die zufallsbedingte Misung de-

nierter Stimmungen, in der Lage, si unendli wieder aufs Neue zu-sammenzusetzen. Dabei bieten si die Stadtzentren nit als identiseOrte an, sondern als eigenartige Angebote von Stimmungen, in denenwir uns bewegen, na Lust und Laune die eine auswählend, die an-dere verlassend, in einer Art existentiellem Shopping des Stils der Bar,der Leute, des Designs oder der playlist eines ipod. »Mit meinem MP3-Player bin i der Herr meiner Welt.« Die einzige Möglikeit, die um-

gebende Uniformität zu überleben, ist es, die eigene innere Welt unauf-hörli wieder herzustellen, wie ein Kind, das überall wieder die gleie

Hüe auaut. Wie Robinson, der sein Tante-Emma-Laden-Universumauf der einsamen Insel reproduziert, mit dem Untersied, dass unsereeinsame Insel die Zivilisation selbst ist, und dass Milliarden von unsunauörli dort landen.Eben weil sie diese Aritektur der Flüsse ist, ist die Metropole eineder verwundbarsten menslien Formationen, die jemals existierthat. Biegsam, subtil, aber verwundbar. Eine brutale Sließung derGrenzen aufgrund einer wütenden Epidemie, irgendein Mangel in derlebenswitigen Versorgung, eine organisierte Bloade der Kommuni-

kationswege, und das gesamte Bühnenbild brit zusammen, sa es

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nit mehr, die Szenen des Gemetzels zu verdeen, die es zu jeder Zeitheimsuen. Diese Welt wäre nit so snell, wenn sie nit stetig vonder Nähe ihres eigenen Zusammenbrus verfolgt würde.Ihre netzartige Struktur, all ihre tenologise Infrastruktur der Kno-

ten und Verbindungen, ihre dezentralisierte Aritektur möte dieMetropole vor den unvermeidlien Betriebsstörungen sützen. DasInternet muss einem nuklearen Angri standhalten. Die permanenteKontrolle der Flüsse von Informationen, Mensen und Waren mussdie metropolitane Mobilität siern, die Rüverfolgbarkeit, sierstel-len, dass niemals eine Palee im Warenbestand fehlt, dass niemals eingestohlener Geldsein auf dem Markt zu nden ist oder ein Terroristim Flugzeug. Dank einem RFID-Chip, einem biometrisen Pass, einerDNA-Datenbank.Aber die Metropole produziert au die Miel ihrer eigenen Zerstö-rung. Ein amerikaniser Sierheitsexperte erklärt die Niederlage imIrak mit der Fähigkeit der Guerilla, aus den neuen Kommunikations-methoden Prot zu slagen. Mit ihrer Invasion haben die USA wenigerdie Demokratie als die kybernetisen Netzwerke eingeführt. Mit si

 braten sie eine der Waen ihrer Niederlage. Die Vervielfaung derHandies und Internetzugänge haben die Guerilla mit neuartigen Mit-teln versorgt, si zu organisieren und si selbst so swer angreiar

zu maen. Jedes Netzwerk hat seine Swapunkte, Knoten, die aufgemat wer-den können, um die Zirkulation zu stoppen, um das Netz implodie-ren zu lassen. Der letzte große europäise Stromausfall hat es gezeigt:Ein Zwisenfall auf einer Hospannungsleitung reite, um einenGroßteil des Kontinents ins Dunkel zu stürzen. Die erste Geste, damitetwas mien in der Metropole hervorbreen kann, damit si andereMöglikeiten erönen, besteht darin ihr Perpetuum Mobile zu stoppen.Das ist es, was die thailändisen Rebellen verstanden haben, die Um-

spannwerke hogehen lassen. Das ist es, was die Anti-CPE21 verstan-den haben, die die Universitäten bloierten, um dann zu versuen,die Wirtsa zu bloieren. Das ist es au, was die im Oktober 2002streikenden amerikanisen Hafenarbeiter verstanden haben, die fürden Erhalt von 300 Arbeitsplätzen zehn Tage lang die witigsten Häfender West-Küste bloierten. Die amerikanise Wirtsa ist von den

21 Bewegung u.a. gegen die Einführung eines Arbeitsvertrages für Mensen unter 25 Jahren, diefristlose Kündigungen ohne jede Begründung innerhalb einer Probezeit von 2 Jahren vorsah. Das

CPE war Teil eines Maßnahmenpakets, das die Regierung in Reaktion auf die Revolte von 2005 erlas-sen wollte, das au eine Versärfung des Aufenthaltsrets beinhaltete. Das CPE wurde zurüge-slagen und führte zur Politisierung einer ganzen Generation.

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kontinuierlien Flüssen aus Asien derart abhängig, dass si die Ko-sten der Bloade auf eine Milliarde Euro am Tag beliefen. Mit zehntau-send Leuten kann man die größte Wirtsasmat ins Wanken brin-gen. Häe die Bewegung no einen Monat länger gedauert, wäre es

laut maner »Experten« zu »einer Rükehr der USA in die Rezessionund einem wirtsalien Albtraum für Süd-Ost-Asien« gekommen.

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Das, wovon wir reden, das sind all diese Länder, diese ganzen Kon-

tinente, die den wirtsalien Glauben verloren haben, da sie dieBoeings des IWF mit Kra und Verderben haben vorbeidonnern se-hen, weil sie ein bissen von der Weltbank probiert haben. Nits ist

dort zu erkennen von der Krise der Berufung, wele die Wirtsa imAbendland erdulden muss. Das, worum es in Guinea, in Russland, inArgentinien, in Bolivien geht, ist die gewaltsame und dauerhae Dis-kreditierung dieser Religion und ihres Klerus. »Was sind tausend Öko-nomen des IWF, die auf dem Meeresboden liegen? - Ein guter Anfang«,wird bei der Weltbank gespoet. Ein russiser Witz: Treen si zweiÖkonomen. Fragt einer den anderen: »Verstehst du, was passiert?« Ant-wortet der andere: »Warte, i erklär es dir.« - »Nein nein« widerspritder erste, »erklären ist nit swer, i bin au Ökonom. Was i difrage, ist: Verstehst du es?« Teile des Klerus selbst heueln, dass sieabtrünnig geworden wären und das Dogma kritisieren würden. Dieletzte no etwas lebendige Strömung der so genannten »Wirtsas-wissensa« - eine Strömung, die si ohne Witz »nit autistiseWirtsa« nennt – hat heute den Swerpunkt, die Anmaßungen, dieZaubertris, die gefälsten Zahlen einer Wissensa zu demontie-ren, deren einzig greiare Rolle darin besteht, die Monstranz vor denHirngespinsten der Mätigen herzutragen, ihre Aufrufe zur Unterwer-

fung mit ein bissen Zeremonie zu umgeben und endli, wie es dieReligionen immer gemat haben, Erklärungen zu liefern. Denn das all-gemeine Unglü wird unerträgli, sobald es als das erseint, was eswirkli ist: ohne Grund und Ursae.

Nirgendwo wird das Geld mehr respektiert, weder von denen, die eshaben, no von denen, denen es fehlt. Zwanzig Prozent der jungenDeutsen antworten, wenn man sie fragt, was sie später maen wol-len: »Künstler«. Die Arbeit wird nit mehr als Gegebenheit mens-

lien Daseins ausgehalten. Die Buführung der Firmen gibt zu, dasssie nit mehr weiß, wo der Wert entsteht. Sein sleter Ruf häeden Markt seit einem guten Jahrzehnt überwunden, wären da nit dieWut und die umfangreien Miel seiner Apologeten. Der Fortsriist überall im allgemeinen Verständnis zum Synonym von Desaster ge-worden. In der Welt der Wirtsa ütet alles, wie in der UdR inder Epoe von Andropov alles ütete. Wer si ein bissen mit denletzten Jahren der UdR auseinandergesetzt hat, wird in den ganzenAufrufen unserer Regierenden zum Voluntarismus, in all den lyrisen

Aussweifungen über eine Zukun, von der wir jede Spur verloren

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haben, in all diesen Glaubensbekenntnissen zur »Reform« von allemund irgendwas ohne Mühe das erste Knaen in der Struktur der Mau-er hören. Der Zusammenbru des Sozialistisen Blos hat nit denTriumph des Kapitalismus verankert, sondern nur das Seitern einer

seiner Formen bewiesen. Übrigens war die Tötung der UdR nit dieTat eines Volkes im Aufstand, sondern einer Nomenklatura in Umstruk-turierung. Indem sie das Ende des Sozialismus proklamierte, befreitesi eine Fraktion der herrsenden Klasse zunäst von allen anaro-nistisen Aufgaben, die sie mit dem Volk verbanden. Sie übernahm die

 private Kontrolle über das, was sie zuvor im Namen aller kontrollierte.»Da sie so tun, als würden sie uns bezahlen, tun wir so, als würden wirarbeiten«, wurde in den Fabriken gesagt. »Wenn dem so ist, hören wirauf, so zu tun« antwortete die Oligarie. Für die einen die Rohstoe,die industrielle Infrastruktur, der militäris-industrielle Komplex, dieBanken und die Natklubs und für die anderen das Elend oder dieEmigration. So wie man in der UdR unter Andropov nit mehr ge-glaubt hat, so glaubt man heute in Frankrei in den Sitzungssälen, inden Ateliers und in den Büros nit mehr. »Wie dem so ist!«, antwortendie Chefs und die Regierenden, die si nit mal mehr die Mühe ma-en, die »harten Gesetze der Wirtsa« zu mildern, die eine Fabriküber Nat räumen und der Belegsa am frühen Morgen die Slie-

ßung bekannt geben, die nit mehr zögern die Spezialeinsatzkomman-dos zu sien, um einen Streik zu beenden – wie beim Streik bei derkorsisen Sifahrtsgesellsa SNCM23 oder bei der Besetzung desPostverteilzentrums in Rennes. Die ganze mörderise Aktivität der ge-genwärtigen Mat besteht einerseits darin, diese Ruine zu verwalten,und andererseits die Basis für eine »Neue Wirtsa« zu legen.

Wir haen uns do ganz sön dran gewöhnt, an die Wirtsa. SeitGenerationen werden wir diszipliniert, befriedet, wurden aus uns Un-

tertanen gemat, auf natürlie Art produktiv, zufrieden mit dem Kon-sum. Und dann enthüllt si alles, das wir uns bemüht haen zu verges-sen: dass die Wirtsa eine Politik ist. Und dass diese Politik heute einePolitik der Selektion der Mensheit ist, die in ihrer Masse überüssiggeworden ist. Von Colbert zu De Gaulle und vorbei bei Napoléon III hatder Staat die Wirtsa immer als Politik wahrgenommen, nit weni-ger als die Bourgeoisie, die ihren Prot daraus zieht, und die Proletarier,

23 Staatlie, d.h. französise Gesellsa mit Monopol auf den Passagierverkehr zwi-

sen Frankrei und Korsika. Im Sommer 2005 wurde ein Si der SNCM von siebenkorsisen Arbeitern na Korsika »zurügebrat«, um die drohende Privatisierungna EU-Ret zu verhindern. Das Si wurde gestürmt.

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die sie bekämpfen. Bloß diese seltsame Zwisensit der Bevölke-rung, diese komise kralose Anhäufung aus denen, die nit Parteiergreifen , das »Kleinbürgertum«, das immer so getan hat, als würde esan die Wirtsa wie an eine Realität glauben – weil es dadur seine

Neutralität aufret erhalten konnte. Es sind die kleinen Händler, klei-nen Chefs, kleinen Funktionäre, Führungskräe, Professoren, Journa-listen und Zwisengesaltetealler Art, die in Frankrei diese Nit-Klasse bilden, diese soziale Gal-lerte, die aus der Masse derer besteht, die einfa ihr kleines Privatle-

 ben außerhalb der Gesite und ihrer Tumulte verbringen möten.Dieser Sumpf ist per Veranlagung der Weltmeister des falsen Gewis-sens, zu allem bereit, um die Augen in seinem Halbslaf geslossenzu halten vor dem Krieg, der rundherum tobt. Jede Erhellung der Frontist in Frankrei gezeinet von der Erndung einer neuen Srulle.In den letzten zehn Jahren war dies ATTAC24 mit ihrer unglaublienTobin-Steuer – deren Einführung nits Geringeres bedarf als die Saf-fung einer Weltregierung - mit ihrer Apologie der »Realwirtsa« imGegensatz zu den Finanzmärkten und ihrer berührenden Nostalgiefür den Staat. Die Komödie dauerte, solange sie dauerte, und endete inplaer Maskerade. Eine Srulle ersetzt die andere, es folgt die Was-tumsrünahme25. Wenn ATTAC mit ihren Abendkursen versute, die

Wirtsa als Wissensa zu reen, dann behauptet die Wastums-rünahme, sie als Moral zu reen. Die einzige Alternative zur vorrü-

enden Apokalypse: zurünehmen. Konsumieren und weniger pro-duzieren. Mit Freuden genügsam werden. Bio essen, mit dem Fahrradfahren, auören zu rauen und alle Produkte streng kontrollieren, diegekau werden. Si mit dem absolut Nötigen zufrieden geben. Freiwil-lige Anspruslosigkeit. »Den wahren Reitum entdeen im Aulü-hen von geselligen sozialen Beziehungen in einer gesunden Welt.« »Ausunserem natürlien Kapital nits absöpfen.« Hin zu einer »gesun-

den Wirtsa«. »Der Regulierung dur das Chaos zuvorkommen.«»Keine soziale Krise generieren, die Demokratie und Humanismus inFrage stellt.« Kurz: Wirtsaer werden. Zurü zur Ökonomie vonPapa, ins goldene Zeitalter des Kleinbürgertums: die Fünfziger Jahre.»Wenn das Individuum ein guter Wirtsaer wird, dann erfüllt dessenEigentum genau seinen Zwe, ihm zu ermöglien, sein eigenes Lebenzu genießen, abseits der öentlien Existenz oder in der privaten Ein-friedung seines Lebens.«

24 Association pour Taxation des Transaction nancières et pour l´Action Citoyenne25 »decroissance«

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Ein Grak-Designer im handgematen Pullover trinkt auf der Terras-se eines Ethno-Cafés unter Freunden einen Frut-Cotail. Man ist re-degewandt, herzli, man mat kleine Späße, man mat nit zuvielLärm und ist au nit zu still, man saut si mit einem Läeln an,

etwas selbstgefällig: man ist so zivilisiert.

