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Plenarprotokoll 16/220 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 220. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Walter Kolbow, Dr. Hermann Scheer, Dr. h. c. Gernot Erler, Dr. h. c. Hans Michelbach und Rüdiger Veit . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunktes 38 f . . . Tagesordnungspunkt 15: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämp- fung der Steuerhinterziehung (Steuer- hinterziehungsbekämpfungsgesetz) (Drucksache 16/12852) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Steuerhin- terziehung bekämpfen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuervollzug effektiver ma- chen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Volker Wissing, Frank Schäffler, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- auf die Istbesteuerung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesverantwortung für den Steu- ervollzug wahrnehmen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE: Steuermiss- brauch wirksam bekämpfen – Vor- handene Steuerquellen erschließen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Wolfgang Nešković, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Steuer- hinterziehung bekämpfen – Steuer- oasen austrocknen zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Hintertür für Steu- erhinterzieher (Drucksachen 16/11389, 16/11734, 16/9836, 16/9479, 16/9166, 16/9168, 16/9421, 16/12826) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Eduard Oswald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23969 A 23969 B 23971 A 23971 A 23971 B 23971 D 23973 A 23974 B 23976 A 23978 C 23980 B 23983 B 23984 B

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Plenarprotokoll 16/220

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

220. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

I n h a l t :

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord-neten Walter Kolbow, Dr. Hermann Scheer,Dr. h. c. Gernot Erler, Dr. h. c. HansMichelbach und Rüdiger Veit . . . . . . . . . . .

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord-nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Absetzung des Tagesordnungspunktes 38 f . . .

Tagesordnungspunkt 15:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Bekämp-fung der Steuerhinterziehung (Steuer-hinterziehungsbekämpfungsgesetz)(Drucksache 16/12852) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-nanzausschusses

– zu dem Antrag der Fraktionen derCDU/CSU und der SPD: Steuerhin-terziehung bekämpfen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.Volker Wissing, Dr. Hermann OttoSolms, Carl-Ludwig Thiele, weitererAbgeordneter und der Fraktion derFDP: Steuervollzug effektiver ma-chen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.Hermann Otto Solms, Dr. VolkerWissing, Frank Schäffler, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP:Umstellung der Umsatzsteuer vonder Soll- auf die Istbesteuerung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.Herbert Schui, Dr. Barbara Höll,Werner Dreibus, weiterer Abgeordne-

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ter und der Fraktion DIE LINKE:Bundesverantwortung für den Steu-ervollzug wahrnehmen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.Barbara Höll, Dr. Axel Troost,Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine undder Fraktion DIE LINKE: Steuermiss-brauch wirksam bekämpfen – Vor-handene Steuerquellen erschließen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.Barbara Höll, Wolfgang Nešković,Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKE: Steuer-hinterziehung bekämpfen – Steuer-oasen austrocknen

– zu dem Antrag der AbgeordnetenChristine Scheel, Kerstin Andreae,Birgitt Bender, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Keine Hintertür für Steu-erhinterzieher

(Drucksachen 16/11389, 16/11734, 16/9836,16/9479, 16/9166, 16/9168, 16/9421,16/12826) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . .

Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . .

Eduard Oswald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Oskar Lafontaine (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

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II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Lydia Westrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 16:

a) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Beschleunigung desAusbaus der Höchstspannungsnetze(Drucksachen 16/10491, 16/12898) . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Wirtschaft und Technolo-gie

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr.Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion DIE LINKE:Stromübertragungsleitungen bedarfs-gerecht ausbauen – Bürgerinnen- undBürgerbeteiligung sowie Energiewendeumfassend berücksichtigen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Kerstin Andreae, BärbelHöhn, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Stromnetze zukunftsfähig ausbauen

– zu dem Entwurf einer Entschließungin der Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu dem Ge-setzentwurf der Bundesregierungzur Neuregelung des Rechts der Er-neuerbaren Energien im Strombe-reich und zur Änderung damit zu-sammenhängender Vorschriften

(Drucksachen 16/10842, 16/10590, 16/8148,16/8393, 16/9477 Ziffer II, 16/12898) . . .

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Marko Mühlstein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tagesordnungspunkt 38:

a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Neuregelung des Rechts des Na-turschutzes und der Landschaftspflege(Drucksache 16/12785) . . . . . . . . . . . . . .

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Neuregelung des Wasserrechts(Drucksache 16/12786) . . . . . . . . . . . . . .

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Regelung des Schutzes vor nicht-ionisierender Strahlung(Drucksache 16/12787) . . . . . . . . . . . . . .

d) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Bereinigung des Bundesrechtsim Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit (Rechtsbereinigungs-gesetz Umwelt – RGU)(Drucksache 16/12788) . . . . . . . . . . . . . .

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zu der Satzung vom 26. Januar 2009der Internationalen Organisation fürerneuerbare Energien(Drucksache 16/12789) . . . . . . . . . . . . . .

g) Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än-derung des Treibhausgas-Emissionshan-delsgesetzes(Drucksache 16/12853) . . . . . . . . . . . . . .

h) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper,Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP:HIV/AIDS-Forschung vorantreiben(Drucksache 16/11673) . . . . . . . . . . . . . .

i) Antrag des Bundesministeriums der Fi-nanzen: Entlastung der Bundesregie-rung für das Haushaltsjahr 2008 – Vorlage der Haushalts- und Vermö-gensrechnung des Bundes – (Jahres-rechnung 2008)(Drucksache 16/12620) . . . . . . . . . . . . . .

j) Antrag der Abgeordneten Karin Binder,Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Verbraucherinformations-gesetz umgehend überarbeiten(Drucksache 16/12847) . . . . . . . . . . . . . .

k) Antrag der Abgeordneten Undine Kurth(Quedlinburg), Cornelia Behm, UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 III

Einführung einer Positivliste zur Hal-tung von Tieren im Zirkus(Drucksache 16/12864) . . . . . . . . . . . . . . .

l) Antrag der Abgeordneten Dr. AntonHofreiter, Bettina Herlitzius, WinfriedHermann, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Carsharing-Stellplätze baldmöglichst pri-vilegieren(Drucksache 16/12863) . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 4:

a) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Stärkung der Rechte von Ver-letzten und Zeugen im Strafverfahren(2. Opferrechtsreformgesetz)(Drucksache 16/12812) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än-derung des Gesetzes zur Regelung derRechtsverhältnisse der Helfer der Bun-desanstalt Technisches Hilfswerk(Drucksache 16/12854) . . . . . . . . . . . . . . .

c) Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und der SPD eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Regelungdes Assistenzpflegebedarfs im Kran-kenhaus (Drucksache 16/12855) . . . . . . . . . . . . . . .

d) Erste Beratung des von den AbgeordnetenJosef Philip Winkler, Volker Beck (Köln),Ekin Deligöz, weiteren Abgeordneten undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENeingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Streichung des Optionszwangs ausdem Staatsangehörigkeitsrecht(Drucksache 16/12849) . . . . . . . . . . . . . . .

e) Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer,Frank Schäffler, Michael Kauch, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP:Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicherUnternehmen abschaffen – Fairen Wett-bewerb auch in der Abfallwirtschaft er-möglichen(Drucksache 16/5728) . . . . . . . . . . . . . . . .

f) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,Detlef Parr, Dr. Max Stadler, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP: Da-tei „Gewalttäter Sport“ auf verfas-sungsmäßige Grundlage stellen(Drucksache 16/11752) . . . . . . . . . . . . . . .

g) Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken,Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Milch-Exportsubventio-nen sofort stoppen – Weitere Zerstö-

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rung der Märkte in Entwicklungslän-dern verhindern(Drucksache 16/12308) . . . . . . . . . . . . . .

h) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion derFDP: Gemeinsames Internetzentrumauf gesetzliche Grundlage stellen(Drucksache 16/12471) . . . . . . . . . . . . . .

i) Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff(Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. MaxStadler, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP: Europarechtskonfor-mes und nachvollziehbares Nachzugs-recht schaffen – Metock-Urteil desEuGH sofort gesetzlich verankern (Drucksache 16/12732) . . . . . . . . . . . . . .

j) Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing,Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten MechthildRawert, Christoph Pries, Marco Bülow,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD: Delfinschutz voranbringen(Drucksache 16/12868) . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 39:

a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun-desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Änderung der Bundesnotar-ordnung und anderer Gesetze(Drucksachen 16/8696, 16/12896) . . . . . .

b) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Ersten Gesetzes zur Änderung desGesetzes zur Errichtung einer StiftungDeutsche Geisteswissenschaftliche Insti-tute im Ausland, Bonn(Drucksachen 16/12229, 16/12829) . . . . .

c) Zweite Beratung und Schlussabstimmungdes von der Bundesregierung eingebrach-ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 6. November 2008 zwi-schen der Bundesrepublik Deutschlandund der Republik Österreich zur Ver-meidung der Doppelbesteuerung aufdem Gebiete der Erbschaftsteuern beiErbfällen, in denen der Erblasser nachdem 31. Dezember 2007 und vor dem1. August 2008 verstorben ist(Drucksachen 16/12236, 16/12899) . . . . .

d) Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Verbesserung derAbsicherung von Zivilpersonal in inter-nationalen Einsätzen zur zivilen Krisen-prävention(Drucksachen 16/12595, 16/12889) . . . . .

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IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

e) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle,Frank Schäffler, Martin Zeil, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP: In-terventionistische Industriepolitik beider Verwertung von indirektem Bun-desvermögen wie der Deutschen Post-bank AG wirksam unterbinden(Drucksache 16/8411) . . . . . . . . . . . . . . . .

f) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Wirtschaft und Technolo-gie zu dem Antrag der AbgeordnetenDr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, CorneliaHirsch, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE: Energieverbrauchvon Computern senken(Drucksachen 16/8374, 16/9089) . . . . . . .

g) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Wirtschaft und Technolo-gie zu dem Antrag der Abgeordneten UllaLötzer, Katrin Kunert, Dr. Barbara Höll,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Fördergelder nur als Un-ternehmensbeteiligung(Drucksachen 16/8177, 16/9090) . . . . . . .

h) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Arbeit und Soziales zudem Antrag der Abgeordneten WernerDreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Tarifflucht verhindern –Geltung des Günstigkeitsprinzips beiBetriebsübergängen nach § 613 a BGBsicherstellen(Drucksachen 16/10828, 16/11984) . . . . .

i) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung zu der Unter-richtung durch die Bundesregierung: Mit-teilung der Kommission an das Euro-päische Parlament, den Rat, denEuropäischen Wirtschafts- und Sozial-ausschuss und den Ausschuss der Regio-nen Ein aktualisierter strategischer Rah-men für die europäische Zusammenar-beit auf dem Gebiet der allgemeinenund beruflichen Bildung (inkl. 17535/08ADD 1 und 17535/08 ADD 2) (ADD 1 inEnglisch)KOM(2008) 865 endg.; Ratsdok. 17535/08(Drucksachen 16/11819 Nr. A.28, 16/12827)

j) – q)

Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-schusses: Sammelübersichten 553, 554,555, 556, 557, 558, 559 und 560 zu Peti-tionen(Drucksachen 16/12701, 16/12702, 16/12703,16/12704, 16/12705, 16/12706, 16/12707,16/12708) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusatztagesordnungspunkt 5:

a) Antrag der Abgeordneten Monika Grütters,Wolfgang Börnsen (Bönstrup), PeterAlbach, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU, der Abgeordne-ten Steffen Reiche (Cottbus), MonikaGriefahn, Dr. Herta Däubler-Gmelin, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion derSPD sowie der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz,Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP:Schutz des Klosters Mor Gabriel sicher-stellen(Drucksache 16/12866) . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten Dr. LukreziaJochimsen, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch,weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE: Dauerhaften Schutz desKlosters Mor Gabriel sicherstellen(Drucksache 16/12848) . . . . . . . . . . . . . .

c) Antrag der Abgeordneten Claudia Roth(Augsburg), Ekin Deligöz, Kai Gehring,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz desKlosters Mor Gabriel sicherstellen(Drucksache 16/12867) . . . . . . . . . . . . . .

d) Beschlussempfehlung und Bericht desRechtsausschusses zu der Unterrichtungdurch die Bundesregierung: Vorschlagfür eine Verordnung des EuropäischenParlaments und des Rates über dieFahrgastrechte im Kraftomnibusver-kehr und zur Änderung der Verord-nung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zu-sammenarbeit zwischen den für dieDurchsetzung der Verbraucherschutz-gesetze zuständigen nationalen Behör-den (inkl. 16933/08 ADD 1 und 16933/08 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) KOM(2008) 817 endg.; Ratsdok. 16933/08 (Drucksachen 16/11721 Nr. A.10, 16/12897)

Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 6:

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD: Gemeinsamgegen Gewalt – Ächtung der Ausschreitun-gen und schweren Gewaltstraftaten am1. Mai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hartmut Koschyk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . .

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 V

Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . .

Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 17:

Antrag der Abgeordneten Frank Spieth, Dr.Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Füreine solidarische Gesundheits- und Pflege-absicherung(Drucksache 16/12846) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU) . . . . . . . .

Dr. Konrad Schily (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Konrad Schily (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Marion Caspers-Merk, Parl. StaatssekretärinBMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . .

Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 18:

Unterrichtung durch den ParlamentarischenBeirat für nachhaltige Entwicklung: Berichtdes Parlamentarischen Beirats für nach-haltige Entwicklung (Berichtszeitraum 6. April 2006 bis 25. März2009)(Drucksache 16/12560) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Marcus Weinberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

24013 D

24014 D

24016 A

24017 B

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24019 C

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24022 B

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24023 D

24025 C

24027 A

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24029 A

24029 D

24031 C

24032 B

24034 A

24034 B

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24036 A

24037 A

24037 D

24038 C

24038 D

24040 A

24041 A

Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Kranz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 19:

Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDPund BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Humani-täre Katastrophe in Sri Lanka verhindern(Drucksache 16/12869) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Johannes Jung (Karlsruhe) (SPD) . . . . . . . . .

Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 20:

Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland,Manuel Sarrazin, Marieluise Beck (Bremen),weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EuropäischeInnenpolitik rechtsstaatlich gestalten(Drucksache 16/11918) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . .

Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . .

Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 21:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Menschenrechte und HumanitäreHilfe zu der Unterrichtung durch die Bundes-regierung: EU-Jahresbericht 2008 zur Men-schenrechtslageRatsdok. 14146/08(Drucksachen 16/10958 A.43, 16/12729) . . .

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . .

Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . .

Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

24042 C

24043 D

24045 C

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24069 A

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VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 22:

Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L.Kolb, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derFDP: Absicherung für das Erwerbsunfä-higkeitsrisiko verbessern(Drucksache 16/10872) . . . . . . . . . . . . . . . . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 7:

Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Erwerbsminderungs-rente gerechter gestalten(Drucksache 16/12865) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . .

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 23:

– Zweite und dritte Beratung des von derBundesregierung eingebrachten Entwurfseines Vierten Gesetzes zur Änderungvon Verbrauchsteuergesetzen(Drucksachen 16/12257, 16/12675, 16/12878,16/12903) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

– Bericht des Haushaltsausschusses gemäߧ 96 der Geschäftsordnung(Drucksache 16/12895) . . . . . . . . . . . . . . .

Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . .

Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 24:

Antrag der Abgeordneten Jan Korte, WolfgangNešković, Sevim Dağdelen, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion DIE LINKE: EinMoratorium für Sicherheitsgesetze bis zur

24070 A

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24078 C

24079 B

24080 B

24080 C

24081 B

Vorlage eines Prüfberichts zu Folgen derUrteile des Bundesverfassungsgerichts zurOnline-Durchsuchung(Drucksache 16/8981) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Frank Hofmann (Volkach) (SPD) . . . . . . . . .

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 25:

Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurUmsetzung der Dienstleistungsrichtlinie imGewerberecht und in weiteren Rechtsvor-schriften(Drucksache 16/12784) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Lena Strothmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 26:

Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Landrechtestärken – „land grabbing“ in Entwick-lungsländern verhindern(Drucksache 16/12735) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . .

Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 27:

Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, JürgenKlimke, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), wei-terer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU sowie der Abgeordneten AnnetteFaße, Renate Gradistanac, Siegmund Ehrmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derSPD: Tourismuskooperation und Jugend-austausch mit den neuen EU-Staaten för-dern(Drucksache 16/12730) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 VII

Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Jens Ackermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 28:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz zu dem Antrag der Abge-ordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Dr. Edmund PeterGeisen, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP: Schutz der Bienenvölker si-cherstellen(Drucksachen 16/10322, 16/12267) . . . . . . . .

Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . .

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . .

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 29:

Große Anfrage der Abgeordneten Volker Beck(Köln), Marieluise Beck (Bremen), AlexanderBonde, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ZurMenschenrechtssituation in den Ländernder Andengemeinschaft und Venezuela(Drucksachen 16/9866, 16/11297) . . . . . . . . .

Eduard Lintner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . .

Tagesordnungspunkt 30:

Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle,Markus Löning, Dr. Karl Addicks, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP:Wettbewerbspolitik als Fundament der So-zialen Marktwirtschaft stärken(Drucksache 16/7522) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . .

Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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24115 B

24116 C

24116 C

24117 B

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24118 B

24118 D

Tagesordnungspunkt 31:

Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm,Peter Hettlich, Nicole Maisch, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Verkehrsprojekt 17 DeutscheEinheit jetzt beenden – Kein Ausbau desSacrow-Paretzer-Kanals(Drucksache 16/12116) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Jörg Vogelsänger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . .

Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . .

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 32:

Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, RainerBrüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDP: Kompe-tenzen des Bundeskartellamts weiterentwi-ckeln(Drucksache 16/8078) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . .

Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) . . . . . . . . . .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 33:

Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell,Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Vorbildlich und im-portunabhängig Ökostrom und Biogas ein-kaufen(Drucksache 16/11964) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Marko Mühlstein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 34:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Wirtschaft und Technologie zudem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil,Paul K. Friedhoff, Frank Schäffler, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP:

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VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Eigenkapitalbildung fördern – Deutsch-lands Mittelstand fit machen(Drucksachen 16/3841, 16/5952) . . . . . . . . . .

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . .

Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Paul K. Friedhoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . .

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 35:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Wirtschaft und Technologie zudem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil,Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP:Deminimis-Beihilfen mittelstandsfreundli-cher ausgestalten(Drucksachen 16/3149, 16/7730) . . . . . . . . . .

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Paul K. Friedhoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 36:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne-ten Dr. Christel Happach-Kasan, MichaelKauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDP: Biologi-sche Kohlenstoffsenken für den Klima-schutz nutzen(Drucksachen 16/2088, 16/7147) . . . . . . . . . .

Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . .

Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . .

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . .

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 37:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Ernährung, Landwirtschaft und

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24131 C

24132 A

24132 C

24133 A

24134 C

24134 D

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24136 C

24137 A

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24138 C

24139 A

24140 B

24141 A

24141 C

Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge-ordneten Hans-Michael Goldmann, Dr.Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund PeterGeisen, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP: Chancen am Weltmarktdurch marktwirtschaftliche Weiterent-wicklung der Gemeinsamen Agrarpolitikund Subventionsabbau nutzen(Drucksachen 16/4185, 16/9800) . . . . . . . . . .

Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . .

Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . .

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . .

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenDr. Hans Georg Faust, Jochen-Konrad Frommeund Hans Peter Thul (alle CDU/CSU) zur Ab-stimmung über den Entwurf eines Gesetzeszur Beschleunigung des Ausbaus der Höchst-spannungsnetze (Tagesordnungspunkt 16 a) .

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenClaudia Roth (Augsburg) und Dr. TheaDückert (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN) zur Beschlussfassung über den Antrag:Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen(Zusatztagesordnungspunkt 5 c) . . . . . . . . . .

Anlage 4

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung derBeschlussempfehlung und des Berichts: Schutzder Bienenvölker sicherstellen (Tagesord-nungspunkt 28)

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . .

Anlage 5

Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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24144 B

24145 B

24146 A

24146 C

24147 D

24149 A

24149 C

24149 D

24150 C

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23969

(A) (C)

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220. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Beginn: 9.02 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ichbegrüße Sie alle herzlich.

Wie meistens am Donnerstagvormittag gibt es einigeMitteilungen, bevor wir in unsere Tagesordnung eintre-ten.

Zunächst möchte ich den Kollegen Walter Kolbow,Dr. Hermann Scheer und Dr. Gernot Erler zu ihren65. Geburtstagen gratulieren, die sie vor einigen Tagenbegangen haben.

(Beifall)

Es gibt auch zwei 60. Geburtstage, und zwar der Kol-legen Dr. Hans Michelbach und Rüdiger Veit. Im Na-men des ganzen Hauses gratuliere ich den Jubilarennachträglich auch auf diesem Wege herzlich und wün-sche alles Gute.

(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-gesordnung um die in der weiteren Zusatzpunktliste auf-geführten Punkte zu erweitern:

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahren(Ergänzung zu TOP 38)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurStärkung der Rechte von Verletzten undZeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsre-formgesetz)

– Drucksache 16/12812 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ers-ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur

Regelung der Rechtsverhältnisse der Helferder Bundesanstalt Technisches Hilfswerk

– Drucksache 16/12854 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-setzes zur Regelung des Assistenzpflegebe-darfs im Krankenhaus

– Drucksache 16/12855 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit (f)Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

d) Erste Beratung des von den Abgeordneten JosefPhilip Winkler, Volker Beck (Köln), EkinDeligöz, weiteren Abgeordneten und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Streichung des Op-tionszwangs aus dem Staatsangehörigkeits-recht

– Drucksache 16/12849 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstMeierhofer, Frank Schäffler, Michael Kauch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unter-nehmen abschaffen – Fairen Wettbewerb auchin der Abfallwirtschaft ermöglichen

– Drucksache 16/5728 – Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Redetext

Page 10: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16220.pdf · Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuervollzug

23970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) (C)

(B) (D)

Präsident Dr. Norbert Lammert

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Detlef Parr, Dr. Max Stadler, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP

Datei „Gewalttäter Sport“ auf verfassungsmä-ßige Grundlage stellen

– Drucksache 16/11752 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Sportausschuss Rechtsausschuss

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeHöfken, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN

Milch-Exportsubventionen sofort stoppen –Weitere Zerstörung der Märkte in Entwick-lungsländern verhindern

– Drucksache 16/12308 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)Finanzausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Gemeinsames Internetzentrum auf gesetzlicheGrundlage stellen

– Drucksache 16/12471 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten HartfridWolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. MaxStadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP

Europarechtskonformes und nachvollziehba-res Nachzugsrecht schaffen – Metock-Urteildes EuGH sofort gesetzlich verankern

– Drucksache 16/12732 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten IngbertLiebing, Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert,Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD

Delfinschutz voranbringen

– Drucksache 16/12868 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-sprache(Ergänzung zu TOP 39)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten MonikaGrütters, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), PeterAlbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU, der Abgeordneten Steffen Reiche(Cottbus), Monika Griefahn, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten Hans-Joachim Otto(Frankfurt), Christoph Waitz, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP

Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

– Drucksache 16/12866 –

b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, CorneliaHirsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE

Dauerhaften Schutz des Klosters Mor Gabrielsicherstellen

– Drucksache 16/12848 –

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten ClaudiaRoth (Augsburg), Ekin Deligöz, Kai Gehring,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

– Drucksache 16/12867 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zuder Unterrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-schen Parlaments und des Rates über dieFahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr undzur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen denfür die Durchsetzung der Verbraucherschutz-gesetze zuständigen nationalen Behörden(inkl. 16933/08 ADD 1 und 16933/08 ADD 2)(ADD 1 in Englisch) KOM(2008) 817 endg.; Ratsdok. 16933/08

– Drucksachen 16/11721 Nr. A.10, 16/12897 –

Berichterstattung:Abgeordnete Michael Grosse-Brömer Dirk Manzewski Mechthild Dyckmans Sevim DağdelenJerzy Montag

ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionender CDU/CSU und der SPD:

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23971

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Gemeinsam gegen Gewalt – Ächtung der Aus-schreitungen und schweren Gewaltstraftatenam 1. Mai

ZP 7 Beratung des Antrags der AbgeordnetenIrmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth,Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Erwerbsminderungsrente gerechter gestalten

– Drucksache 16/12865 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.

Der Tagesordnungspunkt 38 f wird abgesetzt.

Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht so aus.Dann ist das so beschlossen.

Wir kommen dann zu den Tagesordnungspunkten15 a und 15 b:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterzie-hung (Steuerhinterziehungsbekämpfungsge-setz)

– Drucksache 16/12852 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSUund der SPD

Steuerhinterziehung bekämpfen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. VolkerWissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP

Steuervollzug effektiver machen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. HermannOtto Solms, Dr. Volker Wissing, FrankSchäffler, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP

Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll-auf die Istbesteuerung

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. HerbertSchui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE

Bundesverantwortung für den Steuervollzugwahrnehmen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. BarbaraHöll, Dr. Axel Troost, Dr. Gregor Gysi, OskarLafontaine und der Fraktion DIE LINKE

Steuermissbrauch wirksam bekämpfen –Vorhandene Steuerquellen erschließen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. BarbaraHöll, Wolfgang Nešković, Ulla Lötzer, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Steuerhinterziehung bekämpfen – Steuer-oasen austrocknen

– zu dem Antrag der Abgeordneten ChristineScheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weite-rer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Hintertür für Steuerhinterzieher

– Drucksachen 16/11389, 16/11734, 16/9836,16/9479, 16/9166, 16/9168, 16/9421, 16/12826 –

Berichterstattung:Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding (Heidelberg)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Frak-tion.

(Beifall bei der SPD)

Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! VieleBürgerinnen und Bürger in Deutschland brauchen keineSteuern zu zahlen. Von den Bürgerinnen und Bürgern,die Steuern zahlen müssen, sind viele sehr fair; denn siezahlen ihre Steuern korrekt. Es gibt aber einzelne Steuer-bürger, die denken, sie brauchten sich nicht daran zu er-innern, dass sie, nachdem sie Gewinne gemacht undhohe Einkommen erzielt haben, auch Steuern zu zahlenhaben. Diesem unfairen Verhalten und der daraus entste-henden Ungerechtigkeit wollen wir mit diesem Gesetzzur Steuerhinterziehungsbekämpfung begegnen.

Wir glauben, dass es sehr gut ist, dass unser StaatDoppelbesteuerungsabkommen zum Schutz der Bürgertrifft. Wenn jemand zum Beispiel in den USA ein Ein-kommen hat, soll er es dort versteuern. Wenn es dort ver-steuert wird, ist dieses Einkommen des Deutschen inDeutschland steuerfrei gestellt. Oder: Wenn er in denUSA eine Steuer von zum Beispiel 10 Prozent zahlt, esbei uns aber 30 Prozent wären, dann soll er hier20 Prozent nachversteuern, sodass insgesamt immer dieSteuern gezahlt werden sollen, die auch derjenige zu

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23972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Lothar Binding (Heidelberg)

zahlen hat, der in dem Land wohnt, in dem derjenige, derauch im Ausland Steuern zahlen muss, steuerpflichtigist.

Jetzt können sich vor dem Hintergrund dieser100 Abkommen aber manche Länder so verhalten, dasssie sich mit Menschen verbünden, die die Zahlung vonSteuern hintergehen, die Steuern hinterziehen wollen.Nun kann man sagen: Das ist kein Problem. Man könntemit diesen Ländern ja einfach einen Informationsaus-tausch verabreden und damit die Steuerbürger zu einerkorrekten Steuerzahlung motivieren.

Jetzt stoßen wir auf das erste Problem, wenn mancheLänder sagen: „Lasst uns den Betrug bekämpfen! Betrugist schlecht“ und wir feststellen: Da betrügt jemand, weiler Steuern hinterzieht. – Wenn man nun das andere Landbittet, zu helfen, diesen Steuerbetrug zu bekämpfen,dann wird in diesem Land gesagt: Da habt ihr Pech;denn Steuerbetrug ist bei uns kein Betrug. Auch Steuer-hinterziehung ist bei uns kein Betrug. Erst in Verbindungmit einer Urkundenfälschung zum Beispiel wird es zu ei-nem Betrug. – Der Steuerbürger zieht sich glücklich zu-rück und sagt: In diesem Land halte ich mich gerne auf,weil dort etwas kein Betrug ist, was in Deutschland Be-trug ist.

So etwas macht die Sache extrem kompliziert. Des-halb können wir Peer Steinbrück nur gratulieren, dass erim Rahmen der G 20 und auch in Zusammenarbeit mitder OECD Regeln gefunden hat, wie wir Steuerbetrügerinternational in ihre Schranken weisen und sie motivie-ren, in ihren eigenen Ländern ihre Steuern fair zu zahlen.

(Beifall bei der SPD)

Wir bezeichnen die von mir geschilderte Situation so,dass Staaten ihren Auskunftspflichten nicht nachkom-men und nicht mit unseren Steuerbehörden kooperieren.Tatsächlich ist es aber so, dass es diese Staaten ganz be-wusst darauf anlegen, deutsche Steuerbürger mit be-stimmten Einkünften in ihr Land zu locken, um sie steu-erfrei zu stellen. Damit lassen sie den anderenSteuerbürgern aus Deutschland Unfairness angedeihen.Das wollen wir natürlich nicht. Deshalb sind wir sehrfroh, dass uns die OECD jetzt intensiv unterstützt.

Gelegentlich wird Kritik an dem vorgelegten Gesetz-entwurf geübt. Erst kürzlich hat ein Kollege von derFDP gesagt, er sei überflüssig, weil die OECD-Liste in-zwischen sehr kurz sei und die schwarze Liste gar keineStaaten mehr enthalte. Wer aber genauer hinsieht, merkt,dass auch andere Länder unserer Meinung sind. NehmenSie Griechenland, Italien,

(Jörg van Essen [FDP]: Oje, das sind ja große Vorbilder bei der Steuerzahlung!)

Kanada, Spanien, Polen und Portugal. All diese Ländergehen einen ähnlichen Weg, weil sie das gleiche Pro-blem haben und Steueroasen diesen Ländern einen gro-ßen Schaden zufügen. Wer diesen Schaden bekämpfenwill, muss sich überlegen, ob er anders kooperiert alsbisher. 17 OECD-Mitgliedstaaten verfolgen übrigens diegleiche Idee wie wir.

Für jemanden, der mit den Einzelheiten nicht sehrvertraut ist, möchte ich es an einem Beispiel klarmachen.Wenn zum Beispiel eine GmbH in München Gewinnan-teile von einer ausländischen Tochter in einer Steueroasebekommt, dann ist es üblicherweise so, dass diese Ge-winnanteile, also die Dividenden, in Deutschland steuer-frei gestellt sind. Jetzt kann man fragen: Wieso ist dieDividende eigentlich steuerfrei gestellt? Das ist eineFrechheit. Dividenden müssen doch besteuert werden. –Das stimmt, aber erst dann, wenn die Dividenden in dieprivate Sphäre übernommen werden. Solange dieseDividenden oder Gewinnanteile in der unternehmeri-schen Sphäre verbleiben – wir befürworten es ja, wenndie Unternehmer investieren –, werden diese Gewinnesteuerfrei gestellt.

Das neue Gesetz funktioniert ganz einfach: Wenn einSteuerbürger mit den deutschen Steuerbehörden koope-riert und ihnen sagt, zu welchem Zweck er in einem an-deren Land engagiert ist und wie seine Geschäftsbezie-hungen mit diesem Land organisiert sind, bleibt dieSteuerfreiheit erhalten. Wenn der Steuerbürger abermeint, er müsse das alles geheim halten und alles solleunter der Decke bleiben – das wird ja von vielen als Ka-valiersdelikt bezeichnet –, dann ist die Idee dieses Geset-zes, dass gesagt wird: Wenn das so ist, dann fällt dieSteuerfreiheit weg. Es wird also ein Vorteil genommen,wenn man nicht kooperiert.

Das ist natürlich eine sehr gute Sache. Das ist ähnlichder Situation, dass ein Dieb befürchten muss, dass er in-haftiert wird. Ein Mensch aber, der nicht stiehlt, brauchtdiese Befürchtung nicht zu haben. Insofern ist es völligklar: Wer keinen Diebstahl begeht, hat nichts zu befürch-ten.

Im anderen Fall wollen wir allerdings nicht nur dro-hen, sondern auch ernst machen, allerdings nicht unmit-telbar sofort und per Gesetz, sondern wir wollen die Re-gierung ermächtigen, im richtigen Zeitpunkt denrichtigen Erlass zu formulieren, um dieser Drohung beiBedarf Wirkung zu verschaffen. Das ist natürlich einesehr gute Sache,

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist einesehr gute Sache; denn dann braucht das Parla-ment überhaupt nicht mehr gefragt zu werden!Na ja, es sind noch fünf Monate!)

weil wir damit niemanden unter Generalverdacht stellen.Die Exekutive kann sehen, ob die Kooperation mit ande-ren Staaten funktioniert oder nicht, und die Steuerbehör-den können unmittelbar sehen, wer kooperiert und wernicht. Bei Bedarf können sofort Maßnahmen in Kraft ge-setzt werden, um die Steuerbürger ehrlich zu machen.

Ich glaube, ein Gesetzentwurf, mit dem den Men-schen geholfen wird, sich ehrlich zu machen, ist ein sehrguter Gesetzentwurf. Deshalb bin ich auch sehr optimis-tisch, dass wir einen großen Schritt auf dem Weg zur Be-kämpfung der Steuerhinterziehung weitergekommensind. Ich glaube, dass es schon lange an der Zeit war, daszu tun. Manche Skandale, durch die den Bürgern dieDringlichkeit verdeutlicht wurde, sind uns dabei sehr zu-passgekommen.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23973

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Lothar Binding (Heidelberg)

Ich möchte jeden Steuerbürger, der seine Steuern ehr-lich zahlt, beglückwünschen. Nun sind wir mit diesemGesetzentwurf dabei, auch alle anderen in diese Rich-tung zu bewegen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])

Präsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Hermann Otto Solms von der FDP-Fraktion ist

der nächste Redner.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Bundesregierung legt uns heute den Ent-wurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinter-ziehung vor. Wer wollte etwas dagegen haben? Natürlichmuss Steuerhinterziehung bekämpft werden.

(Thomas Oppermann [SPD]: Dann stimmen Sie ja zu!)

– Einen Moment! Sie müssen auf den Inhalt achten.

Wenn man sich den Inhalt ansieht, muss man sagen:Das ist kein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuer-hinterziehung, sondern ein Gesetzentwurf zur Bekämp-fung von Steueroasen. Das genau ist der Inhalt. Steuer-oasen sind Länder, die sich nicht bereit erklären, denSteuerstandards der OECD zu folgen. So ist es definiert.

Sie müssen dann in der Liste der OECD nachschauen,welche Länder gemeint sind. Diese Liste aus dem Inter-net können Sie sich ausdrucken lassen. Sie stellen dannfest, dass auf der sogenannten schwarzen Liste kein ein-ziges Land steht. Alle Länder, die früher draufstanden,haben offiziell erklärt und zugesagt, dass sie sich diesenStandards unterwerfen und dass sie mitarbeiten und beider Verfolgung von Steuerhinterziehung kooperieren.

(Hans Eichel [SPD]: Und das glauben Sie?)

Sie haben also einen Gesetzentwurf zur Bekämpfungvon etwas gemacht, was gar nicht vorhanden ist.

(Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD –Thomas Oppermann [SPD]: Das ist doch nichtIhr Ernst! Das glauben Sie doch selber nicht! –Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Und die 480 Milliarden Euro sind auch nichtmehr vorhanden!)

Ich habe gelernt, dass man Gesetzentwürfe dann vorle-gen soll, wenn es notwendig ist. Wenn es nicht notwen-dig ist, soll man keine Gesetzentwürfe vorlegen, weilman sie nicht braucht.

(Thomas Oppermann [SPD]: Das glauben Siedoch selber nicht! – Gegenruf des Abg.Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Können dieFischstäbchen einmal ein bisschen ruhigersein?)

Im Übrigen: Im internationalen Umgang und im Um-gang mit Nachbarstaaten, also mit befreundeten Staatenwie Österreich, Luxemburg, der Schweiz, Liechtensteinusw.,

(Thomas Oppermann [SPD]: Die sind alle auf der grauen Liste!)

ist es doch besser – das war immer unsere gemeinsamePolitik –, zu verhandeln, um zu Ergebnissen zu kommen,statt mit Kraftmeierei zu drohen und Verbalradikalismusan den Tag zu legen,

(Beifall bei der FDP)

der dem Bundesfinanzminister leider zu eigen ist. DasBedauerliche an seiner Wortwahl ist, dass dahinter häu-fig ein völlig unklares Geschichtsbild steht.

Er hat zum Beispiel gesagt, die 7. Kavallerie in FortYuma solle man ausreiten lassen. Die Indianer müsstenwissen, dass es sie gibt. – Mit den Indianern meinte eroffenkundig die Schweizer und mit der 7. Kavallerie diedeutschen Ermittlungsbehörden. Wenn Sie die Ge-schichte richtig in Erinnerung haben würden, dann wüss-ten Sie, dass die 7. Kavallerie unter General Custer amLittle Big Horn in eine Falle der Indianer gegangen undvernichtet worden ist. Wollen Sie also, dass die Schwei-zer den deutschen Ermittlungsbehörden Fallen bauen,um sie zu vernichten? Wollen Sie sie in das Unglück hi-neinreiten lassen?

Jetzt haben Sie einen anderen Vergleich gebracht,nämlich den mit Burkina Faso. Sie haben gesagt, Lu-xemburg, Liechtenstein, die Schweiz, Österreich undOuagadougou stünden unter Verdacht. Nun sollten Sieaufgrund Ihrer Geografiekenntnisse wissen, dass Ouaga-dougou kein Land, sondern die Hauptstadt von BurkinaFaso ist. Dieses Land steht überhaupt nicht auf der Listeder OECD und auch nicht auf der grauen Liste. Wahr-scheinlich haben Sie es mit Liberia verwechselt; denndas steht auf der grauen Liste. Dieses Land liegt aller-dings tausend Kilometer entfernt.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN],an den Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] ge-wandt: Der will auch Außenminister werden,Herr Westerwelle!)

Es wäre gut, wenn Sie Ihre Bilder richtigstellen undvon diesen Verbalradikalismen Abstand nehmen wür-den. Es wäre besser, Sie würden mit befreundeten Län-dern verhandeln, statt sie zu bedrohen.

(Beifall bei der FDP)

Das gilt insbesondere gegenüber der Schweiz, die ihrenDemokratieprozess bereits 1291 begonnen hat, also ge-genüber einem Land mit einer langen demokratischenTradition. Die Schweiz könnte auch heute noch Vorbildfür uns sein; denken Sie nur an die Instrumente der di-rekten Demokratie in der Schweiz. Wir haben denSchweizern keine Vorschriften zu machen. Wir haben sienicht zu belehren, sondern im Zweifelsfall mit ihnen zuverhandeln, um zu gemeinsamen Ergebnissen zu kom-men.

(Beifall bei der FDP)

Page 14: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16220.pdf · Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuervollzug

23974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Dr. Hermann Otto Solms

Entscheidend ist aber nicht der Umgang – auch wenner eine unschöne Sache ist –, sondern die Frage nach denUrsachen der Steuerhinterziehung und der Steuerflucht.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Zu hohe Steu-ern!)

Warum entziehen sich deutsche Steuerbürger der deut-schen Besteuerung?

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: GuteFrage! – Lothar Binding [Heidelberg) [SPD]:Weil sie charakterlos sind! – Weitere Zurufevon der SPD)

Sie tun das, weil das deutsche Steuerrecht unsäglichkompliziert, unüberschaubar und unverständlich ist.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. PeterRamsauer [CDU/CSU] – Lachen bei der SPDund dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie erreichen wollen, dass die deutschen Bürgerauf Schwarzarbeit und Steuerflucht verzichten, wennSie wollen, dass sie darauf verzichten, Investitionen insAusland zu verlagern, dann müssen Sie in Deutschlandein Steuerrecht schaffen, das vom Bürger akzeptiertwird; denn der Bürger ist der Souverän des Staates. DerStaat hat den Bürger nicht zu bevormunden, sondern Ge-setze zu erlassen, die der Bürger zu akzeptieren bereitist.

(Lachen bei der SPD)

Deswegen ist eine große Steuerreform in diesem Landüberfällig.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so peinlich!)

Sie ist dringend notwendig. Dabei geht es nicht in ersterLinie um die Steuersätze, sondern darum, ein einfachesund verständliches Steuerrecht zu schaffen, welches be-wirkt, dass die Bürger auf einen fairen Steuerstaat ver-trauen. Wenn Sie das geschaffen haben, werden Sie mitdie Steuerbekämpfung nur noch die geringste Mühe ha-ben.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neues aus der Anstalt!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Eduard Oswald für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eduard Oswald (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je-

dem muss klar sein: Steuerhinterziehung ist kein Kava-liersdelikt.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!)

Wer keine Steuern zahlt, beteiligt sich nicht an der Fi-nanzierung der Gemeinschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ohne Steuern ist kein Staat zu machen. Das Zusammen-leben der Menschen in einer Gemeinschaft wäre nicht zuorganisieren.

Steuerhinterziehung zu bekämpfen, ist auch ein An-liegen, wenn es darum geht, Wettbewerbsverzerrun-gen zu beseitigen. Mit den Mehreinnahmen können dieSteuersätze für ehrliche Steuerbürger gesenkt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Davon würde der ehrliche Steuerbürger also profitieren.Steuerhinterziehung führt zu Wettbewerbsverzerrungen.Unternehmen, die ihre Einnahmen nicht ordnungsgemäßversteuern, haben einen Wettbewerbsvorteil, und Staa-ten, die Steuerhinterziehung ermöglichen, haben einenStandortvorteil. Diese ungerechtfertigten Vorteile sollendurch die Bekämpfung der Steuerhinterziehung beseitigtwerden.

(Joachim Poß [SPD]: So weit sind wir uns ei-nig!)

Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist be-reit, Steuern zu zahlen. Sie wollen – und das zu Recht –,dass der Staat mit den Einnahmen verantwortungsbe-wusst umgeht und dass die Steuermittel sinnvoll für dieGemeinschaft eingesetzt werden. Darum muss das Steu-errecht so gestaltet sein, dass es von den Menschen alsgerecht empfunden wird.

Wir dürfen nicht zulassen – auch das muss klar sein –,dass Bürgerinnen und Bürger mit einem höheren Ein-kommen automatisch im Verdacht stehen, Steuern hin-terziehen zu wollen. Wir gehen vom ehrlichen Bürgerund vom ehrlichen Steuerzahler aus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden es auch keinesfalls zulassen, dass ein Unter-nehmer, der mit dem Ausland Geschäfte macht, schonallein deswegen der Steuerhinterziehung verdächtigtwird. Wer eine Antipathie gegen die sogenannten Rei-chen entwickelt und suggeriert, sie würden Steuern hin-terziehen, spaltet unsere Gesellschaft. Das wäre ver-hängnisvoll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Christlich-demokratische und christlich-soziale Poli-tik ist, sich für ein Steuersystem einzusetzen, das ein-fach, gerecht und, wenn es die Finanzlage zulässt, mitmöglichst niedrigen Sätzen gestaltet ist. Trotzdem istklar: Ohne Steuereinnahmen kann kein Staat, kein Ge-meinwesen existieren; ohne Steuern kann eine ausrei-chende Daseinsfürsorge für all unsere Bürgerinnen undBürger nicht zur Verfügung gestellt werden. Es ist aberauch immer Aufgabe von uns, den politisch Handelnden,deutlich zu machen, wofür die Steuereinnahmen inKommunen, Ländern und Bund – wiederum im Interesseder Gemeinschaft – verwendet werden.

Page 15: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16220.pdf · Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuervollzug

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23975

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Eduard Oswald

Wir stehen inmitten einer sehr schweren und dramati-schen weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Alle Be-teiligten betonen immer wieder, wie wichtig es ist, ausFehlern zu lernen, die die aktuelle Finanzkrise verur-sacht haben. Daher hat die Schaffung einer neuen Fi-nanzmarktarchitektur Priorität. Es ist eine Chance inder Krise, dass die Welt hier zusammensteht. Eine bessereRegulierung und Überwachung der Finanzmärkte, -pro-dukte und -akteure ist dringend erforderlich, um dieWiederholung einer solchen Krise zu verhindern. Nie-mand darf sagen: Nach der Krise gehen wir wieder zurTagesordnung über und machen es wie vorher.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Zu diesem Thema gehört auch die gemeinsame – ichbetone: gemeinsame – strenge Ahndung von Steuer-flüchtlingen und Staaten, die möglicherweise die Steuer-hinterziehung begünstigen. Im Umgang mit unseren be-freundeten Ländern empfehle ich aber allen, sprachlichabzurüsten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch die Lebenserfahrung wohl von uns allen zeigtnicht nur, dass man sich immer zweimal begegnet,

(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)

sondern auch, dass es besser ist, mehr miteinander zu re-den als übereinander.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wen meint dieUnion?)

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung derSteuerhinterziehung soll die Hinterziehung von Steuerndurch Nutzung von Staaten und Gebieten erschwert wer-den, die die Standards der OECD möglicherweise nichtakzeptieren. Zugleich wollen wir die Akzeptanz derOECD-Standards im Bereich des Steuervollzugs för-dern. Damit werden die Möglichkeiten eines zeitnahenund flexibleren Handelns im Rahmen eines internationalabgestimmten Vorgehens verbessert. Wir beschäftigenuns heute mit diesem Gesetzentwurf in erster Lesung.

Diese Maßnahmen stehen nunmehr umfassend – Kol-lege Lothar Binding hat dies gesagt – unter dem Vorbe-halt einer später noch zu verabschiedenden Rechts-verordnung. Der Bundesregierung ist es hierdurchmöglich, vor Erlass der Rechtsverordnung zu prüfen, inwelchem Zeitraum und Umfang die Staaten ihre Ankün-digungen umsetzen, den OECD-Standard beim Informa-tionsaustausch einzuführen. Die mit diesem Gesetz an-gedrohten Maßnahmen werden dazu führen, dass dieStaaten ihre Ankündigungen nun auch in die Tat umset-zen. Einerseits wird also der internationale Druck auf-rechterhalten; andererseits kann den Staaten, die sicherst kürzlich bereit erklärt haben, den OECD-Standardeinzuführen, die Zeit eingeräumt werden, diesen einzu-führen. Ebenso bleibt es möglich, die angedrohten Maß-nahmen dann und so anzuwenden, wie es möglicher-weise international noch konkreter abgesprochen wird.

Für meine Fraktion sage ich aber: Es muss gewähr-leistet sein, dass die Bundesregierung mit Zustimmungdes Bundesrates von den Verordnungsermächtigungennur Gebrauch macht, wenn die Anwendung der mit demGesetz angedrohten Maßnahmen das letzte noch erfolg-versprechende Mittel ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zuvor müssen alle, insbesondere auch internationale undbilaterale Möglichkeiten ausgeschöpft worden sein, umdie Staaten dazu zu bewegen, einen hinreichenden Infor-mationsaustausch zu gewährleisten. Also: miteinanderreden, nicht übereinander!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sanktionsmaßnahmen können nur dann vorgenom-men werden, wenn der Steuerpflichtige seinen erhöhtenMitwirkungs- und Nachweispflichten nicht nachgekom-men ist. Diese treffen den Steuerpflichtigen bei der Er-mittlung von steuerlich relevanten Sachverhalten desSteuerpflichtigen im Zusammenhang mit Geschäftsbe-ziehungen zu Staaten und Gebieten, mit denen kein Aus-kunftsaustausch durchgeführt werden kann, der demOECD-Standard entspricht. Es wird also nicht das Un-terhalten von Geschäftsbeziehungen in unkooperativenStaaten und Gebieten sanktioniert, sondern das unkoope-rative Verhalten der Steuerpflichtigen. Dies ist übrigensauch europarechtlich gut vertretbar.

Wir haben heute Punkte in einem Bereich zu verab-schieden, in dem wir bereits Maßnahmen auf den Weggebracht haben, um Verbesserungen bei der Bekämp-fung der Steuerhinterziehung zu erreichen. So wurdendie Möglichkeiten einer Telefonüberwachung beim ban-denmäßigen Umsatzsteuerbetrug eingeführt und bei derSteuerhinterziehung in besonders schweren Fällen – ge-rade auch im Bandenbereich – die Frist für die straf-rechtliche Verjährung auf zehn Jahre verdoppelt. Mitdiesen Maßnahmen geben wir den Bürgerinnen und Bür-gern das Signal: Niemand darf sich der gesellschaftli-chen Pflicht, sich am Gemeinwesen zu beteiligen, ent-ziehen.

Globale Finanzströme haben das Thema Steuer undSteuerhinterziehung zu einem globalen Problem ge-macht. Unsere Maßnahmen signalisieren auch: Der Ehr-liche darf nicht der Dumme sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der ehrliche Steuerzahler darf nicht geschädigt werden.

Wir werden im Rahmen des Gesetzgebungsverfah-rens über den heute vorliegenden Gesetzentwurf aus-führlich in einer öffentlichen Anhörung mit den Sach-verständigen diskutieren. Einzelne Regelungen müssenohne Zweifel überprüft und auf ihre Angemessenheit hinabgeklopft werden.

Das Ziel der Union ist, erstens das Steuerrecht einfachund gerecht zu gestalten, zweitens die Steuerbelastun-gen, wo immer dies möglich ist, abzusenken, um denSteuerwiderstand zu vermeiden und Steuerbetrug zu ver-hindern, und drittens es zu einer Daueraufgabe zu ma-chen, den Steuervollzug so zu gestalten, dass ihn die

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23976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Eduard Oswald

Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können. Das ist,glaube ich, eine Daueraufgabe, der sich alle in diesemParlament stellen sollten.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine

für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Der Gesetzentwurf sieht bescheidende Verbesserun-gen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung vor. Diesist zu begrüßen.

(Thomas Oppermann [SPD]: Nur beschei-dende? Ein Paradigmenwechsel!)

Die Verbesserungen sind zwar nur sehr bescheiden;gleichwohl sind sie zu unterstützen. Dass die Verbesse-rungen so bescheiden ausfallen, ist ein Ergebnis derkoalitionsinternen Auseinandersetzungen. Die Presseschreibt, dass hier eine abgespeckte Form vorgelegt wor-den ist. Dies ist sicherlich keine unsachgemäße Beurtei-lung.

Im Übrigen ist hinzuzufügen, dass wir es nicht für guthalten, dass hier im Grunde genommen nur eine Rechts-verordnung der Regierung erlaubt wird. Wir sind derAuffassung, dass der ständige Drang, das Parlamentnicht an wichtigen Entscheidungen zu beteiligen, auchan dieser Stelle falsch ist. Es wäre besser gewesen, dasParlament direkt zu beteiligen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Für uns ist das Thema Steuerhinterziehung ein Un-terthema des allgemeinen Themas Steuergerechtigkeit.Wer Steuerhinterziehung glaubwürdig und glaubhaft be-kämpfen will, muss glaubwürdig und glaubhaft sein,wenn es darum geht, Steuergerechtigkeit in diesemLande herzustellen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wenn man die Bilanz der Großen Koalition an dieserStelle betrachtet, dann sieht man, dass die Mehrwert-steuererhöhung rund 25 Milliarden Euro ausmacht, dassdie Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversiche-rung rund 25 Milliarden Euro ausmacht – davon entfälltdie Hälfte auf die Unternehmerseite – und dass eine Un-ternehmensteuerreform durchgeführt worden ist; unter-schiedliche Schätzungen beziffern hier Entlastungenzwischen 8 und 10 Milliarden Euro. Das ist keine Steu-ergerechtigkeit, sondern eine Umverteilung von untennach oben. Daran hat sich überhaupt nichts geändert.Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Es geht aber nicht nur um diese Steuerpolitik, sondernauch um die Behandlung einzelner Themen. Ich habevorhin Herrn Solms genau zugehört, als er gefragt hat,wer etwas gegen die Bekämpfung der Steuerhinterzie-hung haben wollte. Es ist klar: Wenn wir einen Antraggegen Steuerhinterziehung einbringen, werden alle zu-stimmen. Die entscheidende Frage ist aber, wie glaub-würdig das verbale Bekenntnis ist und ob entsprechendgehandelt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

In der Diskussion über das Bankgeheimnis wird so-fort klar, dass zumindest Teile dieses Hauses überhauptnicht bereit sind, Steuerhinterziehung zu bekämpfen.

(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Der Normalbürger versteht unter Bankgeheimnis, dassder Nachbar nicht einfach nachschauen kann, was manauf dem Konto hat, um dies in der ganzen Nachbarschaftherumzuerzählen oder sonst etwas mit dieser Informa-tion zu tun. Dem Normalbürger kommt aber nicht in denSinn, dass das Bankgeheimnis bedeutet, dass man es Fi-nanzbeamten verbietet, im Zuge ihrer Pflichten Steuer-ehrlichkeit zu überprüfen, und dass man ihnen keine In-formationen über das Bankkonto gibt. Für uns sindLeute, die unter Bankgeheimnis verstehen, dass das Fi-nanzamt keine Kontrollmöglichkeit hat, Hehler der Steu-erhinterziehung.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

An der Situation hat sich noch nichts geändert, um daseinmal in aller Klarheit zu sagen.

Insofern möchte ich sagen: Wenn der Finanzministerbeispielsweise verbale Attacken gegen die Länder reitet,die Hehler der Steuerhinterziehung sind, dann hat er un-sere Unterstützung. Wir würden uns nur wünschen, dassdie kräftigen Worte auch von kräftigem Handeln beglei-tet werden. Dann würden wir Ihnen noch viel mehr zu-stimmen, Herr Bundesfinanzminister.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. GertWinkelmeier [fraktionslos] – Dr. GuidoWesterwelle [FDP]: Was denn sonst als Kaval-lerie?)

Was die Steuerpolitik betrifft, fand allerdings nichtnur eine leidige Diskussion über das Bankgeheimnisstatt. Bis vor einiger Zeit gab es sogar noch eine Amnes-tie für Steuersünder. Wer vor einiger Zeit eine Amnestiefür Steuersünder befürwortet hat, der ist wenig glaub-haft, wenn er ihnen jetzt auf einmal mit Strafe droht. Wirbegrüßen diesen Gesinnungswandel. Daran, dass esüberhaupt einmal eine Amnestie für Steuersünder gab,die natürlich weit weniger gebracht hat, als damals er-wartet worden ist, wird aber deutlich, dass hier einiges inSchieflage geraten ist. Aufgrund einer jahrzehntelangverfehlten Politik ist das Empfinden für Steuergerechtig-

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keit insbesondere bei denjenigen, die dieses Empfindeneigentlich haben müssten, verloren gegangen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wenn wir Steuerhinterziehung und Steueroasen be-kämpfen wollen, dann dürfen wir beim Steuerdumpingin Europa nicht Vorreiter sein. Davon, dass dies der Fallist, ist aber nie die Rede. Zugespitzt formuliert könnteman sagen: Bei der Vermögensteuer und der Körper-schaftsteuer ist Deutschland in Europa eine Art Steuer-oase. Hinzu kommt, dass wir die anderen europäischenLänder praktisch zwingen, diesen Weg auch zu gehenund die Vermögenden immer weniger zu besteuern. Dasist ein Widerspruch: Wer die Steuerhinterziehung vonPersonen mit hohem Einkommen bzw. großem Vermö-gen bekämpfen will, der darf bei der Vermögensteuernicht an der Spitze der Steuerdumper in Europa stehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Meine Damen und Herren, nun nenne ich Ihnen dieneuesten Zahlen, die jedermann zugänglich sind. DerAnteil der Einnahmen aus der Vermögensteuer am Brut-tosozialprodukt beträgt in Deutschland 0,9 Prozent, inGroßbritannien 4,6 Prozent. Wenn man diese Differenzauf das deutsche Bruttosozialprodukt umrechnet, stelltman fest: Allein aufgrund der laxen Vermögensbesteue-rung entgehen dem deutschen Staat, wie die internatio-nale Statistik zeigt, über 90 Milliarden Euro pro Jahr.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch das muss in dieser Debatte, die immer völlig los-gelöst von Zahlen und Fakten geführt wird, einmal er-wähnt werden.

Jetzt komme ich auf die Körperschaftsteuer zu spre-chen; denn auch dieses Thema ist von Bedeutung. In derTabelle, in der die Körperschaftsteuersätze ausgewiesensind, steht Deutschland fast ganz unten. Etwas geringereKörperschaftsteuersätze gibt es nur in der Schweiz, inBulgarien, Zypern und Irland. In allen anderen Staatenwird eine viel höhere Körperschaftsteuer als in Deutsch-land erhoben. Auf diesem Gebiet haben Sie Steuerdum-ping betrieben. Solange Sie hier nach wie vor an vor-derster Front stehen, sind Sie unglaubwürdig, wenn Sievom Austrocknen der Steueroasen sprechen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Abgesehen von der Politik, die man im Inland be-treibt, gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen, umSteueroasen trockenzulegen. Die erste Methode bestehtdarin, auf internationaler Ebene entsprechende Bemü-hungen anzustoßen. Herr Solms hat recht, dass der Hin-weis auf die OECD-Liste natürlich lächerlich ist, weilmittlerweile alle entsprechenden Länder von dieser Listeverschwunden sind. Wer also unter Verweis auf dieseListe einen Gesetzentwurf einbringt, der macht sich zu-mindest etwas unglaubwürdig.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn es ist wahr, dass alle Länder, um die es geht, in-zwischen von dieser Liste verschwunden sind.

Mit Blick auf diejenigen in der SPD-Fraktion, dienoch zweifeln, möchte ich auf einen Aufsatz des ehema-ligen Bundesfinanzministers Eichel, der heute erschie-nen ist, aufmerksam machen. Herr Eichel stellt darin zuRecht fest: Wer glaubt, dass durch die wenigen verbalenBekundungen, die abgegeben worden sind, schon irgend-etwas gewonnen sei, der irrt gewaltig. Die Methode,nach der derzeit vorgegangen wird, lautet: Man erklärtfreundlich, man wolle sich bemühen. In Wirklichkeitpassiert aber so gut wie gar nichts. – Der ehemalige Bun-desfinanzminister hat recht.

Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommt zudem Ergebnis, dass sich zwar gewisse Anfangserfolgeeinzustellen scheinen; ob sie dauerhaft sein werden,bleibe aber völlig offen. Außerdem schreibt die FAZ,dass die Bundestagswahl wohl der Hauptgrund für denvon Steinbrück veranstalteten Lärm ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Ich möchte es etwas anders formulieren: Lassen Sie Ih-ren kräftigen Worten Taten folgen, Herr Bundesfinanz-minister. Dann haben Sie die Linke auf Ihrer Seite. AnIhren Taten mangelt es leider.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Das wird auch deutlich, wenn man sich ansieht, wieSie Steueroasen bekämpfen wollen. Natürlich kann manmit viel Temperament und vollmundig vortragen, dassman mit der Insel Jersey ein Abkommen getroffen hat.Wenn man dabei aber unterschlägt, dass dieses Abkom-men überhaupt nichts wert ist, weil die Informationen,die erforderlich sind, überhaupt nicht vorliegen, da eskeine Bücher und keine Unterlagen gibt, dann täuschtman die Öffentlichkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wer bei der Bekämpfung der Steueroasen auf diese Artund Weise vorgeht, der ist nicht besonders glaubwürdig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt nocheine andere Methode, wie man gegen Steueroasen vorge-hen kann – wir haben immer wieder gefordert, diesenWeg einzuschlagen –: Man muss sicherstellen, dass imInland, also hier in Deutschland, keine kriminellen Ge-schäfte, wie Herr Eichel sie in seinem Aufsatz bezeich-net, getätigt werden können. Wäre der Bundesfinanzmi-nister auf diesem Gebiet genauso tapfer und mutig, wieer es in verbaler Hinsicht gegenüber der Schweiz und ge-genüber Luxemburg ist, dann würden wir ihn erst rechtunterstützen. Hier fehlt es ihm aber an jeglichem Elan.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Einen einfachen Weg, wie man hier vorgehen kann, hatder ehemalige Bundeskanzler Schmidt vorgezeichnet. Erhat – wir haben das als Antrag eingebracht – schlicht undeinfach gesagt: Wenn jemand krumme Geschäfte, krimi-

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nelle Geschäfte – ich zitiere den ehemaligen Bundes-finanzminister Eichel – in großem Umfang macht, dannist das strafzubewehren. Das ist der sicherste und verläss-lichste Weg. Wer kriminelle Geschäfte mit Steueroasenmacht, muss bestraft werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Sie lehnen das ab und deuten hier nur bescheideneSanktionen an, zum Beispiel eine verschärfte Nachweis-pflicht. Mit der Nachweispflicht sind ja in den vergange-nen Jahrzehnten Erfahrungen gesammelt worden. Jetztheißt es – ich formuliere das einmal so, dass es einiger-maßen verständlich ist –: Wenn ihr der Nachweispflichtnicht nachkommt, könnt ihr bestimmte Dinge nicht mehrabsetzen. Im Grundsatz ist das – ich wiederhole es –durchaus zu begrüßen; aber ob das der entscheidendeSchlag gegen diese Praktiken ist, daran haben wir ernst-hafte Zweifel.

Im Übrigen komme ich nicht daran vorbei, darauf hin-zuweisen, dass, wer solche krummen Geschäfte ernsthaftuntersagen will, auch bei den Hedgefonds glaubwürdighandeln sowie Zweckgesellschaften, mit denen Ge-schäfte außerhalb der Bilanz getätigt werden, und denHandel mit Giftpapieren verbieten müsste. Was nützengroße Ankündigungen, dass man Steueroasen bekämpfenwolle, wenn beispielsweise die mit 18 Milliarden Eurogesponserte Commerzbank weiterhin mit Giftpapierenhandeln, Geschäfte außerhalb der Bilanz tätigen undkrumme Geschäfte mit Hedgefonds und anderem unter-stützen kann?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Entscheidend ist letztendlich, dass die Bestimmungenauch auf der internationalen Ebene eher in die andereRichtung gehen. Ich habe schon bei der Diskussion überden Europavertrag, den sogenannten Lissabon-Ver-trag, mehrfach darauf hingewiesen, dass nach diesemVertrag Beschränkungen des Kapitalverkehrs mit Staa-ten der Europäischen Gemeinschaft, aber auch mit Dritt-staaten untersagt sind. Das ist doch völlig unzeitgemäß.Wie passt diese Passage zu dem Vorhaben, Steueroasenauszutrocknen?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn man Steueroasen austrocknen will, indem manGeschäfte mit Steueroasen verbietet, darf man nicht ei-nem Vertrag zustimmen, der Beschränkungen des Kapi-talverkehrs mit Drittstaaten ausschließt. Das alles ist völ-lig widersprüchlich; doch dazu hören wir kein einzigesWort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse zu-sammen: Steuerhinterziehung zu bekämpfen, ist sicher-lich eine ehrenvolle Absicht. Aber Glaubwürdigkeit ver-mittelt sich nicht über Worte, sondern ausschließlichüber Taten. Man muss die Praxis sehen, wie wo was indiesem Lande sanktioniert wird. Eine Gegenüberstellungdes Falls Zumwinkel und des Falls Emmely zeigt diewirkliche Situation in unserer Gesellschaft: Auf der ei-nen Seite ist ein Steuerhinterzieher, der mit 20 Millionen

Euro Abfindung, wenn man so will, auch noch prämiertwird.

(Joachim Poß [SPD]: Er ist doch nicht prä-miert worden! Da ist ein Vertragsanspruch er-füllt worden!)

– Sie mögen das so sehen, Herr Poß. – Auf der anderenSeite ist eine Frau, die angeblich 1,30 Euro unterschla-gen hat, entlassen worden. Das ist eine Ungerechtigkeit.Wir sehen das so, und die große Mehrheit der Bevölke-rung sieht das ganz genauso.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Das ist die Lage in unserem Lande: Der Steuerhinterzie-her lebt in Schlössern, während einer Frau, die angeblich1,30 Euro unterschlagen hat, die Existenz vernichtetwird.

Hier stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit. Nurwenn Gerechtigkeit in unserem Lande wieder Grundlagedes Handelns wird, kann man Steuerhinterziehungglaubwürdig bekämpfen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Präsident Dr. Norbert Lammert: Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Solms, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Wennman die Konsequenz aus Ihrer Rede zieht, dann heißtdas: Die Ursache der Steuerhinterziehung ist, dass Steu-ern erhoben werden. Mit dieser Logik, lieber HerrSolms, haben Sie sich außerhalb der Seriosität katapul-tiert. Das wäre eher eine Bewerbungsrede als Honorar-konsul in Hessen für das Fürstentum Liechtenstein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so-wie bei Abgeordneten der SPD – Dr. GuidoWesterwelle [FDP]: Sie bringen uns auf Ideen!)

Lieber, Herr Binding, auch Ihnen habe ich aufmerk-sam zugehört. Sie haben gesagt, dass gegen Steuerhin-terziehung etwas geschehen soll. Wir kennen diese An-kündigung schon aus der Debatte um den G-20-GipfelAnfang April. Wir haben allerdings festzustellen, dasssich an der Praxis in Guernsey oder auf den Cayman-In-seln bis heute nichts geändert hat. Das ist das Problem,wenn man den Versuch macht, mit Gordon Brown Steu-eroasen trockenzulegen: Das ist ungefähr so erfolgver-sprechend, als versuchte man, mit Silvio Berlusconi dieMafia zu bekämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD –Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Was hat der ita-lienische Regierungschef mit der Mafia zutun? Das müssen Sie uns mal erklären!)

– Außer Herrn Westerwelle mit seinen großen internatio-nalen Kenntnissen hat das hier jeder verstanden.

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(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der LINKEN sowie bei Abgeordnetender SPD)

Wenn Sie jetzt etwas für die Bekämpfung der Steuer-hinterziehung tun wollen, dann frage ich Sie, Herr Fi-nanzminister, warum es so lange gedauert hat, bis dieserGesetzentwurf den Weg in den Bundestag gefundenhat. Ich habe einige Regierungserfahrung; aber ich habees noch nie erlebt, dass ein Gesetzentwurf so oft auf derTagesordnung stand und wieder abgesetzt worden ist wiedieser. Wie erklären Sie sich das? Wie erklären Sie essich, dass Herr Kauder an vorderster Stelle für die CDU/CSU darangegangen ist, etwas, das angeblich in diesemHause Common Sense ist – nämlich die Bekämpfung derSteuerhinterziehung –, mit Unterstützung der Kanzlerinmehrfach bzw. regelmäßig von der Tagesordnung desKabinetts abzusetzen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei sagen Sie, Herr Oswald, dass Steuerhinterzie-hung kein Kavaliersdelikt ist. Wenn es ein ernstes Pro-blem ist, dann dürfen Sie es nicht in dieser Form desVertagens, Verzögerns und Verwässerns behandeln, wieSie es praktiziert haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und derLINKEN)

Ich verstehe, dass dem Finanzminister angesichts derLangsamkeit irgendwann der Geduldsfaden gerissen ist.Anders kann ich mir die verbalen Entgleisungen andieser Stelle nicht erklären. Dazu zählen Vergleiche wieder mit einem Land, das übrigens nicht auf der grauenListe steht, oder der Vergleich mit der Kavallerie, mit derman die Schweizer wie einst die Indianer erschreckenwollte. Das ist übrigens eine Beleidigung – nicht für dieSchweizer Banken, sondern für die Indianer.

(Peer Steinbrück, Bundesminister: Wieso?)

Die Indianer haben immer versucht, im Einklang mit dennatürlichen Ressourcen zu leben. Mir ist kein Indianer be-kannt, der dadurch richtig groß Geld gemacht hat, dass erallein bei den Schweizer Banken Vermögen aus der Bun-desrepublik Deutschland im Wert von ungefähr 120 Mil-liarden Euro dem Fiskus entzogen hätte. Beides auf eineStufe zu stellen, war in der Tat beleidigend für die India-ner, aber nicht für die Schweizer Banken, Herr Steinbrück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn deren Geschäftsmodell ist in der Tat Hehlerei mitSchwarzgeld. Diese Praxis muss beendet werden.

Deswegen ist es, denke ich, richtig, dass wir einensolchen Gesetzentwurf diskutieren. Dabei stellt sich aberdie Frage, ob dieser Gesetzentwurf geeignet ist, der Pra-xis der legalen Steuerkürzungen der Müllermilchs undBoris Beckers in der Schweiz und der illegalen Steuer-hinterziehung der Zumwinkels und anderer wirklich ei-nen Riegel vorzuschieben. Daran habe ich Zweifel. Ichhabe Zweifel an einer Gesetzeskonstruktion, die vor-sieht, dass Steuervergünstigungen nur dann in Anspruchgenommen werden können, wenn kooperiert wird. Das

ist übrigens nichts Skandalöses. Das erwarten wir vonjedem normalen Lohnsteuerpflichtigen.

(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)

Ich verstehe die Aufregung an dieser Stelle nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Man kann doch nicht auf der einen Seite zu Recht miterhobenem Zeigefinger anmahnen, dass Menschen, dieUnterstützung vom Staat bekommen – etwa Arbeits-losengeld II –, wahrheitsgemäß über ihre Vermögensver-hältnisse Auskunft geben müssen, aber auf der anderenSeite bei solchen Fällen für Intransparenz plädieren. Dasist in der Tat extrem ungerecht und verletzt das Gerech-tigkeitsgefühl vieler Menschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg.Oskar Lafontaine [DIE LINKE])

Wird dieser Gesetzentwurf jemals in die Praxis umge-setzt werden? Sie haben die Anwendung des Gesetzesfür jeden Einzelfall explizit daran gebunden, dass es eineRechtsverordnung gibt. Diese Rechtsverordnung mussmit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden.Das ist eine interessante Konstruktion, wenn man be-denkt, wie einzelne Bundesländer mit der Steuerkon-trolle und Steuereintreibung gerade in diesem Bereichumgehen.

Wir wissen heute, dass in bestimmten Bundesländern,insbesondere südlich der Mainlinie – also dort, wo HerrSeehofer die Verantwortung trägt –, insbesondere beiEinkommensmillionären außerordentlich zurückhaltendmit der Prüfung von Einkommen vorgegangen wird. Wirwissen, dass in diesem Bereich – weil man diesen Perso-nenkreis am Starnberger See halten möchte – schlichtund ergreifend lasch kontrolliert wird. Das ist einer derGründe, warum wir sagen: Wir hätten schon längst einewirkliche Bundessteuerverwaltung schaffen müssen, umaus diesem Mechanismus herauszukommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Lieber Herr Steinbrück und liebe Christdemokraten,das hieße, mit einer Politik gegen SteuerhinterziehungErnst zu machen und Steueroasen im eigenen Land auf-zuheben. Wir könnten das übrigens auch ohne Bundes-steuerverwaltung schaffen. Wir müssten den Länderndann zugestehen, dass ihnen die Ergebnisse der Steuer-fahndungen uneingeschränkt zur Verfügung stehen.Lassen Sie uns hier doch einen föderalen Wettbewerbmachen und tatsächlich dafür sorgen, dass diejenigen,die über große Vermögen und Einkommen verfügen undnicht der Quellenbesteuerung unterliegen wie jede nor-male Arbeitnehmerin und jeder normale Arbeitnehmerund jeder Beamter in diesem Land, vom Fiskus anstän-dig kontrolliert werden!

Letzte Bemerkung.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es reicht auch!)

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Lieber Herr Steinbrück, Sie haben gesagt, Sie wolltendas sehr ernst nehmen und dagegen vorgehen. Ich habeaber gelegentlich den Eindruck: Manchmal spielen Sieauch selber gerne Indianer und sind nicht die Kavallerie.Es gibt inzwischen eine Reihe von Banken in diesemLand, die mit massiven Bürgschaften von Steuergelderndaran gehindert werden, in die Insolvenz oder in Kon-kurs zu gehen. Es gibt inzwischen auch Banken, die teil-verstaatlicht sind, darunter zum Beispiel die Commerz-bank. Sie gehört uns zu 25 Prozent plus einer Aktie. Esist interessant, zu sehen, was die Commerzbank zusam-men mit ihrer leidenden Tochter Dresdner Bank macht.Diese Bank findet es nach wie vor hoch attraktiv, mitStandorten und Tochterunternehmen in der Schweiz, inLuxemburg, auf den Kanalinseln und den Cayman-In-seln aktiv zu sein. Das alles sind Orte, die auf der grauenListe der OECD stehen. Lieber Herr Steinbrück, wo istdenn da Ihre Kavallerie? Habe ich die an dieser Stelleschon einmal gesehen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ist schon einmal ein Beamter des Bundesfinanzministe-riums an dieser Stelle aktiv geworden? Die Commerz-bank gehört Ihnen doch quasi. Stattdessen wird in denProspekten dieser Bank mit „attractive tax laws“ um ver-mögende Privatkunden geworben. Es wird beteuert: „Allbank employees in the Principality of Monaco are re-quired to observe strict banking secrecy.“ In einer teil-weise bundeseigenen Bank werden solche Produkte an-geboten. Lieber Herr Steinbrück, Sie sind bei derCommerzbank gegen unsere Empfehlung nur stiller Ge-sellschafter. Das heißt aber für mich, zurzeit sind Sietrotz aller Lautstärke, die Sie in der Politik an den Taglegen, stiller Gesellschafter an Geschäftsmodellen, diedeutschen Steuerzahlern Milliarden erlassen. Das, lieberHerr Steinbrück, macht Ihren Kampf gegen Steueroasenunglaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich empfehle Ihnen eines: leiser sprechen, strikter undkonsequenter handeln. Dann müssen Sie sich nicht demVorwurf aussetzen, zu langsam, zu laut und zu lax zusein, und das alles zugleich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Bundesfinanzminister Peer

Steinbrück.

