Der Route 66 begegnet man standesgemäß

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Nimm den besten Highway, hol Dir Deine Kicks auf der Route 66" – rie- ten schon Nat King Cole, Mick Jagger, Depeche Mode und diver- se andere Künstler, welche mit dem Song "Route 66” eine Hymne auf Amerikas berühmteste Straße sangen. Die legendäre transkon- tintentale Straßenverbindung zwi- schen Chicago und Los Angeles wurde 1926 als US Highway 66 ein- geweiht. Sie war ein Symbol der neuen Mobilität, der Freiheit und der Hoffnung. Die Menschen ga- ben ihr Kosenamen wie "Amerikas Hauptstraße", "die Mutter-Strecke" oder einfach "die Doppel-Sechs". Doch schon in den 60er Jahren be- gann der Niedergang der Route. Bänder aus Beton überzogen das Land, als die Amerikaner den "Need for Speed" spürten und ihre eigene Autobahn bauten, das 42.000 Meilen lange, mehrspurige TRAVEL/ADVENTURE 130 MMM Interstate Highway System. Viele Teilstrecken fielen begradigten Straßen zum Opfer. Mitte der 80er Jahre umgingen die parallel ver- laufenden Autobahnen die Route 66 vollständig und der legendäre Highway verschwand nahezu voll- ständig von den Straßenkarten. Bis heute hat die Route 66 jedoch nichts von ihrer Faszination ein- gebüßt. Man wird auf der ganzen MMM 131 Hauptrolle spielte. Der Serien- name: "Route 66"! Fünf Tage und fünf Nächte waren wir unterwegs und legten dabei 2.500 magische Meilen zurück. Den Startpunkt markierte ein un- scheinbares, weiß/braunes Schild mit der Inschrift "Historic Route 66", das in eine noch unscheinba- rere Allee führte, die unaufmerk- same Beobachter leicht einmal übersehen. Hunderte dieser Wegweiser lenken den Reisenden auf den rechten Weg, so wie es seinerzeit die Brotkrumen für Hänsel und Gretel getan haben. Doch statt beim Hexenhaus soll- ten wir am Ende unserer Reise an einem Pier in Santa Monica, Kalifornien, landen... Welt kaum einen Führerschein- besitzer finden, der nicht damit liebäugelt, einmal auf dieser Straße den uramerikanischen Traum von Freiheit und Abenteuer, den die Route 66 ver- körpert, zu erleben – auch wenn die Originalstrecke nicht mehr durchgängig befahren werden kann und die Tante Emma-Läden am Straßenrand mehr und mehr von Fastfood- und Supermarkt- Ketten verdrängt werden. Nostalgische Drive-In’s und Cafeterias, Auto-Museen sowie Antiquitätenhändler, verlassene Tankstellen und klassische Motels erinnern an die Essenz der amerikanischen Mobilitätskultur einer vergangenen, aber nicht vergessenen Ära. Wer diesen "heiligen Boden" be- tritt, sollte es stilvoll tun. Auf der Route 66 fährt man nicht mit ei- nem Fiat Multipla, genauso wenig wie man in Bermuda-Shorts in ei- nem Gourmetrestaurant diniert. Wir entschieden uns daher für zwei adäquate Fortbewegungs- mittel, die genauso wie die Route selbst zu den lebenden Legenden der amerikanischen Geschichte zählen: ein 1964er Rambler Cabrio und eine Chevrolette Corvette. In den frühen 60ern gab es in den USA sogar eine TV-Serie, in der ei- ne Corvette die automobile Startpunkt Chicago: stilvoll unterwegs im ‘64er Rambler Convertible Der Route 66 begegnet man standesgemäß 130_135_MMM_0504 05.08.2004 14:33 Uhr Seite 130

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Nimm den besten Highway, hol DirDeine Kicks auf der Route 66" – rie-ten schon Nat King Cole, MickJagger, Depeche Mode und diver-se andere Künstler, welche mitdem Song "Route 66” eine Hymneauf Amerikas berühmteste Straßesangen. Die legendäre transkon-tintentale Straßenverbindung zwi-schen Chicago und Los Angeleswurde 1926 als US Highway 66 ein-geweiht. Sie war ein Symbol der

neuen Mobilität, der Freiheit undder Hoffnung. Die Menschen ga-ben ihr Kosenamen wie "AmerikasHauptstraße", "die Mutter-Strecke"oder einfach "die Doppel-Sechs".Doch schon in den 60er Jahren be-gann der Niedergang der Route.Bänder aus Beton überzogen dasLand, als die Amerikaner den"Need for Speed" spürten und ihreeigene Autobahn bauten, das42.000 Meilen lange, mehrspurige

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Interstate Highway System. VieleTeilstrecken fielen begradigtenStraßen zum Opfer. Mitte der 80erJahre umgingen die parallel ver-laufenden Autobahnen die Route66 vollständig und der legendäreHighway verschwand nahezu voll-ständig von den Straßenkarten.