Später werden die einen die Erde eines Stadtgartens etwas auoern,während die andern ein bissen Töpfern, etwas Zen maen odereinen Animationslm drehen. Man zelebriert die Kommunion im be-retigten Gefühl, eine neue Mensheit zu bilden, die weiseste, ra-

nierteste, die letzte. Und man hat ret. Apple und die Wastumsrü-

nahme sind si erstaunli einig über die Zivilisation der Zukun. DieIdee der einen, von der Rükehr zur Wirtsa von einst, ist der gün-

stige Nebel, in dem die Idee der anderen vom großen tenologisenSprung voransreitet. Denn in der Gesite gibt es keine Rükehr.Die Mahnrufe, in die Vergangenheit zurüzukehren, stellen niemalsetwas anderes dar als eine der Formen des Bewusstseins der Zeit, undselten des modernsten. Die Wastumsrünahme ist nit zufällig dasBanner der dissidenten Werbemanager der Zeitsri Casseurs de pub.26 Die Ernder des Nullwastums – Der Club of Rome 1972 – warenselbst eine Gruppe von Industriellen und Beamten, die si auf einen

Berit von Kybernetikern des MIT27

stützten.Dieses Zusammenkommen ist kein Zufall. Es reiht si ein ins erzwun-gene Hasten, eine Nafolge für die Wirtsa zu nden. Der Kapi-talismus hat zum eigenen Prot alles auseinandergebroen, was ansozialen Verbindungen no übrig blieb, und mat si jetzt an denneuen Wiederauau auf seiner eigenen Grundlage. Die aktuelle metro-politane Gesellsalikeit ist die Brutstäe dafür. Auf gleie Art hatsie die natürlien Welten verwüstet und mat si nun an die ver-rüte Idee, sie als kontrollierte Umgebungen nazubilden, ausgestat-

tet mit geeigneten Sensoren. Dieser neuen Mensheit entsprit eineneue Wirtsa, die nit mehr eine von der Existenz getrennte Sphäresein möte, sondern ihr Gewebe, die der Sto der menslien Bezie-hungen sein möte; eine neue Denition der Arbeit als Arbeit an siselbst, und des Kapitals als Humankapital; eine neue Idee der Produk-tion als Produktion von Beziehungsgütern und des Konsums als Kon-sum von Situationen; und vor allem eine neue Idee des Werts, die alle

26 Gruppen, die si auf untersiedliste Art und Weise gegen die allgegenwärtigeWerbung wehren. www.dailymotion.com/video/x6cgln_casseurs-anti-pub_news27 Massauses Institute of Tenology

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Qualitäten der Lebewesen umfasst. Diese »Bio-Ökonomie« in Vorberei-tung begrei den Planeten als zu verwaltendes geslossenes System,und gibt vor, die Basis für eine Wissensa zu legen, die alle Parameterdes Lebens integrieren will. Sole Wissensa könnte uns eines Tagesdie söne Zeit der trügerisen Statistiken vermissen lassen, als manno vorgab, das Glü des Volkes am Wastum des BIP messen zukönnen, aber als wenigstens niemand daran glaubte.„Die nit-wirtsalien Aspekte des Lebens wieder aufwerten“ istzuglei Moo der Wastumsrünahme und Reformprogramm desKapitals. Öko-Dörfer, Videoüberwaung, Spiritualität, Biotenologieund Geselligkeit sind Teil des selben, si formierenden »zivilisato-risen Paradigmas«, dem der totalen Wirtsa, generiert von Grund

auf. Ihre intellektuelle Matrix ist keine andere als die Kybernetik, dieWissensa der Systeme, das heißt ihrer Kontrolle. Um Wirtsa mitihrer Ethik der Arbeit und der Gier denitiv durzusetzen, musste manim Laufe des 17. Jahrhunderts die gesamte Fauna der Müßiggänger, derBeler, der Hexen, der Verrüten, der Genießer und weiterer Armerohne Suldbekenntnis einsperren und eliminieren, eine ganze Mens-

heit, die allein dur ihre Existenz der Ordnung der Interessen und derSelbstbesränkung widerspra. Ohne eine derartige Selektion der mu-tationsfähigen Subjekte und Zonen wird si die neue Wirtsa nit

dursetzen. Das häug angekündigte Chaos wird die Gelegenheit fürdieses Aussortieren sein, oder unser Sieg über dieses hassenswerte Projekt.

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Secster Kreis

»Die Umwelt ist eine industrielle Herausforderung«

Die Ökologie ist die Entdeung des Jahres. Na dreißig Jahren, indenen man sie den Grünen überließ, am Sonntag genüssli darüberlate, um am Montag wieder einen betroenen Ausdru anzuneh-men. Und jetzt holt sie uns ein. Wie ein Sommerhit erobert sie die Fre -quenzen, weil es im Dezember 20 Grad warm ist.

Ein Viertel der Fisarten ist aus den Ozeanen verswunden. Der Resthat nit mehr lange.Vogelgrippealarm: Es wird versproen, Zugvögel zu Hunderausen-den abzuknallen.In der Muermil ist die Quesilberquote zehnmal höher als die inder Kuhmil zugelassene. Und diese Lippen, die answellen, wenni in den Apfel beiße – er kam do vom Markt.

Die einfasten Gesten sind giig geworden. Man stirbt mit fünfund-dreißig Jahren »an einer langen Krankheit«, die man verwalten wird,wie man den ganzen Rest verwaltet hat. Man häe die Slussfolge-rungen ziehen sollen, bevor sie uns hierher bringen, zum Gebäude Bder Notfallstation.Geben wir es zu: diese ganze »Katastrophe«, mit der man uns so lautunterhält, berührt uns nit. Zumindest nit, bevor sie uns mit einerihrer vorhersehbaren Konsequenzen slägt. Sie betri uns vielleit,aber sie berührt uns nit. Und das gerade ist die Katastrophe.

Es gibt keine »Umweltkatastrophe«. Jene Katastrophe ist die Umwelt. DieUmwelt ist das, was dem Mensen bleibt, wenn er alles verloren hat. Jene, die einen Stadeil, eine Straße, ein Tal, einen Krieg, eine Werksta bewohnen, haben keine »Umwelt«, sie bewegen si in einer Welt be-völkert von Anwesenheiten, Gefahren, Freunden, Feinden, Punkten desLebens und Punkten des Todes, von allerlei Wesen. Diese Welt hat ihreKonsistenz, die variiert mit der Intensität und der Qualität der Verbin-

dungen, die uns an all diese Wesen bindet, an all diese Orte. Wir, Kin-der der endgültigen Enteignung, Verbannte der letzten Stunde – wir,

die in Betonwürfeln auf die Welt kommen, Obst in den Supermärkten

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püen und im Fernsehen das Eo der Welt belauern – wir sind dieeinzigen, die eine Umwelt haben. Wir sind die einzigen, die unserer eige-nen Vernitung zusehen, als ginge es um einen simplen Stimmungs-wesel. Die si über die letzten Fortsrie des Desasters empören

und mit Geduld seine Enzyklopädie zusammenstellen.

Was si als Umwelt herauskristallisiert, ist ein Verhältnis zur Welt, dasauf Verwaltung  , also auf Fremdheit auaut. Ein Verhältnis zur Welt,in dem wir nit mehr ebenso gut aus dem Raseln der Bäume, demFritiergeru der Gebäude, dem Rieseln des Wassers, dem Getöse desSulunterrits oder der Swüle der Sommerabende bestehen, einVerhältnis zur Welt, in dem es mi und meine Umwelt gibt, die miumgibt, ohne mi jemals auszumaen. Wir sind zu Nabarn in ei-ner planetaren Wohnungseigentümerversammlung geworden. Mankann si kaum eine wahrhaigere Hölle vorstellen. Kein materiellesMilieu hat jemals den Namen »Umwelt« verdient, heute vielleit mitAusnahme der Metropole. Die digitalisierte Stimme des Ansagers, dasKreisen der Straßenbahn des 21. Jahrhunderts, das bläulie Litder Straßenlaternen in der Form riesiger Streihölzer, Fußgänger inVerkleidung geseiterter Models, stiller Swenk einer Videoüberwa-ungskamera, klares Klappern der Sranken in der Metro-Station, Su-

permarktkassen, Steuhren, elektronise Internetcafé-Stimmung, derÜberuss an Plasmabildsirmen, Snellstraßen und Latex. Niemalswar ein Bühnenbild ohne die es durquerenden Seelen ausgekommen.Kein Milieu war je automatiser. Kein Kontext war je gleigültiger undverlangte dafür, um darin zu überleben, eine gleimäßige Gleigül-tigkeit zurü. Die Umwelt ist sließli nits anderes als das: daseigenartige Verhältnis zur Welt, das si auf alles projeziert, was ihrentgleitet.

Die Situation ist folgende: man hat si unserer Eltern bedient, um di-ese Welt zu zerstören, nun möte man uns an ihrem Wiederauauarbeiten lassen, und der soll no dazu protabel sein. Die morbide Er-regung, die Journalisten und Werbemanager bei jedem neuen Beweisfür die Klimaerwärmung erfasst, enthüllt das eiserne Läeln des neuengrünen Kapitalismus, jenes, der si seit den 1970ern ankündigte, aufden man wartete und der nit kam. Et bien, le voilá! Die Ökologie,das ist er! Die alternativen Lösungen, das ist er! Das Heil des Planeten,das ist er immer no! Kein Zweifel: grün liegt in der Lu; die Umwelt

wird das Drehmoment der politisen Ökonomie des 21. Jahrhunderts

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sein. Auf jeden Sub Katastrophismus folgt eine Salve »industriellerLösungen«.Der Ernder der Wasserstoombe, Edward Teller, slägt vor, Millio-nen Tonnen Metallstaub in die Stratosphäre zu zerstreuen, um die Kli-

maerwärmung zu stoppen. Die Nasa, frustriert, weil sie ihre großsartigeIdee eines Antiraketenabwehrsildes im Museum der Fantasien desKalten Krieges verstauen musste, versprit die Erritung eines rie-sigen Spiegels jenseits der Mondumlauahn, der uns vor den tödlienSonnenstrahlen sützen soll. Eine andere Zukunsvision: eine moto-risierte Mensheit, die von Sao Paulo na Stoholm mit Bioethanolfährt; ein Traum der Getreidehersteller aus der Beauce28 , weler alles inallem nits anderes als die Umwandlung sämtlien Aerlandes desPlaneten in Soja- und Zuerrübenfelder voraussetzt. Beim Durblät-tern der Seiten der Hoglanzmagazine koexistieren ökologise Autos,saubere Energie, Environmental Counsulting ohne Swierigkeit mitder neusten Chanel-Werbung.Es heißt, dass die Umwelt das unvergleilie Verdienst hat, das er-ste  globale Problem zu sein, das si der Mensheit stellt. Ein globalesProblem, also ein Problem, wofür nur diejenigen die Lösung habenkönnen, die global organisiert sind. Und diese, die kennen wir. Es sinddies die Gruppen, die seit fast einem Jahrhundert die Avantgarde des

Desasters sind und fest entslossen dies zu bleiben, zum minimalenPreis eines Logo-Wesels. Dass EDF29 die Unversämtheit hat, uns ihrAtomprogramm als neue Lösung für die weltweite Energiekrise wiederaufzutisen, sagt genug darüber, wie sehr die neuen Lösungen denalten Problemen ähneln.Von den Büros der Staatssekretäre zu den Hinterzimmern der alterna-tiven Cafés wird die Besorgnis in den gleien Worten geäußert, dieeigentli die selben wie immer sind. Es geht darum zu mobilisieren.Nit für den Wiederauau wie na dem Krieg, nit für die Äthi-

opier wie in den 1980er Jahren, nit für den Arbeitsplatz wie in den1990ern. Nein, diesmal ist es für die Umwelt. Sie dankt es eu so sehr.Al Gore, die Ökologie à la Hulot30 und die Wastumsrünahme stel-len si an die Seite der ewigen großen Seelen der Republik, um ihre

28 Die Beauce ist eine Region südli von Paris, in der einige Großbauern riesige land-wirtsalie Produktionsäen bewirtsaen.29 Staatlie Energiewerke Frankreis30 Nicolas Hulot war lange Fernseh-Moderator für ein Umweltprogramm namens

»Ushuaia« - eine bedrohte Insel irgendwo – später trat er in eine der grünen Partei Fran-kreis ein. Ushuaia taute etwas später als Name einer bekannten Körperpegeseriewieder auf.

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Rolle der Wiederbelebung des Volkes der kleinen Leute und des wohl- bekannten Idealismus der Jugend zu spielen. Indem sie ihre Fahne derfreiwilligen Selbstbesränkung swenken, arbeiten sie freiwillig undkonform zum »kommenden ökologisen Ausnahmezustand«. Die

runde und klebrige Masse ihrer Suld fällt auf unsere müden Sul-tern und möte uns dazu antreiben, unseren Garten zu bepanzen,unseren Abfall zu trennen, die Reste des makaberen Festmahls, in demund für das wir aufgepeppelt wurden, biologis zu kompostieren.Den Ausstieg aus der Atomenergie, den CO2-Übersuss in der Atmo-sphäre, den Gletserswund, die Orkane, die Epidemien, die welt-weite Überbevölkerung, die Bodenerosion, das massive Verswindender lebenden Spezies verwalten... dies wird unsere Bürde sein. »Es liegtan jedem Einzelnen, sein Verhalten zu ändern«, sagen sie, wenn wirunser sönes Zivilisationsmodell reen wollen. Es muss wenig kon-sumiert werden, um no konsumieren zu können. Biologis produzie-ren um no produzieren zu können. Si selbst zwingen, um no zwingenzu können. Und so mag die Logik einer Welt überleben, indem sie siden Ansein eines historisen Brus gibt. So möte man uns da-von überzeugen, uns an den vorrüenden industriellen Herausforde-rungen dieses Jahrhunderts zu beteiligen. Bekloppt wie wir sind, wärenwir bereit, in die Arme derer zu springen, wele die Verwüstung ange-

führt haben, damit sie uns da rausholen.Die Ökologie ist nit nur die Logik der totalen Ökonomie, sie ist audie neue Moral des Kapitals. Der interne Krisenzustand des Systemsund die Unerbilikeit der si abspielenden Selektion sind so hart,dass erneut ein Kriterium benötigt wird, um in dessen Namen ein sol-es Aussortieren durführen zu können. Die Idee der Tugend wardur die Epoen nie etwas anderes als die Erndung der Lieder-likeit. Ohne die Ökologie könnte die gegenwärtige Existenz zweier

Ernährungsstränge nit geretfertigt werden, der eine »gesund und  biologis« für die Reien und ihre Kinder, der andere bekanntlisädli für den Pöbel und ihre zur Feleibigkeit verdammten Spröss-linge. Die planetare Hyper-Bourgeoisie könnte ihren Lebenstil nit alsrespektabel gelten lassen, wären ihre letzten Launen nit aufs Strengste»umweltfreundli». Nits häe ohne die Ökologie no genug Au-torität, jeden Einspru gegen den immensen Fortsri der Kontrollezum Sweigen zu bringen.Navollziehbarkeit, Transparenz, Zertizierung, Öko-Steuern, Um-

welt-Exzellenzinitiativen der Regionen und Wasserqualitätspolizei sind

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die Vorzeien des si ankündigenden ökologisen Ausnahmezu-stands. Alles ist einer Mat erlaubt, die im Namen der Natur, der Ge -sundheit und des Wohlbendens agiert.»Wenn einmal die neue Wirtsas- und Verhaltenskultur zu den Sien

gehören wird, werden die Zwangsmaßnahmen ohne Zweifel von alleinegreifen.« Es bedarf der ganzen läerlien Dreistigkeit eines Abenteu-rers der Fernsehstudios31  , um eine derart einfrierende Perspektive zuverfeten, uns gleizeitig dazu aufzufordern, genügend »Planeten-smerz« aufzuweisen, um uns zu mobilisieren und ausreiend be-täubt zu bleiben, um alledem zurühaltend und zivilisiert zuzusehen.Der neue Bio-Asketismus ist die Selbstkontrolle  , die von allen verlangtwird, um über die Reungsoperation zu verhandeln, in die si dasSystem selbst getrieben hat. Im Namen der Ökologie wird man nunden Gürtel enger snallen müssen, wie gestern im Namen der Wirt-sa. Natürli könnten si die Straßen in Radwege verwandeln, wirkönnten sogar in unseren Breitengraden mit einem garantierten Grund-einkommen beehrt werden, aber nur zum Preis einer vollkommen the-rapeutisen Existenz. Wer behauptet, dass die verallgemeinerte Selbst-kontrolle uns das Erleiden einer Umweltdiktatur ersparen wird, lügt:das Eine wird das Andere in die Wege leiten und wir werden beideskriegen.