(Beifall bei der SPD)

Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Zuerst möchte ich mich bei Herrn Solms bedanken,dass er weite Teile seiner Redezeit dazu genutzt hat, sichmit mir zu befassen. Ich habe mich ein bisschen darübergewundert, wie wenig er sich mit dem eigentlichen Phä-nomen oder Problem der Steuerhinterziehung bzw. desSteuerbetruges befasst hat. Aber ich danke ihm herzlich;

denn er hat sich zum ersten Mal positiv mit den Rotenbefasst. Allerdings hat er dabei die Indianer gemeint.Genauso freue ich mich, dass dieses Bild die Beiträgemeiner Vorredner durchgängig begleitet hat. Insofern istdas ein Bild, mit dem sich viele befassen. Ich gebe gernezu: Das Steuerhinterziehungsphänomen war bei den In-dianern nicht sehr verbreitet. Daher habe ich damit nichtdie schlechteste Gruppe ausgewählt.

Was den Hinweis von Herrn Solms betrifft, dass Steu-erhinterziehung und Steuerbetrug in Deutschland betrie-ben würden, weil die Steuergesetzgebung hier zu scharfund zu komplex sei, so ist dies, wie ich finde, eine Ver-harmlosung des Phänomens.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das erklärt auch nicht, warum Deutschland von anderenLändern maßgeblich unterstützt wird, in denen nach Ih-rer Wahrnehmung das Steuergesetzgebungssystem of-fenbar sehr viel weniger komplex und einfacher ist.

Ich weise auf die Unterstützung hin, die wir innerhalbder OECD von Ländern wie den USA bekommen. Ähn-liches gilt auch für Frankreich: gleiche Phänomene undgleiche Erscheinungsformen. Offenbar ist weltweit dieBesteuerung so hoch, dass deshalb Steuerhinterziehungund Steuerbetrug betrieben werden. Ich glaube, dassman dieses Phänomen nicht damit entschuldigen oderverharmlosen kann, indem man auf die Steuergesetzge-bung in Deutschland verweist. Im Übrigen bewegt sichdie Steuerquote in Deutschland im Durchschnitt derOECD- und der 27 EU-Länder.

Wenn Sie darauf hinweisen, dass die Bundesregie-rung hier tatenlos sei, dann verstehe ich nicht die Aufre-gung und die Reaktion im Ausland auf unsere Aktivitä-ten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist maßgeblich diese Bundesregierung gewesen, dieinnerhalb der OECD, der G 7 und der G 20 tätig gewor-den ist. Es ist maßgeblich dieser Bundesregierung undihren Aktivitäten zu verdanken, dass sich inzwischeneine ganze Reihe von Steueroasen, Jurisdiktionen undauch Nationalstaaten mit uns in Verbindung setzen, dieden Art. 26 des OECD-Musterabkommens anerkennenwollen. Insofern lasse ich mir nicht vorwerfen, dass hierTatenlosigkeit oder Laxheit vorherrscht, wie auch immerHerr Trittin das genannt hat. Wir sind in den letzten Mo-naten mit Blick auf die Bekämpfung von Steuerhinter-ziehung und Steuerbetrug vielmehr deutlich vorange-kommen; das freut mich.

Ich nenne es beim Namen: Steuerhinterziehung underst recht Steuerbetrug sind schlicht und einfach krimi-nell.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])

Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wei-sen aus, dass sich die verlorenen Einnahmen für dieverschiedenen Fisci weltweit in der Größenordnungvon 2 bis 12 Billionen US-Dollar bewegen dürften. Ge-

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Bundesminister Peer Steinbrück

mäß den Schätzungen für Deutschland verlieren die öf-fentlichen Haushalte durch Steuerhinterziehung undSteuerbetrug wahrscheinlich weit über 100 MilliardenEuro. Das ist der Punkt. Darüber reden wir diplomatischnicht mehr hinweg. Vielmehr ist dieses Phänomen beimNamen zu nennen und zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])

Sie haben recht, Herr Trittin: Das gilt auch für die Ak-tivitäten von deutschen Banken, allerdings nicht nurdort, wo der Bund beteiligt ist, etwa bei der Commerz-bank, sondern insbesondere auch bei staatseigenen Ban-ken.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Da kann man doch etwas machen!)

Deshalb bin ich sehr dankbar, wenn die Grünen dort, wosie in der Regierung sind und wo Landesbanken eben-falls betroffen sind, dieselben Aktivitäten wie wir entfal-ten.

(Beifall bei der SPD – Dr. Thea Dückert[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ablen-ken! Was ist mit der Commerzbank?)

Insofern sollte man immer vorsichtig sein, mit einemFinger auf jemanden zu zeigen, wenn drei Finger auf ei-nen selbst zeigen.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sagen Sie etwas zur Commerzbank!)

Warum ist der Verlust von Einnahmen von so großerBedeutung? Erstens. Man könnte mit diesen Einnahmenin der Tat – ich glaube, Herr Oswald hat das gesagt – inDeutschland die Steuersätze senken. Zweitens. Wennwir diese Einnahmen hätten, dann könnten wir inDeutschland Investitionen in die Zukunft tätigen.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

Drittens. Viele Menschen – das ist noch wichtiger – füh-len sich, wenn sie ihre Steuern ehrlich zahlen, als dieDummen. Das berührt in der Tat – das will ich nicht vomTisch wischen – die Steuergerechtigkeit und die Not-wendigkeit, dass der Staat die Anerkennung und Erfül-lung der Steuergesetzgebung in Deutschland herbeiführt.Das ist der Grund, warum dieses Thema sehr hochrangigzu veranschlagen ist.

Mein Eindruck ist auch, dass nicht zuletzt vor demHintergrund der derzeitigen Finanz- und Wirtschafts-krise viele Menschen umso eher erwarten, dass wir Steu-erbetrug und Steuerhinterziehung sehr ernsthaft und ehr-geizig verfolgen. Das spielt in der Wahrnehmung vonGerechtigkeit, Balance und Ausgleich in dieser Situationeine große Rolle. Ohnehin haben schon viele Menschenden Eindruck, dass Verluste sozialisiert werden, nach-dem vorher exorbitante Gewinne privatisiert wordensind, und dass darüber eine Unwucht in unser Wirt-schafts- und Sozialsystem hineingekommen ist.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus habe ich keine Veranlassung, meineBilder zu wiederholen oder meine Erfahrungen aus dem

Anschauen von irgendwelchen Filmen, insbesonderevon Western, zum Besten zu geben. Sehr nüchtern ge-sprochen: Wir wollen nicht verharmlosend darüber hin-weggehen, dass es Jurisdiktionen, Steueroasen und Na-tionalstaaten gibt, die nicht nur billigend in Kaufnehmen, sondern vorsätzlich dazu einladen, dass deut-sche Steuerzahler ihr Geld mit der klaren Absicht dorthintransferieren, Steuerhinterziehung und Steuerbetrugzu betreiben. Das darf man diesen Ländern auch sagen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Welche?)

– Ich behaupte, dass das im Fall der Schweiz ganz klarder Fall ist. Gleiches gilt für Liechtenstein.

(Frank Schäffler [FDP]: Unglaublich!)

– Selbstverständlich ist es das.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Luxemburg auch?)

– Luxemburg ist zusammen mit Österreich dabei, das zutun, was wir für richtig erachten: Diese Entwicklung ha-ben wir mit ausgelöst, indem wir diese Länder gebetenhaben – dem werden sie entsprechen –, dass sie auf derBasis des Art. 26 des OECD-Musterabkommens mit unsverhandeln. Mit Luxemburg und Österreich führen wirbereits solche Gespräche. Damit haben wir den Informa-tionsaustausch, den wir herbeiführen wollen; und in die-sen Fällen ist das Problem beseitigt. Im Fall der Schweizwarte ich darauf, dass wir über Sondierungen hinaus, diewir bereits durchgeführt haben, konkrete Verhandlungenaufnehmen. Ich werde den Standpunkt einnehmen, dassdiese nicht jahrelang dauern dürfen, sondern dass sie re-lativ schnell zum Abschluss gebracht werden müssen,und zwar auf der Basis des Musterabkommens derOECD, und ich hoffe, dass der Informationsaustauschdann erfolgt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen beobachte ich sehr genau, wie andereStaaten, insbesondere die USA, damit umgehen, HerrWesterwelle. Mit einer gewissen Bewunderung stelle ichfest, wie weit die Amerikaner in der Schweiz vorange-kommen sind, um die Informationen über US-Steuerbür-ger zu bekommen, die sie benötigen, um Steuerhinterzie-hung zu bekämpfen. Ich denke insbesondere an einekonkrete Bank. Ich wäre sehr dankbar, wenn auch Siepersönlich bei Ihren Besuchen in der Schweiz mich darinunterstützen würden, dass wir diesen Fortschritt bei derSchweiz erreichen.

(Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]:Genau! Bei den regelmäßigen Besuchen undVorträgen! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]:Dem Wunsch kann ich leider nicht entspre-chen, Herr Minister!)

Ich denke dabei gerade auch an Ihre Vorträge, wo immerin der Schweiz diese stattfinden. Es wäre gut, wenn Siesich weniger in Bezug auf meine Person mit Stilfragenaufhalten würden – über die kann ich gerne reden –, wirsollten vielmehr zur Substanz dieses Themas kommen,

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Bundesminister Peer Steinbrück

und die Substanz heißt: Steuerhinterziehung und Steuer-betrug.

(Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]:Darüber redet Herr Westerwelle nicht in derSchweiz!)

Mit Blick auf das, was in London und auf OECD-Ebene verabredet worden ist, bedanke ich mich aus-drücklich bei meinem französischen Kollegen ÉricWoerth, der verantwortlich dafür ist, dass wir im Herbstletzten Jahres eine folgenreiche Konferenz zusammenmit der OECD in Paris haben veranstalten können. Ichwerde eine Nachfolgekonferenz im Juni in Deutschlandeinberufen. Selbstverständlich werden die Länder einge-laden, die OECD-Mitglieder sind. Bei der Pariser Veran-staltung sind leider einige von diesen nicht gekommen,aber sie waren herzlich eingeladen. Sie hätten sich gernean dem Prozess beteiligen können. Es ist ihre souveräneEntscheidung, das nicht getan zu haben. Ich bitte aberdarum, sich nicht hinterher zu beklagen, dass keine ein-ladende Offerte ihnen gegenüber gemacht worden sei.

Ich strebe, wie ich unterstreichen möchte, die maß-gebliche Unterstützung aus anderen Ländern an, insbe-sondere aus den USA. Ich freue mich über die inzwi-schen ergriffene Initiative der EU-Kommission, auch dieEU-Zinsrichtlinie zu erweitern, und zwar materiell wieauch geografisch. Das soll dahin gehend erfolgen, dasswir uns nicht nur auf die Zinseinkünfte beziehen, son-dern auf Kapitaleinkünfte jedweder Art, angefangen beiVeräußerungsgewinnen über Dividenden bis hin zu denZinsen. Weiterhin sollen nicht nur persönliche Stiftun-gen, sondern auch juristische Stiftungen ins Visier ge-nommen werden. Mit der EU-Zinsrichtlinie soll allenEU-Mitgliedstaaten zur Auflage gemacht werden, dasssie bei den Verhandlungen über Doppelbesteuerungsab-kommen mit Drittstaaten, will sagen: mit außereuropäi-schen Staaten, den Art. 26 des OECD-Musterabkom-mens zugrunde legen. Ich wäre sehr dankbar, wenn dieseBemühungen der EU-Kommission auch vom Europäi-schen Parlament, namentlich von der EVP, unterstütztwürden; denn das ist wichtig, um zu Steuerehrlichkeit inDeutschland beizutragen.

(Beifall bei der SPD)

Insofern kann ich den Vorwurf des Attentismus, derindirekt von Herrn Trittin, massiv von Herrn Lafontaine– das gehört offenbar zu seinem Auftritt – kam, keines-wegs nachvollziehen. Ich weise den Vorwurf mit Blickauf die Anstrengungen der Bundesregierung, die in denvergangenen Monaten gemacht worden sind, zurück.Richtig ist, dass wir uns nicht nur auf internationalerEbene einsetzen können; wir müssen uns vielmehr auchauf nationaler Ebene einsetzen. Das ist der Grund desvorliegenden Gesetzentwurfes, von dem jeder steuerehr-liche Bürger in Deutschland nichts zu befürchten hat,rein gar nichts.

(Joachim Poß [SPD]: Genau so ist es!)

Insofern sind der Vorwurf des gläsernen Steuerbürgersund diese ganzen Horrorgemälde völlig unangebracht.Sie haben mit den Fakten nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es geht vielmehr darum, dass diejenigen, die Ge-schäftsbeziehungen zu einem Staat haben, der denOECD-Standards nicht entspricht, besondere Mitwir-kungs- und Informationspflichten haben. Wenn je-mand diesen Mitwirkungs- und Informationspflichtenentspricht, hat er nichts zu befürchten. Wenn er diesenbesonderen und erhöhten Nachweis- und Mitwirkungs-pflichten allerdings nicht entspricht, dann gibt es Sank-tionsmechanismen, auf die ich im Einzelnen nicht ein-gehe. Insofern glaube ich, dass dieses abgestufteVerfahren völlig richtig ist. Es gilt: Je mehr ein andererStaat kooperiert und für die Besteuerung notwendigeAuskünfte erteilt, umso weniger Nachweise muss derbetroffene Geschäftspartner hier in Deutschland erbrin-gen.

Im Übrigen sage ich mit Blick auf diejenigen, die unsaußerhalb Deutschlands zuhören: Das betrifft aus-schließlich deutsche Staatsbürger, deutsche Steuerbür-ger, nicht etwa die Bürger in anderen Ländern, dieselbstverständlich einer anderen souveränen Sphäre zu-zuordnen sind.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist schon einmal eine unglaubliche Erleichterung!)

Besteht mit dem jeweiligen Staat bzw. Gebiet ein Ab-kommen, das die Übermittlung der Auskünfte nach demStandard der OECD gewährleistet, oder ist sonstige Aus-kunftsübermittlung sichergestellt, entstehen keine beson-deren Mitwirkungs- und Informationspflichten für dieBürgerinnen und Bürger in Deutschland. Dies halte ichfür richtig und notwendig.

Ich will abschließend darauf hinweisen, dass dieseOECD-Liste in dieser Debatte etwas unvollkommen, je-denfalls nicht vollständig dargestellt worden ist. Sie be-steht aus drei Kategorien. In der einen Kategorie sindNationalstaaten aufgeführt, die darüber teilweise sehrverwundert, aufgeregt oder erbost sind. Insofern kannich Ihre Bewertung über die Wirkungskraft dieser Listenicht nachvollziehen, Herr Trittin.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das war Herr Solms! Herr Trittin ist da drüben!)

– Ja. Nehmen wir es mit Humor, Herr Westerwelle. Derist Ihnen doch auch zu eigen.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bei Ihnenmuss man aufpassen! Nicht dass Sie die Ka-vallerie schicken!)

– Sie müssen es wieder bemühen. Keine Frage, mankann es auch anders ausdrücken, aber wir wollen hiernicht alles so gestanzt von uns geben.

Ich war stehen geblieben bei der Bemerkung, dassdiese Liste aus drei Kategorien besteht. Ich gestehe denKritikern außerhalb Deutschlands gern zu, dass dieseListe nicht widerspruchsfrei und an manchen Stellennicht vollzählig ist. Andere Gebiete hätten auch mit auf-geführt werden müssen. Aber mir war wichtig, dassdiese Liste eine Wirkungskraft entfaltet, und das tut sie.Das sage ich übrigens auch mit Blick auf die von jeman-

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dem – ich glaube, von Herrn Trittin – zitierten Jurisdik-tionen im Bereich des Vereinigten Königreiches in Be-zug auf die Inseln Jersey und Guernsey. Eine dieserInseln hat bereits den OECD-Standard akzeptiert, anderesind dazu bereit, haben sich dementsprechend erklärt.

Bei diesem Thema geht es um alles andere als einRäuber-und-Gendarm-Spiel der Politik. Ich glaube, es istdie unbedingte Pflicht der Politik, gegen diejenigen vor-zugehen, die in Deutschland Steuern hinterziehen; dennSteuerhinterziehung – da stimme ich dem zu, was HerrOswald gesagt hat – ist kein Kavaliersdelikt. Jeder inDeutschland hat die Pflicht, Steuern zu zahlen, auch undgerade diejenigen, die am ehesten in der Lage sind, Ka-pital in andere Länder zu transferieren. Das ist erkennbarnicht der Metallarbeiter in der untersten Tariflohn-gruppe, das ist erkennbar nicht die alleinerziehende Ver-käufern, die mit 1 000 Euro netto oder weniger nachHause kommt, sondern die Forderung richtet sich in derTat an andere Bevölkerungs- und Einkommensschich-ten. Auch dies darf beim Namen genannt werden, ohnedass daraus immer wieder eine Neiddebatte geborenwird.

(Beifall bei der SPD)

Gerade diesen Einkommensschichten, sehr stark ver-treten auch in den Funktionseliten unserer Gesellschaft,verlange ich gerade in dieser Zeit eine besondere Vor-bildfunktion ab. Je stärker sie glauben, dass Steuerhin-terziehung und Steuerbetrug Kavaliersdelikte sind, destostärker tragen sie in dieser Krise dazu bei, dass dasbewährte Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaftin seinen Legitimationsgrundlagen hinterfragt wird. Essind nicht diejenigen, die dieses System verändern wol-len, sondern es sind die Protagonisten selber, die durchSteuerhinterziehung und Steuerbetrug, durch Korruptionund andere Erscheinungsformen wie Maßlosigkeit, Ex-zesse, Übertreibungen dieses Wirtschafts- und Sozial-modell infrage stellen.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Frank Schäffler für

die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Frank Schäffler (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Finanzminister, es geht nicht darum, dass wirnicht gegen Steuerbetrug sind. Es geht hier um den Stil,den Sie an den Tag legen. Der eigentliche Skandal ist,dass die Bundeskanzlerin daneben sitzt und nichts dazusagt und dass der Außenminister, also Ihr Kanzlerkandi-dat, ebenfalls schweigt,

(Thomas Oppermann [SPD]: Der Außenminis-ter hat alles Notwendige gesagt!)

während Sie gleichzeitig einen Flurschaden in Europaund international anrichten. Das ist der Skandal.

(Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: So ein Quatsch!)

Auf die Länder, die Sie genannt haben, wirkt es beleidi-gend, wenn Sie sie mit den ärmsten Ländern dieser Weltauf eine Stufe stellen. Das ist in diesen Ländern mitRecht kritisiert worden. Nachdem Sie das afrikanischeLand Burkina Faso als Beispiel genannt hatten, habe ichgestern im Finanzausschuss nachgefragt, ob Ouagadougoutatsächlich auch zu dieser Konferenz eingeladen wird.Da hat Ihnen Ihre eigene Staatssekretärin widerspro-chen: Ouagadougou bekommt keine Einladung zu IhrerKonferenz. Man ist sich also innerhalb Ihres eigenen Mi-nisteriums nicht einig, wen man zu dieser Konferenzeinladen will. Das zeigt die Zerrissenheit in Ihrem eige-nen Ministerium.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Man darf nicht immer nur herausposaunen, sondern manmuss am Ende auch zu dem stehen, was man öffentlichgesagt hat.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Herr Präsi-dent, die Fischstäbchen sind zu laut!)

Herr Minister, Sie messen mit zweierlei Maß. Sie tunso, als wenn Sie als Minister und Ihre Regierung sauberund ehrlich gegenüber dem Steuerbürger in Deutschlandwären. Das Gegenteil ist der Fall – das will ich Ihnenganz deutlich sagen –: In dieser Legislaturperiode hatdiese Bundesregierung allein 51 Nichtanwendungs-erlasse veröffentlicht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Höchstrichterliche Urteile zur betrieblichen Altersvor-sorge, zu Dienstwagen etc. wurden nicht in Rechtskraftumgesetzt. Diese Urteile sind also nicht auf die Allge-meinheit angewandt, sondern nur im Einzelfall berück-sichtigt worden. Herr Minister, Sie haben die Finanz-behörden angewiesen, den Menschen nicht zu gewähren,was ihnen zusteht. Das ist ein Skandal, der an dieserStelle ebenfalls diskutiert werden muss.

(Beifall bei der FDP)

Sie können nicht immer nur auf andere zeigen, sondernmüssen auch in Ihrem eigenen Haus aufräumen und Ver-trauen unter den Steuerbürgern schaffen. Das Miss-trauen, das Sie – mit Recht – beklagen, haben Sie teil-weise selbst erzeugt.

Der Bundesrat hat Ihnen ins Stammbuch geschrie-ben, dass Sie mit diesem Gesetz über das Ziel hinaus-schießen. Davon betroffen sind nämlich nicht nur dieje-nigen, die Sie erreichen wollen; vielmehr greifen Sieganz massiv in die Angelegenheiten von Unternehmenund Bürgern ein, die mit den genannten Ländern ganznormale Geschäfte betreiben. Ich will aus der Empfeh-lung der Ausschüsse des Bundesrates zitieren:

Die erhöhten Mitwirkungspflichten treffen auchden steuerehrlichen Unternehmer, der Geschäftsbe-ziehungen zu einem Staat unterhält, der der deut-schen Steuerverwaltung keine Auskünfte in Steuer-sachen erteilt.

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Frank Schäffler

Sie sehen, selbst die Landesregierungen sind skep-tisch, was das von Ihnen avisierte Maß angeht.

Meine große Sorge ist, dass Sie an dieser Stelle dasKind auch insofern mit dem Bade ausschütten, als Sieeine Politik des Protektionismus befördern. Ähnlichesmachen Sie schon bei den Staatsfonds, indem Sie poten-zielle ausländische Investoren dadurch abschrecken,dass Sie deren Investitionen von der Zustimmung der je-weiligen Regierung abhängig machen. Hinzu kommt,dass Sie durch dieses Gesetz auch die inländischen Un-ternehmen abschrecken, weil Sie sie dazu zwingen, hier,in unserem Land, Geschäfte zu betreiben.

Meine Erkenntnis ist: Sie haben aus der Weltwirt-schaftskrise der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhun-derts nichts gelernt. Diese Weltwirtschaftskrise wurdenämlich durch Abschottung, durch Steuererhöhungenund durch Protektionismus unnötig verlängert.

Hören Sie endlich auf, eine Symbolpolitik zu betrei-ben, die letztendlich auf den Wahlkampf im Inland aus-gerichtet ist! Dadurch hinterlassen Sie außenpolitisch ei-nen Scherbenhaufen. Die Kanzlerin muss Einhaltgebieten, wenn es der Finanzminister selbst nicht merkt.Es ist Zeit, dass sowohl die Kanzlerin als auch der Außen-minister, der ja Ihr Kanzlerkandidat ist, den politischenAmoklauf des Finanzministers stoppen.

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Na, na,na! Sie haben doch gerade über Stil gespro-chen, oder?)

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Eine etwas missglückte Rede!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Manfred Kolbe ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Manfred Kolbe (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Steuerehrlichkeit und Bekämpfung der Steuer-hinterziehung stehen seit der spektakulären Verhaftungdes Exvorstandsvorsitzenden der Post, Klaus Zumwinkel,im Mittelpunkt des öffentliches Interesses, und – dassage ich ganz deutlich – das ist auch gut so.

Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Steuer-hinterziehung muss von uns energisch bekämpft werden.Deshalb verabschieden wir heute den Antrag der Koali-tionsfraktionen mit dem Titel „Steuerhinterziehung be-kämpfen“. Wir bringen zudem den Koalitionsentwurf ei-nes Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes ein.

Ich sage aber auch deutlich an beide Seiten des Hau-ses: Wie bei jeglicher Kriminalitätsbekämpfung bestehtdie Bekämpfung auch hier aus Prävention und Repres-sion. Das eine geht nicht ohne das andere. Das gilt fürDrogendelikte genauso wie für Steuerhinterziehung.

Deshalb müssen wir durch unsere Steuergesetzge-bung präventiv die Steuerehrlichkeit fördern. Wir haben

das zum Teil auch schon getan. Wir haben eine interna-tional wettbewerbsfähige Abgeltungsteuer und eineSteuerentlastung für thesaurierte Gewinne eingeführt.Dies gilt es fortzusetzen. Ein einfaches und verständli-ches Steuerrecht sowie international wettbewerbsfähigeSteuersätze sind notwendige Bestandteile eines Kon-zepts zur Vermeidung der Steuerflucht.

Nun ist aber keiner von uns so naiv, zu glauben, dassHerr Zumwinkel deshalb nach Liechtenstein gegangenist, weil ihm das deutsche Steuerrecht zu kompliziertwar.

(Beifall bei der SPD)

Das sagt auch niemand. Es gibt leider auch Bürgerinnenund Bürger, die bewusst Steuern hinterziehen und dieLasten der Gemeinschaft nicht mittragen wollen. Daskönnen wir nicht tolerieren. Deshalb muss das Risiko,dass Steuerdelikte aufgedeckt und geahndet werden, er-höht werden. Der ehrliche Steuerzahler darf nicht derDumme sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Herr Bundesminister, bei allen gesetzgeberischenNotwendigkeiten: Die Steuerfahndung in Deutschlandwar grundsätzlich erfolgreich. Wir haben Jahr für Jahr40 000 Verfahren, 17 000 Strafverfahren und Mehrein-nahmen in Milliardenhöhe.

Steuerhinterziehung kann auch hart bestraft werden,nämlich mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren. Ichglaube nicht, dass wir diesen Strafrahmen erhöhen müs-sen. Das Problem liegt vielleicht eher in der Ausschöp-fung dieses Strafrahmens durch die Gerichte. Der Bun-desgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil vom 2. De-zember 2008 klargestellt, dass bei einer Steuerhinter-ziehung die Höhe des Hinterziehungsbetrags ein ganzentscheidendes Strafzumessungskriterium ist. Das heißtklipp und klar: Diejenigen, die Steuern in Millionenhöhehinterziehen, wandern künftig tatsächlich ins Gefängnis,und das ist auch gut so.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir waren bei der Gesetzgebung aktiv. Diese GroßeKoalition war erfolgreicher als ihre rot-grüne Vorgänge-rin, was die gesetzgeberische Bekämpfung der Steuer-hinterziehung betrifft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben den verunglückten § 370 a der Abgabenord-nung abgeschafft, der nicht rechtsstaatlich fassbar war,und haben die Qualifizierungen rechtsstaatsfest neu ge-regelt. Wir haben die Verjährungsfrist für besondersschwere Fälle der Steuerhinterziehung von fünf auf zehnJahre verlängert. Wir haben erstmals die Möglichkeit derTelekommunikationsüberwachung bei Steuerhinterzie-hung geschaffen: Bei der bandenmäßigen Umsatz- undVerbrauchsteuerhinterziehung ist künftig eine Telekom-munikationsüberwachung möglich. Diese Bundesregie-rung war also aktiv, und sie wird das auch in Zukunftsein.

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Manfred Kolbe

Wir haben gemeinsam den Antrag „Steuerhinterzie-hung bekämpfen“ eingebracht, der eine Vielzahl vonMaßnahmen enthält. Ich greife einmal die wichtigstenheraus. Wir wollen eine Überarbeitung und umfassendeErweiterung der Europäischen Richtlinie zur Zinsbe-steuerung. Diese Richtlinie muss für alle Kapitalein-künfte gelten, und sie muss alle Personen erfassen. Wirbrauchen einen verbesserten Informationsaustausch aufinternationaler Ebene. Wir können nur international er-folgreich sein.

Herr Bundesminister Steinbrück, deshalb frage ichSie auch: Waren Äußerungen, wie ich sie vor zwei Tagengelesen habe, in denen Luxemburg, Liechtenstein, dieSchweiz, Österreich sowie Ouagadougou sozusagen aufeine Stufe gestellt wurden, wirklich nötig? Der alteCicero hat einmal gesagt: Suaviter in modo, fortiter in re.Das heißt: Moderat im Ton, hart in der Sache. Ichglaube, das ist der richtige Weg, um bei der Bekämpfungder Steuerhinterziehung mehr Erfolge zu erzielen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Trittin, als stellvertretender Vorsitzender derdeutsch-italienischen Parlamentariergruppe muss ichIhre Äußerung von vorhin aufgreifen. Ich habe das soverstanden: Mit XY die Steuerhinterziehung zu bekämp-fen ist genauso vergeblich, wie mit Berlusconi die Ma-fia zu bekämpfen. Vielleicht können Sie sich dazu nocheinmal erklären. Ich halte diese Äußerung für äußerstproblematisch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Ich kann Ihnen da ein italienisches Buch ge-ben! Das hat gerade einen Preis gewonnen!)

– Wir werden uns darüber noch unterhalten. Ich bin aufIhre Erklärung sehr gespannt.

In unserem Antrag geht es neben internationalen Maß-nahmen aber auch um Maßnahmen auf nationaler Ebene.Wir wollen eine wohl bestehende gesetzgeberische Lü-cke bei den Hinterziehungszinsen schließen. Bisherwird der Hinterzieher mit einem Strafzins von 6 Prozentbestraft. Derjenige, der brav seine Steuererklärung ab-gibt, dann aber vergisst, pünktlich zu bezahlen – seineÜberweisung geht zwei Tage später heraus –, zahlt 1 Pro-zent Zinsen pro Monat, also 12 Prozent per annum. Diesist unserer Ansicht nach ein Wertungswiderspruch. Auchdies werden wir prüfen und gegebenenfalls ändern.

Lassen Sie mich abschließend zum Steuerhinterzie-hungsbekämpfungsgesetz kommen. Dieser Gesetzentwurfsoll die Steuerhinterziehung durch Nutzung von Staaten,die nicht die OECD-Auskunftsstandards akzeptieren, er-schweren bzw. verhindern. Insbesondere will es dieInformationsdefizite der Finanzverwaltung bei der Auf-klärung grenzüberschreitender Besteuerungssachver-halte beseitigen. Hierzu sieht es zweierlei vor: erstensverbesserte Möglichkeiten der Finanzverwaltung zurAufklärung grenzüberschreitender Sachverhalte durcherweiterte Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten, undzweitens die Eröffnung der Sanktionsmöglichkeit durchRechtsverordnung, nicht kooperativen Steuerpflichtigenden Betriebsausgabenabzug, die Entlastung von Kapital-

ertrag- oder Kapitalabzugsteuer oder eine Steuerbefrei-ung für Dividenden zu versagen.

Auch hierzu ist klar zu sagen: Die Union weiß, dassmaßgebliche Teile der Steuerhinterziehung im interna-tionalen Bereich stattfinden. Wir müssen deshalb hieraktiv werden. Beachtliche Erfolge, Herr BundesministerSteinbrück, sind auf dem letzten G-20-Gipfel und da-rüber hinaus erzielt worden.

Wir sagen aber auch ganz klar: Die Bekämpfung derinternationalen Steuerhinterziehung darf nicht auf demRücken derer ausgetragen werden, die im grenzüber-schreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr tä-tig sind. Dies muss in den kommenden Beratungen nochin der einen oder anderen Hinsicht verifiziert werden.Hier gilt das Struck’sche Gesetz: Der Deutsche Bundes-tag entscheidet souverän.

Zu diesem Gesetzentwurf mache ich deshalb nochdrei Anmerkungen: Zunächst war dessen Einbringung indie politische Diskussion ungewöhnlich. Im Herbst ha-ben wir über viele Wochen den gemeinsamen Antrag„Steuerhinterziehung bekämpfen“ beraten; er stand kurzvor der Verabschiedung. Völlig überraschend und unab-gestimmt kam dann über Weihnachten der Referenten-entwurf aus dem Bundesfinanzministerium. Dies kannman so machen; aber man setzt sich dann dem Verdachtaus, dass es einem eher um die Publicity als um Inhaltegeht. Uns geht es um die Inhalte.

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Er hat uns in der Sache unterstützt!)

Zweitens zäumt der Gesetzentwurf das Pferd von hin-ten auf. Er geht den indirekten Weg über die Ausübungvon Druck auf den Steuerpflichtigen. Das, was man aufpolitischem Wege mit nicht auskunftswilligen Staatennoch nicht erreicht hat, versucht man auf dem Wege überDruck auf die Steuerpflichtigen zu reparieren, die mitdiesen Staaten Handel und Dienstleistungsaustauschtreiben. Dies ist nicht der Königsweg.

Drittens halten wir es für nicht ganz unproblematisch,vom Einkommensteuergesetz gewährte Abzüge – Wer-bungskosten, Betriebskosten – durch Rechtsverordnungeinzuschränken. Auch dies werden wir uns in der Anhö-rung genau anschauen müssen.

Trotzdem werden wir diesen Weg mitgehen und prü-fen, was möglich ist. Die internationale Steuerhinterzie-hung muss genauso energisch bekämpft werden wie dieSteuerhinterziehung auf nationaler Ebene. Deshalb wer-den wir diesen Gesetzentwurf beraten und sicherlichauch noch verbessern.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Lydia Westrich,

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

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Lydia Westrich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir

ist in dieser Debatte wichtig, deutlich zu machen, dassDeutschland ein Land mit einer relativ hohen Steuermo-ral ist. Ich bin Finanzbeamtin und habe sehr viele Bür-gerinnen und Bürger im Laufe meines Berufslebens be-gleitet,

(Jörg van Essen [FDP]: Es soll ja auch Finanz-beamtinnen geben, die keine hohe Steuermoralhaben!)

die zwar nicht gerade freudig, aber doch pflichtbewusstihre Steuern gezahlt haben.

Die meisten unserer Bürgerinnen und Bürger erbrin-gen – das müssen wir konstatieren – steuerehrlich ent-sprechend ihrer Leistungsfähigkeit ihren Beitrag zumGemeinwohl. Steuermoral und Steuerehrlichkeit habeneinen hohen Stellenwert in unserem Land, das sich alsSozialstaat versteht und für alle Bürgerinnen und Bürgereinen guten Weg in die Zukunft gestalten will. Das heißt,wir brauchen einen starken Staat.

(Beifall bei der SPD)

Umso sensibler müssen wir Politiker mit der PflanzeSteuerehrlichkeit und Steuermoral umgehen. Es gibt beiuns natürlich auch die anderen; über die haben wir schongesprochen. Wenn unsere ehrlichen Steuerzahler in stär-kerem Maße davon ausgehen müssen, dass diese ande-ren, eventuell ihre Nachbarn, ihre Chefs, die Eliten unse-res Landes, relativ problemlos Steuern hinterziehenkönnen, ohne dass sie nennenswert bestraft bzw. ohnedass sie überhaupt erwischt werden, dann können wirPolitiker zusehen, wie die Steuermoral in diesem Landrapide sinkt. Das können wir uns einfach nicht erlauben.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU])

Deshalb sind für mich zwei Dinge in dieser Debatteäußerst wichtig. Der erste Punkt ist: Alle Fraktionen ha-ben sich in Anträgen dem Ziel verschrieben, Steuerhin-terziehung zu bekämpfen. Das ist auch verbal gesche-hen; selbst Herr Schäffler hat es hier noch einmaldeutlich gemacht.

(Joachim Poß [SPD]: Ja, unerwartet!)

Das ist ein klares Signal an die Bürgerinnen und Bürger,dass wir Steuerhinterziehung als Diebstahl an uns allenansehen. Dabei geht es nicht um eine Stilfrage, HerrSchäffler, sondern um mehr. Wir alle verurteilen Men-schen, die alles nutzen, was der Staat an Infrastruktur zurVerfügung stellt, aber nicht daran denken, sich an der Fi-nanzierung dieser Infrastruktur zu beteiligen, ob dasStraßen, Schulen oder Krankenhäuser sind, ob das dieinnere oder äußere Sicherheit oder unser Rechtssystembetrifft. Dass all das zur Verfügung steht, ist selbstver-ständlich, und deswegen müssen es auch alle mitbezah-len.

Wir stellen in den vorliegenden Anträgen, die HerrKolbe zum Teil beschrieben hat, parteiübergreifendÜberlegungen an, wie wir dem Diebstahl am Allgemein-gut begegnen können. Jede Fraktion tut das nach ihrer

ureigenen Art. Die Wege sind verschieden; wir habenuns hier im Plenum über das eine oder andere schon sehrheftig gestritten. Aber wichtig ist, dass wir ein gemeinsa-mes klares Ziel haben. Die Koalitionsfraktionen habensich in einem sehr intensiven Prozess auf einen wirklichguten Antrag geeinigt. Das war teilweise ein bisschenmühsam; Herr Binding kann dazu etwas erzählen.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Spricht der noch einmal?)

Nun hoffe ich, dass aus diesem Antrag, den Herr Kolbehier vorgestellt hat, tatsächlich Gesetzesinitiativen er-wachsen. Denn nur dann ist ein solcher Antrag, der müh-sam erarbeitet worden ist, wirklich glaubhaft.

Der zweite für mich wichtige Punkt ist, dass die Re-gierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der sehrselbstbewusst, wie ich finde, die internationale Solida-rität einfordert und der Steuerverwaltung endlich einscharfes Schwert in die Hand gibt, wie es die DeutscheSteuer-Gewerkschaft schon lange fordert. Die Koali-tionsfraktionen haben sich diesen Gesetzentwurf zu ei-gen gemacht. Er darf im anstehenden parlamentarischenBeratungsprozess nicht verwässert werden. Was ich hiergehört habe, macht mir ein bisschen Sorgen.

Die Liechtenstein-Affäre hat in unserer Bevölkerungeinen tiefen Eindruck hinterlassen. Wenn Sie mit denMenschen reden, zeigt sich immer wieder Unverständnisdarüber, dass die Politik nicht in der Lage ist, dieser kri-minellen Praktiken Herr zu werden. Steuerbetrug istDiebstahl an uns allen. So sehen es die meisten unsererBürgerinnen und Bürger, die sich aufgrund ihrer Ehrlich-keit unfair behandelt fühlen. Gerade sie erwarten vonuns Politikerinnen und Politikern, dass wir das Anrechtauf eine gerechte Besteuerung für alle durchsetzen undkeine Schlupflöcher lassen, auch nicht, wenn sie in be-freundete Staaten führen.

Ich als Sozialdemokratin kann es nicht akzeptieren,wenn Länder ihre Wirtschaftskraft dahin gehend entwi-ckeln, Bürger anderer Staaten beim Steuerbetrug zu un-terstützen und zu beschützen. Hehlerei nennt es derDeutsche Gewerkschaftsbund. Von Oskar Lafontaine ha-ben wir Ähnliches gehört. Das ist starker Tobak. Aber esist konsequent, wenn Steuerhinterziehung als Diebstahlam Gemeinwohl betrachtet wird, wie das von allen be-stätigt worden ist. Deshalb muss der Gesetzentwurf derKoalition in die parlamentarischen Beratungen als star-kes Schwert der Steuerverwaltung einfließen und dieseauch wieder als starkes Schwert verlassen. Wir dürfendiesen Gesetzentwurf nicht verwässern lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben in den letzten Jahren viele Kontrollmög-lichkeiten zur Verhinderung und Bekämpfung von Steu-erkriminalität in Gang gesetzt. Die Sozialdemokraten,Herr Kolbe, haben sich immer an die Spitze dieser Be-wegung gestellt. Von uns gingen die meisten Initiativenaus. Jede einzelne Maßnahme, Herr Schäffler, die wirder Finanzverwaltung und der Steuerfahndung an dieHand gegeben haben, mussten wir gegen den teilweisesehr erbitterten Widerstand von Fraktionen, aber auch

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Lydia Westrich

von Interessenverbänden durchsetzen. Aber wir haben esmithilfe unseres Partners, der CDU/CSU-Fraktion, ge-tan. Dies war der Mühe wert.

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Auch mit Duldung!)

Wir werden nicht lockerlassen. Zuerst muss die dem Staatzustehende Steuerbasis gesichert werden, bevor manneue Einkommensquellen erschließt oder neue Schulden-berge aufhäuft. Das sind wir auch den Kindern schuldig.

Steuerkriminalität hat ganz gravierende Auswirkun-gen auf die Volkswirtschaft. Sie führt häufig zu Wettbe-werbsverzerrungen und vernichtet damit reguläre Ar-beitsplätze. In der Wirtschaftskrise können wir es unsüberhaupt nicht erlauben, keine Maßnahmen zu ergrei-fen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das können und wol-len wir nicht hinnehmen. Ihren Antrag zur Umstellungder Umsatzsteuer von der Soll- auf die Istbesteuerung,der zwar ein Tor zum Steuermissbrauch schließt, abergleichzeitig ein Scheunentor zum Missbrauch öffnet,können wir leider nicht annehmen.

(Beifall bei der SPD)

Denn Sie wollen natürlich nicht, dass die Istbesteuerungvon einem bürokratischen Monstrum wie dem Cross-Check-Verfahren begleitet wird, sondern wollen dies derBeliebigkeit anheimfallen lassen. Das ist der falscheWeg. Deswegen werden wir Ihren Antrag, so gut er auchgemeint ist, ablehnen müssen.

Wir sehen den Föderalismus in Deutschland sehr po-sitiv. Deswegen können wir dem Antrag der Linken zurBildung einer Bundessteuerverwaltung ebenfalls nichtzustimmen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen undich würden eine Bundessteuerverwaltung gerne sehen.Ich respektiere aber die Ablehnung der Länder, die ihreVerwaltungshoheit behalten wollen und gut mit uns zu-sammenarbeiten.

Deshalb ist der Antrag der CDU/CSU und der SPDder praktikabelste. Wenn wir das alles in Zukunft durch-setzen könnten, was wir in diesem Antrag formuliert ha-ben, dann wären wir im Kampf für Steuergerechtigkeitein gutes Stück weitergekommen. Ich appelliere an dieKolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, dass sie die-sen Kampf mit uns fortführen. Die sozialdemokratischeFraktion ist da der beste Partner.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und der LINKEN – Jörg vanEssen [FDP]: Das ist offensichtlich nicht dieMeinung der CDU/CSU-Fraktion!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Otto Bernhardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Verlauf dieser Debatte hat gezeigt, dass alle

Fraktionen des Deutschen Bundestages der Meinungsind, dass Steuerhinterziehung eine kriminelle Handlungist und mit allen Mitteln bekämpft werden muss. DieGroße Koalition hat in dieser Richtung manches getan;die Kollegen haben darauf hingewiesen. Zum Beispielwurde die Verjährung von Steuerhinterziehung auf zehnJahre verdoppelt und bei besonders schwierigen Fällensogar die Telefonüberwachung zugelassen, was einewirklich sehr harte Maßnahme ist.

Der Bundesgerichtshof hat als Maßstab formuliert,dass ab einer Steuerhinterziehung von 50 000 Euro ent-sprechende Freiheitsstrafen zu erteilen sind – in der Re-gel ab 1 Million Euro sogar nicht mehr zur Bewährung.Das zeigt, wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun,das für die Gemeinschaft natürlich schädlich ist. Ichstimme allen Rednern zu, die gesagt haben: Jeder, derseine Steuer nicht ordnungsgemäß zahlt, belastet damitdie anderen Steuerzahler.

Zugleich muss man natürlich auch sehen – das giltauch bei diesem Thema –, dass die Wege, um ein Ziel zuerreichen, unterschiedlich sein können. Ich sage auchdas mit aller Deutlichkeit.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)

Der Tatbestand, dass zwar schon im Januar ein Refe-rentenentwurf vorgelegt wurde, aber erst heute die ersteLesung stattfindet, ist darauf zurückzuführen, dass wirden Ansatz des Referentenentwurfes für nicht richtighielten. Ich glaube, es ist nicht der richtige Ansatz, wennman zunächst einmal alle Bürger, die mit Ländern, diebestimmte Standards nicht erfüllen, in einen wirtschaftli-chen Kontakt treten, unter einen Generalverdacht stellt.Das kann nicht unsere Lösung sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Die Union geht von dem ehrlichen Steuerzahler aus. Zueinem Generalverdacht sagen wir Nein.

Mit dem Weg, der jetzt gefunden worden ist, könnenwir leben. Es wird nämlich gesagt: Für Länder, die denOECD-Standard nicht einhalten, können Verordnungen,die bestimmte Auflagen enthalten, erlassen werden.Diese Auflagen können die Betroffenen etwa durch dieGewährung von Informationsrechten erfüllen, sodassentsprechende Strafmaßnahmen nicht durchgeführt wer-den.

Ich vermisse einen Ansatz, den die Vereinigten Staa-ten verfolgen und den ich für viel wichtiger halte. Viel-leicht lebt er im Rahmen der parlamentarischen Beratun-gen noch auf. Man sollte sich die Kreditinstitute einbisschen mehr als andere Unternehmen anschauen. Ichsage nur: Der Tatbestand, dass fast alle großen Kredit-institute in Deutschland und, um auch das deutlich zu sa-gen, alle Landesbanken in diesen Steueroasen Töchterhaben, sollte uns zumindest nachdenklich stimmen; dennirgendwann müssen dem ja Politiker zugestimmt haben.In den Verwaltungsräten sitzen ja Politiker aller Fraktio-nen. Ich halte fest: Der Ansatzpunkt Kreditinstitutescheint mir ein sehr wichtiger zu sein.

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Otto Bernhardt

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-wie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg][SPD])

Es gibt allerdings einen Dissens, der einer der Gründedafür ist, dass das Thema so schwer zu behandeln ist.Zunächst einmal bin ich froh, dass dieser Gesetzentwurferst nach dem G-20-Gipfel in London diskutiert wird;denn dort hat sich einiges verändert. In London hat mansich darauf geeinigt, dass für alle Länder dieser Welt derOECD-Standard Maßstab sein soll. Das heißt ganzschlicht: Wenn ein Land konkrete Anhaltspunkte dafürhat, dass einer seiner Bürger über ein entsprechendesLand Steuern hinterzieht, dann muss die Steuerverwal-tung dieses Landes behilflich sein.

(Zuruf von der SPD: Früher war das nicht so?)

Die meisten Länder in der Welt tun das – völlig klar –,einige wenige aber nicht. Mein Eindruck ist nun, HerrMinister, dass Sie gerne weitergehen wollten und IhrHaus nicht in den gleichen Bahnen wie die anderen euro-päischen Länder denkt. Ich glaube, Sie hätten am liebs-ten weltweit ein solches Kontoabfrageverfahren, wie wires in Deutschland haben.

In Deutschland gibt es ja nur noch ein sehr begrenztesBankgeheimnis. Schweden kennt gar keines mehr. Wirmüssen aber berücksichtigen, dass es Länder gibt, diehinsichtlich des Bankgeheimnisses eine andere Erwar-tung haben. In Österreich hat es nun einmal Verfassungs-charakter, und auch in der Schweiz hat es eine besondereBedeutung. Das heißt, wir werden es nicht erreichen,dass die Schweiz anhand einer Liste der deutschenStaatsbürger nachschauen wird, wer dort ein Konto hat.Das bekommen wir nicht hin. Wer das Ziel erreichenwill, der ist auf dem Holzweg. Wir haben nur eineChance über den OECD-Standard.

Sie von der FDP haben natürlich recht: All die Betrof-fenen haben inzwischen erklärt, dass sie das tun. Einigehaben mir erklärt, sie würden das sogar sehr schnell tun,aber die Verhandlungen mit dem Ministerium über Dop-pelbesteuerungsabkommen – es stehen dafür ja nur we-nige Mitarbeiter zur Verfügung – würden relativ langedauern. Das kann ich verstehen. Die Verhandlungen lau-fen.

(Jörg van Essen [FDP]: Ach Gott, nein!)

Die Frage, ob wir das Gesetz nachher überhaupt nochbrauchen, ist jetzt also offen. Ich argumentiere hier aberähnlich wie beim Enteignungsgesetz: Wir werden dasEnteignungsgesetz Gott sei Dank wohl nicht anwendenmüssen, weil wir die notwendige Mehrheit bei der HypoReal Estate wahrscheinlich auch ohne eine Enteignungerreichen.

(Jörg van Essen [FDP]: Dass man das über-haupt gemacht hat!)

Aber ohne das Gesetz wären wir vielleicht nicht so weitgekommen. Deshalb müssen wir auch hier weiterma-chen, damit die Ankündigung der Länder, sie würdenden OECD-Standard beachten, dann auch wirklich Rea-lität wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ob das Gesetz angewendet werden muss, ist also frag-lich; dennoch brauchen wir dieses Gesetz.

Herr Minister, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze,aber die Art und Weise, wie Sie sich öffentlich zu eini-gen unserer Freunde äußern, macht mir zu schaffen undist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die Artder Länder geht auch nicht!)

Ich habe mich vor kurzem in einem Interview mit demSchweizer Fernsehen für das Verhalten „meines Minis-ters“ – so habe ich das gesagt – entschuldigt. Das kam inder Schweizer Tagesschau. Ich habe unwahrscheinlichviele Briefe bekommen, in denen stand: Endlich einmal!Die Äußerungen des Ministers stellen nämlich eineenorme Belastung dar. Sie werden sehen: Insbesonderefür die Bürger in Bayern und Baden-Württemberg, diesehr enge Beziehungen zu Österreich, zur Schweizund zu Liechtenstein haben,

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Manch-mal zu eng!)

ist das eine unerträgliche Belastung.

(Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Sehr rich-tig!)

Ich finde, diesen Weg darf man nicht gehen.

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Wir werdendas Gesetz verabschieden, aber es ist nicht hilfreich,wenn Sie, Herr Steinbrück, jetzt schon wieder in Zeitun-gen und nicht in internen Gesprächen sagen, dass Sie,sobald das Gesetz verabschiedet ist, die Verordnung inGang setzen werden. Das können Sie gar nicht, Herr Mi-nister.

(Thomas Oppermann [SPD]: Dafür machen wir das Gesetz!)

Wir müssen diesen Ländern ein paar Monate Zeit geben,um sich anzupassen.

(Lydia Westrich [SPD]: Das hat er doch ge-sagt! – Thomas Oppermann [SPD]: Da istKlartext doch genau das Richtige!)

Gott sei Dank haben wir den Bundesrat, und diese Ver-ordnungen bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.Ich sage sehr deutlich: Es macht doch keinen Sinn, Staa-ten, mit denen wir seit Jahrhunderten freundschaftlichzusammenarbeiten, mit solchen Drohungen zu kom-men.

(Lydia Westrich [SPD]: Wo ist denn dieFreundschaft zu uns? – Thomas Oppermann[SPD]: Klartext sprechen!)

In diesem Sommer werden sehr viele Deutsche Ur-laub in Österreich und der Schweiz machen. Sie sollendort weiterhin freundlich aufgenommen werden.

(Gabriele Frechen [SPD]: Otto, lass die Kirche im Dorf!)

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Voraussetzung dafür ist, dass wir mit diesen Ländernweiterhin anständig und diplomatisch umgehen. Darauflegen wir größten Wert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Frank Schäffler [FDP]: Sehr richtig! GuteRede, Otto!)

Abschließend sage ich für meine Fraktion in allerDeutlichkeit: Wir werden weiterhin alles tun,

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Um den Geldtourismus aufrechtzuer-halten!)

um den ehrlichen Steuerzahler vor dem Steuerhinterzie-her zu schützen, aber wir werden uns nicht dazu hinrei-ßen lassen, andere Länder und deren Bürger zu beleidi-gen, und wir werden auch nicht zulassen, dass andereLänder unter Druck gesetzt werden.

Ich habe den Eindruck, dass wir international auf ei-nem vernünftigen Weg sind. Wir werden in diesem Zu-sammenhang unseren Beitrag leisten. Aber bitte keineDrohungen gegenüber befreundeten Staaten und keinGeneralverdacht gegen unsere Bürger!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf der Drucksache 16/12852 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibtes dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-ausschusses auf der Drucksache 16/12826.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung die Annahme des Antrags derFraktionen von CDU/CSU und SPD auf derDrucksache 16/11389 mit dem Titel „Steuerhinterzie-hung bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Dann ist diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheitder Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Oppo-sitionsfraktionen angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags derFraktion der FDP auf Drucksache 16/11734 mit dem Ti-tel „Steuervollzug effektiver machen“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mitMehrheit angenommen.

Weiter empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe cseiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragsder Fraktion der FDP auf der Drucksache 16/9836 mitdem Titel „Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll-auf die Istbesteuerung“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-

hält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mitbreiter Mehrheit angenommen.

Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp-fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags derFraktion Die Linke auf Drucksache 16/9479 mit dem Ti-tel „Bundesverantwortung für den Steuervollzug wahr-nehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-schlussempfehlung ist angenommen.

Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unterBuchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnungdes Antrages der Fraktion Die Linke auf der Druck-sache 16/9166 mit dem Titel „Steuermissbrauch wirk-sam bekämpfen – Vorhandene Steuerquellen erschlie-ßen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-schlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe f der Beschlussempfehlung wird dieAblehnung des Antrages der Fraktion Die Linke aufDrucksache 16/9168 mit dem Titel „Steuerhinterziehungbekämpfen – Steueroasen austrocknen“ empfohlen.Auch über diese Beschlussempfehlung lasse ich abstim-men. Wer ist dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlichangenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unterBuchstabe g der genannten Beschlussempfehlung dieAblehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 16/9421 mit dem Titel „KeineHintertür für Steuerhinterzieher“. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehr-heit angenommen.

Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abge-schlossen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 16 aund 16 b:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Beschleunigung des Ausbaus der Höchst-spannungsnetze

– Drucksache 16/10491 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus-schuss)

– Drucksache 16/12898 –

Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Josef Fell

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie (9. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-KurtHill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE

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Präsident Dr. Norbert Lammert

Stromübertragungsleitungen bedarfsgerechtausbauen – Bürgerinnen- und Bürgerbeteili-gung sowie Energiewende umfassend be-rücksichtigen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-JosefFell, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stromnetze zukunftsfähig ausbauen

– zu dem Entwurf einer Entschließung in derBeschlussempfehlung des Ausschusses fürUmwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitzu dem Gesetzentwurf der Bundesregierungzur Neuregelung des Rechts der Erneuerba-ren Energien im Strombereich und zur Än-derung damit zusammenhängender Vor-schriften

– Drucksachen 16/10842, 16/10590, 16/8148,16/8393, 16/9477 Ziffer II, 16/12898 –

Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Josef Fell

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen einÄnderungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Ent-schließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst fürdie Bundesregierung das Wort dem ParlamentarischenStaatssekretär Hartmut Schauerte.

Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Wirtschaft und Technologie:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Gestern haben wir in erster Lesung über dasCCS-Gesetz beraten. Heute beraten wir über ein Ener-gieleitungsausbaugesetz, das den Ausbau der Hochspan-nungsnetze beschleunigen soll. Das zeigt: In Zeiten derFinanz- und Wirtschaftskrise gibt es keinen Stillstand inder Energiepolitik. Im Gegenteil: Wir handeln und tunalles für eine sichere, nachhaltige und bezahlbare Strom-versorgung.

Insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssi-cherheit sind der Ausbau und die Modernisierung derNetze wichtige Themen. Die Zukunft wird sehr wahr-scheinlich zeigen, dass der Energiemix bei der Stromer-zeugung eine noch größere Rolle spielen wird als heute.Auch deswegen haben wir allen Anlass, rechtzeitig zuhandeln. Wir brauchen moderne und leistungsfähigeNetze. In diesem Bereich stehen wir vor besonderenNotwendigkeiten.

Im Norden Deutschlands entstehen große, leistungs-fähige Windparks; gerade die Offshore-Windenergiewird massiv ausgebaut. Viel neuer Strom wird im Nor-den hergestellt, der bisher nicht zentraler Standort fürEnergiegewinnung war. Nordrhein-Westfalen wird hier– wenn ich das so sagen darf – ein Stück weit abgelöst.

Die Verbrauche finden aber im Süden und in der Mittedes Landes statt. Sie können sich vorstellen, dass wirdeswegen neue Übertragungskapazitäten brauchen.Daneben nimmt EU-weit der grenzüberschreitendeStromhandel zu. Auch hierauf müssen wir unsere Netzeausrichten.

Was bedeutet das für Deutschland? Wir müssen dasbestehende Netz optimieren; das ist eine Daueraufgabe.In einigen Bereichen brauchen wir einen Ausbau desNetzes. Die ehrliche Botschaft an die Menschen ist: Werdie Klimaschutzziele erreichen will, muss auch für denNetzausbau sorgen. Damit auch das klar ist: Die Kosten,die hier entstehen, sind nicht normale Kosten eineswachsenden Strommarkts, die aufgrund steigendenStromverbrauchs über den normalen Kilowattstunden-preis finanziert werden könnten – es findet also keinemessbare Erhöhung statt –, sondern sind Zusatzkosten,die im Prinzip über das bestehende Mengengeschäft fi-nanziert werden müssen. Deswegen ist große Sorgfaltdarauf zu lenken, dass dieser Ausbau kostengünstig er-folgt; denn er führt – das muss man immer im Auge ha-ben – zu einer Verteuerung des Stroms für alle Endab-nehmer.

Allein für die Integration des Stroms aus Windenergiein die Netze brauchen wir nach den Berechnungen derDeutschen Energie-Agentur 850 Kilometer neue Leitun-gen, und zwar bis zum Jahr 2015. Darüber hinaus hat dieEuropäische Union in ihren Leitlinien den transeuropäi-schen Energienetzen einen erheblichen und dringendenAusbaubedarf attestiert.

Unser Gesetzentwurf sieht nun vor, für 24 dringlicheVorhaben die energiewirtschaftliche Notwendigkeit imSinne der Planfeststellung und -genehmigung durch Ge-setz festzustellen. Das ist der entscheidende Punkt. Fürdie durch Gesetz festgestellten Notwendigkeiten wollenwir ein verkürztes Verfahren. Das können wir verant-worten; denn wir haben die Notwendigkeit dieser Maß-nahmen in gesetzlicher Beratung vorweggenommen.Das erleichtert die Durchführung und Durchsetzung.

Das Ob dieser dringlichen Maßnahmen ist damit ge-klärt. Die Behörden werden hiermit entlastet und könnensich auf das Wie konzentrieren, also auf die Fragen derkonkreten Trassenführung, der angewandten Methodikund der Ausbauqualität. So wird dies seit langem imRahmen des Fernstraßenausbaugesetzes und des Bun-desschienenwegeausbaugesetzes praktiziert. Diese Vor-gehensweise ist angesichts der Eilbedürftigkeit geboten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ferner gilt für die 24 Vorhaben eine Rechtswegver-kürzung auf eine Instanz, nämlich das Bundesverwal-tungsgericht. Ich weiß, dass wir mit einer Rechtswegver-kürzung behutsam umgehen müssen. Aber wir halten sieangesichts der Dringlichkeit der Vorhaben für geboten.

Wir sind uns der Belastungen bewusst, die sich ausdem Bau neuer Hochspannungsleitungen für die Betrof-fenen vor Ort ergeben können. Deswegen experimentie-ren wir beim Netzausbau zum Beispiel mit der immerwieder geforderten Ausbauvariante Erdkabel. Das istsicherlich konfliktfreier, aber ganz eindeutig viel teurer.

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Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte

Damit bin ich wieder bei der Preisrelevanz, die wir beidiesen Ausbaumaßnahmen sorgfältig im Auge habenmüssen.

Wir ermöglichen im Rahmen von vier Pilotprojek-ten den Einsatz von Erdkabeln. Das geschieht auf der380-kV-Ebene. Diese vier Musterpilotprojekte, auf diewir uns verständigt haben, kosten immerhin über1 Milliarde Euro mehr, als wenn normale Hochspan-nungstechnik verwendet würde. Die Kosten sind einwichtiger Grund, warum wir bei den Erdkabeln eine Pi-lotphase vorschalten. Diese haben nämlich erheblicheRelevanz für den Strompreis in Deutschland. Wir sinduns aber auch der Wirtschaftslage bewusst. Ich darf nuran die NE-Metallindustrie erinnern. Hier stehen vieleBetriebe kurz vor der Schließung, wenn wir nicht be-stimmte Maßnahmen einleiten. Das ist also eine hochre-levante Fragestellung. Deswegen wollen wir die Erdka-bel in Pilotmodellen ausprobieren.

Es gibt daneben eine große Anzahl von technischenProblemen, die noch nicht erkannt und gelöst sind. Dadie Stromnetze im Grunde der Kreislauf der deutschenVolkswirtschaft sind, hätte eine fahrlässige Operationund Veränderung in diesem Kreislaufsystem existen-zielle Auswirkungen auf den Standort Deutschland. Des-wegen brauchen wir eine vorsichtige Herangehensweise.

Wir wollen darüber hinaus regeln, dass neue Leitun-gen auf der 110-kV-Ebene unter bestimmten Vorausset-zungen als Erdkabel errichtet werden können. Das warinsbesondere ein Anliegen der SPD. Wir haben uns aller-dings auch hier unter Kostengesichtspunkten darauf ver-ständigt, dass das nur dann gemacht wird, wenn dieseArt der Leitungsverlegung nicht mehr als das 1,6-Fache,also bis zu 60 Prozent, der normalen Struktur kostet.

Wir müssen uns in der Politik ein bisschen zurückhal-ten. Wir neigen ja dazu, Maßnahmen, die am Ende nichtüber Steuern, sondern durch Preiserhöhungen, alsodurch die Bürger, bezahlt werden, etwas großzügiger zubehandeln als steuerfinanzierte Maßnahmen.

(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Leider!Leider! – Jörg van Essen [FDP]: Guter Punkt!Wichtiger Hinweis!)

Deswegen ist hier allergrößte Vorsicht geboten. DieDeckelung der Mehrkosten ist absolut notwendig. Wirverlieren die Wirtschaftlichkeit in der Stromversorgungnicht aus dem Auge.

Wir wollen moderne Netze, die den Strom aus erneu-erbaren Energiequellen und aus neuen hocheffizientenkonventionellen Kraftwerken abtransportieren können.Wir müssen sie zudem fit für den EU-weiten Stromhan-del machen. Hierzu ist keine Staatsbeteiligung an denNetzen nötig – ich komme zum Schluss meiner Rede –,so willkommen auch eine einheitliche Netzgesellschaftfür die Übertragungsnetze wäre. Wir setzen auf vertrag-liche Gestaltung und auf unternehmerische Lösung, abernicht auf Staatsbeteiligung.

Wir haben bereits durch das Energiewirtschaftsgesetzund durch Anreizmaßnahmen für entsprechende Regu-lierung gesorgt. Dies ist die Alternative. Wer Staatsnetze

hat, braucht keine intelligente Regulierung; denn erkönnte es selbst regulieren. Wer in diesem Zusammen-hang auf private Netze setzt, braucht eine intelligenteund wirkungsvolle Regulierung.

Der nun vorliegende Gesetzentwurf fügt einen weite-ren Baustein in dieses Gesamtpaket ein. Er beschleunigtdie Investitionen in die Netze, was dringend nötig ist.

Zum Schluss: Immerhin rechnen wir damit, dass mitdiesem Maßnahmenpaket Investitionen in Höhe vonetwa 30 Milliarden Euro in einem überschaubaren Zeit-raum auf den Weg gebracht werden. Das ist in Zeiten derFinanz- und Wirtschaftskrise sicherlich eine gute Bot-schaft an alle, die in diesen Unternehmungen in Brot undArbeit sind oder in diesem Bereich Geschäfte machenund Umsatz erzielen wollen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-

Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Gudrun Kopp (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-

men! Lieber Herr Schauerte, Sie haben richtig darge-stellt, wie wichtig es gerade in Zeiten der Finanz- undWirtschaftskrise ist, all jene privaten Investitionen zu tä-tigen, die, ohne einen einzigen Cent Steuergelder auszu-geben, allein dadurch möglich sind, dass die Politik dienotwendigen Rahmenbedingungen, auch die notwendi-gen rechtlichen Rahmenbedingungen, schafft. Darumging es in der gestrigen Debatte über die CO2-Abschei-dung bei der Kohleverstromung, und darum geht esheute bei der Diskussion über das Gesetz zur Beschleu-nigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze. Eigent-lich hätte dieses Ziel auch mit der Umsetzung des Ener-gieeffizienzgesetzes verfolgt werden sollen. In diesemFall konnten sich die beiden beteiligten Häuser, das Bun-desumweltministerium und das Bundeswirtschaftsminis-terium, aber wieder einmal nicht einigen. Das ist bedau-erlich.

(Beifall bei der FDP)

Immerhin liegt jetzt, ein Jahr nach dem entsprechen-den Kabinettsbeschluss, endlich der Entwurf eines Geset-zes zum Ausbau der Höchstspannungsnetze vor. DiesesGesetz ist auch notwendig. Im Grunde genommen han-delt es sich dabei um ein Strukturpaket – nicht um einKonjunkturpaket, sondern um ein Strukturpaket –, mit demdie notwendigen milliardenschweren Investitionen indie Netze ermöglicht werden. Herr Schauerte hat bereitsdarauf hingewiesen, dass es in den nächsten Jahren um ei-nen Betrag in der Größenordnung von 10 Milliar-den Euro geht. Insgesamt werden mittelfristig Investitio-nen in einem Umfang von 30 Milliarden Euro getätigt;auch das ist notwendig.

Wir stellen ja fest, dass die Energie- bzw. Strompro-duktion mittlerweile verstärkt im Norden Deutschlands

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Gudrun Kopp

stattfindet, während zugleich im Süden des Landes im-mer mehr Kernkraftwerke abgeschaltet werden.

(Klaus Barthel [SPD]: Wo denn?)

Auch diese Entwicklung impliziert, dass neue Leitungengebaut werden müssen. Hier besteht unserer Meinungnach ein Ungleichgewicht. So möchte ich das Augen-merk darauf richten, dass der Netzausbau auch deswegenerforderlich ist, da die Bundesregierung in der Vergan-genheit eine unausgewogene Energiepolitik betriebenhat und – das tut sie leider nach wie vor – selektiv vorge-gangen ist.

(Beifall bei der FDP)

Darüber hinaus muss man bedenken, dass die Verfah-ren zur Genehmigung von Fernstromleitungen derzeitacht bis zwölf Jahre dauern; das ist nicht akzeptabel.

(Jörg van Essen [FDP]: So ist es!)

Auch auf diesem Gebiet müssen wir vorankommen.Ebenso sind größere Kapazitäten bei den Grenzkuppel-stellen erforderlich. Wir müssen sie weiter ausbauen unddabei auch die Entwicklungen auf europäischer Ebeneberücksichtigen.

Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb, dasswir beim Ausbau der Energienetze vorankommen. Dabeihandelt es sich quasi um eine Operation am Rückgrat un-serer Wirtschaft; denn wo keine Energie fließt, kannnicht gewirtschaftet werden. Insofern ist dieses Themasehr wichtig.

(Beifall bei der FDP)

Wie hoch die Mehrkosten sind, die durch die im vor-liegenden Gesetzentwurf aufgeführten vier Pilotpro-jekte zur Erdverkabelung entstehen, wurde bereits er-wähnt. Sie betragen circa 1 Milliarde Euro. Wir sindgespannt, was diese Pilotprojekte bringen. In der Tat istes so: Wir wollen keinen Automatismus. Wir wollennicht, dass künftig alle Leitungen, selbst die Mittel- undNiederspannungsleitungen, in der Erde verbuddelt wer-den, weil wir auch die Kosten im Blick haben. Wir müs-sen jedoch zur Kenntnis nehmen, dass für den Neubauoberirdischer Stromleitungen nicht genug Akzeptanzvorhanden ist. Um in diesem Bereich Erfahrungen ma-chen zu können, ist es erforderlich, die vier aufgeführtenPilotprojekte durchzuführen. Deswegen sagen wir zuden geplanten Erdverkabelungen Ja. Zu gegebener Zeitwerden wir Bilanz ziehen und entscheiden, ob sie sichbewährt haben oder nicht.

Schließlich gibt es nach wie vor große technischeund ökologische Probleme. Noch ist nicht alles hun-dertprozentig ausgereift.

(Ernst Burgbacher [FDP]: Richtig!)

Man muss bedenken, dass für unterirdische Stromleitun-gen ab einem Steigungsgrad des Geländes von 20 Pro-zent massive Betonpisten gebaut werden müssen, die dieGrundwasserproblematik berücksichtigen usw. Ich willjetzt nicht alles erwähnen, aber festhalten, dass wir dieseErprobung mitbestimmen möchten. Deshalb werden wirdem Gesetzentwurf zustimmen.

Wir hätten uns allerdings gewünscht, dass die Bun-desregierung angesichts des Ausbaubedarfs, den wir ha-ben, nicht nur für den Bau neuer Stromleitungen, son-dern auch – auch das ist wichtig – für die Ertüchtigungund den Ausbau von wichtigen bestehenden Stromlei-tungen ein verkürztes Verfahren ermöglicht hätte.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Als Beispiel für die Mehrkosten nenne ich die TrasseLauchstädt–Redwitz an der Rodach als Teil der Trassevon Halle (Saale) nach Schweinfurt. Diese Trasse würdein konventionellem Freileitungsbau rund 220 MillionenEuro kosten. Bei kompletter Erdverkabelung betrügendie Kosten circa 1 Milliarde Euro. Das nur, um einmaldie Relationen darzustellen. Wir Liberale wollen Bürger-akzeptanz gewinnen und die Bürger beteiligen. Wir wol-len die Rechte der Bürger nicht willkürlich beschneiden.Aber wir sehen auch die Notwendigkeit, kostengünstig,also wirtschaftlich vorzugehen. Gleichzeitig müssen wirdafür sorgen, dass es hier keinen Investitionsstau gibt.Deshalb warnen wir an dieser Stelle vor enormen Kos-ten. Die Bundesnetzagentur ist ja seit zwei Jahren dabei,die Netzkosten nach unten zu regulieren. Wir aber tref-fen jetzt politische Entscheidungen, die hier wieder ei-nen Kostenaufwuchs nach sich ziehen werden. Das istnicht unproblematisch. Dennoch werden wir dem dies-mal zustimmen.

Herr Schauerte, Sie haben gesagt, dass Sie sich auchbei Mittelspannungsleitungen eine häufigere Erdverka-belung vorstellen könnten. Wir prüfen das und behaltendas im Auge. Aber ich sage Ihnen: Wenn die Bundesnetz-agentur jetzt gezwungen wird, 60 Prozent der entstehen-den Mehrkosten auf die Netzentgelte umzulegen, wirddas die Kosten enorm in die Höhe treiben. Ob die Bürgerdas akzeptieren werden, ist fraglich. Ich gebe nur nocheinmal zu bedenken: Die Netzkosten machen ein Dritteldes Strompreises aus. Das ist keine Petitesse, sondernsehr wohl relevant.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme zum Schluss: Wir sind gegen jegliche Ver-staatlichung, wie sie in den Anträgen der Linken gefor-dert wird. Wir möchten vorankommen mit Investitionen.Wir wollen Deutschland strukturell nach vorne bringen.Deshalb sehen wir das Gesetz zur Beschleunigung desAusbaus der Höchstspannungsnetze positiv und werdenihm zustimmen – in der Hoffnung, dass die Kostensitua-tion und die Versorgungssicherheit weiterhin auf der Ta-gesordnung bleiben. Wir werden jedenfalls sehr genaudarauf achten, dass es hier nicht zu einer Kostenexplo-sion kommt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Rolf Hempelmann ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

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Rolf Hempelmann (SPD): Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir sind uns of-

fenbar einig, dass Investitionen in den Ausbau unsererStromnetze dringend nötig sind. Die Tatsache, dass dieFDP dem Gesetzentwurf zustimmen wird, macht dasnoch einmal deutlich. Offenbar wird damit auch aner-kannt, dass wir mit diesem Gesetz einen Beitrag leistenzu mehr Versorgungssicherheit, zu einer umwelt- undklimaverträglicheren Energieversorgung, zu mehr Wett-bewerb und letztlich, durch die technischen Innovatio-nen, die geplant sind, auch zu einer Erneuerung unsererEnergieinfrastruktur. Insofern ist es in der Tat gut – dasist auch der Koalition zu verdanken –, dass dieses Gesetznoch vor Ende der Legislaturperiode fertiggestellt wurdeund nun hier und heute zur Verabschiedung ansteht.

Das erste Stichwort war ein Beitrag zu einer klima-und umweltfreundlichen Energieversorgung. Ich erin-nere daran: Eine der Grundlagen für das Energielei-tungsausbaugesetz war die Einigung auf sehr ehrgeizigeAusbauziele im Bereich der erneuerbaren Energien. Mitder EEG-Novelle haben wir attraktive Rahmenbedin-gungen insbesondere für den Ausbau der Windkraft ge-schaffen. Dieser Ausbau wird vorrangig an küstennahenStandorten in Nord- und Ostdeutschland sowie offshorevor der Küste erfolgen.

Die Energieverbrauchszentren – das ist angesprochenworden – liegen eher im Süden und im Westen. Des-wegen brauchen wir die zusätzlichen Kapazitäten auf derHöchstspannungsebene, um den Stromtransport von denErzeugungs- zu den Verbrauchsstandorten zu gewähr-leisten. Das derzeitige Netz, das in den vergangenen Jahr-zehnten im Wesentlichen von verbrauchsnaher Strom-erzeugung geprägt war, ist darauf nicht vorbereitet. Dieshat die dena-Netzstudie bestätigt, die 2005 einen erhebli-chen Ausbaubedarf des Höchstspannungsnetzes zurAbleitung des Windstroms ermittelt hat.

Bis 2015 müssen für die Integration des Anteils er-neuerbarer Energien an der Stromversorgung von20 Prozent in das Verbundnetz 850 Kilometer Höchst-spannungsleitungen neu gebaut und weitere 400 Kilo-meter verstärkt werden. Wir müssen aufpassen, dass die-ser ambitionierte Zeitplan realisierbar bleibt. Deswegenhaben wir darauf zu achten, dass der Ausbau der Netzezügig erfolgt.

Es gibt viele weitere Gründe, warum der Ausbau derNetze notwendig ist. Wir haben es mit einem überalter-ten Kraftwerkspark zu tun, und zwar nicht nur verbun-den mit der anstehenden Schließung von Kernkraftwer-ken, sondern auch mit der notwendigen Erneuerung desfossilen Kraftwerkparks. Auch hier gilt, dass die neuenKraftwerke nicht unbedingt immer an den alten Stand-orten gebaut werden. Insofern ist klar, dass diese Investi-tion in die Netze nicht nur für die Netze selbst, sondernfür die gesamte Wertschöpfungskette notwendig ist.