Bis heute hat die Route 66 jedochnichts von ihrer Faszination ein-gebüßt. Man wird auf der ganzen

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Hauptrolle spielte. Der Serien-name: "Route 66"!

Fünf Tage und fünf Nächte warenwir unterwegs und legten dabei2.500 magische Meilen zurück. Den Startpunkt markierte ein un-scheinbares, weiß/braunes Schildmit der Inschrift "Historic Route66", das in eine noch unscheinba-rere Allee führte, die unaufmerk-same Beobachter leicht einmalübersehen. Hunderte dieserWegweiser lenken den Reisendenauf den rechten Weg, so wie esseinerzeit die Brotkrumen fürHänsel und Gretel getan haben.Doch statt beim Hexenhaus soll-ten wir am Ende unserer Reise aneinem Pier in Santa Monica,Kalifornien, landen...

Welt kaum einen Führerschein-besitzer finden, der nicht damitliebäugelt, einmal auf dieserStraße den uramerikanischenTraum von Freiheit undAbenteuer, den die Route 66 ver-körpert, zu erleben – auch wenndie Originalstrecke nicht mehrdurchgängig befahren werdenkann und die Tante Emma-Lädenam Straßenrand mehr und mehrvon Fastfood- und Supermarkt-Ketten verdrängt werden.Nostalgische Drive-In’s undCafeterias, Auto-Museen sowieAntiquitätenhändler, verlasseneTankstellen und klassischeMotels erinnern an die Essenz deramerikanischen Mobilitätskultureiner vergangenen, aber nichtvergessenen Ära.

Wer diesen "heiligen Boden" be-tritt, sollte es stilvoll tun. Auf derRoute 66 fährt man nicht mit ei-nem Fiat Multipla, genauso wenigwie man in Bermuda-Shorts in ei-nem Gourmetrestaurant diniert.

Wir entschieden uns daher fürzwei adäquate Fortbewegungs-mittel, die genauso wie die Routeselbst zu den lebenden Legendender amerikanischen Geschichtezählen: ein 1964er Rambler Cabriound eine Chevrolette Corvette. Inden frühen 60ern gab es in denUSA sogar eine TV-Serie, in der ei-ne Corvette die automobile

Startpunkt Chicago: stilvoll unterwegs im ‘64er Rambler Convertible

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Tag 1von Chicago nach Rolla,Missouri (400 Meilen)

Eine klassische Route 66-Tourführt vom Osten in den Westen.

Wie in der Geburtsstundeder Route 66, als die Farmeraus dem Osten undMittelwesten vor derDürre und der Wirt-s c h a f t s d e p r e s s i o nflüchteten, um im gol-denen KalifornienArbeit zu suchen. Wir

aber haben statt einerDepression gute Launeund das Einzige, waswir suchen, ist dasAbenteuer.

Doch der Reihe nach:Wir starten an einemSamstagmorgen um

5.30 Uhr vom luxuriösen Swiss-hotel (323 E. Wacker Dr. Chicago,IL 60601, Tel: 001 / 312 - 565.0565)an der Seeseite von Chicago,Illinois, in Richtung Michiganund Adams, dem "offiziellen"Anfang der Route 66. Baldschrumpft Chicago im Rück-spiegel und wir nehmen unser er-

stes Frühstück ein – in ei-nem kulinarischen Wahr-zeichen der Route 66:"Lou Mitchell´s". DasKult-Restaurant am 565W. Jackson Boulevard istseit 1923 eine Institution,wenn es um leckeresEssen und arterienver-

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stopfende Cholesterin-Bombengeht. Leider handelt es sich da-bei meist um ein und dasselbeGericht. Lou Mitchell´s wurdenicht nur in der Literatur, sondernauch in zahllosen Fotobändenverewigt. Spätestens wenn mandas Omelette probiert hat, weißman warum.

Weiter geht es westwärts – wie inder glorreichen Pionierzeit. Wirmachen einen Abstecher auf den Lake Shore Drive, auch be-kannt als US41. Unser Ziel ist die Stadt Volo, genau genommendas Volo Auto-Museum. Dortkann man das einzige 1967er

Shelby Mustang-Cabrio be-wundern und fotografieren (www.volocars.com). Wer sichVerkaufstalent zutraut und einegewisse Risikobereitschaft mit-bringt, kann in der Museums-kollektion einen mobilenKlassiker erstehen, damit nachL.A. reisen und ihn dort an einender zahllosen Oldie-Liebhaberverkaufen. Wenn man wie wir denAusflug nach Volo macht, führtder Weg zurück auf die Route 66über die IL 59 Richtung Südenbis westlich von Joliet auf die I-44/US66.