Solange es den Mensen und die Umwelt geben wird, wird die Polizeizwisen ihnen stehen.

In den Diskursen der Umweltsützer gilt es, alles umzustürzen. Da,wo sie von »Katastrophen« reden, um die Entgleisungen des gegenwär-tigen Regimes der Verwaltung von Wesen und Dingen zu besreiben,sehen wir nits als die Katastrophe seines perfekten Funktionierens.Die größte bis heute erlebte Hungersnot in den Tropen (1876-1879) fälltmit einer weltweiten Dürre, aber vor allem mit dem Höhepunkt der

Kolonisierung zusammen. Die Zerstörung der bäuerlien Welten undder Praktiken der Subsistenz hae die Miel zur Bekämpfung der Notverswinden lassen. Mehr als der Wassermangel waren es die Auswir-kungen der si in vollem Aufswung bendlien kolonialen Wirt-sa, wele die gesamte tropise Zone mit ausgehungerten Leien

 bedete. Was si allerorts als Umweltkatastrophe präsentiert, hat nieaufgehört, in erster Linie Ausdru eines verheerenden Verhältnisseszur Welt zu sein. Nits zu bewohnen mat uns verwundbar bei der

31 Bezieht si auf die Programme des Nicolas Hulot, der auf der Spur der Umweltkata-strophe um die Welt reiste.

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geringsten Ersüerung des Systems, bei der geringsten klimatisenZufälligkeit. Als der vergangene Tsunami nahte und die Touristen wei-ter in den Wellen herumtollten, üteten die Jäger und Sammler derInsel, den Vögeln folgend, eilig von den Küsten. Das gegenwärtige Pa-

radox der Ökologie ist es, dass sie unter dem Vorwand, die Erde zu ret-ten, ledigli das Fundament dessen reet, was aus ihr dieses verödeteGestirn gemat hat.

Die Regelmäßigkeit des globalen Funktionierens verdet in normalenZeiten unseren wahrha katastrophalen Zustand der Enteignung. WasKatastrophe genannt wird, ist nits als die notgedrungene Auebungdieses Zustands, einer der wenigen Momente, in dem wir ein wenigAnwesenheit in dieser Welt zurügewinnen. Auf dass wir früher alserwartet an die Grenzen der Erdölreserven gelangen, auf dass die in-

ternationalen Ströme, die das Tempo der Metropole aufreterhalten,unterbroen werden, auf dass wir großer sozialer Unordnung entge-gengehen, dass die »Verwilderung der Bevölkerungen«, die »planetareBedrohung«, das »Ende der Zivilisation« gesehe! Irgendein Kontroll-verlust ist jedem Krisenverwaltungs-Szenario vorzuziehen. Die bestenTips sind von nun an nit bei den Experten für nahaltige Entwi-

lung zu suen. In den Funktionsstörungen, den Kurzslüssen des

Systems erseinen die Elemente logiser Antworten, auf das, wasauören könnte ein Problem zu sein. Die einzigen Länder unter denUnterzeinern des Kyoto-Protokolls, die ihren Verpitungen unfrei-willig geret werden, sind die Ukraine und Rumänien. Erratet warum.Das im weltweiten Verglei am Weitesten fortgesriene Experimen-tieren in Saen »biologise Landwirtsa« ndet seit 1989 auf Cubasta. Erratet warum. Entlang der afrikanisen Pisten und nit woan-

ders, hat die Automeanik den Rang einer Volkskunst erreit. Erratetwie.

Was die Krise wünsenswert mat, ist, dass die Umwelt in ihr auörtUmwelt zu sein. Wir sind im Begri, einen Kontakt wiederzuknüpfen,au wenn er fatal ist, mit dem, was da ist, die Rhytmen der Realitätwiederzunden. Was uns umgibt, ist nit mehr Landsa, Panorama,Sauplatz, sondern was es zu bewohnen gilt, womit wir uns abndensollen und wovon wir lernen können. Wir werden uns nit von de-nen berauben lassen, die sie verursat haben, die möglien Inhalteder »Katastrophe«. Während si die Verwalter platonis fragen, wiedas Tempo gedrosselt werden kann, »ohne alles zu zertrümmern«, se-

hen wir keine realistisere Option als so früh wie mögli «alles zu

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zertrümmern», und bis es so weit ist, jeden Zusammenbru des Sy-stems auszunutzen, um an Stärke zu gewinnen.

Einige Tage, nadem New Orleans vom Hurrikan Cathrina heimge-

sut wurde. In dieser apokalyptisen Atmosphäre reorganisiert sihier und dort ein Leben. Vor der Untätigkeit der Behörden, die eher mitder Reinigung des Touristenviertels »Carré français« und dem Sutzder Gesäe besäigt waren, als den armen Stadtbewohnern Hilfezu leisten, erwaten vergessene Formen zu neuem Leben. Trotz denmanmal energisen Versuen, die Zone zu evakuieren, trotz dervon White-Supremacist-Milizen32 bei diesem Anlass eröneten »Neger-

 jagd«, wollten viele das Gebiet nit verlassen. Für diejenigen, die siweigerten, als »Umweltütlinge« in alle Een des Landes deportiertzu werden, und für diejenigen von überall her, die si na dem Aufrufeines ehemaligen Bla Panther entsieden, si ihnen solidaris an-zusließen, taute die Oenkundigkeit der Selbstorganisierung wie-der auf. Innerhalb weniger Woen wurde die Common Ground Clinicauf die Beine gestellt. Dieses wasete Landkrankenhaus bietet vomersten Tage an, dank dem unauörlien Strom von Freiwilligen, im-

mer ezientere, kostenlose Pege an. Seit nun einem Jahr bildet die Kli-nik die Basis eines tagtäglien Widerstands gegen die Tabula-Rasa-Ak-

tion der Regierungsbulldozer, die darauf abzielt, den ganzen Stadeildem Erdboden gleigemat an den Immobilienmakler zu übergeben.Volksküen, Versorgung, Straßenmedizin, wilde Beslagnahmungen,Bau von Notunterkünen: Das von den Einen und Anderen im Laufedes Lebens angehäue praktise Wissen hat seinen Ort der Entfaltunggefunden. Weit weg von den Uniformen und Sirenen.Wer die miellose Freude in diesen Vierteln von New Orleans vor derKatastrophe gekannt hat, das Misstrauen gegenüber dem Staat, dasvorher son dort herrste, und die massiven Praktiken des Zuret-

kommens gekannt hat, wird si nit darüber wundern, dass all dieshier mögli gewesen ist. Wer hingegen im blutarmen und atomisiertenAlltag unserer Wohnwüsten gefangen ist, wird an einer derartigen Ent-slossenheit zweifeln. Na Jahren des normalisierten Lebens an dieseGesten anzuknüpfen ist jedo der einzig gangbare Weg, um nit mitdieser Welt unterzugehen. Auf dass eine Zeit komme, in die wir unsverlieben.

32 In den USA weitverbreitete Form des Rassismus, die auf der Idee allgemeiner Überle-genheit der Weißen beruht.

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Arbeiterfamilie, die an Hunger stirbt. Man hat si seit – sagen wir 1945– darauf geeinigt, dass die Manipulation der Massen, die Aktivitätender Geheimdienste, die Einsränkung der öentlien Freiheiten unddie vollständige Souveränität der versiedenen Polizeien angemessene

Miel zur Sierung von Demokratie, Freiheit und Zivilisation sind. Imletzten Stadium dieser Evolution: der erste sozialistise Bürgermei-ster von Paris, der letzte Hand anlegt an die urbane Befriedung, an diepolizeilie Erneuerung eines Arbeiterviertels, und si mit sorgfältigabgewogenen Worten retfertigt: »Hier wird ein zivilisierter Raum er-ritet«. Nits ist dem hinzuzufügen, alles ist zu zerstören.

Hinter ihrem Ansein von Allgemeinheit hat jene Frage der Zivilisa-tion nits von einer philosophisen Frage. Eine Zivilisation ist keineAbstraktion, die das Leben überragt. Sie ist vielmehr, was herrst, be-lagert und kolonisiert, die alltägliste, die persönliste Existenz. Sieist, was die intimste und die allgemeinste Dimension zusammenhält. InFrankrei ist die Zivilisation nit vom Staat zu trennen. Je stärker undälter ein Staat, desto weniger ist er eine Suprastruktur, das Exoskeleeiner Gesellsa, desto mehr ist er in der Tat die Form der Subjektivi-täten, die ihn bewohnen. Der französise Staat ist das eigentlie Ge-webe der französisen Subjektivitäten, der Aspekt, der na der jahr-

hundertelangen Kastration seiner Untertanen bleibt. Es erstaunt dahernit, dass man si in der Psyatrie die Welt anhand von politisenFiguren zusammenspinnt, dass man si darin einig ist, den Ursprungall unseren Übels in unseren Führern zu sehen, dass es uns so gefällt,über sie zu meern, und dass diese Meereien die Jubelrufe sind, mitdenen wir sie als unsere Herrser inthronisieren. Denn hier sorgt mansi nit um die Politik als eine fremde Realität, sondern als Teil seinerselbst. Das Leben, das wir in diese Figuren steen, ist dasjenige, dasuns geraubt wurde.

Wenn es eine französise Ausnahme gibt, stammt sie von dort35. Esgibt nits, bis hin zur weltweiten Ausstrahlung der französisen Li-teratur, was nit die Frut dieser Amputation wäre. Die Literaturist in Frankrei der Raum, den man selbstherrli zur Unterhaltungder Kastrierten zugelassen hat. Sie ist die formelle Freiheit, die denengewährt wurde, die si nit an die Nitigkeit ihrer realen Freiheit

35 Die französise Ausnahme bezeinet das Selbstbild einer herausragenden franzö-sisen Kultur, die es z.B. gegen die US-amerikanise Kulturindustrie zu behauptengilt.

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gewöhnen. Wo seit Jahrhunderten unauörli obszönes Augenzwin-kern ausgetaust wird, in diesem Land, zwisen Männern des Staatesund Männern der Sri, wo die Einen si gerne den Anzug der Ande-ren leihen und umgekehrt. Wo au die Intellektuellen es gewohnt sind,

witig daherzureden, obwohl sie ganz unbedeutend sind, um immerim entseidenden Moment zu seitern, im einzigen, der ihrer Exi-stenz einen Sinn gegeben, sie aber au aus ihrem Beruf verbannt häe.Es ist eine verteidigte und zu verteidigende These, dass die moderneLiteratur mit Baudelaire, Heine und Flaubert als Nawirkung desstaatlien Massakers vom Juni 1848 geboren wurde. Im Blut der Pa-riser Aufständisen und gegen das Sweigen, weles das Gemetzelumhüllt, werden die modernen literarisen Formen geboren – Spleen,Ambivalenz, Fetisismus der Form und eine morbide Distanziertheit.Die neurotise Zuneigung, wele die Franzosen ihrer Republik ge-loben – in deren Namen jeder Übergri wieder zu seiner Würde, und

 jede Surkerei wieder ihren Rierslag ndet – verlängert stetig dasVerdrängen des Gründungsopfers. Die Tage des Juni 1848 - tausend-

fünundert Tote während der Kämpfe, und mehrere tausend mehr inden darauf folgenden Hinritungen von Gefangenen, die Nationalver-sammlung, wele die Kapitulation der letzten Barrikade mit dem Ruf»Es lebe die Republik« begrüßt - und die Blutige Woe sind Geburts-

male, die auszulösen keine Chirurgie vermag.Kojève36 srieb 1945: »Das ›ozielle‹ politise Ideal Frankreis undder Franzosen ist no heute das des Nationalstaates, der ›geeinten undunteilbaren Republik‹. Andererseits nimmt das Land in der Tiefe seinerSeele die Unzulänglikeit dieses Ideals wahr, den politisen Anaro-nismus einer aussließli ›nationalen‹ Idee. Zwar hat dieses Gefühlno nit die Ebene einer klaren und deutlien Idee erreit: Das Landkann und will dies no nit oen formulieren. Gerade wegen des un-

vergleibaren Glanzes seiner nationalen Vergangenheit, fällt es Frank-rei besonders swer, das Ende der ›nationalen‹ Periode der Gesitein aller Deutlikeit anzunehmen und wirkli zu akzeptieren, und alleKonsequenzen daraus zu ziehen. Es ist hart für ein Land, das aus demNits das ideologise Gerüst des Nationalismus gesaen und in dieganze Welt exportiert hat, zuzugestehen, dass es si dabei bloß um einzu klassizierendes Arivgut handelt, das in die Gesite gehört.«Die Frage des Nationalstaates und dessen Trauer bilden seit nunmehr

36 Alexandre Kojève (1902-1968) russis-französiser Philosoph, der zur Wiederentde-ung Hegels in Frankrei beitrug.

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einem halben Jahrhundert das Herz dessen, was man wohl als  franzö-sises Unbehagen bezeinen muss. Höi wird dieser gelähmte Auf-sub Alternance37 genannt, diese Art des Pendelns, von Links naRets, dann von Rets na Links, so wie die manise Phase auf die

depressive Phase folgt, die eine weitere vorbereitet, so wie in Frankreidie wortgewandteste Kritik des Individualismus und der heigste Zy-nismus, die größte Großzügigkeit und die Angst vor der Masse Hand inHand gehen. Seit 1945 hat dieses Unbehagen, das si nur in der Gunstdes Mai 68 und seiner aufständisen Leidensalikeit zu litensien, nit aufgehört si zu vertiefen. Die Ära der Staaten, Nationenund Republiken sließt si wieder; das Land, das ihnen alles geop-fert hat, was es an Lebenskra enthielt, bleibt benommen zurü. DieDetonation, wele der Satz Jospins »Der Staat kann nit alles« aus-löste, lässt jene erahnen, die früher oder später verursat wird durdie Oenbarung, dass der Staat gar nits mehr kann. Dieses Gefühl,hereingelegt worden zu sein, hört nit auf um si zu greifen, eitrig.Es begründet die latente Wut, die bei jeder Gelegenheit hokommt.Dass die Ära der Nationen nie betrauert wurde, ist der Slüssel desfranzösisen Anaronismus und der revolutionären Möglikeiten,die er in Reserve hält.