Eine weitere Aufgabe des Stromnetzes ist es – das hateine zunehmende Bedeutung –, die Bereitstellung vonKapazitäten für den europaweiten Stromhandel undStromtransport sicherzustellen. Damit komme ich, wieSie merken, zu dem zweiten Ziel: mehr Wettbewerb. Ge-rade um den Wettbewerb innerhalb Europas zu beflü-

geln, brauchen wir den Netzausbau bzw. den Ausbauvon Kuppelkapazitäten, Interkonnektoren und Höchst-spannungsleitungen, um den Stromtransit zu ermögli-chen.

Wir haben dazu auf der EU-Ebene prioritäre Trassen– die transeuropäischen Energienetze – identifiziert, undwir haben in der dena-Netzstudie prioritäre Strecken be-stimmt. Diese werden jetzt in einem Bedarfsplan zu-sammengefasst.

Wir haben dabei nicht nur die in den Bedarfsplan auf-genommenen prioritären Projekte definiert, sondernauch – das ist bereits angesprochen worden – denRechtsweg auf eine Instanz, das Bundesverwaltungsge-richt, verkürzt. Außerdem haben wir ein Planfeststel-lungsverfahren für Offshore-Anbindungsleitungen undfür Seekabel vorgesehen.

Ich glaube, dass das zusammen mit der Verkürzungder Überprüfungsfrist hinsichtlich des Bedarfsplans aufdrei Jahre dazu beitragen wird, dass wir auch auf diekommenden Entwicklungen rechtzeitig reagieren kön-nen. Die dena-Netzstudie II kündigt sich bereits an. Wirwerden in der Zukunft wahrscheinlich noch vor weiterenHerausforderungen stehen. Das ist noch deutlicher, alses in der ersten Studie zum Ausdruck gekommen ist.

Wir gehen davon aus, dass die Beschleunigungswir-kung, die wir durch den Gesetzentwurf beabsichtigen,eintreten wird. Wir glauben, dass dabei ein erster Schritthin zur Erdverkabelung auf der 380-kV-Ebene hilf-reich sein kann. Das Stichwort Akzeptanz ist in diesemZusammenhang genannt worden. Ich glaube, dass wiruns durchaus auch darin einig sind, dass es sehr auf dieAkzeptanz der Bürgerinnen und Bürger gegenüber sol-chen Leitungsprojekten ankommt.

(Beifall bei der SPD)

Ich gebe aber auch denen recht, die in dem Zusam-menhang das Kostenargument anführen. Natürlich hatdie Akzeptanz zwei Seiten. Der Bürger akzeptiert das,was nach seiner Auffassung ökologisch, aber auch op-tisch vernünftig ist. Er akzeptiert aber auch das, was sei-nen Geldbeutel nicht überstrapaziert. Es ist unsere Auf-gabe, hier eine entsprechende Abwägung vorzunehmen.Das war einer der Gründe, warum wir uns zunächst aufvier Pilotprojekte auf der Höchstspannungsebene be-schränkt haben. Aber das ist nur einer der Gründe. Ne-ben den Kosten spielte vor allem die Tatsache eineRolle, dass die Verkabelungstechnologie auf der 380-kV-Ebene noch nicht ausgereift ist und dass wir hier nochErfahrungen sammeln müssen, insbesondere in SachenZuverlässigkeit und Versorgungssicherheit; denn in derTat gibt es bisher weltweit – das war vielen von uns neu –kaum Erfahrungen mit längeren Verkabelungsstrecken.

Wir haben einen Schritt – dieser war ursprünglich imGesetzentwurf nicht vorgesehen – auf der 110-kV-Ebene gemacht. Das ist die Ebene, die uns allen auf-grund unserer Wohnorterfahrung am bekanntesten ist.Wir sind es gewohnt, dass hier in der Regel Erdverkabe-lung stattfindet. Allerdings gibt es noch eine MengeSpielraum für zusätzliche Erdverkabelungen. Interessan-terweise ist der Kostenabstand auf der 110-kV-Ebene

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Rolf Hempelmann

wesentlich geringer. Das heißt, die Erdverkabelung istnicht so viel teuerer als die Freileitung. Aber es gibt– das muss man eingestehen – Kostenunterschiede. Wirhaben deswegen – um einen abgewogenen Ansatz zuwählen – den Regulierungsrahmen für die Bundesnetz-agentur konkretisiert und deutlich gemacht, dass dann,wenn der Kostenabstand 60 Prozent nicht überschreitet,die Mehrkosten durch die Bundesnetzagentur anzuer-kennen sind. Wir versprechen uns davon, dass eineReihe von Projekten schneller von den Netzbetreibern inAngriff genommen wird, weil sie erkennen, dass derReturn on Investment für sie gesichert ist. Gleichzeitighaben wir mit der Begrenzung der Mehrkosten auf60 Prozent das Interesse des Verbrauchers an bezahlba-rer Energie im Auge gehabt.

(Beifall bei der SPD)

Um dem Thema Innovation ein paar Sätze zu wid-men: Es ist deutlich geworden, dass wir uns gerade aufdem Gebiet der Erdverkabelung technologische Fort-schritte versprechen. Wir haben aber auch Rahmenbe-dingungen für die Einführung der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Technologie, HGÜ, geschaf-fen. Wir gehen davon aus, dass bald erste Pilotprojekteim deutschen Stromübertragungsnetz auf der Basis des-sen, was wir hier formuliert haben, realisiert werdenkönnen. Insofern ist sichergestellt, dass wir Anreize fürtechnologische Entwicklungen schaffen, die wir in dennächsten Jahren im Netzbereich benötigen.

Sie sehen also: Wir haben in der Tat einen Beitrag fürmehr Umwelt- und Klimaverträglichkeit, Versorgungs-sicherheit, Wettbewerb und Innovation mit diesem Ge-setz im Auge gehabt.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, betrifft diestromintensive Industrie. Wir alle, denke ich, habendas Ziel, dass die Industrie in unserem Land eine Per-spektive, eine Zukunft hat. Wir stellen gerade in diesenZeiten fest, dass industrielle Arbeitsplätze, die eineganze Wertschöpfungskette und Arbeitsplätze in anderenBereichen – auch im Dienstleistungssektor – quasi nachsich ziehen, wichtiger sind, als man das möglicherweisenoch vor Jahren eingeschätzt hat. Deswegen ist es wich-tig, dass wir bei allem, was wir tun, darauf achten, dassdie Energiekosten gerade der energieintensiven Unter-nehmen im Rahmen bleiben. Wir haben daher die Strom-netzentgeltverordnung angepasst, und zwar so, dassgrundsätzlich der Kreis der Begünstigten erweitert wer-den kann und dass das Instrument krisenfest ist. Die Un-ternehmen können dieses Instrument also auch in Jahrender Rezession in Anspruch nehmen. Ich denke, dieserSchritt ist in der Branche ausgesprochen positiv aufge-nommen worden.

Ich mache dennoch zum Abschluss darauf aufmerk-sam, dass all dies nicht ausreichen wird, um sicherzustel-len, dass stromintensive Unternehmen in diesen schwie-rigen Zeiten durchhalten und auch in der Zukunft inDeutschland weiter produzieren. Deswegen werden wiruns in den nächsten Tagen weiter damit beschäftigenmüssen, wie wir die Rahmenbedingungen für diese sehrstromintensiven Industrien weiter verbessern. Dazu gibtes Gespräche zwischen den Fraktionen und auch mit den

Ministerien, insbesondere mit dem Wirtschaftsministe-rium.

Ich mache nur darauf aufmerksam, dass insbesonderedurch Aluminiumerzeugung mittels Elektrolyse – dieseUnternehmen können jederzeit vom Netz genommenwerden – Regelenergiekraftwerke in einer unglaublichenGrößenordnung ersetzt werden können. Sie können siesogar mehr als ersetzen. Sie sind sogar besser als Regel-energiekraftwerke, weil sie unmittelbar abgeschaltetwerden können und sich die Auswirkung sofort einstellt,was auch bei den besten Regelenergiekraftwerken sonicht der Fall ist. Das müssen wir im Auge behalten. Daskann man auch honorieren. Darüber sollten wir zeitnahins Gespräch kommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der nächste Redner ist Hans-Kurt Hill für die Frak-

tion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Chance, die Energienetze zukunftsgerecht auszu-richten, wurde nach meiner Meinung von Ihnen vertan.Sie greifen dabei mit der Gesetzesvorlage massiv in dieMitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger ein.

(Lachen des Abg. Franz Obermeier [CDU/CSU])

Es wundert mich, Herr Obermeier, dass sich dieCDU/CSU und die SPD in der Großen Koalition über-haupt noch auf sachliche Inhalte einigen konnten. Beider Entwicklung der Energienetze haben Sie offensicht-lich erkannt, dass wir nicht alles den Stromkonzernenüberlassen dürfen. Ich sage Ihnen voraus, liebe Kollegin-nen und Kollegen: So wie Sie sich mittlerweile viele An-träge der Linken zu eigen machen und eins zu eins über-nehmen,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

zum Beispiel bei der Enteignung von wild gewordenenBanken, so werden Sie über kurz oder lang unserer For-derung nach Überführung der Energienetze in die öffent-liche Hand ebenfalls folgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Einzelne Inhalte des Entwurfs zeigen durchaus in dierichtige Richtung. Erdkabel werden bei Hochspannungs-trassen gegenüber Freileitungen bei den Netzentgeltenbessergestellt. Das macht die unterirdische Verlegungbei 110 000-Volt-Leitungen wirtschaftlich. Neu errich-tete Stromspeicher werden für den Zeitraum von zehnJahren von den Netzentgelten befreit, und die Anbin-dung von Offshorewindparks wird vereinfacht. Daswar es aber leider schon. Das reicht einfach nicht aus.

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Hans-Kurt Hill

Ich habe es anfangs bereits gesagt: Sie haben dieChance, die Energienetze zukunftsgerecht auszurichten,absolut vertan. Sie reden davon, Deutschland sei einStromtransitland, ignorieren dabei aber Zukunftstechni-ken wie Gleichstromübertragungen komplett. Immerhinredet man schon davon. Dabei ist bekannt, dass geradediese Technologien bei der Übertragung über weite Stre-cken die höchste Effizienz aufweisen. Sie haben sich derStromlobby gebeugt. So dürfen im Prinzip Hochspan-nungstrassen mit 380 000 Volt weiter uneingeschränktals Freileitung gebaut werden. Sie nehmen keine Rück-sicht auf die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürgerund die Natur. Dabei ist gerade hier der Elektrosmogsehr hoch, und riesige Masten zerschneiden die Land-schaft.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Pilotvorhaben für die Erdverkabelung von380 000-Volt-Trassen werden nicht nach fachlichen Kri-terien ausgewählt. Es ist für mich nicht zu erkennen, wa-rum die Uckermarkleitung, wie von uns und auch vonden Kolleginnen und Kollegen der CDU vor Ort gefor-dert, nicht in das Vorhaben aufgenommen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke fordert deshalb eine grundsätzliche Prüfungder Erdkabelverlegung in jedem Einzelfall.

Es ist ein Skandal, dass die Beteiligungsrechte be-troffener Bürgerinnen und Bürger und Gemeinden mas-siv eingeschränkt werden und sie somit der Willkür derEnergieversorger ausgesetzt sind. Deshalb ist dieses Ge-setz vom Grundsatz her nicht zustimmungswürdig.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie arbeiten Hand in Hand mit den Energiekonzernengegen die Bürgerinnen und Bürger, und das ist in vielenFällen typisch für diese Koalition.

Es gibt weitere Lücken im Gesetz. Es fehlen Vor-schriften, die den Netzausbau auf das erforderliche Maßmindern. So könnten bestehende Stromleitungen durchbesseres Management und technische Modernisierungbis zu 50 Prozent mehr Strom, erzeugt auch aus Windund Sonne, aufnehmen. Auffällig ist, dass an den jetztgeplanten Stromtrassen – Herr Hempelmann hat es ebenangesprochen – zufällig auch riesige Kohlekraftwerkegeplant sind. Damit bremsen die Energiekonzerne denschnell wachsenden Ausbau der Nutzung erneuerbarerEnergien gezielt aus. Erklären Sie, Herr Hempelmann,den Thüringern, wieso Kohlestrom aus Lubmin oderStendal durch den Thüringer Wald bei Zerstörung desNaturraums nach Bayern oder weiter transportiert wer-den soll!

(Beifall bei der LINKEN)

So können Sie in der Bevölkerung keine Akzeptanz fürStromtrassen erreichen. Das ist ein Gesetz, das dieRechte der Bürgerinnen und Bürger massiv beschneidetund nur den Energiebossen dient. Ginge es nach Vatten-fall und Co., würden riesige Strommasten durch dasLand gezogen, um noch mehr Kohlestrom in die Nach-barstaaten zu exportieren. Die Folgen, nämlich ein

Scheitern im Bereich Klimaschutz und weiter steigendeStrompreise, haben Sie zu verantworten. Da ich geradevon den Strompreisen rede: Natürlich entlasten Sie nocheinmal die stromintensive Industrie mithilfe des hiervorliegenden Gesetzentwurfes bei den Netzgebühren.

(Gudrun Kopp [FDP]: Das ist auch richtig!)

Das tun Sie auf Kosten der übrigen Netzkunden undohne jede Gegenleistung für mehr Energieeffizienz.Stichwort Gegenleistung – auch das sollten die Bürge-rinnen und Bürger wissen –: Damit die Union das Ener-gieleitungsausbaugesetz überhaupt mitträgt, musste dieSPD vollständig auf die Einbringung eines Energieeffi-zienzgesetzes verzichten. Noch schlimmer aber ist indiesem Zusammenhang, dass die zwingend erforderlicheVerbesserung der Energieeffizienz in Deutschland damitvon der Bundesregierung selbst blockiert wird.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Eine Ver-schwörungstheorie! Das ist abwegig!)

Um die Defizite in der Gesetzesvorlage der Bundesre-gierung zu heilen, hat die Linke einen Antrag zum be-darfsgerechten Ausbau der Energienetze eingebracht.Der Energieleitungsausbau muss den Anforderungeneiner klimafreundlichen und dezentralen Energieversor-gung Rechnung tragen. Dazu müssen bestehende Strom-trassen zügig dem neuesten Stand der Technik angepasstwerden. Ein Leitungstemperaturmonitoring für dasÜbertragungsnetz ist gesetzlich festzuschreiben. Für denVerbundbetrieb mehrerer Erneuerbare-Energien-Anla-gen über das Leitungsnetz, sogenannte virtuelle Kraft-werke, müssen die Netzgebühren entfallen, um eine in-telligente und dezentrale Stromproduktion zu fördern.Zur weiteren Entlastung der Übertragungsnetze sind de-zentrale Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen gegenüberneuen fossilen Großkraftwerken besserzustellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Netzausbau auf 110 000-Volt-Ebene ist ausschließ-lich in Form der Erdverkabelung durchzuführen. DemNetzausbau auf 380 000-Volt-Ebene muss eine Erforder-lichkeitsprüfung vorausgehen, bei der die Erdkabelvari-ante verpflichtender Teil der Betrachtung sein muss.

Fazit: Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregie-rung ist Flickschusterei, vernichtet Rechte von Bürgerin-nen und Bürgern und beinhaltet deutlich zu wenig, umden künftigen Anforderungen im Energiebereich gerechtzu werden. Wir werden ihn deswegen ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der nächste Redner ist Hans-Josef Fell für das

Bündnis 90/Die Grünen.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Ausbau erneuerbarer Energien kann undmuss beschleunigt werden. Die erfolgreiche industrielleEntwicklung ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung

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Hans-Josef Fell

der Wirtschaftskrise. Der Ausbau ist dynamisch und mitexponentiellen Wachstumsraten sehr wohl in der Lage,bis 2030 eine hundertprozentige Versorgung mit er-neuerbaren Energien im Stromsektor zu realisieren.

Den vielen Zweiflern in der Großen Koalition und inder FDP sei deutlich vor Augen geführt, dass auch in an-deren industriellen Zweigen solche Ausbaugeschwindig-keiten zunächst für unmöglich gehalten, dann aber den-noch realisiert wurden. Noch vor 20 Jahren hattefaktisch niemand einen Laptop, und in 15 Jahren erober-ten Mobilfunkgeräte die Welt. Können Sie mir einen ver-nünftigen Grund nennen, warum die Branchen Wind-energie, Fotovoltaik, Biogas oder Geothermie nichtähnliche industrielle Erfolgsgeschichten schreiben könn-ten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bundesverband Erneuerbare Energien hat ange-kündigt, bis 2020 47 Prozent der Stromerzeugung mit er-neuerbaren Energien abzudecken. Statt diese gigantischeChance für Klimaschutz und zur Sicherung unsererEnergieversorgung zu ergreifen, hält die Bundesregie-rung ängstlich an ihrem nicht ambitionierten Ziel von30 Pro-zent bis 2020 fest. Die SPD setzt lieber auf denAusbau der klimaschädlichen Kohlekraftwerke und dieUnion auf die Laufzeitverlängerung von Atomreaktoren.Beides wird den Ausbau erneuerbarer Energien bremsenstatt beschleunigen.

Aber immerhin haben wir von Frau Kopp heute etwasNeues gehört. Sie hat gesagt: Wenn die Atomreaktorenim Süden abgeschaltet werden – dort trägt die FDP jaRegierungsmitverantwortung –, dann brauchen wir denAusbau neuer Netze. – Gut, dass Sie endlich die Not-wendigkeit des Atomausstiegs anerkennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ein beschleunigter Ausbauerneuerbarer Energien ist natürlich nur dann möglich,wenn die entsprechenden politischen Rahmenbedin-gungen geschaffen werden. Dazu gehört unter anderemdie Anpassung der Netzinfrastruktur an die Erforder-nisse einer Vollversorgung mit Strom aus erneuerbarenEnergien. Notwendig sind zum Beispiel Speichersys-teme zum Ausgleich der Angebotsschwankungen beiSonne und Wind und der Ausbau neuer Hoch- undHöchstspannungsnetze, um das reichliche Windstroman-gebot aus Nord- und Ostdeutschland mit den städtischenRegionen in der Mitte, im Süden und im Westen zu ver-binden.

Längst haben sich die Blockaden der großen Netzbe-treiber beim Ausbau der Netze als Bremse für denschnellen Ausbau der Ökostromerzeugung erwiesen.Zum Teil blockieren sie, um die ungeliebte Konkurrenzder erneuerbaren Energien zurückzuhalten, zum Teilscheitern sie aber auch an langwierigen Genehmigungs-verfahren für den Ausbau von Höchstspannungsnetzenund an Widerständen in Teilen der betroffenen Bevölke-rung.

Wir Grünen stehen hinter dem Ziel der Beschleuni-gung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze. In unse-

rem heute zur Abstimmung vorgelegten Antrag habenwir die notwendigen Bedingungen dazu formuliert. Lei-der bleibt der Gesetzentwurf der Koalition weit hinterden erforderlichen Notwendigkeiten und Möglichkeitenzurück. Vor allem kritisieren wir, dass er die Handschriftder Interessen der großen Stromerzeuger trägt.

Viele Bürgerinitiativen, die vor Ort gegen den Ausbauder Höchstspannungsleitungen kämpfen, sind nicht ge-gen den Ausbau der Netzinfrastruktur. Zu Recht verlan-gen sie Erdverkabelungen, womit den Aspekten desLandschaftsschutzes und den Bürgerängsten vor Elek-trosmog Rechnung getragen werden könnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Doch statt Erdverkabelungen flächendeckend zu er-möglichen, wollen Sie nur fünf willkürlich ausgewähltePilotregionen zulassen. Es gibt überhaupt keinenGrund, warum Sie beispielsweise die Uckermark nichtin die Liste der Pilotregionen aufgenommen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Statt den Forderungen von berechtigten Bürgerinteres-sen entgegenzukommen, setzen Sie in Ihrem Gesetzent-wurf auf den Abbau von Bürgerbeteiligungsrechten.Meine Damen und Herren von Union und SPD, Sie soll-ten sich nicht beschweren, wenn in diesen Regionen diePolitikverdrossenheit erneut zunimmt. Ihre Argumentegegen Erdkabel gleichen denen, die von den großenStromversorgern vorgetragen werden. Sie behaupten,Erdkabel seien zu teuer und technisch nicht ausgereift.In der Anhörung des Wirtschaftsausschusses wurde dasvom Verband der europäischen Kabelhersteller ganz an-ders dargestellt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch nicht!)

Oftmals können die wesentlich niedrigeren Betriebskos-ten von Erdkabeln die höheren Investitionskosten aus-gleichen. Ihre Blockade gegen die flächendeckende Zu-lassung von Erdkabeln ist damit ein erneuter Beweis fürIhre Politik des Schutzes der Interessen der Kohle- undAtomkonzerne.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Gudrun Kopp [FDP])

Mit den Kampagnen pro Atom und für neue Kohlekraft-werke haben diese Konzerne längst bewiesen, dass sieden schnellen Ausbau erneuerbarer Energien behindernwollen.

Wir verkennen nicht, meine Damen und Herren vonder Koalition, dass Sie als Parlamentarier durchaus wich-tige Verbesserungen am Regierungsentwurf vorgenom-men haben. Die Möglichkeiten für Erdkabel in 110-kV-Leitungen finden unsere Zustimmung. Auch begrüßenwir, dass Pumpspeicherkraftwerke von Netzentgeltenbefreit werden. Leider soll diese Befreiung aber nur fürneue Projekte und nur für zehn Jahre gelten. Das reichtals Anreiz für den dringend erforderlichen Bau von Spei-chern bei weitem nicht aus. Sinnvoll ist auch die Mög-lichkeit des Anschlusses an moderne HGÜ-Leitungen.

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Hans-Josef Fell

Dies alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dassdieses Gesetz die Handschrift der Stromkonzerne trägtund wegen des Abbaus der Bürgerbeteiligungsrechteeine bedenkliche antidemokratische Komponente auf-weist. Den Ausbau der erneuerbaren Energien wird die-ses Gesetz nicht beflügeln; vielmehr bleibt das Problembestehen, dass Investoren für Windparks weiterhin jahre-lang auf Leitungen warten müssen, und das nicht wegender Proteste der Bürger, sondern weil die Energiekon-zerne wenig Interesse haben, die Konkurrenten ans Netzanzuschließen.

Hier liegt das Kernproblem. Die Koalition blendetvöllig aus, dass die Energiekonzerne selber die dringendnotwendigen Investitionen in die Stromnetze verzögern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg.Bettina Hagedorn [SPD])

Dieses Problem muss gelöst werden, und zwar durch diebaldige Gründung einer unabhängigen Netzgesellschaft.Nur mit „neutralen“ Netzen wird es die erforderlichenInvestitionen in den zukunftsfähigen Ausbau der Strom-netze geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber dazu ist in der Koalition keine Aktivität erkennbar.So werden Sie den Anforderungen an Klimaschutz undVersorgungssicherheit leider nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Netze sind nicht alles; aber ohne Netze ist fastalles nichts, weil dann nämlich nichts funktioniert. Wirbekommen das leider öfter vorgeführt, wenn es – ausverschiedenen Gründen – zu Blackouts kommt. DieWahrscheinlichkeit, dass es zu Blackouts kommt, wirdsteigen, wenn wir nicht schnell und engagiert reagieren.Genau das tun wir mit diesem Gesetz zur Beschleuni-gung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze.

Wir stehen, was das Stromnetz angeht, vor Herausfor-derungen, die sich in den letzten 50 Jahren in Deutsch-land und in Europa so nicht gestellt haben. Deutschlandist mittlerweile Stromtransitland Nummer eins in Eur-opa. Wir wollen den europäischen Binnenmarkt. Wennwir den europäischen Binnenmarkt im Bereich Stromgenauso wie in den Bereichen Schiene und Straße wol-len – dort knüpfen wir transeuropäische Netze –, dannmüssen wir Interkonnektoren, also Verbindungen zwi-schen den Ländern, schaffen. Ich verweise auch auf dieMöglichkeit, Seekabel, beispielsweise durch die Nord-see, zu legen, und zwar schnell, damit der binnenökono-mische Blutkreislauf funktionieren kann.

Wir stehen vor Herausforderungen bei der Integrationdes Systems der erneuerbaren Energien. Es ist ganz klar:Wer Ja zu erneuerbaren Energien sagt, der muss auch Jazu einem beschleunigten Netzausbau sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur so wird die Nutzung erneuerbarer Energien gestärkt.

Wir stehen auch vor einer bisher nie dagewesenenVeränderung der Erzeugungsstruktur. Durch die Nut-zung der Windkraft onshore und zukünftig offshore wer-den zusätzlich Zehntausende Megawatt Strom erzeugtund ins Netz eingespeist; darüber hinaus entstehen zu-nehmend konventionelle Kraftwerke, beispielsweiseSteinkohlekraftwerke in Küstennähe. Man wird so unab-hängig von Stromimporten, etwa aus dem Ruhrgebiet.Ich betone: Wir brauchen in Deutschland den Netzaus-bau.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was tun wir? Wir stellen einen Bedarfsplan auf – erist dem ähnlich, den wir von der Schiene und von derStraße her kennen –, in dem wir die von mir beschriebe-nen Entwicklungen antizipieren, um so einen strukturier-ten Netzausbau vornehmen zu können.

Die Verkürzung des Instanzenwegs hat sich in denneuen Bundesländern bewährt, Stichwort „Infrastruktur-beschleunigung“; das Bundesverwaltungsgericht ist nun-mehr die einzige, also gleichermaßen erste und letzte In-stanz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir beschleunigen mit diesem Gesetz die Planfest-stellung für internationale Seekabel, um die Interkon-nektoren zu schaffen. Wir ermöglichen mit diesemGesetz Pilotprojekte im Höchstspannungsnetz, umStromautobahnen in Deutschland zu bekommen. Dazugibt es aber noch viele offene Fragen. Neben der Kosten-frage – zum Teil sind die Kosten bis zu zehnmal höherals sonst üblich – stellen sich auch die Fragen der Tech-nologie und der Landschaftsverträglichkeit; es geht umEingriffe in die Natur. Deshalb müssen wir Erfahrungensammeln.

Von manchen, von Herrn Fell und Konsorten, wirdhier der Eindruck erweckt, als wären Erdkabel die Lö-sung aller Probleme. Das Gegenteil ist der Fall. Ich willdas am Beispiel der Uckermarkleitung darlegen. Eswird gesagt, wir seien gegen die Erdverkabelung in derUckermark. Jawohl, wir sind dagegen, aber nicht des-halb, weil wir gegen die Bürger oder gegen den Schutzder Landschaft sind; das Gegenteil ist der Fall. Wir ha-ben uns das ganz genau angeschaut. Was wäre, wenn wirin der Uckermark ein 380-kV-Erdkabel verlegen wür-den? Das Ergebnis wäre ein 20 Meter breiter Straßen-und Steppenstreifen durch das Biosphärenreservat. Istdas die Landschaftsverträglichkeit, die Sie wollen?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Durch die 380-kV-Freileitung in der Uckermarkkönnte die 220-kV-Freileitung von 37 KilometernLänge, die bisher durch das Gebiet geht, abgebaut wer-

(D)

Page 38: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16220.pdf · Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuervollzug

23998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Dr. Joachim Pfeiffer

den. Das wäre beim Erdkabel nicht möglich. Das istpraktizierter Landschaftsschutz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben uns das sehr genau angeschaut. Dabei sindnicht allein die Kosten entscheidend. Beim Erdkabelwäre der Eingriff in die Landschaft weitaus größer undwäre auch die zusätzliche Belastung für das Biosphären-reservat größer als bei einer Freileitung, die über 400 bis500 Meter sozusagen an der Ecke des Biosphärenreser-vats vorhanden wäre.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: 40-Me-ter-Schneise!)

– Erzählen Sie hier nichts wider besseres Wissen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben im parlamentarischen Verfahren beispiels-weise auch noch das Verursacherprinzip gestärkt. Wirhaben den Umlageschlüssel geändert, sodass die Ge-samtkosten für die Pilotprojekte nicht bundesweit umge-legt werden. Nur die Mehrkosten, die für die Pilotpro-jekte zur Erdverkabelung verursacht werden, werdenumgelegt. Das führt auch zu mehr Effizienz im gesamtenVerfahren. Das ist der richtige Weg, den wir nicht nur beiden Pilotprojekten, sondern auch bei anderem beschrei-ten müssen.

Das Thema „110 kV“ ist angesprochen worden. Wirwollen mit einer moderaten Begrenzung von 60 Prozentarbeiten. Das ist nicht nichts; wir reden unter Umständenüber Milliardenbeträge. Die fallen nicht vom Himmel,sondern die muss über eine Umlage der Stromverbrau-cher aufbringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind aber bereit, diesen Weg zu gehen, wenn wir hierzu einer Beschleunigung kommen.

Zu dem 20 Kilometer breiten Küstenstreifen gibt eseine Klarstellung, sodass das dort schneller und bessergeht.

Wenn wir hier nicht schneller vorankommen, liegt dasdaran, dass über Gerichtsverfahren, Einsprüche usw.verzögert wird. Da sind die Opportunitätskosten oftmalshöher als einmalig höhere Investitionskosten im 110-kV-Bereich. Auch dazu schlagen wir eine Lösung vor.

Anders als im Höchstspannungsbereich brauchen wirim 110-kV-Bereich keine großen Erfahrungen mehr zusammeln. Auch der Eingriff in die Natur ist nicht sogroß. Sie sollten hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichenund nicht wider besseres Wissen reden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir befreien die neuen Speicher, und zwar technolo-gieoffen – denkbar sind nicht nur Pumpspeicher, sondernauch Druckluftspeicher und anderes im Bereich der er-neuerbaren Energien –, für zehn Jahre von den Netznut-zungsentgelten, um Anreize zu setzen. Neben den Net-zen verbessern wir gleichzeitig die Speicherung und

bringen die Integration der erneuerbaren Energien nachvorn.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, können Sie sich vorstellen, zum Ende

zu kommen?

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin; vielen

Dank für den freundlichen Hinweis.

Die Große Koalition beweist auch heute wiederHandlungsfähigkeit. Wir machen also nicht nur Wahl-kampf, sondern wir regieren. Der Gesetzentwurf zu CCSwurde gestern eingebracht. Auch das werden wir nochabschließen. Mit der zweiten und dritten Lesung desEntwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung des Aus-baus der Höchstspannungsnetze machen wir den Wegfrei. Wir legen den Grundstein für einen beschleunigtenNetzausbau. Ich hoffe auf große Zustimmung – nicht nurder Koalitionsfraktionen –, sodass die Stromautobahnenmit Energie ausgebaut werden können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zu einer Kurzintervention, der Kollege Hill.

(Zurufe von der SPD)

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Keine Angst, Herr Hempelmann! – Herr Kollege

Pfeiffer, sind Sie mit mir einer Meinung, dass eine70 Meter breite Schneise durch ein Biosphärenreservateinen starken Eingriff in die Naturlandschaft darstellt,dass sich die Bevölkerung dort mit Recht dagegen wehrtund dass es unverständlich ist, dass sich die CDU vorOrt für die Erdverkabelung ausspricht und selbst dieSPD sich dafür aussprach, meine Ausschussvorsitzendedann aber gesagt hat, weil die CDU nicht mitmache,werde man unserem Antrag nicht zustimmen? Ichmeine, hier wurde die Unwahrheit gesagt. Dies hatnichts mit Wahlkampf zu tun, sondern das ist eine sachli-che Feststellung von Fakten.

Zweitens haben Sie davon gesprochen, dass Kraft-werke an der Küste gebaut werden sollen. Sprechen Sieeinmal mit den Menschen vor Ort, die insbesondere vomTourismus leben und auf saubere Luft angewiesen sind.Sie aber sagen, wir brauchten Kohlekraftwerke an derKüste, weil wir Importkohle verfeuern müssten. Hierverstehe ich Ihre energiepolitischen Vorstellungen nicht.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder[CDU/CSU]: Aber aus Ihrer Tasche kommtdie Energie nicht, damit das klar ist!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Pfeiffer, zur Antwort!

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23999

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Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Kollege Hill, unser Bundestagskollege, der dort

seinen Wahlkreis hat, hat sich vor Ort ganz klar gegendie Erdverkabelung ausgesprochen. Insofern weiß ichnicht, wie sich die CDU vor Ort anders verhalten habensollte, als sie es hier im Plenum tut.

Die von Ihnen genannten 70 Meter kann ich über-haupt nicht nachvollziehen. Die Freileitung überbrücktdiesen Naturraum mit Masten. Im Gegensatz dazu zer-schneidet das Erdkabel das Biosphärenreservat mit ei-nem 20 Meter breiten Streifen.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: In der Erde!)

– Ja, in der Erde; das wird aber nicht per Tunnel hin-durchgebohrt. Es wird eine Schneise durch das Biosphä-renreservat angelegt, und hinzu kommen Sonderbau-werke wie Tunnel und Brücken über Straßen und Flüsse.Der Eingriff in die Natur ist hundertfach höher als bei ei-ner Freileitung. Das sind die Fakten, nicht das, was Siehier behaupten, Herr Hill.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt gebe ich Marko Mühlstein das Wort für die SPD-

Fraktion.

Marko Mühlstein (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Als im Jahre 2000 in diesem Ho-hen Hause das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschie-det wurde, hat man sich zum Ziel gesetzt, im Jahre 2010einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Strompro-duktion von 12,5 Prozent zu haben. Im Jahr 2008 hattenwir bereits einen Anteil von 15 Prozent am Stromver-brauch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Das ist erfolgreiche grüne Politik!)

Im ersten Quartal 2009 lag der Anteil schon bei17 Prozent. Die Kritiker von damals reiben sich die Au-gen, Herr Fell.

Im Bereich der erneuerbaren Energien haben wir bisheute über 275 000 Arbeitsplätze geschaffen. Im Jahre2020 – so sind die Prognose und unser Ziel – werden so-gar 500 000 Arbeitsplätze durch unsere gute Klimapoli-tik geschaffen sein.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deutschland ist Exportweltmeister auch im Bereichder Umwelttechnologie nicht zuletzt durch die erneuer-baren Energien.

(Beifall der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Unser Ziel ist es, im Jahre 2020 einen Anteil der erneu-erbaren Energien von 30 Prozent im Strombereich zu ha-

ben und im Jahre 2030 die Hälfte, 50 Prozent, derStromproduktion in der Bundesrepublik durch erneuer-bare Energien zur Verfügung zu stellen.

Um diesen erfolgreichen Weg fortsetzen zu können,brauchen wir in Deutschland nicht nur gut ausgebaute Ver-kehrsadern und leistungsfähige Datenautobahnen – übri-gens auch im ländlichen Raum –, sondern hierfür ist auchein zukunftsfähiges Stromnetz auf allen Spannungsebe-nen notwendig. Dafür ebnen wir heute mit der Verab-schiedung des Gesetzes zur Beschleunigung des Ausbausder Höchstspannungsnetze den Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen,dass besonders für den Transport von Wind- und Solar-strom der Ausbau der 110-kV-Ebene eine große Bedeu-tung hat. Ich will nicht verschweigen – Herr Schauerte hatdas ebenfalls ausgeführt –, dass sich die SPD dafür in vie-len Verhandlungsrunden starkgemacht hat. Ich kenne dieHerausforderung vor allem deshalb besonders gut, weilich aus einem Land, nämlich Sachsen-Anhalt, komme,das gelegentlich von der Bundesregierung als das Landder erneuerbaren Energien bezeichnet wird und in demheute bereits 20 Prozent der Stromerzeugung durch er-neuerbare Energien bereitgestellt werden.

Ich denke, es ist sehr sinnvoll, dass wir uns über denRegierungsentwurf hinaus auf die Erdverkabelungsrege-lung für 110 kV einigen konnten. Ich glaube, es machtauch Sinn, dass die Mehrkosten, die übrigens in der Zu-kunft von der Bundesnetzagentur anrechenbar sind, aufden Kostenfaktor 1,6 begrenzt werden.

Gerade im Bereich der 110-kV-Ebene liegen uns zahl-reiche Erfahrungswerte aus 25 Jahren vor, die wir in derZukunft im Blick haben müssen, um die weiteren gesetz-lichen Regelungen in diesem Bereich sinnvoll zu gestal-ten.

Ich bin mir sicher, dass die Beschleunigung des Netz-ausbaus aufgrund einer höheren Akzeptanz in Bezug aufErdkabel gegenüber Freileitungen erfolgen kann. Mitden vier Pilottrassen im Bereich der 380-kV-Ebene ma-chen wir einen guten Anfang. Ich will nicht verschwei-gen, dass – da möchte ich an die Diskussion von ebenanschließen – die SPD sich durchaus für die Ucker-markleitung ausgesprochen hat und wir durchaus einenSinn in dieser Leitung als zusätzliche Pilottrasse sehen.Regierungshandeln ist aber immer auch von Kompro-missen geprägt. Das kann eine Oppositionspartei nichtverstehen; aber Sie befinden sich ja noch in einem Lern-prozess.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachenbei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Ich hoffe zumindest, dass Sie sich in einem Lernprozessbefinden, Herr Hill.

(Christoph Pries [SPD]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!)

– Die Hoffnung stirbt zuletzt, genau.

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24000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Marko Mühlstein

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wind-kraft auf See, die sogenannte Offshorewindkraft, ist inZukunft eine wichtige Säule der erneuerbaren Energien.Nach der Offshorestrategie der Bundesregierung sollenim Jahre 2020 10 000 Megawatt Leistung offshore in-stalliert sein. Im Jahre 2030 können das sogar 25 000Megawatt sein. Mit der Konkretisierung der Anbin-dungspflicht des Energiewirtschaftsgesetzes durch dieBundesnetzagentur wird eine Initiative der Koalition be-rücksichtigt, nämlich die Erleichterung der Anbindungvon Offshoreanlagen zu gewährleisten. Dank dieser Ini-tiative und der Konkretisierung ist es möglich, die Off-shorestrategie umzusetzen und zu realisieren.

Die temporären Energiequellen Sonne und Wind stel-len uns vor Herausforderungen. Wir wissen, dass wirauch in Zukunft einen hohen Bedarf an Speicherkapazi-täten und Pufferung im Gesamtnetz haben werden. Des-wegen ist es eine wichtige Entscheidung, Pumpspeicher-kraftwerke und andere Speicher vom Netzentgelt zubefreien. Das ist ein bedeutender Schritt, um in Zukunftdie Speicherkapazitäten ausbauen zu können.

Um ein modernes und leistungsfähiges Stromnetz inDeutschland zu schaffen, brauchen wir ein europäischesVerbundnetz. Dafür legen wir heute den Grundstein.Mit der heutigen Verabschiedung des Energieleitungs-ausbaugesetzes werden unabdingbare Weichen auf demWeg zu mehr Versorgungssicherheit, Netzstabilität undeinem kontinuierlichen Ausbau der erneuerbaren Ener-gien in Deutschland gestellt. Kurzum, es ist ein wichti-ger Baustein für eine nachhaltige, dezentrale und zu-kunftsweisende Energieversorgung.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte die verbleibende Zeit nutzen, um den Kol-legen Rolf Hempelmann und Herrn Dr. Pfeiffer für die au-ßerordentlich konstruktive Zusammenarbeit zu danken.Um mit den Worten eines Fußballfreundes zu sprechen,lieber Rolf Hempelmann: Ich denke, die Beratungen wa-ren ein faires Spiel mit zahlreichen Verlängerungsrunden;aber am Ende gibt es einen Sieger, und das ist die zukünf-tige Energieversorgung Deutschlands.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Franz Obermeier hat jetzt das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Franz Obermeier (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bis vor einigen Jahren galt das bundesdeutsche Strom-netz sowohl in der Niederspannungsebene als auch inder Hoch- und Höchstspannungsebene als vorbildlich inEuropa. Die Veränderungen in der Erzeugungsstruk-tur haben uns schon in den 90er-Jahren vor Augen ge-führt, dass ein Leitungsausbau dringend notwendig ist.Dieser Leitungsausbau muss möglichst rasch vollzogenwerden, weil sich völlig veränderte Strukturen dadurchergeben, dass sich der Verbrauch überwiegend im Wes-

ten und Süden und die Erzeugung im Norden konzen-triert hat. Ich kann mich an einen Fall aus den 90er-Jah-ren erinnern. Da hat ein Stromversorgungsunternehmenversucht, eine Höchstspannungsleitung in Schleswig-Holstein zu bauen. Nach einem zehnjährigen Prozess hates aufgegeben und diese Leitung nicht gebaut.

Aufgrund dieser Situation hat die Bundesregierungeinen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir schleunigst be-schließen sollten. Wir sollten möglichst alle Hemmnisseim Vollzug ausräumen; denn in den zurückliegendenJahren hat sich die Situation durch die verstärkte Erzeu-gung von Strom über Windkraft und fossile Energiendramatisch verändert. Wenn es wirklich so weit kommensollte, dass die Stromerzeugung für die Grundlast im Sü-den stillgelegt werden muss, dann muss jemand dieFrage beantworten, wie der hohe Stromverbrauch inBayern und Baden-Württemberg zumindest in derGrundlast – dies betrifft weniger die Mittel- und Spitzen-last – gewährleistet werden soll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sollten uns nicht die Köpfe darüber zerbrechen,wie schnell der Ausbau der Erdverkabelung stattfindet.Klar ist – das richte ich an Sie, Herr Fell –: Jeder Lei-tungsbau hat einen erheblichen Eingriff in die Natur zurFolge. Allen, die hier sehr locker davon gesprochen ha-ben – insbesondere Herr Hill –, empfehle ich, sich ein-mal die Erdverkabelung in Berlin anzusehen, damit siewissen, welche Bauwerke in die Natur gestellt werdenmüssen und dass bestimmte Streifen nicht bebaut, nichtgenutzt und nicht bepflanzt werden dürfen, weil sie un-terhalten werden müssen.

Unabhängig davon müssen wir natürlich berücksich-tigen, dass die Erdverkabelung erheblich teurer ist. HerrHill, ich habe an der gleichen Anhörung zur Erdverkabe-lung teilgenommen wie Sie. Ich habe nicht gehört, dasseiner der Vertreter der Protagonisten der Erdverkabelunggesagt hätte – sie waren anwesend; selbstverständlichmöchten sie ihre Kabel verkaufen –, dass sich die bei derInvestition entstehenden Mehrkosten durch geringereUnterhaltungskosten aufheben würden. Fest steht – dassteht auch in der Begründung des Gesetzentwurfes –,dass wir bei der Erdverkabelung mit nicht unbeträchtli-chen Mehrkosten zu rechnen haben. Deswegen ist essehr wohl gerechtfertigt, in Form von Pilotprojekten andie Sache heranzugehen, um entsprechende Erfahrungenzu sammeln.

Ich sage dies auch deswegen, weil wir, gerade wasGleichstromleitungen betrifft, sehr geringe Erfahrungenhaben. Da ist es sehr wohl angebracht, behutsam an dieSache heranzugehen, um nicht mehr Geld als unbedingtnotwendig zu verbrauchen. Denn das alles – darauf mussman immer wieder hinweisen – zahlt der Verbraucher.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie hätten die Chance, eine Zwischen-

frage des Kollegen Hill zuzulassen.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Er will wieder lernen!)

Möchten Sie das?

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24001

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Franz Obermeier (CDU/CSU): Selbstverständlich.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön.

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Herr Obermeier, ich gebe Ihnen vollkommen recht,

dass der Ausbau der Erdverkabelung teurer ist. Die Ge-lehrten streiten sich ja über die Schaffung eines Aus-gleichs für die Wartung und die Verluste.

Sie haben hier mit Ihrem bayerischen Akzent gespro-chen und geben mir doch bestimmt recht, dass es für dieEnergieversorgung – insbesondere die in Bayern – wich-tig wäre, dass man dort mit Windenergie endlich richtig„pushen“ würde.

Zweiter Punkt. Sie geben mir doch bestimmt auchvollkommen recht, dass es wesentlich weniger Ein-schnitte in die Natur geben würde, wenn wir mit HGÜ-Leitungen arbeiten würden. Wir könnten die vorhande-nen Leitungen entsprechend optimieren. Durch ein Tem-peraturmonitoring könnten wir wesentlich mehr Stromüber die vorhandenen Netze leiten. Warum setzen wirdenn nicht dort an?

Franz Obermeier (CDU/CSU): Ich gebe Ihnen insofern recht, als die HGÜ-Leitun-

gen, nach allem, was wir jetzt wissen, hinsichtlich desgesamten Unterhaltungsaufwandes erheblich günstigersind. Bei den Gleichstromleitungen haben wir aber sogut wie keine Erfahrungen hinsichtlich großer Übertra-gungsnetze.

(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schauen Sie einmal nach China!)

Das führt uns dazu, zu sagen: Das probieren wir.

Herr Hill, ich habe mir bei Ihrer Rede im Übrigen no-tiert, dass Sie meinen, wir sollten in Bayern auf Wind-kraft setzen. Dafür müssten Sie schon den Wind dorthinbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie es mit Ihrer linken Politik schaffen, dass derWind in Bayern so wie in der norddeutschen Tiefebeneoder an der Nordsee- oder Ostseeküste bläst, dann bauenwir die Windkraftanlagen auch in Bayern, ohne dass wirunser schönes Land dort verschandeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, es gibt einen weiteren Wunsch, eine

Zwischenfrage zu stellen, und zwar den des KollegenHans-Josef Fell. Möchten Sie die auch noch zulassen?

Franz Obermeier (CDU/CSU): Ja, selbstverständlich.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Das wird hier jetzt quasi ein Bayern-Du-

ell.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Obermeier, ich spreche von Bayer zu

Bayer oder von Franke zu Bayer.

Franz Obermeier (CDU/CSU): Das ist auch Bayern.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist Ihnen bekannt, dass mit den modernen großen

Windrädern, die eine Nabenhöhe von über 120 Meterhaben, auch in Bayern 90 Prozent des Windangebotesgeerntet werden können, das mit der gleichen Anlage ander norddeutschen Küste geerntet werden kann? Es gibtbeim Windangebot Bayerns nur einen kleinen, zehnpro-zentigen Unterschied im Vergleich mit dem der nord-deutschen Tiefebene.

(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

Dass dies nicht ausgenutzt wird, liegt an einer verfehltenGenehmigungspraxis in Bayern, wo vielfach nur Naben-höhen bis 100 Meter zugelassen werden, wodurch maneben nicht in der Lage ist, das hohe bayerische Wind-angebot ausnutzen zu können.

Stimmen Sie nicht mit mir überein, dass wir diese Ge-nehmigungspraxis in Bayern endlich beenden sollten,damit auch dort der CO2-freie Strom der Windkraft end-lich stark ausgebaut werden kann? Das entsprechendeWindpotenzial ist sehr wohl vorhanden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt dochüberhaupt nicht! Das war doch absurd!)

Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Fell, ich stimme Ihnen überhaupt nicht zu. Wenn

Sie sich den Windatlas von Bayern anschauen – unab-hängig von Nabenhöhen, neuen Techniken und Ähnli-chem – und ihn mit dem Windkataster für die norddeut-sche Tiefebene und die Nordsee vergleichen, dann sehenSie auch als Laie, dass hier völlig andere Verhältnissegelten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nur, wenn man es will!)

Im Übrigen will ich Ihnen Folgendes sagen: Ichkenne sehr viele Regionen in Bayern – im Übrigen auchin Ihrem schönen Franken –, die es sich überhaupt nichtvorstellen können, dass Windkraftanlagen mit hohen Na-benhöhen und großen Durchmessern bei ihnen errichtetwerden. Sie wollen das nicht und setzen auf andereDinge.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Stromtrassen sind etwas anderes als Windparks im schö-nen Frankenland. Viele Leute wollen das nicht, und wirrichten uns schon nach dem Nutzen und dem Schaden.Das ist für meine Begriffe die richtige Politik.

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24002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Franz Obermeier

(Beifall bei der CDU/CSU – Gudrun Kopp [FDP]: Tourismus!)

Zum Abschluss noch ein paar Sätze zu Ihnen, HerrHill, weil Sie sich über die Gesundheit und den Schutzder Gesundheit der Menschen ausgelassen haben.

(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: So ist es!)

Ich weiß, dass Sie Saarländer sind, und ich werfe IhnenIhren Dialekt nicht vor, aber wenn Sie studieren wollen,wie man den Schutz der Gesundheit der Menschen miss-achten kann, dann führen Sie sich vor Augen, was imUrsprungsland Ihrer kommunistischen Partei stattgefun-den hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe 1990 in ein paar Gemeinden in der Nähe vonLauchhammer gesehen, wie man im kommunistischenUrsprungssystem mit der Gesundheit der Menschen um-gegangen ist. Sie sollten dieses Beispiel nicht bringen. InDeutschland wird auf die Gesundheit der Menschen sehrwohl Rücksicht genommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache.

Als Thüringerin stelle ich fest, dass hier Dialekte je-der Art erlaubt sind, soweit sie für andere verständlichbleiben.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sitzen abernicht als Thüringerin da oben, sondern als Prä-sidentin!)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Be-schleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze.Zur Abstimmung liegen drei Erklärungen nach § 31 un-serer Geschäftsordnung vor, und zwar von den KollegenDr. Hans Georg Faust, Hans Peter Tuhl und Jochen-Konrad Fromme.1)

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-fiehlt unter Nr. 1 Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/12898, den Gesetzentwurf derBundesregierung auf Drucksache 16/10491 in der Aus-schussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der FDP vor, überden wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-rungsantrag auf Drucksache 16/12901? – Die Gegen-stimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist der Ände-rungsantrag bei Zustimmung durch die einbringendeFraktion, bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen und Ablehnung im übrigen Haus abgelehnt.

Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damitist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustim-

1) Anlage 2

mung durch CDU/CSU, SPD und FDP, Gegenstimmender Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linkesowie einer Gegenstimme aus den Reihen der SPD undeiner Enthaltung aus den Reihen der SPD angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Wer für diesen Gesetzentwurfist, möge sich bitte erheben. – Die Gegenstimmen? – DieEnthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritterBeratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zu-vor angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache16/12902. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?– Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist derEntschließungsantrag bei Zustimmung durch Bünd-nis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke bei Ge-genstimmen im übrigen Haus abgelehnt.

Unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 16/12898 empfiehlt der Ausschuss, eineEntschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Die Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Damit ist die Entschließung bei Zustimmungdurch die Koalition angenommen. Dagegen hat die Frak-tion Die Linke gestimmt. Die Fraktion der FDP hat sichenthalten.

Wir setzen jetzt die Abstimmungen zu der Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-logie auf Drucksache 16/12898 fort. Der Ausschussempfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung dieAblehnung des Antrags der Fraktion Die Linke aufDrucksache 16/10842 mit dem Titel „Stromübertra-gungsleitungen bedarfsgerecht ausbauen – Bürgerinnen-und Bürgerbeteiligung sowie Energiewende umfassendberücksichtigen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durchCDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen der Frak-tion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnungdes Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 16/10590 mit dem Titel „Stromnetze zu-kunftsfähig ausbauen“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durchCDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Dagegen hatdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. DieFraktion Die Linke hat sich enthalten.

Wir kommen nun zu Nr. 4 der Beschlussempfehlungdes Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu derEntschließung des Ausschusses für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit unter Ziffer II auf Druck-sache 16/9477. Die Fraktionen Die Linke und Bünd-nis 90/Die Grünen haben im Ausschuss der vorgeschla-genen Erledigterklärung widersprochen, sodass wir inso-weit nicht über die Beschlussempfehlung abstimmen. In-terfraktionell wird Abstimmung in der Sache über den

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24003

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Entschließungsvorschlag des Ausschusses für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit gewünscht. Werstimmt für den Entschließungsvorschlag des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dafür stimmenBündnis 90/Die Grünen und Die Linke, dagegen stim-men CDU/CSU, SPD und FDP, Enthaltungen gibt eskeine. Dann ist der Entschließungsvorschlag abgelehnt.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 38 a bis e so-wie 38 g bis l sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf:

38 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-regelung des Rechts des Naturschutzes undder Landschaftspflege

– Drucksache 16/12785 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-regelung des Wasserrechts

– Drucksache 16/12786 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-lung des Schutzes vor nichtionisierender Strah-lung

– Drucksache 16/12787 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereini-gung des Bundesrechts im Geschäftsbereichdes Bundesministeriums für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit (Rechtsbereini-gungsgesetz Umwelt – RGU)

– Drucksache 16/12788 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Sat-zung vom 26. Januar 2009 der InternationalenOrganisation für erneuerbare Energien– Drucksache 16/12789 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

g) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesErsten Gesetzes zur Änderung des Treibhaus-gas-Emissionshandelsgesetzes– Drucksache 16/12853 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPHIV/AIDS-Forschung vorantreiben– Drucksache 16/11673 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Gesundheit

i) Beratung des Antrags des Bundesministeriumsder FinanzenEntlastung der Bundesregierung für dasHaushaltsjahr 2008 – Vorlage der Haushalts-und Vermögensrechnung des Bundes – (Jah-resrechnung 2008)– Drucksache 16/12620 – Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten KarinBinder, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEVerbraucherinformationsgesetz umgehendüberarbeiten– Drucksache 16/12847 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten UndineKurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, UlrikeHöfken, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Page 44: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16220.pdf · Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuervollzug

24004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Einführung einer Positivliste zur Haltung vonTieren im Zirkus

– Drucksache 16/12864 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

l) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, WinfriedHermann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENCarsharing-Stellplätze baldmöglichst privile-gieren– Drucksache 16/12863 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

ZP 4a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-kung der Rechte von Verletzten und Zeugenim Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz)– Drucksache 16/12812 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesErsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzeszur Regelung der Rechtsverhältnisse der Hel-fer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk– Drucksache 16/12854 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Regelung des Assistenzpflege-bedarfs im Krankenhaus – Drucksache 16/12855 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit (f)Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

d) Erste Beratung des von den Abgeordneten JosefPhilip Winkler, Volker Beck (Köln), EkinDeligöz, weiteren Abgeordneten und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Streichung des Op-tionszwangs aus dem Staatsangehörigkeits-recht– Drucksache 16/12849 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstMeierhofer, Frank Schäffler, Michael Kauch,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unter-nehmen abschaffen – Fairen Wettbewerb auchin der Abfallwirtschaft ermöglichen

– Drucksache 16/5728 – Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Detlef Parr, Dr. Max Stadler, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der FDP

Datei „Gewalttäter Sport“ auf verfassungs-mäßige Grundlage stellen

– Drucksache 16/11752 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Sportausschuss Rechtsausschuss

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeHöfken, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN

Milch-Exportsubventionen sofort stoppen –Weitere Zerstörung der Märkte in Entwick-lungsländern verhindern

– Drucksache 16/12308 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f)Finanzausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten GiselaPiltz, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Gemeinsames Internetzentrum auf gesetzlicheGrundlage stellen

– Drucksache 16/12471 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten HartfridWolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. MaxStadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP

Europarechtskonformes und nachvollziehba-res Nachzugsrecht schaffen – Metock-Urteildes EuGH sofort gesetzlich verankern

– Drucksache 16/12732 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24005

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten IngbertLiebing, Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert,Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD

Delfinschutz voranbringen

– Drucksache 16/12868 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Es handelt sich hier um Überweisungen im verein-fachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann ist so beschlossen.

Wir kommen zu den Beschlussfassungen zu Vorla-gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 39 a:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-derung der Bundesnotarordnung und andererGesetze

– Drucksache 16/8696 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 16/12896 –

Berichterstattung:Abgeordnete Markus Grübel Dr. Carl-Christian Dressel Christine Lambrecht Mechthild Dyckmans Sevim DağdelenJerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/12896, den Gesetzent-wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/8696 in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratungeinstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer möchte für den Gesetzent-wurf stimmen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DerGesetzentwurf ist in dritter Beratung einstimmig ange-nommen.

Tagesordnungspunkt 39 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Er-

richtung einer Stiftung Deutsche Geisteswis-senschaftliche Institute im Ausland, Bonn

– Drucksache 16/12229 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung (18. Ausschuss)

– Drucksache 16/12829 –

Berichterstattung:Abgeordnete Monika Grütters Swen Schulz (Spandau)Cornelia Pieper Dr. Petra Sitte Krista Sager

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 16/12829, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf Drucksache 16/12229 anzu-nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist inzweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPDund FDP angenommen. Gegenstimmen gab es keine.Enthalten haben sich die Fraktionen Bündnis 90/DieGrünen und Die Linke.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-entwurf zustimmen möchten, bitte ich, sich zu erheben. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältniswie vorher angenommen.

Tagesordnungspunkt 39 c:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Abkommen vom6. November 2008 zwischen der Bundesrepu-blik Deutschland und der Republik Österreichzur Vermeidung der Doppelbesteuerung aufdem Gebiete der Erbschaftsteuern bei Erbfäl-len, in denen der Erblasser nach dem 31. De-zember 2007 und vor dem 1. August 2008 ver-storben ist

– Drucksache 16/12236 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 16/12899 –

Berichterstattung:Abgeordnete Manfred Kolbe Lothar Binding (Heidelberg)

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 16/12899, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12236 an-zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurfzustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf angenom-men.

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24006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Tagesordnungspunkt 39 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Verbesserung der Absicherung von Zivil-personal in internationalen Einsätzen zur zivi-len Krisenprävention

– Drucksache 16/12595 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 16/12889 –

Berichterstattung:Abgeordnete Holger Haibach Uta Zapf Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller (Köln)

Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/12889, den Ge-setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12595 anzunehmen. Ich möchte diejenigen, die dem Ge-setzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen bit-ten. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-stimmt, möge sich bitte erheben. – Die Gegenstimmen? –Die Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Be-ratung einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 39 e:

Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerBrüderle, Frank Schäffler, Martin Zeil, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP

Interventionistische Industriepolitik bei derVerwertung von indirektem Bundesvermögenwie der Deutschen Postbank AG wirksam un-terbinden

– Drucksache 16/8411 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Damit ist der Antrag gegen die Stim-men der Fraktionen FDP und Bündnis 90/Die Grünenmit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 39 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-ordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte,Cornelia Hirsch, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKE

Energieverbrauch von Computern senken

– Drucksachen 16/8374, 16/9089 –

Berichterstattung:Abgeordnete Kerstin Andreae

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/9089, den Antrag auf Drucksa-che 16/8374 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss-empfehlung? – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen vonCDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Frak-tion Die Linke angenommen. Bündnis 90/Die Grünenhaben sich enthalten.

Tagesordnungspunkt 39 g:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-ordneten Ulla Lötzer, Katrin Kunert, Dr. BarbaraHöll, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKEFördergelder nur als Unternehmensbeteiligung– Drucksachen 16/8177, 16/9090 –Berichterstattung:Abgeordnete Doris Barnett

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/9090, den Antrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 16/8177 abzulehnen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-empfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linkemit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 39 h:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales(11. Ausschuss) zu dem Antrag der AbgeordnetenWerner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKETarifflucht verhindern – Geltung des Günstig-keitsprinzips bei Betriebsübergängen nach§ 613 a BGB sicherstellen– Drucksachen 16/10828, 16/11984 – Berichterstattung:Abgeordnete Brigitte Pothmer

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/11984, den Antrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 16/10828 abzulehnen. Werstimmt für die Beschlussempfehlung? – Die Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istmit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ange-nommen. Dagegen haben die Linke und Bündnis 90/DieGrünen gestimmt. Es gab keine Enthaltungen.

Tagesordnungspunkt 39 i:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)zu der Unterrichtung durch die BundesregierungMitteilung der Kommission an das Europäi-sche Parlament, den Rat, den EuropäischenWirtschafts- und Sozialausschuss und denAusschuss der Regionen

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24007

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Ein aktualisierter strategischer Rahmen fürdie europäische Zusammenarbeit auf dem Ge-biet der allgemeinen und beruflichen Bildung(inkl. 17535/08 ADD 1 und 17535/08 ADD 2)(ADD 1 in Englisch)KOM(2008) 865 endg.; Ratsdok. 17535/08

– Drucksachen 16/11819 Nr. A.28, 16/12827 –

Berichterstattung:Abgeordnete Carsten Müller (Braunschweig)Willi Brase Patrick Meinhardt Cornelia Hirsch Priska Hinz (Herborn)

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt fürdie Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men von CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. DieLinke hat dagegengestimmt. Bündnis 90/Die Grünen ha-ben sich enthalten.

Tagesordnungspunkte 39 j bis 39 q. Wir kommen zuden Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 39 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 553 zu Petitionen

– Drucksache 16/12701 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 39 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 554 zu Petitionen

– Drucksache 16/12702 –

Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? –Einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 39 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 555 zu Petitionen

– Drucksache 16/12703 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen vonCDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Die Linke hatdagegengestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sichenthalten.

Tagesordnungspunkt 39 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 556 zu Petitionen

– Drucksache 16/12704 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 39 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 557 zu Petitionen

– Drucksache 16/12705 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist gegen die Stimmender Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigenHauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 39 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 558 zu Petitionen

– Drucksache 16/12706 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen. Zuge-stimmt haben CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegenge-stimmt hat die Fraktion Die Linke. Bündnis 90/DieGrünen haben sich enthalten.

Tagesordnungspunkt 39 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 559 zu Petitionen

– Drucksache 16/12707 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen vonCDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Dagegen habendie Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünengestimmt. Enthaltungen gab es nicht.

Tagesordnungspunkt 39 q:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 560 zu Petitionen

– Drucksache 16/12708 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen vonCDU/CSU und SPD angenommen. Dagegen haben dieübrigen drei Fraktionen gestimmt.

Zusatzpunkt 5 a:

Beratung des Antrags der Abgeordneten MonikaGrütters, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), PeterAlbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU, der Abgeordneten Steffen Reiche(Cottbus), Monika Griefahn, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten Hans-JoachimOtto (Frankfurt), Christoph Waitz, Burkhardt

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24008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP

Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

– Drucksache 16/12866 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig angenom-men.

Zusatzpunkt 5 b:

Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, CorneliaHirsch, weiterer Abgeordneter und der FraktionDIE LINKE

Dauerhaften Schutz des Klosters Mor Gabrielsicherstellen

– Drucksache 16/12848 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist gegen die Stim-men von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DieLinke mit den Stimmen des übrigen Hauses ablehnt.

Zusatzpunkt 5 c:

Beratung des Antrags der Abgeordneten ClaudiaRoth (Augsburg), Ekin Deligöz, Kai Gehring,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

– Drucksache 16/12867 –

Hierzu liegt eine Erklärung zur Abstimmung der Kol-leginnen Claudia Roth und Dr. Thea Dückert vor.1) Eineweitere Erklärung der Kollegin Luc Jochimsen wirdmündlich vorgetragen. Die mündliche Erklärung werdenwir nach der Abstimmung hören.

Jetzt bitte ich diejenigen, die für diesen Antrag stim-men wollen, die Hand zu heben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Damit ist der Antrag gegen die Stim-men von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion DieLinke mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionenabgelehnt. Die FDP hat sich enthalten.

Frau Jochimsen, bitte.

Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe dem Antrag der Koalitionsfraktionen zuge-stimmt, weil er wichtig und richtig ist und obwohl ichmich und die Arbeit meiner Fraktion durch diesen An-trag auf das Äußerste diskriminiert sehe. Ich habe zuge-stimmt, obwohl der Antrag der Koalitionsfraktionen ur-sprünglich von mir initiiert und zum großen Teil verfasstworden ist, nachdem ich mich zusammen mit den Kolle-ginnen Claudia Roth und Monika Griefahn im KlosterMor Gabriel erkundigt habe.

Ich habe dem Antrag zugestimmt, weil wir uns in derSache vollkommen einig sind. Die Koalitionsfraktionen

1) Anlage 3

haben ja durch die Einladung an FDP und Bündnis 90/Die Grünen den fraktionsübergreifenden Charakter desAntrags betont. Ich frage mich allerdings: Warum wer-den wir ausdrücklich ausgeschlossen? Warum wurde einvollkommen gleichlautender Antrag von uns, der sich innichts von dem Antrag der Großen Koalition unterschei-det, in diesem Hause abgelehnt? Ich habe dem Antragzugestimmt, obwohl ich mich frage, welche parlamenta-rische Kultur hier eigentlich zum Ausdruck kommt.Wieso grenzt man diejenigen aus, deren Idee und Textman sich zu eigen macht? Die drei Anträge hätten gut ei-ner sein können, gerade um der Hilfe für Mor Gabrielwillen. Ein schlechtes Schauspiel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zusatzpunkt 5 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zuder Unterrichtung durch die Bundesregierung

Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-schen Parlaments und des Rates über dieFahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr undzur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen denfür die Durchsetzung der Verbraucherschutz-gesetze zuständigen nationalen Behörden(inkl. 16933/08 ADD 1 und 16933/08 ADD 2)(ADD 1 in Englisch) KOM(2008) 817 endg.; Ratsdok. 16933/08

– Drucksachen 16/11721 Nr. A.10, 16/12897 –

Berichterstattung:Abgeordnete Michael Grosse-Brömer Dirk Manzewski Mechthild Dyckmans Sevim DağdelenJerzy Montag

Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-tung eine Entschließung anzunehmen. Wer ist für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmenvon CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Dagegengestimmt hat niemand. Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU undder SPD

Gemeinsam gegen Gewalt – Ächtung der Aus-schreitungen und schweren Gewaltstraftatenam 1. Mai

Das Wort als erster Redner in dieser Debatte hat derKollege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24009

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Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Die CDU/CSU-Fraktion hat auf der Durchführung dieserAktuellen Stunde bestanden, weil es für uns nicht erklär-bar und nicht akzeptabel wäre, wenn sich die Menschenin ganz Deutschland über die Eskalation der Gewalt am1. Mai hier in Berlin und anderenorts zu Recht empören,im Deutschen Bundestag aber kein Wort darüber verlo-ren wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb ist es richtig, dass diese Aktuelle Stunde heutestattfindet.

Gestern Abend hat die Berliner Polizei das traurigevorläufige Resümee dieser Maikrawalle mitgeteilt: Ins-gesamt wurden 479 Polizeibeamte zum Teil schwer ver-letzt. 27 von ihnen sind bis heute nicht wieder dienstfä-hig. An Verletzungen haben die Polizeibeamten schwerePrellungen erlitten; sie haben schwere Hämatome an denBeinen und am Oberkörper, verursacht durch Treffer vonWurfgeschossen. Die schwereren Verletzungsbefundereichen von Bänderrissen am Fuß über Kopfplatzwun-den, Brüche, Augenverletzungen durch Glassplitter bishin zu Knalltraumata durch Böller.

Den verletzten Polizistinnen und Polizisten und ihrenAngehörigen gehört unser Mitgefühl. Wir danken ihnendafür, dass sie hier in Berlin und anderenorts, Leib undLeben gefährdend, ihren Dienst für Rechtsstaatlichkeitund Demokratie geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP und der Abg.Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])

Wir danken der Berliner Staatsanwaltschaft, die klarausspricht, was Sache ist, und Verfahren wegen versuch-ten Mordes eröffnet. Ich sage sehr deutlich: Wir hättenuns eine so klare Benennung der Sachverhalte nicht nurvon der Berliner Staatsanwaltschaft, sondern auch vonanderen, von den politisch Verantwortlichen, gewünscht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es ist der Kernauftrag moderner Staatlichkeit, Gewaltund vor allem die Eskalation von Gewalt durch das staat-liche Gewaltmonopol verlässlich zu unterbinden. ImRechtsstaat darf es keine rechtsfreien Räume geben. DieDemokratie, der Rechtsstaat darf den öffentlichen Raumauch nicht ansatzweise extremistischer Randale überlas-sen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Es ist völlig egal, ob bei solchen Eskalationen und Ge-waltausbrüchen rechte oder linke Parolen gebrüllt wer-den: Gewalteskalationen dieser Art müssen mit allen le-gitimen Mitteln des Rechtsstaates entschieden bekämpftwerden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist interessant, sich die Biografien und Lebensläufederjenigen, deren Identität bei den Aufgriffen und Ver-haftungen festgestellt wurde, anzusehen. Die wenigstensind Berliner; es sind Gewalttouristen und Chaoten, dieaus der ganzen Republik zusammenkommen und mei-nen, den 1. Mai für eine solche Eskalation der Gewaltmissbrauchen zu dürfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen aber auch diejenigen zur Verantwortungziehen, die solche Demonstrationen mit anmelden undbefürworten. Das gilt auch für Kirill Jermak, der für dieLinke Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung istund diese Demonstration angemeldet hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!)

Verehrte Frau Kollegin Lötzsch – Sie werden eben-falls in dieser Aktuellen Stunde sprechen –, Sie könnenes sich nicht so einfach machen, lapidar festzustellen, dieAnmeldung dieser Demonstration durch Herrn Jermaksei dessen Privatangelegenheit gewesen und es handelesich um einen noch sehr jungen Mann, mit dem manjetzt mal richtig reden müsse.

Dieser junge Mann ist 21 Jahre alt. Er ist von IhrerFraktion aufgestellt worden und Mitglied einer Bezirks-verordnetenversammlung in Berlin. Sie können dessenAgitation im Hintergrund nicht als die Privatsache einesverirrten jungen Menschen abtun, der erst auf den richti-gen Weg gebracht werden muss.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Ich habe in SpiegelOnline vom 24. April dieses Jahres ein interessantes Zi-tat von Oskar Lafontaine gefunden: „Wenn die französi-schen Arbeiter sauer sind, dann sperren sie Manager malein.“ Dann sagt er weiter: Das würde ich mir auch hierwünschen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN –Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKE ge-wandt: Ihr habt einen Vogel da drüben!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie müssen dringend zum Ende kom-

men.

Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken,

wer einen Vorturner hat, der solche Äußerungen macht,der muss sich nicht wundern, wenn manche aus Ihren Rei-hen meinen, Demonstrationen anmelden zu müssen, –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege.

Hartmut Koschyk (CDU/CSU): – die in einem solchen Gewaltchaos enden wie am

1. Mai dieses Jahres in Berlin.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

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24010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) (C)

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Markus Löning hat das Wort für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Markus Löning (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Las-

sen Sie mich mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin,einige Aussagen von beteiligten Polizisten zitieren. ZweiPolizisten der Bereitschaftspolizei Hamburg haben Fol-gendes vorgetragen:

Die Nacht des 1. Mai in Kreuzberg gehört mit zuden schlimmsten Einsätzen unserer Laufbahn.... Esflogen Steine und Flaschen. Vor uns waren BerlinerKollegen, die in kleinen Gruppen vorgehen muss-ten. Das war wie ein Opfergang. Die hatten keineRückendeckung, wurden von allen Seiten bewor-fen. Uns fehlten die Wasserwerfer. Es gab keinenSchutz an den Flanken. Neben mir fielen Kollegenum, die von Wurfgeschossen getroffen wurden …Feuerwerksraketen wurden auf uns abgeschossen…Der Einsatz in Berlin war eine Frechheit. Wir wur-den verheizt. Die Festnahmen sind kein Erfolg. Siesind wegen der Planlosigkeit und der Inkonsequenzder Polizeiführung teuer erkauft.

Ein weiterer Polizist:

Wir kamen uns vor wie ein Bauernopfer … DieStimmung auf der Demo war aufgeladen, bald flo-gen die ersten Steine und Flaschen. Über Funk rie-fen Kollegen bereits um Hilfe, doch es gab die An-weisung, keine Festnahmen zu machen … Kollegenvon mir flüchteten über einen Zaun, ich habe esnicht geschafft und rannte um mein Leben.

Ein anderer Polizist:

Als der Umzug bei uns auftauchte, wurden wir so-fort bespuckt, beleidigt, beworfen, bedroht. Plötz-lich flogen Steine auf uns … Der Einsatzleiter gabden Befehl: Umzug passieren lassen! Keine Fest-nahmen! Wir waren entsetzt. Die Straftäter mar-schierten an uns vorbei und lachten uns aus. Ver-letzte Kollegen wurden nach 20 bis 30 Minutenbehandelt …

Die Feuerwehr musste warten. Weiter sagt dieser Poli-zist:

Die Polizei hat an diesem Tag rechtsfreie Räumezugelassen … Ich habe keine Lust mehr, für politi-sche Idioten den Hampelmann zu spielen!

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich könnte weitere Zitate vortragen. Das, was wir hierhören, ist erschütternd. Es ist die Frage nach der politi-schen Verantwortung zu stellen. Es ist ganz klar, werhier die politische Verantwortung trägt: Das ist der Berli-ner Innensenator.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Er hat dieses verfehlte Einsatzkonzept zu vertreten. Wirhören, dass 479 Kolleginnen und Kollegen von der Poli-zei verletzt sind. Ich möchte von dieser Stelle aus diesen

Kolleginnen und Kollegen die besten Genesungswün-sche übermitteln.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte all denjenigen Polizisten Anerkennung aus-sprechen, die an diesem sehr schweren Einsatz teilge-nommen haben.

Eines ist klar: Die Gewalttäter meinen uns alle. Siezielen auf Demokratie, sie zielen auf Rechtsstaatlichkeit,und sie zielen auf Freiheit. Was wir dort erleben muss-ten, ist ein Angriff auf unseren freiheitlichen Rechtsstaatund offenbart ein menschenverachtendes Denken.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wer Steine wirft, wer in Kauf nimmt, dass Menschenverletzt werden, und wer letzten Endes das Risiko ein-geht, dass Menschen getötet werden, offenbart totalitäresDenken. Dem treten wir mit aller Entschiedenheit entge-gen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Frau Lötzsch, Sie kommen hier nicht so billig davon.Es ist mir unverständlich, dass Sie mit großer Empörungauf die Straße gehen, wenn Rechtsradikale Gewalt aus-üben; Sie empören sich zu Recht darüber. Aber was ma-chen Sie, wenn ein Mitglied und ein Mandatsträger IhrerPartei nicht nur eine solche Versammlung anmeldet, wis-send, was dann dort passieren wird, sondern das hinter-her auch noch legitimiert? Er sagte im Fernsehen: Es istschade, wenn Unbeteiligte betroffen sind. – Was heißtdenn das? Das heißt doch, dass er es in Ordnung findet,wenn Polizisten verletzt werden. Ich frage mich, wie dieLinkspartei damit leben kann und umgehen will. Siewollen nun ein pädagogisches Gespräch mit diesemMann führen. Das ist doch nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

In Ordnung wäre es gewesen, wenn Sie gesagt hätten:Der Mann fliegt aus unserer Partei. – Das wäre einedeutliche Distanzierung gewesen. Ich vermisse Ihre Dis-tanzierung von diesem totalitären und menschenverach-tenden Denken in Ihrer Partei.