Nicht entgehen lassen wollen wiruns ein weiteres Wahrzeichen derRoute 66 in McLean: Das "DixieTruckers Home" ist ein klassi-scher amerikanischer Truckstopund dient Reisenden seit denzwanziger Jahren treu alsRastplatz. Dieser war tatsächlichbisher nur an einem einzigen Tagseiner Geschichte geschlossen –wegen eines Brandes im Jahr1965. Ein weiteres Relikt aus der

selben Ära ist das 1923 eröffneteAriston Café in Litchfield.

Wer nach Missouri reist und denmächtigen Mississippi überquert,trifft auf ein berühmtes Symbol.Der Gateway Arch spannt sich hierwie ein einfarbiger Regenbogenüber St. Louis, als Symbol für dasTor in den Westen.

Rolla, inmitten von Missouri ge-legen, bietet sich als Quartier fürdie erste Nacht an. WiderstehenSie der Verlockung weiterzufahren– den Spirit der Route 66 erlebtman besser cruisend statt rasend.Rolla bietet nicht nur "Route 66

Motors", ein Unternehmen, dasAuto-Klassiker und Memorabiliaverkauft, sondern auch zahlreiche,traditionelle Route 66-StyleMotels. Unsere Empfehlung:Zeno´s Motel and Steak Houase,1621 Martin Springs Drive, Tel:001 – 573 / 364 1301.

Tag 2von Rolla, Missouri nach Tulsa,Oklahoma (300 Meilen)

Südlich von Rolla erreicht mandas Herz der Route 66. Malerischpräsentieren sich hier die zu jederJahreszeit fotogenen Ozark-Bergeam Wegesrand. Das erste kleineStädtchen im Süden ist Doolittle,benannt nach dem Anführer desLuftangriffs auf Japan im Jahr 1942,kurz nach dem Trauma vonPearl Harbor.

Nicht ent-gehen lassen sollten Siesich den "Devil´s Elbow", denEllbogen des Teufels. Auf diesesTeilstück der alten Route 66 stößt,wer die Ausfahrt bei County JRichtung Arlington nimmt. DerName "Devil´s Elbow" klingtfurchteinflößend, insbesonderewenn man in Autos mit so vielPower und teilweise marginalerBremskraft unterwegs ist wie wir mit unserem Rambler. Die

Szenerie ist spektakulär: Ein zwölfMeilen langes Stück passiert dieRoute 66 den BundesstaatKansas in Zickzack-Form. Im öst-lichen Oklahoma ist die Route 66nahezu vollständig intakt undtäglich frequentiert. In Claremorebeobachtet die Statue von Schau-spieler, Cowboy und Wohn-zimmer-Philosoph Will Rogersden Verkehr. Vegetarier sollten einen großen Bogen um das fürseine BBQ-Spaeribs zu Recht be-kannte "Pits Barbecue" machen(500 N J M Davis Boulevard, Tel:001- 918 / 341 67 37).

Wir übernachten im urigen DesertHills Motel in Tulsa (5220 E 11thStreet, Tel: 001 – 918 / 834 3311).An dieser Stelle der Route 66sammeln sich zwar wie überallmehr und mehr Fast-Food-Filialen, doch es gibt noch genug

klassische Route 66-Ele-mente, um sich vorstellen zukönnen, wie es hier vor 40Jahren einmal aussah.

Tag 3 von Tulsa, Oklahoma nachTucumcari, New Mexico (440 Meilen)

Für viele Route 66-Enthusiastenzählt das zu ihren Hobbys, was dieAmerikaner "Petrolania" nennen.Dies ist nichts unanständiges, son-dern meint das Studieren undSammeln von klassischen Tank-stellen-Memorabilia. Nach demPassieren der texanischen Grenzesollte man daher nicht einfach anMcLean vorbeifahren, sondern diedortige Philips 66 Station aufsu-chen. Als sie 1929 eingeweiht wur-de, war sie die erste Tankstelle inTexas. Heute ist sie eine Zeitkapselaus besseren Tagen, in denen Ölder Treibstoff für die vibrierendeÖkonomie des Landes war.