Was au immer das Resultat der nästen Wahlen sein wird38

 , ihre Rol-le ist, das Signal für das Ende der französisen Illusion zu geben, diehistorise Blase zum Platzen zu bringen, in der wir leben, und Ereig-nisse wie die Bewegung gegen das CPE zu ermöglien, die im Ausland

 beobatet wird wie ein sleter Traum, der den 1970ern entohenist. Deshalb wünst si im Grunde genommen niemand diese Wahl-en. Frankrei ist wahrli die rote Laterne der westlien Zone.

Das Abendland, das ist heute ein GI, der in einem Abraham M1 Panzer

na Falloudja rast und volle Pulle Hardro hört. Es ist ein Tourist, derverloren mien in den Ebenen der Mongolei von allen verlat seineKreditkarte umklammert wie den letzten Strohhalm. Es ist ein Manager,der auf nits swört außer auf das Spiel Go. Es ist ein junges Mäden,das sein Glü bei Klamoen, Männern und Feutigkeitscremes sut.Es ist ein sweizer Mensenretsaktivist, der um alle vier Een des

37 politses Weselspiel, anerkennende Bezeinung für die im Rahmen der Nation

alternierenden Regierungen38 »L‘insurrection qui vient« ersien unmielbar vor den Präsidentsaswahl 2007,die Sarkozy an die Mat spülte

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Planeten reist, solidaris mit allen Revolten, sofern sie niedergesla-gen werden. Es ist ein Spanier, der auf die politise Freiheit seißt, seitihm die sexuelle Freiheit gewährt wurde. Es ist ein Kunstfreund, der zurerstarrten Bewunderung und als letzten Ausdru des Genies der Mo-

derne ein Jahrhundert an Künstlern darbietet, die, vom Surrealismus biszum Wiener Aktionismus, darum konkurrieren, wer am zielgenaustenauf das Gesit der Zivilisation sput. Es ist sließli ein Kyberneti-ker, der im Buddhismus eine realistise Theorie des Bewusstseins ge-funden hat und ein Teilenphysiker, der in der Metaphysik des Hindu-ismus na Inspiration für seine neusten Entdeungen sut.

Das Abendland, das ist jene Zivilisation, die alle Prophezeiungen überihren Untergang dur eine eigenartige List überlebt hat. So wie dasBürgertum si als Klasse verneinen musste, um die Verbürgerliungder Gesellsa vom Arbeiter bis zum Baron zu ermöglien. Wie sidas Kapital als Lohnverhältnis opfern musste, um si als soziales Ver-hältnis durzusetzen, um dadur zu kulturellem Kapital und ge-sundheitliem Kapital, wie au zu nanziellem Kapital zu werden.Wie das Christentum si als Religion opfern musste, um als aektiveStruktur zu überleben, als diuse Mahnung zu Demut, Mitgefühl undOhnmat, das Abendland hat si als besondere Zivilisation geopfert, um

si als universelle Kultur durzusetzen. Das Vorgehen lässt si wie folgtzusammenfassen: Ein im Sterben liegendes Gebilde opfert si als In-halt, um als Form zu überleben.

Das in tausend Teile zerbroene Individuum reet si dank der »spi-rituellen« Tenik des Coaing als Form. Das Patriaat, indem es denFrauen alle peinlien Aribute des Männens auürdet: Willenskra,Selbstkontrolle und Unempndsamkeit. Die zerfallene Gesellsa, in-dem sie eine Epidemie der Geselligkeit und der Zerstreuung propagiert.

Folgli halten si all die verfaulten Fiktionen des Abendlandes durKunstgrie, von denen sie Punkt für Punkt widerlegt werden.

Es gibt keinen »Zivilisationsso«. Was es gibt, ist eine Zivilisation inklinis totem Zustand, die an sämtlie lebenserhaltenden Apparateangeslossen wird und die in der planetaren Atmosphäre einen a-rakteristisen Gestank verbreitet. An diesem Punkt gibt es keinen ein-zigen ihrer »Werte«, an den sie no irgendwie glauben kann, und jedeBehauptung wirkt auf sie wie eine Unversämtheit, eine Provokation,

die es auszuwaiden, zu dekonstruieren und in den Zustand des Zweifels

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zu versetzen gilt. Der abendländise Imperialismus ist heute jener desRelativismus der »Sitweise«, der böse Bli aus dem Augenwinkel,oder das verletzte Protestieren gegen alles, was dumm genug, primi-tiv genug oder selbstgefällig genug ist, um no an etwas zu glauben,

für irgendetwas einzustehen. Er ist jener Dogmatismus der Fragestel-lung, des komplizenhaen Augenzwinkern der universitären und lite-rarisen Intelligentsia. Keine Kritik ist den postmodernen Denkern zuradikal, solange sie ein Nits an Gewissheit umhüllt. No vor einem

 Jahrhundert lag der Skandal in jeder etwas auälligen Verneinung, heu-

te liegt er in jeder unersüerlien Behauptung.

Keine soziale Ordnung kann dauerha auf dem Prinzip auauen, dassnits wahr ist. Also muss sie zusammengehalten werden. Die Anwen-dung des Konzepts der »Sierheit« auf jede einzelne Sae ist heut-zutage Ausdru des Projekts, die ideale Ordnung in die Wesen selbst,in Verhalten und Orte zu integrieren, eine Ordnung, der si zu unter-werfen sie nit mehr bereit sind. »Nits ist wahr« sagt nits überdie Welt, sondern alles über das abendländise Konzept der Wahrheit.Die Wahrheit wird hier nit als Aribut der Wesen oder Dinge wahr-genommen, sondern als ihre Repräsentation. Eine Repräsentation giltals et, wenn sie erfahrungskonform ist. Die Wissensa ist in letzter

Instanz dieses Imperium der universellen Verizierung. Aber alle For-men menslien Verhaltens, von den einfasten zu den gelehrtesten,ruhen auf einem Soel unglei formulierter Oenkundigkeiten, allePraktiken gehen von einem Punkt aus, in dem Dinge und Repräsen-tationen ununterseidbar verbunden sind, jedes Leben beinhalteteine Dosis Wahrheit, die das abendländise Konzept ignoriert. Wennhier einmal von »eten Leuten« geredet wird, dann unweigerli, umsi über diese geistig Armen lustig zu maen. Von daher werden dieAbendländler von denen, die sie kolonisierten, weltweit für Lügner und

Heuler gehalten. Von daher werden sie um das beneidet, was sie ha-ben , ihren tenologisen Fortsri, nie um das, was sie sind , wofür siezuret veratet werden. Sade, Nietzse und Arteaud könnten in denGymnasien nit unterritet werden, wäre dieser Begri der Wahr-heit nit zuvor disqualiziert worden. Alle Behauptungen ohne Endezu unterdrüen, Sri für Sri alle Gewissheiten zu deaktivieren,die fatalerweise ans Lit kommen, darin besteht die langwierige Arbeitder abendländisen Intelligenz. Die Polizei und die Philosophie sindzwei in die gleie Ritung weisende Miel, obglei versieden in

der Form.

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Selbstverständli ndet der Imperialismus des Relativen in ir-gendeinem leeren Dogmatismus, in irgendeinem Marxismus-Leninis-mus, irgendeiner Salayya, in irgendeinem Neo-Nazismus einen ange-messenen Gegner, jemand, der, wie die Abendländler, Behauptung mit

Provokation verweselt.

In diesem Stadium mat si jeder aussließli soziale Protest, dersi weigert anzuerkennen, dass das, was uns gegenübersteht, nit dieKrise einer Gesellsa ist, sondern der Untergang einer Zivilisation,zum Komplizen ihres Fortbestehens. Es ist nunmehr sogar eine verbrei-tete Strategie, diese Gesellsa zu kritisieren in der vergeblien Ho-nung, diese Zivilisation zu reen.

Genau. Wir haben einen Kadaver auf dem Rüen, aber den werdenwir nit so einfa los. Vom Ende der Zivilisation, ihrem klinisenTod, haben wir nits zu erwarten. So wie sie ist, kann sie nur Histori-ker interessieren. Das ist eine Tatsae , aus der eine Entseidung werdenmuss. Die Tatsaen können vertust werden, die Entseidung bleibtpolitis. Si für den Tod der Zivilisation zu entseiden, in die Handzu nehmen, wie dies gesieht: Nur dur die Entseidung werden wiruns des Kadavers entledigen.

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AUF GEHT‘S!

Ein Aufstand, wir können uns nit mal mehr vorstellen, wo er beginnt.Sezig Jahre der Befriedung, ausgesetzter historiser Umwälzungen,sezig Jahre demokratiser Anästhesie und Verwaltung der Ereig-nisse haben in uns eine gewisse abrupte Wahrnehmung des Realen ge-swät, den parteilien Sinn für den laufenden Krieg. Es ist dieseWahrnehmung, die wir wiedererlangen müssen, um zu beginnen.

Es gibt keinen Grund, si darüber zu entrüsten , dass seit fünf Jahren ein bekanntermaßen verfassungswidriges Gesetz angewandt wird, das Ge-setz über die Alltäglie Sierheit. Es ist vergebli, auf legalem Wegegegen die vollendete Implosion des legalen Rahmens zu protestieren.Entspreend muss man si organisieren.

Es gibt keinen Grund, si in diesem oder jenem Bürgerkollektiv zuengagieren , in dieser oder jener Sagasse der radikalen Linken, in derletzten vereinten Hostapelei. Alle Organisationen, die vorgeben, diegegenwärtige Ordnung anzufeten, haben selbst wie Marioneen dieForm, die Sien und die Sprae von Miniaturstaaten. Alle Anwand-

lungen, »Politik anders zu maen«, haben bis zum heutigen Tag nurzur unbestimmten Ausdehnung des staatlien biomeanisen Ap-parats beigetragen.

Es gibt keinen Grund mehr, auf die neusten Nariten zu reagieren ,vielmehr ist jede Information als Operation in einem feindlien Feldvon Strategien zu verstehen, die zu dursauen ist, Operationen, diegerade zum Ziel haben, bei diesem oder jenem diese oder jene Reaktionhervorzurufen; und diese Operation für die wirklie Information zuhalten, wele in den sitbaren Nariten verborgen ist.

Es gibt keinen Grund mehr zu warten – auf eine Aueiterung, die Re-volution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. No

zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nit, was kommt, sondern

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was da ist. Wir verorten uns bereits jetzt in der Bewegung des Zusam-

menbrus einer Zivilisation. Dort ist es, wo man Partei ergreifen muss.

Nit mehr zu warten heißt, auf die eine oder andere Weise in die

aufständise Logik einzutreten. Es bedeutet, aufs Neue das leit er-srete Ziern in der Stimme unserer Regierenden zu hören, das sienie verlässt. Denn regieren war niemals etwas anderes als mit tausendListen den Moment, wo die Menge sie auängen wird, zu versieben,und jeder Akt des Regierens ist nits als die Weise, die Kontrolle überdie Bevölkerung nit zu verlieren.

Wir gehen aus von einem Punkt der extremen Isolation, der extremenOhnmat. Alles ist aufzubauen im aufständisen Prozess. Nitsseint unwahrseinlier als ein Aufstand, aber nits ist notwendiger.

- AUF GEHT‘S

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SICH FINDEN

Si binden an das, was man als wahr erkennt.Davon ausgehen

Eine Begegnung, eine Entdeung, eine große Streikbewegung, einErdbeben: jedes Ereignis erzeugt Wahrheit, indem es unsere Art ver-ändert, auf der Welt zu sein. Umgekehrt hat si eine Feststellung, dieuns gleigültig ist, die uns unverändert lässt, die zu nits verpitet,no nit den Namen Wahrheit verdient. In jeder Geste gibt es eineunterswellige Wahrheit, in jeder Praxis, in jeder Beziehung und in je-der Situation. Die Gewohnheit ist, dem auszuweien, das zu verwalten ,was die arakteristise Verwirrung der Allermeisten in dieser Epoeproduziert. In Wirklikeit verpitet alles zu allem. No das Gefühl,in der Lüge zu leben, ist eine Wahrheit. Es geht darum, es nit loszu-

lassen, davon sogar auszugehen. Eine Wahrheit ist nit eine Sit auf

die Welt, sondern das, was uns auf unreduzierbare Art mit ihr verbun-den hält. Eine Wahrheit ist nits, was man besitzt, sondern etwas, daseinen trägt. Sie stellt mi her und sie löst mi auf, sie mat mials Individuum aus und sie zersetzt mi als soles, sie entfernt mivon vielen und verbindet mi mit jenen, die sie erkennen. Das verein-samte Wesen, das si daran bindet, tri unausweili auf seines-gleien. Im Grunde genommen geht jeder aufständise Prozess voneiner Wahrheit aus, von der wir nit abrüen. Es war in Hamburg inden 1980 Jahren, wo eine Handvoll Bewohner eines besetzten Hauses

entsieden hae, dass man von nun an über ihre Leie gehen muss,um sie zu räumen. Es gab einen belagerten Stadeil mit Panzern undHelikoptern, tagelange Straßenslaten, gewaltige Demonstrationen– und eine Stadtregierung, die am Ende kapitulierte. Georges Guing-ouin, der »erste Partisan in Frankrei«, hae als Ausgangspunkt 1940nur die Sierheit seiner Ablehnung der Besatzung. Damals war er fürdie Kommunistise Partei nur so »ein Spinner, der im Wald lebt«; bises zwanzigtausend Spinner waren, die im Wald lebten, und sie Limoges

 befreiten.

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Nit davor zurüweien, was jede Freundsa an Politisem mit sibringt

Man hat uns an eine neutrale Idee der Freundsa gewöhnt, wie reine

Zuneigung ohne Konsequenzen. Aber jeglie Anität ist Anität ineiner gemeinsamen Wahrheit. Jede Begegnung ist eine Begegnung ineiner gemeinsamen Behauptung, und sei es die der Zerstörung. Manverbindet si nit unsuldig in einer Epoe, in der an etwas fest-zuhalten und si nit von etwas abbringen zu lassen regelmäßig indie Arbeitslosigkeit führt, in der man lügen muss, um zu arbeiten, unddann arbeiten muss, um die Miel der Lüge zu behalten. Wenn si We-sen ausgehend von der Quantenphysik swören würden, in allen Be-reien alle Konsequenzen zu ziehen, würden sie si nit auf wenigerpolitise Weise verbinden als Genossen, die einen Kampf gegen einenNahrungsmiel-Multi führen. Sie würden früher oder später entwedernit erseinen oder beim Kampf ankommen.Die Triebkräe der Arbeiterbewegung haen einst die Werkstäen,dann die Fabriken, um si zu nden. Sie haen den Streik, um si zuzählen und die Verräter zu demaskieren. Sie haen das Lohnverhältnis,das die Partei des Kapitals und die Partei der Arbeit gegeneinander auf-

 bringt, um weltweit Solidaritäten und Fronten aufzuspüren. Wir haben

die Totalität des sozialen Raumes, um uns zu nden. Wir haben das all-täglie Verhalten der Aufsässigkeit, um uns zu zählen und die Verräterzu demaskieren. Wir haben die Feindsa gegenüber der Zivilisation,um weltweit Solidaritäten und Fronten aufzuspüren.