Wir, die Liberalen, verteidigen unseren Rechtsstaat.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Heuchler! – Wei-terer Zuruf von der LINKEN: Neoliberale!)

Wir stellen uns gegen jeden – egal ob Gewalt und totali-täres Denken mit rechten oder linken Parolen verbrämtwerden –, der den Rechtsstaat, die Freiheit und die De-mokratie angreift. Ich fordere alle anderen Demokratenauf, dies ebenfalls zu tun und ohne Unterschied Gewaltund Angriffe auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu ver-urteilen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sebastian Edathy spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Sebastian Edathy (SPD): Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich vor

dem Hintergrund der beiden bereits erfolgten Debatten-beiträge zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Ichglaube, es wäre dem Thema nicht angemessen, wenn wirnun dazu übergingen, es parteipolitisch zu instrumentali-sieren.

(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: [CDU/CSU]: Das machen wir auch garnicht! Es geht um die Regierung, nicht um diePartei!)

Zweitens. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken,dass der Bundestag aus 612 potenziellen Demonstra-tionseinsatzführern besteht. Ich habe grundsätzlich Ver-trauen darin, dass diejenigen, die in der Exekutive und inleitender Polizeifunktion tätig sind, ihrer Verantwortungdurchaus gerecht werden.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: In Berlin habe ich kein Vertrauen!)

Man sollte ihnen nicht Böswilligkeit oder Fahrlässigkeitunterstellen.

Gemeinsam gegen Gewalt, so lautet der Titel der heu-tigen Aktuellen Stunde. Dieser Satz gilt nicht nur mitBlick auf den 1. Mai, sondern 365 Tage im Jahr. Manmuss im Zusammenhang mit dieser Diskussion zweiDinge klar im Auge behalten. Erstens. Die Demonstra-tionsfreiheit ist ein fundamentales Grundrecht. Zweitens.Selbst wenn es manchmal schwerfällt – mir fällt es oftschwer, das zu bejahen –: Dazu gehört, dass auch Extre-misten zunächst einmal Grundrechtsträger sind. DieWahrnehmung der Grundrechte findet natürlich ihre Be-schränkung dort, wo die Rechte anderer verletzt werden.Das hat am 1. Mai in Hannover dazu geführt, dass eineDemonstration wegen zu erwartender massiver Gewalt-tätigkeit aus den Reihen von Rechtsextremisten – wieich finde: völlig zu Recht – verboten wurde.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das ist auch eine gute Landesregierung!)

– Darüber entscheiden nicht die Landesregierungen,sondern die Gerichte in unserem Land.

(Zuruf von der CDU/CSU: Erst einmal müssen Anträge gestellt werden!)

Für Berlin gilt: Das Geschehen vom 1. Mai sollte zumAnlass genommen werden, künftig möglicherweiseebenso zu verfahren, zumindest aber strengere Auflagenzu machen.

(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])

Mehr als 100 Bundespolizisten wurden am 1. Mai inder Hauptstadt verletzt. Diese Beamten und ihre Länder-kollegen stehen für das Gewaltmonopol des Staates ein.Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker,sicherzustellen, dass sie diese Aufgabe unter zumutbarenBedingungen erfüllen können.

(Beifall bei der SPD)

Die Polizei schützt den Rechtsstaat, und sie hat umge-kehrt einen Anspruch darauf, durch den Rechtsstaat ge-schützt zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Verantwortung für ein friedliches Demonstra-tionsgeschehen liegt, was das Verhalten der Demon-stranten betrifft, in erster Linie bei den Veranstaltern.Aufgabe der Polizei ist es im Wesentlichen, Störungenvon außen zu verhindern. Bei Anhaltspunkten dafür,dass sich gewaltbereite Teilnehmer an einer Demonstra-tion beteiligen wollen, sind Vorkontrollen von Demon-strationsteilnehmern unabdingbar, um zum Beispiel dasMitführen gefährlicher Gegenstände zu verhindern. DieVeranstalter müssen für Ordnungskräfte sorgen, die ord-nungsgemäße Zustände im Demonstrationszug gewähr-leisten. Sie müssen sich von gewaltbereiten Demon-stranten eindeutig und unmissverständlich distanzieren.

Einen Bedarf an Gesetzesänderungen, wie er zum Teilim Hamburger Senat gesehen wird, kann ich nicht erken-nen, wohl aber einen Bedarf dafür, das geltende Rechttatsächlich zur Anwendung zu bringen. Klar ist: Wer ei-nen Polizisten angreift, greift das Gemeinwesen insge-samt an.

(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist der erste richtige Satz in IhrerRede! – Markus Löning [FDP]: Sagt das docheurem Koalitionspartner in Berlin!)

Der bestehende Strafrahmen reicht allerdings für dieAhndung solcher Straftaten völlig aus.

(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Zum Thema!)

Wichtig erscheint mir, die gerichtliche Aburteilung zeit-nah erfolgen zu lassen. Dazu ist es nicht zuletzt erforder-lich, dass vor Ort eine ausreichende Zahl an Staatsan-wälten vorhanden ist.

Sorge macht mir, dass wir am 1. Mai in Dortmund,aber auch im Nachgang zu einer Neonazidemonstrationin Dresden am 14. Februar gewaltsame Übergriffe vonRechtsextremisten erleben mussten. Wir hatten es mitmarodierenden Banden zu tun, die zum Teil auf der An-reise oder der Abreise zu oder von einer Demonstrationwaren. Es gehört zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grund-sätze dazu, dass wir die Polizei in die Lage versetzen,solche umherziehenden Gruppierungen stärker zu be-obachten und im Einzelfall auch zu begleiten.

1 937 Personen wurden nach der jüngst vorgestelltenPolizeilichen Kriminalitätsstatistik im Jahr 2008 Opfervon politisch motivierten Körperverletzungen. LassenSie mich für meine Fraktion zwei Dinge unmissver-ständlich sagen:

Erstens. Diese Zahlen – auch die Zahl der Opfer, diewir im Nachgang dieser unsäglichen Demonstration vom1. Mai in Berlin feststellen mussten – sind Realität. Aberwir dürfen niemals dazu kommen, diese Zahlen als Nor-malität zu betrachten.

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Sebastian Edathy

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zweitens. Wir feiern in diesem Jahr das 60-jährigeBestehen unserer Verfassung. Es gilt, immer wieder da-für zu sorgen, dass die Grundsätze unserer Demokratieverteidigt und auch durchgesetzt werden können. Dazugehört zuallererst die Unantastbarkeit der menschlichenWürde. Dazu gehört auch, die Versammlungsfreiheitnicht einzuschränken, aber zugleich, ihren Missbrauchnicht zuzulassen. Das gilt in diesem Land nicht nur am1. Mai. Das gilt in diesem Land an jedem Tag.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dr. Gesine Lötzsch hat jetzt für die Fraktion Die

Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder[CDU/CSU]: Jetzt wollen wir mal eine Ent-schuldigung hören!)

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir führen hier eine Debatte, die eigentlich indas Berliner Landesparlament gehört.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, überhaupt nicht! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Aber ich habe nach den Beiträgen der Abgeordneten vonCDU/CSU und FDP den Eindruck, dass nicht nur derBild-Zeitung, sondern auch einigen politischen Vertre-tern diese Unruhen und Krawalle wie gerufen kommen.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Diese Un-terstellung ist unerhört! – Weitere Zurufe vonder CDU/CSU)

Stellen Sie sich doch nur einen Moment vor, es hättediese Ausschreitungen nicht gegeben! Dann hätten wirheute über die Sicherung von Arbeitsplätzen bei Opel,die Forderung der Gewerkschaften und der Linken nacheinem dringend notwendigen 100-Milliarden-Euro-Kon-junkturprogramm,

(Hellmut Königshaus [FDP]: Was ist das denn für ein Unding!)

die Forderung unserer Fraktion nach einer Millionärsab-gabe oder über die gewalttätigen Ausschreitungen derNazis gegen friedliche Demonstranten am 1. Mai in dergesamten Bundesrepublik sprechen müssen.

(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal zum Thema Berlin!)

Um es ganz klar zu sagen: Die Linke ist gegen Ge-walt. Das weiß jedes Kind; aber ich sage es hier nocheinmal ganz deutlich.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei derCDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]:Lachnummer!)

Wir sind gegen Gewalt gegen Demonstranten, wir sindgegen Gewalt gegen Polizisten, und wir sind natürlichauch gegen Gewalt gegen Unbeteiligte. Wir, Die Linke,sind sogar die einzige Partei im Bundestag, die Gewaltals Mittel der Politik weder im Inland noch im Auslandbilligt. Sie lehnt Gewalt strikt ab.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)

Die Bild-Zeitung forderte nun – das klang in der De-batte schon an –, dass man den Anmelder der 1.-Mai-Demo sofort wegsperren solle. Damit zeigen die Bild-Zeitungsredakteure, dass sie das Grundgesetz nicht ken-nen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was wollen Sie jetzt mit Jermak machen?)

Ich darf Ihnen Art. 8 des Grundgesetzes zitieren:

Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmel-dung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zuversammeln.

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Friedlich! Ohne Waffen!)

Die Anmeldung einer 1.-Mai-Demonstration ist also bei-leibe kein Grund, jemanden einzusperren, wie es dieBild-Zeitung gefordert hat, sondern ein Grundrecht, dasin unserem Grundgesetz festgelegt ist.

(Beifall bei der LINKEN – Hartmut Koschyk[CDU/CSU]: Aber wie gehen Sie jetzt damitum? Sagen Sie doch mal, wie Sie mit HerrnJermak umgehen!)

Der 21-jährige Kirill Jermak hat diese Demonstrationweder im Auftrag noch mit Wissen von Gremien derPartei Die Linke angemeldet.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das sagt kein Mensch!)

Aber, verehrter Kollege Löning, wir lassen uns von derFDP nicht vorschreiben, ob wir jemanden aus unsererPartei ausschließen, um das ganz klar zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Jermak hat einen Fehler gemacht, weil er sich soverhalten hat, wie es unsere politischen Gegner gewollthaben, um von den Problemen in unserem Land abzulen-ken. Er hat für eine Demonstration Verantwortung über-nommen, die er nicht tragen konnte. Das ist der Fehler,den er gemacht hat. Ich sage Ihnen aber noch einmal klarund deutlich: Wir lassen uns hier im Bundestag keineParteiausschlussdebatten aufzwingen. Da sind Sie an dervöllig falschen Adresse.

(Beifall bei der LINKEN – Markus Löning[FDP]: Sie haben Umgang mit solchen Leu-ten!)

Ein Skandal sind die Überfälle am 1. Mai in Dort-mund, Rotenburg und vielen anderen Städten auf friedli-che Demonstranten.

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Dr. Gesine Lötzsch

(Markus Löning [FDP]: Versuchen Sie nicht, abzulenken!)

In der Dortmunder Innenstand gingen 300 Neonazis mitHolzstangen und Steinen auf Teilnehmer einer DGB-Kundgebung los. In Berlin demonstrierten Bürger fried-lich und erfolgreich gegen eine Demonstration der NPDin Treptow-Köpenick.

(Beifall bei der LINKEN)

Abgeordnete der Linken waren vor Ort und berichtetenüber die Brutalität des Polizeieinsatzes.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die hätten in Kreuzberg sein sollen!)

Es ist für mich völlig unverständlich, dass der Aufstandder Anständigen, der so oft gefordert wird, niederge-knüppelt wird, um die Demonstration einer verfassungs-feindlichen Partei zu schützen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Hier gebe ich nicht allein der Polizei die Schuld, sondernauch denjenigen, die sich seit Jahren gegen ein Verbots-verfahren gegen die NPD stellen. Wir brauchen das Ver-botsverfahren jetzt. Dann gibt es nicht solche Situatio-nen, in die auch die Polizei getrieben wird.

(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder[CDU/CSU]: Selber für eine gewalttätige De-monstration verantwortlich sein und dann das!Das ist ja unerträglich! – Weiterer Zuruf vonder CDU/CSU: Peinlich, Ihr Auftritt!)

Ich kann Ihnen den Artikel Lob der Unruhe vonHeribert Prantl aus der Süddeutschen Zeitung vom letz-ten Wochenende empfehlen. – Herr Kauder, melden Siesich doch zur Debatte, und rufen Sie nicht immer dazwi-schen. Sie sind immerhin Fraktionsvorsitzender. – DasZitat von Herrn Prantl lautet:

Ordnung ist gut, Freiheit ist schlecht. Das klingtnoch heute in den politischen Debatten durch, mitdenen neue Sicherheitsgesetze begründet werden;

(Hellmut Königshaus [FDP]: Der hat nichtüber Steinewerfer geredet! – Hartwig Fischer[Göttingen] [CDU/CSU]: Das zeigt doch, wel-ches Geistes Kind Sie sind!)

die Beschränkung der Freiheitsrechte soll mehr Si-cherheit bringen. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht,Unruhe eine Pflichtverletzung.

Ich warne alle davor, die sinnlosen und brutalen Kra-walle am 1. Mai zum Vorwand zu nehmen, um die Men-schen einzuschüchtern. Die fernsehgerechten Bilder, diein den Tagen davor herbeigewünscht und heimlich her-beigeschrieben wurden,

(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Sie sind ja eine richtige Brandstifterin!)

die brennenden Mülltonnen und Autos werden von Ih-nen instrumentalisiert, um die Menschen davon abzuhal-ten, ihre Bürgerrechte in Anspruch zu nehmen.

(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Siesind eine Brandstifterin! – Weitere Zurufe vonder CDU/CSU)

– Ich kann es wiederholen, damit es sich alle merken:Die Linke ist für friedliche Mittel, für friedliche Verän-derung der Gesellschaft. Da können Sie noch so vielbrüllen. Sie werden nicht verhindern können, dass wirdiese Position immer und immer wieder vertreten.

(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie leiden ja an Bewusstseinstrü-

bung!)

Die Forderung, jemanden, der das Grundrecht in An-spruch nimmt,

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es gibt dochkein Grundrecht auf Krawall! Es geht umfriedliche Demonstrationen!)

Demonstrationen anzumelden, einzusperren, ist absurd.Wir als Linke werden das Grundgesetz weiter gegen An-griffe verteidigen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Auch das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, das ge-rade in Krisenzeiten genutzt und verteidigt werden muss.

(Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer[Göttingen] [CDU/CSU]: Wie war das? MitFeuer und Flamme?)

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün-sche uns noch eine erfreuliche Debatte.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Dr. Kristina Köhler hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Die Gewalttaten am 1. Mai waren keine Überra-schung, sie waren vorher angekündigt. Überraschtschauten nur die, die sich eigentlich um die Sicherheit inder Stadt hätten kümmern sollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist eigentlich Körting?)

Auf jeden Fall hat sich eines erneut bestätigt: Diese Ex-tremisten beantworten das Prinzip der ausgestrecktenHand mit dem Prinzip des ausgestreckten Mittelfingers.Diese Menschen mögen unser Land hassen, sie mögenunsere Gesellschaft verachten, und sie mögen immernoch an ihre ewig gestrigen und menschenverachtendenIdeologien glauben; aber lassen Sie uns heute den Extre-misten, und zwar jeglicher Coleur, in aller Deutlichkeitsagen: Sie werden ihren Kampf gegen unsere Demokra-tie nicht gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

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Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden)

Nun geistert immer wieder die These herum, inKreuzberg habe man es im Grunde mit ein paar Chaotenohne großen politischen Hintergrund zu tun gehabt. Ichgebe zu, dass die intellektuelle Kraft der Argumente, dieman bei dieser Demo gehört hat, etwas zu wünschen üb-rig ließ.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Waren Sie denn da?)

Wenn man sich aber die Unterstützerliste dieser 18-Uhr-Demonstration anschaut, liest sich das wie das Who’swho des Linksradikalismus und des Linksextremismusin Berlin. Ich nenne nur exemplarisch die Antifaschisti-sche Linke Berlin, die Antifaschistische RevolutionäreAktion Berlin, die DKP Berlin, die Jugendantifa Berlin,die Sozialistische Deutsche ArbeiterInnenjugend Berlinund interessanterweise auch die Gruppe „Bildungsblo-ckaden einreißen“, die Gruppe, die im letzten Jahr dieangebliche Schülerdemonstration veranstaltet hat, ausderen Mitte heraus dann eine Ausstellung der Humboldt-Universität über jüdisches Leben in Deutschland zerstörtwurde.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört, hört!)

Es zeigt sich also ganz klar: Diese Ausbrüche am 1. Maiwaren keine Ausbrüche ein paar unpolitischer Chaoten;es waren linksextreme Gewalttaten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieser 1. Mai mahnt uns daher eindrücklich, auch dielinksextremistische Gefahr nicht aus dem Auge zu ver-lieren. Die wehrhafte Demokratie darf auf keinem Augeblind sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie darf es nicht auf dem rechten Auge sein – gegen dieNPD hat man am 1. Mai demonstriert, und das war rich-tig –, sie darf es aber auch nicht auf dem linken Augesein. Mir ist leider nicht bekannt, dass eine Demonstra-tion gegen die Linksextremisten in Kreuzberg angemel-det wurde. Wo war denn die Gegendemonstration für dieRechte der Menschen, deren Autos in den letzten Jahrenabgefackelt wurden? Wo war denn die Gegendemonstra-tion für die Rechte der Berliner, deren Garagen oderHäuser zerstört wurden? Wo war denn die Gegende-monstration für Solidarität mit den Polizisten oder mitden Unbeteiligten, die mit Molotowcocktails und Stra-ßenplatten malträtiert wurden? Die gab es nicht. Es gabkeinen Aufstand der Anständigen.

Stattdessen wird einer demokratischen Volksparteiwie der CDU ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ver-wehrt.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es! –Mechthild Rawert [SPD]: Sie hat zurückgezo-gen!)

Die CDU wollte auf dem Myfest einen Informations-stand errichten. Daraufhin wurden die Mitglieder derCDU an Leib und Leben bedroht, und der Berliner Poli-zeipräsident ließ verlauten, er könne für ihre Sicherheitnicht garantieren. Die Kommunistische Plattform der

Linkspartei hat ihren Stand auf dem Myfest errichtet, derCDU wurde dies unterbunden.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das istderen Demokratieverständnis! – Hans-ChristianStröbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siebringen das alles durcheinander! Sie hättenmir vorher mal Ihre Rede geben sollen!)

Wir müssen also feststellen: Es gibt in dieser Stadt No-go-Areas für Demokraten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Darüber schmunzeln Sie bei der Linken jetzt viel-leicht; aber Sie sollten sich einmal an das Zitat RosaLuxemburgs erinnern: „Freiheit ist immer die Freiheitder Andersdenkenden.“ Von dieser Erkenntnis sind dieseLinksautonomen meilenweit entfernt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das waren menschenver-achtende Anschläge der übelsten Sorte. Die Gewerk-schaft der Polizei berichtet, dass Polizisten mit Molo-towcocktails, mit Pflastersteinen und mit Gehwegplattenbeworfen wurden. Schon im Jahr 2008 verübten Links-extremisten in Deutschland 635 politisch motivierteStraftaten allein gegen die Polizei. Dazu trägt natürlichauch bei, dass autonome Gruppen und Gewalttäter vorSelbstbewusstsein inzwischen geradezu strotzen. Sieglauben, durch die Finanz- und Wirtschaftskrise Rück-halt in der Bevölkerung zu genießen. Zu diesem Selbst-bewusstsein haben sicherlich auch diejenigen beigetra-gen, die in den letzten Wochen in geradezuunverantwortlicher Weise soziale Unruhen herbeigeredethaben.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:Richtig! – Sebastian Edathy [SPD]: Wer hatdenn das getan? Wer hat denn soziale Unruhenherbeigeredet?)

Wir müssen zeigen, dass der Extremismus keinenRückhalt in der Bevölkerung genießt. Das zeigen wirbeim Kampf gegen Rechtsextremismus, das zeigen wirbeim Kampf gegen Islamismus, und das müssen wirendlich auch beim entschiedenen Kampf gegen Links-extremismus zeigen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hans-Christian Ströbele hat jetzt das Wort für

Bündnis 90/Die Grünen.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Jetzt kommenInsiderinformationen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommen Beteiligte! Auf geht’s!)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Liebe Öffentlichkeit! Ich habe gestern am spätenAbend im Berliner Lokalfernsehen einen Bericht über

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Hans-Christian Ströbele

den 1. Mai gesehen. Da wurden die Schmerzensschreieeines von einem Stein an der Schläfe getroffenen Man-nes wiedergegeben. Diese Schreie gingen durch Markund Bein. Ich sage deshalb, Herr Kollege Koschyk:Nicht nur die Verletzungen der Polizeibeamten, sondernauch die der Unbeteiligten – in diesem Fall war es wahr-scheinlich ein Journalist –

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wer hat denn die Steine geworfen?)

und der verletzten Demonstranten sind äußerst zu bedau-ern. Ich wünsche allen Verletzten gute Besserung. Ichhoffe, dass sie keine Schmerzen mehr haben und keinebleibenden Schäden zurückbehalten. Ich mache keinenUnterschied zwischen Polizisten und anderen.

(Beifall im ganzen Hause – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Da haben wir keinen Dissens!)

– Die anderen kamen bei Ihnen nicht vor, Herr Kollege.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben Sie jetzt ergänzt! Weiter!)

Ich war am 1. Mai dabei.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das war klar!)

Ich war von 13 Uhr bis in die späte Nacht auf zwei Fes-ten. Frau Kollegin Köhler, es gab zwei Maifeste: einMyfest und ein Maifest. Ich war auf beiden.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Beide mit Ströbele!)

Diese Feste waren nicht nur Stätten des Feierns und derpolitischen Diskussion von 40 000 Menschen, sondernsie waren auch ein Mittel der Deeskalation; sie waren einMittel, um an diesem 1. Mai Gewalttätigkeiten und Aus-schreitungen möglichst zu verhindern.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat ja prima geklappt!)

Angesichts der Berliner Geschichte versuchen wir seitMitte der 80er-Jahre, zu erreichen, dass in Kreuzberg– auch am 1. Mai – keine Gewalt stattfindet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-KEN)

Sie haben diesen Bemühungen mit dieser AktuellenStunde überhaupt nicht gedient.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kollege Koschyk, ich habe von Ihnen und anderenbisher nicht den Hauch eines Vorschlages gehört, wieman damit umgeht.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ach, hierdürfen wir über Gewalteskalation nicht mehrreden?)

Ich habe die revolutionäre Demonstration am 1. Maivon 18.40 Uhr bis etwa 22 Uhr begleitet. Ich war selberAugenzeuge – fast wäre ich selber Betroffener gewesen –,als Polizeibeamte mit Steinen beworfen wurden. Ichhabe Flaschenwürfe und auch prügelnde Polizeibeamte

gesehen. Außerdem habe ich gesehen, dass sich völligunbeteiligte Zuschauer zu wehren versucht haben, indemsie Gegenstände zurückgeworfen haben, vor allem zuspäter Stunde. Hier ist davon gesprochen worden, dassMolotowcocktails und Brandsätze geworfen wurden.Nach allem, was ich bisher weiß, waren das Ereignisse,die spätabends im Anschluss an die Demonstration statt-gefunden haben und sich nicht aus der Demonstrationheraus entwickelt haben.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sieschaffen das Umfeld! – Matthäus Strebl[CDU/CSU]: Wie weit sind Sie gesunken!)

Es gibt Politstrategen in der Szene, die sagen: OhneGewalt nimmt man unsere Proteste, unsere Demonstra-tion nicht wahr.

(Patrick Döring [FDP]: Schließen Sie sich dem an?)

Ich kann nur sagen: Mit Ihrer Hilfe haben sie es ge-schafft, in den Deutschen Bundestag zu kommen

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist ja un-glaublich!)

und hier zum Thema zu werden, ohne dass eine sachli-che Auseinandersetzung mit dem Phänomen stattfindet.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie hätten wohl gern, dass wir nicht darüber reden!)

Nach all unseren Erfahrungen können wir nicht in die80er-Jahre zurückgehen. Nicht verschärfte Strafen, nichtDemonstrationsverbote, nicht Versammlungsverbotesind die Lösung.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber bei Rechts-radikalen ist das die Lösung, oder?)

All das hat viel mehr Gewalt gebracht, 1987, 1988,1989, auch in der Zeit CDU-geführter Senate. Wir habengelernt und praktizieren seit Jahren eine immer erfolgrei-chere Strategie der Deeskalation.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo war denndie Deeskalation? 500 verletzte Polizisten, undSie reden von Deeskalation!)

Dieser 1. Mai war leider ein Rückschlag. Wir solltenuns jetzt im Wahlkampf nicht mit wohlfeilen Parolen zuWort melden: Da muss härter zugeschlagen werden. Damuss verboten werden. – Das sind nicht die richtigenAntworten.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Was istdenn richtig? – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was ist Ihre Antwort? – Volker Kauder[CDU/CSU]: Zurückweichen?)

– Wir müssen die Deeskalationsstrategie weiterentwi-ckeln. Wir müssen nüchtern analysieren, wieso es andiesem 1. Mai gerade an den Stellen, möglicherweiseauch durch Einsatzfehler der Polizei,

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aha! Die Po-lizei ist schuld! – Volker Kauder [CDU/CSU]:Aber sich beklagen, wenn das Fahrrad gestoh-len wird!)

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Hans-Christian Ströbele

zu solchen Auseinandersetzungen gekommen ist. Da-nach müssen wir Schlussfolgerungen ziehen.

Ich wünsche mir, dass darüber diskutiert wird, und ichlade alle ein – das tun wir Jahr für Jahr –: DiskutierenSie mit uns und arbeiten Sie mit uns weiter an einer De-eskalationsstrategie, die irgendwann erreicht, dass am1. Mai auch in Kreuzberg die Aktionen und Demonstra-tionen friedlich verlaufen!

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege!

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Alle Gutwilligen sind dazu eingeladen und sollen mit-diskutieren. Hier finde ich die Gutwilligen nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der LINKEN sowie bei Abgeordnetender SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Esist bezeichnend, dass für Sie nur die Linkeklatscht! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Angst-hasiger, zahnloser Ströbele!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Marco Bülow hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Marco Bülow (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Gewalteskalation inBerlin wird von uns natürlich abgelehnt und muss ent-schieden bekämpft werden.

(Markus Löning [FDP]: Weiß das auch der Herr Körting?)

Das gilt aber auch für die Gewalteskalation, die es in an-deren Städten gegeben hat. Dazu habe ich von Ihnen bis-her wenig gehört.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leider glauben wohl immer noch zu viele, Faschis-mus und rechtsextreme Gewalt, das sei eine Rander-scheinung, ein Problem, das es vielleicht da und dort ineinigen Regionen gebe, das sehr begrenzt und zu ver-nachlässigen sei.

(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Haben Sie vorhin nicht zugehört?)

Dazu kann ich nur sagen: Machen Sie die Augen auf,und richten Sie Ihren Blick nicht nur auf Berlin – sowichtig das für uns auch ist –, sondern zum Beispielauch auf meine Heimatstadt Dortmund! Dort gab es einefriedliche Maidemonstration, so wie sie jedes Jahr statt-findet und an der wir Sozialdemokraten uns immer betei-ligen. Wir standen dort sehr friedlich und waren ab-marschbereit, als mehrere Hundert Rechtsextremistenmit Holzlatten einströmten und auf uns, auf unbeteiligteBürgerinnen und Bürger – dazwischen standen auchkleine Kinder hilflos herum – einprügelten. Die leider

nur sehr wenigen und schlecht ausgerüsteten Polizistenwaren überfordert, haben aber alles versucht, um dieMenschen zu schützen. An dieser Stelle vielen Danknoch einmal an die Polizei, die sich dazwischengewor-fen hat und danach auch Verletzte zu beklagen hatte!Auch von unserer Seite gute Besserung für alle, die dortverletzt worden sind, seien es Polizisten oder Bürgerin-nen und Bürger!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Löning, Sie haben gerade auf den Innensenatorvon Berlin verwiesen. Wenn das in Berlin so ist, dannstelle ich die Frage, ob die Eskalation der Gewalt inDortmund nicht der FDP-Innenminister von Nordrhein-Westfalen zu verantworten hat. Ich würde nicht so weitgehen, das zu bejahen; man muss differenzieren. Aber esstellt sich natürlich schon folgende Frage: Nachdem inHannover die Demonstration der Rechten abgesagt wor-den war, haben die Gewerkschaften darauf hingewiesen,dass in Dortmund etwas passieren kann. Warum standendann dort nur einzelne unbewaffnete Polizisten, die denDemonstrationszug nicht schützen konnten? Warum wa-ren wir so hilflos, und warum konnte die rechte Gewaltdort so eskalieren? Diese Fragen sollten erlaubt sein.

Man muss im Zusammenhang mit dem, was in Dort-mund passiert ist, vor allem auf die Auswüchse im Inter-net zurückkommen. Auf den Seiten der Rechten wurdedie Eskalation nicht nur begrüßt, sondern als Vorbild fürnächste Aktionen dargestellt. Dort werden sogar offeneDrohungen gegen Gewerkschaftsfunktionäre ausgespro-chen. Dort steht beispielsweise: Schlagt die Gewerk-schaftsbonzen, wo ihr sie trefft! Hier frage ich allenErnstes: Können wir als wehrhafte Demokratie dies zu-lassen,

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nein!)

und was müssen wir unternehmen, um dies zu unterbin-den? Ich würde mich natürlich freuen, wenn auch diebürgerlichen Parteien dieses Thema auf ihre Tagesord-nung setzten.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Selbstver-ständlich!)

Die Aussagen, die ich gerade genannt habe, stelleneine neue Dimension der rechten Gewalt dar. Hier gibtes einen organisierten Hass gerade gegenüber Gewerk-schaftern. Gestern waren es die Migrantinnen und Mi-granten, die Obdachlosen und andere, heute sind es Ge-werkschafter und Polizisten, morgen sind es dannvielleicht Politiker, Unternehmer und engagierte Bürger.Was muss noch passieren, damit wir die Augen öffnenund uns diesen extremen Rechten entgegenstellen?

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es wurde gerade zu Recht angemahnt, dass es keineDemonstrationen gegen linke Gewalt und linke Eskala-tion gebe. Es gibt Gott sei Dank genügend Demonstra-tionen gegen Rassismus und Extremismus. Bei denensehe ich aber die bürgerlichen Parteien nicht. Bei uns inDortmund sehe ich keine Abgeordneten der CDU undder FDP; auch heute sehe ich sie in der Debatte nicht.Auch dort sollten Sie sich sehr stark engagieren.

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Marco Bülow

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Kommen Sienach Gräfenberg in Oberfranken, und sehenSie die CSU gegen rechte Aufmärsche! – Wei-tere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir müssen uns diesen Kräften mit allem, was wir ha-ben, entgegenstellen. Wir müssen den Gewerkschaftern,den engagierten Kirchenvertretern sowie den engagier-ten Verbänden und Vereinen zeigen, dass sie in ihremKampf gegen Rechtsextremismus nicht allein sind, son-dern dass wir an ihrer Seite stehen. Natürlich müssen wirdie Frage eines NPD-Verbots auf die Tagesordnung set-zen und auch die Kampftruppen verbieten, die die NPDunterstützen.

Wir haben jetzt gute Grundlagen auch für die Polizei-präsidenten in den Regionen – als Beispiel nenne ichnoch einmal Dortmund –, dass Demonstrationen derRechten, wie sie beispielsweise für den 5. Septemberwieder angemeldet sind, verboten werden. Für noch vielwichtiger halte ich es, dass alle demokratischen Kräftegemeinsam am 5. September überall, wo Demonstratio-nen angemeldet worden sind, selber die Plätze besetzenund für Toleranz und gegen Rassismus demonstrieren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es geht aber nicht nur um die Kampftruppen, sondernauch um die geistigen Brandstifter, also um diejenigen,die Rechtsextremismus in die Köpfe der Menschen brin-gen wollen. Wir müssen dazu beitragen, dass sich derRechtsextremismus nicht in den Köpfen der Menschenverhakt. Andernfalls bekämen wir viele Probleme in un-serem Land, mit denen wir uns auseinandersetzen müss-ten. Gemeinsam sollten wir uns dagegen zur Wehr set-zen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN –Volker Kauder [CDU/CSU]: Dass immer eineGruppe auf einem Auge blind ist! Ich be-kämpfe die Rechten, wo es geht! – Gegenrufdes Abg. Marco Bülow [SPD]: In Dortmundhabe ich keinen von Ihnen gesehen! KeinePressemitteilung in Dortmund, nichts! – Ge-genruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]:Sie müssen nicht so dummes Zeug reden!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat jetzt das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jedermann – so steht es im Grundgesetz; dies wurde be-reits zitiert, und es ist gut, dass es zitiert wurde, weil eswichtig ist – hat das Recht, sich friedlich und ohne Waf-fen zu versammeln. Dieses Versammlungsrecht ist einSchlüsselgrundrecht für eine lebhafte Demokratie undfür die politische Willensbildung im Lande von eminen-ter Bedeutung. Es wird gesagt, das Schwungrad der De-mokratie sei das Versammlungsrecht. So will es das

Grundgesetz, so will es der Rechtsstaat, und so soll esbleiben.

Schauen wir uns jetzt die Bilder von Berlin an, unddenken wir darüber nach, ob das etwas mit den Vorstel-lungen, wie sie im Grundgesetz niedergelegt sind, zu tunhat. Meine Damen und Herren, wir wissen es längst: Ge-waltbereite Linksextremisten ebenso wie gewaltbereiteRechtsextremisten brauchen sich wechselseitig, um sichgegenseitig hochzuschaukeln. Les extrêmes se touchent,sagt man. Ob linksextrem oder rechtsextrem: Sie brau-chen sich, sie suchen sich, sie finden sich. Sie demon-strieren häufig zusammen, um Gewalt anwenden zu kön-nen. Das ist nicht im Sinne des Grundgesetzes, sonderngegen den Geist des Grundgesetzes. Das ist zu verurtei-len, egal wo es stattfindet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Jetzt zum Ergebnis der Berliner Demonstration undzu dem, was sich dort abgespielt hat. Frau Lötzsch hatgefragt, was dieses Thema im Bundestag zu suchenhabe. Allein die Zahl der verletzten Bundespolizistenhätte Sie nachdenklich machen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Thema muss hier besprochen werden. Jedersechste Bundespolizist ist verletzt aus dieser Versamm-lung herausgekommen. Das waren ja kriegsähnliche Zu-stände!

(Sebastian Edathy [SPD]: Herr Uhl, so weit sollte man nicht gehen!)

Autos in Brand setzen, Menschen durch Steinwürfe undMolotowcocktails schwer verletzen – das sind Handlun-gen, bei denen jede Strategie der Deeskalation völlig de-platziert ist, Herr Ströbele. Darüber müssen wir reden.Wir müssen uns fragen: Wie geht man mit solchen Men-schen um?

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was schlagen Sie denn vor?)

Ich glaube, es war gut, dass Sie, Frau Lötzsch, für dieLinken gesprochen haben; denn so haben die Menschenim Lande gesehen und gehört, wes Geistes Kind die Lin-ken sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese gewalttätige, brutale, rechtsbrecherische Ver-sammlung, die von den Linken angemeldet und durchge-führt worden ist, wurde hinterher trotz der vielen Ver-letzten von den Linken für gut erklärt. Sie sind dieSchutzpatronin dieser Chaoten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beider LINKEN – Frank Spieth [DIE LINKE]: Soein Quatsch!)

Wenn selbst Antikonfliktteams, also unbewaffnetePolizisten, die für Deeskalation sorgen sollen,

(Hellmut Königshaus [FDP]: Ohne Helm!)

von diesen Chaoten zusammengeschlagen werden, werwill da noch von einer Deeskalationsstrategie reden?

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Dr. Hans-Peter Uhl

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: HerrStröbele, dazu haben Sie nichts gesagt, dassDeeskalationsteams zusammengeschlagenworden sind!)

Das ist doch Narretei.

Die Ereignisse waren kein Schicksalsschlag, sondernsie waren öffentlich angekündigt. Am 18. April, zweiWochen vor der Versammlung, war ein Plakat zu sehen,das folgenden Wortlaut hatte:

Wir wollen die Bullen aus unserem Kiez vertreiben,jeden Tag und besonders am 1. Mai! Zerstört ihreFahrzeuge!

Schande für Ihre Partei!

(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth[DIE LINKE]: Das ist ungeheuerlich, was Sieda sagen! Es ist eine Schande, wie Sie reagie-ren! Wo gibt es denn so was? – Gegenruf desAbg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei euch!)

Jetzt geht es um die Frage, wie eine Landesregierung,in diesem Fall der rot-rote Senat in Berlin, verantwor-tungsbewusst mit solchen Ereignissen umgeht.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Man kann dochnicht mit dem Finger auf andere zeigen und ih-nen Gewalt vorwerfen!)

Herr Ströbele, Sie wollten ja konkrete Vorschläge hören.Sie haben reichlich Demonstrationserfahrung, ich eben-falls; wir kommen nur von verschiedenen Seiten.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das?)

Was hier geschehen ist, gehört zum kleinen Einmaleinsfür die Behörde, die für die Versammlungen zuständigist, und für den Einsatzleiter der Polizei. Jeder Gewaltbe-reite macht immer dasselbe: Er wird Teil eines sich for-mierenden schwarzen Blockes und umgibt sich mög-lichst mit mannshohen Transparenten, um aus demSchutz dieser Abgeschlossenheit, dieser Uneinsehbar-keit heraus Molotowcocktails und Steine zu werfen,ohne dabei gefilmt oder erkannt werden zu können.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Es ist nicht ein einziger Molotow-cocktail geworfen worden!)

Herr Ströbele, wo sich ein Demonstrationszug sol-chermaßen formiert – und genau so war es –, muss diePolizei von der politischen Leitung den Auftrag bekom-men, zu fordern: Runter mit den Plakaten, sonst setztsich der Zug nicht in Bewegung! – Dann muss die Poli-zei eine Sperre bilden, damit sich der Demonstrations-zug keinen Meter bewegen kann. Einen solchen politi-schen Auftrag hat es nicht gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Versammlungsbescheid steht die Auflage, dassSeitentransparente von zwei Metern Höhe verboten sind.Wann ist das von der Polizei durchgesetzt worden? Daswurde von politischer Seite verhindert. Herr Benneter,das wissen Sie genau. Und warum? Man nimmt im rot-

roten Senat Rücksicht auf die Umtriebe des Koalitions-partners.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Herr Uhl, Sie sollten sich mäßigen!)

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Wenn es mit der Strategie in Berlin so weitergeht, kön-nen wir Bundespolitiker es nicht länger verantworten,Bundespolizisten nach Berlin zu entsenden.

(Sebastian Edathy [SPD]: Herr Uhl, jetzt über-treiben Sie aber!)

Es ist nicht zu verantworten, dass wir Bundespolizistender Gefahr einer Steinigung aussetzen. Jedermann hatdas Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versam-meln. Aber für die Berliner Chaoten haben wir Hand-schellen und Haftanstalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Miersch

von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als

Hannoveraner

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Als SPD-Mann aus Hannover hat man ja Erfahrung!)

– hören Sie erst einmal zu und seien Sie ruhig – kann ichnur sagen: Diese Debatte befremdet etwas.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie vielleicht!)

Die Aktuelle Stunde hat das Thema: „Gemeinsam gegenGewalt – Ächtung der Ausschreitungen und schwerenGewaltstraftaten am 1. Mai“. Dieses Thema ist doch vielzu wertvoll, als dass wir uns als Demokraten in diesemHause gegenseitig vorwerfen sollten, dass wir das eineoder andere billigen. Jeder in diesem Haus ist gegen jedeForm von Gewalt; da bin ich mir sicher.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – HartmutKoschyk [CDU/CSU]: Die Linke nicht, HerrKollege!)

Mit dem Hinweis auf politische Verantwortungenwäre ich sehr vorsichtig. Die Aktuelle Stunde hat nichtumsonst das Thema: „Ausschreitungen am 1. Mai“. Esgeht dabei nicht nur um den 1. Mai 2009. Jeder, der dieEntwicklung der letzten Jahre verfolgt hat, weiß ganzgenau, dass der 1. Mai nicht nur in Berlin, sondern auchan anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschlandhäufig Anlass für schwere Ausschreitungen gewesen ist.Ich erinnere nur an den 1. Mai 2008 in Hamburg.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber es ist konse-quent reagiert worden, Herr Miersch!)

Dort gab es keinen rot-roten Senat, sondern eine andereFührung; damit möchte ich aber nicht sagen, dass die

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Dr. Matthias Miersch

Schuld bei den Trägern der politischen Verantwortungliegt.

(Markus Löning [FDP]: Ist denn Herr Körting nicht für die Polizei verantwortlich, oder was?)

Ich wäre auch vorsichtig, zu sagen: In Niedersachsengibt es ja eine gelb-schwarze Landesregierung. Deswe-gen ist die Sache da besser abgelaufen. – Schauen Siesich einmal die entsprechende Gerichtsentscheidung an;ich komme darauf gleich zurück. Ein Argument für dasVerbot der NPD-Demonstration war, dass der Polizeiprä-sident gesagt hat, er berufe sich auf den polizeilichenNotstand, weil die Polizeibehörden angesichts der Kon-stellationen keine Sicherheit mehr gewährleisten könn-ten. Insofern trägt meines Erachtens auch die politischeSeite eine große Verantwortung dafür, über Strategiennachzudenken, dass es am 1. Mai weder in Berlin nochin Hamburg oder in Hannover zu einem solchen polizei-lichen Notstand kommt.

Was wir am 1. Mai 2009 in Hannover geschafft ha-ben, ist, glaube ich, ein wichtiges Zeichen gewesen. Ichsage ganz bewusst: Es ist gemeinsam geschafft worden.Es ist von Vertretern der CDU, der FDP, der Linken, derGrünen und der SPD geschafft worden. Über 15 000Bürgerinnen und Bürger sind aufgestanden und habensich gegen jegliche Form des Extremismus gewandt. Ichfinde, das sollte man auch in diesem Hause honorieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der FDP)

Es hat eine monatelange Vorbereitung seitens desDeutschen Gewerkschaftsbundes in Zusammenarbeitmit Oberbürgermeister Stephan Weil gegeben. Man hatversucht, alle gesellschaftlichen Gruppen zu mobilisie-ren. Es ist ein bundesweit enorm beachtetes Zeichen ge-wesen, dass die palästinensische und die israelische Ge-meinde gemeinsam in Hannover demonstriert haben.Was für ein Zeichen des Miteinanders; was für ein Zei-chen des Friedenswillens!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich empfehle jedem, einmal die entsprechende Ge-richtsentscheidung zu studieren. Die Entscheidung desVerfassungsgerichts wird nicht begründet, weil eine ent-sprechende Beschwerde nicht angenommen worden ist.Es gibt dazu jedoch Leitsätze des Oberverwaltungsge-richts Lüneburg. Die sollten wir uns – gerade wir alsRechtspolitiker – einmal sehr genau anschauen. Darinwird gesagt, es müsse eine gewisse Anforderung an diePrognosen der Gewaltausschreitung geben. Diese dürf-ten nicht überhöht sein. Das Versammlungsrecht alswichtigstes Grundrecht müsse erfüllt sein, aber nicht umjeden Preis. Die Entscheidung des niedersächsischenOberverwaltungsgerichts hat Signalcharakter. Es ist gut,dass wir diejenigen, die dieses hohe Gut gefährden wol-len, ausgrenzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Worum wird es zukünftig gehen? Ich glaube, wirbrauchen viele Handlungsstrategien. Wir brauchen zu-nächst einmal Verbote rechtsextremer und linksextremerOrganisationen. Wir brauchen vor allen Dingen aberauch eine Bewusstseinsschärfung. Weil hier junge Men-schen anwesend sind, ist es mir ganz wichtig, zu sagen:Wir brauchen das Bekenntnis zur Demokratie. Ichglaube, das bekommen wir nur hin, wenn wir auch indiesen Debatten anders miteinander diskutieren. Wir allesind Demokraten. Wir sollten an diesem Tag, in dieserStunde und an jeder Stelle darum werben.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derLINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Kai Wegner von der CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kai Wegner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Siemich als Berliner Bundestagsabgeordneter zu Beginnmeiner Rede ganz herzlich Dank sagen. Ich darf michnicht nur bei der Bundespolizei, die allein über 100 ver-letzte Polizisten zu beklagen hat, für ihre Unterstützungbedanken, sondern ich möchte mich auch ganz herzlichbei den Berliner Kolleginnen und Kollegen der Polizeiund natürlich auch bei den Unterstützungskräften ausHamburg, aus Niedersachsen, aus Sachsen-Anhalt undaus Thüringen für ihren beherzten Einsatz bedanken. Siehaben einen schweren Einsatz erleben müssen. Von da-her gebührt ihnen unser aller Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und derFDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. JürgenKoppelin [FDP]: Das sehen die Linken nichtso!)

Frau Lötzsch, ich wollte gar nicht auf Ihren Beitrageingehen, weil mich das emotional viel zu sehr mit-nimmt. Aber nach Ihrem Zwischenruf von vorhin mussich doch auf Ihre Einlassung hier eingehen. Ich findedas, was Sie heute an diesem Rednerpult von sich gege-ben haben, unverantwortlich. Es ist unverantwortlich, zusagen, es gebe einige in diesem Hause, die die Gefahrdurch rechtsextreme Demonstranten und durch rechts-extremes Gedankengut sowie Gewaltexzesse von rechtsherunterspielen wollen. Sie tun so, als ob es nur auf die-ser Seite extremes Gedankengut gibt. Wenn ich die Dis-kussion in der letzten Dreiviertelstunde richtig verfolgthabe, dann wurde klar, dass CDU/CSU und FDP ganzdeutlich gesagt haben, dass es egal ist, von welcher SeiteGewalt ausgeht. Wer die Freiheit, die Demokratie undunser Rechtssystem bekämpfen will, dem gehört die roteKarte gezeigt, Frau Lötzsch. Das erwarte ich endlichauch einmal von Ihrer Fraktion.

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Kai Wegner

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowiebei Abgeordneten der SPD – Klaus UweBenneter [SPD]: Das alles haben die Kollegenschon erzählt!)

– Nein, lieber Herr Benneter, das hat die Kollegin sonicht erzählt.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Nein, nicht sie, aber die Kollegen von der SPD!)

Ich will auch noch einmal den Fall Jermak aufgreifen.Es ist schon viel dazu gesagt worden. Deswegen will ichgar nicht alles wiederholen. Es ist ein Skandal an sich,dass ein wichtiger Nachwuchspolitiker Ihrer Partei eineDemonstration anmeldet, die in den letzten Jahren im-mer mit gewalttätigen Auseinandersetzungen endete.Herr Jermak hat gesagt, er stehe natürlich hinter den In-halten dieser Demonstration. Was wurde im Vorfeld ge-sagt? – Im Vorfeld wurde gesagt, in der Berliner Polizeigebe es einen faschistischen Korpsgeist, und im Vorfelddieser Demonstration wurde zu Unruhen aufgerufen.Herr Jermak hat auch unterstützt, dass die „Bullen“ sichaus dem Bezirk entfernen sollen. Er hat außerdem geäu-ßert, dass bei gewalttätigen Auseinandersetzungen imZweifel natürlich die Polizei schuld ist. Herr Jermak isthier kein Einzeltäter. Eine Abgeordnete aus dem Landes-parlament in Berlin hat das bekräftigt.

Zu behaupten, die Polizei sei schuld an diesen gewalt-tätigen Exzessen, die dort vonstatten gehen, ist auch eineUnverschämtheit. Die Kolleginnen und Kollegen der Po-lizei setzen sich für uns alle ein: für Recht und Freiheit,für unser Rechtssystem. Sie wollen am 1. Mai nicht indiese Bezirke. Sie würden am 1. Mai lieber zu Hause beiihren Familien sitzen. Dank solcher Typen müssen siesich ohne jegliche politische Unterstützung von diesemSenat dem Steinhagel aussetzen. Das ist eine Unver-schämtheit, Frau Lötzsch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine Frech-heit, Herr Wegner!)

– Nein, das ist keine Frechheit.

Ich hätte mir übrigens auch gewünscht, dass HerrKörting heute einmal hier wäre. Hier hätte er nicht, wiekurz vor dem 1. Mai aus Kreuzberg, fliehen müssen.

(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])

Hier hätte er in Ruhe sitzen und vielleicht einmal einigeSachen klarstellen können, liebe Frau Kollegin.

(Sebastian Edathy [SPD]: Fragen Sie einmalIhren Geschäftsführer! Das ist so abgespro-chen worden! Sie sind nicht gut informiert!)

Wann hat sich der Innensenator eigentlich einmal beiden Polizistinnen und Polizisten, die am 1. Mai auf derStraße waren, bedankt? Das Einzige, was ich vom Poli-zeipräsidenten gehört habe, war, dass die Unterstüt-zungskräfte aus anderen Ländern nicht mit der Polizei-taktik klargekommen sind. Dass die Unterstützungs-kräfte mit dieser Taktik nicht klargekommen sind,

spricht für und nicht gegen die Kolleginnen und Kolle-gen der Unterstützungskräfte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Warum muss über dieses Thema im Bundestag bera-ten werden, Frau Lötzsch? Erstens, weil es die Menschenin der ganzen Republik bewegt, und zweitens, weil es umnicht weniger als die Sicherheit in der Hauptstadt geht.Wenn Sie die Aussagen der eingesetzten Beamtinnen undBeamten aufmerksam verfolgt haben – Herr Löning hatviele Zitate vorgetragen –, dann wissen Sie, was siedurchgemacht haben, und dann wissen Sie auch, wie dieMotivation der Berliner Polizistinnen und Polizisten undderen Vertrauen in ihre Führung aussieht. Das wundertmich übrigens überhaupt nicht, wenn ich mir vor Augenführe, dass die Polizeiführung den Kolleginnen und Kol-legen gesagt hat: Zieht euch zurück, wenn Straftaten pas-sieren.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Unerhört!)

Wir schreiten nicht ein. Ihr müsst also nicht das Rechtdurchsetzen, auch wenn das eigentlich Aufgabe der Poli-zei ist. Setzt bitte keine Helme auf, die könnten provo-zieren.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Unglaub-lich! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben alle Helme aufge-habt! Das ist doch alles Unsinn, was Sie erzäh-len!)

Das hat nicht Herr Jermak gesagt, sondern die Polizei-führung von Berlin.

In diesem Jahr wurden auch keine Wasserwerfer ein-gesetzt, weil sie provozieren würden. Ich glaube, daswar erstmals der Fall; Herr Ströbele, Sie haben mehr Er-fahrung damit. Früher wurden sie eingesetzt, auch unterRot-Rot.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Die haben alle Helme aufgehabt!Es ging um Masken!)

– Dann lesen Sie einmal die Berichte der Kolleginnenund Kollegen, die vor der Aral-Tankstelle standen. Diekann ich Ihnen nachher gerne zeigen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Masken!)

– Es ging auch darum, dass keine Masken eingesetztwerden durften.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wen wundert es,dass diese Polizistinnen und Polizisten nicht mehr moti-viert sind, für Sicherheit zu sorgen? Wen wundert es,dass diese Polizisten frustriert und verunsichert sind? Ichkann Ihnen nur sagen – ich hätte es Herrn Körting hiergerne persönlich gesagt –:

(Sebastian Edathy [SPD]: Sie wollten dochnicht, dass er kommt! Das ist unverschämt,was Sie da erzählen!)

Ein Innensenator, der keine Verantwortung für seineMitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt, und ein

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Kai Wegner

Polizeipräsident, der ebenfalls keine Verantwortung fürseine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt, soll-ten sich überlegen, ob sie die richtigen Leute für die Ber-liner Polizei sind.

(Sebastian Edathy [SPD]: Sie missbrauchendas Thema parteipolitisch, und das ist schä-big!)

Rot-Rot wird immer mehr zum Sicherheitsrisiko in die-ser Stadt. Wir brauchen eine motivierte Polizei. Deswe-gen ist es richtig, Frau Lötzsch, dass wir hier und heutedarüber gesprochen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter

von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Klaus Uwe Benneter (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Wegner, mit Ihren Ausbrüchen haben Sie dieser De-batte nun wirklich keinen Gefallen getan.

(Kai Wegner [CDU/CSU]: Wahrheit tut weh!)

Was die Polizisten angeht, sind wir uns doch alle einig.

Herr Körting wollte hier sein.

(Sebastian Edathy [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Sie wollten das doch nicht!)

Er hatte das zugesagt, aber die Fraktionsführungen die-ser Koalition, die wir noch gemeinsam stellen, habenentschieden, dass es besser wäre, wenn wir die Debatteuntereinander führen würden.

(Lachen bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! –Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ja in-teressant! Das ist ja das Stärkste! Das ist jaeine ganz heiße Nummer!)

Und genau das tun wir jetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – JerzyMontag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dannkönnen wir ja gehen!)

Alle fragen sich, warum diese Debatte in den Bundes-tag gehört. Frau Kollegin Lötzsch, sie gehört auch in dasBerliner Landesparlament, aber eben nicht nur dorthin.Ich denke, dass die Diskussion, die im Berliner Landes-parlament darüber stattfinden wird, nicht so gruselig seinwird, wie es ein Teil der Beiträge der Berliner Bundes-tagabgeordneten in dieser Debatte war.

Ich bin über die Gewaltausbrüche und die blindwüti-gen Angriffe entsetzt. Die traurige Bilanz muss uns alleerschüttern. Dem Dank an die Polizei haben wir uns alleangeschlossen. Wir alle wünschen uns, dass die Verletz-ten – egal ob Polizisten oder Unbeteiligte – schnellstenswieder gesund werden.

Wir wissen noch nicht, was sich im Detail abgespielthat. Herr Kollege Löning, es ist billig, hier einzelne Au-genzeugenberichte von Polizisten vorzutragen. Ich denke,man wird das in der Gesamtschau bewerten müssen:nicht nur das, was die Polizisten sagen, sondern auch dasVerhalten und die Aussagen der Einsatzleiter. Es gehtdoch nicht an, dass wir im Bundestag eine Vorverurtei-lung vornehmen.

(Sebastian Edathy [SPD]: Wohl wahr! Hört! Hört!)

Wir dürfen zwar nichts kleinreden, wir dürfen es aberauch nicht aufbauschen. Das ist unsere Aufgabe im Bun-destag.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Uhl, Sie haben geklatscht, als der Kollege sagte,wir seien alle keine Einsatzleiter. Aber Sie haben aufIhre Vergangenheit Bezug genommen und hier genau an-gegeben, wie Sie eine solche Demonstration geführt hät-ten.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Weil er Er-fahrung hat!)

Ihre Parteifreunde Werthebach und Schönbohm, dievor einigen Jahren Innensenatoren in Berlin waren, hat-ten es damals mit Ihrer Hau-drauf-Strategie probiert;aber sie haben üblen Schiffbruch damit erlitten.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Ja! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Deshalb bin ich dankbar, dass es in Kreuzberg ein großesVolksfest gab,

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ein Maifest, wie es wirklich nicht besser sein könnte.Zehntausende haben sich dort friedlich über den Maibe-ginn gefreut, haben den Tag der Arbeit gemeinsam ge-feiert; ich selbst war mit Zehntausenden Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmern hier in Berlin vor demBrandenburger Tor auf einer Maidemonstration. Darüberspricht überhaupt keiner mehr. Das ist der eigentlicheSkandal.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die am1. Mai für die Arbeitnehmerrechte eingetreten sind, wid-met man keine Aktuelle Stunde.

(Markus Löning [FDP]: Ihr habt das doch be-antragt! Das ist doch eure Aktuelle Stunde!)

Sie kämpfen beispielsweise dafür, dass Opel in Deutsch-land gerettet wird. Das wäre es auch wert, hier in einerAktuellen Stunde debattiert zu werden.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Klaus Uwe Benneter

Kollege Ströbele ist wirklich ein Kenner der Materie.Er weiß: Die Deeskalation hat in den letzten Jahrenwirklich Erfolg gehabt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Riesenerfolg!)

Die Ankündigungen, die man auf Plakaten lesen konnte,gab es auch in den letzten Jahren immer. Dennoch war esrichtig, dass die Polizeiführung in ihrem Ermessen undim Rahmen ihrer Möglichkeiten, jeweils abzuwägen,wie im Einzelfall vorzugehen ist, die entsprechendenAnweisungen gegeben hat.

Alle Polizisten hatten, soweit ich das auf den Bilderngesehen habe, Schutzhelme auf; ich habe keinen ohne ei-nen Schutzhelm gesehen. Es ist also Unsinn, wenn hiervorgetragen wird, dass es andere Anweisungen gegebenhätte.

Wie gesagt: Die Deeskalation und die Gewaltpräven-tion waren erfolgreich, jedenfalls erfolgreicher als das,was die Kollegen Werthebach und Schönbohm in denvergangenen Jahren am 1. Mai zu verantworten hatten.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das stimmtdoch überhaupt nicht! Solche Sachen habensich doch damals nicht abgespielt am 1. Mai!)

Ich meine, auch am 1. Mai muss das Gewaltmonopoldes demokratischen Rechtsstaates durchgesetzt werden,auch in Kreuzberg und Friedrichshain. Darüber, denkeich, kann es überhaupt keine Diskussion geben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Nur die Polizei, keine wild gewordenen Anarchisten ha-ben dieses Recht. Das gilt auch in Berlin. Das hat bisherin Berlin gegolten und wird auch weiterhin gelten.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] –Markus Löning [FDP]: Weiß der Herr Körtingdas auch?)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Clemens Binningervon der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Bei aller Unterschiedlichkeit in der Debatte sind wir uns,glaube ich, über eines einig: Wir treten jeder Form vonGewalt, egal ob von links oder rechts, die sich gegen un-seren Staat, seine Funktionsträger, gegen Unschuldigeund Unbeteiligte richtet, entschieden entgegen. Auch dasist ein Signal, das von der heutigen Aktuellen Stundeausgeht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Herr Bülow, Sie haben die Stadt Dortmund erwähnt;auch Hannover wurde genannt. Wir müssen uns fragen:Wie kann es in Berlin zu solchen Gewaltexzessen kom-men? Woran liegt es? Die Gewalt, die wir erlebt habenund die am Ende viele unschuldige Opfer forderte – fried-liche Demonstranten, unbeteiligte Bürger, aber auch fast500 Polizeibeamte wurden verletzt, einige davon sogarschwer –, kam nicht aus heiterem Himmel. Man musssich schon fragen, warum alle Warnzeichen ignoriertwurden, warum die politische und die polizeiliche Füh-rung weggesehen haben. Es ist Sinn und Zweck der heu-tigen Debatte, sich auch mit dieser Frage zu beschäftigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Sebastian Edathy [SPD]: Wollen Sie das perFerndiagnose beurteilen, Herr Kollege?)

Es gab die vom Kollegen Uhl angesprochenen Pla-kate, die gezielt zu Gewalt gegen Polizeibeamte aufrie-fen. Es gab Straßenzüge und Plätze, an denen sich diePolizei aus Angst vor Übergriffen nicht zeigen durfteund konnte. Seit mehreren Jahren brennen durchschnitt-lich jede dritte Nacht in Berlin Autos. Es sollte einen Info-stand der CDU geben. Obwohl dieser am helllichten Tagmitten in der Hauptstadt stehen sollte, sagten die Sicher-heitsbehörden: Den können wir nicht genehmigen, weilwir nicht für dessen Sicherheit garantieren können.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Mitten in der Hauptstadt wäre ge-nehmigt worden! Aber nicht in der Oranien-straße!)

Da müssen wir uns doch fragen: Woran liegt das? Wirdhier zu viel weggesehen, statt entschieden und konse-quent gegen Gewalt vorzugehen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weil es sich immer wiederholt und nicht bessert, istmein Eindruck, dass die politische Führung in Berlin vorder Gewalt kapituliert hat.

(Sebastian Edathy [SPD]: Das stimmt doch garnicht! – Mechthild Rawert [SPD]: Das istfalsch!)

Darunter leiden die Männer und Frauen der Polizei. Da-runter leiden unbescholtene Bürger. Darunter leidenfriedliche Demonstranten. Darunter leidet am Ende auchder Rechtsstaat mit all seinen Funktionsträgern.

(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist so durch-sichtig! Sie missbrauchen das Thema!)

Das dürfen wir nicht hinnehmen. Dem müssen wir ent-schieden entgegentreten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Sebastian Edathy [SPD]: Lassen Sie einmaldie Kirche im Dorf, Herr Binninger!)

Wenn der Polizeipräsident von Berlin nach den Kra-wallen – wohlgemerkt: danach – von einem bewährtenKonzept spricht, das ohne Alternative ist,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da hat er recht!)

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Clemens Binninger

dann empfinde ich das mehr als Drohung statt als Hilfe.Man kann nur sagen: Hier halten Leute das für ein Kon-zept, was sie jedes Jahr aufs Neue falsch machen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nein! Nein!)

Das ist sicher kein Konzept.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Sebastian Edathy [SPD]: Haben Sie eine Pa-tentlösung? Herr Binninger hat die Patentlö-sung!)

– Herr Kollege Edathy, wenn Sie dazwischenrufen, obich eine Patentlösung habe, dann darf ich – das sei mirgestattet – auf meine Berufserfahrung hinweisen. Es gibtkeine Patentlösung. Bei schwierigen Einsätzen passierenimmer Fehler. Aber schauen Sie einmal auf die Häufig-keit und die Art der Fehler, die hier passiert sind.

Ich habe mich mit Polizeibeamten unterhalten, die amEinsatz beteiligt waren.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nun ist aber Schluss!)

Ich will nur ein paar wenige unverständliche Fehler nen-nen, die die Einsatzleitung und die politisch Zuständigenzu verantworten haben.

Beispiel eins: Der gewalttätige Demozug, der schonnach wenigen Metern als gewalttätig erkennbar war,wurde nur von Antikonfliktteams begleitet, die nicht ge-schützt und schlecht ausgerüstet waren und am Ende umihr Leben laufen mussten.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das ist nicht wahr! Das ist Un-sinn! Die Bundespolizei war rechts und links!)

Beispiel zwei: Wasserwerfer durften nicht gegen Steine-werfer eingesetzt werden, sondern nur zum Löschen be-reits brennender Barrikaden.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Weil es polizeitaktisch unsinnig ist!)

– Nein, ist es eben nicht.

Beispiel drei: Auch Sie, Herr Edathy, haben ange-sprochen, dass man bei solchen Demos Vorkontrollendurchführen sollte.

(Sebastian Edathy [SPD]: Ja!)

Vorkontrollen wurden hier ausdrücklich nicht gestattet.Sie wurden nicht durchgeführt. Damit kann man keineGewaltbereiten im Vorfeld erkennen.

Deshalb bleibt der Eindruck, dass die politische undpolizeiliche Führung der Hauptstadt dieses Problemnicht nur unterschätzt haben, sondern weggesehen undfalsch gehandelt haben. Daher muss man sich fragen, obsie in der Lage sind, die Sicherheit in unserer Hauptstadtim Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleis-ten.

Nun zum Innensenator, der heute nicht hier ist.

(Sebastian Edathy [SPD]: Weil Sie nicht woll-ten, dass er kommt!)

Herr Kollege Benneter sagt, die Fraktionsspitze habeentschieden, es sei besser, ohne ihn zu debattieren.

(Widerspruch bei der SPD)

Es spricht Bände, Herr Kollege Benneter, wenn die SPDder Auffassung ist, dass man so etwas besser ohne denSPD-Innensenator bespricht. Es ist etwas verräterisch,wie er formuliert. Er wirkt auf mich eher desinteressiertund teilnahmslos. Man muss sich schon fragen, ob er inder Lage ist, die Sicherheit in unserer Hauptstadt zu ge-währleisten.

(Sebastian Edathy [SPD]: Bei aller Polemik, werden Sie nicht unverschämt!)

An seine Adresse sage ich nur: Erfolgreiche Innenpolitikmacht man entweder ganz oder gar nicht.

(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])

Der Innensenator hat sich offensichtlich für „gar nicht“entschieden. Das ist kein Weg. Wir stehen dem entge-gen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Sebastian Edathy [SPD]: Das gehört nicht inden Bundestag!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten FrankSpieth, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion die Linke

Für eine solidarische Gesundheits- und Pflege-absicherung

– Drucksache 16/12846 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit (f)Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-spruch dagegen? – Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als ers-tem Redner das Wort dem Kollegen Frank Spieth vonder Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Frank Spieth (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer arm ist, mussfrüher sterben. Wenn Sie im wohlhabenden Berliner Be-zirk Charlottenburg-Wilmersdorf in die U-Bahn steigenund ins ärmere Friedrichshain-Kreuzberg fahren, nimmtdie Lebenserwartung von Männern in Ihrer Umgebungmit jeder Station, an der sie halten, um ein gutes halbesJahr ab. In Charlottenburg-Wilmersdorf ist die Lebenser-wartung um vier Jahre höher als in Friedrichshain-

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Frank Spieth

Kreuzberg. Dies belegt die Berliner Gesundheitsbericht-erstattung.

Diese Armutsfolgen sind nicht nur in Berlin zu beob-achten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschunghat festgestellt, dass Frauen mit geringem Einkommenim Vergleich zu Frauen, die der Gruppe der Bezieherhöchster Einkommen angehören, in Deutschland achtJahre früher sterben. Bei Männern beträgt dieser Unter-schied bundesweit sogar 14 Jahre. Ich meine, das ist einungeheuerlicher Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Gesundheitsberichterstattung des Bundes wirddeutlich gemacht, dass diese Unterschiede sogar eher zu-als abnehmen. Das darf unmöglich folgenlos bleiben.Die Politik muss endlich Schlussfolgerungen aus dieserFehlentwicklung ziehen. Wir müssen die Probleme ander Wurzel packen. Dazu brauchen wir einen anderengesundheits- und sozialpolitischen Ansatz. Wir müssendort ansetzen, wo die Menschen wohnen, arbeiten undihre Freizeit verbringen. Gesunde Wohnbedingungenund gesunde Arbeitsbedingungen – kurz: gesunde Le-bensbedingungen – sind lebenswichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Aldi-Chef kann sie sich leisten, die Aldi-Kassiererinaber nicht. Deshalb muss die Gesundheitsförderung andieser Stelle ansetzen.

Das versprochene Präventionsgesetz ist leider in derKoalition gescheitert. Auch die aktuelle Gesundheitspo-litik ist nach meiner Auffassung gescheitert. Die Privati-sierung und die Kommerzialisierung des Gesundheits-systems zementieren die Zweiklassenmedizin inDeutschland geradezu.

Ein Beispiel: Bei den Hilfsmitteln hat die Koalitionden Krankenkassen vorgegeben, dass sie Leistungenausschreiben können.

(Elke Ferner [SPD]: Ja, sie können!)

In einer Ausschreibung steht in der Regel aber nichtsvon Qualität. Der billigste Anbieter erhält den Zuschlag.Wenn es um Inkontinenzwindeln geht, hat dies zur Folge– das haben wir bereits des Öfteren erlebt –, dass die Pa-tientinnen und Patienten über Nacht einnässen, weil beiihren Windeln ein paar Cent eingespart werden sollen.Das ist doch Unfug! Diese Einsparungen werden an an-derer Stelle Mehrkosten auslösen, zum Beispiel bei derdadurch notwendig gewordenen Behandlung von Haut-krankheiten. Die dadurch entstehenden Kosten betragenin vielen Fällen ein Vielfaches der Einsparungen. Das istnicht logisch und nicht schlüssig.

(Beifall bei der LINKEN)

Fakt ist: Wer es sich leisten kann, kauft sich privat bes-sere Windeln. Wer sich das nicht leisten kann, schläft imNassen. Das ist die Zweiklassenmedizin in Deutschland.

(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

Die Linke sagt: Jeder hat das gleiche Recht auf die er-forderliche gesundheitliche Versorgung. Union, SPD

und Grüne hingegen haben Leistungen gekürzt und Zu-zahlungen eingeführt.

(Elke Ferner [SPD]: Nein! Wo denn? –Mechthild Rawert [SPD]: Was? Wo denn, HerrSpieth? Beweise!)

Rezeptfreie Arzneimittel muss man komplett selbst zah-len, rezeptpflichtige Medikamente kosten den Patienten5 bis 10 Euro pro Packung, beim Arzt, auch beim Zahn-arzt, wird Eintritt fällig, und im Krankenhaus kostet je-der Tag 10 Euro, um nur einige Beispiele zu nennen.Diese Zuzahlungen sind ungerecht; denn sie belastenGeringverdiener über Gebühr.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke will diese Zuzahlungen abschaffen. Denn in-folge dieser Zuzahlungen lassen Menschen mit geringemEinkommen häufig wichtige Behandlungen ausfallen.

Die Zweiklassenmedizin wird auch an einer anderenStelle des Gesundheitswesens deutlich. Selbstzahler undPrivatversicherte erhalten sämtliche Leistungen und ei-nen bevorzugten Zugang zu einem Arzt oder einemKrankenhaus. Für die gesetzlich Krankenversicherten al-lerdings werden nicht mehr alle Leistungen bereitge-stellt, und sie müssen lange auf Termine warten. Etwa1 Million sogenannter Illegaler sind von der Gesund-heitsversorgung in Deutschland völlig ausgeschlossen.Dies, meine Damen und Herren, ist mit dem UN-Sozial-pakt, dem die Bundesrepublik 1973 beigetreten ist undden sie vorbehaltlos ratifiziert hat, nicht vereinbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Noch einmal: Jeder hat das gleiche Recht auf gesund-heitliche Versorgung. Die Linke lehnt eine Privatisie-rung und Kommerzialisierung des Gesundheitssystemsab.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir wollen stattdessen, dass alle Bürger in einer bezahl-baren Bürgerversicherung versichert sind, der Pförtnerwie der Chef, und dass eine umfassende wohnortnaheVersorgung, und zwar unabhängig vom Einkommen, ga-rantiert wird.

(Mechthild Rawert [SPD]: Aha! Also eine Zwangsversicherung für alle!)

Dazu brauchen wir Ärzte, die sich wieder weniger mitder Vergütung und mehr mit dem Patienten beschäftigenkönnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen öffentliche Krankenhäuser, die wohnort-nah qualifizierte Versorgung gewährleisten. Wir brau-chen Apotheken, die nicht nur Arzneimittel verteilen,sondern auch gut beraten.

Dazu brauchen wir Krankenkassen, die ausreichendGeld zur Finanzierung dieser Aufgaben erhalten. Das istdurch den Gesundheitsfonds nicht dauerhaft gesichert.Der Gesundheitsfonds ist unterfinanziert, mit der Folge,dass die Krankenversicherten schon bald flächende-ckend Zusatzbeiträge von bis zu 1 Prozent ihres Ein-

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Frank Spieth

kommens zahlen müssen. Ich rechne damit – ich sagedas ganz offen –, dass selbst die Deckelung von 1 Pro-zent des Einkommens nach der Bundestagswahl fällt.

(Elke Ferner [SPD]: Nicht, wenn wir in der Regierung bleiben, Herr Spieth!)

Die Krankenkassen werden gezwungen sein, ihr Leis-tungsangebot immer stärker einzuschränken. Das ist mitSicherheit nicht zum Vorteil der Versicherten.

Auch die Pflegeabsicherung ist chronisch unterfinan-ziert. Die Pflegeversicherung ist eine Teilkaskoversiche-rung. Deshalb können sich arme Menschen keine ausrei-chende Pflegeassistenz leisten. Die Linke findet es gut,dass jetzt eine Kommission empfohlen hat, die Leistun-gen der Pflegeversicherung zukünftig danach zu bemes-sen, wie stark die Selbstständigkeit eingeschränkt ist.Die jetzige Regelung, in der auf die Minute genau fest-gelegt ist, wie viel Zeit zum Beispiel für Waschen undKämmen aufgewendet werden darf, ist nicht akzeptabel.Es geht um die Pflege von Menschen, nicht um Maschi-nen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht um Zuwendung, und es geht darum, dass pflege-bedürftige Menschen weiter am Leben teilnehmen kön-nen.

Die anderen Fraktionen werden uns jetzt vorwerfen,dass wir mit unserem Antrag einen Wünsch-dir-was-Ka-talog erstellt hätten,

(Elke Ferner [SPD]: Genau! – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

der nicht bezahlbar ist. Dieser Vorwurf ist mit Sicherheitfalsch. Würde unser Vorschlag, eine Bürgerinnen-und-Bürger-Versicherung einzuführen, umgesetzt, könntenwir die Leistungen mit einem Beitragssatz von10 Prozent gewährleisten, und das bei Abschaffung allerZuzahlungen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, derSPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]:Ein bisschen mehr Mathematik täte gut! DieBerechnung müssen Sie uns vorlegen! Erstheißt es: „Unterfinanziert“, und dann kommenSie mit 10 Prozent an!)

Das Gesundheitssystem wird durch die derzeit zu be-obachtende Kommerzialisierung immer mehr auf dieje-nigen ausgerichtet, die mit der Krankheit der Versicher-ten Profit machen wollen. Das ist eine absoluteFehlentwicklung. Mit unserem Antrag wollen wir dasGesundheitssystem vom Kopf wieder auf die Füße stel-len: Der Patient gehört in den Mittelpunkt des Gesche-hens – damit jeder, unabhängig von seinem Einkommen,die bestmögliche Versorgung erhalten kann. Darum giltes zu streiten. Ich bin gespannt auf die weiteren Beratun-gen.