Wer an diesem Tag das Frühstückausfallen lässt, schafft Platz für das kostenlose zwei Kilo-Steak in der "The Big Texan"Steak-Ranch. Kostenlos sind dieses Riesenstück Kuh und diezahlreichen Beilagen allerdingsnur, wenn es einem gelingt die Portion innerhalb einerStunde zu verdrücken. Wir ver-loren das Wettrennen gegen dieZeit. Beim Gongschlag lagen genau noch 340 Gramm auf dem Teller.

Die Attraktion des Volo Auto-Museums:das einzige 1967er Shelby Mustang Cabriolet

“Mobile Man” Rich Truesdell mit Westernikone Will Rogers

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Die natürliche Schönheit von NewMexico ist vielgerühmt und nichtwenige Menschen behaupten, diedortigen Sonnenauf- und unter-gänge sind spektakulärer alsirgendwo sonst auf der Welt. Werin Tucumcari nächtigt, kann sichein eigenes Bild davon machen.Eine andere Sehenswürdigkeit inder Gegend um Tucumcari sinddie zahllosen, authentischenNeon-Lichter, die auf Motels hin-weisen und zum typischen klassi-schen Straßenbild der Route 66gehören. Unsere Hotelempfeh-lung: Blue Swallow Motel (815 E.Tucumcari Boulevard, Tel: 001- 505/ 461 9849).

Tag 4von Tucumcari nach Williams,New Mexico (530 Meilen)

Mit einem wunderbaren NewMexico-Sonnenaufgang im Rück-spiegel fuhren wir RichtungAlbuquerque über den TijerasPass. Albuquerque bietet Nostal-gikern reichlich fürs Auge: VieleGebäude – darunter das HilandTheater mit seinem Art Deco-

Design und Kelly´s Restaurant - sehen aus, als wäre man mit einerZeitmaschine in die 50er Jahre gereist - die mit der Route 66 assoziierten Neonschilder findetman hier allerorten. Die alteWhiting Brothers-Tankstelle wirdwohl nie wieder Autofahrern die-nen, erinnert aber wie einMonument an vergangene Zeiten.In Gallop befindet sich das El Rancho Hotel, das in derBlütezeit des Westerngenresschon so manchen berühmtenSchauspieler beherbergte, denndie Cowboy-Filme wurden gleichum die Ecke gedreht.

Wer ungewöhnlich übernachtenmöchte kann das hinter derGrenze zu Arizona tun: Im Canyon Motel in Williams am Rand derRoute 66 logiert man auf Wunschin ausrangierten Lokomotiven, die seinerzeit im Grand Canyonzum Einsatz kamen.

Tag 5Williams, New Mexico nachSanta Monica, Kalifornien (450 Meilen)

Wie in der Pionierzeit des WildenWestens fühlt man sich bei derReise von Seligman nach King-

man: 158 Meilen durch wüstenhaf-tes Indianer-Reservat. Kurz vorKingman befindet sich das "OldRoute 66 Visitor Centre", das vonAutofans nicht zu übersehen ist:Den Eingangsbereich markierenaltmodische Zapfsäulen und eineknallrote Corvette. Ebenso altmo-disch sind auch die anderenAusstellungstücke und die Souve-nirs, die man im Shop kaufen kann.

Nach der Überquerung desColorado River in RichtungKalifornien sollte man ein weite-res Teilstück der Route 66-Legendenicht auslassen. Verlassen Sie da-zu die I-40 in Richtung Essex. DieStraße ist hier in so großartigemZustand als sei sie frisch gebaut –und das obwohl sie sich in erdbe-bengeplagtem Gebiet befindet.

In Amboy stößt man auf ein weiteres typisches Marken-zeichen der Route 66: Roy´sMotel, das wie kaum ein anderesGebäude auf dieser Strecke inFilmen und Werbekampagnen alsKulisse dient.

Das Städtchen Barstow schließlichist eine klassische "Railroad Town",war also einer der Knotenpunkteim Schienennetz Richtung Westenzu einer Zeit, als Lokomotiven dasHauptverkehrsmittel darstellten.Staubig und heiß wie eineWesternstadt kam es auch in demeingangs erwähnten Song "Route66" zu Ehren. Von hier aus windetsich die berühmteste Straße derWelt in den Talkessel Los Angeles’und 2.500 Meilen nach unseremStartort erreichen wir das Ziel:

Am Pier von Santa Monica endetdie Straße. Fast so, als münde hierein Fluss in den endlosenPazifischen Ozean... ■

von Rich Truesdell

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Westernromatik: Nachtquartier für

Eisenbahnfans

Pazifik: wie für die einstigenPioniere endet die Reise hier am OzeanDiese knallrote Corvette dient als Wegweiser zum ”Old Route 66 Visitor Centre”

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