Nits von den Organisationen erwarten. Allen bestehenden Milieus misstrauen,und zuallererst verhindern, zu einem zu werden

Es ist nit selten, dass man im Verlauf eines konsequenten Austrisden Organisationen begegnet – politisen, gewerksalien, huma-nitären, vereinten, etc.. Es kann sogar vorkommen, dass man einigenaufritigen, aber honungslosen, oder enthusiastisen, aber dur-

triebenen Wesen begegnet. Der Reiz der Organisationen besteht in ih-

rer augenseinlien Besaenheit – sie haben eine Gesite, einenSitz, einen Namen, Miel, einen Chef, eine Strategie und einen Diskurs.Nitsdestotrotz sind sie leere Aritekturen, die der Respekt vor ihrenheroisen Ursprüngen nur mühsam mit Leben zu füllen vermag. In

allen Dingen wie auf jeder internen Ebene kümmern sie si zuerst um

- SICH FINDEN 

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das Überleben als Organisationen, und um nits anderes. Ihr wieder-holter Verrat also hat sie am meisten von der Verbindung zu ihrer Basisentfremdet. Darum tri man dort manmal sätzenswerte Wesen.Aber das in der Begegnung enthaltene Verspreen kann nur außerhalb

der Organisation verwirklit werden und, notwendigerweise, gegensie.

Viel fürterlier no sind die Milieus mit ihrer weien Struktur, ih-rem Getratse und ihren informellen Hierarien. Alle Milieus sind zuiehen. Jedes einzelne von ihnen ist beauragt, eine Wahrheit zu neu-tralisieren. Die literarisen Milieus sind da, die Oenkundigkeiten derSrien zu erstien. Die libertären Milieus, die der direkten Aktion.Die naturwissensalien Milieus, um zurüzuhalten, was ihre For-sungen ab heute für die allermeisten mit si bringen. Die sportlienMilieus, um die versiedenen Lebensformen in ihren Sporthallen zuhalten, wele die versiedenen Sportarten hervorbringen könnten.Insbesondere zu iehen sind die kulturellen und politisen Milieus.Sie sind die zwei Hospize, in denen traditionellerweise alles revolutio-näre Verlangen zersellt. Die Aufgabe der kulturellen Milieus bestehtdarin, alle aueimenden Intensitäten aufzuspüren und den Sinn des-sen, was Ihr tut, zu unterslagen, dur das Ausstellen; die Aufgabe

der politisen Milieus, Eu die Energie wegzunehmen, es zu tun. Diepolitisen Milieus erstreen ihre diusen Netzwerke über das ganzefranzösise Territorium und stehen jegliem revolutionären Werdenim Weg. Sie sind nur Träger der Anzahl ihrer Niederlagen und der da-raus erwasenden Bierkeit. Ihr Versleiß genauso wie ihr Übermaßan Ohnmat hat sie unfähig gemat, die Möglikeiten der Gegen-wart aufzugreifen. Außerdem wird dort viel zu viel geredet, um eineunglülie Passivität einzuriten; was sie polizeili unsier mat.So wie es vergebli ist, von ihnen etwas zu erhoen, ist es dumm, von

ihrer Sklerose enäust zu sein. Es reit, sie verreen zu lassen.Alle Milieus sind konterrevolutionär, da ihr einziges Anliegen der Er-halt ihrer miesen Bequemlikeit ist.

Si als Kommunen zusammentun

Die Kommune ist, was passiert, wenn Wesen si nden, si verste-hen und entseiden, gemeinsam voranzusreiten. Die Kommuneentseidet si vielleit in dem Moment, wo es Brau ist, si zu

trennen. Sie ist die Freude des Zusammentreens, die ihre unerläßlie

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Erstiung überlebt. Sie ist, was bewirkt, dass wir »wir« sagen, und dassdies ein Ereignis ist. Das Seltsame ist nit, dass Wesen, die si verste-hen, eine Kommune bilden, sondern dass sie getrennt bleiben. Warumkönnen si die Kommunen nit ins Unendlie vermehren? In jeder

Fabrik, in jeder Straße, in jedem Dorf, in jeder Sule. Endli die Herr-sa der Basiskomitees! Kommunen aber, die akzeptieren würden, zusein, was sie sind, wo sie sind. Und möglierweise eine Vielfalt vonKommunen, wele die Institutionen des Staates ersetzen würden: dieFamilie, die Sule, die Gewerksa, den Sportverein, etc.. Kommu-nen, die si nit fürten würden, si neben ihren rein politisenAktivitäten für das materielle und emotionale Überleben eines jedenihrer Mitglieder zu organisieren und für all die Verlorenen, die sie um-

geben. Kommunen, die si – anders als es Kollektive im Allgemeinentun – nit über ein Drinnen und ein Draußen denieren, sondern überdie Dite der Beziehungen in ihrem Inneren. Nit über die Personen,die sie zusammensetzten, sondern über den Geist, der sie treibt.

Eine Kommune bildet si jedes Mal, wenn einige, befreit von der indivi-duellen Zwangsjae, si entseiden nur auf si selbst zu zählen undihre Kra an der Realität zu messen. Jeder wilde Streik ist eine Kom-

mune, jedes kollektiv besetzte Haus, das auf einer klaren Basis steht,

ist eine Kommune, die Aktionskomitees von 68 waren Kommunen, sowie es die Cimarrones geohener Sklaven in den Vereinigten Staatenwaren, oder Radio Alice in Bologna im Jahre 1977. Jede Kommune willsi selbst die Basis sein. Sie will die Frage der Bedürfnisse auösen.Sie will gleizeitig mit jeglier wirtsalien Abhängigkeit jedepolitise Unterwerfung zerslagen, und sie degeneriert zum Milieu,sobald sie den Kontakt zu den Wahrheiten verliert, die sie begründen.Es gibt allerlei Kommunen, die weder die Zahl, no die Miel, noden »ritigen Moment«, der nie kommen wird, abwarten, um si zu

organisieren.

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SICH ORGANISIEREN

Si organisieren, um nit mehr arbeiten zu müssen

Low Intensity Arbeitsplätze sind selten geworden und, um die Wahrheitzu sagen, bedeutet es o, zu viel Zeit zu verlieren, si dort weiter zulangweilen. Sie zeinen si außerdem dur slete Bedingungenfür die Siesta oder die Lektüre aus.Es ist wohlbekannt, dass das Individuum so wenig existiert, dass es sisein Leben verdienen muss, dass es seine Zeit gegen ein bissen sozialeExistenz tausen muss. Persönlie Zeit gegen soziale Existenz: so istdie Arbeit, so ist der Markt. Die Zeit der Kommune entzieht si so -fort der Arbeit, sie fällt nit auf den Tri herein, sie bevorzugt andere.Gruppen argentiniser Piqueteros lusen dem Staat kollektiv eine Artlokale Sozialhilfe ab, die an ein paar Arbeitsstunden geknüp ist; sieleisten die Stunden nit ab, smeißen ihren Gewinn zusammen undstaen si aus mit Sneidereien, einer Bäerei und bauen die Gärten

auf, die sie benötigen.Es gilt, Geld für die Kommune zu suen, auf keinen Fall muss dasLeben verdient werden. Alle Kommunen haben ihre swarzen Kassen.Die Tris sind vielfältig. Neben dem RMI gibt es das Kindergeld, dasKrankfeiern, mehrfae Stipendien, erswindelte Prämien für ktiveGeburten, alle Arten von Gesäen und so viele andere Miel, die bei

  jeder Mutation der Kontrolle entstehen. Es liegt weder an uns, sie zuverteidigen, no es uns in diesen sützenden Verslägen bequem zumaen oder sie wie ein Privileg für Eingeweihte zu bewahren. Was

witig ist zu kultivieren, zu verbreiten, ist jene notwendige Bereit-sa zum Betrug und zum Teilen seiner Innovationen. Für die Kom-

munen stellt si die Frage der Arbeit nur im Verhältnis zu den anderenvorhandenen Einkommen. Dabei darf nit vernalässigt werden, wases in gewissen Berufen, Ausbildungen oder gut platzierten Posten ne-

 benbei alles an nützlien Erkenntnissen zu sammeln gibt.

Der Anspru der Kommune ist es, für alle so viel Zeit wie möglifreizumaen. Ein Anspru, der si nit nur, nit im Wesentlien,

an der Zahl der Stunden misst, die frei von lohnabhängiger Ausbeutung

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sind. Die befreite Zeit sit uns nit in die Ferien. Die unbesetzteZeit, die tote Zeit, die Zeit der Leere und der Angst vor der Leere, dasist die Zeit der Arbeit. Von nun an gibt es keine Zeit mehr zu füllen , abereine Befreiung von Energie, die keine »Zeit« beinhaltet; Linien, die si

abzeinen, die deutlier werden, denen wir na Belieben folgen kön-nen, bis zum Ende, bis wir sehen, wie sie andere kreuzen.

Plündern, anbauen, herstellen

Ehemalige Arbeiter von Metaleurop werden eher Räuber als Sließer.Die Angestellten von EDF lassen ihren Freundeskreis wissen, wie maneinen Stromzähler überbrüt. Die »vom Lastwagen gefallene« heißeWare wird snell weiterverkau. Eine Welt, die si selbst derart of-fen zynis erklärt, konnte seitens der Proletarier kaum viel Loyalitäterwarten.Einerseits kann eine Kommune nit auf die Ewigkeit des Wohlfahrts-staates zählen, andererseits kann sie nit damit renen, auf langeSit von Ladendiebstahl, vom Containern des Abfalls aus den Müll-tonnen der Supermärkte oder des Nats aus den Warenlagern derIndustriezonen, vom Abzweigen von Subventionen, vom Versie-rungs- und sonstigen Betrug, kurz: vom Plündern zu leben. Sie muss

si also permanent damit besäigen, wie sie das Niveau und dieAusbreitung ihrer Selbstorganisation steigert. Nits wäre logiser,als dass die Drehbänke, die Fräsen und Fotokopierer, die bei Slie-ßung einer Fabrik mit Raba verkau werden, später zur Bekräi-gung irgendeiner Verswörung gegen die Warengesellsa dienen.Das Gefühl des bevorstehenden Zusammenbrus ist heutzutageüberall so akut, dass es swerfällt, alle laufenden Experimente inden Bereien Bau, Energie, Materialien, Illegalismus und Landwirt-sa aufzuzählen. Ein ganzes Ensemble von Wissen und Teniken

wartet nur darauf, geplündert und seiner Verpaung entrissen zuwerden, sei diese moralistis, kleinkriminell oder ökologis. DiesesEnsemble aber mat nur einen Teil aller Intuition, allen Know-Howsund der den Slums eigenen Erndungsgabe aus, die wir an den Taglegen müssen, um die metropolitane Wüste wieder zu bevölkernund mielfristig die Lebensfähigkeit eines Aufstandes zu siern.Wie kommunizieren und si bewegen, wenn alle Flüsse unterbroensind? Wie können wir die Subsistenz in den ländlien Gebieten wie-derherstellen, bis diese in der Lage sind, die Bevölkerungsdite zu tra-

gen, wie dies vor sezig Jahren no der Fall war? Wie können wir die

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 betonierten Räume in städtise Gemüsegärten verwandeln, wie dieseinst Cuba tat, um das amerikanise Embargo und die Liquidierungder UdR zu verkraen?

 Ausbilden und si formieren

Was bleibt uns, die wir soviel Gebrau gemat haben von den autori-sierten Vergnügungen, wele uns die marktwirtsalie Demokra-tie zugesteht? Was hat uns einst dazu getrieben, am Sonntag morgen

  joggen zu gehen? Was fesselt all die Karate-Fanatiker, die Liebhaberder Bastelei, des Angelns oder der Pilzkunde? Was außer der Notwen-digkeit, die vollkommene Untätigkeit zu füllen, die eigene Arbeitskraoder das eigene »Gesundheits-Kapital« wiederherzustellen. Die meistenVergnügungen könnten mit Leitigkeit ihren absurden Charakter ab-legen und zu mehr als nur Vergnügungen werden. Das Boxen war nitimmer für die Vorführungen auf Spenden-Galas und die Spektakel gro-ßer Wekämpfe reserviert. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts,im von Horden von Kolonisten ausgewaideten und aufgrund langerTroenheit hungernden China, organisierten si hunderausende ar-mer Bauern rund um unzählige Boxclubs unter freiem Himmel, um sivon Reien und Kolonisten zurüzuholen, was ihnen geraubt worden

war. Dies war die Revolte der Boxer. Wir können nit früh genug damit beginnen, zu lernen und anwenden, was weniger befriedete, wenigervorhersehbare Zeiten von uns verlangen werden. Unsere Abhängigkeitvon der Metropole – von ihrer Medizin, ihrer Landwirtsa, ihrer Poli-zei – ist so groß, gegenwärtig, dass wir sie nit angreifen können, ohneuns selbst in Gefahr zu bringen. Es ist das unausgesproene Bewusst-sein dieser Verletzbarkeit, das die unaufgeforderte Selbstbesränkungder aktuellen sozialen Bewegungen ausmat, das uns die Krisen für-

ten und na »Sierheit« streben lässt. Ihm ist es zu verdanken, dass

die Streiks den Horizont der Revolution gegen den der Rükehr zurNormalität eingetaust haben. Aus diesem Sisal auszubreenverlangt na einem langen und stihaltigen Lernprozess, na viel-fältigen massiven Experimenten. Es geht darum, kämpfen zu können,Slösser zu knaen, Knoenbrüe ebenso zu heilen wie eine An-gina, einen Piratensender zu bauen, Volksküen einzuriten, genauzu zielen, aber au darum, zerstreutes Wissen zu sammeln und eineLandwirtsa des Krieges zu saen, die Biologie des Plankton unddie Zusammensetzung des Bodens zu verstehen, das Zusammenwir-

ken der Panzen zu studieren und dadur die verlorene Intuition, alle

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Formen der Nutzung wiederzuentdeen, alle möglien Bindungenan unsere unmielbare Umgebung, und die Grenzen, über die hinauswir sie aurauen würden; und dies ab heute, für die Zeit, in der wirmehr als einen symbolisen Teil unserer Ernährung und Pege aus ihr

 besaen müssen.

Territorien saen. Die Zonen der Undurdringlikeit vermehren.

Die Reformisten sind si heute zunehmend einig, dass es mit »demnäherrüenden Peak Oil« und, »um Treibhausgase zu reduzieren«,einer »Re-Lokalisierung der Wirtsa« bedarf, der Förderung regi-onaler Versorgung, kurzer Vertriebswege, des Verzits auf die Be-quemlikeit von Importen aus der Ferne, etc.. Was sie dabei verges-sen, ist, dass es die Eigentümlikeit dieser lokalen wirtsalienTätigkeiten ist, das sie im Saen standen, auf »informelle« Art;dass diese einfae ökologise Maßnahme der Re-Lokalisierungder Wirtsa nit weniger impliziert, als si aus der staatlienKontrolle zu befreien, oder si ihr bedingungslos zu unterwerfen.Das aktuelle Territorium ist das Produkt mehrerer Jahrhunderte poli-zeilier Operationen. Das Volk wurde von seinem Land, von seinenStraßen, dann aus seinen Stadeilen und sließli aus seinen Trep-

penhäusern gedrängt39

 , in der verrüten Honung, alles Leben in denvier switzenden Wänden des Privaten in Sa zu halten. Für unsstellt si die Frage des Territoriums nit in gleier Weise wie für denStaat. Es geht nit darum, es zu halten. Es geht darum, auf lokaler Ebe-ne die Kommunen, die Zirkulation und die Solidaritäten zu verditen,

 bis zu dem Punkt, an dem das Territorium unlesbar, undurdringliwird für jeglie Autorität. Es geht nit darum, ein Territorium zu be-setzen, sondern es zu sein.