(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert[SPD]: 10 Prozent, ist das nur der Beitrag derArbeitnehmer, und es kommen noch 10 Pro-

zent vom Arbeitgeber hinzu? Dann ist das einBeitrag von 20 Prozent!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Hermann-Josef Scharf

von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem Antragder Fraktion Die Linke, mit dem die Bundesregierungaufgefordert wird, die Gesundheits- und Pflegeversiche-rung zu verstaatlichen und zentralistisch, durch den Ge-setzgeber, zu führen. Die Linke will jeglichen Wettbe-werb unter den Leistungserbringern unterbinden. Siestellt eine Forderung nach der anderen auf. Einen Hin-weis, wie all das finanziert werden soll, findet man je-doch nicht, Herr Spieth.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Frank Spieth [DIE LINKE]: Doch, mit derBürgerversicherung! Zu Ende lesen!)

Ein verstaatlichtes, zentralistisches Gesundheitssys-tem nach dem Motto „Gesundheitsversorgung für allezum Nulltarif“ hatten wir schon einmal in einem Teil un-seres Vaterlandes.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Ja! In West-deutschland!)

40 Jahre lang gab es Vollversorgung, allerdings – vonden SED-Spitzen abgesehen – auf niedrigem Niveau.Glück hatte der, der nicht auf Gesundheitsversorgungangewiesen war. Unterhalten Sie sich einmal mit denMenschen, die auf eine notwendige Operation wie denEinbau einer künstlichen Hüfte Jahre warten mussten!

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Die gab es doch zu DDR-Zeiten noch gar nicht!)

Oder bedenken Sie, was für eine erbärmliche Situationin den wenigen Pflegeheimen herrschte! Die Menschenkonnten froh sein, einen der wenigen Plätze ergattert zuhaben. Meist ging das nur, wenn man die nötigen Bezie-hungen hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und der FDP)

Selbst dann war der Stellenschlüssel sehr schlecht. Untererbärmlichen Verhältnissen wurden die Menschen ge-pflegt. Oft fehlte es an einfachsten Heil- und Hilfsmit-teln.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Die Ärzte, Schwestern und Pfleger mussten mit viel Hin-gabe und Fantasie versuchen, den kranken Menschenwenigstens das Nötigste zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

So etwas darf es nie mehr geben.

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Hermann-Josef Scharf

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Stimmt!)

Wir, die Koalitionsfraktionen, haben in dieser Legis-laturperiode die Weichen für ein zukunftsfähiges, trans-parentes und solidarisches Gesundheitssystem gestellt,das es allen Menschen ermöglicht, an Fortschritt und In-novation im Gesundheitsbereich teilzuhaben. Und das istgut so.

(Elke Ferner [SPD]: Wir haben Ihre Kopfpau-schale verhindert!)

Die Pflegereform war dabei eine unserer wichtigstensozialpolitischen Gesetzgebungen. Mit der Pflegere-form 2008 haben wir es geschafft, für rund 2,1 Millionenpflegebedürftige Menschen bessere Leistungen sicherzu-stellen und ein tragfähiges Konzept zur Fortentwicklungder Pflege zu schaffen. Das war seit Jahren überfällig.Wir als Union haben es mit unserem Koalitionspartnerauf den Weg gebracht.

Für uns als Union war dabei ausschlaggebend, dassdie zusätzlichen Mittel und Leistungsverbesserungen di-rekt bei den Betroffenen ankommen, statt in bürokrati-schen Strukturen zu verschwinden. 2,5 Milliarden Eurofließen nun zusätzlich in das System. Dadurch finanzie-ren wir erstmalig die Erhöhung des Pflegegeldes seit1995. Auch wenn Sie das als wenig bezeichnen, dieMenschen sind uns dafür dankbar.

Mit der Pflegereform wurden erstmals rund 700 000Demenzkranke in die Pflegeversicherung einbezogen.Dadurch erhalten diese Menschen erstmals dringendnotwendige Unterstützungsleistungen. Gleichsam be-deutsam ist aber auch, dass wir dadurch die Demenzer-krankung endlich in den Mittelpunkt unserer gesell-schaftlichen Diskussion gerückt haben. Noch voreinigen Jahren waren Angehörige von Dementen völligauf sich alleine gestellt und mussten mit der belastendenund schmerzhaften Situation alleine fertig werden.

Wer einmal erfahren hat, was es heißt, wenn ein liebgewonnener Mensch sein Gedächtnis verliert und seineAngehörigen nicht mehr erkennt, der ist dankbar, durcheine mögliche Kurzzeit- oder Tagespflege auch einmalselbst eine Entlastung von der aufopferungsvollen Pflegezu erfahren. Für den Bereich Demenz geben wir durchdie Pflegereform etwa 1,5 Milliarden Euro mehr aus.

Danken möchte ich namens der CDU/CSU allenHaupt- und Ehrenamtlichen, aber auch den Familienmit-gliedern für ihre hervorragende Arbeit. Sie sind oft diewahren Helden unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]:Deswegen wollen wir sie auch noch weiter un-terstützen!)

Selbstverständlich wird es auch in Zukunft Weiterent-wicklungen in der Pflegeversicherung geben müssen. Indem Antrag der Linken lesen wir lauter gut klingendeForderungen nach noch mehr Leistungen. Sie müssenden Menschen ehrlicherweise aber auch sagen, wie Siedas alles finanzieren wollen, nämlich durch einen um ein

Vielfaches höheren Beitragssatz. Das sparen Sie aber lei-der aus und lassen die Menschen im Dunkeln. Eine bes-sere Pflege erreichen Sie damit nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer sich mit der sozialen Demontage des rot-roten Sena-tes in Berlin befasst, erlebt den Kontrast zwischen lin-kem Reden und linkem Handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: Soein Quatsch! – Frank Spieth [DIE LINKE]:Seit wann sind die Länder für die Pflegeversi-cherung zuständig?)

In dieser Legislaturperiode haben wir auch die Hos-pizarbeit und die Palliativmedizin gestärkt. Schwerst-kranke haben nun einen Anspruch auf eine spezialisierteambulante Palliativversorgung, die es ihnen ermöglicht,bis zum Tod zu Hause betreut zu werden. AmbulanteHospizdienste können jetzt ihre Dienste neben dem pri-vaten Bereich auch in Alten- und Pflegeheimen anbie-ten, wo sie, wie ich meine, dringend benötigt werden.

Ich hoffe sehr, dass die aufgetretenen Probleme beider Umsetzung bald gelöst werden; denn viele Schwerst-kranke warten auf diese Dienste. Ich appelliere dringendan die Selbstverwaltung der Kassen, hier etwas zu tun.

Die Anforderungen an Gesundheits- und Pflegeleis-tungen werden auch in Zukunft steigen. Unsere Sozial-systeme müssen also auch in Zukunft weiterentwickeltwerden, um Lösungen für die Deckung des steigendenFinanzierungsbedarfs zu finden. Nach der Reform ist vorder Reform. Die demografische Entwicklung stellt unshierbei vor große Herausforderungen. Bei allen Verände-rungen müssen wir immer die Menschen mitnehmen.Nur so können wir das nötige Vertrauen schaffen, damitnotwendige politische Veränderungen auch von unsererGesellschaft mitgetragen werden. Große Versprechun-gen, die falsche Hoffnungen wecken, sind der falscheWeg. Eine Staatsmedizin mit einer einheitlichen und ein-geschränkten Versorgung der Versicherten ohne Wahl-möglichkeiten ist nicht das, was die Menschen in unse-rem Land wollen.

Wir als Union schaffen Rahmenbedingungen, unterdenen die Versicherten und Leistungserbringer eigenver-antwortlich gestalten und entscheiden können. Wir tretenfür eine solidarische Absicherung ein, die eine hochwer-tige medizinische Versorgung ermöglicht, aber auchEigenverantwortlichkeit bei kleinen Risiken und eineSelbstbeteiligung erfordert. Wir wollen ein Gesundheits-wesen, das transparent ist, eine Kostenkontrolle und we-niger Bürokratie erlaubt sowie Wahlfreiheiten für dieVersicherten offenhält. Durch die Gesundheitsreform ha-ben wir bereits zahlreiche positive Änderungen vorge-nommen. Einige Leistungen der gesetzlichen Kranken-versicherung wie im Bereich der Rehabilitation, Kurenund Impfungen sind in den Pflichtkatalog übernommenworden. Versicherte können heute unter unterschiedli-chen Wahl- und Bonustarifen wählen. Aber auch dieEinführung der Versicherungspflicht für alle ist einwichtiges Element eines modernen Sozialstaats.

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Hermann-Josef Scharf

Wir haben in dieser Wahlperiode viele wichtige Wei-chen für eine zukunftsfähige Weitergestaltung unsererSozialsysteme gestellt. Diesen Weg werden wir im Sinneder Menschen engagiert weitergehen. Ein krankesVEB-Gesundheitswesen ist keine Alternative.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth[DIE LINKE]: Das sehe ich auch so! Da sindwir uns einig!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Konrad Schily von

der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Konrad Schily (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich

wollte ich der Versuchung nicht erliegen, nach der Lek-türe des vorliegenden Antrags auf die Geschichte derDDR zu verweisen.

(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Sie kennen sie ja nicht!)

Aber, lieber Herr Spieth, wenn Sie auf die höhere Le-benserwartung in Wilmersdorf verweisen, muss ich Siedaran erinnern, dass sich die Lebenserwartung der Bür-ger der ehemaligen DDR – ich meine die einfachenMenschen – nach ihrem Beitritt zum Westen um Jahreverbessert hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten der SPD – Frank Spieth[DIE LINKE]: Das Ganze ist aber aktuell! Daskann man der DDR nicht mehr anlasten!)

Sie treten für eine solidarische Gesundheits- und Pfle-geabsicherung ein. Was verstehen Sie unter Solidarität?

(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Solidarität, das kennen Sie nicht!)

Sie schreiben am Ende der Seite 1 Ihres Antrags:

Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf medizini-sche Versorgung.

Daraus leiten Sie ab:

Deshalb ist das Gesundheitssystem von den Regelndes Marktes zu befreien und öffentlich zu regulie-ren.

Herr Scharf hat es gesagt: Sie wollen das Gesundheits-system verstaatlichen.

Was macht denn der Staat, wenn er die Solidarität fürdie Bürger übernimmt? Er nimmt sie ihnen und gibt ebennicht die Gewähr. Ein solidarisches System ist nur dannwirklich solidarisch – das heißt solide, fest –, wenn derEinzelne die Verantwortung für sich, in seiner Gemein-schaft, in seinen Pflichten und natürlich auch in seinenRechten und Ansprüchen behält.

(Beifall bei der FDP)

Sie wenden sich nun ganz von unternehmerischemHandeln ab. Sie sagen, in den letzten 30, 40 Jahren sei esin der Gesundheitspolitik nur darum gegangen, die Kos-ten zu dämpfen. Damit haben Sie recht. Aber Sie müssensehen, dass das vorwiegend in einem staatlich adminis-trierten Bereich geschah. Sie beklagen des Weiteren,dass heute 30 Prozent der Krankenhäuser privat sind.Warum ist das so? Sie sind privat, weil die Gemeindendiese Krankenhäuser nicht mehr unterhalten konnten.

(Beifall bei der FDP – Frank Spieth [DIELINKE]: Weil die Länder nicht gezahlt ha-ben!)

Die Gemeinden konnten keine weiteren Kredite für dieseKrankenhäuser aufnehmen. Schauen Sie sich doch dieseKrankenhäuser an! Erheben Sie nicht den Generalvor-wurf, dass die Menschen dort schlecht behandelt wer-den! Oft werden die Menschen dort besser behandelt.Man macht nach der Privatisierung ab sofort bei jedemPatienten einen Diener, wenn er hereinkommt, und manweiß sogar seinen Namen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Es ist doch nicht so, dass staatliche Verwaltung vonvornherein die bessere ist.

(Elke Ferner [SPD]: Aber auch nicht die schlechteste!)

– Sie muss auch nicht von vornherein die schlechteresein. Jedes Unternehmen, egal ob profitorientiert odergemeinnützig, jedes Krankenhaus, jeder Arzt, jede Arzt-praxis hat eine unternehmerische Seite: Es muss mit je-weils begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen ein Opti-mum erreicht werden. Wenn ein Unternehmen aber inHunderten, ja in Tausenden von Regeln erstickt wird,dann kann es eben nicht mehr wirtschaften. Das war derGrund, warum viele öffentliche Krankenhäuser aufgebenmussten: Sie erstickten in Regeln und Tarifverträgen.

(Elke Ferner [SPD]: Wollen Sie jetzt auch die Tarifverträge abschaffen?)

– Ach, Frau Ferner, das ist wirklich billig.

(Beifall bei der FDP)

Es geht nicht darum, Tarifverträge abzuschaffen, son-dern es geht darum, eine Solidarität zu beschreiben, inder der Einzelne Verantwortung hat und in der der Ein-zelne freiberuflich arbeiten kann. Das kann er eben in ei-nem verstaatlichten System nicht. Deswegen finde ich esetwas merkwürdig, dass hier der inhabergeführten Apo-theke das Wort geredet wurde. Das passt nämlich über-haupt nicht hinein.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Warum nicht?)

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch sie vergesell-schaftet werden muss.

(Mechthild Rawert [SPD]: Wollen Sie die denn aufgeben?)

Sie beziehen sich – Herr Scharf ist schon darauf ein-gegangen – auf die Zweiklassenmedizin: Auf der einenSeite der normale Bürger, auf der anderen Seite die Rei-

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Dr. Konrad Schily

sekader, die besser behandelt werden. Dann kommt dieForderungskette.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nur Reisekader? Mehr fällt Ihnen nicht ein!)

– Sie kennen sich wahrscheinlich noch besser aus. Dasist das Wort, das ich am besten kenne.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dass Ihnen zurZweiklassenmedizin nur Reisekader einfallen,ist doch billig!)

Eine Zweiklassenmedizin können Sie nur dadurch über-winden, dass Sie das Gesundheitswesen von den Fes-seln, die es jetzt bindet, befreit.

(Beifall bei der FDP – Frank Spieth [DIELINKE]: Das kann man glänzend in den USAstudieren!)

– Verweisen Sie doch nicht auf die USA!

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Von allen Fesselnbefreit! Maximale Profite! – Gegenruf desAbg. Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Keinerwill das amerikanische Gesundheitssystem ha-ben! Es ist doch Unsinn, Herr Spieth, was Sieerzählen!)

– Solidarität müssen Sie einfach neu denken und neu ler-nen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Was ist denn jetzt eine Fessel? Was ist eine Regel?)

– Sie fragen: Was ist eine Fessel? Wenn Sie nicht tundürfen, was Sie tun müssten, wenn Sie aber etwas tunmüssen, was unsinnig ist, beispielsweise als Arzt, dannist das eine Fessel. Es gibt unheimlich viele Dinge, beidenen man nach dem gesunden Menschenverstand undnach ärztlichem Verstand sagen würde: Das ist richtig.Aber es ist verboten.

(Zuruf von der SPD: Werden Sie mal konkret!)

Denken Sie doch an die Positivliste. Denken Sie an dieDinge, bei denen der Staat sagt: Wir sind der richtige Be-handler. Wir wissen, wie es geht. – Es ist der Freiberuflervor Ort, der am besten weiß, wie es geht, aus jeder Situa-tion nicht nur therapeutisch das Optimum zu machen,sondern auch das wirtschaftliche Optimum zu erreichen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schily, erlauben Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Ilja Seifert?

Dr. Konrad Schily (FDP): Er ist ja ein Geburtstagskind.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Seifert, bitte.

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Herr Kollege Schily, können Sie mir bitte erklären,

was es mit Solidarität zu tun haben soll, wenn Kranken-häuser Profit erwirtschaften müssen?

(Hellmut Königshaus [FDP]: Wer redet denn von „Profit erwirtschaften“?)

Dr. Konrad Schily (FDP): Ein Krankenhaus, das wirtschaftlich keinen Mehrwert

schafft, ist nicht mehr investitionsfähig und fällt damitaus der Solidargemeinschaft schnell heraus.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Daniel Bahr [Münster][FDP]: Defizite sind solidarisch, oder was?)

In Ihrem Antrag wird ausgeführt, dass alles mit Steu-ergeldern finanziert werden soll. Auch wenn eine Kran-kenkasse nach dem neuen GKV-Wettbewerbsstärkungs-gesetz nicht gut wirtschaftet, soll sie mit Steuermittelnam Leben erhalten werden. Das hat nach meiner Ansichtmit Solidarität nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Dasstimmt doch überhaupt nicht, Herr Schily! Dasmüssen Sie aber doch wissen!)

Das heißt, die Kosten im Gesundheitswesen werden ein-zig und allein aus Steuermitteln gedeckt. Damit entste-hen keine Preise.

Nun werden Sie gleich wieder sagen: Was ist sofurchtbar daran, im Gesundheitswesen nicht die Preisezu kennen? Der Preis gibt doch nur an, wie viel etwaskostet. Der Preis ist nur das Instrument. Indem Sie denPreis verweigern – das zeigt die gesamte Systematik Ih-res Antrags –, können Sie gar nicht mehr sagen, wohinwelcher Zuschuss in welchem Maße gegeben werdenmuss.

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Völlig intrans-parent!)

Sie wissen gar nicht mehr, was los ist. Das geht unter imallgemeinen, undurchsichtigen Gemenge.

(Beifall bei der FDP)

Dann schaffen Sie mit Sicherheit eine neue Behörde, dieAufklärung schaffen soll, wohin das viele Geld gegan-gen ist. Sie bewegen sich in einer Abwärtsspirale. Das,was wir als FDP bedauern, ist, dass wir diese Abwärts-spirale in den letzten Jahren gehabt haben. Deswegenglauben wir, dass wir das Sozialgesetzbuch V neuschreiben müssen und zu einem neuen solidarischen An-satz kommen müssen, der aber die Freiheit und die Ei-genverantwortung des Einzelnen nicht beschneidet. DasSolidarische, das Soziale ist nicht unter Umgehung derFreiheit zu erreichen.

(Beifall bei der FDP – Mechthild Rawert[SPD]: Soll das noch vor der Bundestagswahlgeschehen?)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Ferner von der

SPD-Fraktion.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24029

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Elke Ferner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Herr Kollege Spieth hat schon am Ende seiner Redeganz richtig gesagt, dass wir jetzt fragen werden, wieman die Wünsche, die die Linke in ihrem Antrag formu-liert hat, finanziert. Erstaunlich ist, dass Sie für jedenetwas im Gepäck haben, selbst für die Apotheker. Siewollen ein neues Ärztehonorarsystem, ohne näher zu er-läutern, wie das konkret aussehen soll. Sie entlassen so-gar die Länder aus ihrer Verpflichtung, was die Bereit-stellung von ausreichenden Investitionsmitteln für dieKrankenhäuser anbelangt; denn Sie sehen plötzlich denBund mit in der Pflicht. Ich glaube, so einfach kann mansich das nicht machen. Sie verfahren nach dem Motto:„Im Himmel ist Jahrmarkt, Freibier für alle.“ Das kön-nen Sie machen, weil Sie nie in die Lage kommen wer-den, das in konkrete Politik im Deutschen Bundestagumsetzen zu müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP])

– Ich habe hier vom Deutschen Bundestag gesprochen,Herr Kollege Bahr. Sie müssen genau zuhören.

(Heinz Lanfermann [FDP]: Über das Saarland reden Sie nicht!)

Außerdem wird über die gesetzliche Krankenversiche-rung nicht in einem Landtag, auch nicht in dem Landtagdes schönsten Bundeslandes, das wir haben, entschie-den;

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sieht auch Herr Wowereit das so?)

die Gesundheitspolitik findet immer noch hier im Deut-schen Bundestag statt.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Die Erde ist eine Scheibe!)

Sie erwecken in Ihrem Antrag den Eindruck – deshalbist der Ansatz auch nicht richtig –, gut sei gleich teuer.Ich finde allerdings, dass wir es den Beitragszahlerinnenund Beitragszahlern schuldig sind, dass wir darauf ach-ten, dass die Mittel, die sie jeden Monat an die gesetzli-che Krankenversicherung abführen, zielgerichtet ver-wendet werden, und dass die Menschen, die wirklicheine teure und intensive Behandlung brauchen, diese Be-handlung bekommen können. Deshalb halte ich es fürgerechtfertigt, dass diejenigen, die eine – in Anführungs-zeichen – Allerweltskrankheit haben, in der Auswahl derArzneimittel etwas eingeschränkter sind. Das ist besser,als die ganze Bandbreite vom teuersten bis zum billigs-ten Arzneimittel zur Verfügung zu stellen.

(Mechthild Rawert [SPD]: Mit den gleichen Wirkstoffen!)

Was wir eben von der FDP gehört haben, war eine be-sondere Definition von Solidarität. Auch das war einmalanders. Wenn Solidarität so verstanden wird, dass jederfür sich selber sorgt und damit für alle gesorgt ist,

(Dr. Konrad Schily [FDP]: Es wäre schön, wenn man zuhören könnte!)

dann rüttelt das schon an den Grundfesten unserer De-mokratie.

(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie haben wirklich nicht zugehört!)

Wir feiern in diesem Monat den 60. Jahrestag desGrundgesetzes. Im Grundgesetz herrscht ein ganz ande-res Verständnis von Solidarität als das, was Sie hier zumBesten geben.

Die Sozialversicherungssysteme, die wir in Deutsch-land haben, sind staatlich organisierte Solidarität. DerUnterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir derAuffassung sind, dass jeder nach seiner Leistungsfähig-keit dafür sorgen soll, dass die Menschen, die in Not ge-raten, die krank werden und die pflegebedürftig sind, dieVersorgung erhalten, die sie brauchen. Was Sie meinen,ist der Wohlfahrtsstaat. Das heißt, es hängt vom Gutdün-ken derer, die vielleicht etwas bezahlen können, ab, obsie bereit sind, anderen, die in Not sind, zu helfen. Dasist der Unterschied. Ich glaube nicht, dass Sie mit IhrerHaltung viel Anklang in der Bevölkerung finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Ferner, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Schily?

Elke Ferner (SPD): Gerne, wenn Sie die Uhr anhalten.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön.

Dr. Konrad Schily (FDP): Frau Kollegin, wo leiten Sie aus meinen Ausführun-

gen, aus meiner Definition der Solidarität, ab, dass dieFDP den Einzelnen alleine lassen will?

Elke Ferner (SPD): Das zeigt sich in Ihrem eigenen Antrag, den wir vor

wenigen Wochen hier im Deutschen Bundestag disku-tiert und auf den Sie eben selber verwiesen haben. Siehaben gesagt, Sie wollen das SGB V, also das Gesetz, indem die gesetzliche Krankenversicherung und auch de-ren Finanzierung geregelt ist, komplett umschreiben.Das geht nicht nur aus Ihrem Antrag hervor, sondern daswar auch in Ihren Pressemitteilungen und in denen vonHerrn Bahr zu lesen. Sie möchten die gesetzliche Kran-kenversicherung abschaffen.

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Zeigen Sie mir das mal! Das würde ich gern mal sehen!)

– Ich suche es Ihnen heraus und schicke es Ihnen; dannkönnen Sie sich das am Wochenende gerne noch einmaldurchlesen.

(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie sollen es nicht verschicken, Sie müssen es lesen!)

Sie möchten, dass jeder sich privat versichert. Wer aberweiß, wie private Krankenversicherung funktioniert,

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Elke Ferner

Herr Kollege Schily, der weiß auch, dass diese Kranken-versicherung Risikoprüfungen durchführt und Menschenmit bestimmten Krankheiten überhaupt nicht versichertoder nur zu so teuren Prämien, die sich wirklich nurnoch Millionäre leisten können. Es ist auch bekannt,dass es nichts Besseres gibt, als dass Menschen für Men-schen einstehen. Private Versicherungen arbeiten ersteinmal profitorientiert. Sie wollten lange Zeit nichtKranke, sondern nur Gesunde versichern. Wir haben mitder letzten Gesundheitsreform deshalb die Pflicht zurVersicherung eingeführt.

(Beifall bei der SPD)

Insofern gibt es genügend Indizien für eine solcheSchlussfolgerung.

(Heinz Lanfermann [FDP]: Alles falsch ver-standen, Frau Kollegin!)

Ich möchte den Rest meiner Redezeit dazu nutzen,noch einmal deutlich zu machen, was wir wollen. Füruns ist Gesundheitspolitik wirklich eine zentrale Auf-gabe staatlicher Daseinsvorsorge, die privat nicht funk-tioniert. Der Staat muss sich zu eigen machen, für einegleich gute und qualitativ hochwertige medizinischeVersorgung aller Menschen zu sorgen; denn der Marktwird es nicht richten.

(Beifall bei der SPD)

Wie diese Versorgung organisiert wird, ist die zweiteFrage. Da haben wir wahrscheinlich auch unterschiedli-che Vorstellungen.

Wir wollen eine solidarische und gerechte Finanzie-rung. Bereits im letzten Bundestagswahlkampf sind wirfür eine Bürgerversicherung eingetreten, in die alle Men-schen einbezogen werden, in die jeder entsprechend sei-nem jeweiligen Einkommen und seiner individuellen Fä-higkeit einbezahlt, damit alle Menschen die medizinischeund pflegerische Versorgung bekommen, die sie brau-chen.

(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie wollen auch Beiträge auf Mieten und Zinsen!)

Wir wollen auch einen gerechten Ausgleich zwischenden unterschiedlichen Risiken in den bisherigen Syste-men, zwischen gesetzlicher und privater Krankenversi-cherung, zwischen sozialer Pflegeversicherung und pri-vater Pflegeversicherung. Nur damit erreichen wir einewirklich dauerhaft tragfähige Finanzierungsgrundlage,weil die sozialversicherungspflichtigen Einkommennicht in dem Maße wachsen, wie die Ausgaben im Ge-sundheitsbereich steigen.

(Heinz Lanfermann [FDP]: Deswegen wollenSie ja auch die breitere Bemessungsgrundlage!Erklären Sie es doch einmal richtig!)

Wir wollen den heutigen Sonderbeitrag von 0,9 Bei-tragssatzpunkten wieder paritätisch finanzieren,

(Heinz Lanfermann [FDP]: Erklären Sie doch mal die Beiträge für die Bürgerversicherung!)

und wir wollen natürlich auch einen gleichen Zugang zurmedizinischen Versorgung für alle Menschen.

Wenn gesetzlich Versicherte in Arztpraxen entwederkeinen Termin bekommen oder ihn nicht so schnell be-kommen, wie sie ihn brauchen, dann ist es auch Aufgabeder gesetzlichen Krankenversicherung, ihren Versicher-ten zu einem zeitnahen Termin zu verhelfen. Wer gehtschon aus Jux und Tollerei zum Arzt?

(Beifall bei der SPD)

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Gesundheitsprä-vention. Leider haben wir uns mit der Union nicht aufein vernünftiges Präventionsgesetz verständigen können.Wir müssen die Menschen in ihren Lebenswelten abho-len – am Arbeitsplatz, in den Kindertagesstätten, in denSchulen, im Stadt- oder Wohnquartier. Sie haben dasentsprechende Gesetz leider blockiert und sind dafürverantwortlich, dass wir vier Jahre verloren haben, in de-nen weiter nebeneinander her gewurschtelt wird und indenen wir eben nicht zu einer vernünftigen Gesundheits-prävention kommen.

(Hermann-Josef Scharf [CDU/CSU]: Sie wa-ren nicht zu Kompromissen bereit!)

Auch dadurch werden die sozialen Ungleichheiten in un-serer Gesellschaft verstärkt.

(Beifall bei der SPD)

Ich will zum Schluss sagen, dass die Wähler undWählerinnen sich darauf verlassen können, dass es mituns keine Zerschlagung der gesetzlichen Krankenversi-cherung geben wird, wie es die FDP fordert. Wir werdenauch nicht die Hand reichen zu einer Reduzierung desLeistungskataloges, wie es die Union noch bei der Ge-sundheitsreform gefordert hat. Mit uns wird es keine un-gerechten Kopfprämien geben. Wer auch in Zukunft einegute, gerecht finanzierte gesundheitliche Versorgung ha-ben will, der hat am 27. September die Chance, eine guteWahl zu treffen, nämlich SPD zu wählen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Heinz Lanfermann [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Ich hätte gern Ihre Zwischenfrage beantwortet; abermeine Redezeit ist leider zu Ende.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender,

Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde

nicht von der DDR reden. Beim Lesen des Antrags derLinken habe ich mich aber sehr wohl an etwas erinnertgefühlt, und zwar an die CSU: an den freundlichen Die-ner gegenüber den niedergelassenen Ärztinnen und Ärz-ten, an das Bekenntnis zur inhabergeführten Apotheke,an die Rhetorik gegen profitorientierte Gesundheitskon-zerne. Das alles habe ich schon einmal gelesen. Das allessind Bausteine der jüngsten gesundheitspolitischen Be-schlüsse aus Bayern.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Jetzt bin ich aber platt!)

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Birgitt Bender

Ich halte diese Parallelen nicht für Zufall. Beide Par-teien wollen als Regionalparteien ihre Klientel auch un-ter den kleinen Gewerbetreibenden im Gesundheitswe-sen bedienen. Auch in dieser Hinsicht versucht sich dieLinke als CSU des Ostens.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen beider LINKEN)

Ich bin mir sicher: Wenn die Geschäftszentrale einesführenden Privatversicherers nicht in München, sondernin Leipzig wäre, dann hätte das, lieber Herr Spieth, Aus-wirkungen auf die Ausgestaltung Ihres Bürgerversiche-rungskonzeptes. Darauf könnte ich wetten.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Ab-geordneten der CDU/CSU und der FDP –Frank Spieth [DIE LINKE]: Mit Sicherheit!])

Allerdings belässt es die Linke nicht beim Klientelis-mus. In diesem Antrag kommen 50 Positionen vor, mitdenen die Kranken- und Pflegeversicherung verbessertwerden soll. Viele dieser Positionen kann man guten Ge-wissens teilen. Wer hat schon etwas gegen ein demokra-tisches und am Bedarf der Bevölkerung ausgerichtetesGesundheitssystem? Wer will seine Stimme dagegen er-heben, dass Gesundheits- und Pflegeberufe attraktiverwerden? Auch die Forderung, den Gesundheitsfonds fi-nanziell so auszustatten, dass die Krankenkassen keineZusatzbeiträge nehmen müssen, wird zwar nicht denBeifall der Koalition finden, ist aber richtig, jedenfalls solange, wie der Gesundheitsfonds nicht abgeschafft ist.

Trotzdem ist dieser Antrag völlig belanglos, weil kon-turlos wie ein Pudding. In der Gesundheitspolitik gibt esZielkonflikte, gibt es Interessengegensätze, und daherstellen sich immer wieder Fragen der Finanzierbarkeit.In Ihrem Antrag kommt das alles nicht vor.

Ein Beispiel: die Krankenhausversorgung. Wie schonerwähnt wurde, fordern Sie, die Privatisierung von Kran-kenhäusern zu unterbinden und bereits privatisierteKrankenhäuser wieder in die öffentliche Trägerschaft zuführen. Da kann ich nur sagen: Ich wünsche gute Ver-richtung.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das wollen die Grünen in Hessen auch!)

Schauen Sie sich einmal Folgendes an: Bundesweit sind30 Prozent der Krankenhäuser in privater Trägerschaft;in Teilen Ostdeutschlands liegt dieser Anteil wesentlichhöher. Würden Ihre Beschlüsse umgesetzt, müsstenKommunen, die sich von ihren Krankenhäusern oft ge-rade erst getrennt haben, weil sie sie nicht mehr finanzie-ren konnten,

(Zuruf von der LINKEN: Warum wohl?)

versuchen, diese Krankenhäuser wieder selber zu finan-zieren. Das Ergebnis wäre, dass es in weiten Teilen desOstens keine Krankenhäuser mehr gäbe. Dort bräche dieVersorgung zusammen.

Hinzu kommt – ich verweise auf Ihren entsprechen-den Antrag –: Auch für Sie ist der Investitionsstau bei

der Krankenhausfinanzierung angeblich ein Problem.Wenn privates Kapital in diesen Bereich aber gar nichtmehr fließen darf, weil es keine privaten Krankenhäusermehr gibt, dann müssen Sie auch all das zusätzlich durchSteuern finanzieren. Ich möchte langsam einmal wissen,woher Sie all das nehmen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Bender, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Spieth?

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein. Ich möchte noch ein paar Argumente unterbrin-

gen.

Ähnlich unausgegoren sind die Ausführungen zu denmedizinischen Versorgungszentren. Auf Seite 3 des An-trages lesen wir:

Viele der sogenannten „Medizinischen Versor-gungszentren“ sind reine „Profit-Center“, mit denenKlinik-Konzerne in den ambulanten Bereich drän-gen.

Blättert man eine Seite weiter, heißt es:

Diese

– Krankenhäuser –

sollen mit eigenen poliklinischen Strukturen an derambulanten Versorgung teilnehmen.

Ja, was denn nun, Herr Spieth? Sollen sich Krankenhäu-ser an der ambulanten Patientenversorgung beteiligendürfen oder nicht?

Es ist doch so: Vor allem für viele kleinere Kranken-häuser ist die Überlebensfähigkeit nur gegeben, wenn siesich tatsächlich via MVZ in den ambulanten Bereichausdehnen können. Viele niedergelassene Fachärzteempfinden genau dies aber als eine Bedrohung. Wasschließen Sie daraus? Sie sind für beides. Da kann ichnur sagen: Gleichzeitig den Gewerkschaften immerwohl- und den niedergelassenen Ärzten niemals wehge-tan, damit ist in der Gesundheitspolitik niemandem rechtgetan. – Das wird nicht funktionieren. Sie können nichtständig zwei Hüte aufhaben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Auch nicht zu Ende gedacht ist bei Ihnen die Pharma-preispolitik. Sie beschweren sich darüber, dass die Phar-maindustrie Profite auf Kosten der Versicherten mache.Was schließen Sie daraus? Sie wollen die Mehrwert-steuer auf Arzneimittel auf 7 Prozent reduzieren.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Und die Positiv-liste!)

Da die Pharmaindustrie aber nun einmal in keiner Weisegezwungen ist, dann mit den Preisen entsprechend he-runterzugehen, heißt das im schlechtesten Fall,

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Birgitt Bender

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Haben Sie auch gelesen, dass wir die Positivliste fordern?)

dass die Versicherten doppelt zahlen, erstens die hohenBeiträge und zweitens für den Verlust von Steuermittelnin Höhe von 6 Milliarden Euro, die sie mit ihren Steuernausgleichen müssen. Da kann ich nur sagen: HerzlichenGlückwunsch!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

So, wie die Linke glaubt, nämlich einfach mit einemWunschzettel, funktioniert die Reform des Gesundheits-wesens jedenfalls nicht.

Damit es hier nicht zu gemütlich wird, will ich nichtversäumen, zu sagen, dass die Koalition an den zentralenReformaufgaben im Gesundheitswesen gründlich ge-scheitert ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD])

Die Prävention führt weiterhin ein Schattendasein. Beider Reform der Krankenhausfinanzierung sind Sie überAnsätze nicht hinausgekommen. Die Finanzreform inder gesetzlichen Krankenversicherung wurde schlichtvertagt. Alles, was Sie auf die Reihe bekommen haben,ist, mit dem Gesundheitsfonds eine Geldsammelstelle zuschaffen, die viele Probleme nicht löst, aber dafür vieleschafft.

Wenn sich bei der Bundestagswahl nichts ändert, be-deutet das, dass spätestens danach den Bürgern und Bür-gerinnen in Form flächendeckend erhobener Zusatzbei-träge die Rechnung präsentiert wird. Deswegen brauchenwir bei dieser Wahl, gerade auch wegen der Gesundheits-politik, Alternativen. Aber mit voluminösen Wunschzet-teln und Liebedienerei gegenüber den verschiedenenKlientelgruppen – das sage ich an die Adresse der Links-partei – arbeitet man nicht an einer solchen Alternative.Da empfehle ich die grüne Bürgerversicherung.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Jens Spahn [CDU/CSU]: Bis auf das Ende wares gut!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Hennrich für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Michael Hennrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beratenheute den Antrag der Linken zum Thema der solidari-schen Gesundheits- und Pflegeversicherung. Sie von denLinken haben Leitsätze und Zielsetzungen formuliert,ohne konkret dazu Stellung zu beziehen, ob diese inDeutschland erfüllt werden. Sie haben auf den UN-So-zialpakt von 1966 verwiesen, in welchem das Recht aufmedizinische Versorgung festgeschrieben ist. Herr

Spieth, ich frage Sie: Stellen Sie das für Deutschlandernsthaft infrage?

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das haben wir gestern im Ausschuss beraten! Ja!)

Weil vielleicht auch viele Fernsehzuschauer diese De-batte verfolgen, will ich noch einmal ausdrücklich beto-nen, dass wir in Deutschland im Gegensatz zur früherenDDR ein gut funktionierendes Gesundheitssystem ha-ben. Es gibt eine flächendeckende Versorgung auf ho-hem Niveau. Bei allen Diskussionen mit den Leistungs-erbringern erfahren wir: Es sind motivierte Menschen,die in diesem System arbeiten. – Wir haben ein hohesMaß an Finanzierungsgerechtigkeit in diesem System er-reicht. – Das sind nicht meine Feststellungen; das sinddie Feststellungen der OECD sowie der EuropäischenUnion.

Ich will nicht leugnen, dass wir ständig vor neuen He-rausforderungen stehen, Herr Spieth, aber die Herausfor-derungen heißen nicht „Kommerzialisierung“ oder „Pri-vatisierung“, sondern „demografische Entwicklung“ und„medizinischer Fortschritt“. Das sind Begriffe, die in Ih-rem Antrag keinen Platz gefunden haben.

Wir fragen uns als Große Koalition täglich neu: Wiewerden wir diesen Herausforderungen gerecht? Wie er-reichen wir, dass die Versicherten am medizinischenFortschritt teilhaben? Wie hat die Gesundheitspolitik aufdie demografische Entwicklung zu reagieren? Gerade imGKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz haben wir noch ein-mal deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dies die do-minierenden Themen sind. Ich nenne nur: Schutzimp-fung als Pflichtleistung, Ausweitung der Rehabilitationund der Palliativversorgung, Erweiterung des Begriffsder häuslichen Pflege. Dies alles sind medizinische Leis-tungen, die gerade die Lage der älteren Menschen ver-bessern und eine unmittelbare Antwort auf die demogra-fische Entwicklung geben.

Wir haben in der Tat Probleme, was die langfristigeFinanzierung angeht, und stellen uns immer wieder neudie Frage, wie wir Finanzierungsgerechtigkeit schaffen.Es ist richtig, wenn Sie feststellen, dass wir unser Ge-sundheitssystem in Zukunft nicht mehr ausschließlichüber den Faktor Arbeit finanzieren können. Die hohenSozialversicherungsbeiträge sind eine zunehmende Be-lastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aberauch für die Arbeitgeber. Dies erleben wir gerade jetzt indieser schwierigen wirtschaftlichen Zeit. Deswegen ha-ben wir im Rahmen des Konjunkturpakets II die Kran-kenversicherungsbeiträge gleichermaßen zugunsten vonArbeitnehmern und Arbeitgebern gesenkt. Ich hielte esfür ein fatales Zeichen, in dieser Situation Arbeitgeberund Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen. Es gehthier schlicht und ergreifend um den Erhalt der Arbeits-plätze.

Bei der Frage der Finanzierung achten wir auch da-rauf, dass sie sich an den Bedürfnissen derjenigen aus-richtet, die auf medizinische Leistungen angewiesensind. Deswegen haben wir mit dem Gesundheitsfondseine einheitliche Pauschale geschaffen, die mit morbidi-tätsabhängigen Zuschlägen operiert. Wir haben den

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24033

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Michael Hennrich

Wettbewerb der Krankenkassen um junge und gesundeVersicherte abgeschafft. Für uns stehen diejenigen imMittelpunkt, die auf medizinische Hilfe und Gesund-heitsleistungen angewiesen sind.

Meine Damen und Herren, unser Ziel ist die Sicher-stellung der Teilhabe am medizinischen Fortschritt unab-hängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit desEinzelnen. Das heißt aber auch ganz konkret, wie es derKollege Dr. Schily schon angedeutet hat, dass der Ein-zelne für dieses System, für dessen Leistungsfähigkeitund dessen kosten- und preisbewusste InanspruchnahmeVerantwortung trägt. Nur so können wir langfristig die-ses System finanzieren. Deswegen ist es ganz wichtig,dass wir darauf achten, von den Versicherten Eigenver-antwortung zu verlangen, und dem Wirtschaftlich-keitsgebot gerecht werden. Gerade die Zuzahlungs-regelungen sind meines Erachtens hier ein wirksamesSteuerungsinstrument.

(Elke Ferner [SPD]: Die wolltet ihr ja noch verschärfen!)

Dies sehen wir beim Thema Praxisgebühr und bei denZuzahlungen für die Arzneimittel. Warum soll der Ein-zelne nicht Verantwortung dafür tragen, dass er ein kos-tengünstiges Medikament kauft, und warum sollen wirnicht zum Beispiel diejenigen belohnen, die dann nochdeutlich günstigere Medikamente verwenden? Hier ha-ben wir die Zuzahlungsverpflichtung abgeschafft. Esgibt heute viele Medikamente, die von der Zuzahlungbefreit sind. Das übt wieder Druck auf die Pharmaindus-trie aus. Dies alles ist nicht staatlich gelenkt, sondern ba-siert auf wettbewerblichen Grundsätzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Begriff Wettbewerb ist bei den Linken negativbesetzt. Ich habe ein positives Verständnis von Wettbe-werb. Wettbewerb bedeutet für mich Innovation undEntwicklung. Sie sehen Wettbewerb nur als Mittel zurSteigerung des Profits und zur Durchsetzung der Kom-merzialisierung. Wenn es um Wettbewerb geht, sprechenwir über Preis- und Qualitätswettbewerb. In Ihrem An-trag ist dies – Frau Bender, Sie sind darauf schon einge-gangen – nirgends deutlicher als bei Ihren Ausführungenzu den medizinischen Versorgungszentren geworden. Siesprechen hier von reinen Profitzentren und Wertschöp-fungsketten. Uns geht es bei den medizinischen Versor-gungszentren um eine medizinische Versorgung aus ei-ner Hand, um eine zusätzliche Versorgungsform. DerEinzelne soll die Wahl haben, welche Form von Leistunger in Anspruch nimmt. Niemand ist gezwungen, medizi-nische Versorgungszentren aufzusuchen. Wir haben freieArztwahl.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es! Im Unterschied zu damals!)

Zur freien Arztwahl finde ich in Ihrem Antrag keinerleiAussage.

Sie fordern in Ihrem Antrag die Trennung von ambu-lanten und stationären Einrichtungen in der Gesund-heitsvorsorge. Wie wollen Sie dann flächendeckendeambulante und vor allem fachärztliche Versorgung si-

cherstellen? Oder wollen Sie die Abschaffung der soge-nannten doppelten Facharztstruktur? Dann müssen Siedas auch deutlich zum Ausdruck bringen. Für uns in derUnion gilt immer noch: ambulant vor stationär.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wollen Gesundheitskonferenzen, ein Präventions-gesetz, in allen Bereichen ein gesteuertes und durchorga-nisiertes Gesundheitssystem und natürlich, Herr Spieth,die Bürgerversicherung.

(Mechthild Rawert [SPD]: Ja, super!)

Die Union ist gegen die Abschaffung der privaten Kran-kenversicherung als Vollversicherung.

(Elke Ferner [SPD]: Und für Kopfprämien! –Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie werden das auch noch einsehen –müssen!)

Sie ist dagegen, dass deren Tätigkeit auf das Zusatzver-sicherungsgeschäft beschränkt bleibt. Anders als in derrein umlagefinanzierten GKV haben wir bei den privatenKrankenversicherungen eine mittel- und langfristigeFinanzierung sichergestellt. Es gibt Altersrückstellun-gen.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Bankenkrise!)

Wenn Sie heute die PKV-Versicherten in ein rein umla-gefinanziertes System überführen, haben Sie sich viel-leicht kurzfristig etwas Luft geschafft, aber langfristigdie Finanzierung infrage gestellt. Damit bürden Sie dieProbleme der demografischen Entwicklung komplettkünftigen Generationen auf.

Sie wollen Kapital- und Mieteinkünfte in eine Bürger-versicherung einbeziehen. Sie müssen mir einmal erklä-ren, wie Sie das machen wollen. Ich bin Mitglied einerHaus- und Grundstückseigentümerorganisation. MeineKlientel sind Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Siehaben in ihrem Leben Geld angespart und Immobilienerworben, mit denen sie schlicht und ergreifend ihrenRuhestand finanzieren wollen. Denen wollen Sie jetztzusätzliche Leistungen aufbürden. Das ist ein klarer An-griff auf alle Rentnerinnen und Rentner.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ElkeFerner [SPD]: Unsinn! – Frank Spieth [DIELINKE]: Das ist jetzt schon Gesetz!)

– Herr Spieth, ich bin Ihnen dankbar für den Hinweis.Das ist gesetzlich geregelt in § 62 des SGB V. FragenSie einmal bei Ihren Krankenkassen nach, wie vieleMenschen zusätzliche Einnahmen haben! Es werden nullsein. Wie also wollen Sie das organisieren?

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Mit jedem, dereine Lebensversicherung auf Kapitalbasis ab-geschlossen hat!)

– Ich habe ja von den Mieten gesprochen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Hennrich, kommen Sie bitte zum

Schluss.

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24034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Michael Hennrich (CDU/CSU): Ich will abschließend sagen: Wir wollen kein staatlich

organisiertes Gesundheitswesen, sondern eines, das aufWettbewerb ausgerichtet ist. Wir setzen auf Eigenverant-wortung statt auf Bevormundung, und wir lehnen es ab,etablierte und bewährte Strukturen zu zerstören, wie Siees laut Ihrem Antrag mit der ambulanten fachärztlichenVersorgung oder den privaten Krankenversicherungenvorhaben. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Frank Spieth.

Frank Spieth (DIE LINKE): Frau Bender, ich hatte mich vorhin auf Ihren Beitrag

hin gemeldet, und darum geht es nach wie vor. Sie hattendarauf hingewiesen, dass unser Vorschlag, die privati-sierten Krankenhäuser in öffentliche Trägerschaft zu-rückzuführen, kaum zu realisieren sei; Sie haben das alsnicht machbar und politisch absurd dargestellt. Das warder Kern Ihrer Aussage.

(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Vor allem im Osten des Landes!)

– Ich will mit Ihnen jetzt gar nicht über den Osten reden,sondern über den Westen. In Hessen hat Herr Koch zweiUniversitätskliniken privatisiert und an das Rhön-Klini-kum verkauft. Im rot-grünen Koalitionsvertrag von Hes-sen, der vor kurzem leider aufgrund anderer Geschichtengescheitert ist, ist festgelegt, dass die Privatisierung derUniversitätskliniken Gießen und Marburg zurückgenom-men werden soll und dass das Land Hessen dem Rhön-Klinikum eine entsprechende Abfindung zu zahlen hat,weil die von Schwarz durchgeführte Privatisierung ge-gen die Interessen, auch gegen die berechtigten Versor-gungsinteressen, der Bevölkerung sei. Spinnen die Grü-nen in Hessen?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN –Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Keinesfalls!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Bender, wollen Sie erwidern?

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das bringt eh nichts!)

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Keineswegs. Das war eine gute Idee. Denn die Priva-

tisierung dieser Uniklinik hat sich nach allem, was ichgehört habe, nicht bewährt. Da gibt es Schwierigkeitenmit der Forschung, der Lehre usw.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Aber ansonsten ist das falsch?)

Sie aber wollen alle privaten Kliniken in öffentliche Trä-gerschaft überführen.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Zurückführen!)

Da müssen Sie sich fragen lassen, wie Sie so eine flä-chendeckende Krankenhausversorgung, insbesondere imOsten des Landes, gewährleisten wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Da werden Sie weiße Flecken bekommen, Regionen, indenen die Versorgung nicht mehr sichergestellt werdenkann. Sie sollten solche Forderungen nicht in die Weltsetzen oder sich den Folgen stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der CDU/CSU undder SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä-

rin Marion Caspers-Merk.

(Beifall bei der SPD)

Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei derBundesministerin für Gesundheit:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirdiskutieren heute über einen Antrag der Fraktion DieLinke. Die Art der Debatte macht mich sehr zuversicht-lich; denn das Haus ist sich weitgehend einig, dass dieLinke eine Parallelwelt aufbaut, indem sie zunächst einZerrbild des Gesundheitswesens vorlegt, um dann miteiner Wunschliste aus 50 Einzelforderungen, die maleben kurz vor den letzten vier Sitzungswochen vorgelegtwerden – daran sieht man die Seriosität dieser Arbeit –,jedem etwas anzubieten. Die Freiberufler bekommen et-was angeboten. Die Kliniken bekommen etwas angebo-ten. Es werden im Zusammenhang mit der Pflegeversi-cherung neue Forderungen erhoben.

Herr Kollege Spieth, ich schätze Sie als einen Kolle-gen, der im Fachausschuss hoch sachkundig ist. Entwe-der Sie haben bewusst zugelassen, dass, mit Ihrer Personverbunden, ein Antrag formuliert wird, der mit der Rea-lität überhaupt nichts zu tun hat, oder Sie haben um einesbilligen Wahlkampfgags willen Ihre Reputation aufsSpiel gesetzt; denn dieses Vademekum, diese Wunschlistekönnen Sie nicht wirklich ernst meinen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Einige Kollegen haben schon auf offensichtliche Wi-dersprüche in Ihrem Antrag hingewiesen. Da wird zumBeispiel ein Forderungskatalog beim Thema Pflege auf-gemacht. Da wird mal eben für demenziell Erkrankteüber das, was wir von der Koalition auf den Weg gebrachthaben – jetzt werden im Rahmen der PflegeversicherungVerbesserungen in einer Größenordnung von 2 MilliardenEuro vorgenommen –, das Füllhorn der Wohltaten aus-geschüttet. Da wird der für demenziell Erkrankte vorge-sehene Betrag mal eben von 2 000 Euro auf 6 000 Europro Person angehoben.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Im Jahr!)

Dies ist eine Verdreifachung. Dies führt zu einer Kosten-steigerung von 6 Milliarden Euro.

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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk

Dann haben Sie eine sofortige Dynamisierung undeine sofortige Erhöhung des Pflegegeldes vorgesehen.Zudem wollen Sie für die persönliche Assistenz einenBetrag in unbegrenzter Höhe sofort einführen.

(Elke Ferner [SPD]: Und die Rentenversiche-rung zusätzlich belasten!)

Wenn man das, was Sie im Rahmen der Pflegeversiche-rung fordern, addiert, kommt man noch in dieser Legis-laturperiode auf eine Summe von über 10 MilliardenEuro. Das hat mit seriöser Politik nichts zu tun, weil Siedie Antwort schuldig bleiben, wie Sie dies finanzierenwollen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Selbst wir, die wir eine Bürgerversicherung in der Pflegewollen,

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Wir wollen die auch!)

wissen ganz genau, dass diese nur ein Finanzierungs-volumen von vielleicht 2 Milliarden Euro zusätzlich er-schließt.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Wenn man beider Beitragsbemessungsgrenze bleibt, sehrwohl!)

Das heißt, Sie machen Ihre Forderungen durch das, wasSie hier mal eben so formuliert haben, unglaubwürdig.

Die Kollegin Bender hat recht: Bei den Krankenhäu-sern besteht das gleiche Problem. Auf der einen Seitesind Sie gegen MVZs an Kliniken; auf der anderen Seitesollen sie für die Ambulanz geöffnet werden. Schon diesist in sich widersprüchlich. Dann entlassen Sie die Bun-desländer aus ihrer Verantwortung für die Investitionenund sagen: Bund und Länder sollen gemeinsam fürKrankenhausinvestitionen von 50 Milliarden Euro gera-destehen. Na prima! Sie sagen natürlich wiederum nicht,wie das Ganze finanziert werden soll.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: In den ganzenHaushaltsberatungen haben wir das gemacht,Frau Kollegin! Euch passt das bloß nicht!)

Herr Kollege Spieth, ich kann an dieser Stelle nur sa-gen: Es besteht ein Unterschied zwischen Protestlinkenund Gestaltungslinken. Bei Ihnen reicht es aus, wennman einfach alles mal aufschreibt. Wir müssen es umset-zen. Deswegen würden wir so eine Wunschliste niemalsohne eine Gegenfinanzierung präsentieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Siemeines Erachtens eine Struktur in Ihre Begründung brin-gen, die völlig an der Realität vorbeigeht. KollegeHennrich hat recht, wenn er sagt, Sie hätten die inter-nationalen Studien nicht zur Kenntnis genommen. Dawird gesagt, was alles schlecht sei; aber es wird ein Zerr-bild gezeichnet, das mit der Wahrnehmung nichts zu tunhat. Die OECD und die WHO haben Deutschland gelobt.Frau Dr. Chan hat ja ebenso wie ein Mitglied Ihrer Frak-tion an der diesbezüglichen Debatte teilgenommen. Siehat den universellen Zugang zu hochwertigen medizini-

schen Leistungen ausdrücklich gelobt. Sie hat uns auchdafür gelobt, dass wir beispielsweise bei der Akutversor-gung und den Notrettungssystemen sehr gut aufgestelltsind. Sie hat viele Bereiche genannt, in denen Deutsch-land vorbildlich ist.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Es gibt also keine Probleme?)

Man muss doch einmal sehen, was international Stan-dard ist. Das alles aber wird von Ihnen im Prinzip igno-riert.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Wartezeiten gibt es also nicht!)

– Der Einwurf, dass es keine Wartezeiten gibt, ist prima.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Für Privatversi-cherte stimmt es sicher, dass es keine Warte-zeiten gibt!)

– An Ihrer Stelle wäre ich hier einmal vorsichtig. Ange-sichts der Wartezeiten, die es früher in der DDR gab– und nun fordern Sie wiederum eine Verstaatlichungdes Systems –, wäre ich ganz vorsichtig, die Wartezei-ten, die es bei uns gibt, zu kritisieren.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es gibt kein anderes europäisches Land, in dem dieWartezeiten so kurz sind wie in der BundesrepublikDeutschland.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Die Realität der Patienten ist eine andere!)

Umgekehrt gibt es eine Debatte: Patienten aus skandina-vischen Staaten oder Großbritannien fragen bei uns sta-tionäre Leistungen nach, weil sie in ihren Ländern in ei-ner bestimmten Zeit nicht erbracht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – FrankSpieth [DIE LINKE]: Weil sie cash zahlen!Bei Privatversicherten stimmt das!)

Erzählen Sie hier also doch nichts, was der Realität ein-fach nicht entspricht.

Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dassSie, Herr Kollege Spieth, als Sie in den vergangenen Jah-ren die Gelegenheit dazu hatten, daran mitzuwirken, dassdas System gerechter wird, ihre Mitwirkung verweigerthaben. Sie haben bei den Verbesserungen, zum Beispielim Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes,nicht mitgewirkt. Dort haben wir aber echte Verbesserun-gen erreicht. Wir haben Pflegestützpunkte eingeführt unddie Leistungen für Demenzerkrankte verbessert. Wo wa-ren Sie denn da? Sie haben sich da doch in Fundamen-talopposition begeben

(Beifall bei der SPD – Willi Zylajew [CDU/CSU]: Richtig!)

und legen jetzt, kurz vor den Wahlen, noch einmal billignach.

Ich glaube, Ihr Antrag ist unseriös.

(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Ja!)

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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk

Sie zeigen damit, dass Sie eine große gesundheitspoliti-sche Ahnungslosigkeit haben,

(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Richtig!)

denn der Antrag wird der Debattenstruktur nicht gerecht.Ich finde einfach, dass Sie damit auch unserer Debatte,die wir im Fachausschuss geführt haben,

(Willi Zylajew [CDU/CSU]: Nicht gerecht wird!)

nicht gerecht werden; denn auf dem Niveau, auf dem Siestehen geblieben sind, bewegen wir uns im Prinzipschon seit langem nicht mehr. Ich bedauere, dass so et-was eben einmal schnell hingeschrieben wurde, wohlnach dem Motto: Wir schreiben das einmal auf, weil dieAblehnung garantiert ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich der Kollegin Dr. Carola Reimann von derSPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Debatte zeigt, dass der Wettbewerb um dasbeste Konzept in der Gesundheits- und Pflegepolitik be-reits begonnen hat.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Na klar!)

Und das ist gut; denn die Menschen wollen wissen, wiees in den nächsten Jahren weitergehen soll. Sie wollenwissen, wie wir auch künftig eine gute Versorgung si-cherstellen, wie wir den medizinischen Fortschritt füralle ermöglichen und wie wir diese Gesundheits- undPflegeaufgaben finanzieren.

Die Linke hat in ihrem Antrag ihre Vorstellungen dar-gelegt, und sie ist ihrem Ruf dabei treu geblieben: Lagedramatisieren, in allen Bereichen immer das Maximumfordern, was erfolgreich läuft, schlechtreden, über Fi-nanzierung nur ganz am Rande reden und ansonsten im-mer schön im Ungefähren bleiben. Sie setzen aufschnelle Effekte, auf eine Wunschliste und auf Stimmen-fang, aber nicht auf nachhaltige und konkrete Konzepte.

(Beifall bei der SPD)

50 verschiedene Vorschläge sind kein Konzept.

(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Sehr syste-matisch!)

Durch das Papier machen Sie auch klar: Sie wollen garnicht regieren, schon gar nicht in Zeiten einer Wirt-schaftskrise. Sie wollen Ihre Pläne erst gar nicht derRealität aussetzen; denn auch Sie wissen, dass diesePläne an der Realität scheitern würden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Frank Spieth [DIE LINKE]: Warum?)

Die FDP hat ihr Konzept in einer wirklich bemer-kenswerten Debatte Anfang des Jahres

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr richtig!)

vorgestellt. Der Kollege Schily hat heute von einemneuen solidarischen Ansatz gesprochen. Das war nochrecht vage. Der Antrag damals war sehr konkret. Schondamals – die Krise war noch nicht in vollem Umfang er-kennbar –

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Doch, das warsie schon! – Heinz Lanfermann [FDP]: Für unsschon!)

haben wir uns verwundert die Augen gerieben. Sie wol-len das bewährte System der gesetzlichen Krankenkas-sen abschaffen und in der größten Finanzkrise, die wirbislang erlebt haben, auf Kapitaldeckung umstellen.Dazu kann ich nur sagen: Gute Reise!

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wollen Siejetzt die Riester-Rente abschaffen, FrauReimann?)

Es wird eine sehr einsame Reise werden. Ich kann mirnicht vorstellen, dass Ihre Vorschläge außerhalb der pri-vaten Versicherungswirtschaft auf große Begeisterungstoßen.

(Beifall bei der SPD)

Wohin die Reise bei der CDU/CSU geht, kann ich lei-der noch nicht ganz erkennen.

(Elke Ferner [SPD]: Das weiß sie selber noch nicht!)

Auf die Ähnlichkeiten zwischen den Vorstellungen derCSU und der Linken hat die Kollegin Bender schon hin-gewiesen. Durch die Redebeiträge konnte das nicht auf-geklärt werden. Diesbezüglich besteht offensichtlichnoch Klärungsbedarf. Ich hoffe, dass Sie bis zum Sommerein Konzept vorlegen können; denn die Bürgerinnen undBürger möchten wissen, mit welchen Kopfpauschalen sienach Ihrem Konzept künftig zu rechnen haben.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Dadürfen Sie ganz zufrieden sein, Frau Kollegin!Darüber würde ich mir an Ihrer Stelle nichtden Kopf zerbrechen!)

Die SPD hat ein Konzept: Wir setzen bei Gesundheitund Pflege auf die Bürgerversicherung.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen das, was wir in den letzten Jahren durchset-zen konnten, konsequent weiterentwickeln. Mit einemverbesserten morbiditätsorientierten Risikostrukturaus-gleich, mit der Versicherungspflicht für alle und mit demEinstieg in eine stärkere Steuerfinanzierung haben wireine gute Basis geschaffen. Inzwischen müssten eigent-lich auch die letzten Kritiker erkannt haben, dass der Ge-sundheitsfonds reibungslos angelaufen ist und jetzt, inZeiten der Wirtschaftskrise, dafür sorgt, dass der Kran-kenkassenbeitrag stabil bleibt und die Einnahmebasisder Kassen gesichert ist.

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Reimann, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Lanfermann?

Dr. Carola Reimann (SPD): Gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Lanfermann.

Heinz Lanfermann (FDP): Frau Kollegin Dr. Reimann, Sie haben gesagt, dass

Sie nicht erkennen können, wie andere ihr Konzept fi-nanzieren wollen, und zugleich die Bürgerversicherunggelobt. Im Antrag der Linken steht, dass Kapitalein-künfte, Mieten und Ähnliches herangezogen werden sol-len. Die Kollegin Ferner hat vorhin erklärt, dass dielohnabhängigen Bezüge nicht steigen werden, jedenfallsnicht in dem Maße, dass damit die Krankheitskosten fi-nanziert werden können.

Ich möchte Sie daher ausdrücklich fragen: Wonachsollen Ihrer Meinung nach die Beiträge für die Bürger-versicherung, also für das Modell der SPD, bemessenwerden? Soll es außer den lohnbezogenen Beiträgen, dieauch derzeit erhoben werden, weitere Beiträge geben,und auf welche Vermögens- und Einkommensarten sol-len sie erhoben werden? Haben Sie vielleicht auch schoneine Vorstellung von der Höhe?

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Und die Einkommensgrenzen?)

Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Kollege, Sie wissen, dass wir mit der Bürgerver-

sicherung ein Konzept verfolgen, das alle in die Versi-cherung einbezieht. Wir wollen eine Versicherungs-pflicht für alle. Wir setzen auf Beiträge und aufSteuerfinanzierung. Das habe ich gerade ausgeführt. Daswird die gemeinsame Basis für ein solidarisch finanzier-tes Gesundheitssystem sein. Das werden wir weiterent-wickeln. Der Gesundheitsfonds – das habe ich geradeschon erläutert – ist ein Einstieg.

Ich will fortfahren – auf die Finanzierung werde ichnoch zu sprechen kommen –: In den letzten zwei, dreiJahren sind einige Dinge nicht gelungen. Diese Punktemöchten wir natürlich noch umsetzen. Wir haben zwarviel erreicht, aber – das will ich nicht verschweigen –nicht alles umsetzen können, was wir uns gewünscht ha-ben. Das gilt sowohl für die umfassendere Steuerfinan-zierung – Herr Lanfermann, damit bin ich bei IhrerFrage – als auch für die Einbeziehung der privaten Kran-kenversicherung – auch das sollte Sie interessieren – ineinen wirklich vollständigen Risikostrukturausgleich.Leider hat das die Union blockiert.

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Mehr umver-teilen!)

Aber genau das sind unserer Meinung nach Grundvo-raussetzungen für ein solidarisches und solide finanzier-tes Gesundheitssystem.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Unser Konzept der Bürgerversicherung sieht also vor,dass die Einnahmebasis über einen höheren Steueranteilausgebaut und der Risikostrukturausgleich auf den Be-reich der privaten Krankenversicherungen ausgedehntwird.

Ferner wollen wir – auch das ist schon angeklungen –den bisherigen Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Beitrags-satzpunkten abschaffen und somit die alte Parität zwi-schen Arbeitnehmern und Arbeitgebern wiederherstel-len.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Zielist eine gute Versorgung für alle, und zwar unabhängigvom Geldbeutel. Um das zu erreichen, werden wir wei-tere Strukturreformen anstoßen: ein flexibleres Systemvon Kollektiv- und Einzelverträgen, eine weitere Öff-nung von Krankenhäusern für die ambulante Versorgungund damit eine bessere Verzahnung von ambulantem undstationärem Bereich sowie eine Stärkung der Präventionüber ein Präventionsgesetz, das bei den Lebensweltenansetzt.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Reimann, es gibt erneut den Wunsch

nach einer Zwischenfrage. Der Kollege Straubingerwürde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Carola Reimann (SPD): Bitte.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön.

(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Oh, die Koalition befragt sich gegenseitig! –Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist doch klar!Immerhin ist das Frau Bender aufgefallen!)

Max Straubinger (CDU/CSU): Frau Kollegin Reimann, Sie haben in Ihrem Beitrag

auch die CSU erwähnt. Sie haben gesagt, dass Sie nichtwissen, wie unser Konzept aussieht. Ich empfehle Ihnen,unseren Parteivorstandsbeschluss zu lesen. Dort wurdedas sehr konkret ausgeführt.

(Lachen bei der SPD – Daniel Bahr [Münster][FDP]: Na ja! – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist das Konzept darin?)

Ich habe eine Nachfrage im Nachgang zur Frage desKollegen Lanfermann. Ich möchte konkret wissen, obzur Finanzierung der Bürgerversicherung zukünftig Ein-künfte aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapi-taleinkünfte herangezogen werden? Ist die Bürgerversi-cherung ohne Beitragsbemessungsgrenze konzipiert,oder wird es eine Beitragsbemessungsgrenze geben?

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Ich glaube, das ist die entscheidende Frage!)

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Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Kollege, auch ich habe den Parteivorstandsbe-

schluss der CSU gelesen; dort wurden solche Konkreti-sierungen nicht vorgenommen. Wir werden – so vielkann ich sagen – die Einnahmebasis schlicht verbreitern.

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wohin?)

Dazu werden auch Einnahmen aus Vermietung und Ver-pachtung und andere herangezogen.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Brutto? Netto?)

Das ist nichts Neues. Das erzählen wir seit langem; wirsind da sehr konsequent und konsistent. Wir möchteneine Versicherungspflicht für alle und eine Bürgerversi-cherung, in die alle einbezogen werden.

(Beifall des Abg. Christian Kleiminger [SPD] –Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Freibe-träge?)

Das gilt auch für die private Krankenversicherung.

(Abg. Frank Spieth [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Nein.

(Zurufe von der Linken)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Reimann will keine Zwischenfrage mehr zulas-

sen. Sie haben das Wort, Frau Reimann. – Bitte schön.

Dr. Carola Reimann (SPD): Ich würde gern mit dem Bereich der Pflege fortfahren.

Wir sind da in den letzten vier Jahren ein gutes Stück vo-rangekommen. Die Pflegereform 2008 hat wichtige Leis-tungsverbesserungen insbesondere für Demenzkrankegebracht, aber auch die Grundlagen für mehr Qualitätund mehr Transparenz gelegt. Die von uns durchgesetz-ten Pflegestützpunkte ermöglichen eine wohnortnaheund umfassende Beratung über alle pflegerischen, medi-zinischen und sozialen Leistungen.

Insgesamt haben wir mit den Maßnahmen der Pflege-reform die Qualität der Pflege erhöht und neue Unter-stützungsmöglichkeiten für Betroffene, aber auch – daswill ich hier betonen – für Angehörige geschaffen. DieAngehörigen leisten nämlich tolle Arbeit, pflegen mithohem Engagement und viel Energie. Dafür zollen wirhohen Respekt. Wir können den Dank, den der Kollegegeäußert hat, nur verstärken. Es bedarf aber auch einerUnterstützung der Angehörigen.

(Beifall des Abg. Christian Kleiminger [SPD])

Wie im Bereich Gesundheit wollen wir im BereichPflege das Erreichte konsequent weiterentwickeln. Dazugehören der Finanzausgleich zwischen privater und ge-setzlicher Pflegeversicherung, aber auch – um die Ange-hörigen zu unterstützen – der Anspruch auf bezahlteFreistellung für zehn Tage und die Umsetzung des neuenPflegebedürftigkeitsbegriffs.

(Beifall bei der SPD)

Mit unseren Konzepten in der Pflege- und Gesund-heitspolitik setzen wir auf die soliden solidarischenSicherungssysteme und werden diese zur Bürgerversi-cherung weiterentwickeln. Gerade in wirtschaftlichschweren Zeiten, Herr Schily, kommt es auf die Solidari-tät zwischen den Menschen an. Wir wollen gleiche Ge-sundheitschancen für alle und eine gute medizinischeVersorgung für alle. Wir wissen aber auch, dass das so-lide finanziert sein muss. Nur so kann man politischeVorstellungen auch tatsächlich umsetzen und wirklicheVerbesserungen für die Versicherten erreichen – Stich-wort: Gestaltungslinke. Genau das leistet der Antrag derLinken nicht.

(Beifall bei der SPD – Frank Spieth [DIE LINKE]: Von wegen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/12846 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Unterrichtung durch den Parlamen-tarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung

Bericht des Parlamentarischen Beirats fürnachhaltige Entwicklung(Berichtszeitraum 6. April 2006 bis 25. März2009)

– Drucksache 16/12560 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider-spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Dr. Matthias Miersch vonder SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Matthias Miersch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Ergebnis vorweg: Ich glaube, wir sind gut beraten, demnächsten Bundestag zu empfehlen, den Parlamentari-schen Beirat für nachhaltige Entwicklung in der nächs-ten Legislaturperiode so schnell wie möglich einzurich-ten.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24039

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Dr. Matthias Miersch

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein dickes Brett, wenn man sich mit der Frageder nachhaltigen Entwicklung auseinandersetzt, weilheutzutage alles und nichts nachhaltig ist. In jeder politi-schen Debatte kommt der Begriff „Nachhaltigkeit“ mehr-mals vor. Man stellt sich unweigerlich die Frage: Was isteigentlich nachhaltig?

Umso mehr kann man sagen: Es ist diesem Beirat inden letzten drei Jahren gelungen, diesen Begriff auch imparlamentarischen Umfeld mit Leben zu füllen, indemwir dazu beigetragen haben, dass unser politisches Den-ken nicht nur auf das Heute und Jetzt gerichtet ist, son-dern auch über die Wahlperiode hinaus gefragt wird,welche Auswirkungen die eine oder andere Entschei-dung auf künftige Generationen hat.

Ich bin davon überzeugt: Sich mit nachhaltiger Ent-wicklung zu beschäftigen, ist der Schlüssel für die Lö-sung vieler Probleme, die wir aktuell haben. StichwortFinanzkrise: Man hat auf den kurzfristigen Gewinn ge-setzt und die langfristigen und mittelfristigen Folgenverkannt. Stichworte Krise im Energiebereich undVerknappung von natürlichen Ressourcen: Wenn wir As-pekte der nachhaltigen Entwicklung ernst nehmen, kön-nen wir diese Probleme lösen.

Wir haben im Parlamentarischen Beirat an den unter-schiedlichsten Dingen gearbeitet. Wir haben in einerForm zusammengearbeitet, die wir – das sollten wir unsalle gemeinsam überlegen – auch für weitere parlamen-tarische Verfahren einmal ein bisschen bewerben sollten.Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, die Arbeit derer,die schon vor vielen Jahren für nachhaltige Entwicklunggestritten haben, in den letzten dreieinhalb Jahren fortzu-setzen.

Ich bedanke mich ausdrücklich für die Zusammen-arbeit mit dem Bundesumweltministerium. Die Parla-mentarische Staatssekretärin Astrid Klug ist eine solcheVordenkerin. Vielen Dank für die Zusammenarbeit inden letzten dreieinhalb Jahren!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Ich möchte mich auch ausdrücklich bei Herrn de Maizièrebedanken – er war eben noch im Saal; wahrscheinlichhört er uns jetzt irgendwo zu –, der im Kanzleramt fürden größten Erfolg gesorgt hat, den wir in den letztendreieinhalb Jahren erzielen konnten: In der Gemeinsa-men Geschäftsordnung der Ministerien wird künftig eineNachhaltigkeitsprüfung vorgesehen sein. Das ist nichtselbstverständlich, sondern, wie ich meine, ein Meilen-schritt. Viele haben ihn vielleicht noch gar nicht als sol-chen erkannt. Ich bin mir sicher: Es ist von großem Vor-teil, wenn sich das federführende Ressort dazu bekennenmuss, welche Auswirkungen ein Gesetz in der Zukunfthat. Das war in der Vergangenheit nicht selbstverständ-lich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir darüber hinaus schauen, wie wir uns ge-meinsam aufstellen, dann muss man, finde ich, die Vor-teile eines solchen Gremiums benennen.

Erstens. Wir arbeiten in diesem Gremium interdiszi-plinär. Das heißt, Abgeordnete aus allen Fachbereichensitzen in diesem Gremium. Wir arbeiten nicht nur fach-spezifisch, sondern wir können jedes Mal den Blick überden eigenen Tellerrand, über die eigenen Bereiche, wiezum Beispiel Umwelt oder Finanzen, hinaus wagen undin diesem Gremium das große Ganze beleuchten. Ichglaube, es ist ein sehr starkes und wichtiges Mittel,Dinge im parlamentarischen Verfahren in Zukunft nichtnur isoliert zu sehen, sondern im Kern die Perspektiveder nachhaltigen Entwicklung einzunehmen und Pro-bleme aus ökologischer, sozialer und ökonomischerSicht zu betrachten. Wenn uns das künftig gelingt, kön-nen wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle einenanderen Umgang miteinander pflegen.

Zweitens. Ein weiteres wichtiges Moment ist fürmich, dass wir als Prinzip festgelegt haben, so viel wiemöglich im Konsens zu beschließen. Vieles geht leich-ter, wenn man zunächst danach fragt, was der gemein-same Nenner mit allen ist. Dies ist von Vorteil, weil wirnur für vier Jahre gewählt werden und sich Mehrheitenändern können. Aber wenn wir erst einmal etwas auf denWeg bringen, hinter dem wir uns alle versammeln kön-nen, trägt dieser Beschluss länger und ist von mehr Fes-tigkeit.

An dieser Stelle will ich noch einmal ausdrücklich sa-gen – das nehme ich für mich, der jetzt für dreieinhalbJahre die parlamentarische Arbeit begleitet hat, in An-spruch –: Wir sollten uns fragen, inwieweit es eigentlichsinnvoll ist, sich nach einer Wahl in Koalitionsverträgenbis ins kleinste Detail zu binden, oder ob es nicht besserwäre, das Instrumentarium, das wir im Parlamentari-schen Beirat entwickelt haben, viel stärker zu nutzen,also zunächst, ohne auf Koalition oder Opposition zuschauen, miteinander einen gemeinsamen Weg zu su-chen. Dann können wir uns meinetwegen über den Restkräftig streiten; auch das gehört zur Demokratie. Wennes uns gelingt, das Parlament viel stärker an dem auszu-richten, was wir in den letzten dreieinhalb Jahren imBeirat gemacht haben, gewinnen auch Demokratie undParlamentarismus. Ich glaube also, dass wir hier letztlicheine Arbeitsweise an den Tag gelegt haben, die für dieweitere parlamentarische Arbeit tatsächlich Vorbild seinkann.