  Jede Praxis lässt ein Territorium existieren – ein Territorium für den

Drogenhandel oder die Jagd, ein Territorium der Spiele für Kinder, derVerliebten oder der Unruhen, ein Territorium des Bauern, des Ornitho-logen oder des Flaneurs. Die Regel ist simpel: je mehr Territorien si ineiner bestimmten Zone überlagern, desto mehr Zirkulation gibt es zwi-sen ihnen, und umso weniger Angrisäe ndet die Mat. Knei-pen, Druereien, Sporthallen, Braäen, Antiquariate, Däer vonWohnblos, unangemeldete Märkte, Dönerläden und Garagen können

39 2001 verwandelt das »Gesetz über die alltäglie Sierheit« die ›Besatzung‹ derEingangsbereie der Wohnhäuser in ein Delikt. Seither kann die Polizei Jugendlie fürden Aufenthalt vor ihrer Haustür verhaen.

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ihrer oziellen Bestimmung einfa entkommen, wenn si dort aus-reiend Komplizensaen nden. Indem sie der staatlien Karto-graphie ihre eigene Geographie aufzwingt, sie verswimmen lässt, sielöst, produziert die lokale Selbstorganisierung ihre eigene Sezession.

Reisen. Unsere eigenen Kommunikationswege anlegen.

Das Prinzip der Kommunen ist nit, der Metropole und ihrer Mobilitätdie lokale Verwurzelung und die Langsamkeit entgegenzusetzen. Diesi ausbreitende Bewegung der Bildung von Kommunen muss dieje-nige der Metropole unterirdis überholen. Es gibt keinen Grund, dieMöglikeiten des Reisens und der Kommunikation, die uns die Infra-strukturen des Marktes bieten, abzulehnen, es genügt, ihre Grenzen zukennen. Man muss nur vorsitig genug, unauällig genug sein. Si zu

 besuen ist allemal sierer, hinterlässt keine Spur und sa Verbin-dungen, die gehaltvoller sind als alle Kontaktlisten im Internet. Das Pri-vileg, »frei zu reisen«, quer dur den Kontinent und ohne größere Pro-

 bleme in die ganze Welt, das vielen von uns zugestanden wird, ist einnit zu vernalässigender Trumpf für die Kommunikation zwisenden Herden der Konspiration. Einer der Reize der Metropole ist es,Amerikanern, Grieen, Mexikanern und Deutsen zu erlauben, si

heimli für die Zeit einer Strategiediskussion in Paris wiederzutreen.Die permanente Bewegung zwisen den befreundeten Kommunen ge-hört zu den Dingen, die sie vor dem Austronen und dem Verhängnisdes Verzits bewahrt. Genossen zu empfangen, si über ihre Initi-ativen auf dem Laufenden zu halten, über ihre Erfahrungen nazu-sinnen, si die Teniken, die sie beherrsen, anzueignen, bringen ei-ner Kommune mehr, als sterile Selbstprüfungen hinter verslossenenTüren. Es wäre fals zu untersätzen, was an diesen Abenden an Ent-seidendem erarbeitet werden kann, an denen wir uns mit unseren

Ansiten über den laufenden Krieg auseinandersetzen.

 Alle Hindernisse umstürzen, eins na dem anderen.

Wie man weiß, laufen die Straßen über vor Unhöikeiten. Zwisendem, was sie wirkli sind, und dem, was sie sein sollten, steht dieZentripetalkra jeglier Polizei, die si abmüht die Ordnung wieder-herzustellen; und ihr gegenüber gibt es uns, das heißt die gegenläugeBewegung, die Zentrifugalkra. Überall wo Erregung und Unordnung

auauen, können wir uns über sie nur freuen. Es erstaunt nit, dass

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diese Nationalfeiern, die nits mehr feiern, nun systematis verder-  ben. Funkelnagelneu oder klapprig, das urbane Mobiliar – aber wofängt es an? Wo hört es auf? - materialisiert unsere gemeinsame Enteig-nung. Hartnäig in seiner Nitigkeit, verlangt es nur dana auf ewig

wiederzukehren. Beobaten wir aufmerksam, was uns umgibt: all dieswartet, dass seine Stunde slägt, die Metropole nimmt nostalgiseZüge an, wie dies sonst nur Ruinen tun.Auf dass die Unhöikeiten methodis werden, dass sie systematiswerden, si zu einer diusen, ezienten Guerilla vereinen, die unswieder zu unserer wesentlien Unregierbarkeit zurüführt, zu un-serer Undiszipliniertheit. Es ist verwirrend, dass gerade die Undiszipi-niertheit zu den Tugenden des Partisanen gezählt wird. Slussendlihäe man die Wut nie von der Politik lösen sollen. Ohne erstere verliertsi letztere im Diskurs, und ohne letztere ersöp si erstere im Ge-

 brüll. Begrie wie »die Wütenden« und »die Fanatiker«40 tauen in derPolitik nie ohne Warnsüsse wieder auf.

Was die Methode angeht, behalten wir für die Sabotage folgendes Prin-zip: ein Minimum an Risiko bei der Aktion, ein Minimum an Zeit, einMaximum an Saden. Für die Strategie, erinnern wir uns daran, dassein umgestürztes, aber nit ausgeräumtes Hindernis – ein befreiter,

aber nit bewohnter Raum – einfa dur ein weiteres Hindernis zuersetzen ist, das beständiger und swerer anzugreifen ist.Es bringt nits, si mit den drei Typen der Arbeitersabotage abzumü-hen: die Arbeit bremsen, vom »loer nehmen« zum Bummelstreik; dieMasinen zerstören oder ihre Abläufe beeinträtigen; Firmengeheim-

nisse ausplaudern. Auf die Dimensionen der gesellsalien Fabrikausgeweitet, verallgemeinern si die Prinzipien der Sabotage von derProduktion in die Zirkulation. Die tenise Infrastruktur der Metro-pole ist verletzbar: ihre Flüsse bestehen nit nur im Transport von Per-

sonen und Waren, Informationen und Energie zirkulieren dur Netzeaus Kabeln, Glasfasern und Rohren, die angegrien werden können.Die soziale Masine mit einiger Auswirkung zu sabotieren, bedeutetheutzutage si die Miel zur Unterbreung ihrer Netze wieder anzu-eignen und neu zu ernden. Wie können eine TGV-Linie oder ein Strom-

netz unbraubar gemat werden? Wie können die Swastellen der

40 Als Wütende, »enragés«, und Fanatiker, »exaltés«, wurden während der Franzö-

sisen Revolution jene radikale Gruppen bezeinet, deren Ideen einer direkt vom Volkausgeübten Souveränität und Kritik jeder Form der Repräsentation sie zu politisenGegnern der Jakobiner wie der Bergpartei werden ließ.

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Computer-Netzwerke gefunden, wie die Radiofrequenzen gestört unddie Flimmerkiste wieder zum Rausen gebrat werden?Was die ernsten Hindernisse anbelangt, ist es fals, ihre Zerstörungfür unmögli zu halten. Das Promethise dabei besteht und lässt si

zusammenfassen in einer gewissen Aneignung des Feuers, jenseits jeg-lien blinden Voluntarismus. 356 v. Chr. brannte Herostratos den Tem-

pel der Artemis nieder, eines der sieben Weltwunder. In unseren Zeitender vollendeten Dekadenz haben die Tempel nits Imposantes mehr,außer der nsteren Wahrheit, dass sie bereits Ruinen sind.Dieses Nits zu verniten hat nits von einer traurigen Aufgabe. DasHandeln ndet darin zu neuer Jugend. Alles mat Sinn, alles ordnetsi plötzli, Raum, Zeit, Freundsa. Aus allem Holz wird ein Pfeilgemat, man ndet die Verwendung wieder – ist ganz Pfeil. Im Elendder Zeit dient »seiß auf alles« vielleit – nit ohne Grund, wie manzugeben muss – als letzte kollektive Verführung.

Die Sitbarkeit iehen. Die Anonymität in eine oensive Position wenden.

Während einer Demonstration reißt eine Gewerksaerin die Maskeeines Anonymen runter, der gerade eine Seibe eingeslagen hat:»Steh zu dem, was du tust, ansta di zu versteen«. Sitbar zu sein

 bedeutet ohne Deung, das heißt vor allem verletzbar zu sein. Wenndie Linken aller Länder nit auören ihre Sae »sitbar« zu maen- sei es die der Obdalosen, der Frauen oder der Sans-Papiers – in derHonung, dass man si darum kümmert, tun sie genau das Gegenteildessen, was getan werden müsste. Nit si sitbar zu maen, son-dern die Anonymität, in die wir abgesoben wurden, zu unserem Vor-teil zu wenden und daraus, miels der Verswörung, der nätlienoder vermummten Aktion, eine unangreiare Position des Angris zumaen. Das Feuer von November 2005 bietet dafür das Vorbild. Kein

Führer, keine Forderung, keine Organisation, sondern Worte, Gesten,Komplizensaen. Gesellsali nits zu sein ist kein erniedri-gender Stand, die Quelle eines tragisen Mangels an Anerkennung –anerkannt: von wem? - vielmehr ist es die Bedingung einer maximalenAktionsfreiheit. Seine Untaten nit zu unterzeinen, mit sinnlosenKürzeln bekannt zu maen – man erinnert si no der kurzlebigenBAFT (Anti-Bullen-Brigade Tarterêts)41 – ist eine Art, diese Freiheit zu

 bewahren. Oenkundig ist das Konstruieren eines Subjekts »Banlieue«

41 »Brigade Anti-Flic de Tarterêts«, einer Hohaussiedlung im Département Saint-Denis.

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als Akteur der »Unruhen von 2005« eines der ersten defensiven Manö-ver des Regimes gewesen. Si die Fressen derjenigen anzusehen, diein dieser Gesellsa jemand sind kann helfen die Freude zu verstehen,dort niemand zu sein.

Die Sitbarkeit ist zu iehen. Aber eine Kra, die si im Dunkeln sam-melt, kann ihr nit auf ewig ausweien. Uns geht es darum, unserErseinen als Kra bis zum günstigen Zeitpunkt zu versieben. Denn

 je später uns die Sitbarkeit ndet, umso stärker ndet sie uns. Ersteinmal in der Sitbarkeit, sind unsere Tage gezählt. Entweder sind wirin der Lage, ihre Herrsa kurzfristig zu pulverisieren, oder sie wirduns ohne Verzögerung zerquetsen.

Die Selbstverteidigung organisieren.

Wir leben unter Besatzung, unter  polizeilier Besatzung. Die Razziengegen Sans-Papiers auf oener Straße, die Zivilstreifen, wele denBoulevard ho und runter fahren, die Befriedung von Stadeilen derMetropole miels Teniken, die in den Kolonien gesmiedet wurden,die Vorträge des Innenministers gegen die »Banden«, die jenen aus demAlgerienkrieg ähneln, erinnern uns tägli daran. Genügend Motive,si nit mehr zerquetsen zu lassen, in die Selbstverteidigung zu

gehen.Im Zuge ihres Wasens und Ausstrahlens wird eine Kommune naund na mit Operationen der Mat konfrontiert, die aufs Korn neh-men, was sie ausmat. Diese Gegenangrie nehmen die Form der Ver-führung an, der Vereinahmung und in letzter Instanz jene der rohenGewalt. Die Selbstverteidigung muss eine kollektive Oenkundigkeitfür die Kommunen sein, sowohl praktis als au theoretis. EineFestnahme abzuwehren, si blitzsnell und zahlrei gegen Absie-

 bungen oder Räumungen zu versammeln, einen der unseren zu ver-

steen, werden in den kommenden Zeiten keine überüssigen Reexesein. Wir können nit permanent unsere Stützpunkte wieder auauen.Hören wir auf die Repression zu beklagen, bereiten wir uns darauf vor.Dies ist keine einfae Sae, denn indem von der Bevölkerung einÜbersuss an polizeilier Arbeit erwartet wird – von der Denunzia-tion über die gelegentlie Beteiligung an Bürgerwehren – verswin-den die Polizeikräe in der Masse. Das Passepartout-Modell der poli-zeilien Intervention, au in aufständisen Situationen, ist nun derBulle in zivil. Die Ezienz der Polizei während der letzten Demos ge-

gen das CPE ist diesen Zivilen zu verdanken, die si unter die Menge

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misten, wartend auf den Moment, si zu enarnen: mit Gas, Slag-sto, Gummigesoss und Festnahme; das Ganze in Koordination mitden Ordnungsdiensten der Gewerksaen. Allein die Möglikeitihrer Anwesenheit reit, den Verdat unter den Demonstranten zu

ween: Wer ist wer?, und das Handeln zu lähmen. Ausgehend davon,dass eine Demonstration nit ein Miel ist, si zu zählen, sondern zuhandeln, müssen wir uns die Miel aneignen, die Zivilen zu demaskie-ren, sie zu verjagen und gegenbenfalls ihnen diejenigen zu entreißen,die sie versuen festzunehmen.Die Polizei ist nit unbesiegbar auf der Straße, sie hat nur die Mielsi zu organisieren, si zu trainieren und permanent neue Waen zutesten. Im Verglei werden unsere Waen immer rudimentär, geba-stelt und o vor Ort improvisiert sein. Diese geben auf keinen Fall vormit deren Feuerkra zu konkurrieren, sondern zielen darauf ab, sie aufDistanz zu halten, die Aufmerksamkeit abzulenken, psyologisenDru auszuüben oder dur Überrasen eine Brese zu slagenund Terrain zu gewinnen. Oensitli reit die ganze Innovation,die si in den Ausbildungszentren zur Stadt-Guerilla der französisenGendarmerie entfaltet, nit aus, und wird wahrseinli nie genügen,um ras genug auf eine si bewegende Vielfalt zu reagieren, die vie-lerorts gleizeitig zuslagen kann und vor allem immer versut die

Initiative zu behalten.Die Kommunen sind natürli verletzbar dur Überwaung und poli-zeilie Ermilungen, dur Kriminaltenik und Geheimdienste. DieVerhaungenwellen von Anaristen in Italien und Ecowarriors in denUSA wurden dur Abhören ermöglit. Jede zeitweilige Gewahrsam-

nahme42 veranlasst milerweile eine DNA-Entnahme und trägt bei zueiner immer vollständigeren Datenbank. Ein Hausbesetzer aus Barcelo-na wurde gefasst, weil er Fingerabdrüe auf Flugbläern hinterließ, dieer verteilt hae. Die Methoden der Datenspeierung verbessern si

stetig, vor allem dur die Biometrie. Und sollte der elektronise Aus-weis eingeführt werden, würde dies unsere Aufgabe nur no kompli-zieren. Die Pariser Kommune hae das Problem der Datenspeierungteilweise gelöst: Mit dem Niederbrennen des Ratshauses zerstörten dieBrandstier die Arive der Zivilverwaltung. Eine Möglikeit elektro-nise Daten auf immer zu zerstören, muss erst no gefunden werden.