Ein anderer Aspekt ist mindestens genauso wichtig:Wir dürfen uns mit dem Aspekt der nachhaltigen Ent-wicklung nicht nur auf Bundesebene befassen, sondernwir müssen bei der Diskussion über dieses Thema aucheine Verknüpfung mit der europäischen Ebene, den Län-derparlamenten und den Kommunen herstellen.

Gestern hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Veran-staltung durchgeführt, bei der es um gute Beispiele vorOrt zum Thema „Nachhaltige Bildung“ ging. In dieserVeranstaltung, an der circa 300 Menschen teilgenommenhaben, wurde deutlich, wie viele Pflanzen sich auf die-sem Gebiet in Deutschland schon entwickeln und wiewichtig es beispielsweise ist, dafür zu sorgen, dass der

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24040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Dr. Matthias Miersch

Begriff der nachhaltigen Entwicklung auch in Lehrplä-nen Berücksichtigung findet. Schülerinnen und Schülerbrauchen Freiräume, um experimentieren und herausfin-den zu können, welche Auswirkungen das Handeln vonheute für morgen hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es uns in dernächsten Legislaturperiode gelingt, eine Vernetzungzwischen der Nachhaltigkeitsstrategie, die es auf Bun-desebene bereits gibt und die es ermöglicht, die Politikzu fragen, welche Ziele sie erreicht hat, mit der Politik inden Länder- und Kommunalparlamenten herzustellen,dann sind wir, wie ich glaube, einen großen Schritt wei-ter.

Insofern sage ich: Wir haben noch viel Arbeit vor uns.Diese Arbeit ist sehr wichtig. Ich glaube, die letzten drei-einhalb Jahre haben sich gelohnt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiedes Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der

FDP-Fraktion.

Michael Kauch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debat-

tieren heute den Tätigkeitsbericht des ParlamentarischenBeirats für nachhaltige Entwicklung. Da ich schon diezweite Wahlperiode Mitglied dieses Gremiums bin, kannich Ihnen sagen: Gerade in dieser Wahlperiode warendas Klima und die Zusammenarbeit ausgesprochen gut.Dafür danke ich allen Kolleginnen und Kollegen, insbe-sondere dem Vorsitzenden des Beirats, Günter Krings,der durch seine ausgleichende Art viel dazu beigetragenhat.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und derSPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Miersch hat in der Tat recht, wenn ersagt, dass nur wenige Begriffe so sehr missbraucht wer-den wie der der Nachhaltigkeit. Deshalb sollte man sichimmer wieder vergegenwärtigen, was diesen Begriff imKern ausmacht und was das Thema Nachhaltigkeit vomStreit um die gute Lösung unterscheidet. Ich meine, dasist die Frage der Generationengerechtigkeit: Wie schaf-fen wir es, Politik für die kommenden Jahrzehnte undnicht nur für die jeweilige Wahlperiode zu machen?Dass diese Frage im Mittelpunkt steht, ist der entschei-dende Unterschied zu den Debatten, die wir sonst häufigim Parlament führen.

Es ist notwendig, dass wir eine nationale Nachhaltig-keitsstrategie erarbeiten, die auch im Falle eines Regie-rungswechsels zumindest als eine Art roter Faden dienenkann. Regierungen kommen und gehen. Aber die Grund-entscheidungen, die in dieser Republik und für unserenPlaneten getroffen werden müssen, bleiben auch überdas Ende von Wahlperioden hinaus bestehen. Deshalb ist

es in der Tat gut, wenn wir uns zunächst einmal daraufverständigen, welche Leitlinien für die Politik gelten sol-len.

Allerdings muss man selbstkritisch anmerken, dasszwischen Sonntagsreden zum Thema Nachhaltigkeit undder parlamentarischen Praxis und erst recht der politi-schen „Verkaufe“ im Land häufig große Unterschiedebestehen. In der Praxis geht es nämlich in vielen Fällenvor allem um die kurzfristige Maximierung von Wähler-stimmen.

(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Insbesondere auch bei der FDP!)

Ein Beispiel hierfür, das wir in dieser Woche erlebt ha-ben, war die Rentendebatte. Daran wurde deutlich, wieeine Politik aussieht, die gerade nicht auf Langfristigkeitausgerichtet ist.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist sehr wichtig, dasswir im Hinblick auf die Schaffung von mehr Generatio-nengerechtigkeit institutionelle Vorkehrungen schaffen.Es ist ein Fortschritt, dass die Bundesregierung ihre Ge-schäftsordnung auch auf Initiative des Parlamentari-schen Beirats hin dahin gehend ändern wird, dass jedesGesetz künftig nicht mehr nur mit Blick auf das Preis-niveau, die Geschlechtergerechtigkeit und die Auswir-kungen auf den Mittelstand geprüft wird, sondern auchauf die Auswirkungen, die es in den nächsten Jahrzehn-ten auf die Menschen hat. Diese sollen ja auch dannnoch gut in Deutschland leben können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des Abg. WinfriedHermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingen würde,dass der Deutsche Bundestag diese Nachhaltigkeitsprü-fung der Bundesregierung auch faktisch kontrollierenkönnte; an dieser Stelle sind auch die ParlamentarischenGeschäftsführer der in diesem Haus vertretenen Fraktio-nen gefragt. Bei Subsidiaritätsprüfungen im Zusammen-hang mit dem Europarecht haben wir gesehen, dass derBundestag manchmal zu anderen Ergebnissen kommt alsdie Regierung. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Parla-ment ein Wörtchen mitreden können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten der SPD und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die FDP befürwortet die Einführung von Generatio-nenbilanzen, um Transparenz zu schaffen über die Zah-lungsverpflichtungen, die künftige Generationen heuteals Last mit auf den Weg bekommen, aber auch über dieInvestitionen, die wir heute tätigen, damit künftige Ge-nerationen ein gutes Leben haben.

Ich bin – das sage ich als einzelner Abgeordneter,nicht für meine Fraktion – auch Mitinitiator der Initiative„Generationengerechtigkeit ins Grundgesetz“. Der Par-lamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hatsich dafür ausgesprochen, dass der Deutsche Bundestagdiese Initiative umsetzt und endlich auch eine Schutz-

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Michael Kauch

klausel für die Menschen, die noch nicht geboren sind,ins Grundgesetz aufgenommen wird. Hier besteht eindeutlicher Unterschied zu der Debatte über die Auf-nahme von Kinderrechten ins Grundgesetz.

In der nächsten Wahlperiode sind wir als DeutscherBundestag gefordert, die institutionelle Verankerung derNachhaltigkeitsprüfung in die Praxis umzusetzen undTransparenz über die Auswirkungen, die Gesetze auf dieZukunft haben, zu schaffen. Dann wird es möglich sein,Sonntagsreden an dem, was in der Praxis passiert, zumessen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und derSPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Marcus Weinberg (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich kann mich – daran merken Sie dieHarmonie im Parlamentarischen Beirat für nachhaltigeEntwicklung – beiden Vorrednern in nahezu allen Punk-ten nur anschließen.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-lung hat zwar die Pflicht, einen Arbeitsbericht zu erstel-len, aber wir schauen zugleich in der Diskussion immerkonstruktiv-kritisch nach vorne und stellen die Frage,was wir in Zukunft leisten müssen. Es stellt für uns keinelästige Pflicht dar, diesen Arbeitsbericht vorzustellen,sondern wir nutzen gern die Gelegenheit, für Nachhal-tigkeit zu werben. Wir nutzen daher – häufig harmo-nisch, auf jeden Fall aber in der Sache geeint – jede Ge-legenheit, hier im Parlament gemeinsam für unsereSache, für die Nachhaltigkeit, zu werben. Wir wollen mitdiesem Bericht aber auch kritisch beleuchten, wo wirnoch Potenzial sehen, die Entwicklung nachhaltiger zugestalten.

Ich will ganz kurz einige Schwerpunkte unserer Ar-beit in der 16. Wahlperiode nennen und danach zwei,drei Anmerkungen zur zukünftigen Konstruktion ma-chen.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-lung hat insbesondere die Nachhaltigkeitsstrategie derBundesregierung kritisch begleitet und einen detaillier-ten Kommentar zum Fortschrittsbericht 2008 – das kön-nen Sie da nachlesen – abgegeben. Das betrifft zum Bei-spiel die Bereiche „Nachhaltigkeitsmanagement derBundesregierung“ und „Weiterentwicklung der Indikato-ren“. Die Weiterentwicklung der Indikatoren ist als dau-erhafter Prozess eine hochwichtige Aufgabe. Wir habenin den Reden von der Finanzkrise gehört und davon,dass es jetzt darum geht, nachhaltig in die Bildung zu in-vestieren. Dies ist permanent zu erneuern und im Pro-zess weiterzuentwickeln. Das ist auch unsere Aufgabe;

denn Nachhaltigkeit betrifft mehr als die Ökologie,Nachhaltigkeit betrifft auch die Ökonomie, betrifft auchdie Gesellschaft, betrifft auch das Soziale. Wir lagenrichtig darin, unsere Möglichkeiten auszuschöpfen.

Ich komme zur Organisation der Struktur und zumAusblick, was bis zum Ende dieser Wahlperiode undmöglichst zügig zu Beginn der nächsten Wahlperiodegeleistet werden sollte. Aufgrund der Kürze der Zeit willich das an vier Herausforderungen deutlich machen. Ichsage bewusst nicht Schwächen, sondern Herausforde-rungen, um deutlich zu machen, dass wir dazu aufgeru-fen sind, diesen Weg zu gehen.

Erster Punkt. Der Parlamentarische Beirat für nach-haltige Entwicklung muss am Gesetzgebungsverfahrenformell beteiligt werden. So fehlt ihm die Möglichkeit,eigenständig Initiativen in die parlamentarischen Ab-läufe einzubringen. Natürlich kann im Prinzip jede Frak-tion, jeder Abgeordnete jederzeit Initiativen entwickeln.Aber wir alle kennen die politischen Prozesse. Diesessollte man in Zukunft konstruktiver und effizienter ge-stalten. Wir können zwar gutachterliche Stellungnahmenbei jedem Gesetzgebungsverfahren einbringen und unsdaran beteiligen. Das hört sich zunächst gut an, vermit-telt uns aber immer das Gefühl, das fünfte Rad am Wa-gen zu sein. Wenn wir uns dahin steigern könnten, dasvierte oder das dritte Rad oder sogar das Lenkrad zuwerden, wären wir ein ganzes Stück weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Festzuhalten ist auch, dass wir immer sehr vorsichtig mitden genannten Instrumenten umgegangen sind.

Der zweite Punkt ist die Federführung. Dem Umwelt-ministerium wurde schon gedankt. Ausdrücklich an-schließen möchte ich mich auch dem Dank an die Kolle-ginnen und Kollegen aus dem Umweltausschuss, beidem die Federführung liegt. Allerdings ist dies für denBeirat für nachhaltige Entwicklung nicht ganz unproble-matisch. Wenn wir nicht einmal bei unserem ureigenenThema – der Fortschreibung der nationalen Nachhaltig-keitsstrategie – federführend verantwortlich sind, dannstellt sich die Frage, wie wir uns bei anderen Themenmehr einbringen können. Ich glaube, hierüber müssteman nachdenken. Trotzdem war die Kooperation gerademit den Kollegen aus dem Umweltausschuss exzellent.

Drittens. In unserer Stellungnahme zum Fortschritts-bericht 2008 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hat-ten wir den Wunsch geäußert – wir sind so bescheiden,Wünsche zu äußern –, dass im Bundeskanzleramt dieZuständigkeit für die nationale Nachhaltigkeitsstrategieaus dem für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitsowie nachhaltige Entwicklung zuständigen Referat he-rausgelöst und auf eine eigene Einheit übertragen wer-den möge. Ein Dank an den Kanzleramtsminister istschon ausgesprochen worden. Vor kurzem hat ein Ge-spräch mit ihm stattgefunden. Es ist deutlich sichtbar,dass ein Schwerpunkt der Bundesregierung auf der Um-setzung der Nachhaltigkeitsstrategie liegt. Ein herzlichesDankeschön dafür.

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Marcus Weinberg

Ob in Zukunft ein eigenes Referat „Nachhaltige Ent-wicklung“ geschaffen oder ein anderer Weg gewähltwird, sei dahingestellt. Denkbar ist aber, dass der Kanzler-amtsminister, der im Grunde bereits für die Bundes-regierung die Verantwortung trägt, auch offiziell zumBeauftragten für die Umsetzung der nationalen Nachhal-tigkeitsstrategie ernannt und mit entsprechenden Res-sourcen ausgestattet wird. Das sollte man zügig diskutie-ren, um entsprechende politische Signale zu setzen.

Viertens. Bevor wir uns damit befassen, wie sich dieNachhaltigkeit in den Strukturen der Bundesregierungwiderspiegeln soll, müssen wir zunächst einmal an unsselbst als Parlamentarier denken. Dabei geht es um dieFrage – das ist schon angeklungen –, wie wir die Eigen-ständigkeit des Themas Nachhaltigkeit und damit aucheine stärkere Verdeutlichung im parlamentarischenRaum sicherstellen könnten. Denn Nachhaltigkeit ist– das ist zu Recht festgestellt worden – eine Querschnitts-aufgabe, die nicht eindeutig einzelnen Ausschüssen zu-zuordnen ist. Trotzdem ist zu überlegen, wie wir inner-halb der Struktur der Ausschüsse bzw. bei dem Einset-zungsverfahren einen stärkeren Akzent setzen können.Damit meine ich nicht, dass wir neue Strukturen schaf-fen sollten, die letztlich zulasten der Effizienz gingen. Esgeht mir nicht um Überfrachtung. Ich bin für klareStrukturen, wobei deutlich werden soll, wo es um Nach-haltigkeit geht, damit diejenigen, die das Thema im Fo-kus ihrer politischen Arbeit haben, entsprechendeSchwerpunkte setzen können: transparent, effizient, aberdurchaus auch mit geänderten Strukturen.

Auch die erst relativ spät erfolgte Einsetzung des Par-lamentarischen Beirats im April 2006 – also ein halbesJahr nach der Bundestagswahl – ist zu monieren. Nettohaben wir, glaube ich, nur drei von vier Jahren gearbei-tet. Auch hier wäre es sicherlich geboten, die Diskussionbereits heute zu führen, damit man zügig nach der Wahlim September die Strukturen im Konsens festlegen kann.

Eine frühzeitige Einsetzung des ParlamentarischenBeirates wäre sicherlich wünschenswert. Wir sind uns si-cherlich alle einig – das haben alle Reden gezeigt, unddas wird sich wohl auch in den folgenden Beiträgennicht ändern –, dass dies möglich ist.

Ich glaube, wir können rückblickend mit den Ergeb-nissen der vergangenen dreieinhalb Jahre zufrieden sein.Wir dürfen uns aber nicht zurücklehnen, sondern müssenuns fragen, wie wir das Thema in Zukunft effizienter ge-stalten können. Denn der technologische, ökonomischeund gesellschaftliche Fortschritt muss sich an diesemPrinzip messen lassen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege.

Marcus Weinberg (CDU/CSU): Das ist im Zusammenhang mit der Finanzkrise, den

Bildungsfragen und anderen Themen deutlich geworden.Wir als Mitglieder des Parlamentarischen Beirats ladenalle ein, an diesem Prozess mitzuwirken.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowiedes Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Lutz Heilmann hat jetzt das Wort für die Fraktion Die

Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Lutz Heilmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mich treibt eine Frage um: Was bleibt von der Arbeit desParlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklungder zurückliegenden Wahlperiode? Richtig ist, Herr Kol-lege Miersch – darin bin ich mit Ihnen völlig einig –,dass wir ein erhebliches Arbeitspensum hinter uns ge-bracht haben. Wir haben mehrere Anhörungen zu durch-aus wichtigen Themen wie Infrastruktur und Demografieoder die Nachhaltigkeitsprüfung durchgeführt.

Richtig ist auch, dass zum ersten Thema ein fraktions-übergreifender Antrag im Verkehrsausschuss vorlag unddass die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundes-ministerien geändert wird, um Gesetzesvorhaben aufNachhaltigkeit hin zu prüfen.

Ich denke aber, dass das gerade bei dem zweitenThema nur ein erster Schritt sein kann. Die Diskussionüber eine Nachhaltigkeitsprüfung muss fortgesetzt wer-den.

(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Völlig richtig!)

Das Gesetzgebungsverfahren muss transparent und füralle Menschen nachvollziehbar werden.

Der Beirat hat Reisen durchgeführt und dabei interna-tionale Kontakte geknüpft. Wir hatten Studenteninitiati-ven da und haben mit ihnen diskutiert, genauso wie Un-ternehmerorganisationen. Ich möchte aber nicht denBericht des Beirats wiederholen, zumal vieles schon er-wähnt wurde. Ich möchte vielmehr auf die anfangs ge-stellten Fragen zurückkommen: Reicht das? Was bleibt?Hat der Beirat einen Beitrag dazu geleistet, dass dasPrinzip der nachhaltigen Entwicklung in der Gesell-schaft, der Politik und der Gesetzgebung mehr Eingangfand? Hat der Beirat irgendetwas bewirken können?Schauen wir uns die Praxis an. Zur Erinnerung: DasLeitbild einer nachhaltigen Entwicklung umfasst denAusgleich wirtschaftlicher, sozialer und ökologischerBelange im Hinblick auf die Interessen heutiger undkünftiger Generationen. Ich glaube, Herr KollegeKauch, spätestens an diesem Punkt haben wir ein unter-schiedliches Verständnis. Sie denken bei Nachhaltigkeitan Generationenbilanzen und glauben, man könne allesauf Euro und Cent sozusagen ausrechnen. Fragen nachökologischen und sozialen Belangen haben Sie heuteüberhaupt nicht gestellt. Hier zeigt sich deutlich, wo Siestehen.

Gestern wurde ein Antrag im Umweltausschuss be-schlossen, auf dem der Name meiner Partei nicht auf-taucht. Das hat auch seine Gründe. Sie haben nämlich inder Begründung ausgeführt, dass das Leitbild der nach-

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Lutz Heilmann

haltigen Entwicklung auf vielen Politikfeldern verankertist. Ich frage Sie: Auf welchen Politikfeldern ist es denntatsächlich verankert? Gestern haben wir eine umfang-reiche Anhörung zum Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung im Verkehrsausschuss durchgeführt. Unabhän-gig davon, dass offensichtlich einigen hier im Hause dieUmweltauswirkungen völlig gleichgültig sind, ist es einUnding, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass ein von Ihnen benannter Sachverständigerdort öffentlich äußert, auf ein paar Hundert MillionenEuro mehr oder weniger komme es bei diesem Projektnicht an. Welch ein Verständnis von finanzieller Nach-haltigkeit ist das?

(Beifall bei der LINKEN – Michael Kauch [FDP]: Das muss gerade die Linke sagen!)

Offenbar sind Sie eher von den Baukonzernen, die hinterdem Projekt stehen, getrieben als von den Interessenkünftiger Generationen, die Sie hier immer so hervorhe-ben. Beachteten Sie dabei die Interessen künftiger Ge-nerationen, dann kämen Sie ganz schnell dazu, diesesBrückenprojekt – genauso wie es der Umweltministervor reichlich einem Jahr getan hat – als bekloppte Ideezu bezeichnen und ganz einfach zu begraben.

Schauen wir weiter. Nehmen wir die Abwrackprämie.Wollen Sie diese allen Ernstes als Beispiel für eine nach-haltige Politik nennen? Ist es nachhaltig, völlig intakteAutos zu verschrotten? Kommen Sie mir jetzt nicht mitdem Argument, dass dafür umweltschonende Autos ge-kauft werden. Die Bundesregierung hat mir als Antwortauf eine Kleine Anfrage schriftlich mitgeteilt, dass über-haupt nicht nach den CO2-Werten der neuen Autos ge-fragt wird. Insofern können darüber gar keine Aussagengemacht werden. Ihre Behauptung, es würden haupt-sächlich umweltschonende Autos gekauft, stimmt alsonicht. Was machen Sie, wenn diese zusätzlichen Wahl-kampfmittel ausgegeben sind? Was passiert dann in denAutowerken und den Autohäusern? Ich frage Sie aber,liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Wer hattedenn die Idee der Abwrackprämie? Nach meiner Erinne-rung war das Ihr Kanzlerkandidat.

(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Die IG Metall war nicht ganz unbeteiligt!)

Selbst der Kanzleramtsminister Thomas de Maizière hatin der letzten Beiratssitzung – das wurde heute schon öf-ter angesprochen – deutlich gemacht, dass er Zweifelhat, ob die Abwrackprämie einer Nachhaltigkeitsprü-fung standgehalten hätte. Ich bitte Sie: Wie sieht denndie Praxis aus?

Als letztes Beispiel das Generationengerechtigkeits-gesetz. Herr Kollege Kauch, ich finde es schon bemer-kenswert, dass gerade diejenigen, die den Gesetzentwurfeingebracht haben, im Beirat als neutrale Beobachtereine Stellungnahme abgegeben haben. Mit Ihrem Zwangzum Sparen auf Kosten künftiger Generationen raubenSie diesen die Zukunft und erhalten sie nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sind nur drei Beispiele für eine Politik der letztenvier Jahre, die mit allem zu tun hat, nur nichts mit nach-haltiger Entwicklung.

Von einer Etablierung des Leitbildes der nachhaltigenEntwicklung in weiteren Politikfeldern kann wohl kaumdie Rede sein. Warum ist es nicht möglich gewesen, Kol-lege Scheuer, in den Antrag zu schreiben, dass der Beiratfür den Ausgleich sozialer, wirtschaftlicher und ökologi-scher Interessen steht, so wie wir das angeregt haben?Sie wollten es nicht. So war es. Sagen Sie das doch ein-fach.

Daher stelle ich noch einmal die Frage: Was bleibt,und was hat der Beirat mit seiner Arbeit tatsächlich ge-leistet, um die Politik und auch die Gesellschaft nachhal-tiger zu machen? Bei genauerem Hinschauen ist die Ant-wort nicht sehr ermutigend. Ich denke aber, wir solltenden Beirat nicht abschaffen. Bestehende Probleme wur-den angesprochen, unter anderem die verspätete Einset-zung. Kollege Weinberg, nicht im April 2006, sondernim Juni 2006 war die konstituierende Sitzung. Ihre Aus-sage, dass wir ein Jahr verloren haben, war völlig richtig.Ich bin völlig bei Ihnen, dass wir den Beirat früher ein-richten sollten, anstatt wieder ein Jahr verstreichen zulassen.

Der Beirat muss es wirklich schaffen, über einzelneInteressen hinwegzudenken. Fraglich ist allerdings, ob erdas angesichts dessen leisten kann, dass er mit Vertreternaus den Fraktionen des Bundestages besetzt wird. HerrKollege Miersch, da müssen wir gedanklich neue Wegegehen und Nachhaltigkeit als Grundsatz verinnerlichen.

Der Beirat hat die Funktion, das Leitbild der nachhal-tigen Entwicklung ins Parlament und in die Gesellschaftzu tragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da gibt esnoch einiges zu tun. Ich bin gerne bereit, das in dernächsten Legislaturperiode wieder in Angriff zu neh-men.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. AndreasScheuer [CDU/CSU]: Das war jetzt eine Dro-hung, oder?)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sylvia Kotting-Uhl hat das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder Qualität in die Debatte!)

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Kompliment am Anfang bringt mich ganz

durcheinander.

(Heiterkeit)

Das ist völlig ungewohnt.

(Patrick Döring [FDP]: Darauf war der Refe-rent nicht vorbereitet!)

Ich will damit beginnen, dass im Parlamentarischen Bei-rat das Konsensprinzip gilt. Das habe ich gestern im

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Sylvia Kotting-Uhl

Ausschuss sehr gelobt habe, weil es ein erfrischenderGegensatz zu dem ist, was wir ansonsten alle ohne Aus-nahme betreiben. Es ist für die Einschätzung des Parla-mentarischen Beirats, für seine Arbeit und für die Vor-stellung, wie die Arbeit weitergehen soll, bezeichnend.Dieses Prinzip gilt mit einer kleinen Ausnahme: HerrHeilmann, ich gebe Ihnen teilweise recht, aber nicht inder grundsätzlichen Einschätzung. Da schließe ich michHerrn Miersch, Herrn Kauch und Herrn Weinberg an.Deswegen will ich darüber nicht so viel reden, weil ichnur das wiederholen könnte, was vorhin schon gesagtwurde.

Ich möchte gerne über die Frage reden – das gehtmehr dahin, was Sie aufgeworfen haben, Herr Heilmann –:Was bleibt? Ich möchte es aber eher so formulieren: Wasist das dicke Brett, das der Parlamentarische Beirat zubohren hat? Die Frage „Was bleibt?“ kann man mit dergleichen Berechtigung bezüglich der Arbeit eines jedenAusschusses stellen. Wenn ich auf der einen Seite dieZeit, die vielen Abgeordneten und die Ressourcen, diehineinfließen, betrachte und auf der anderen Seite minu-tiös aufliste, was dabei herauskommt, dann kann manimmer sagen: Die Arbeit dieses Ausschusses ist ineffizi-ent.

Aber ich glaube, Demokratie hat nun einmal den Ma-kel, ineffizient zu sein. Wir müssen immer viele Interes-sen berücksichtigen und diese Interessen ausgleichen.Letztlich stimmt der Begriff „dicke Bretter bohren“ fürdie Arbeit des Parlamentarischen Beirats genauso wiefür die Arbeit eines jeden anderen Ausschusses.

Unser dickes Brett lässt sich wie folgt beschreiben:Wie erreichen wir einen Fortschritt – wir haben sehrlange über den Fortschrittsbericht der Bundesregierunggeredet – dergestalt, dass wir hinsichtlich der Nachhal-tigkeit vom Reden ins Handeln übergehen? Das ist wiebei vielen anderen Dingen – das war damals bei der Um-weltpolitik genauso – ziemlich schwierig. Wir erlebenzumindest in Sitzungswochen tagtäglich das genaue Ge-genteil dessen, was als dritte Forderung im Entschlie-ßungsantrag steht: Die Nachhaltigkeitsziele sollen nichtanderen kurzfristigen Zielen untergeordnet werden,wenn damit langfristig eine soziale, ökologische undökonomische Entwicklung gefährdet wird. – Wir erlebenin Sitzungswochen täglich, dass diese Forderung nichteingehalten werden kann.

Ich will das aber nicht kleinreden. Ich glaube, Redenist der erste Schritt, etwas durchzusetzen. Es kann nichtsofort mit dem Handeln begonnen werden. Dass dieKanzlerin und Minister davon reden, was wir tun müs-sen, wie wir die Gesellschaft verändern wollen und wiewir Politik so gestalten, dass sie nachhaltig ist, ist einerster Schritt und darf daher nicht kleingeredet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist auch für Nachhaltigkeitspolitiker und Nachhal-tigkeitspolitikerinnen, wenn ich uns einmal so nennendarf, schwierig, die drei Säulen der Nachhaltigkeit insGleichgewicht zu bringen. Staatssekretär Müller hat ges-tern im Ausschuss davon geredet, dass die Ökologie so-

zusagen die Grundlage der Nachhaltigkeit sei. Zuersteinmal dachte ich: Ach Gott, er wird doch die ganze De-batte jetzt nicht zurücknehmen. Jetzt waren wir endlichso weit, zu wissen, dass Ökonomie, Soziales und Ökolo-gie zusammengehören. Jetzt reduziert er das wieder aufeinen der drei Begriffe. – Aber wenn man darüber nach-denkt, woher der Begriff kommt

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Forstwirtschaft!)

– Herr Göppel ist jetzt leider nicht da; er wüsste das,weil er aus der Forstwirtschaft kommt –, dann ist schonziemlich klar, dass etwas Wahres daran ist, dass die Öko-logie die Grundlage ist; denn der Begriff Nachhaltigkeitbedeutet ursprünglich, dass man dann, wenn man einengesunden Wald mit einem stetigen Gewinn will, überle-gen soll, wie viele Bäume man schlägt. Das muss manins Verhältnis zu der Zeit setzen, die die Bäume brau-chen, um wieder zu gleicher Größe zu wachsen. Dasheißt, nur unter Beachtung der Ökologie – nicht losge-löst von sozialen und ökonomischen Zielen – ist eine ge-sunde Ökonomie erreichbar.

Selbstverständlich haben wir Zielkonflikte, nicht nurzwischen den drei Säulen, sondern auch innerhalb derÖkologie. Als Beispiel nenne ich die Biomasse. Es stelltsich die Frage, ob uns Biomasse als Energielieferant fürAutos unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes et-was bringt, wenn dafür der Regenwald abgeholzt werdenmuss, Flächen nicht mehr für die Nahrungsmittelproduk-tion verwendet werden und Naturschutzaspekte zurücktre-ten. Die Lösung – wenn auch noch nicht die perfekte –liegt darin, Nachhaltigkeitskriterien für die Biomasse-nutzung zu entwickeln. Das ist die richtige Antwort.

Es gibt noch einen anderen Konflikt. Ist beispiels-weise die Gentechnik die richtige Antwort auf die Er-nährungsbedürfnisse einer wachsenden Weltbevölke-rung? Ich glaube, man kommt weiter, wenn man dasPrinzip der Nachhaltigkeit in der Antwort berücksichtigtund beachtet, dass alles vernetzt ist. Wenn wir uns dieIndikatoren Klima, Artenvielfalt und Landbewirtschaf-tung und bei der Landbewirtschaftung die Teilindikato-ren ökologischer Landbau und Stickstoffüberschuss an-schauen, dann sehen wir, dass das alles miteinandervernetzt ist. Wir können nur dann etwas erreichen, wennwir alles berücksichtigen. Dann wird auch klar, dassGentechnik eine sehr einseitige Antwort auf eine sehreinseitige Frage ist. Die Indikatoren Stickstoffüber-schuss, Artenvielfalt, Klima usw. werden davon über-haupt nicht abgedeckt. Daher kann Gentechnik unterNachhaltigkeitsgesichtspunkten keine Antwort sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Man kannsich manchmal mit der Einführung neuer Indikatorenoder neuer Teilindikatoren ein Stück weit vertun. Wirhaben, was eigentlich ein Erfolg ist, Ersatzindikatorenfür den bisherigen Indikator 14, Gesundheit und Ernäh-rung, der immer etwas unfassbar war, eingeführt. Es gibtjetzt drei neue Indikatoren: vorzeitige Sterblichkeit, Rau-cherquote und Menschen mit Adipositas. Wenn wir das,was wir als Indikatoren festlegen und was sich nachher

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Sylvia Kotting-Uhl

in den Fortschrittsberichten wiederfindet, in der Politikumsetzen wollen, also den Fortschritt tatsächlich voran-bringen wollen, dann ist zumindest bei den IndikatorenRaucherquote und Menschen mit Adipositas die Präven-tion absolut entscheidend, wenn wir Erfolge erzielenwollen. Deshalb hat der Beirat einhellig bemängelt, dassbei diesen Indikatoren nicht der Anteil der Jugendlichenherausgefiltert wird, und zwar sowohl beim Rauchen– denn häufig handelt es sich um Minderjährige – alsauch bei dem Indikator Adipositas. Beidem ist nur zu be-gegnen, wenn wir präventiv arbeiten. Dazu müssen wirwissen, wie viele junge Menschen davon betroffen sind.Es nützt uns nichts, zu wissen, wie viele fettleibige Men-schen wir in unserer Gesellschaft haben, es nützt unsnur, wenn wir wissen, wie viele Jugendliche mit diesemDefizit ins Erwachsenenleben starten. Nur dann kannman geeignete Strategien entwickeln.

Ich will zum Schluss – die Zeit geht doch schnellerherum, als man denkt – noch an eines erinnern. EinigeMitglieder des Beirats für nachhaltige Entwicklung ha-ben eine Reise nach Norwegen unternommen. Mir istdieses Land als unglaubliches Beispiel für Nachhaltig-keit in Erinnerung geblieben, vor allem deshalb, weilNorwegen seine immensen Einnahmen, die es aus denÖl- und Gasverkäufen erzielt, nicht in den Haushaltsteckt, sondern in einen Staatsfonds einbringt. DieserStaatsfonds ist für die nachfolgenden Generationen be-stimmt, wenn Öl und Gas verbraucht sind. Alles, wasvom Staat erwartet wird – das ist relativ viel, zum Bei-spiel Infrastruktur usw; da wird fast mehr als bei uns ge-leistet –, wird über Steuern finanziert. Das heißt, dieMenschen zahlen ihre Steuern, obwohl sie wissen, dassungeheuer viel Geld in einem Staatsfonds ist, das nichtangegriffen wird. Das tun sie, wenn ich das richtig mit-bekomme, mit weniger Gemecker als bei uns. Das isteine Vereinbarung zwischen Politik und Gesellschaft,die ich bewundernswert finde. Ich frage mich vor demHintergrund schon, warum bei uns etliche glauben, siemüssten in einem Wahljahr, wenn es auf die Bundestags-wahl zugeht, den Menschen Steuersenkungen verspre-chen, obwohl kein Mensch weiß –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin –, wie das mit

Konjunkturprogrammen und Bürgschaften, die im Ernst-fall auch einmal abgerufen werden können – sonstbrauchte man sie nicht –, und einer doch immerhin beab-sichtigten Konsolidierung des Haushaltes zusammenge-hen soll. Das ist absolute Unnachhaltigkeit.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist leider auch ein Beispiel dafür, dass das Tun

vom Reden noch nicht eingeholt worden ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. GünterKrings [CDU/CSU]: Ich hätte gerne ge-klatscht, aber nicht bei dem Schluss!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Als Nächster spricht Ernst Kranz für die SPD-Frak-

tion.

(Beifall bei der SPD)

Ernst Kranz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Heute liegt uns der zweite Tätigkeitsberichtdes Beirates für nachhaltige Entwicklung vor. Weil dieletzte Legislaturperiode verkürzt wurde, konnten wir da-mals den Tätigkeitsbericht des Beirates nicht mehr be-sprechen. Wir haben dann aber am 6. April, HerrHeilmann, als der Deutsche Bundestag den Parlamenta-rischen Beirat wieder ins Leben gerufen hat, über dieAufgaben des Beirates gesprochen.

So wichtig und unbestritten auch die Einsetzung war,kam doch etwas in der ganzen Diskussion zu kurz: Wirhaben nicht über unsere personelle Ausstattung, über un-sere Kompetenzen und über das, was wir nicht leistenkonnten, gesprochen. Mein Kollege Weinberg hat dasschon gestreift. Ich möchte seine Ausführungen einfachmit einigen Beispielen begleiten und sagen, dass es na-türlich wichtig ist, dass wir uns mit Nachhaltigkeit be-fassen. Aber es ist auch wichtig, dass wir als Gremiumwahrgenommen werden und die notwendigen Mittel zurVerfügung gestellt bekommen, um überhaupt wirken zukönnen.

Gemäß dem Grundsatz der von der Legislaturperiodeunabhängigen und konsensualen Arbeitsweise konnteder Beirat in der jetzigen Legislaturperiode unter Rot-Schwarz sofort da weitermachen, wo er unter Rot-Grünaufgehört hatte. Das zeigt schon, dass die Arbeitsweisedes Beirates nachhaltig ist.

Aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl konntenwir in der letzten Legislaturperiode die Anhörung zumThema demografischer Wandel nicht mehr durchführen.Wir haben sie gleich zu Beginn dieser Legislaturperiodewieder auf die Tagesordnung gesetzt, weil wir der Mei-nung waren und sind, dass dieses Problem durch die Ge-sellschaft und von allen, die in der Gesellschaft Verant-wortung tragen, viel stärker wahrgenommen werdenmuss.

Ich bin Mitglied im Ausschuss für Verkehr, Bau undStadtentwicklung und weiß deshalb sehr gut, dass wiruns gerade in diesem Bereich um nachhaltige Infrastruk-tur bemühen. Als Beispiel nenne ich den Wohnungsbau.Jahre- oder jahrzehntelang wurden in Deutschland Woh-nungen gebaut, weil der Bedarf da war, aber in den 90er-Jahren stellten wir dann fest, dass es vor allem im OstenWohnungsleerstand gibt. Als Konsequenz hat die Regie-rung 2002 das Programm „Stadtumbau Ost“ aufgelegt,und im Ausschuss beraten wir gerade darüber, es biszum Jahr 2016 zu verlängern. Auch hier haben wir er-

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Ernst Kranz

kannt, dass man handeln muss. Die Ursachen sind unsallen bekannt.

Das ist nur ein Beispiel von vielen. Ich kann immernur Beispiele aus dem Ministerium zitieren, für dessenBereich ich mitverantwortlich bin. Herr Heilmann, ichglaube schon, dass wir auch viele positive Dinge erwäh-nen können.

In der Anhörung zum Thema „Demografischer Wan-del und nachhaltige Infrastrukturplanung“ – der Berichtwurde hier im Plenum bereits beraten – ging es um dieFrage, inwieweit der Staat die öffentliche Daseinsvor-sorge im ländlichen Raum noch gewährleisten kann, wasja eigentlich seine Aufgabe ist. In dem Zusammenhangstellt sich aber auch die Frage: Wie ist es möglich, diesauch zu finanzieren und diese Finanzierung für den Bür-ger erträglich zu gestalten?

Das waren im Prinzip die Probleme, mit denen wiruns beschäftigt haben und die im Bericht auch darge-stellt werden. Wir haben Stellungnahmen des Ministe-riums angefordert, und ich bedanke mich an dieser Stelleausdrücklich bei dem Parlamentarischen StaatssekretärKasparick dafür, dass wir alle erbetenen Stellungnahmenpünktlich bekommen haben. Wir werden uns im Beiratdamit noch vor Ablauf dieser Legislaturperiode beschäf-tigen.

Der Bericht zeigt, dass der Beirat, weil er kein eige-nes Initiativrecht hat, die Kooperation und Zusammen-arbeit mit den bestehenden Gremien umso intensiver su-chen muss.

Die wichtigste Aufgabe des Beirats ist die Begleitungder Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Wirhaben sie schon im Jahre 2004 begleitet – als der Beirateingesetzt wurde, war diese Strategie gerade veröffent-licht worden –, und wir haben sie mit den nachfolgendenBerichten ebenfalls begleitet. Ich verweise auf den„Indikatorenbericht 2006“, der – anders als vorgesehen –durch das Statistische Bundesamt erstellt und vorgelegtwurde. Nach unserer Einschätzung hat er eine gute Qualität.Außerdem verweise ich auf den „Fortschrittsbericht 2008der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands“der Bundesregierung.

Wir als Beirat sind damit einverstanden, dass esfortan alle vier Jahre einen Fortschrittsbericht geben soll;in den Jahren dazwischen soll der Bericht über die Ent-wicklung der 21 Nachhaltigkeitsindikatoren vorgelegtwerden.

Vergleicht man die Relevanz der Nachhaltigkeits-aspekte in den politischen Aktivitäten, kommt man zudem Ergebnis, dass seit dem Jahr 2002 durch die Imple-mentierung der Nachhaltigkeitsstrategie das Bewusst-sein für dieses Anliegen immens erweitert worden ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eines der wichtigsten Ergebnisse des erweitertenBewusstseins ist die aktuelle Zusage der Regierung– hierüber wurde schon gesprochen –, die Nachhaltig-keitsprüfung künftig im Gesetz zu verankern.

Ich möchte hier noch einige Dinge ansprechen, diesich auf unsere eigene Organisation beziehen. Der Beiratbenötigt das Recht, eigenständig zu bestimmten Gesetz-gebungsverfahren und Unterrichtungen direkt Stellungzu beziehen, und zwar in der Art und Weise, dass seineStellungnahme den Adressaten unmittelbar erreicht.Hierzu ist es notwendig, dass wir gestärkt werden. DieAnzahl der Beiratsmitglieder ist in dieser Legislatur-periode schon aufgestockt worden, von 9 auf 20. Das hatunser Arbeitspensum erhöht. Aber wir haben noch gene-relle Probleme in der personellen Besetzung, und zwarsowohl der Arbeitsgruppen als auch des Beirats.

Hier sind die Fraktionen gefragt, die Arbeit des Bei-rats zu würdigen und zu unterstützen. Ohne ausreichen-des Personal kann der Beirat seinem besonderen Statusder langfristig ausgerichteten und deshalb interfraktio-nellen Arbeitsweise nicht ausreichend gerecht werden.Liebe Kollegen, wie Sie alle selber aus Ihrer parlamenta-rischen Arbeit wissen: Es ist viel aufwendiger, in Rich-tung Konsens zu arbeiten, als nur seinen eigenen Stand-punkt darzustellen.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende!

Ernst Kranz (SPD): Ich komme zum Schluss. – Aus diesem Grund sind

die von uns vorgeschlagenen Änderungen und Verbesse-rungen hinsichtlich Organisation, Struktur und Rechtendes Beirats ganz entscheidend für seine Wirksamkeit inder nächsten Legislaturperiode.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Patrick Döring hat das Wort für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Patrick Döring (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal sind wir gut beraten, darauf hinzuwei-sen – die Kolleginnen und Kollegen haben das schon ge-tan –, wie gut, harmonisch und auch sachorientiert wir indiesem Parlamentarischen Beirat bisher gearbeitet ha-ben. Herausgekommen sind nicht nur Papier und gutach-terliche Stellungnahmen. Ich verweise ganz bewusst da-rauf – das kann ich guten Gewissens tun; schließlich hates einen Konsens gegeben –, dass wir als Parlamentari-scher Beirat seinerzeit im Bericht über Demografie undInfrastruktur vorgeschlagen haben, ein Programm analogzum KfW-Gebäudesanierungsprogramm aufzulegen,durch das der altersgerechte Umbau von Wohnungen ge-fördert wird. Dass die Bundesregierung und die sie tra-gende Mehrheit das im Bundeshaushalt umgesetzt haben– das darf man als Opposition einmal lobend erwähnen –,zeigt, dass dieser Beirat an manchen Punkten Avant-

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Patrick Döring

garde war. Am Ende ist vieles von dem, was er erarbeitethat, in praktische Politik umgesetzt worden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

So stellen wir uns Parlament vor. Ich hoffe sehr, dasssich auch die Bürgerinnen und Bürger Parlament so vor-stellen, dass sich gute Ideen am Ende – unabhängig vonder Frage, ob sie von Vertretern der Oppositions- oderder Regierungsfraktionen vertreten werden – durchset-zen.

Ich kann mir nicht verkneifen, Folgendes zu den Aus-führungen des Kollegen Heilmann zu sagen. Ich finde esschon bemerkenswert, dass Sie sich nach dreieinhalbJahren immer noch intellektuell verweigern, zur Kennt-nis zu nehmen, dass Generationenbilanzen nicht aus-schließlich eine Betrachtung der monetären Auswirkun-gen auf kommende Generationen sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Anhörungen in diesem Haus überhaupt einen Sinnmachen sollen, dann doch wohl den, dass Erkenntnissegewonnen werden und man nicht seine Vorurteile perpe-tuiert. Aber ganz offensichtlich ist das zu viel verlangt.Wenn es ein bewiesenermaßen nicht nachhaltiges Sys-tem gab, dann war es der real existierende Sozialismusauf deutschem Boden, sehr geschätzter Herr KollegeHeilmann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Empirie ist manchmal wertvoller als der eine oderandere träumerische Gedanke, sei er auch noch so oftaufgeschrieben. Deshalb sind wir gut beraten, uns an dasanzulehnen, was die Kollegin Kotting-Uhl hier einge-führt hat. Es ist die Forstwirtschaft, aus der der Nachhal-tigkeitsgedanke stammt, entwickelt seinerzeit übrigensnicht so sehr wegen der Schönheit der Bäume und derWälder, sondern aus ganz nüchternem Gewinnstreben.Das zeigt wieder einmal, dass Ökologie und Ökonomiesehr gut zusammenpassen

(Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nichts Neues!)

und dass nachhaltiges Wirtschaften am Ende auch zunachhaltigen Gewinnen führt. Diese Gewinne könnenübrigens 25 Prozent Rendite auf das Eigenkapital über-steigen. Man muss es nur richtig machen. Das ist eineFrage unternehmerischer Glaubwürdigkeit und unter-nehmerischen Mutes.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das zeigt aus meiner Sicht auch, geschätzte Kollegin-nen und Kollegen: Wir alle hier im Hause – ich glaube,das darf man sagen – müssen aufpassen, dass wir nichtden Zerrbildern erliegen, die uns gelegentlich vorgeführtwerden, sei es durch die elektronischen Medien, sei esdurch Interessengruppen. Die Mehrheit der Unterneh-men in Deutschland wirtschaftet nachhaltig, langfristigund solide. Die meisten mittelständischen Unternehmenbei uns sind sehr viel älter als die Bundesrepublik

Deutschland. Es sind die handelnden Unternehmerinnenund Unternehmer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,die diese Volkswirtschaft über Jahre und Jahrzehnte auf-gebaut haben – ganz nachhaltig, ohne dass man von ih-nen jeden Tag Nachhaltigkeit gefordert hätte. Es liegtnämlich in der Natur des Menschen, sich so verhalten.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Wenn wir erreichen, dass sich das weiterentwickelt, ha-ben wir politisch viel gewonnen. Von daher freue ichmich auf die Arbeit in der nächsten Wahlperiode.

Weil das Gestöhne auf der linken Seite des Hauses sogroß ist, sage ich einmal ganz ehrlich: Die Auswüchse,die es gibt und gegeben hat, zum Anlass zu nehmen, dieguten Seiten der funktionierenden Marktwirtschaft aus-zublenden, führt in die Irre. Das werden die nächstenMonate auch zeigen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Andreas Scheuer hat jetzt das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Das gute Klima im Parlamentarischen Beirat fürnachhaltige Entwicklung darf heute auch der Öffentlich-keit präsentiert werden, nämlich durch einen Glück-wunsch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an den Kol-legen Döring, der gestern Geburtstag gehabt hat.

(Beifall)

Das soll nur ein Beispiel dafür sein, dass wir im Parla-mentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung mit ei-nigen Images von Politik aufräumen.

Ein Image von Politik ist, dass sie nicht über dennächsten Wahltag hinausdenken kann. Gerade wir Kolle-ginnen und Kollegen im Parlamentarischen Beirat fürnachhaltige Entwicklung demonstrieren mit dem Kon-sensprinzip, dass es uns nicht darum geht, bis zumnächsten Wahltermin effekthascherisch einen Punkt zumachen, sondern darum, visionär über den nächstenWahltag hinauszudenken. In solch einer Debatte mussauch einmal gesagt werden, dass Politik durchaus fähigist, über lange Zeiträume visionär zu denken. Das lebenwir in diesem Beirat vor.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das nächste Image von Politik ist, dass sie nicht nach-vollziehbar ist. Gerade durch die Nationale Nachhaltig-keitsstrategie der Bundesregierung, den Indikatorenbe-richt und den Fortschrittsbericht ist Politik messbar undauch transparenter geworden. Es gibt da Indikatoren mitverschiedenen Unterkategorien. Wenn Bürgerinnen undBürger ins Internet gehen und sich informieren, werden

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Dr. Andreas Scheuer

sie feststellen, dass Politik über solche Indikatoren mess-bar ist. Fragen der Art „Wie gut war die Politik? Wieschlecht hat sie auf bestimmte Umstände reagiert?“ las-sen sich so beantworten. Die Politik wird messbar undtransparenter.

Es ist eine gute Botschaft, wenn wir den Bürgerinnenund Bürgern sagen, dass wir eine Leistungsbilanz vorle-gen und aufzeigen können, bei welchen Indikatoren mannachbessern muss. Ich erinnere an den Indikator „Güter-transportintensität“. Dieser Indikator hat in Zeiten, in de-nen die Wirtschaft floriert, natürlich höhere Werte. Wennwir uns aber im Abschwung, in der Rezession befinden,dann geht die Gütertransportintensität zurück. Dieszeigt, dass Veränderungen der Nachhaltigkeit nicht nurvon der Politik, sondern auch von wirtschaftlichem Han-deln beeinflusst werden.

Indikatoren sind Teil eines dynamischen Prozesses.Daher haben wir uns vor Augen zu führen, dass wir Indi-katoren immer wieder nachbessern und aktuell anpassenmüssen. Die Botschaft soll aber sein, dass Politik mess-bar und transparent ist. Dazu haben wir in diesem Parla-mentarischen Beirat beigetragen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ein weiteres Image von Politik besagt, dass Politikersich nicht über Fraktionsgrenzen hinweg einigen kön-nen. Gerade im Parlamentarischen Beirat für nachhaltigeEntwicklung zeigen wir durch fraktionsübergreifendesHandeln, auch wenn man in den Fraktionen manchmalheilige Kühe aufgeben oder sich etwas reduzieren muss,dass wir zum Kompromiss und letztlich zum Konsenskommen. Die Botschaft lautet: Es gibt in der Demokratienicht nur Streit. Streit um Positionen gehört natürlichdazu; das ist nichts Nachteiliges. Aber gerade in diesemParlamentarischen Beirat – Herr Heilmann, es gibt einpaar Ausnahmen – werden wir uns auch in Zukunft nachdem Konsensprinzip einigen, weil wir ein gutes Klimapflegen, uns aber auch über die Botschaften einig sind,die wir in die Zukunft hineintragen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Demografie undInfrastruktur waren ein Schwerpunktthema. Gerade diesoziale Frage von Mobilität – dies sage ich auch als Ver-kehrspolitiker – wird eine Herausforderung sein.

(Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Entfernungs-pauschale!)

Die ländlichen Räume müssen zu den Ballungsräumenin Bezug gesetzt werden. Wir haben uns darüber sehrviele Gedanken gemacht.

Wenn wir in die Zukunft schauen, fallen mir zweiBausteine ein, die in den nächsten Monaten, aber auch inder nächsten Wahlperiode für den ParlamentarischenBeirat wichtig sein werden: Erstens wird es im Hinblickauf die Frage, wie wir in Europa, insbesondere aber inder Bundesrepublik Deutschland die Energieversorgungorganisieren, natürlich Streit unter den Fraktionen ge-ben. Bei diesem Thema werden wir uns nicht so leichtim Konsensprinzip einigen können. Zweitens wird es um

die soziale Frage, um die sozialen Sicherungssystemegehen.

Wir handeln sehr verantwortlich. Alle sind daran inte-ressiert, das Tal, das wir momentan durchschreiten,möglichst bald zu verlassen. Ich benutze nicht das WortKrise, sondern spreche von einem wirtschaftlichen Tal,das wir schnellstens durchschreiten müssen. Natürlichsind unsere Bürgerinnen und Bürger daran interessiert,weiterhin in Arbeit zu sein. Dazu hat die Große Koali-tion verantwortungsvoll und schnell gehandelt. EinImage von Politik besagt, dass wir uns nicht einigenkönnten und dass Verständigungen im Parlament sehrlange dauerten. Gerade bei den Konjunkturpaketen alsAntwort auf die Wirtschaftskrise – über Einzelheitenkann man unter den Fraktionen sicherlich unterschiedli-cher Meinung sein – hat sich gezeigt: Wir haben schnellgehandelt.

Ich komme zum Schluss. Nachhaltigkeit ist eine Quer-schnittsaufgabe. Marie-Luise Dött, ich bedanke mich beimeiner federführenden Arbeitsgruppe, der AG Umwelt.Aber vielleicht sollte das Nachhaltigkeitsprinzip geradeim Wirtschaftsausschuss angesiedelt sein; darüber solltenwir uns Gedanken machen. Bei diesen Themen ist dasKanzleramt ein guter Ansprechpartner. Herr Bauernfeind,geben Sie dies bitte an den Kanzleramtsminister weiter.Er hat eine gute, visionäre Sitzung des ParlamentarischenBeirats vorbereitet und begleitet. Sie sind stets in unserenBeiratssitzungen. Dies bedeutet, dass der Kontakt zwi-schen Parlament und Regierung funktioniert.

Die CDU/CSU-Fraktion ist fest davon überzeugt,dass wir den Parlamentarischen Beirat für nachhaltigeEntwicklung in der nächsten Wahlperiode wieder brau-chen und dass sich seine Bedeutung erhöhen muss, ge-rade wenn ich an die Nachhaltigkeitsprüfung und dieGesetzesfolgenabschätzung im parlamentarischen Pro-zess denke. Wir brauchen diesen Nachhaltigkeitsbeiratin prominenter Position. Darauf freue ich mich jetztschon mit Blick auf die 17. Wahlperiode.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Gabriele Groneberg das Wort für die SPD-

Fraktion.

Gabriele Groneberg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist schon einiges über die Breite der Arbeit des Bei-rats gesagt worden. Wir haben auch viel über die Nach-haltigkeitsstrategie der Bundesregierung und unsere Po-sitionen dazu gesprochen sowie unsere Kritik deutlichgemacht.

Ich möchte jetzt auf einen Punkt eingehen, den dieKollegin Kotting-Uhl schon kurz gestreift hat. Der Fort-schrittsbericht wie auch der Bericht des Parlamentari-schen Beirats setzen sich ausführlich mit dem deutschenBeitrag zum Thema Welternährung auseinander. Ichglaube, wir brauchen nicht darüber zu streiten, dass die

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Gabriele Groneberg

globale Dimension, die wir darin ansprechen, sehr wich-tig ist und dass wir sie beim Thema Nachhaltigkeit zuberücksichtigen haben.

(Beifall bei der SPD)

Unsere nationalen Bestrebungen, den Menschen undder Umwelt gerecht zu werden, dürfen nicht zulasten an-derer gehen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Biomasse-nutzung. Wir haben, lieber Kollege Heilmann, auch dazuim Konsens eine Aussage getroffen, die ganz erstaunlichist. Auf der einen Seite stehen die BemühungenDeutschlands und der EU, die CO2-Bilanz zu verbessern.Deshalb haben wir unter anderem die Quote der Biomas-senutzung im Kraftstoffbereich erhöht. Aber auch dieVerwendung von Biomasse zur Erzeugung von Biogasist mit Blick auf unser Ziel, den Anteil der erneuerbarenEnergien an der Strom- und Wärmeerzeugung massiv zuerhöhen, von sehr großer Bedeutung. Diese Ansätze sindfür uns mit vielen Vorteilen verbunden, gar keine Frage.Sie sind sinnvoll, um unseren Energiebedarf langfristigund nachhaltig zu sichern.

Aber auf der anderen Seite sind mit dem erhöhten Be-darf und dem Import von Biomasse Risiken verbunden,die in erster Linie Schwellen- und Entwicklungsländerbetreffen. Durch die Konkurrenz bei der Nutzung vonFlächen besteht die Gefahr, dass der Anbau von Energie-pflanzen zu Nahrungsengpässen bei der armen ländli-chen und urbanen Bevölkerung führt. Das ist auch imFortschrittsbericht der Bundesregierung ganz explizitbeschrieben, der sich zu einem Großteil auch mit derEntwicklungspolitik beschäftigt. Das kann man dort alsonoch einmal ausführlich nachlesen. Ähnliche Folgen ha-ben Preissteigerungen bei Lebensmitteln wie Reis undGetreide, die zum Teil auf die erhöhte Produktion vonEnergiepflanzen zurückzuführen sind.

Aber nicht nur im Ausland, sondern auch bei unsexistieren in einigen Regionen bereits negative Effektedurch den massiven Einsatz von Biomasse zur Biogas-erzeugung. Ich weiß, wovon ich rede; denn ich kommeaus einem Landkreis, in dem es die größte Dichte an Bio-gasanlagen gibt. Die Folge sind Monokulturen durch denAnbau von Mais für Biogasanlagen und höhere Pacht-preise für Ackerland, die von Landwirten bezahlt wer-den müssen, die Getreide, Gemüse oder Obst anbauen.Und die Landwirte, die Viehzucht betreiben, müssen hö-here Preise für Futtermittel bezahlen. Das zeigt uns, dasswir die Entwicklung in diesem Punkt nicht unkontrolliertlaufen lassen dürfen.

Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, dass nichtnur wir vom Einsatz von Biomasse profitieren, sondernauch die Entwicklungsländer, indem zum Beispiel dieZunahme der Biomasseimporte aus Schwellen- und Ent-wicklungsländern zu wünschenswert steigenden Export-erlösen für diese führen. Dadurch werden Mittel zur Ar-mutsbekämpfung in den Ländern freigesetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Biomasseproduktion führt zu erhöhter Wertschöp-fung und Beschäftigung im ländlichen Raum. Deshalbwäre es vollkommen falsch, den Einsatz von Biomassein den unterschiedlichen Bereichen zu verteufeln. Es ist

jedoch darauf zu achten, dass die positiven Effekte, diewir erzielen, nicht an anderer Stelle zu negativen Aus-wirkungen führen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]:Genau das ist Nachhaltigkeit!)

Im Fortschrittsbericht wie auch im Bericht des Beiratsgibt es dazu Stellungnahmen mit deutlichen Aussagen.Das finde ich, gerade durch den Konsens der Fraktionen,sehr bemerkenswert. Wir sind nämlich der Ansicht – dakann man wirklich sagen: wir –, dass in den Fällen, indenen Konflikte nicht auszuräumen sind, die Ernäh-rungssicherung Vorrang vor anderen Nutzungen habenmuss.

(Beifall bei der SPD)

Auch der Konsultationsprozess zu dem Fortschritts-bericht hat deutlich gezeigt, dass er bei den Menschenangekommen ist. Gerade zu diesem Punkt haben sichsehr viele geäußert. Sie haben sich mit den Risiken derBiomasseproduktion auseinandergesetzt und sich dazupositioniert.

Wir wollen auf jeden Fall, auch im Sinne der Nachhal-tigkeitsstrategie, nicht darin nachlassen, Fehlentwicklun-gen in den Bereichen Klimaschutz und Ernährungssi-cherheit zu vermeiden. Wir brauchen dazu ein wirksamesZertifizierungsinstrument – auch das haben wir in unse-rem Bericht festgestellt –, das die Nachhaltigkeit beimAnbau und bei der Produktion von Biomasse sicherstellt.

Nun gibt es endlich die EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie,die wir schon lange erwartet haben. Deutschland war indiesem Zusammenhang Vorreiter, wir wollten dazu einenationale Verordnung verabschieden. Wir sind dann einbisschen ausgebremst worden, weil die EU eine Verord-nung beschließen wollte, die für die ganze EU gilt; dasist ja auch sehr sinnvoll. Es hat nun ein bisschen längergedauert; aber es gibt sie jetzt endlich. Wir können nununsere beiden geplanten Nachhaltigkeitsverordnungenzum Strom und zu Kraftstoffen mit der EU-Richtlinieabgleichen und im Parlament verabschieden. Wir wer-den ganz besonders darauf achten, dass die Kriterien fürden Biomasseanbau in diesen Verordnungen so festge-legt werden, dass hier Nachhaltigkeit besteht. Als nächs-ten Schritt müssen wir dringend – damit werden wir unsim Beirat in der nächsten Legislaturperiode im Rahmenvon Energiefragen beschäftigen – die Zertifizierungssys-teme für den Biomasseanbau international implementie-ren. Ohne diesen Schritt werden wir in diesem Bereichkeinen nachhaltigen Erfolg erreichen.

Wir haben mit Sicherheit bei unserer Arbeit einesdeutlich gemacht: Es ist auch wichtig, die globale Di-mension zu berücksichtigen. Wir werden uns in dennächsten Jahren sicherlich noch häufig damit auseinan-derzusetzen haben, welche Auswirkungen unsere Ent-scheidungen im internationalen Kontext haben. Geradedie Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass keinermehr ohne den anderen ist. Insoweit ist es für den Beirateine Aufgabe, genau diesen Punkt stärker in den Fokuszu nehmen.

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Gabriele Groneberg

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dem Kollegen Dr. Günter Krings gebe ich jetzt das

Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Als Vorsitzender des Parlamentarischen Beiratsfür nachhaltige Entwicklung freue ich mich, in der letz-ten Debatte, die wir in dieser Wahlperiode dazu führenwerden, das Wort zum Abschluss ergreifen zu dürfen.Wir blicken auf in der Tat drei arbeitsreiche Jahre zu-rück. Von daher kann man unseren Bericht heute mit Fugund Recht als Arbeitsbericht bezeichnen. Gewisser-maßen ist er auch ein Abschlussbericht, wobei das nichtganz stimmt; denn wir arbeiten weiter – wir werden alleSitzungswochen, die uns verbleiben, ausnutzen – an denperspektivischen Fragen, daran, wie wir Nachhaltigkeitauch in der nächsten Wahlperiode im Bundestag im Ge-setzgebungsverfahren verankern können.

Wir haben uns mit einer Reihe von Themen beschäf-tigt – die meisten sind genannt worden –: Es gabAnhörungen und gutachterliche Stellungnahmen zumKlimawandel, gemeinsam mit dem Umweltausschuss,bis hin zu Generationenbilanzen, Nachhaltigkeitsprüfun-gen, Demografie und Infrastruktur, zum Generationen-gerechtigkeitsgesetz, also dazu, Generationengerechtig-keit als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Wirhaben dabei eine Reihe von Akzenten gesetzt, vor allemaber deutlich gemacht – heute wird es leider etwas über-deutlich –, dass Nachhaltigkeit eine parlamentarischeAufgabe und nicht nur eine Aufgabe der Exekutive, derBundesregierung, ist. Angesichts der Wichtigkeit diesesThemas ist es richtig, das deutlich zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowiebei Abgeordneten der FDP und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Hinblick auf den Nachhaltigkeitsprozess sind wirjetzt – das haben die Debattenbeiträge gezeigt – bei ei-nem ganz entscheidenden Punkt. Die Nachhaltigkeits-strategie der Bundesregierung ist durch mehrere Fort-schrittsberichte relativ gut ausgereift. Sie muss natürlichweiter überarbeitet werden. Aber jetzt geht es um diepraktische Relevanz. Besteht diese schon? Ich sage ein-mal: Sie besteht bedingt. In Sachen Nachhaltigkeits-management, bei der Umsetzung der Ziele der Strategiein praktische Politik, in praktische Gesetzgebungsarbeit,ist noch jede Menge zu leisten. Es gibt sehr positiveAnsätze. Ich habe mich beispielsweise gefreut, dass derStaatssekretärsausschuss – neudeutsch: das Green Cabinet –fast monatlich zusammenkommt. Es gibt deutlich ver-mehrte Sitzungsfolgen unter Vorsitz von Kanzleramts-chef de Mazière. Wir haben das Thema Nachhaltigkeits-prüfung – Herr Kollege Miersch hat es angesprochen –der Bundesregierung so nahegebracht, dass sie es in ei-

nem neuen § 44 in die Gemeinsame Geschäftsordnungder Bundesministerien aufnehmen wird.

Das alles muss sich in der Praxis aber noch bewähren.Um einige Punkte anzusprechen: Von den Ministerienerwarte ich, dass künftig auf jedem Schreibtisch einesGesetzgebungsautors ein Exemplar der Nachhaltigkeits-strategie steht. Von den Fachausschüssen wünsche ichmir, dass sie sich bei ihren zu behandelnden Themenauch einmal mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäfti-gen und gerade unter diesem Gesichtspunkt kritischeRückfragen an die Vertreter der Bundesregierung beiGesetzentwürfen stellen. Von unserem Parlamentari-schen Beirat, dem Nachfolgegremium in der nächstenWahlperiode, erwarte ich, dass er eine wichtigere Rolleeinnimmt, gerade dann, wenn es um die Koordinierungund Unterstützung solcher Nachhaltigkeitsüberprüfun-gen geht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowiebei Abgeordneten der FDP und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei diesem Thema wird es sicherlich von Vorteil sein,nach dem Vorbild des Normenkontrollrats auch eine un-abhängige Instanz zu haben, die noch einmal gegenprüft,ob das, was sich ein Ministerium zum Thema Nachhal-tigkeit ausgedacht hat, nicht nur weiße Salbe, sondernauch ernst gemeint ist. Um einmal ein ganz konkretesBeispiel zu nennen: Ich glaube, dass wir die Pflegeversi-cherung bei einer Nachhaltigkeitsprüfung auch heutehätten, sie würde aber vielleicht auf einer soliderenfinanziellen Grundlage stehen.

Wenn wir uns über das Thema Nachhaltigkeits-management unterhalten, müssen wir dafür sorgen, dassBund, Länder und Kommunen hier stärker zusammen-arbeiten. Nehmen wir das Beispiel Flächenverbrauch.Die Zielvorgabe lautet 30 Hektar am Tag.

(Patrick Döring [FDP]: Richtig!)

Nach dem Istzustand sind es 120 Hektar am Tag. DasZiel erreichen wir nicht allein durch Maßnahmen desBundes. Die Länder müssen hier stärker mit ins Boot.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und derFDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Das Thema Nachhaltigkeit ist in diesen Tagen – mankönnte fast sagen: in diesen Monaten und Jahren –aktueller denn je. Der Klimawandel ist auch in diesemHaus seit geraumer Zeit ein Gegenstand bedeutenderDebatten. Ihm entgegenzuwirken ist eine klassischeAufgabe im Rahmen einer nachhaltigen Umweltpolitik.Dabei geht es beispielsweise nicht darum, sofort sichtbarsaubere Flüsse zu erhalten, sondern darum, eine Um-weltvorsorge zu betreiben, bei der wir dann in 20 bis30 Jahren die Auswirkungen unseres heutigen Handelnserleben. Wenn wir richtig handeln, werden die Auswir-kungen positiv sein. Das ist eine klassische Aufgabe dernachhaltigen Umweltpolitik im Gegensatz zur tages-orientierten Umweltpolitik.

Das zweite Beispiel ist die Schuldenkontrolle. Manmag die Arbeit der Föderalismuskommission II in vielen

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Dr. Günter Krings

Einzelpunkten kritisieren, dass wir aber eine neue Per-spektive haben, mit einer neuen Schuldenbremse jeden-falls einen neuen ernsthaften Versuch zu machen, ist fürdas Thema gut und wichtig und wird, so glaube ich, auchvon der übergroßen Zahl der Mitglieder dieses Beiratssehr unterstützt.

Das dritte Beispiel – ich glaube, das sollte man in die-sen Tagen in jedem Falle nennen – ist die Nachhaltigkeitin der Wirtschaft. Die Nachhaltigkeit betrifft nicht nurdie Politik, sondern auch die Akteure in der privatenWirtschaft. Ich glaube, auch hier erkennt man, dass einerein kurzfristige Einstellung beim wirtschaftlichen Han-deln zu den Ergebnissen führt, die wir heute beobachtenkönnen. Wir als Staat müssen jetzt mithelfen, die ent-sprechenden Auswirkungen zu begrenzen.

Das Leitbild Nachhaltigkeit sollte in Form einer Vor-bildfunktion auch in der Wirtschaft stärker zum Tragenkommen, in dem einen oder anderen Punkt aber sicher-lich auch durch gesetzgeberische Maßnahmen unterfüt-tert werden, um gerade den Unternehmen – teilweisevielleicht auch den größeren –, die im eigenen Interesseund im Interesse von Aktionären und anderen Fehlent-wicklungen unterlegen sind, ein wenig auf die Sprüngezu helfen, soweit das im Rahmen unseres freiheitlichenLeitbildes funktioniert und sinnvoll ist. Die Finanz- undWirtschaftskrise ist nicht durch einzelne Maßnahmen,sondern perspektivisch, so glaube ich, nur unter demBlickpunkt nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung zu lö-sen.

Ich will zum Schluss – das ist mir ein persönlichesBedürfnis – meinen Dank für die gute Zusammenarbeitin diesem Beirat ausdrücken, der – das wurde schon ge-sagt – mit 20 ordentlichen und 20 stellvertretenden Mit-gliedern ein großes Gremium ist. Die Arbeit war konsens-orientiert, aber mehr noch vertrauensvoll. Es war gut, indiesem überparteilichen Gremium arbeiten zu können,auch wenn wir nicht so tun dürfen, als ob das sozusagendas alleinige Handlungsprinzip eines Parlaments seinkönnte. Streit gehört auch dazu. Wir haben uns gelegent-lich auch gestritten, aber in diesem Gremium stand ebennicht der Streit, sondern die Konsenssuche im Vorder-grund.

Ich bedanke mich beim Sekretariat des Beirats, undich bedanke mich bei der Bundesregierung und all denMitarbeitern, angefangen beim Chef des Kanzleramts,Herrn de Maizière; ich habe ihn bereits genannt. Stell-vertretend für die anderen Ressorts darf ich die Staats-sekretärin im Umweltministerium, Astrid Klug, nennen,weil sie in der letzten Wahlperiode eben auch Vorgänge-rin in diesem Amt als Vorsitzende dieses Beirats war.Bei vielen anderen Häusern dürfen wir uns ebenso fürdie Zusammenarbeit bedanken.

Ich danke dem Nachhaltigkeitsrat mit seinem Sekre-tariat, der bei diesem Thema eine wichtige Scharnier-stelle zwischen der Gesellschaft und der Politik ist, undden vielen Verbänden und Initiativen, die sich demThema Nachhaltigkeit verpflichtet haben.

Ich habe diese Arbeit im Parlamentarischen Beirat ne-ben der Arbeit im Hinblick auf einige andere Themen,

die ich in meiner Fraktion betreue, wirklich als einenHöhepunkt meiner parlamentarischen Tätigkeit erlebt.Deshalb ist es auch ein sehr persönlicher Dank, den ichaussprechen möchte. Ich darf ihn mit dem Versprechenverbinden, dass ich diesem Thema unabhängig von ir-gendwelchen Funktionen in diesem Beirat in Zukunftgerne verbunden bleiben möchte. Für mich ist Nachhal-tigkeit/Generationengerechtigkeit ein politisches Her-zensanliegen. Es sollte für uns alle ein Herzensanliegensein. Ich glaube, es ist auch für immer mehr Kollegenein ganz wichtiges Thema. Ich werde an diesem Themaweiter mitarbeiten, egal in welcher Funktion und in wel-chen Gremien des Parlaments. Ich wünsche mir – dieseneinen Wunsch darf ich zum Schluss noch aussprechen –,dass der nächste Bundestag in der kommenden Wahl-periode möglichst rasch einen solchen Parlamentari-schen Beirat wieder einsetzt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und derFDP sowie bei Abgeordneten der LINKENund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache.

Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlageauf Drucksache 16/12560 an die Ausschüsse zu über-weisen, die in der Tagesordnung aufgeführt sind. – Dazuhöre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-sen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENHumanitäre Katastrophe in Sri Lanka verhin-dern– Drucksache 16/12869 –

Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. –Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erstem erteile ich dasWort Johannes Jung für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Johannes Jung (Karlsruhe) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! In Sri Lanka spielen sich grausame Szenen ab,und die eigentliche Katastrophe steht möglicherweisenoch bevor. Der seit 25 Jahren andauernde, gewaltsamausgetragene Konflikt zwischen der Regierung und densogenannten Befreiungstigern tritt offenbar in seine mili-tärische Endphase ein. Ein sofortiger humanitärer Waf-fenstillstand, wie ihn auch Außenminister Frank-WalterSteinmeier fordert, ist daher die dringendste unserer For-derungen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Sri Lanka ist eine dieser paradoxen Gegenden derWelt, in denen einerseits ein Krieg stattfindet – mit bis-

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Johannes Jung (Karlsruhe)

her rund 70 000 Toten – und andererseits mit TourismusGeld verdient wird; schätzungsweise waren dies400 Millionen US-Dollar im letzten Jahr.

Bekanntlich konzentrieren sich die Kämpfe mittler-weile auf ein relativ kleines Gebiet im Nordosten. Wieimmer sind es Zivilisten, die in der Schusslinie stehen.Das gilt insbesondere jetzt. Die Zahl der Schwerverletz-ten steigt von Tag zu Tag. Im Kriegsgebiet ist die huma-nitäre Lage katastrophal, eine Versorgung mit Wasser,Nahrung und Medikamenten praktisch nicht vorhanden.Hilfe kann es nur von außen geben. Deshalb fordern wirdie völlige Kooperation der Kriegsparteien bei der Ver-sorgung und Evakuierung der Zivilbevölkerung. Wirwissen um die Schwierigkeiten bei der Durchsetzungsolcher Forderungen. Ich glaube aber, es ist angesagt,diese Forderung zu erheben – im Sinne der Menschlich-keit und im Sinne des humanitären Völkerrechts.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten der FDP und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es besteht die Gefahr, dass Auffanglager für Flücht-linge zu Dauereinrichtungen werden, um die tamilischeBevölkerung dort besser kontrollieren zu können. Des-halb muss die Regierung Sri Lankas alles daransetzen,die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatregionen zuermöglichen.

In dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD,FDP und Bündnis 90/Die Grünen wird die Lage richtigeingeschätzt und werden die richtigen Forderungen ge-stellt. Ich will diese hier nicht im Einzelnen vortragen,sondern auf einige Punkte aufmerksam machen, die inder Öffentlichkeit weniger stark wahrgenommen wer-den. An dieser Stelle sollte gesagt werden, dass die Be-richterstattung in den deutschen Medien in den letztenWochen und Monaten eigentlich sehr gut war und einungeschöntes, höchst kundiges Bild von der Lage in SriLanka und den Hintergründen vermittelt hat. Dadurch istes der breiten Öffentlichkeit möglich, sich recht gut zuinformieren.

Einer der Punkte, auf die ich aufmerksam machenmöchte, weil sie in der Berichterstattung nicht die Rollespielen, die sie eigentlich spielen sollten, ist die Lage derKinder, die als sogenannte unbegleitete minderjährigeFlüchtlinge auf sich allein gestellt sind. Die Lage dieserunbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge muss uns ganzbesonders alarmieren. Sie sind stark durch Misshand-lung und Missbrauch gefährdet. Sie sollten unbedingt re-gistriert werden, um irgendwann eine Rückführung zuihren Familien und Angehörigen zu ermöglichen. Wir inDeutschland kennen die Debatte um solche Kinder– häufig einfachere Fälle, die unter einfacheren Bedin-gungen auftraten – zur Genüge und wissen um dieSchwierigkeit.