42 »Garde à vue« bedeutet juristis, eine Person bis zu drei Tage ›der Polizei zur Ver-

fügung zu stellen‹. Sie kann auf versiedenste Gesetzesverstöße angewendet werden,au auf Verdat, und betri jährli 900.000 Mensen.

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AUFSTAND

Die Kommune ist die elementare Einheit der Realität der Partisanen.Eine aufständise Erhebung ist vielleit nits anderes als eine Ver-vielfaung der Kommunen, ihrer Verbindungen und ihres Zusam-

menspiels. Im Lauf der Ereignisse versmelzen die Kommunen zugrößeren Einheiten oder spliern si auf. Zwisen einer Bande vonBrüdern und Swestern, verbunden »auf Leben und Tod«, und derZusammenkun einer Vielzahl von Gruppen, Komitees und Bandenum die Versorgung und Selbstverteidigung eines Stadeils, oder sogareiner aufständisen Region, gibt es nur einen Untersied im Umfang,sie sind ununterseidbar Kommunen.

 Jeglie Kommune kann nur zwangsläug na Selbstversorgung stre-  ben und in ihrem Innern Geld als etwas Läerlies und genau ge-sagt Deplaziertes empnden. Die Mat des Geldes besteht darin, eine

Bindung zu saen zwisen denen, die ohne Bindung sind, Fremdeals Fremde zu verbinden und dadur, dass jedes Einzelne als äquiva-lent gesetzt wird, alles in Zirkulation zu versetzen. Die Fähigkeit desGeldes, alles zu verbinden, wird mit der Oberälikeit dieser Ver-

 bindung bezahlt, in der die Lüge zur Regel wird. Der Argwohn ist dasFundament des Kreditverhältnisses. Die Herrsa des Geldes mussdeswegen immer die Herrsa der Kontrolle sein. Die praktise Ab-saung des Geldes kann nur dur die Ausweitung der Kommunengesehen. Bei der Ausweitung der Kommunen muss jede einzelne der

Sorge Renung tragen, eine gewisse Größe nit zu übersreiten, eineGröße, ab der sie den Kontakt zu si selbst verliert und damit unwei-gerli eine dominante Kaste ins Leben ru. Die Kommune zieht es alsovor, si aufzuspalten und si auf diese Weise auszudehnen, wodursie gleizeitig einem unglüliem Ende zuvorkommt.Der Aufstand der algerisen Jugend, der im Frühling 2001 die ganzeKabylei in Brand setzte, erreite eine beinahe totale Wiederaneignungdes Terrritoriums, mit Aaen auf Gendarmerieposten, Gerite undstaatlie Vertretungen, die Unruhen verallgemeinernd, bis zum einsei-

tigen Rüzug der Ordnungskräe, bis zum physisen Verhindern der

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Wahlen. Die Stärke der Bewegung lag in der diusen Komplementari-tät untersiedlier Komponenten – die nur zu einem kleinen Teil inden endlosen und honungslos männlien Versammlungen der Dorf-komitees und anderer Volkskomitees vertreten waren. Mal trugen die

»Kommunen« des no immer swelenden algerisen Aufstands dasGesit dieser »gebrannten« Jugendlien mit Basecap, die vom Daeines Gebäudes in Tizi Ouzou Gasasen auf die CNS (CRS) warfen,mal das spöise Läeln eines alten, in seinen Burnous gehüllten Ma-quisards, und mal die Energie der Frauen eines Bergdorfes, die allenUmständen zum Trotz den traditionellen Anbau und das Vieh unter-hielten, ohne wele die regionale Wirtsa nie dermaßen wiederholtund systematis häe bloiert werden können.

 Aus jeder Krise ein Feuer maen

»Man muss außerdem hinzufügen, dass nit die gesamte französiseBevölkerung behandelt werden könnte. Daher gilt es eine Auswahl zutreen.« So fasst ein Experte der Virologie am 7. September 2005 in »leMonde« zusammen, was si im Falle einer Pandemie der Vogelgrippeereignen würde. »Terroristise Bedrohungen«, »Naturkatastrophen«,»Virenalarm«, »Soziale Bewegungen« und »Städtise Gewalt« sind für

die Verwalter der Gesellsa gleiermaßen Momente der Instabilität,in denen sie ihre Mat dur die Selektion dessen siern, was ihnengefällt, und dur die Vernitung dessen, was sie stört. Dies ist also,logiserweise, die Gelegenheit für jeglie andere Kra, si zu festi-gen oder zu verstärken, indem sie dagegen Partei ergrei. Die Unterbre-ung der Warenüsse, das Aussetzen der Normalität – es genügt sianzusehen, was bei einem plötzlien Stromausfall an sozialem Lebenin ein Gebäude zurükehrt, um si vorzustellen, zu was das Lebenwerden könnte in einer Stadt, in der alles versagt – und der polizeilien

Kontrolle, setzen an Möglikeiten der Selbstorganisierung frei, wasunter anderen Umständen unvorstellbar wäre. Das ist allen bewusst.Die revolutionäre Arbeiterbewegung hae dies wohl verstanden, dieaus den Krisen der bürgerlien Wirtsa Höhepunkte ihrer wasen-den Stärke mate. Heutzutage sind die islamisen Parteien nirgendsso stark wie dort, wo es ihnen gelingt, für die Swäe des Staates aufintelligente Art Ersatz zu bieten, zum Beispiel: bei der Einritung derNothilfe na dem Erdbeben von Boumerdès in Algerien, oder bei deralltäglien Unterstützung der Bevölkerung im Süd-Libanon, der von

der israelisen Armee zerstört wurde.

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Wie wir bereits oben erwähnten, hat die Verwüstung von New Orleansdur den Hurrikan Cathrina einem wesentlien Teil der nordame-rikanisen anaristisen Bewegung Gelegenheit gegeben, zu einer

 bisher unbekannten Konsistenz zu gelangen, indem sie si an die Seite

all jener stellte, die si vor Ort der Zwangsumsiedlung widersetzten.Die Straßenküen setzen voraus, si Gedanken über die Versorgunggemat zu haben, die Erste Hilfe verlangt das Aneignen des nötigenWissens und Materials, genau wie das Einriten freier Radios. Das,was sole Erfahrungen an Freude enthalten, das Überwinden des in-dividuellen Durwurstelns, diese greiare, nit dem Alltag der Ord-nung und der Arbeit unterworfene Realität, garantiert ihre politiseFrutbarkeit.In einem Land wie Frankrei, wo die radioaktiven Wolken an derGrenze anhalten, und wo man si nit fürtet ein Krebszentrum aufdem als Seveso-Zone43 eingestuen ehemaligen Standort der FabrikAZF44 zu erriten, gilt es weniger, auf die »natürlien« Krisen zu set-zen als auf die sozialen. Es liegt meist an den sozialen Bewegungen,den normalen Ablauf des Desasters zu unterbreen. Sier boten dieversiedenen Streiks der letzten Jahre vor allem der Mat und denUnternehmensleitungen die Gelegenheit, ihre Fähigkeit zur Bereitstel-lung eines immer umfangreieren »Mindest-Services« zu testen, bis sie

die Arbeitsniederlegung auf die rein symbolisen Dimension reduzierthaben – kaum sädlier als ein Sneesturm oder ein Selbstmord aufden Bahngleisen. Aber indem die Kämpfe der Süler von 2005 und ge-gen das CPE die etablierten aktivistisen Praxen der systematisenBesetzung von Sulen und der hartnäigen Bloaden auf den Kopfstellten, haben sie die Fähigkeit zur Störung und zur diusen Oen-sive großer Bewegungen in Erinnerung gerufen. Mit all den Banden,die ihrem Kielwasser entsprangen, ließen diese Kämpfe erahnen, unterwelen Bedingungen Bewegungen zu einem Ort werden, an dem si

neue Kommunen bilden.

43 U-Ritlinie von 1996 »zur Beherrsung der Gefahren bei sweren Betriebsunfäl-len mit gefährlien Stoen und zur Begrenzung der Unfallfolgen«, benannt na derGimüll-Katastrophe von Seveso, klassiziert Verseuungsgrade.44 Am 21. September 2001 kam es in der Total-Fina-Elf gehörenden Düngemielfabrik

AZF in Toulouse zu einer Explosion mehrerer hundert Tonnen Ammoniumnitrat ineiner Deponie für emise Abfälle. Ein Teil der Stadt wurde besädigt, 31 Mensenstarben, mehrere Tausend wurden verletzt.

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 Jeglie Instanz der Repräsentation sabotierenDas Palaver verallgemeinernDie Vollversammlungen absaen

Als erstes Hindernis, lange no vor der eigentlien Polizei, tri diesoziale Bewegung auf die gewerksalien Kräe und all die Mikro-

 bürokratie, deren Berufung es ist, die Kämpfe einzuhegen. Die Kommu-

nen, die Basisgruppen, die Banden misstrauen ihnen spontan. Deswegenhaben die Parabürokraten vor zwanzig Jahren die Bündnisse erfun-den, die dur ihre Abwesenheit eines Etikes einen unsuldigerenEindru maen, aber dadur nit weniger das ideale Terrain ihrerManöver bleiben. Wenn ein orientierungsloses Kollektiv si in Auto-nomie übt, hören sie nit auf, es von jegliem Inhalt zu leeren, indemsie gute Fragen entslossen wegwisen. Sie sind erbiert, sie erregensi; nit aus Leidensa für die Debae, sondern in ihrer Berufung,sie zu bannen. Und sobald das Kollektiv von ihrer unnagiebigen Ver-teidigung der Apathie überwältigt wurde, erklären sie dessen Seiterndur den Mangel an politisem Bewusstsein. Man muss sagen, dasses den jungen Aktivisten in Frankrei, dank der wahnsinnigen Aktivi-täten der versiedenen trotzkistisen Sekten, nit an der Kunst derpolitisen Manipulation fehlt. Sie sind es nit, die aus den Flammen

des November 2005 folgende Lehre zu ziehen wussten: Alle Bündnissesind da überüssig, wo man si verbündet, die Organisationen sindimmer da zuviel, wo man si organisiert.

Ein weiterer Reex ist, bei der kleinsten Bewegung eine Vollversamm-

lung einzuberufen und abzustimmen. Das ist ein Fehler. Allein, was mitder Wahl, der Entseidung zu gewinnen, auf dem Spiel steht, reit,die Versammlung in einen Alptraum zu verwandeln, in ein Theater, indem si alle Ansprüe auf die Mat gegenüberstehen. Wir stehen

hier unter dem Einuss des sleten Vorbilds der bürgerlien Parla-mente. Die Versammlung ist nit für die Entseidung gemat, son-dern für das Palaver, für das freie, ziellos ausgeübte Wort.Das Bedürfnis, si zu versammeln, ist so konstant bei den Mensen,wie die Notwendigkeit, Entseidungen zu fällen selten ist. Si zuversammeln entsprit der Freude, eine gemeinsame Stärke zu erleben.Entseiden ist nur in Notsituationen lebenswitig, wo die Ausübungder Demokratie ohnehin fragli ist. In der restlien Zeit besteht dasProblem des »demokratisen Charakters des Entseidungsprozesses«

nur für Fanatiker der Prozedur. Es geht nit darum, die Versammlungen

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zu kritisieren oder si von ihnen abzuwenden, sondern in ihnen dieWorte, die Gesten und Spiele zwisen den Wesen zu befreien. Es reitzu erkennen, dass jeder nit nur mit einem Standpunkt, einem Antrag,sondern mit Wünsen, Verbundenheit, Fähigkeiten, Stärken, Traurig-

keiten, und einer gewissen Verfügbarkeit dorthin kommt. Sollte es nungelingen, das Hirngespinst der Vollversammlung zu zerreißen, zugun-sten einer Versammlung der Anwesenheiten , wenn es gelingt, der immerwieder auebenden Versuung der Hegemonie zu widerstehen, wennwir auören, uns auf die Entseidung als Zwe festzulegen, danngibt es einige Chancen, dass si eine dieser kritisen Massen ergibt,eines jener Phänomene der kollektiven Kristallisation, in der eine Ent-seidung die Wesen ergrei, in ihrer Gesamtheit oder nur zum Teil.

Das Gleie gilt bei der Entseidung über Aktionen. Vom Prinzipauszugehen, dass »si der Verlauf einer Versammlung an der Akti-on ausriten soll«, verunmöglit sowohl das Aufwallen der Debaewie die eziente Aktion. Eine Versammlung von zahlreien Fremdenverdammt si dazu, Spezialisten der Aktion zu saen, was bedeutet,die Aktion zugunsten ihrer Kontrolle zu vernalässigen. Auf der einenSeite sind die Beauragten per Denition in ihrer Aktion eingesränkt,auf der anderen Seite hindert sie nits daran, alle zu bevormunden.

Es geht nit darum, der Aktion eine ideale Form zuzuweisen. Haupt-sae, die Aktion gibt si eine Form, bringt diese hervor und ord-

net si ihr nit unter. Dies setzt voraus, eine gleie politise, ge-ographise Position zu teilen – wie einst die Sektionen der PariserKommune während der Französisen Revolution – sowie ein gleies,zirkulierendes Wissen. Geht es darum, über Aktionen zu entseiden,so könnte das Prinzip lauten: Jeder holt eigene Erkundungen ein, dieÜbereinstimmung der Nariten wird geprü, und die Entseidung

wird von alleine kommen, ergrei uns mehr, als wir sie ergreifen. DieZirkulation des Wissens hebt die Hierarie auf, sie gleit alles vonoben an. Horizontale, um si greifende Kommunikation, dies ist audie beste Form, die versiedenen Kommunen zu koordinieren, um sivon der Hegemonie zu verabsieden.

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Die Wirtsa bloieren, aber unsere Stärke zu bloieren an unserem Niveauder Selbstorganisierung messen.

Ende Juni 2006 mehren si im ganzen Staat von Oaxaca die Besetzungen

der Rathäuser, die Aufständisen besetzen öentlie Gebäude. In eini-gen Gemeinden vertreiben sie die Bürgermeister und beslagnahmendie oziellen Fahrzeuge. Einen Monat später sind die Zugänge zu ge-wissen Hotels und Tourismuskomplexen bloiert. Der Tourismusmi-nister sprit von einer »mit dem Hurrikan Wilma vergleibaren« Ka-tastrophe. Einige Jahre zuvor war die Bloade zu einer der witigstenAktionsformen der argentinisen Bewegung der Revolte geworden,dabei unterstützten si die versiedenen lokalen Gruppen gegen-seitig, indem sie diese oder jene Verkehrsase bloierten, und durihre gemeinsame Aktion ständig drohten, das gesamte Land zu lähmen,sollten ihre Forderungen nit erfüllt werden. Eine derartige Drohungwar lange Zeit ein kravoller Hebel in den Händen der Bahnarbeiter,Gasarbeiter, Elektriker und Lastwagenfahrer. Die Bewegung gegen dasCPE zögerte nit Bahnhöfe, Ringstraßen, Fabriken, Autobahnen, Su-permärkte und sogar Flughäfen zu bloieren. In Rennes bedure esnit mehr als dreihundert Personen, um die Umgehungsstrasse fürStunden lahmzulegen und vierzig Kilometer Stau zu verursaen.