Ferner gibt es eine große Zahl von Kindersoldaten un-ter den Kämpferinnen und Kämpfern der sogenanntenBefreiungstiger. Sie sind Opfer und Täter zugleich. Siesind – so ist zu vermuten – meist schwer traumatisiert.Gemäß den Pariser Prinzipien vom Februar 2007 muss

für ehemalige Kindersoldaten das Wohl des Kindes nachUN-Kinderrechtskonvention im Vordergrund stehen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Ehemalige Kindersoldaten sind in erster Linie als Opferzu betrachten. Gerichtliche Verfahren müssen im Ein-klang mit der UN-Kinderrechtskonvention stehen.

(Christoph Strässer [SPD]: Sehr richtig!)

Ein weiteres Problem betrifft die Lage der Presse imLande insgesamt. Nicht nur Hilfsorganisationen, son-dern auch Journalistinnen und Journalisten muss Zugangzu den umkämpften Gebieten gewährt werden. In die-sem Zusammenhang möchte ich unseren Respekt gegen-über dem bisherigen deutschen Botschafter in Sri Lankazum Ausdruck bringen. Herr Botschafter Jürgen Werthnahm kürzlich demonstrativ an der Beerdigung des er-mordeten Herausgebers des Sunday Leader, HerrnLasantha Wickrematunge, teil und hielt dort eine Rede,die ihm bei den offiziellen Stellen in Sri Lanka und beider regierungstreuen Presse – das war absehbar und kei-nesfalls das erste Mal – viel Ärger einbrachte. Die deut-sche Diplomatie macht offensichtlich eine gute Arbeit.Das verdient unsere Hochachtung.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz in diesem Sinne fordern auch wir eine unabhän-gige Untersuchung von Kriegsverbrechen, was allen amKonflikt beteiligten Seiten – das ist anderenorts genauso –schwerfallen wird.

Wir fordern den Stopp von Waffenlieferungen sowiedie Überprüfung von Zollpräferenzen – sie müssen vonder Einhaltung der Menschenrechte abhängig gemachtwerden – und setzen uns bei der Weltbank für die Aus-setzung von Entwicklungskooperationen mit Sri Lankaein, die nicht als humanitäre Hilfe gelten. Um es kurzzusammenzufassen: Sri Lanka ist von Good Governanceweit entfernt.

Letztlich führt kein Weg an gemeinsamen Bemühun-gen der internationalen Gemeinschaft um eine politischeLösung des Konflikts vorbei, weil eine militärische Lö-sung – wie immer – nicht zu erreichen ist. Deshalb er-geht die Aufforderung zur Mitwirkung an Indien, Pakis-tan, Russland, China und Japan.

Zum Schluss komme ich kurz auf das – meiner An-sicht nach – Standardproblem unserer Zeit zu sprechen,das auch in Sri Lanka auf so schreckliche Art und Weisezutage tritt. Im Falle Sri Lankas geht es wie in anderenKrisenregionen darum, multinationale Gesellschaftenund Staaten verträglich, tolerant, am besten demokra-tisch zu organisieren. Dazu braucht es die Einbeziehungaller Bevölkerungsgruppen. Grundbedingung dafür istder Respekt vor den Menschen- und Bürgerrechten einesjeden einzelnen Menschen unabhängig von seiner Zuge-hörigkeit zu der einen, der anderen, der dritten oder derübernächsten Bevölkerungsgruppe. In Sri Lanka sindwir von der Erfüllung dieser Bedingung nicht nur imHinblick auf die Tamilen weit entfernt.

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Johannes Jung (Karlsruhe)

Darüber hinaus könnte die Schaffung föderaler Struk-turen in der Tat ein Baustein der längerfristigen Befrie-dung und des Ausgleichs in Sri Lanka sein. Dabei erlie-gen wir in Deutschland gern der Versuchung, unserenauch nicht sehr erfolgreichen Föderalismus als Modellanzupreisen.

Es ist gut und richtig, dass Deutschland, der DeutscheBundestag und die Bundesregierung, in diesem Falle, indem wir kurz vor der ganz großen Katastrophe stehen,mithelfen will. Jetzt hat der Schutz der drangsalierten Zi-vilisten Priorität; aber ohne politische Lösung wird eskeinen Frieden geben. Wir sind bereit, an einer politi-schen Lösung mitzuwirken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Harald Leibrecht spricht jetzt für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Harald Leibrecht (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir debattieren heute zum zweiten Mal inner-halb kurzer Zeit über die humanitäre Katastrophe in SriLanka. Dabei bin ich sehr froh, dass dieses Mal vierFraktionen in diesem Hohen Haus einen gemeinsamenAntrag vorlegen, der der Dringlichkeit der Ereignisse inSri Lanka gerecht wird.

Ich habe in meiner Rede vor gut einem Monat hiergesagt, dass die Berichte und Bilder, die man aus SriLanka und den Flüchtlingscamps erhält, absolut scho-ckierend sind. Leider hat sich die Lage seither weiterverschlechtert. Mit roher Gewalt und erschreckenderBrutalität gehen Militär und tamilische Rebellen aufei-nander los und nehmen dabei keine Rücksicht auf dieZivilbevölkerung. Seit Januar dieses Jahres sind insge-samt etwa 190 000 Menschen aus den umkämpften Ge-bieten geflohen; 115 000 davon alleine seit dem20. April.

Die tamilischen Rebellen der LTTE sind auf einemwinzigen Küstenstreifen eingekesselt, und die sogenann-ten Befreiungstiger benutzen die Zivilbevölkerung alsSchutzschild und töten jeden, der aus der Kampfzonefliehen will. Die Regierung wiederum schießt auf alles,was sich bewegt, und nimmt dabei auch keine Rücksichtauf die Flüchtlinge. Entgegen Äußerungen der Regie-rung in Colombo werden dort nach wie vor schwereWaffen eingesetzt.

Laut den Vereinten Nationen sind seit Februar 2009etwa 6 500 Zivilisten getötet worden; darunter waren500 Kinder. Unter den 14 000 Verwundeten sind schät-zungsweise 1 700 Kinder. Es sind also einmal mehr– Kollege Jung hat es gerade eindrucksvoll geschildert –die Schwächsten in der Gesellschaft, die unter diesemKonflikt leiden.

Derzeit erleben wir in Sri Lanka ein abscheulichesSpiel mit Menschenleben. Dafür sind sowohl die tamili-

schen Befreiungstiger als auch die sri-lankische Regie-rung verantwortlich. Der Konflikt hat sich in den letztenMonaten zugespitzt und scheint sich seinem militäri-schen Ende zu nähern. Allerdings wird auch nach einemmilitärischen Sieg eine politisch stabile Lösung kaummöglich sein. Zu tief ist die Kluft zwischen der Mehrheitder Singhalesen und der tamilischen Minderheit in SriLanka. Es ist zu befürchten, dass die LTTE-Kämpfer ausdem Untergrund weiterkämpfen und den Konflikt aufanderer Ebene weiter schüren.

Wir müssen den Druck auf die Regierung in Colomboalso dringend erhöhen, und zwar mit dem Ziel, die lei-dende Zivilbevölkerung zu schützen. Die Regierungmuss es den Menschen ermöglichen, in Gebiete außer-halb der Kampfzone zu gelangen. Außerdem muss siedafür sorgen, dass für die Zivilbevölkerung ausreichendNahrung und Unterkünfte zur Verfügung stehen. All diesgeschieht nicht.

Der UNHCR hat zuletzt am 28. April 2009 erklärt,dass die Flüchtlingscamps im Norden und Osten von SriLanka völlig überfüllt sind. Die Regierung in Colombomuss die internationalen Hilfsorganisationen endlich da-bei unterstützen, das Leid der Zivilbevölkerung zu lin-dern. Solange sie das nicht tut, müssen wir von unsererSeite deutlich machen, dass Europa und die Welt dasmenschenverachtende Gebaren beider Seiten nicht ak-zeptieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Ein zentraler Ansatz von internationaler Seite mussdas Ende von Waffenlieferungen nach Sri Lanka sein.Gleichzeitig müssen wir uns darüber Gedanken machen,mit welchen langfristigen politischen Lösungen es nacheiner Beendigung des gewaltsamen Konflikts in SriLanka weitergehen kann. Wie stellt sich die sri-lankischeRegierung das Zusammenleben mit der tamilischen Min-derheit nach einem militärischen Sieg über die Befrei-ungstiger vor? Die Regierung Sri Lankas muss hierzuein schlüssiges und menschenwürdiges Konzept vorle-gen. Die tamilische Bevölkerung in kasernierten Wehr-dörfern anzusiedeln, wie es jetzt von vielen Hilfsorgani-sationen befürchtet wird, ist keine Alternative.

Beim IWF wird derzeit über Kredite für Sri Lankaverhandelt. Die Einhaltung von Menschenrechtsstan-dards gegenüber allen Bevölkerungsgruppen in SriLanka sollte eine Mindestbedingung für die Vergabe sol-cher Kredite sein. Die Europäische Union und Deutsch-land müssen gegenüber Colombo geschlossen auftretenund deutlich machen, dass uns die Menschenleben indiesem Konflikt, der in den letzten vier Monaten mehrOpfer gefordert hat als zum Beispiel die Auseinanderset-zungen in Afghanistan und Pakistan zusammen – siesind schrecklich genug –, nicht egal sind und dass wirhier handeln müssen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Jürgen Klimke hat jetzt das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.

Jürgen Klimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Kollegen Jung und Leibrecht haben die dramatische Si-tuation in Sri Lanka schon sehr eindrücklich geschildert.Lassen Sie mich einige persönliche Bemerkungen ma-chen, die auf eine Reise nach Bali zurückgehen, die dieKollegin Kortmann und ich zur Jahrestagung der ADB,der Asiatischen Entwicklungsbank, unternommen ha-ben.

Als wir am letzten Montag dort waren, haben wirauch Vertreter der Regierung Sri Lankas getroffen, umihnen mitzuteilen, dass wir heute im Deutschen Bundes-tag einen Antrag zur humanitären Katastrophe in SriLanka debattieren. Wir haben mit ihnen über diesen An-trag diskutiert und über die Situation in Sri Lanka sowieüber unsere politische Einschätzung der Lage gespro-chen. Wir haben versucht, dafür zu sorgen, dass die Zu-sagen der ADB und der Weltbank an Sri Lanka zunächsteinmal nicht verlängert werden, es sei denn, es werdenbestimmte Voraussetzungen erfüllt.

Die Antwort des Verhandlungsführers von Sri Lankawar absolut inakzeptabel. Uns wurde gesagt, unsere De-legation würde sich in die inneren Angelegenheiten ei-nes freien und unabhängigen Staates einmischen,

(Harald Leibrecht [FDP]: Das ist zynisch!)

und wir Deutschen hätten aus unserer Geschichte offen-sichtlich nichts gelernt. Denn wer hätte sich um die Op-fer der Gestapo gekümmert? Wer hätte sich um die Men-schen, die an der Mauer ums Leben gekommen sind,gekümmert? Darüber sei hierzulande nicht diskutiertworden. Insofern sei unsere Einmischung in die Angele-genheiten Sri Lankas völlig inakzeptabel. Wenn man sozynisch, anmaßend und ignorant behandelt wird, wennman sich für Menschen einsetzt, wie wir es versucht ha-ben, ist das eine Frechheit. Dieses Verhalten hat auchdazu geführt, dass wir das Gespräch nicht weitergeführthaben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So große geschichtliche Ignoranz und so viele Unwahr-heiten in einem direkten Gespräch habe ich selten erlebt.

Meine Damen und Herren, in diesem Gespräch istnoch etwas deutlich geworden, etwas, was wir nicht nurin Asien, sondern auch auf der Weltbühne beobachtenkönnen: Staaten haben verschiedene Eigeninteressen. Sogibt es die Eigeninteressen der asiatischen Staaten, dieWaffenhandelsinteressen Chinas und Pakistans, die geo-strategischen Interessen Russlands und Indiens und dieleisen diplomatischen Bemühungen Japans. Diese ver-schiedenen Eigeninteressen haben zur Folge, dass eseine geschlossene Haltung zur Situation in Sri Lankanicht gibt und dass es uns nicht gelang, unsere Forderun-gen über die ADB und die Weltbank durchzusetzen. Dasist ein sehr schlechtes Signal.

Allerdings müssen wir auch feststellen, dass sich diewestlichen Nationen sehr lange stark zurückgehalten ha-ben, wenn es um Sri Lanka ging, auch deshalb, weil siegar nicht so recht wussten, wo Sri Lanka überhaupt liegtund welche strategischen Fragen mit der dortigen Situa-tion verbunden sind.

All dies geschah vor dem Hintergrund, dass momen-tan 50 000 tamilische Flüchtlinge, die als menschlicheSchutzschilde missbraucht werden, in einem 5 Quadrat-kilometer großen Gebiet in Sri Lanka zusammengepferchtsind, umzingelt von einem mörderischen Vernichtungs-krieg. Augenzeugen beschreiben, dass die staatliche Ar-mee auf alles schießt, was sich bewegt. Sie berichten vonzerfetzten Kinderleichen, von Menschen, die seit Wo-chen in Erdlöchern hausen, und von Rebellen, die auffliehende Zivilisten schießen. Die Kriegführung der Ar-mee Sri Lankas ist für uns absolut verwerflich. Dieserwiderwärtige Krieg ist nicht nur zu verurteilen, sonderner muss auch sofort gestoppt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDPund dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowiebei Abgeordneten der LINKEN)

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watchbezeichnet das Vorgehen der Armee Sri Lankas als per-versen Endkampf. Es handelt sich um einen perversenKrieg, den intime Kenner der Situation in Sri Lankaschon vor langer Zeit haben kommen sehen. Inzwischendauert er schon ein Vierteljahrhundert, und er wird nocheinmal so lange dauern, wenn die Minderheitenrechteder Tamilen in Zukunft weiterhin nicht geachtet werdenund wenn die Tamilen nach wie vor ihrem Traumgebildeeines souveränen Staates nachgehen.

Meine Damen und Herren, in den letzten 25 Jahrensind in diesem Krieg 70 000 Menschen getötet worden,die Hälfte davon in den letzten zwei Jahren und 7 500 inden ersten drei Monaten dieses Jahres. Diesen Zahlenliegt ein Gemisch aus vergiftetem kolonialen Erbe, Natio-nalismus und militärischem Größenwahn zugrunde, daswir aus Ruanda, aus Kenia, aber auch aus Bosnien ken-nen.

Wir, die Weltgemeinschaft, sprechen im Fall SriLanka – ich wiederhole mich – immer noch nicht mit ei-ner Stimme. Das kann nicht sein. Insofern begrüßen wirden Antrag, der hier auf Bundestagsebene, auf dieserpolitischen Bühne, vorgelegt wird, ausdrücklich.

Die Tragik dieses Krieges liegt darin begründet, dassbeide Seiten schon immer diesen Konflikt erst dann alsgelöst ansehen wollen, wenn die andere Seite total ver-nichtet ist. Verhandlungen und strategisches Auf-den-anderen-Zugehen gab es nie. Die Religion der Singhalesenspielt bei dem Konflikt eine entscheidende Rolle: Derbuddhistische Klerus der Singhalesen predigt nicht Ge-waltfreiheit, ganz im Gegenteil: Er predigt einen aggres-siven Chauvinismus gegenüber den hinduistischen Ta-milen.

Für die Gegenseite ist festzustellen: Dieser Krieg istfür die LTTE zum Selbstzweck geworden. Mit der Tak-tik von Selbstmordattentaten wollen sie einen souverä-nen Staat erreichen. Dieses Vorgehen ist zu verdammen.

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Jürgen Klimke

Wie wir gehört haben, mordet die LTTE, bildet Kinder-soldaten aus und bringt friedliche tamilische Parteienzum Schweigen. Einen gewaltfreien politischen Flügel,sozusagen ein Pendant zur irischen Sinn Féin, haben sieaus kriegstaktischen Gründen nicht gegründet und versu-chen das auch nicht.

Am schlimmsten ist dieser Krieg aber für die unbetei-ligten Menschen auf Sri Lanka. Das Land ist fast bank-rott. Die Regierung ist korrupt. Der Beamtenapparat istaufgeblasen. Eine wirtschaftliche Weiterentwicklung desLandes ist schwer möglich. Armee und Polizei lassen inden von der LTTE „befreiten“ Gebieten regelmäßigMenschen verschwinden und terrorisieren in den Städtenkritische Bürgerrechtler, Anwälte und Journalisten.

Sri Lanka ist ein typischer Failing State geworden. Indiesem Licht ist zu sehen, was aus der VermittlerrolleNorwegens geworden ist und was die Einrichtung der SriLanka Monitoring Mission gebracht hat sowie dass diesogenannten Tokyo Co-Chairs aufgelöst und dass westli-che Botschafter ausgewiesen wurden. Der deutsche Bot-schafter ist freiwillig ausgereist, nachdem er auf dieFrage der Pressefreiheit aufmerksam gemacht hatte – fürmich ein ungeheuerlicher Vorgang.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, derSPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Menschenrechtsverletzungen werden kaum oder garnicht aufgeklärt. Die von der internationalen Gemein-schaft beauftragte ehemalige Hochkommissarin der Ver-einten Nationen hat schon 2007 bei einem Besuch aufdie Situation der Menschenrechte auf Sri Lanka hin-gewiesen. Dennoch hat sich dort nicht viel getan. Diebewaffneten Befreiungstiger der LTTE, die Karuna-Gruppe und andere Gewaltgruppen auf Sri Lanka versto-ßen massiv gegen die UN-Charta und gegen die dort ver-ankerten Menschenrechte: Sie töten Menschen, sie ver-gewaltigen Frauen. Es wäre übrigens ein Trugschluss, zuglauben, dass die Tamilen vor der LTTE, also vor ihreneigenen Blutsbrüdern, geschützt sind. Niemand ist ir-gendwo sicher, das ist die Situation auf Sri Lanka.

Genau wie die EU fordern wir als Unionsfraktion einesofortige Beendigung der Menschenrechtsverletzungenund die Wiedereinführung humanitärer Grundstandards.Dieses Ziel hat eine humanitäre und eine entwicklungs-politische Dimension, die ich mit den folgenden Punktennoch einmal ansprechen möchte.

Zur Entwicklungspolitik. 2007 haben wir unsere Gel-der gestoppt. 30 Millionen Euro für 2008 liegen noch aufEis. Dieses Geld kann natürlich nicht ausgezahlt werden.Ein abgedrehter Geldhahn ist die einzige Sprache, diedie derzeitige Regierung Sri Lankas versteht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, derSPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

In anderer Beziehung müssen wir, allerdings unter-halb der Schwelle bilateraler Beziehungen, engagiertbleiben. Wir müssen mit Konfliktstrategien den Willenzum Dialog und zur Achtung der Rechte des Gegenübers

fördern. Es gibt Beispiele, dass so etwas funktioniert.Nordirland ist ein Beispiel dafür. Auch Aceh in Nordin-donesien ist ein Beispiel dafür, dass die Situation ver-nünftig wird, wenn alle es wollen.

Aber hier ist die Situation jetzt völlig anders.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Jürgen Klimke (CDU/CSU): Ich will noch einmal auf den Antrag verweisen und

eine abschließende Bemerkung machen. Aus einer Traum-insel ist ein Trauma geworden. Deswegen halte ich es fürrichtig, dass es nach wie vor eine Reisewarnung desAuswärtigen Amtes gibt. Ich hoffe, viele Deutsche neh-men diese Reisewarnung ernst. Denn es geht dort nichtmehr um Urlaub und Tourismus, sondern um Menschen-rechte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Leutert ist der nächste Redner für die Frak-

tion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Michael Leutert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich stelle gleich zu Beginn fest: Bei diesem Thema wer-den wir uns inhaltlich sicherlich nicht zerstreiten.

(Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP])

Fakt ist: In Sri Lanka tobt seit 25 Jahren ein blutigerBürgerkrieg, der zulasten der Zivilbevölkerung geführtwird. Fakt ist aber auch, dass dieser Krieg die meisteZeit außerhalb des öffentlichen und auch unseres eige-nen Bewusstseins stattfindet.

Es gehört zum einen zu einem ehrlichen Umgang mitdem Thema, nach den Gründen dafür zu fragen. Zum an-deren muss man die Geschichte kennen, wenn man aneiner langfristigen Lösungsstrategie interessiert ist. Bei-des ist zwar nicht das Thema, um das es heute geht, aberes gehört meines Erachtens trotzdem dazu, darauf hinzu-weisen, dass Europa nicht bloß eine humanitäre Verant-wortung hat, wie sie für alle Staaten gilt, sondern dasswir auch eine Verantwortung haben, die in der Kolonial-zeit begründet ist, weil dieser Konflikt damals maßgeb-lich verschärft wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

In den letzten Monaten ist der Konflikt eskaliert. Zwi-schen der LTTE und den Regierungstruppen ist eineenorme Gewalt entfesselt worden, die keine Rücksichtmehr auf die Zivilbevölkerung nimmt. Aus diesemGrund ist der Antrag völlig zu Recht darauf fokussiert,dass eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe ver-hindert werden soll.

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Michael Leutert

Der Begriff der humanitären Katastrophe ist manch-mal umstritten oder etwas unklar. In diesem Fall ist er esdefinitiv nicht. Weil die Menschen, die vor dem Kriegfliehen, unter Generalverdacht gestellt werden, Aufstän-dische zu sein, kann man die Flüchtlingslager zu Rechtals Internierungslager bezeichnen. Denn der Zugang zurechtsstaatlichen Verfahren ist nicht gewährleistet, undmenschenrechtliche und insbesondere humanitäre Min-deststandards werden nicht mehr eingehalten.

Vor diesem Hintergrund sind die in dem Antrag erho-benen Forderungen vernünftig und richtig. Selbstver-ständlich sind auch wir Linken dafür, dass sich die Bun-desregierung für einen sofortigen Waffenstillstandeinsetzen soll. Auch wir Linken fordern, dass die Bun-desregierung auf die Einhaltung der humanitären Min-deststandards drängen soll, und auch wir Linken fordern,dass sie sich dafür einsetzen soll, dass die Zivilbevölke-rung schnellstmöglich evakuiert und Zugang zu denFlüchtlingslagern gewährt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Insgesamt sind in dem Antrag 14 Forderungen formu-liert. Weil sie vernünftig und richtig sind, werden wirdem Antrag selbstverständlich zustimmen.

In diesem Rahmen müssen allerdings auch zwei Fra-gen erlaubt sein. Erstens. Wenn wir uns in diesem Hausein diesen Fragen einig sind, frage ich mich, warum dieCDU/CSU- und die SPD-Fraktion dem Antrag der Lin-ken auf einen sofortigen Abschiebestopp für Flüchtlingeaus Sri Lanka, der vor zwei Monaten in den Fachaus-schüssen behandelt wurde, nicht zugestimmt haben.

(Beifall bei der LINKEN – Christoph Strässer[SPD]: Das haben wir hier im Plenum zusam-men beschlossen!)

Zweitens. Meine Fraktion war an dem interfraktionel-len Antrag nicht beteiligt. Was bringt Sie zu der Ansicht,dass wir diesem Antrag nicht zustimmen könnten? Esmuss diese Annahme gegeben haben, sonst wäre jemandauf uns zugekommen. Dafür könnte es inhaltlicheGründe geben, aber es ist auch kein Geheimnis – dasmuss hier nicht erörtert werden –, dass die CDU/CSUnicht möchte, dass wir an solchen Anträgen zu humani-tären Fragen beteiligt werden. Dafür kann es verschie-dene Gründe geben. Das kann plumper Antikommunis-mus sein.

(Zuruf von der FDP: Ihr seid doch gar keine Kommunisten!)

Es kann auch der Wunsch nach einem Feindbild oderauch die Tatsache sein, dass wir uns im Wahlkampf be-finden.

Ich weise Sie darauf hin, dass Sie mit diesem Verhal-ten die Kraft des Antrags absolut schmälern. Denn es istimmer besser, wenn alle Fraktionen und nicht nur fastalle Fraktionen einen solchen Antrag mittragen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hoffe, es ist allen klar: Wenn es um eine humani-täre Katastrophe geht, dann ist es wirklich ernst. Wir ma-chen aus diesem Grund Ihr Spielchen nicht mit und wer-den diesem Antrag trotzdem zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Kerstin Müller für Bündnis 90/

Die Grünen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will gleich zu Beginn klar sagen: Es ist gut, dass wirheute, ausgehend von einem Antrag der Grünen, einengemeinsamen, interfraktionellen Antrag zur aktuellenLage in Sri Lanka beschließen. Ich will für meine Frak-tion sehr deutlich sagen: Ich finde es bedauerlich und ei-gentlich auch albern, dass es selbst nach vier Jahrennoch immer nicht möglich ist, die Linke bei einer sol-chen Sache einzubinden. Wir finden das falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der LINKEN – Christoph Strässer[SPD]: Ihr habt aber auch kein Signal dafürgegeben!)

Wir brauchen jetzt ein Signal der Geschlossenheit;denn noch immer gehen die Kämpfe in aller Härte wei-ter; die Kollegen Vorredner haben es bereits dargelegt.Tausende sind bereits getötet worden. Zehntausende be-finden sich noch immer auf der Flucht und sind nachWochen des Dauerbombardements am Ende ihrerKräfte. Wirklich fürchterlich ist das, was man über diecirca 50 000 Menschen – wie viele es genau sind, weißman nicht – hört, die auf einem winzigen Stück Landeingekesselt sind, in der Falle der Tamil Tigers sitzenund gleichzeitig von den Regierungstruppen beschossenwerden. Sie sind ohne Wasser, Nahrung und medizini-sche Versorgung. Das Vordringlichste ist – es ist wichtig,dass das in unserem Antrag steht –, dass die dortige Re-gierung eine humanitäre Waffenruhe eingeht, damitdiese Zivilisten, die nicht verantwortlich gemacht wer-den können, die Kampfzone verlassen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Ein weiterer Punkt ist ebenfalls sehr wichtig. Wenndie Regierung fatalerweise auf den militärischen End-sieg setzt, dann muss sie – genauso wie die Tamil Tigers –wenigstens die Mindeststandards des humanitären Völ-kerrechts einhalten. Das ist die klare Botschaft, die wir,der Deutsche Bundestag, heute nach Sri Lanka senden.Außerdem müssen die Vereinten Nationen und die inter-nationalen Hilfsorganisationen ungehinderten Zugangzur Kampfzone erhalten. Unabhängige Beobachter vonEU und UN müssen hineingelassen werden, genauso wieunabhängige Journalisten; denn bis heute haben wir imGrunde kein eigenes Bild von der Lage. Umso wichtigerist, dass überhaupt berichtet wird.

Circa 180 000 Flüchtlingen ist die Flucht in soge-nannte Wohltätigkeitslager – so drückt es die dortige Re-

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Kerstin Müller (Köln)

gierung aus; wir machen uns ihre Begrifflichkeit natür-lich nicht zu eigen –, der Regierungen gelungen.Allerdings ist auch hier die Lage schwierig, weil selbstdem UN-Flüchtlingshilfswerk kein uneingeschränkterZugang gewährt wird. Es gibt Berichte über verschwun-dene Personen und vieles mehr. Dieser Zustand ist völliginakzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord-neten der CDU/CSU)

In einer solchen Situation ist es ein besondersschlechtes Zeichen, wenn der UN-Sicherheitsrat nicht inder Lage ist, formell zusammenzukommen und ein kla-res Signal mit einer Resolution zu setzen. Auf Druck vonChina und Russland gab es bisher nur ein informellesTreffen. Das ist ein Offenbarungseid. Ban Ki-moon wirdjetzt vermutlich in die Region reisen. Aber wir sehen– das ist bedauerlich –, dass selbst solche humanitärenAnliegen den Machtinteressen zum Opfer fallen und dieinternationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, an ei-nem Strang zu ziehen. Dann könnte man vielleicht wirk-samer helfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab-geordneten der SPD)

Der französische und der britische Außenministersind leider gescheitert; das wurde bereits erwähnt. Essoll noch einen Versuch der Troika geben. Ich hoffe, dasssie Erfolg haben wird, obwohl man pessimistisch seinmuss. Rajapakse hat ein Zugeständnis gemacht und er-klärt, auf Luftschläge und den Einsatz schwerer Waffenzu verzichten. Aber auch das wird nicht eingehalten. Vorwenigen Tagen wurde ein Notkrankenhaus bombardiert,und auch diejenigen, die der Hölle entfliehen konnten,berichten ganz eindeutig etwas anderes. Es ist sicherlichgut, dass noch ein Versuch der Verständigung unternom-men wird. Wichtig ist aber auch, dass diejenigen, diehinfahren, entsprechende Druckmittel in der Hand ha-ben. Herr Leibrecht hat bereits den IWF-Kredit ange-sprochen und geschildert, wie hervorragend man sich beider Weltbank verhalten hat. Herr Klimke hat dann ge-sagt, im Grunde genommen müsse alles versucht werdenund nur ein abgedrehter Geldhahn sei die Sprache, diedie Regierung verstehe.

Insofern bitte ich die Bundesregierung, an der Stellekeine Zusage für die nächste Tranche beim IWF-Kredit,für die Verlängerung von Handelspräferenzen oder fürProgramme des Wiederaufbaus zu machen, wenn diesenicht an eine Verbesserung der Menschenrechtssituationgebunden sind. Sie sollten außerdem an unsere humani-tären Forderungen gebunden sein, die da lauten: Waffen-stillstand, die Möglichkeit für die Zivilisten, die Zone zuverlassen, und langfristig friedliche Verhandlungen.Diese Forderungen müssen endlich seitens der Regie-rung erfüllt werden.

(Beifall im ganzen Hause)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Ich komme zum Schluss. – Manchmal kommt es ei-nem so vor, als sei man hilflos. Ich glaube aber, dass dasletztlich nicht der Fall ist. Nach dreijähriger Schlacht istSri Lanka ausgeblutet, auch finanziell. Das Land wirdwieder auf uns zukommen, da es auf finanzielle Hilfeangewiesen sein wird. Daher ist es wichtig, dass die in-ternationale Gemeinschaft an einem Strang zieht, indemsie sagt: Wir werden nur Hilfe leisten, wenn Schritte aufdie Tamilen zu gemacht werden, und wenn versuchtwird, sich mit den Tamilen auszusöhnen.

(Beifall im ganzen Hause)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antragder Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12869 mit dem Titel„Humanitäre Katastrophe in Sri Lanka verhindern“. Werstimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Damit ist der Antrag einstimmig angenom-men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Wieland, Manuel Sarrazin, MarieluiseBeck (Bremen), weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Europäische Innenpolitik rechtsstaatlich ge-stalten

– Drucksache 16/11918 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Es ist verabredet, dazu eine halbe Stunde zu debattie-ren. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so be-schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort demKollegen Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die jet-

zigen Zeiten sind große Zeiten der europäischen Innen-politik. Die Zukunftsgruppe für das Post-Haager-Pro-gramm hat im Juni letzten Jahres ein Papier vorgelegt.Im Juni dieses Jahres wird die Kommission eine Mittei-lung über ihren Entwurf für das Stockholmer Programmvorlegen. Im Dezember soll dann in Stockholm verab-schiedet werden, wie der Raum der Sicherheit, der Frei-heit und des Rechts in Zukunft gestaltet werden soll.

Damit dieser Raum der Sicherheit, der Freiheit unddes Rechts nicht nur ein hehres Ziel ist, legen wir mitunserem Antrag Maßgaben vor, zum Beispiel den Maß-stab, dass die Innenpolitik der Europäischen Union denBedürfnissen, den Rechten und den Schutzrechten derBürgerinnen und Bürger genügen muss. Solange der Lis-sabonner Vertrag nicht in Kraft ist, haben wir, die natio-

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Manuel Sarrazin

nalen Parlamente, die besondere Aufgabe, unsere Regie-rungen, die im Rat relativ losgelöst über die Innenpolitikder Europäischen Union entscheiden können, zu kontrol-lieren, sie aber auch durch Maßgaben auf die Schienenzu bringen, auf denen wir sie haben wollen. Die Anlie-gen, Interessen und Rechte der Bürgerinnen und Bürgermüssen der Maßstab der Innenpolitik sein.

Aus unserer Sicht wird diesem Maßstab bisher nichtausreichend Genüge getan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen geben wir in unserem Antrag die Maßgabeauf, die Trennungsgebote zu bewahren. Dazu zählen dieTrennungsgebote zwischen geheimdienstlichen Aktivi-täten und Polizei, zwischen Militär und Polizei und auchzwischen Bund und Ländern, wenn es um Deutschlandgeht. Dazu zählt natürlich auch das Trennungsgebot,dass die Innenpolitik nicht zu einem Mittel der Außen-politik gemacht werden darf und dass die Außenpolitiknicht für repressive innenpolitische Begründungen her-halten darf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-KEN)

Wer einen europäischen Raum der Freiheit, der Si-cherheit und des Rechts will, der muss dabei strengstensauf den Datenschutz achten. Er muss darauf achten, dassRahmenbeschlüsse und andere europäische Beschlüsse,vor allem in Bezug auf Datenbanken und grenzüber-schreitenden Informationsaustausch zwischen Sicher-heitsbehörden, datenschutzrechtlichen Maßstäben genü-gen.

(Zuruf von der FDP: Auf einmal!)

Vertraulichkeit, Zweckbindung und die Beschränkungder Zugriffsrechte dürfen nicht über die Hintertür Brüs-sel ausgehebelt werden, so wie es Innenminister – auchdeutsche Innenminister – leider immer noch zu gernetun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])

Aber auch die europäischen Agenturen wie Europol oderauch mögliche zukünftige gemeinsame europäische Vor-haben im Rahmen der Terrorbekämpfung müssen trans-parent sein und der parlamentarischen Kontrolle unter-liegen. Wenn Sie dazu heute und in den kommendenBeratungen einen Beitrag leisten wollen, dann müssenSie, meine verehrten Damen und Herren von den Koali-tionsfraktionen, unseren Antrag wenigstens mit Wohl-wollen, wenn nicht mit purer Unterstützung begleiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor dem Hintergrund, dass gestern der tschechischeSenat den Lissabonner Vertrag dem Präsidenten zur Ra-tifizierung zugeleitet hat, sollten wir hier auch erwähnen,dass es gerade für den Bereich der Justiz und der Innen-politik der Europäischen Union ein Meilenstein ist,wenn dieser Vertrag endlich in Kraft tritt, trotz der fünfJahre Aufschub, die sich die Innenminister noch erlau-ben können. Der wichtigste Schritt hin zu mehr Bürger-

rechten in der europäischen Rechts- und Innenpolitik be-steht darin, dass das Parlament und der EuropäischeGerichtshof endlich umfassender an der Politik, die dortgemacht wird, beteiligt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die euro-päische Innenpolitik nicht nur unsere Bürgerinnen undBürger betrifft, sondern auch die Menschen, die an denGrenzen der Europäischen Union mit Maßnahmen derEuropäischen Union oder „koordinierten Maßnahmender Mitgliedstaaten“ in Berührung kommen. Wenn dieVoraussetzungen beim Einsatz von FRONTEX im Mit-telmeer und an anderen Grenzen immer noch so humani-tär unzureichend sind wie zurzeit, dann können wir nichtbehaupten, Europa würde einen Raum der Sicherheit,der Freiheit und des Rechts gewährleisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Inhuman sindja wohl die Schlepper und Schleuser!)

– Natürlich sind die Schlepper und Schleuser die Haupt-gegner. Aber solange die Staats- und Regierungschefsoder die Innenminister nicht dafür sorgen, dass es ge-meinsame Leitlinien bei FRONTEX gibt, damit wenigs-tens ein Rechtsstandard in der Auslegung von Seerechtfür alle Mitgliedstaaten gilt, so lange dürfen Sie sichnicht hinter Schleppern und Schleusern verstecken. –

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])

Da es Zwischenrufe aus den Reihen der Unionsfrak-tion gibt, möchte ich eine ehrliche Bitte an Sie äußern:Fangen Sie nicht im Europawahlkampf an, weil SieAngst vor der Fünfprozenthürde haben, gegen – Zitat –schwarzafrikanische Asylanten zu stänkern! Polemisie-ren und Polarisieren ist nicht gut für die EuropäischeUnion.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das habenwir noch nie gemacht! – Gegenruf der Abg.Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Mein Name ist Hase! Ich weißvon nichts!)

Damit machen wir Parolen von ganz rechts hier hoffä-hig. Lesen Sie die Aussagen von Herrn Ramsauer in derBild-Zeitung von Anfang dieses Monats. Ich finde, Siesollten da aufpassen und sich diese Bitte zu Herzen neh-men.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion

das Wort.

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Herr Kollege Sarrazin,um es gleich vorweg zu sagen: Einen Gefallen werde ich

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Stephan Mayer (Altötting)

Ihnen nicht tun. Die CDU/CSU-Fraktion wird den An-trag der Grünen weder wohlwollend begleiten noch ihmzustimmen.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das wäre auch das erste Mal!)

Dieser Antrag ist nämlich in höchstem Maße unverant-wortlich und unredlich, weil er ein Bild zeichnet, dasnicht der Realität entspricht. Sie stigmatisieren die Ar-beit dieser Zukunftsgruppe und unterstellen, diese Arbeitwürde auf dem schnellsten Weg in ein inhumanes, einunmenschliches Rechtssystem auf europäischer Ebeneführen. Dies trifft einfach nicht zu.

Ich will die Historie bemühen. Um was geht es? Esgeht darum, dass im Januar 2007 eine informelle Zu-kunftsgruppe unter großer Beteiligung der Mitgliedstaa-ten – federführend geleitet von der EU-Kommission –eingerichtet worden ist. Sämtliche Ratspräsidentschaftender letzten Jahre und der kommenden Jahre waren ver-treten, um ein möglichst breites Spektrum von unter-schiedlichen Meinungen aufzunehmen. Diese Zukunfts-gruppe hat im Juni letzten Jahres ihren Bericht unter derfranzösischen Ratspräsidentschaft abgeschlossen und er-hebt überhaupt keine Forderungen, geschweige dennmacht sie konkrete Vorschläge für Rechtsetzungsmaß-nahmen. Es werden nur Diskussionen eröffnet, die mei-nes Erachtens notwendig sind. Wir sind beileibe nichtauf dem direkten Weg in ein inhumanes Rechtssystemoder in eine inhumane Rechtsordnung auf europäischerinnenpolitischer Ebene. Ganz im Gegenteil.

Es ist meines Erachtens sachgerecht und richtig, dasssich die Innenpolitik auf unterschiedlichen politischenEbenen Gedanken macht, wie wir das Haager Pro-gramm, das im Jahr 2009 ausläuft, weiterentwickeln.

Es geht darum, sich Gedanken über das StockholmerProgramm für die Jahre 2010 bis 2014 zu machen, wasdie europäische Innenpolitik anbelangt. Dieser Forde-rungskatalog bzw. diese Zusammenstellung des Diskus-sionsstandes ist meines Erachtens ein vollkommen um-fassender und sachgerechter Ansatz, dem in der Formauch zuzustimmen ist. Es ist wichtig, dass wir uns imBereich der europäischen Innenpolitik stärker daraufverständigen, dass es eines kohärenten, abgestimmtenAnsatzes zwischen den unterschiedlichen politischenEbenen bedarf: der nationalen Ebene, der europäischenEbene und auch der regionalen Ebene. Europäische In-nenpolitik umfasst nun einmal Themen wie Migrations-politik, Zuwanderungspolitik, Grenzsicherung und dasThema Asylrecht – in diesem Zusammenhang sowohldie illegale Migration als auch die legale Migration –,vor allem aber auch die Bekämpfung des internationalenTerrorismus.

Der Nukleus dieses Papiers besteht letztendlich ausdrei Herausforderungen. Um welche drei Herausforde-rungen geht es? Zum einen geht es darum – ich glaube,das ist in vollem Umfang unterstützenswert –, das er-folgreiche europäische Modell fortzuführen. Es geht da-rum, ein Gleichgewicht zwischen den Aspekten Mobili-tät, Sicherheit und Privatsphäre herzustellen. Um es ganzdeutlich zu machen: Ich halte es in höchstem Maße für

unverantwortlich und unredlich, so zu tun, als seien dieThemen Freiheit und Sicherheit sich widerstreitendeAspekte. Ganz im Gegenteil, wir können die schönstenFreiheitsrechte nur dann genießen und unsere liebge-wonnene Freiheit nur dann vollumfänglich leben, wennwir in Europa in einem Raum der Sicherheit leben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Papier wird ein solcher Gegensatz nicht darge-stellt. Ganz im Gegenteil: Es wird deutlich gemacht,dass die Freiheitsrechte gewährleistet werden müssenund dass natürlich auch die wichtigen Themen Daten-schutz und Schutz der Privatsphäre in vollem Umfang zubeachten sind.

Als zweite wichtige Herausforderung – das ist un-streitig – müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir unszunehmend in einer Bedrohungssituation befinden, dienicht mehr zwischen innenpolitischen Bedrohungen undaußenpolitischen Bedrohungen differenziert. Wir sindnun einmal in einer asymmetrischen Bedrohungslage.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Das sagen Sie! Ja!)

Dies wurde uns leider Gottes in den letzten Jahren zuhäufig ganz deutlich vor Augen geführt. Ich denke nuran die schrecklichen Terrorangriffe am 11. März 2004 inMadrid, die mehr als 140 Personen das Leben gekostethaben. Ich denke an die Terrorangriffe in London im Juli2005. Ich denke daran, dass es auch in Deutschland seitdem 11. September 2001 insgesamt sieben entweder ver-eitelte oder gescheiterte Terrorangriffe gab. Wir müssenzur Kenntnis nehmen, dass der islamistische internatio-nale Terrorismus die größte Gefahr ist, die sich derzeitder zivilisierten Welt in Europa stellt, und darauf müssenentsprechende Antworten gegeben werden.

Als dritte Herausforderung wird in diesem Berichthervorgehoben, dass es darum geht, einen optimalen Da-tenfluss zwischen den Strafverfolgungsbehörden inner-halb der Europäischen Union zu gewährleisten, aber– und das ist mir ganz wichtig – unter Wahrung dieseshohen Datenschutzstandards, der mit Sicherheit nochausbaufähig ist.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ins-besondere liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-nen, Sie machen hier wirklich aus einer Mücke einenElefanten.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Sie schwafeln hier davon – das ist meines Erachtens inhöchstem Maße unverantwortlich –, wir seien in Europaauf dem besten Wege nach Guantánamo, wenn dieseDiskussion weitergeführt wird. Ich halte das nicht fürredlich, weil es einfach nicht zutreffend ist.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Wir wollen das verhindern! – ManuelSarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Esist auch nicht zutreffend, wie Sie es hier dar-stellen!)

Ich möchte nur ein Zitat aus diesem Bericht vortragen,das meines Erachtens in herausragender Weise doku-

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Stephan Mayer (Altötting)

mentiert, dass dem hohen Schutzstandard in Bezug aufden Abgleich und den Austausch von Daten in Zukunftauch nach Ansicht der europäischen Innenpolitik Rech-nung zu tragen ist. Ich zitiere:

Um ein ausreichendes Schutzniveau zu erreichenund im Zeitalter des Cyberspace zivile und politi-sche Rechte zu gewährleisten, sind Technologienzur Verbesserung des Datenschutzes ... unbedingterforderlich.

Also ist das Gegenteil dessen der Fall, was Sie mit IhremAntrag zu insinuieren versuchen, nämlich dass wir aufdem besten Weg in einen Überwachungsstaat seien, ineinen Staat à la George Orwell. Es wird hier deutlich ge-macht, dass die hohen Datenschutzstandards natürlich invollem Umfang zu achten sind.

Genauso unverantwortlich ist Ihre Behauptung, wirseien auf dem besten Weg, ein Feindstrafrecht zu schaf-fen. Das ist nicht der Fall. Wir müssen einfach zurKenntnis nehmen: Die Bedrohungslage in Europa– nicht nur in Spanien und in England, sondern auch inDeutschland – hat sich geändert. Es ist deshalb unab-dingbar, dass die Strafverfolgungsbehörden in Europastärker kooperieren. Sie können mir glauben: Ich alsVertreter der CSU bin zuallervorderst der Auffassung,dass die nationalen Kompetenzen – bei all diesen Bemü-hungen, stärker zusammenzuarbeiten – selbstverständ-lich vollumfänglich zu achten sind. Die nationalen Straf-verfolgungsbehörden müssen natürlich weiterhin dieHerren des Verfahrens sein. Das heißt im Umkehrschlussaber nicht, dass man sich im Bereich von Europol, vonEurojust oder von Eurodac nicht stärker vernetzt – natür-lich unter Wahrung sämtlicher hoher Datenschutzstan-dards und der Rechte der informationellen Selbstbestim-mung. Gegen eine stärkere Zusammenarbeit ist meinesErachtens nichts einzuwenden.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Dagegen haben wir gar nichts, HerrMayer!)

Unverantwortlich von Ihnen ist auch, dass Sie in Ih-rem Antrag unterstellen, die Expertengruppe fordere,dass es eine Aufweichung zwischen polizeilichen undmilitärischen Aspekten gibt.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Da ist Ihr Minister immer vorneweg!)

Das Gegenteil ist der Fall. Es wird keineswegs die For-derung aufgestellt, dass die Mitgliedstaaten paramilitäri-sche Einheiten haben. Sie nehmen doch mit Sicherheitnicht im Entferntesten an – unter Ihnen sind einige, diemit Italien eine große Freundschaft pflegen –, dass diedeutsche Regierung oder eine europäische InstitutionItalien auffordern wird, die Carabinieri abzuschaffen.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nein! Aber Sie wollen so etwas auch inDeutschland aufbauen! Das ist das Problem!)

Es gibt einfach unterschiedliche Polizeitraditionen inden 27 Mitgliedsländern. Diese unterschiedlichen Poli-zeitraditionen sind zu achten und zu respektieren.

Natürlich dürfen wir Deutsche keineswegs unserensehr hoch gehaltenen Trennungsgrundsatz aufgeben; auchich bin nicht der Meinung, dass wir diesen Grundsatzaufgeben sollten. Genauso wenig haben wir Deutscheoder hat die Europäische Union das Recht, den Italienernvorzuschreiben, ihre Carabinieri – ihre Tätigkeit ist einegewisse Verknüpfung von polizeilichen und militäri-schen Aspekten – abzuschaffen, oder den Franzosen auf-zuerlegen, ihre Gendarmerie aufzulösen. Wir werdenkeine dahin gehenden Forderungen aufstellen.

Sie unterstellen hier Dinge, die einfach unzutreffendsind. Ich halte das für unredlich, sogar für gefährlich.Deswegen kann Ihrem Antrag nur die Zustimmung ver-weigert werden. Dieser Antrag basiert auf einem altenPapier: Wie ich erwähnt habe, ist es im Juni letzten Jah-res verabschiedet worden. Am 23. September letztenJahres ist es vom Bundesinnenminister im Innenaus-schuss und im Europaausschuss vorgestellt worden. Esgab eine ausgiebige Diskussion darüber.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege!

Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Diese Diskussion kann gerne fortgeführt werden.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Eben! Wir leisten einen Diskussions-beitrag!)

Die Dinge, die Sie hier unterstellen, sind in vollem Um-fang unredlich und unzutreffend. Deswegen ist diesemAntrag in jeder Hinsicht eine Ablehnung zu erteilen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der nächste Redner ist der Kollege Christian Ahrendt

für die FDP-Fraktion. Wir wünschen ihm für seine Redeebenso viel Glück wie zu seinem heutigen Geburtstag.

(Beifall)

Christian Ahrendt (FDP): Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehr-

ten Damen und Herren! Lassen Sie uns eines vorwegfeststellen: Gestern hat Tschechien dem Vertrag von Lis-sabon zugestimmt. Damit ist Europa ein ganzes Stückweitergekommen. Der Vertrag von Lissabon bringt mehrSicherheit und mehr Freiheit im Raum der Sicherheit,der Freiheit und des Rechts für Europa, den er stärkensoll. Entscheidend dabei ist, dass das EU-Parlament ge-stärkt wird. Entscheidend ist auch, dass der EuropäischeGerichtshof mehr Zuständigkeiten erhält. Beides dienteinem verbesserten Grundrechtsschutz.

Man muss an dieser Stelle eines ganz klar sehen: DerWeg nach Europa ist ein Weg der Umwege. Wir hättenuns eher den Verfassungsvertrag gewünscht. Stattdessenbekommen wir den Vertrag von Lissabon. Die Umwege,die auf dem Weg zu einem geeinten Europa gegangenwerden, stehen für die Schwierigkeiten, mit denen wir inder Innenpolitik zu kämpfen haben, und zwar aus dem

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Christian Ahrendt

einfachen Grunde, weil die europäische Innenpolitikeher durch den Rat als durch das Europäische Parlamentgemacht wird. Auf der europäischen Ebene konnten des-wegen in den vergangenen Jahren eher Standards für Si-cherheit durchgesetzt werden als ein nachhaltigerGrundrechtsschutz.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Leider!)

Seit dem Aktionsplan für Terrorismus im Nachgangzu den Anschlägen vom 11. September 2001 sind in Eu-ropa insgesamt 160 Einzelmaßnahmen umgesetzt wor-den, die den Bereich der Polizei, der Visapolitik, desGrenzschutzes und der Luft- und Seesicherheit betreffen.Was umgesetzt worden ist, wird fortlaufend weiterent-wickelt. In diese Richtung geht auch das Konzept derZukunftsgruppe, das wir heute zum Teil mit diskutieren.In derselben Zeit ist es aber noch nicht gelungen, Be-schuldigtenrechte in Europa fest zu installieren, was abernötig wäre, um dem, was an Sicherheit geschaffen wor-den ist, auch einen entsprechenden Rechtsschutz aufsei-ten der Bürger gegenüberzustellen. Das ist ein Nachteil.Das zeigt deutlich, wo die Probleme liegen.

Wenn man das Konzept der Zukunftsgruppe liest – eshat einen Umfang von ungefähr 50 Seiten –, dann er-kennt man, dass sich die Vorschläge mehrheitlich auf denBereich der Sicherheit konzentrieren; in dem Papier wirdaber nur sehr wenig zu den Rechtsschutzmöglichkeitengesagt, also dazu, wie ich meine persönliche Freiheit ge-genüber dem Zuwachs an Sicherheit in Europa und demZuwachs im Sicherheitsapparat selbst schützen kann.Deswegen müssen wir an der Stelle klar sagen: Sicher-heit dient der Freiheit des Einzelnen – das ist richtig –,aber Sicherheit ist kein Selbstzweck.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Gewinn an Rechtsschutz für die Freiheit des Ein-zelnen ist nicht zu erkennen; vielmehr scheint man aufeuropäischer Ebene eher Dinge befördern zu wollen, dieman in den nationalen Parlamenten nicht so durchsetzenkann, wie man das, insbesondere von den Regierungs-fraktionen, an der einen oder anderen Stelle gern täte.

(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Im Konzept der Zukunftsgruppe kann man lesen, dassoptimale Resultate bei der Terrorabwehr einen optimalenAustausch von Daten zwischen Polizei und Nachrichten-diensten erfordern. Das ist nichts anderes als die Forde-rung nach Aufgabe des Trennungsgebotes auf europäi-scher Ebene, weil man es in diesem Hause nichtdurchsetzen könnte.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIELINKE])

Erschreckend ist der Punkt 78 in dem Programm derZukunftsgruppe – das ist schon angesprochen worden –,in dem gesagt wird, wenn auch ein bisschen verschlüs-selt, man wolle die Zusammenarbeit von Polizei und Mi-litär. Man will im Grunde genommen den Bundeswehr-einsatz im Innern. Da wird wieder auf die berühmte

asymmetrische Sicherheitslage hingewiesen. Aber wirals FDP sagen ganz klar: Den Bundeswehreinsatz im In-nern wird es mit der FDP nicht geben.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] –Michael Roth [Heringen] [SPD]: Mit uns auchnicht!)

Es gibt einen Kritikpunkt im Antrag der Grünen, derein wichtiges Thema betrifft; die Mahnung richtet sicheher an uns selber. Wir dürfen uns nicht der Vorstellunghingeben, dass mit dem Lissabon-Vertrag in Europa aus-reichende Möglichkeiten für das Parlament und denEuGH geschaffen werden, Schranken zu setzen. Ent-scheidend ist, dass das Parlament hier besser wird, sichum die innenpolitischen Themen auf europäischer Ebenekümmert und im entscheidenden Moment – die FDP hatdas gerade gestern vorgetragen – gemäß Art. 23 Grund-gesetz die Innenpolitik von hier aus mitbestimmt, damitunser Parlament nicht zum Notar einer Innenpolitikwird, die in Brüssel gemacht wird.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und desAbg. Jan Korte [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Michael Roth hat jetzt das Wort für die Fraktion der

SPD.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Michael Roth (Heringen) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es dürfte innerhalb der Europäischen Union keinen Poli-tikbereich geben, der in den nächsten Jahren so an Be-deutung gewinnen wird wie der Innen- und Justizsektor.Insofern bin ich den Kolleginnen und Kollegen der Grü-nen durchaus dankbar, dass sie uns die Gelegenheit ge-ben, heute im Plenum des Deutschen Bundestages überdieses Thema zu sprechen. So viel Selbstkritik musssein: Es ist uns in den vergangenen Jahren sicher nichtgelungen, uns in diesem essenziellen Bereich parlamen-tarisch so einzubringen, wie es eigentlich erforderlichwäre.

Wie das Geburtstagskind – meinen Glückwunsch! –,aber auch die anderen Kollegen schon gesagt haben, er-öffnet uns der Vertrag von Lissabon neue Möglichkeiten.Das sind aber nicht nur neue Rechte; ich verstehe dasdurchaus auch als Pflicht, die parlamentarische Mitwir-kung auszubauen. Für mich ist das die Voraussetzung fürein Mehr an Politikgestaltung auf europäischer Ebene imInnen- und Justizbereich.

Für uns eröffnen sich dabei zwei Chancen: Zum einenwird durch den Vertrag von Lissabon das EuropäischeParlament in seinen Möglichkeiten gestärkt, und zumanderen erhält der Deutsche Bundestag – wie auch dieanderen nationalen Parlamente – die Chance, frühzeiti-ger und umfassender auf diesen zentralen Politikbereicheinzuwirken. Das macht es erforderlich, dass uns die

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Michael Roth (Heringen)

Bundesregierung, wie sie das bislang schon tut, frühzei-tig und bestmöglich informiert. Nur so können wir inden Gremien, entweder im Ausschuss oder im Plenum,die Debatte darüber verantwortungsvoll führen.

Mir scheint, dass in den vergangenen Jahren ein star-kes Gewicht auf die restriktiven Maßnahmen gelegtwurde. Wir brauchen nur an das Tampere-Programm unddas gegenwärtig noch in Kraft befindliche Haager Pro-gramm zu denken, die unweigerlich vor dem Hinter-grund der schlimmen Terroranschläge nicht nur 2001 inden Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch inLondon und Madrid zu sehen sind. Diese haben dazu ge-führt, dass zum Teil mit großer Rasanz restriktive Maß-nahmen ergriffen worden sind. Sie sind nicht auf unsherniedergegangen, sondern wir haben durchaus ver-sucht, sie mit zu gestalten. Gleichwohl halte ich es fürmehr als berechtigt, die Frage zu stellen, inwieweit mandie beiden Prinzipien Sicherheit und Freiheit in eine aus-gewogene Balance bringen kann.

Vizepräsident Barrot war kürzlich bei uns im Europa-ausschuss und hat die Eckpunkte des Stockholmer Pro-gramms präsentiert. Ich war insofern beruhigt, als ichden Eindruck hatte, dass die EU-Kommission verstan-den hat, dass man nicht immer nur ein Mehr an restrikti-ven Maßnahmen auf den Weg bringen kann, sondernsich auch gleichzeitig fragen muss, wie man die indivi-duellen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürgernund die für alle geltenden Grundrechte innerhalb der Eu-ropäischen Union in konkretes politisches Handeln gie-ßen kann. Hier müssen wir am Ball bleiben und die neueEU-Kommission – viel wird sich in den nächsten Wo-chen leider nicht mehr tun – in die Pflicht nehmen. DasStockholmer Programm wird wohl noch vor Ende derLegislaturperiode präsentiert werden. Aber leider wirdeine erste Beratung des Europäischen Parlaments vordem Hintergrund der späten Präsentation nicht mehrmöglich sein; dies wird dann unsere gemeinsame Auf-gabe nach der Sommerpause sein.

Viele Punkte sind auch hier zwischen den Fraktionenim Detail umstritten. Ich denke nur daran, was auf EU-Ebene an Harmonisierung beim Umgang mit Migrantin-nen und Migranten, mit Asylbewerberinnen und Asylbe-werbern erfolgen muss. Im Hinblick auf entsprechendeRichtlinienentwürfe der EU liegen bereits die ersten De-battenbeiträge vor. Dieser Diskussion sollten wir unsselbstbewusst stellen, weil es nicht darum gehen darf,dass die Europäische Union Freiheitsrechte, sozialeRechte und Sicherheitsrechte durch die Hintertür auf-weicht. Wir müssen natürlich auch auf unsere Traditio-nen aufbauen können.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist dochgenau andersherum! Sie machen den Asyl-kompromiss kaputt! Sie müssen mal lesen,was da drinsteht!)

– Ich sage deutlich, dass ich es unter humanitären Ge-sichtspunkten als ziemlich peinlich empfinde, dass Asyl-bewerber in Deutschland von 187 Euro im Monat lebenmüssen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann durchaus auch einmal darüber diskutieren, obder Vorschlag der Europäischen Union diskussionswür-dig ist, dass für alle Menschen in Deutschland die glei-chen Mindestsozialleistungen gelten. Ein solcher Vor-schlag ist jetzt aus Brüssel auf unseren Tisch gekommen.Wer Humanität ernst nimmt und nicht nur als Sonntags-rede missbraucht,

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es geht um die Aushöhlung des Dubliner Abkommens!)

sollte zumindest einer ernsthaften Auseinandersetzungüber diesen aus meiner Sicht wichtigen Punkt nicht ausdem Weg gehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In einem Punkt haben Sie sicherlich einen Fehler ge-macht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.Sie haben sich lediglich den Zukunftsbericht der Innen-minister herausgesucht. Dies ist ein Diskussionsbeitrag,der viele wichtige Aspekte beinhaltet. Aber Sie habenden entsprechenden Bericht der Justizminister völlig au-ßer Acht gelassen. Dies würde ich in der Diskussionüber das Stockholmer Programm gern stärker zusam-menführen. Dabei wird eines deutlich: In den meistenMitgliedstaaten gibt es eine bewährte Trennung zwi-schen der politischen Verantwortung für die Justizpolitikeinerseits und die Innenpolitik andererseits. Auf der eu-ropäischen Ebene ist das leider nicht so.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Richtig! Das muss geändert werden!)

Deswegen untermauere ich heute noch einmal unsereForderung, dass es in der neuen Kommission eine Tren-nung zwischen der Verantwortung für Innenpolitik undder Verantwortung für Justizpolitik geben muss. Dasträgt dann vielleicht auch dazu bei, dass die von mir alsschwierig bezeichnete Balance zwischen innerer Sicher-heit und Freiheit stärker und ausgewogener beachtetwerden kann.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie haben die europäische Gendarmerie angespro-chen. Auch da ermahne ich uns alle, argumentativ einwenig abzurüsten. Es geht hier um einen freiwilligen Zu-sammenschluss. Der Bundesrepublik Deutschland mitihrer bewährten Trennungskultur wird hier überhauptnichts vorgegeben oder gar vorgeschrieben. Deswegenhaben wir uns an der europäischen Gendarmerie auchnicht beteiligt. In den Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion gibt es unterschiedliche Rechtstraditionen undverschiedene Organisationsformen. Hier sollten wir diePferde nicht scheu machen und keine Ängste schüren,die völlig unbegründet sind.

Benjamin Franklin wird das Zitat zugeschrieben:

Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewin-nen, wird am Ende beides verlieren.

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24063

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Michael Roth (Heringen)

In diesem Sinne ermuntere ich uns alle, nicht nur diedemnächst anstehende Präsentation des Entwurfs desStockholmer Programms ernst zu nehmen, sondern auchhier im Deutschen Bundestag um Lösungen zu ringen,wie man die Europäische Union als einen gemeinsamenRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in dieBalance bringen kann, die unserer Rechtsstaatstraditionund den besten europäischen Traditionen entspricht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Jan

Korte das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im Antrag ist Folgendes richtig formuliert:

Es bleibt also die Verantwortung der Bundesregie-rung, auf europäischer Ebene konsequent für denSchutz der Bürgerrechte einzutreten …

Das ist auch wirklich dringend notwendig, hätte aller-dings – angesichts von Otto Schilys Politik auf europäi-scher Ebene – schon für die rot-grüne Bundesregierunggegolten;

(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Da hat er sogar recht!)

aber darum geht es jetzt ja nicht.

Dass der Antrag in die richtige Richtung geht, will ichan zwei Beispielen deutlich machen, die die Bürgerinnenund Bürger immer bewegt haben, und zwar an der Vor-ratsdatenspeicherung und der Biometrie in den Pässen.Das ist ganz gezielt von Schäuble – zum Teil auch vonSchily – über die europäische Ebene gespielt worden,weil das in diesem Land nicht einfach durchzusetzen ge-wesen wäre. So ist argumentiert worden, das komme ausBrüssel und deswegen müssten wir das machen. Ausdiesem Grund ist das, was im Antrag formuliert ist, rich-tig. Gegen ein solches Vorgehen ist Prophylaxe notwen-dig. Deswegen unterstützen wir diesen Antrag.

(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir können es nicht zulassen, dass die EU für diese Poli-tik des Law and Order missbraucht wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Das schadet dem Ansehen der EU, und es ist grundsätz-lich die falsche Politik.

Bei dem zweiten Punkt, den ich ansprechen will, han-delt es sich um Schäubles Lieblingsprojekt, nämlich denEinsatz der Bundeswehr im Innern. Wenn man sich dieinzwischen 77 Seiten des Berichts der Zukunftsgruppedurchliest, findet man diverse Indizien dafür, dass Sieauch hier wieder den bekannten Trick versuchen. Daswird zwar nicht funktionieren, aber Sie versuchen es im-

mer wieder. Sie schreiben, es gehe um eine engere Ko-operation von Militär und Polizei. Mit Blick auf die Ver-hältnisse in Italien, wo in den Innenstädten Soldatinnenund Soldaten als Hilfspolizisten mit Maschinengeweh-ren herumstehen, kann die Bundesregierung aber dochnicht ernsthaft die Position vertreten, dass man das europa-weit und auch in Deutschland einführen solle. Das müs-sen wir verhindern, mag da kommen, was will.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Es wäre schön, wenn die Bundesregierung mit ihrerInnenpolitik und ihrer Europapolitik einmal positiv auf-fallen würde. Sie könnte zum Beispiel die treibendeKraft in Sachen Demokratisierung und Bürgerrechtewerden. Das wäre einmal etwas anderes; es würde denHorizont erweitern und wäre eine spannende Sache.

Es wird argumentiert, eine Trennung von Polizei undGeheimdiensten sowie von Militär und Polizei kenneman in anderen europäischen Ländern nicht. Das ist zumTeil sicher richtig; aber diese Länder haben auch nichtdie Geschichte, die wir haben. Wir haben aus unsererGeschichte die richtige Lehre gezogen. Es wäre einschönes Zeichen, wenn die Bundesregierung auf euro-päischer Ebene deutlich machte, warum wir auf demTrennungsgebot beharren und inwieweit die Bürger-rechte dadurch gestützt werden.

Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, sind dieDatenbanken. In Deutschland gibt es bereits eine Viel-zahl von Datenbanken. Aber angesichts Ihrer spannen-den Ideen, welche weiteren Datenbanken wir noch brau-chen könnten, wird einem ganz anders, wenn man sieht,was auf europäischer Ebene technisch mittlerweile mög-lich ist.

Ich will ein Beispiel nennen: Alle europäischen Da-tenbanken und insbesondere das Visa-Informationssys-tem sollen nun – so sieht es die Zukunftsgruppe vor; dasist ein erklärtes Ziel, wie Sie in der Beantwortung vonKleinen Anfragen zugegeben haben – systematisch undkonsequent für Geheimdienstzugriffe geöffnet werden.Gerade beim Visa-Informationssystem besteht das Kern-problem, dass es zuerst die Migrantinnen und Migrantentrifft, die Sie sowieso immer auf dem Kieker haben.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau!)

– Genau, sagt Herr Grindel. Also getroffen! – Das mussverhindert werden. Den Geheimdiensten muss der Zu-griff darauf verwehrt werden. Das ist ganz entscheidend.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fasse zusammen: Es wäre schön, wenn die Bun-desregierung eine grundsätzlich andere Politik machenwürde. Da das Bitten offensichtlich nicht hilft, müssensolche Anträge wie der vorliegende gestellt werden.Deswegen wird er von uns unterstützt. Kern der Politikmuss eine Abrüstung der EU nach außen sein. Wir brau-chen erst recht eine Abrüstung nach innen und keineweitere Aufrüstung bei der inneren Sicherheit, so wieSie es wollen.

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Jan Korte

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wäre schongut, wenn die Linke am 1. Mai in Berlin nichtaufrüsten würde!)

Denn das führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu we-niger Freiheit. Die Linken haben es mal wieder erkannt,und Herr Grindel kommt damit gar nicht klar.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/11918 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Menschenrechte undhumanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu der Unter-richtung durch die Bundesregierung

EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechts-lage

Ratsdok. 14146/08

– Drucksachen 16/10958 A.43, 16/12729 –

Berichterstattung:Abgeordnete Holger Haibach Christoph Strässer Burkhardt Müller-Sönksen Michael Leutert Volker Beck (Köln)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir behandeln heute nicht nur eine Beschlussempfeh-lung, sondern auch den zehnten Jahresbericht der Euro-päischen Union zur Menschenrechtslage, der den Zeit-raum von Mitte 2007 bis Mitte 2008 umfasst. Es ist eininteressanter Bericht. Lassen Sie mich Ihnen sagen: Eslohnt sich, hineinzuschauen. Wenn ich mich hier so um-blicke, stelle ich fest, dass wir Menschenrechtsfragenheute wieder in gewohnt „vollem Haus“

(Beifall des Abg. Holger Haibach [CDU/CSU])

mit der Präsenz aller Menschenrechtspolitiker und Men-schenrechtsaktivisten behandeln. Ein ähnlich geringesInteresse ist auch an der Reaktion der Öffentlichkeit zuerkennen. Lassen Sie mich anmerken: Das zeigt, dass die

Behandlung von Menschenrechtsfragen längst zur Nor-malität im deutschen Parlament geworden ist. Die Folgedieser Normalität ist allerdings, wie ich finde, gelegent-lich etwas bedauerlich.

Wir stellen zwar fest, dass die Öffentlichkeit, die Me-dien, die Bürger und die Zivilgesellschaft ganz zufriedensind mit den Menschenrechtsstandards, die wir hier ver-einbaren, und auch damit, was in den entsprechendenMenschenrechtsabteilungen der Ministerien getan wirdund was der Menschenrechtsausschuss des DeutschenBundestages macht; dies gilt auch für die Zivilgesell-schaft, die Menschenrechtsorganisationen in Europa unddie entsprechenden Institutionen der EuropäischenUnion und des Europarates. Das Ärgerliche aber ist, dassdiese wichtige Arbeit, die die Mühen der Ebenen um-fasst und die dafür sorgt, dass der Menschenrechtsschutzhandhabbar bleibt und sich jeder wehren kann, wenn erMenschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist, von denMedien nicht so richtig zur Kenntnis genommen wird.Eine gute Arbeit ist leider Gottes für die Medien gele-gentlich nicht attraktiv. Ich finde das sehr schade. Ichwürde mich freuen – um ein Beispiel aufzugreifen, dasin der vorangegangenen Debatte von Herrn Mayer er-wähnt worden ist –, wenn die Zeitungen nicht nur mitDatenskandalen – das sind ja schwere Verletzungen desPersönlichkeitsrechts und damit Menschenrechtsverlet-zungen – voll wären, sondern wenn in gleicher Weisedarüber geschrieben würde, welch wichtige Arbeit in derZivilgesellschaft und in den Parlamenten auf nationalerEbene und auf europäischer Ebene geleistet wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Lassen Sie mich, bevor ich auf den europäischenMenschenrechtsbericht zu sprechen komme, ein Beispielaus den letzten Wochen erwähnen. Die Bundesregierunghat vor dem Forum der Vereinten Nationen für Men-schenrechte ihren Bericht über die Lage der Menschen-rechte in der Bundesrepublik Deutschland und über ihreMenschenrechtspolitik abgegeben. Wir, die wir vomMenschenrechtsausschuss dort waren – es waren alleFraktionen vertreten –, haben es eigentlich mit großerZufriedenheit zur Kenntnis genommen, dass objektivdargestellt wurde, welche Menschenrechtsstandards,welchen Menschenrechtsschutz und welche Möglichkei-ten wir haben. Das ist weltweit gesehen eine ganzeMenge. Wenn wir das europaweit vergleichen, dann stel-len wir fest, dass das immer noch sehr gut ist. Dadurchhaben unsere Bürgerinnen und Bürger eine große Sicher-heit.

Es war aber natürlich auch gut, dass Herr Staatsminis-ter Erler und Herr Parlamentarischer StaatssekretärAltmaier auch darauf hingewiesen haben, dass Men-schenrechtsschutz und Menschenrechtsstandards immerdann in Gefahr geraten, wenn sich die Bürgerinnen undBürger und die Öffentlichkeit nicht selber darum küm-mern. Sie können aber selber etwas dafür tun, damit dieStandards erhalten und ausgebaut und Probleme über-wunden werden.

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Dr. Herta Däubler-Gmelin

Es war deswegen auch gut, dass mit dem Finger aufProbleme gezeigt wurde, zum Beispiel auf die Benach-teiligung der Kinder hinsichtlich der Bildungschancen,die in ihren Familien keine entsprechende Unterstützungbekommen. Da geht vor allem um die Bildungschancenvon Kindern aus Migrantenfamilien oder aus Familienanderer benachteiligter Gruppen. Ich nenne auch die vie-len ohne gültige Ausweispapiere bei uns lebenden Men-schen und ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung undzu Bildungseinrichtungen, aber auch zu Beratungen undRechtsschutz. Hier gibt es noch eine Menge zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Worauf es mir jetzt ankommt: Die Tatsache, dass wireine gute Menschenrechtsarbeit machen und dass dieBundesregierung auch Erfolge zu vermelden hat, hatdazu geführt, dass in den Medien nichts über dieseTätigkeit berichtet wurde. Hin und wieder wurde aus ei-nem Teil der Schattenberichte der zivilgesellschaftlichenOrganisationen über den einen oder anderen Mangel be-richtet. Manchmal habe ich den Eindruck, man sollte einbisschen mehr Skandale produzieren, damit die Men-schenrechtsarbeit, die wir hier machen, tatsächlich ein-mal zur Kenntnis genommen wird. Es ist nämlich wich-tig, dass das geschieht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wissen, dass ich das mit dem Produzieren von Skan-dalen nicht ernst meine. Die Nichtbeachtung ärgert michaber manchmal. Es muss ja nicht sein, dass man aus sei-nem Herzen eine Mördergrube macht.

Bei dem Jahresbericht der Europäischen Union ist esähnlich. In ihm wird eine ganze Menge an vernünftigenund wichtigen Fakten der Menschenrechtsarbeit aufge-zeigt.

Es wird aufgezeigt – und das ist gut –, dass sichEuropa seiner Bindung an die Menschenrechte immerdeutlich bewusst ist. Das gilt, obwohl die europäischeGrundrechtecharta wegen des noch nicht in Kraft getre-tenen Lissabonner Vertrags noch nicht rechtsverbindlichist. Es gibt nur eine Selbstbindung, was auch schon gutist.

Es wird aufgezeigt, dass wir mittlerweile immer stär-ker ein gemeinsames europäisches Menschenrechtsbe-wusstsein entwickeln. Auch das ist gut. Das müssen wirnoch fördern, aber das kann man auch fördern. In diesemBericht wird auch aufgezeigt, dass die EuropäischeUnion die Menschenrechte als wichtiges Element ihrerAußenpolitik betrachtet. Auch das ist stark ausbaufähigund auf einem guten Weg.

Lassen Sie mich sehr deutlich sagen: Ich halte auchdie hohe Zahl der Menschenrechtsdialoge, die Europaführt, für gut, unter der Voraussetzung, dass sie auf dereinen Seite partnerschaftlich und auf der anderen Seitegut überlegt und schließlich auch unter Einbindung derZivilgesellschaft und der Öffentlichkeit erfolgen.

In dem EU-Bericht werden auch Erfolge aufgezeigt.Ich nenne zum Beispiel die gemeinsamen europäischen

Initiativen gegen die Todesstrafe in aller Welt. Auch dasist gut. Ich weiß, dass sich die Bundesregierung undauch unser Parlament hier durchaus als Motor empfin-den.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich aber auch noch darauf hinweisen,dass sich in diesem europäischen Jahresbericht zur Lageder Menschenrechte meiner Meinung nach auch zeigt,dass wir in Europa unser Gesellschaftsmodell, das aufder Achtung der Menschenrechte aufbaut – der liberalen,freiheitlichen und sozialen Menschenrechte –, als Er-folgsmodell durchaus ein bisschen stärker in den Vorder-grund stellen sollten, auch dann, wenn es um ökonomi-sche und soziale Bewertungen geht. Es ist ganz gut,wenn wir das nicht mit erhobenem Zeigefinger tun. Dasmuss auch gar nicht moralinsauer sein, aber der Hinweismuss erlaubt sein, dass eine zukunftsfähige Gesellschaft,eine Gesellschaft, die stark sein und auch ein menschli-ches Antlitz haben will, gut daran tut, die Menschen-rechte als wesentlichen Bestandteil von Recht und Poli-tik herauszustellen.