Alles bloieren ist deshalb der erste Reex all dessen, was si gegendie gegenwärtige Ordnung ritet. In einer ausgelagerten Wirtsa, inder die Unternehmen »Just in time« funktionieren, wo der Wert si ausihrer Verbindung zum Netzwerk herleitet, wo die Autobahnen Gliederder entmaterialisierten Produktionskee sind, die von Subunternehmerzu Subunternehmer und von da zur Montagefabrik gehen, heißt dieProduktion zu bloieren ebenso die Zirkulation zu bloieren.Aber es kann nit darum gehen, mehr zu bloieren, als es die Fähig-keit zur Versorgung und Kommunikation der Aufständisen, die tat-

sälie Selbstorganisierung der versiedenen Kommunen erlaubt.Wie können wir uns ernähren, wenn alles lahmgelegt ist? Die Gesäezu plündern, wie dies in Argentinien gemat wurde, hat seine Gren-zen; so gewaltig die Konsumtempel au sind, sie sind keine uner-söpie Vorratskammer. Auf Dauer die Fähigkeit zu erlangen, siseine grundlegende Versorgung selbst zu saen, bedingt also, sidie Miel ihrer Produktion anzueignen. Und an diesem Punkt seintes wohl unnötig, no länger zu warten. Zwei Prozent der Bevölkerungdie Nahrungsmielproduktion für alle anderen zu überantworten, wie

es heute gesieht, ist historiser sowie strategiser Unsinn.

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Das Territorium von der polizeilien Besatzung befreien.Soweit mögli die direkte Konfrontation vermeiden.

»Diese Gesite mat klar, dass wir es hier nit mit Jugendlien zu

tun haben, die ein Mehr an Sozialem fordern, sondern mit Individuen,die der Republik den Krieg erklären«, bemerkte ein hellsitiger Bulleangesits der kürzli gelegten Hinterhalte45. Die Oensive zur Befrei-ung des Territoriums von seiner polizeilien Besatzung hat bereitsangefangen, und kann auf die unersöpien Reserven von Ressenti-ments zählen, wele diese Kräe gegen si gesammelt haben. In den»sozialen Bewegungen« selbst verbreitet si na und na die Revolte,ebenso wie unter den Feiernden in Rennes, die im Jahr 2005 jeden Don-nerstagabend der CRS gegenüber traten, oder jene in Barcelona, wele

  jüngst anlässli eines Botellons eine der kommerziellen Arterien derStadt verwüsteten. Die CPE-Bewegung hat die regelmäßige Rükehrdes Molotov Cotails erlebt. Aber in diesem Punkt bleiben einige Ban-lieues unübertroen. Vor allem in der Tenik, die si son seit lan-gem hält: der Hinterhalt. Wie der vom 13. Oktober 2006, in Epinay: EineEinsatzgruppe der BAC fährt um 23 Uhr na einem Anruf wegen Dieb-stahls aus einem Auto umher; bei ihrer Ankun fand si eine der Ein-satzgruppen bloiert »von zwei quer über die Straße stehenden Fahr-

zeugen [...] und von mehr als dreißig Individuen, mit Eisenstangen undHandfeuerwaen ausgerüstet, die Steine auf das Fahrzeug warfen undTränengas gegen die Polizisten einsetzten«. In kleinerem Maßstab denktman an die Stadeil-Polizeiwaen, die außerhalb der Önungszeitenangegrien werden: Eingeslagene Seiben, abgefaelte Autos.Eine der Errungensaen der letzten Bewegungen ist, dass eine eteDemonstration eine »wilde« ist, ohne Anmeldung bei der Präfektur.Was die Wahl des Terrains anbelangt, täten wir gut daran, uns ein Bei-spiel am Swarzen Blo 2001 in Genua zu nehmen, die roten Zonen

zu umgehen, die direkte Konfrontation zu iehen und, in Entseidungdes Weges, die Bullen zum Laufen zu bringen, sta von ihnen zum Lau-fen gebrat zu werden – vor allem die der Gewerksaen, vor allemdie der Pazisten. Es hat si gezeigt, dass es tausend Entslossenengelingen kann, ganze Wannen der Carabinieri zurüzudrängen, um siesließli in Brand zu steen. Witig ist nit, der besser Bewanetezu sein, sondern die Initiative zu ergreifen. Der Mut ist nits, das Ver-trauen in den eigenen Mut alles. Die Initiative ergreifen und beitragen.

43 Na der Wahl von Sarkozy wurden in der Pariser Blanlieue immer wieder Polizei-fahrzeuge, aber au viele Linienbusse in Hinterhalte gelot und angezündet.

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Alles anstaeln, denno, die direkte Konfrontation als Punkte der Fi-xierung der gegnerisen Kräe erlaubt es, abzuwarten und woandersanzugreifen – au ganz nah. Dass man nit verhindern kann, dass eineKonfrontation standet, verbietet nit, sie als einfae Ablenkung zu

nutzen. No mehr als um die Aktionen muss man si um ihre Koor-dination kümmern. Die Polizei zu belästigen, heißt so zu handeln, dasssie, indem sie überall präsent ist, nirgendwo mehr ezient ist.

  Jeder Akt der Belästigung belebt die 1842 ausgesproene Wahrheitwieder: »Das Leben des Polizeibeamten ist peinli; seine Position in-mien der Gesellsa ist genauso erniedrigend und veratet wie dasVerbreen selbst. […] Die Sam und die Infamie umsließen ihn vonallen Seiten, die Gesellsa verjagt ihn aus ihrem Innern, isoliert ihnwie einen Paria, speit ihm ihre Missatung mit seinem Lohn entgegen,ohne Reue, ohne Bedauern, ohne Mitleid, […] der Polizeiausweis in sei-ner Tase ist ein Zeugnis der Sande.« Am 21. November 2006 habendemonstrierende Feurwehrmänner die CRS mit Hammerslägen an-gegrien und fünfzehn von ihnen verletzt. Dies, um in Erinnerung zurufen, dass die »Berufung zum Helfen« nie eine gültige Entsuldigungdafür sein wird, die Polizei mit einzubinden.

Bewanet sein. Alles daran setzen, die Nutzung der Waen überüssig zu

maen. Gegen die Armee ist der Sieg politis.Es gibt keinen friedlien Aufstand. Waen sind notwendig: Es gehtdarum, alles daran zu setzen, ihre Nutzung überüssig zu maen. EinAufstand ist vielmehr ein Gri zu den Waen, eine »bewanete Per-manenz« als ein Sri in den bewaneten Kampf. Wir haben alles In-teresse daran, die Bewanung von der Nutzung der Waen zu unter-seiden. Die Waen sind eine revolutionäre Konstante, au wenn ihreNutzung selten war, oder selten entseidend war, in den Momenten

großer Umwälzungen: Der 10. August 1792, der 18. März 1871, Oktober1917. Wenn die Mat in der Gosse liegt, genügt es, sie zu zertreten.In der Distanz, die uns von ihnen trennt, haben Waen jenen doppeltenCharakter von Faszination und Abseu angenommen, der nur durihre Handhabung überwunden werden kann. Ein authentiser Pazis-mus kann nit in der Ablehnung der Waen bestehen, sondern in derihrer Nutzung. Pazist zu sein, ohne feuern zu können, ist nur die The-oretisierung einer Ohnmat. Dieser Pazismus a priori entsprit einerArt präventiver Entwanung, er ist eine rein polizeilie Operation. In

Wahrheit stellt si die Frage des Pazismus ernstha nur für den, der

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die Mat hat zu feuern. Und in diesem Fall wäre der Pazismus imGegenteil ein Zeien der Stärke, denn nur aus einer Position extremerStärke heraus ist man von der Notwendigkeit zu feuern befreit.Von einem strategisen Blipunkt erseint die indirekte, asymme-

trise Aktion die lohnendste, die der Epoe am besten angepasste:Man grei eine Besatzungsarmee nit frontal an. Au wenn die Per-spektive einer Stadtguerilla wie im Irak, die si ohne Möglikeit zurOensive eingräbt, mehr zu fürten als zu wünsen ist. Die  Milita-risierung des Bürgerkriegs ist das Seitern des Aufstands. Die Rotenmögen 1921 triumphieren, die Russise Revolution ist bereits verloren.Wir müssen zwei Formen staatlier Reaktion in Betrat ziehen. Eineder klaren Feindseligkeit, die andere heimtüiser, demokratis.Die erste, zur wortlosen Zerstörung aufrufend, die zweite, von einersubtilen, aber erbarmungslosen Feindseligkeit: Sie wartet nur darauf,uns einzuziehen. Man kann von der Diktatur besiegt werden oder vonder Tatsae, darauf reduziert zu sein, si gegen nits anderes als dieDiktatur zu wehren. Die Niederlage besteht ebenso im Verlieren einesKriegs wie im Verlust der Wahl des zu führenden Krieges. Beides bleibtmögli, wie Spanien 1936 beweist: Dur den Fasismus und durdie Republik wurden die Revolutionäre doppelt besiegt.Wenn die Sae ernst wird, besetzt die Armee das Territorium. Ihr Ein-

satz seint weniger oenkundig. Dafür bräute es einen zu einemBlutbad entslossenen Staat, was nur als Drohung aktuell ist, in etwawie der Einsatz von Atomwaen seit einem halben Jahrhundert. Aberes bleibt dabei, die seit langem verletzte staatlie Bestie ist gefährli.Es bleibt dabei, dass es gegenüber einer Armee einer zahlreien Men-senmenge bedarf, wele die Ränge durdringt, si verbrüdert. Es

 braut den 18. März 1871. Die Armee in den Strassen ist eine aufstän-dise Situation. Die Armee im Einsatz ist das si besleunigendeEnde. Jeder ist aufgefordert Position zu beziehen, si zu entseiden

für die Anarie oder die Angst vor der Anarie. Ein Aufstand trium-phiert als politise Kra. Politis ist es nit unmögli, eine Armeezu besiegen.

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Die Autoritäten lokal absetzen.

Die Frage, die si einem Aufstand stellt, ist es, si unumkehrbar zumaen. Die Unumkehrbarkeit ist erreit, wenn gleizeitig mit den

Autoritäten au der Bedarf na Autorität besiegt wird, gleizeitigmit dem Eigentum au die Lust na Aneignung, gleizeitig mit derHegemonie au das Streben na Hegemonie. Deswegen trägt der auf-ständise Prozess die Form seines Sieges oder seines Seiterns in siselbst. Im Hinbli auf die Unumkehrbarkeit reite die Zerstörung nieaus. Alles liegt im Wie. Es gibt Arten der Zerstörung, die unweigerlidie Rükehr dessen hervorrufen, was man vernitet hat. Wer si imKadaver einer Ordnung verbeißt, stellt sier, dass die Berufung ge-wet wird, sie zu räen. Deshalb gilt es überall, wo die Wirtsa

 bloiert und die Polizei neutralisiert ist, so wenig Pathos wie mögliin den Umsturz der Autoritäten zu legen. Sie sind mit bedingungsloserFreheit und Spo abzusetzen.

Der Dezentralisierung der Mat entsprit in dieser Epoe das Endeder revolutionären Zentralitäten. Winterpaläste gibt es wohl immerno, sie werden aber vielmehr Ziel des Sturms von Touristen als vonAufständisen. Paris, Rom oder Buenos Aires können heutzutage ein-

genommen werden, ohne damit eine Entseidung zu erringen. DieEinnahme Rungis46 häe sier mehr Auswirkungen als die des ElyséePalastes. Die Mat konzentriert si nit mehr an einem Punkt derWelt, sie selbst ist diese Welt, ihre Flüsse und Straßen, ihre Mensenund Normen, ihre Codes und Tenologien. Die Mat ist die Organi-sation der Metropole selbst. Sie ist die makellose Totalität der Waren-welt in all ihren Punkten. Wer sie lokal besiegt, produziert quer durdie Netzwerke eine planetare Sowelle. Die Angreifer von Cliy-sous-Bois haben in mehr als einem amerikanisen Haushalt für Freu-

de gesorgt, während die Aufständisen von Oaxaca Komplizen imHerzen von Paris gefunden haben. Für Frankrei bedeutet der Verlustder Zentralität der Mat das Ende der revolutionären Zentralität vonParis. Dies wird von jeder neuen Bewegung seit den Streiks von 1995

  bestätigt. Die gewagtesten, die konsistentesten Handlungen tauendort nit mehr auf. Sließli hebt si Paris nur no als bloßes Zielvon Razzien, als pures Terrain der Plünderung und der Verwüstung ab.Kurze und brutale Einfälle von außerhalb, die si daran maen, die

46 Stadt südli von Paris, in der alle Lebensmiel für die Pariser Region angeliefert,gelagert und verteilt werden.

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metropolitanen Flüsse am Punkt maximaler Dite anzugreifen. Spurender Wut, wele die Wüste dieses künstlien Überusses durziehenund si verlieren. Ein Tag wird kommen, an dem dieses fürterlieKonzentrat der Mat, die Hauptstadt, in großem Stil zerfallen sein

wird, dies aber im Absluss eines Prozesses, der überall sonst sonweiter fortgesrien sein wird als dort.

 Alle Mat den Kommunen !

In der Metro ist keine Spur mehr zu nden vom Sleier der Befangenheit, derübliweise die Gesten der Passagiere hemmt. Die Fremden reden miteinander,sie spreen si nit mehr an. Eine Bande im geheimer Absprae an einerStraßenee. Größere Zusammenküne auf den Hauptstraßen, die ernstlidiskutieren. Die Angrie antworten aufeinander von einer Stadt zur andern,von einem Tag zum andern. Eine weitere Kaserne wurde geplündert und nie-dergebrannt. Die Bewohner eines geräumten Wohnheims haben die Verhand-lungen mit dem Rathaus abgebroen: sie wohnen dort. In einer Anwandlungvon Klarheit erstarrt ein Manager inmien einer Sitzung einer Handvoll Kol-legen. Akten mit den persönlien Adressen aller Polizisten und Gendarmensowie der Angestellten des Strafvollzugs siern dur und haben zu einer bis-

lang unbekannten Welle überstürzter Umzüge geführt. In die alte Épicerie-Bardes Dorfes wird der produzierte Übersuss gebrat und geholt, was uns fehlt.Dort tri man si au, um zu diskutieren, über die allgemeine Situation unddas notwendige Material für die Werksta. Das Radio informiert die Aufstän-disen über den Rüzug der Regierungstruppen. Eine Granate hat geradeeben die Mauer des Gefängnisses Clairveaux aufgerissen. Unmögli zu sagen,ob ein Monat oder Jahre vergangen sind, seit die »Ereignisse« begonnen haben.Der Premierminister mit seinen Mahnungen zur Ruhe seint ziemli alleinedazustehen.

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Ein Aufstand, wir können uns nit mal mehrvorstellen, wo er beginnt. Sezig Jahre der Befrie-dung, ausgesetzter historiser Umwälzungen,sezig Jahre demokratiser Anästhesie und Ver-waltung der Ereignisse haben in uns eine gewisse

abrupte Wahrnehmung des Realen geswät,den parteilien Sinn für den laufenden Krieg. Esist diese Wahrnehmung, die wir wiedererlangenmüssen, um zu beginnen.