Mir wäre es sehr recht, wenn wir über dieses Themanicht nur in Sonntagsreden sprechen würden, sondern esauch bei politischen Verhandlungen mit anderen Län-dern deutlicher und öffentlich einbringen würden. Daswürde bedeuten, dass man über solche Fragen auch mitLändern redet, die die Folter nicht abschaffen wollen,die Folter verharmlosen, die der Meinung sind, sie durchPresidential Orders legitimieren zu können, oder die Fol-terer straflos lassen wollen. Dann muss man sagen: Sogeht das nicht. Das ist nicht nur unethisch, rechtswidrigund politisch falsch, sondern schwächt die Gesellschaftinsgesamt. – Deswegen wollen wir das nicht. Deswegenmuss das geändert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vor einigen Tagen war der neue Justizminister derVereinigten Staaten hier. Er hat die Foltervorkommnisseund Guantánamo als Fehler der alten Regierung bezeich-net, die man überwinden müsse. Ich bin der Meinung,die EU kann und soll dabei helfen.

(Beifall bei der SPD)

In den Verhandlungen sollte die EU darauf hinweisen,dass ihre Instrumente zur Förderung von Demokratieund Menschenrechten auch Maßnahmen zur Rehabilitie-rung von Gefolterten und Hilfen für durch Folter Trau-matisierte umfassen. Es ist gut, dass diese Instrumente inunseren Zentren, in denen man sich zum Beispiel umOpfer von Folter während der Balkankriege kümmert,eingesetzt werden. Das zeigt, die grundsätzliche Über-zeugung, dass man Gefolterten helfen muss, dass manRecht wiederherstellen muss und die Rechtstellung derGefolterten anerkennen muss, gehört zu unseren Werten.Das ist etwas, was von anderen Regierungen oder vonanderen Regionen durchaus kopiert werden kann.

Ein letzter Punkt.

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Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin Däubler-Gmelin, trotz aller Grundsätz-

lichkeit und Wichtigkeit des Themas: Achten Sie bitteauf die Redezeit.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Das tue ich. Vielen herzlichen Dank für den Hinweis. –

Der letzte Punkt: Wir haben in Europa noch eine Mengezu tun: bei der Behandlung der Minderheiten, bezüglichdes Internationalen Strafgerichtshofs und bei der Zusam-menarbeit mit dem Europarat. All das wissen Sie. Ichdenke aber, wir sind auf einem guten Weg. Weil wir aufder bisher geleisteten Tätigkeit aufbauen können, emp-fehle ich Ihnen sehr, die Beschlussfassung unseres Aus-schusses anzunehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Burkhardt

Müller-Sönksen das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegin Däubler-Gmelin, ich möchte mich sehrherzlich für Ihre Werbung für die Menschenrechte be-danken. Das unterstützen wir. Dennoch bitte ich um Ver-ständnis dafür, dass wir, ohne diesen Grundkonsens auf-zuheben, eine etwas andere Meinung zu diesem EU-Bericht vortragen. Vielleicht ist es sogar in Ihrem Sinn,wenn wir kontrovers über den Bericht debattieren.Schließlich können unterschiedliche Sichtweisen dasThema für die Medien interessanter machen und sie ver-anlassen, darüber zu berichten. Es ist gut, wenn über dasThema Menschenrechte häufiger in den Medien berich-tet wird.

Der EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechtslagezeigt, dass die Europäische Union ein beständiger Ak-teur im Bereich der internationalen Menschenrechtspoli-tik ist. Dabei ist jedoch in weiten Teilen eine Schwer-punktsetzung auf außenpolitische Aspekte erkennbar,die menschenrechtliche Herausforderungen innerhalbder EU ein wenig zu sehr in den Hintergrund treten lässt.

(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Trotzdem wird der Bericht – auch unserer Meinungnach – seinem Anspruch gerecht, die Öffentlichkeit überdie Aktivitäten der EU zur Förderung der Menschen-rechte zu informieren. Information ist aber nicht gleich-zusetzen mit einem qualifizierten, strategischen undnachhaltigen Handeln. Fast könnte man dem Bericht einwenig Eigenlob unterstellen. So heißt es, dass im Be-richtszeitraum zwischen Juli 2007 und Juni 2008 – ichzitiere – „echte Fortschritte bei den Menschenrechten er-zielt worden“ sind. Scheinbar gibt es auch unechte Fort-schritte oder – besser ausgedrückt – widersprüchliche indiesem Bericht.

Lassen Sie uns einen Blick auf drei Kernfelder der eu-ropäischen Menschenrechtspolitik werfen:

Erstens. Zur Glaubwürdigkeit der europäischen Men-schenrechtspolitik wird in dem Bericht festgestellt:

In einer Zeit, in der von der Europäischen Union inzunehmendem Maße erwartet wird, dass sie Re-chenschaft gibt für die Menschenrechtssituation in-nerhalb ihrer Grenzen, muss sie als leuchtendesBeispiel vorangehen. Dies ist eine Frage der Konse-quenz und der Glaubwürdigkeit auf der internatio-nalen Bühne.

Somit ist daraus zu schließen, dass eine durchgängigeBerücksichtigung der Menschenrechte in allen internenund auswärtigen Politikbereichen der Schlüssel für dieGewährleistung dieser Konsequenz ist.

Wir Liberale fragen uns, wie es um die Glaubwürdig-keit der EU steht, beispielsweise angesichts der Locke-rung der EU-Sanktionen gegen Usbekistan, die nachdem blutigen Massaker von Andischan im Mai 2005 – inder nächsten Woche jährt sich das traurige Ereignis zumvierten Mal – beschlossen wurden. Die Lockerung derSanktionen ist maßgeblich auf Betreiben dieser Bundes-regierung zustande gekommen. Sie erfolgte, ohne dasssich die überaus kritische Menschenrechtssituation inUsbekistan auch nur ansatzweise zum Besseren entwi-ckelt hat. Das können wir nicht verstehen.

(Beifall bei der FDP – Christoph Strässer [SPD]:Abschaffung der Todesstrafe und ein Morato-rium bedeuten doch wohl eine Verbesserung!Oder wollen Sie das bestreiten?)

– Auf das Thema Todesstrafe komme ich gerne noch zusprechen.

Zum zweiten Kernfeld zählt das Spannungsverhältnisvon Wirtschaft und Menschenrechten. Ich zitiere ausdem Bericht:

Die Menschenrechtsthematik muss … in allen an-deren einschlägigen Politikbereichen der EU, ein-schließlich der Handelsabkommen, stärker berück-sichtigt werden.

Das ist ein Hinweis ohne Taten. Über diese Feststellunghinaus hat die europäische Menschenrechtspolitik nochkeine ausreichend klare Position dazu gefunden, wie derInteressenkonflikt zwischen der Sicherung des Rohstoff-bedarfs und dem Einstehen für die Gewährleistung vonMenschenrechten auch in diesen Ländern gelöst werdenkann. Aus Sicht der FDP ist es notwendig, die europäischeAußen- und Menschenrechtspolitik derart zu stärken, dasseinzelne EU-Mitgliedstaaten in ihren menschenrechtli-chen Bestrebungen nicht gegeneinander ausgespielt wer-den können. Europa braucht deswegen einen abge-stimmten Außenauftritt.

Wirtschafts- und Menschenrechtsfragen werden imZeitalter der Globalisierung zunehmend miteinander ver-knüpft. Die freiwillige Selbstverpflichtung über den Glo-bal Compact stellt nach unserer Meinung einen richtigen,sinnvollen und zukunftsweisenden Ansatz dar. Weiterhinmuss sich die europäische Menschenrechtspolitik stärker

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24067

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Burkhardt Müller-Sönksen

auf Schlüsselländer konzentrieren. Dies sind ökono-misch starke Länder, deren Wirtschaft global verflochtenist und die deshalb einen besonderen Einfluss auf dieMenschenrechtssituation in den Ländern besitzen, in de-nen sie sich wirtschaftlich engagieren. Ein Beispiel hier-für ist China, das mit seiner Afrikapolitik ständig interna-tionale Menschenrechtsbestrebungen unterläuft.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Ja!)

Ziel muss es sein, dass Länder wie China in ihren Wirt-schafts- und Außenbeziehungen menschenrechtspoliti-sche Gesichtspunkte uneingeschränkt beachten und ihrwirtschaftliches Potenzial zur Förderung der Menschen-rechte nutzen.

(Beifall bei der FDP)

Drittens gehe ich auf die Bestrebungen der EU – Kol-lege Strässer hat darauf schon hingewiesen – zur welt-weiten Abschaffung der Todesstrafe ein. Ob hier, wie esim Bericht heißt, ein „historischer Erfolg“ erzielt wurde,kann unterschiedlich bewertet werden. Zweifelsohne un-terstützen wir die Bestrebungen auf europäischer Ebene.Die Todesstrafe ist aus vielen Gründen unvertretbar.Dass in China beispielsweise Todesurteile zur zweijähri-gen Bewährung ausgesetzt werden, kann aus keiner kul-turellen Tradition hergeleitet werden.

Ich möchte mit einem Zitat von Thomas Dehlerschließen, der einst feststellte:

Ich würde die Todesstrafe … auch deswegen als ei-nen Fremdkörper empfinden, weil es nach den Vor-stellungen unserer Zeit die entscheidende, mindes-tens doch die wesentliche Aufgabe der Strafe ist, zuresozialisieren, den Menschen zu bessern.

Wir Liberale werden die künftigen europäischen Ini-tiativen weiterhin aktiv begleiten und ab September hof-fentlich auch aktiv gestalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP – Christoph Strässer[SPD]: Da haben Sie sich aber ein bisschenvertan!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege

Holger Haibach.

Holger Haibach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin der Vorsitzenden des Ausschusses für Menschen-rechte und humanitäre Hilfe ausgesprochen dankbar,dass sie ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu derFrage der Menschenrechte in Europa und den entspre-chenden Institutionen gemacht hat. Diese Debatte bieteteinen guten Anlass dazu.

Lieber Kollege Müller-Sönksen, ich bin mir nicht si-cher, ob der Streit hier zwingend das richtige Mittel ist.

(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Niveau-voller Streit!)

Streit ist in der Demokratie notwendig; er muss sein,wenn es um den Austausch von Positionen geht. Streitals eine L'art pour l'art, also Streit um des Streites willen,wird aber, glaube ich, keinen Erfolg bringen.

(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das trifft mich nicht!)

Insofern sollten wir schauen, dass wir vielleicht ein an-deres Verständnis für dieses Thema bekommen.

Wir beobachten hier ein Phänomen, das wir auch anvielen anderen Stellen sehen, zum Beispiel bei der zivi-len Krisenprävention. Wie bewerten Sie eine Katastro-phe, die nicht eingetreten ist? Wie verkaufen Sie dieNachricht, dass eine Katastrophe nicht eingetreten ist?Das ist extrem schwierig. Natürlich ist es viel einfacherund – das sage ich in Anführungszeichen – viel schönerfür Journalisten, darüber zu berichten, dass eine Kata-strophe passiert ist, dass irgendwo ein Militäreinsatz not-wendig ist, als darüber zu berichten, dass mit relativ we-nig Geld eine Katastrophe oder auch eine humanitäreNotsituation verhindert werden konnte. Darum geht esletztendlich. Die Aufgabe der Politik ist es, diese Früh-warnmechanismen so stark wie möglich zu machen, umso wenig wie nötig in die andere Richtung, in die repres-sive Richtung, gehen zu müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dieser Jahresbericht zeigt sehr deutlich – das ist hierschon angeklungen –, dass sich die Europäische Unionimmer mehr ihrer Aufgabe in diesem Bereich bewusstwird. Es ist richtig: Die Außenpolitik spielt immer nocheine relativ große Rolle, eine ungleichgewichtig größereRolle. Ein Grund hierfür ist historischer Natur. SchauenSie sich einmal an, wie die ersten Berichte der jeweili-gen Bundesregierung zur Frage der Menschenrechteüberschrieben wurden, bis 1998/1999 der Menschen-rechtsausschuss ein Vollausschuss wurde: Bericht derBundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in denauswärtigen Beziehungen und in anderen Politikberei-chen. Erst danach ist die Innenpolitik dazugekommen.

Ich denke, dass es in dem Maße, in dem in Europa,auch innerhalb der Europäischen Union, das Bewusst-sein dafür wächst, dass das Thema Menschenrechtenicht nur in den Außenbeziehungen eine große Rollespielt, sondern auch im inneren Zusammenhalt der Euro-päischen Union wichtig ist, dazu kommen wird, dassdieser Bericht stärker die Situation innerhalb Europas inAugenschein nehmen wird.

Man kann es an einem Beispiel sehr deutlich machen.Wir sind bis jetzt immer davon ausgegangen, dass jederMitgliedstaat die Kopenhagener Kriterien erfüllt und dieEinhaltung der Menschenrechte bei den Mitgliedstaatender Europäischen Union per se garantiert ist. Die Tatsa-che, dass mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarienzwei Staaten zum ersten Mal sozusagen einer Form vonPost-Monitoring unterworfen worden sind, weil es defi-nitiv Defizite in den Bereichen Justiz und Strafverfol-gung und bei der Bekämpfung der Korruption gibt, zeigtsehr deutlich, dass in der Europäischen Union ein Be-wusstsein dafür gewachsen ist, dass die Staaten nach

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dem Beitritt nicht aus ihrer Pflicht entlassen werden kön-nen. Das zeigt auch deutlich, dass die EuropäischeUnion offensichtlich willens ist, an der Stelle zu han-deln.

Jetzt kann man lange darüber streiten, ob dort effektivgenug gehandelt wird. Man kann auch lange darüberstreiten, ob es vor diesem Hintergrund richtig gewesenist, die Aufnahme dieser beiden Staaten zu empfehlen.Ich glaube, es zeigt ganz deutlich, dass die EuropäischeUnion ein Verständnis dafür hat, dass wir innerhalb un-serer Gremien dafür sorgen müssen, dass Menschen-rechte eingehalten werden. Denn es ist wahr: Glaubwür-digkeit entsteht nur durch eigenes Handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Die im Bericht angesprochenen Punkte sind allewichtig: Todesstrafe, Folter, Menschenrechtsdialoge,Kinder in bewaffneten Konflikten, Menschenrechtsver-teidiger und Rechte der Kinder. Die Tatsache, dass es dasEuropäische Instrument für Demokratie und Menschen-rechte gibt, das mit immerhin 11 Millionen Euro proJahr ausgestattet wird, zeigt, dass sich die EuropäischeUnion durchaus der Tatsache bewusst ist, dass Handelndort notwendig ist.

Kollege Müller-Sönksen hat gerade gesagt: Europamuss nach außen mit einer Stimme auftreten. Das istzwar zweifelsohne richtig, aber, ich glaube, wir solltenan dieser Stelle realistisch bleiben. Wenn es um eine ge-meinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitikgeht, ist es nicht so einfach, Hoheitsrechte an Europa ab-zugeben. Habe ich noch eine Hoheit über meine eigeneAußenpolitik? Habe ich noch eine Hoheit über meine ei-gene Verteidigungspolitik? Diese Fragen sind oft wichti-ger als die Frage, welche Rechte im Bereich der Wirt-schaft man abgibt. Man darf nämlich die Symbolik andieser Stelle nicht unterschätzen. Insofern sollten wiruns nicht verheben. Aber es bleibt natürlich das Ziel amEnde des Tages; das ist gar keine Frage.

Die Frage der Kohärenz – handelt die EuropäischeUnion in allen Fällen gleich? – ist mindestens genausowichtig. Diese Frage muss angesichts der vielen schonerwähnten Menschenrechtsdialoge und Konsultationengestellt werden. Ich bin dafür, dass wir diese Dialogeführen. Aber ich finde auch, sie sollten mit einer klarenZielsetzung verbunden sein. Manchmal würde ich mirwünschen, etwas genauer zu wissen, was mit welchemZiel verhandelt wird und welches Ergebnis am Ende derVerhandlungen stehen soll.

(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)

Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Herstellung vonmehr Transparenz. Ich habe den Eindruck, Transparenzist etwas, was die Europäische Union an der einen oderanderen Stelle durchaus gut gebrauchen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und derFDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Im Text unserer Beschlussempfehlung haben wir unsmit einer wichtigen Frage beschäftigt, die die Aus-schussvorsitzende dankenswerterweise schon angespro-chen hat: Die Europäische Union muss ihr Verhältnis zueinem anderen wichtigen Akteur, nämlich zum Europa-rat, klären. Natürlich muss sie auch ihr Verhältnis zurOSZE klären, aber der Europarat ist an dieser Stelle vonbesonderer Bedeutung, gerade vor dem Hintergrund,dass die Europäische Union zu immer mehr Mitglied-staaten des Europarates Beziehungen pflegt.

Im Hinblick auf die Entwicklung der östlichen Part-nerschaft, die traditionell im Europarat, nicht aber in derEuropäischen Union eine große Rolle spielt, ist es wich-tig, dass man sich abstimmt. Die Frage: „Wie gehen wirmit einem Staat wie Belarus um?“, kann man unter-schiedlich beantworten. Wenn der Europarat sie aber an-ders beantwortet als die Europäische Union, haben wirauf jeden Fall ein Glaubwürdigkeitsproblem. DieseFrage muss zwischen den Institutionen geklärt werden.

Natürlich ist es notwendig, dass die Einhaltung derMenschenrechte in den Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union von der Europäischen Union überwachtwird. Doppelungen müssen allerdings vermieden wer-den. Die Frage: „Macht die EU-Grundrechteagentur dasGleiche wie der Europäische Gerichtshof?“, ist keine ba-nale Frage. Diese Frage zu stellen, ist keine Lappalie; sieist nämlich nicht ganz einfach zu beantworten.

Auch an dieser Stelle müssen wir uns an die eigeneNase fassen. Wir kritisieren immer wieder, dass der Eu-ropäische Gerichtshof unterfinanziert ist, und wir kriti-sieren die russische Staatsduma dafür, dass Russland das14. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechts-konvention nicht unterzeichnet hat. Wir haben es imRahmen unserer Haushaltsberatungen aber selbst in derHand, wie viel Geld wir dem Europarat und wie vielGeld wir der Europäischen Union zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowiebei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Wie Sie wissen, finden vor der Sommerpause nurnoch vier Sitzungswochen statt. Da ich nicht weiß, wieviele Debatten wir noch zum Thema Menschenrechteführen werden, habe ich mir ein paar grundsätzliche Be-merkungen erlaubt. Ich glaube, es ist wichtig, auch ein-mal in Form eines Resümees darüber nachzudenken,was wir in den letzten vier Jahren eigentlich gemacht ha-ben. In Detailfragen können wir natürlich unterschiedli-cher Meinung sein. Aber ich denke, dass insbesondereder Menschenrechtsausschuss in den letzten vier Jahreneine ordentliche Arbeit geleistet hat. Das liegt auch da-ran, dass seine Mitglieder bei allem notwendigen Streit– jetzt komme ich zum Beginn meiner Rede zurück undwiederhole: Streit ist notwendig – immer versucht ha-ben, die Dinge im Interesse der Menschen voranzutrei-ben.

Eine große Bedeutung im vorliegenden Bericht zurMenschenrechtslage haben die Menschenrechtsverteidi-ger. An anderer Stelle habe ich schon einmal darauf hin-gewiesen, dass ich mich manchmal frage, wie man es

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schaffen kann, obwohl man jahrzehntelang in einem to-talitären System lebt, für die Einhaltung der Menschen-rechte zu kämpfen, nicht nur für sich selbst, sondernauch für andere. In diesem Zusammenhang habe ich fol-gendes schönes Zitat von Václav Havel gefunden – ichhabe dieses Zitat schon einmal angeführt, tue es an die-ser Stelle aber gerne noch einmal, weil, wie ich finde,keine andere Formulierung besser zum Ausdruck bringt,worum es geht –:

Hoffnung ist eben nicht Optimismus, ist nicht Über-zeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern Gewiss-heit, daß etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf,wie es ausgeht.

In diesem Sinne sollten wir unsere Arbeit fortsetzen.

Danke sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die

Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Michael Leutert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechtslage bie-tet in vielerlei Hinsicht Anlass zu einer inhaltlichen De-batte. Einige wesentliche Punkte sind bereits angespro-chen worden. Nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeitallerdings auf einen Aspekt lenken, der noch nicht er-wähnt wurde. Durch diesen Bericht wird nämlich etwasdeutlich, was gar nicht im Bericht steht. Dieser Berichtoffenbart die Machtfülle von Europäischer Kommissionund Europäischem Rat, und er offenbart ein Demokratie-defizit, das in der EU gegenwärtig herrscht.

Das möchte ich an einem Beispiel deutlich machen.In letzter Zeit diskutieren wir immer wieder über diemögliche Aufnahme unschuldig gefangen genommenerGuantánamo-Häftlinge in der Europäischen Union bzw.in Deutschland; dieses Thema wurde auch in der gestri-gen Sitzung des Menschenrechtsausschusses debattiert.In recht engem Zusammenhang damit steht natürlich derVorwurf gegenüber den USA, dass die CIA auf dem Ter-ritorium der EU rechtswidrig Menschen gefangen gehal-ten oder befördert hat. Mit dieser Thematik hat sich dasEuropäische Parlament natürlich beschäftigt. Dazu gibtes Entschließungen, die Forderungen an die EuropäischeUnion und an die Mitgliedstaaten beinhalten, Forderun-gen, die von der Aufklärung über diese Praxis bis zurBeendigung dieser Praxis reichen. Wer sich die Ent-schließungen des Europäischen Parlamentes anschaut,wird feststellen: Mit zunehmender Schärfe wird die Auf-forderung zum Handeln formuliert, weil sich offensicht-lich niemand dafür interessiert hat.

So gibt es zum Menschenrechtsbericht 2007 eine Ent-schließung des Europäischen Parlamentes, in der esheißt: Das Europäische Parlament

fordert die Europäische Union und die Mitglied-staaten auf … die Praxis der außerordentlichenÜberstellungen zu enthüllen …

Im Bericht über den Menschenrechtsbericht 2008 istdas Europäische Parlament

der Auffassung … dass die EU trotz der in einigenMitgliedstaaten durchgeführten Untersuchungenkeine Bewertung der Methoden der Mitgliedstaatenin Bezug auf die Politik der Regierung der Verei-nigten Staaten … vorgenommen hat …

In einer Entschließung vom Mai 2008 wird dannschärfer festgestellt: Das Europäische Parlament

wiederholt seine Forderung an den Rat … und dieKommission, endlich die Empfehlungen umzuset-zen …

Im Februar dieses Jahres hat das Europäische Parla-ment folgende Entschließung beschlossen: Das Europäi-sche Parlament

verurteilt, dass die Mitgliedstaaten und der Rat bis-lang keine Maßnahmen ergriffen haben, um dieWahrheit über das Programm außerordentlicherÜberstellungen ans Licht zu bringen und die Emp-fehlungen des Europäischen Parlaments umzuset-zen …

Im aktuellen vom Rat der Europäischen Union vorge-legten Jahresbericht zur Menschenrechtslage findet sichein Abschnitt, in dem zu lesen ist, dass sich das Europäi-sche Parlament mit der Problematik der Terrorbekämp-fung kritisch auseinandergesetzt hat. Es wird auch nichtverschwiegen, mit welchen Instrumenten dabei gearbei-tet wurde. Es findet sich in dem Bericht aber kein Wortdarüber, ob und wie die Kommission und der Rat die ansie adressierten Handlungsaufforderungen berücksich-tigt haben. Dies steht beispielhaft für ein gravierendesstrukturelles Defizit der EU, nämlich für die unzurei-chende Rückbindung von Kommission und Rat an dasEuropäische Parlament.

(Beifall bei der LINKEN)

Das lässt sich verallgemeinern. Auf Seite 57 der Be-schlussempfehlung und des Berichts des Menschen-rechtsausschusses, Drucksache 16/12729, kann mannachlesen, dass Entschließungen des Europäischen Par-lamentes zu menschenrechtsrelevanten Themen im All-gemeinen Handlungsaufforderungen an den Rat, dieKommission und die Regierungen betroffener Staatenbeinhalten. Von Kritik des Europäischen Parlaments,steht im Bericht des Ausschusses lapidar, sind die betrof-fenen Regierungen „durchaus berührt“.

Leider ist es nicht Thema des Berichts, wie Kommis-sion und Rat auf die Aufforderung zum Handeln regierthaben. Das muss nicht für jede einzelne Entschließungpassieren. Für uns als Menschenrechtspolitiker ist esaber schon interessant, zu erfahren, ob Aufforderungendes Europäischen Parlamentes tatsächlich dazu beitra-gen, dass sich Kommission und Rat bewegen. Da dasnicht so gewesen ist, gibt es nur zwei Schlussfolgerun-gen: Man hat den Eindruck, dass die Tätigkeit des Euro-

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päischen Parlamentes für den Jahresbericht in dem Au-genblick, in dem die Folgen dieser Tätigkeit andereOrgane der EU betreffen, uninteressant wird und dassdas daran liegt, dass die Tätigkeit von Kommission undRat nicht in ausreichendem Maße an demokratische For-men der Willensbildung gebunden ist.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Leutert, achten Sie bitte auf die Zeit!

Michael Leutert (DIE LINKE): Gegenwärtig scheint es so zu sein, dass es zweitran-

gig ist, was das Europäische Parlament gegenüber Kom-mission und Rat fordert. Damit bin ich am Schluss:Ohne Demokratie kann man die Achtung der Menschen-rechte nicht verwirklichen. Deshalb ist es notwendig,dass das strukturelle Demokratiedefizit in der Europäi-schen Union auch im Menschenrechtsbericht angespro-chen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Christoph Strässer[SPD]: Ein flammendes Plädoyer für den Ver-fassungsvertrag!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der

Kollege Rainder Steenblock das Wort.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Leutert, vielen Dank für das Plädoyer fürdie Annahme des Verfassungsvertrages! Denn das De-mokratiedefizit, das Sie zu Recht beschrieben haben,wird damit, jedenfalls weitgehend, gelöst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der CDU/CSU undder SPD)

In dem Menschenrechtsbericht, der uns vorliegt, steht– gar keine Frage – viel Richtiges. Wir müssen an die-sem Bericht aber auch eine Menge kritisieren. Ich willmit einigen strukturellen Fragen beginnen; einige Kolle-gen vor mir haben sie schon angesprochen.

Erstens. Wir können den EU-Jahresbericht zur Men-schenrechtslage nicht nur als ein außenpolitisches Instru-ment sehen. Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, dannmüssen wir in diesem Bericht auch die Situation inner-halb der Europäischen Union untersuchen. Die Gerichts-urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-rechte zeigen, dass es sehr viele Urteile und Klagen ausMitgliedsländern der Europäischen Union gibt. Deshalbist es notwendig, dass die Europäische Union stärker indiesem Bericht berücksichtigt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – BurkhardtMüller-Sönksen [FDP]: Das sage ich dochauch!)

– Es ist gut, wenn wir uns einig sind.

Als zweites Strukturmerkmal auf europäischer Ebeneist Folgendes notwendig: Wenn wir die Arbeit des Euro-päischen Parlaments ernst nehmen wollen – das ver-misse ich auch in der Stellungnahme der Koalitionsfrak-tionen –, dann muss die Menschenrechtspolitik auf derEbene des Europäischen Parlaments endlich aus demUnterausschussniveau herausgehoben werden, indemdort ein ordentlicher Ausschuss für diesen Bereich gebil-det wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der FDP)

Ich komme zu einem dritten strukturellen Änderungs-vorschlag. Wir haben in der EU die Grundrechteagentureingeführt. Gerade diejenigen, die im Europarat tätigsind, haben einige Kritik daran. Dazu steht aber nichts indem Bericht. Auch die kritische Auseinandersetzung mitder Arbeit der Agentur gehört in den Bericht hinein. Ichfinde, auch das gehört eigentlich in die Stellungnahmedes Parlaments.

(Holger Haibach [CDU/CSU]: Das steht dochdrin! – Christoph Strässer [SPD]: Am Schluss!Bis zum Ende lesen!)

– Ja gut, es steht am Schluss.

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Es ist ein gutesZeichen, dass zu diesem Thema drei Kollegen reden, dieauch im Europarat aktiv tätig sind. Der Kollege Haibachhat in der letzten Woche einen hervorragenden Berichtzum Thema Menschenrechtsverteidiger vorgelegt. Dasist eine sehr gute Debatte. Ich empfehle Ihnen allen, die-sen Bericht und die konkreten Forderungen des Europa-rats in der Frage der Menschenrechtspolitik – Herr Kol-lege Strässer und Frau Kollegin Däubler-Gmelinarbeiten ebenso wie Frau Leutheusser-Schnarrenbergerauf dieser Ebene – zur Kenntnis zu nehmen. Das hat eineandere Qualität. Die Berichte sind hervorragend undsehr konkret in ihren Aussagen.

Insofern fehlt in der Stellungnahme des Parlamentsein Absatz, der die Zusammenarbeit zwischen der EUund dem Europarat in Menschenrechtsfragen beschreibt.Das ist notwendig. Wir werden nur dann Erfolge haben,wenn wir das kombinieren. Der Kollege Haibach hat dasin seiner Arbeit auch über Fraktionsgrenzen hinweg sehrgut dokumentiert. Vielen Dank dafür!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich möchte noch kurz einen Grund nennen, warumwir der Beschlussempfehlung der CDU/CSU- und derSPD-Bundestagsfraktion nicht zustimmen. Sie sagen zuRecht, dass Sie den EU-Menschenrechtsleitlinien eineWeiterung des Kinderschutzes beifügen wollen. Aberwir als Grüne sagen sehr deutlich: Solange die Bundes-regierung ihre Vorbehalte gegen die Kinderrechtskon-vention der Vereinten Nationen nicht zurücknimmt, istIhre Politik scheinheilig. Die Koalitionsfraktionen kün-digen immer wieder an, das zu machen, aber bisher istnichts passiert.

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Rainder Steenblock

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – HartmutKoschyk [CDU/CSU]: Warum ist denn in sie-ben Jahren Rot-Grün nichts passiert?)

– Versuchen Sie einfach, sich selber als verantwortlicherPolitiker darzustellen, der diese Regierung unterstützt.Aber Sie kriegen das nicht gebacken.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Warum istdenn in sieben Jahren Rot-Grün nichts pas-siert?)

– Das ist nur eine Kritik an dem, was jetzt ist.

Der nächste Punkt, den ich noch erwähnen möchte,betrifft die Menschenrechtsdialoge.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Warum istdenn in sieben Jahren Rot-Grün nichts pas-siert?)

– Seien Sie doch nicht so kleinlich. Ich habe die CDU/CSU gerade gelobt, und jetzt fangen Sie mit pieseligenArgumenten an. Stellen Sie sich doch Ihrer Verantwor-tung! In Bezug auf die Kinderrechtskonvention der Ver-einten Nationen haben Sie nichts unternommen; so istdas.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was den Menschenrechtsdialog angeht, ist es wün-schenswert, dass der Bericht eine andere Tiefe bekommt.Usbekistan ist angesprochen worden. Wir können nichtauf der Ebene dieser Berichte arbeiten. Hier ist Copy andPaste gemacht worden. In den Berichten zu den EU-Menschenrechtsdialogen findet sich keine Tiefe.

Als letzten Punkt komme ich zur Folterkonvention.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Steenblock, einen neuen Punkt können Sie

jetzt nicht mehr ansprechen. Achten Sie bitte auf die Re-dezeit.

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Ein allerletzter Punkt: Ich stimme Herrn Leutert zu.Wenn man über Folter spricht, dann muss man überGuantánamo und die Aufnahme von Flüchtlingen hierreden und ansprechen, dass es bei uns nicht zu einerernsthaften Aufklärung der geheimen Gefangenenflügegekommen ist. Auch das ist ein Fehler, der begangenworden ist. Solche Themen gehörten in den Bericht hi-nein.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin

Däubler-Gmelin hat diese Debatte mit der richtigen Fest-stellung eingeleitet, dass wir hier über grundsätzlicheund sehr wichtige Fragen sprechen. Welches Präsidiums-mitglied möchte schon einem Thomas Dehler oder ei-

nem Václav Havel, wenn diese zitiert werden, quasi insWort fallen? Wenn das aber dazu führt, dass alle Rednerin dieser Debatte zwischen anderthalb und zwei Minutenüberziehen, dann gebe ich den Hinweis: In den nachfol-genden Debatten müssen grundlegende Zitate, die zurBestätigung der eigenen Position eingeführt werden, amAnfang der Rede stehen, sodass ich den zitierten ge-schätzten Persönlichkeiten nicht ins Wort fallen mussund trotzdem meiner Aufgabe nachkommen kann, da-rauf zu achten, dass wir die Zeiten einhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte undHumanitäre Hilfe auf Drucksache 16/12729 zu der Un-terrichtung durch die Bundesregierung über den EU-Jah-resbericht 2008 zur Menschenrechtslage. Der Ausschussempfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschlie-ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen derUnionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktionbei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der FraktionBündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie den Zu-satzpunkt 7 auf:

22 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, ChristianAhrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP

Absicherung für das Erwerbsunfähigkeitsrisikoverbessern

– Drucksache 16/10872 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rechtsausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten IrmingardSchewe-Gerigk, Markus Kurth, Brigitte Pothmer,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN

Erwerbsminderungsrente gerechter gestalten

– Drucksache 16/12865 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

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Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Da ich kein Zitat habe, kann ich auch mit keinem begin-nen. Ich will eigene Gedanken vortragen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie könnten doch Kolb zitieren!)

– Das wäre eine Möglichkeit, Herr Kollege. – Der wich-tigste ist, dass nach meinem Dafürhalten Ziel einer vo-rausschauenden und den Bedürfnissen der Menschen ge-recht werdenden Rentenpolitik sein muss, nicht nur dieprivate und die betriebliche Altersvorsorge als Ergän-zung zur Regelaltersrente zu stärken – das ist ohnehinwichtig –, sondern auch die Möglichkeiten der privatenVorsorge zur Absicherung des Erwerbsminderungsrisi-kos zu verbessern. Die Nachfrage danach ist – das ist miraus zahlreichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bür-gern bekannt – groß. Die Menschen, die einen privatenVersicherungsschutz vor dem Erwerbsunfähigkeitsri-siko suchen, sind zahlreich. Die Gründe dafür sind ohneWeiteres nachzuvollziehen. Ich will sie nennen.

Im Jahr 2000 hat die rot-grüne Bundesregierung mitder Reform der Erwerbsminderungsrente den Erwerbs-minderungsschutz für Rentner um bis zu 10,8 Prozentreduziert. Heute liegt die durchschnittliche Erwerbsmin-derungsrente in den alten Ländern bei 715 Euro und inden neuen Ländern bei 650 Euro. Wenn man bedenkt,dass das Niveau der Grundsicherung derzeit rund660 Euro beträgt, und weiterhin berücksichtigt, dass mitder Reform aus dem Jahr 2000, die in Verantwortungvon Rot-Grün durchgeführt wurde, die Höhe der gesetz-lichen Erwerbsminderungsrente bis 2030 um mehr als20 Prozent sinken wird, dann wird jedem klar: Die Zahlder erwerbsgeminderten Menschen, die Grundsicherungbeantragen müssen, wird künftig stark wachsen, wenn esnicht gelingt, das Erwerbsunfähigkeitsrisiko noch aufanderem Weg privat abzusichern. Wie Sie wissen, gibt esjedes Jahr rund 160 000 Neuzugänge in die Erwerbsmin-derungsrente. Der Bestand liegt derzeit bei 1,6 Millio-nen. Das macht die ganze Tragweite dieses Problemsdeutlich. Für die FDP-Bundestagsfraktion steht fest: DieAbsicherung gegen das Erwerbsminderungs- und Er-werbsunfähigkeitsrisiko ist lückenhaft und muss verbes-sert werden.

(Beifall bei der FDP)

Viele Menschen können in fortgeschrittenem Alterkeine Erwerbsunfähigkeitsversicherung mehr abschlie-ßen, wenn sie beispielsweise eine Vorerkrankung auf-weisen. Über die staatlich geförderte private Altersvor-sorge, also über die Riester- und die Rürup-Rente, ist einSchutz vor Erwerbsunfähigkeit bisher nur unzureichendgegeben. Bei der Riester-Rente kann man nur bis zu15 Prozent der Einzahlungen in die Absicherung des Er-werbsminderungsrisikos investieren. Wesentlich bessersieht es auch bei der Rürup-Rente nicht aus, da der Ab-setzbetrag für Arbeiter und Angestellte begrenzt ist undein ausreichendes Schutzniveau nicht erreicht werdenkann. Während die staatliche Vorsorge und die staatlicheFörderung der Vorsorge bisher fast ausschließlich aufdas Ziel der Lebensstandardsicherung fokussiert, bleibt

der eigentlich noch zentralere Schutz gegen Erwerbs-minderung außen vor.

Es gibt Fortschritte; das will ich hier sehr deutlich sa-gen. In die betriebliche Altersvorsorge wird der Schutzgegen Erwerbsminderung mittlerweile integriert. Zuletzthat die chemische Industrie den Schutz gegen Erwerbs-minderung tarifvertraglich festgeschrieben. Dies wurdeohne Berücksichtigung von Alter, Vorerkrankungen oderGeschlecht geregelt. Ich finde, dass diese Regelung eineSignalwirkung für andere Tarifabschlüsse haben sollte.

Soweit die Entscheidung in das Ermessen der Versi-cherten gestellt ist, müssen wir aber feststellen, dass imRahmen der Entgeltumwandlung – bei der betrieblichenAltersvorsorge – bisher in der Regel für eine reine Le-bensstandardversorgung ohne Erwerbsminderungsschutzoptiert wird. Da nützt es auch nichts, dass mittlerweilerund 60 Prozent der Beschäftigten eine betriebliche Al-tersvorsorge haben.

Ich glaube, ich habe die Lücke im Versicherungsschutzgegen Erwerbsminderung hinreichend beschrieben. Wir,die FDP-Bundestagsfraktion, wollen mit dem Antrag„Absicherung für das Erwerbsunfähigkeitsrisiko verbes-sern“ die bestehende Lücke schließen. Die Riester- unddie Basisrente sollen künftig geöffnet werden, sodass je-der Versicherungsnehmer frei wählen kann, welcher An-teil der Beiträge in den Schutz gegen Erwerbsminderungund welcher Anteil der Beiträge in die Lebensstandardsi-cherung fließt.

Der vertragliche Schutz gegen Erwerbsminderung istin seiner Höhe begrenzt, was sich aus dem Förderum-fang ergibt. Es wird nur eine Erwerbs- und keine Berufs-unfähigkeitsrente gefördert. Dadurch können auch älterePersonen mit vertretbaren Beiträgen in die gefördertenVersicherungsprodukte einbezogen werden.

(Anton Schaaf [SPD]: Ohne Gesundheitsun-tersuchung?)

Es kommt natürlich darauf an, das Ganze für die Ver-sicherungsunternehmen sinnvoll auszugestalten, bei-spielsweise dadurch, dass der Garantiezins für Alters-vorsorgeleistungen versicherungsmathematisch korrektangepasst wird.

Eine moderne Rentenpolitik, die den Bürger ernstnimmt, verfolgt keine rückwärtsgewandten Ansätze, wiees beispielsweise die Fraktion der Grünen mit ihrem An-trag zur Absicherung des Erwerbsunfähigkeitsrisikos tut,indem sie das Wiederherabsetzen des Referenzalters füreine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente auf 63 Jahrevorschlägt. Eine moderne Rentenpolitik fummelt übri-gens auch nicht immer wieder an der Rentenformel he-rum, wie es die Bundesregierung in diesen Tagen bei-spielhaft vorführt. Das sind die Menschen leid.

(Beifall bei der FDP)

Eine moderne Rentenpolitik ist ehrlich und setzt aufdie mündigen Bürger. Sie vermittelt den Bürgern, wassie von der gesetzlichen Rente – egal ob Alters- oder Er-werbsminderungsrente – erwarten können und wie sienach freier Wahl selbst einen Beitrag dazu leisten kön-

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Dr. Heinrich L. Kolb

nen, ihren Versicherungsschutz mit staatlicher Förde-rung zu ergänzen.

Die Bürgerinnen und Bürger sind bereit, mehr für ihreAbsicherung zu tun, als manchmal angenommen wird;die große Nachfrage nach einem besseren privaten Er-werbsminderungsschutz beweist das. Dies muss ihnenaber ermöglicht werden. Genau das ist der Weg, den dieFDP mit ihrem Antrag ebnen will. Ich bitte Sie, diesemAntrag zu folgen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Peter

Weiß das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Zu den großen sozialen Leistungen der gesetzlichenRentenversicherung gehört, dass sie nicht nur Renten imAlter ausbezahlt, sondern dass sie auch Leistungen fürjüngere Menschen erbringt, wenn diese wegen Krank-heit oder Behinderung nur noch eingeschränkt arbeitenkönnen oder, weil sie voll erwerbsgemindert sind, über-haupt nicht mehr arbeiten können.

Wir erleben immer wieder, dass in der ÖffentlichkeitDiskussionen über die Rendite der gesetzlichen Renten-versicherung stattfinden; dies wird auch von einigen Zei-tungen angefeuert. Es wird behauptet, die Rendite ande-rer Versicherungsformen sei viel besser. Bei solchenRenditebetrachtungen fällt aber oft unter den Tisch, dassdie gesetzliche Rente im Gegensatz zu anderen Alters-vorsorgesystemen, die ihr im Hinblick auf die Renditeangeblich den Rang ablaufen, im Falle eines Falles be-reits vor Erreichen des Rentenalters Erwerbsminde-rungsrente zahlt. Um es klar und deutlich zu sagen: Diegesetzliche Rente ist deswegen so wichtig, wertvoll undunverzichtbar, weil sie auch bei Erwerbsminderung hilft.Die Erwerbsminderungsrente ist eine der großartigen so-lidarischen Leistungen der Versichertengemeinschaft inder gesetzlichen Rentenversicherung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber zukünftignicht mehr in einer ausreichenden Höhe! Auchdas müssen Sie sagen!)

Nun sorgen die Veränderungen im Rentenrecht, diewir in den kommenden Jahren schrittweise weiter voll-ziehen, weil wir eine Antwort auf die demografische He-rausforderung geben müssen – der Altersaufbau der Ge-sellschaft ändert sich, und es wird mehr Ältere undweniger Jüngere geben –, dafür, dass sich jeder zusätz-lich zur gesetzlichen Rente weitere Säulen der Altersver-sorgung aufbauen muss. Die Bedingungen und Förder-möglichkeiten für den Aufbau einer betrieblichenAltersvorsorge als einem weiteren Standbein und einerprivaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge, die wir in derRegel kurz Riester-Rente nennen, sind in den letzten

Jahren, gerade in den Zeiten der Großen Koalition, deut-lich verbessert worden. Ich finde, zu den großen renten-politischen Leistungen der Großen Koalition gehört,dass es mit Betriebsrente und mit privater Altersvorsorgein Deutschland deutlich weiter aufwärtsgeht. Das istwirklich ein Erfolg. Wir haben die Fördermöglichkeit fürdie Betriebsrente wie auch für die Riester-Rente deutlichverbessert. Man sieht an der Reaktion der Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer, dass sie diese Möglichkeit zu-nehmend nutzen, was erfreulich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Wenn zusätzliche Vorsorge für jeden, der künftig inRente geht, ein absolutes Muss ist, dann gilt das genausofür diejenigen, die vor Erreichen des Rentenalters leiderErwerbsminderungsrente beantragen müssen. Deshalbhat übrigens die Große Koalition eine nicht unwichtigeReform beschlossen. Für die private, kapitalgedeckte Al-tersvorsorge, also für das, was man Riester-Sparennennt, sind seit dem vergangenen Jahr, seit 2008, auchalle Personen förderberechtigt, die eine Rente wegenvollständiger Erwerbsminderung beziehen. Auch sie sol-len eine Chance haben, zusätzlich weiter für das Alter zusparen und eine zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da muss man erst mal hinkommen!)

Nun haben zwei Oppositionsfraktionen weitere Neu-regelungen für Bezieher von Erwerbsminderungsrentebeantragt. So sehr ich es für wichtig und notwendighalte, alles dafür zu tun, dass Menschen mit Erwerbs-minderung ein auskömmliches Leben mit den ihnen zu-stehenden Leistungen führen können, sollte man meinesErachtens Folgendes bedenken:

Erstens. Die vermeintlich unzureichende Absicherungder Erwerbsunfähigkeit wird seit Jahren vor allem imZusammenhang mit dem Wegfall der früheren Rente we-gen Berufsunfähigkeit diskutiert. Herr Kolb, übrigenshaben die FDP und die CDU/CSU das zusammen 1997beschlossen. Als dann Rot und Grün ab 1998 regiert ha-ben, haben sie das erst einmal rückgängig gemacht, aber1999 genau dieses wieder gemeinsam beschlossen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hat nicht lange vorgehalten!)

Ich will deutlich machen, dass alle vier Fraktionen dafürVerantwortung tragen. Der Punkt ist folgender: Das Aus-maß der materiellen Auswirkungen des Wegfalls der al-ten Berufsunfähigkeitsrente wird meines Erachtens weitüberschätzt; denn der Wegfall dieser alten Rente bedeutetnicht, dass die betroffenen Versicherten in der gesetzli-chen Rentenversicherung keinen Schutz mehr genießen.In aller Regel ist die Erwerbsfähigkeit von Versicherten,die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können,zugleich auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einge-schränkt. Sie haben dann aus der gesetzlichen Rentenver-sicherung meist aus arbeitsmarktbedingten Gründen sogareinen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente.

Zweitens. Die von der FDP beantragte Wahlmöglich-keit, im Rahmen der Riester-Rente wie auch der Rürup-

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Peter Weiß (Emmendingen)

Rente, also der privaten, kapitalgedeckten Altersvor-sorge, das Risiko der Erwerbsunfähigkeit allein absichernzu lassen,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oder kombi-niert!)

würde zwangsläufig zulasten der Altersvorsorge gehen.Mit der Riester-Rente wollten wir dafür sorgen, dass sichdie Menschen ergänzend zur gesetzlichen Rente etwasfür das Rentenalter aufbauen. Wenn wir jetzt die Wahl-möglichkeit einräumen, den gesamten in der sogenann-ten Riester-Rente angesparten Betrag für die Absiche-rung des Erwerbsminderungsrisikos einzusetzen, dannfehlt dieses Geld natürlich bei der zusätzlichen Alters-vorsorge.

(Andrea Nahles [SPD]: Das ist doch eineMilchmädchenrechnung! – Gegenruf des Abg.Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Das soll je-der selbst entscheiden!)

Übrigens hat der Gesetzgeber deshalb bei der Riester-Rente die Absicherung des Erwerbsminderungsrisikosauf 15 Prozent und bei der Rürup-Rente, die sich in ers-ter Linie an Selbstständige wendet, auf 49 Prozent derBeiträge begrenzt. Die alleinige Absicherung der Er-werbsunfähigkeit im Rahmen der Riester-Rente, dienach dem Antrag der FDP zukünftig möglich wäre,würde eben nicht mehr dem ursprünglichen Sinn undZweck der Riester-Rente, nämlich zusätzlicher Alters-vorsorge, entsprechen,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber es wäre nicht unsinnig!)

mit der die künftige Minderung der Leistungen aus dergesetzlichen Rentenversicherung ausgeglichen werdensoll. Mit anderen Worten: Herr Kolb, Ihr Vorschlag gehtschlichtweg auf Kosten der Alterssicherung, und es stelltsich die Frage: Kann man das verantworten?

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das muss jeder für sich selbst entscheiden, Herr Weiß!)

Weiter wird die Forderung aufgestellt, allen steuer-pflichtigen Personen die Möglichkeit zum Abschluss ei-nes Riester-Sparvertrages zu eröffnen, um dafür diestaatliche Förderung zu erhalten.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist auf jeden Fall sinnvoll!)

Die Erfüllung dieser schon öfter gestellten Forderungwürde natürlich in erheblichem Maße Geld kosten. An-gesichts der zusätzlichen Belastungen der öffentlichenHaushalte durch die Maßnahmen zur Bekämpfung derFinanz- und Kapitalmarktkrise stellt sich die Frage, obman in dieser Zeit eine solche Zusatzleistung beantragensollte.

Wir werden die Anträge der beiden Oppositionsfrak-tionen in den Ausschüssen des Bundestages ausführlichberaten. Bei den Beratungen gilt für mich ein Maßstab:Die zusätzliche Altersvorsorge ergänzend zur gesetzli-chen Rente, für die wir die Menschen in Deutschland inden letzten Jahren erfreulicherweise in zunehmendemMaße gewonnen haben, muss sicherer und leistungsfähi-

ger werden und darf jetzt nicht plötzlich wieder verkom-pliziert oder geschwächt werden. Das ist der Maßstab fürdie Prüfung der vorliegenden Anträge. Ich habe den Ein-druck, dass sie einer solchen Prüfung wenig standhalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD –Anton Schaaf [SPD]: Das ist auf jeden Fallrichtig! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wienennt man das? Unvoreingenommenes Heran-gehen an einen Vorschlag!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Volker Schneider für die

Fraktion DIE LINKE.

(Beifall bei der LINKEN)

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich hoffe, dass wir uns zumindest in einem zentralenPunkt einig sind: Der Schutz vor den Risiken der Er-werbsminderung ist eine der dringlichsten Aufgaben so-zialer Sicherungssysteme.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Anton Schaaf [SPD])

Zumindest die Sozialdemokraten, die sich ihrer Wurzelnin der Arbeiterbewegung erinnern, wissen, dass geradeder Schutz im Falle der Invalidität einer der Ausgangs-punkte der sozialstaatlichen Entwicklung im 19. Jahr-hundert war.

Und heute? Herr Weiß, Ihre recht optimistische Ein-schätzung der sozialen Situation von Erwerbsminde-rungsrentern hat mich etwas überrascht; denn mit derReform der Erwerbsminderungsrente im Jahr 2000durch SPD und Grüne hat sich die Absicherung des Er-werbsminderungsrisikos massiv verschlechtert. Rot-Grün hat mit Verweis auf den allgemeinen Arbeitsmarktund auf das sogenannte Restleistungsvermögen für dieBetroffenen den Zugang zur Erwerbsminderungsrentedeutlich erschwert.

Im Jahr 2000 gingen noch 200 000 Menschen auf-grund ihrer gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeitin Rente, 2007 waren es 40 000 weniger. Ist es wirklichso, fragen wir uns als Linke, dass diese 40 000 Jahr fürJahr weniger Solidarität bedürfen, oder verweigert derSozialstaat ihnen schlicht die notwendige Unterstüt-zung?

Ein weiteres Problem ist der dramatische Rückgangder durchschnittlichen Leistungshöhe. Diese liegt mitt-lerweile gesamtdeutsch mit 662 Euro pro Monat aufGrundsicherungsniveau. Was hat es noch mit einem wür-devollen Leben zu tun, fragen wir als Linke, wenn Men-schen mit schweren körperlichen und gesundheitlichenBeeinträchtigungen nicht einmal mehr ausreichend Geldin der Tasche haben?

Vergessen wir nicht – beide Anträge weisen daraufhin –, dass bis 2030 das allgemeine Rentenniveau weitersinken wird, und zwar um rund 20 Prozent. Das wird das

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Volker Schneider (Saarbrücken)

Problem der unzureichenden Absicherung bei Erwerbs-minderung in den kommenden Jahren noch weiter ver-schärfen; denn die Absenkung des Rentenniveausschlägt auch bei der Erwerbsminderungsrente volldurch. Damit erreichen Erwerbsgeminderte im Schnittnicht einmal mehr das Grundsicherungsniveau. Wie tiefwollen Sie denn die Würde dieser Menschen noch hän-gen?

(Beifall bei der LINKEN)

Hinzu kommt, dass den Betroffenen bei vorzeitigemBezug Abschläge von bis zu 10,8 Prozent drohen. DieVerbesserung der Zurechnungszeiten im Zuge der2000er-Reform kann die Abschläge kaum kompensie-ren. Es ist doch nicht so, dass sich die Betroffenen frei-willig aussuchen, ab wann sie die Erwerbsminderungs-rente in Anspruch nehmen müssen. Da ist es doch keinWunder, dass die Abschläge von den Betroffenen alswillkürlich und ungerecht wahrgenommen werden. DieRente ab 67 wird den Wert der Erwerbsminderungsren-ten weiter mindern.

Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten lehnen wirLinke ab,

(Beifall bei der LINKEN)

weil es nicht im Belieben der Betroffenen steht, wann sieeine solche Rente in Anspruch nehmen müssen, weilsich die Betroffenen eben nicht aussuchen können, abwann körperliche und gesundheitliche Beeinträchtigun-gen ein Weiterarbeiten nicht mehr möglich machen. Wirfordern Abschlagsfreiheit ab dem 60. Lebensjahr undnicht erst ab dem 63. Lebensjahr, wie von den Grünengefordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Vorwurf, man mache so wieder ein Scheunentorfür eine neue Frühverrentungspolitik auf, liebe KolleginSchewe-Gerigk, ist doch eigentlich unsinnig; schließlichfindet vor der Frühverrentung eine strenge medizinischePrüfung statt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Abschläge können schon deshalb keine steuerndeWirkung entfalten.

Die Forderung der FDP, dem Versicherungsnehmerdas Wahlrecht zu ermöglichen, bei seiner staatlich sub-ventionierten privaten Altersvorsorge auch das Risikoder Erwerbsminderung abzusichern, lehnen wir ent-schieden ab. Ihre Realitätsverweigerung gegenüber Ur-sachen und Wirkungen der Finanzmarktkrise ist schonerstaunlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Dass Riester-Produkte sich oft durch Intransparenz undIneffizienz auszeichnen, ist bei der FDP offensichtlichnoch nicht angekommen. Dass bei einigen fondsgebun-denen Riester-Verträgen die Versicherten Verluste vonbis zu 80 Prozent zu beklagen haben, ist Ihnen wohlgleichgültig. Oder geht es Ihnen in erster Linie darum,

ein neues Produkt für den Versicherungsmarkt zu er-schließen?

(Beifall bei der LINKEN)

Wir Linke sagen Nein zur Privatisierung des Erwerbs-minderungsrisikos. Wir Linke sagen Ja zur Stärkung dergesetzlichen Rentenversicherung, auch und gerade um indiesem bewährten System, dem Solidarsystem, das Er-werbsminderungsrisiko wieder besser absichern zu kön-nen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Anton

Schaaf das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Anton Schaaf (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man

kann schon fast darauf wetten, was dabei herauskommt,wenn die FDP einen Antrag einbringt, in dem es auf dereinen Seite um die sozialen Sicherungssysteme und aufder anderen Seite um das Wort „Freiheit“ geht: um dieForderung nach Privatisierung und der Individualisie-rung von Lebensrisiken.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN –Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das habt ihr dochbetrieben mit der Riester-Rente! Das war dochnicht unsere Idee!)

Das ist faktisch bei jedem Antrag dieser Art so. Mankann sich das Lesen dieser Anträge sparen, weil die Es-senz immer dieselbe ist: Die Lebensrisiken der Men-schen sollen privatisiert werden; die Gesellschaft, dieArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Versichertensollen entsolidarisiert werden.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Herr Schaaf,auch Sie haben die Hand für die Riester-Rentegehoben!)

Wenn man sich Ihren jetzt vorliegenden Antrag an-schaut, dann erkennt man genau das, was ich beschrie-ben habe: Einen Teil eines Lebensrisikos, nämlich nichtmehr arbeiten zu können, erwerbsgemindert zu sein,wollen Sie individualisieren und privatisieren und überdie Krücke der Riester-Rente finanzieren, und das sogarnoch mit staatlicher Unterstützung.

Man sollte schauen, was dort steht: Sie wollen denVersicherungsunternehmen die Möglichkeit eröffnen,das Ganze sinnvoll zu gestalten.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richtig!)

Mit „sinnvoll“ bezeichnen Sie, dass die garantierte Ren-dite aus den Riester-Verträgen – natürlich vor dem Hin-tergrund eines erhöhten Risikoschutzes – abgesenkt wer-den kann.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sonst wird es nicht funktionieren!)

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Anton Schaaf

Was heißt das allerdings in der Konsequenz? Die Un-ternehmen verdienen an der Riester-Rente, die staatlichgefördert ist, im Zweifel mehr;

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, das habeich doch gerade gesagt! Das Risiko ist auchhöher ausgeprägt!)

die Gewinnmargen werden größer. Sie wollen dieRiester-Rente schlichtweg attraktiver für die Unterneh-men und nicht für die Beschäftigten machen. Das ist inIhren Anträgen eindeutig zu lesen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dasist Quatsch!)

Mir ist mittlerweile wirklich schleierhaft, wie man indieser Zeit so erkenntnisresistent sein kann. Wir befin-den uns in einer Weltfinanzkrise, in einer Weltwirt-schaftskrise, deren Ursachen wirklich beschreibbar sind.Eine Auswirkung dieser Krise ist, dass zum Beispiel inGroßbritannien oder in den Vereinigten Staaten Millio-nen älterer Menschen – vor dem Hintergrund, dass siesich nur privat für das Alter absichern konnten – jetztvor dem Nichts stehen. Dass man angesichts einer sol-chen Auswirkung die zusätzliche Privatisierung einesLebensrisikos hier in einem Antrag einfordert, ist schonmehr als bemerkenswert.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kolb?

Anton Schaaf (SPD): Nein. Herr Kolb, Sie hatten die Möglichkeit, Ihren

Antrag vorzustellen. Wir werden auch im Ausschussausführlich über das Thema diskutieren. Im Gegensatzzu Ihnen will ich heute Abend noch zum Maifest desDGB. Die Präsidentin hat auch schon darauf hingewie-sen, dass wir etwas überzogen haben. Von daher solltenwir das jetzt lassen.

Sie beantworten überhaupt nicht die Frage: Was ma-chen wir mit den 12 Millionen Menschen, die schon ge-riestert haben? Für die bräuchten wir neue Verträge. Wieist das dann mit der Gesundheitsuntersuchung, die Versi-cherungskonzerne immer fordern?

Wie ist überhaupt zu erklären, dass sich so wenigeMenschen privat gegen das Risiko der Berufsunfähigkeitabsichern?

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir reden vonErwerbsminderung, nicht von Berufsunfähig-keit!)

Ich sage Ihnen, womit das zu erklären ist: Die Verträge,die angeboten werden, sind wirklich alles andere alslukrativ; unglaublich hohe Beiträge für miserable Leis-tungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kein einziges dieser Produkte hat von den Verbraucher-schützern ein gutes Testat bekommen. Das alles sollteman berücksichtigen.

Was wir gesamtgesellschaftlich geschaffen haben, beider Altersvorsorge, aber auch für den Fall der Erwerbs-minderung, ist ohne jeden Zweifel enorm. Vor dem Hin-tergrund dessen, dass wir das Leistungsniveau in der ge-setzlichen Rentenversicherung senken, müssen wirdarauf achten – insoweit gebe ich den Grünen allemalrecht –, dass Erwerbsminderung nicht automatisch Ar-mut bedeutet. Da müssen wir Antworten geben, aber diemüssen wir eh insgesamt geben.

Sozialdemokraten haben eine Antwort gegeben, dierelativ klar ist. Wir sind uns einig, was die Erwerbstäti-genversicherung angeht, weil sie die Basis verbreitert,auf der Solidarität mit Menschen in besonderen Lebens-lagen geübt werden kann.

Wenn wir das so isoliert betrachten, wie es die Grü-nen getan haben – die Grünen wollen die Zurechnungs-zeiten verändern und das Problem ohne Abschlägelösen –, werden wir zumindest eines nicht halten können– darüber muss man sich im Klaren sein –, nämlich dieBeitragssatzziele. Wir verteuern das Ganze. Man mussum diesen Preis wissen. Insbesondere die Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer, die höhere Beiträge bezahlen,haben dann nicht mehr Ansprüche, weil man die Mittelfür die Sicherung an anderer Stelle verwendet. Manmuss schon klar und deutlich sagen, dass man die ande-ren mehr belasten muss, um diesen Fall, den man nie-mandem wünscht, in besonderer Weise abzusichern.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Frageder Zurechnungszeiten vor dem Hintergrund des höhe-ren Renteneintrittsalters ernsthaft miteinander diskutie-ren müssen. Wir haben in unserem Regierungsprogrammfür die nächste Legislaturperiode das Thema der Er-werbsminderung, wie ich finde, sehr vernünftig aufge-griffen, und zwar insbesondere was den Zeitraum zwi-schen dem 60. Lebensjahr und dem frühestmöglichenEintritt in die Erwerbsminderungsrente ohne Abschlägeangeht. Dafür haben wir Lösungen zu finden versucht.Mit der Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr übt dieVersichertengemeinschaft ein enorm hohes Maß an Soli-darität; denn unabhängig davon, ob jemand mit 25 oder39 oder 59 Jahren – das ist der Durchschnitt – erwerbs-gemindert wird, unterstellen wir einen Versicherungs-verlauf bis zum 60. Lebensjahr. Das ist eine herausra-gende Leistung, die wir als Versicherte in dergesetzlichen Rentenversicherung solidarisch erbringen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das reicht abertrotzdem nicht! Mehr als Grundsicherungkommt dabei nicht herum!)

Die SPD-Bundestagsfraktion wie die SPD in Gänzeist der Ansicht, dass weitere Privatisierungen bei der Al-tersvorsorge oder bei anderen Lebensrisiken, die dieMenschen zu tragen haben, nun wirklich nicht verant-wortbar sind. Wir haben an einer Stelle privatisiert,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber ihr bedau-ert es schon längst!)

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Anton Schaaf

um auf die demografische Entwicklung zu reagieren.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ihr würdet es lie-bend gerne rückabwickeln!)

Aber wir sollten nicht jedes Problem, das wir in unserensozialen Sicherungssystemen haben, zu lösen versuchen,indem wir privatisieren, so wie Sie es wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist der untauglichste Versuch, den es gibt, wie dieGeschichte gerade bewiesen hat.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann müssenSie konsequenterweise auch die Riester-Rentezurückdrehen! – Gegenruf des Abg. ChristianLange [Backnang] [SPD]: Das ist dummesZeug! – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIELINKE]: Frau Nahles fordert das erfreulicher-weise!)

– Die Frage, ob man angesichts von 12 Millionen Men-schen, die riestern, die Riester-Rente sinnvollerweise zu-rücknehmen kann,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann dürfen Sie aber nicht so reden!)

ist abstrus und stellt sich nicht.

Vor dem Hintergrund der jetzt gemachten Erfahrun-gen mit der Finanzkrise, in der Milliarden und Abermil-liarden versenkt worden sind – damit auch die Erspar-nisse der Menschen fürs Alter –,

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So wie Sie re-den, haben Sie 12 Millionen Menschen in dieFalle gelockt!)

eine Debatte darüber zu führen, ob zusätzliche Risikenindividualisiert werden können, ist nun wirklich abstrus.An dieser Stelle werden Sie die Sozialdemokraten mitSicherheit nicht an Ihrer Seite haben. Aber Sie könnensich auch sicher sein, dass wir alle Details, die Sie ge-rade mit mir noch besprechen wollten, im Ausschussmiteinander diskutieren werden. Ich habe nur – wie auchder Kollege Weiß – den Eindruck, dass meine Fraktionzu keinem anderen Ergebnis kommen kann. Eine weiterePrivatisierung individueller Lebensrisiken ist mit derSPD nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zu Recht weist der Präsident der Deutschen Rentenver-sicherung Bund auf das steigende Risiko von Armut imAlter gerade bei erwerbsgeminderten Versicherten hinund fordert von uns im Parlament Nachbesserung. Eswurde gerade gesagt, dass die allgemeine Niveauabsen-

kung in der gesetzlichen Rentenversicherung auch dieErwerbsminderungsrenten betreffe. Hinzu kommt, dassin den letzten Jahren das Zugangsalter von Erwerbsge-minderten kontinuierlich gesunken ist: in den letztenzehn Jahren immerhin um zwei Jahre. Wenn wir nichtgegensteuern, verliert die Erwerbsminderungsrente ihreFunktion für die existenzielle Sicherheit von Menschenmit einer Erwerbsminderung. Darum ist es gut, dass wirheute zwei Anträge beraten. Besser wäre es, wenn wirauch einen Antrag der Großen Koalition hier beratenkönnten.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die kneifen wie immer, Frau Kollegin!)

Die FDP macht in ihrem Antrag Vorschläge zur Nach-besserung in den Bereichen der privaten und betriebli-chen Altersvorsorge, damit auch die Erwerbsminderungin diesen Säulen abgesichert ist. Wir Bündnisgrünen ha-ben uns die Frage gestellt: Welches ist der vorrangigeWeg, damit Menschen, die aus gesundheitlichen Grün-den oder wegen einer Behinderung nicht bis zum Ren-tenalter arbeiten können, dennoch vor Armut im Altergeschützt sind?

Unsere grundsätzliche Antwort lautet: Der Schutz vorArmut im Alter muss im Rahmen der ersten Säule erfol-gen, also in der gesetzlichen Rentenversicherung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen nicht, dass nur Versicherte, die sich eine er-gänzende Altersvorsorge leisten können, vor Armut ge-schützt sind. Die FDP hat da offensichtlich eine andereKlientel vor Augen. Dieser Grundsatz wird umso deutli-cher, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass eine teil-weise oder auch vollständige Erwerbsminderung undBehinderung bereits in sehr jungen Jahren eintretenkann.

Damit die Erwerbsminderungsrente gerechter wirdund einen besseren Schutz vor Armut im Alter bietet, istes grundsätzlich erforderlich, die Zurechnungszeit bis zudem Zeitpunkt der abschlagsfreien Erwerbsminderungs-rente anzuheben, auch wenn dies Geld kostet, KollegeSchaaf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gegenwärtig müsste die Zurechnungszeit bis zum63. Lebensjahr fortgeführt werden. Nur so kann eine Be-nachteiligung infolge einer gesundheitlichen Beeinträch-tigung oder Behinderung in jungen Jahren ausgeglichenwerden. Dies mag Geld kosten; aber die Menschen su-chen sich das nicht aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern erneut, das Zugangsalter für eine ab-schlagsfreie Erwerbsminderungsrente mit 63 Jahren bei-zubehalten und somit die Anhebung nach dem Alters-grenzenanpassungsgesetz von 63 auf 65 Jahre wiederrückgängig zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bereits bei der Debatte um die Rente mit 67 hattenwir verdeutlicht, dass eine Anhebung des Zugangsalters

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Irmingard Schewe-Gerigk

für die Erwerbsminderungsrente willkürlich ist. Eine ab-schlagsfreie Erwerbsminderungsrente mit 63 Jahren istgerechter als Ausnahmeregelungen für langjährig Versi-cherte, die eben das Glück haben, über eine robustereGesundheit zu verfügen, oder die unter weniger belas-tenden Arbeitsbedingungen arbeiten konnten.

Die Öffnung der Riester-Rente für das existenzielleRisiko der Erwerbsminderung halten wir durchaus fürrichtig, Herr Kollege Kolb; aber dies gibt es schon, wiewir gerade gehört haben. Die anderen Vorschläge desFDP-Antrags lehnen wir ab. Sie sind überflüssig und ha-ben mit solidarischer Absicherung nun wirklich garnichts zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die FDP scheint vor allem bei der zweiten Forderungin ihrem Antrag mehr die Interessen der Versicherungs-wirtschaft denn die der Versicherten im Auge zu haben.

(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Diesen Verdacht darf man hegen!)

Natürlich würden sich die Versicherungen freuen, wennsie den Garantiezins senken könnten. Dass dies nicht nö-tig ist, zeigen die Tarifverträge der Chemie- und der Me-tallbranche. Mit diesen Tarifverträgen wird deutlich,dass die Berufs- und Erwerbsminderungsrente zu günsti-gen Konditionen für die Versicherten auch in die betrieb-liche Altersvorsorge eingebaut werden kann.

Ich fasse zusammen: Damit die Erwerbsminderungs-rente auch gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigebesser vor Armut im Alter schützt, ist ein ausreichenderSchutz in der ersten Säule der Alterssicherung geboten.Dazu fordern wir eine Beibehaltung des Referenzaltersvon 63 Jahren. Zusätzlich muss die Zurechnungszeit an-gepasst werden, und zwar grundsätzlich bis zur ab-schlagsfreien Erwerbsminderungsrente.

Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und bitteSie, das zu unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenauf den Drucksachen 16/10872 und 16/12865 an die inder Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines ViertenGesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuer-gesetzen

– Drucksachen 16/12257, 16/12675 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses (7. Ausschuss)

– Drucksachen 16/12878, 16/12903 –

Berichterstattung:Abgeordnete Patricia Lips Ingrid Arndt-Brauer

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 16/12895 –

Berichterstattung:Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider (Erfurt)Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: PatriciaLips für die Unionsfraktion, Ingrid Arndt-Brauer für dieSPD-Fraktion, Frank Schäffler für die FDP-Fraktion,Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke, Dr. GerhardSchick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Patricia Lips (CDU/CSU): Wir verabschieden heute ein Gesetz, welches eine

Europäische Richtlinie zum Verbrauchsteuerrecht in na-tionales Recht umsetzt. Dabei wird bei der Beförderungvon steuerbaren Waren künftig IT-gestützt verfahren. Un-abhängig davon, dass die bisherige Grundlage der Pa-pierdokumente durch die neuen IT-Verfahren abgelöstwerden soll, werden damit auch die Überwachung derBeförderung für beide Seiten in Echtzeit sowie die Ver-waltungsvereinfachung vorangetrieben. Zusätzlich dientdas Gesetz der Bekämpfung des Steuerbetrugs und derSicherung der Verbrauchsteuereinnahmen. Wer kann dasablehnen?

Aufgrund der großen Spanne potenziell zu erwarten-der Kosten und damit Belastungen für die Unternehmenim Rahmen der Umstellung war es jedoch für die CDU/CSU wichtig, dass das Finanzministerium im Vorfeld mitallen relevanten Verbänden gesprochen hat, um die Um-stellung reibungslos und ohne größere Belastungen ge-rade für die betroffene mittelständische Wirtschaft zu ge-währleisten.

Im Mittelpunkt der Diskussionen und des Interessesder Medien der vergangenen Wochen standen bei diesemGesetzesvorhaben jedoch andere Themen, die – man istversucht zu sagen: „bei dieser Gelegenheit“ – parallel indiesem Gesetz zu Verbrauchsteuern umgesetzt werdensollen. So war es ein Anliegen von Industrie und Handel,den Mindestinhalt bei Zigarettenpackungen von bisher17 auf 19 zu erhöhen. War man sich bei dieser Zahl rechtschnell einig, so gab es dann doch teilweise sehr kontro-verse Diskussionen über die Frage, wie lange der „alte“Packungsinhalt noch produziert werden kann und darf,sowie darüber, wie lange der Handel eine Abverkaufsfristgewährt bekommt. Der gefundene Kompromiss gibt allenSeiten hinreichend Gelegenheit, sich auf neue Gegeben-heiten einzustellen.

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Patricia Lips

An dieser Stelle sei auch auf zwei „Begleiterscheinun-gen“ verwiesen:

Erstens. Durch die Erhöhung des Packungsinhalteswird es zu einer Verteuerung des einzelnen Päckchenskommen. Die bisherige Schwelle von 4 Euro wird nun vonweiteren Marken überschritten. Im Wettbewerb der In-dustrie untereinander sicher ein wichtiges Element, bil-det dieser Schritt doch zusätzlich schon rein optisch eineVerringerung im Preisabstand.

Zweitens. Unabhängig davon kommt es bereits jetzt,ab 1. Juni, zu einer breit angelegten Preiserhöhung beiTabakwaren durch die Industrie.

Vor diesem Hintergrund rege ich an, dass wir uns ei-nige Monate nach der Umstellung die Entwicklung derSteuereinnahmen in diesem Bereich genauer ansehen. Esbleibt abzuwarten, ob diese steigen oder ob – was gleich-falls erwartet werden muss – einmal mehr ein „Auswei-chen“ auf andere Tabakprodukte eintritt und es gar zumvermehrten Konsum unversteuerter Ware kommt.

Und lassen Sie mich noch einen Punkt in diesem Zu-sammenhang nennen: Bisher entscheiden wir, die Parla-mentarier, über die genannten Vorgänge. Dem Vorschlagdes Ministeriums, künftig Mindestpackungsinhalte beiZigaretten selbst per Rechtsverordnung festzusetzen,konnte nicht entsprochen werden. Jenseits der Sachfrageging es hier vielen Kolleginnen und Kollegen auch ausanderen Ausschüssen um die prinzipielle Frage desSelbstverständnisses von Befugnissen des Gesetzgebers.

Wir fordern nichts Neues, sondern die Beibehaltungdes Status quo.

Ein weiteres Thema, welches, wenn auch verspätet,aufgenommen werden konnte, ist die weiterhin gültigeSteuerbegünstigung bei der thermischen Verwertung vonAltöl. Die Änderungen im Energiesteuergesetz lösen eineBeihilfe ab, die in Kürze ausläuft. Auch hier ist zu begrü-ßen, dass sehr schnell eine Einigung mit den betroffenenUnternehmen gefunden werden konnte. Stehen für die ei-nen wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund, so sehen an-dere den Schwerpunkt in der umweltpolitischen Len-kungsfunktion dieser Maßnahme. Im Ergebnis gab es, wiebei dem Gesetz insgesamt, auch hier einen breiten Kon-sens.

Dieses Gesetz steht unter dem Einfluss der Eilbedürf-tigkeit, die sich bereits durch die Umsetzung des IT-Ver-fahrens ergibt. Dieser Umstand ist sicher maßgeblich da-für verantwortlich, dass weitere Ideen und Vorschlägenicht mehr zum Zuge kamen. Sie waren weder zeitlich,noch strukturell, noch für viele inhaltlich umsetzbar.

Abschließend danke ich für die gute und konstruktiveZusammenarbeit im Ausschuss sowie in den begleitendenGesprächsrunden. Die Zustimmung der CDU/CSU-Frak-tion ist dem 4. Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteu-ergesetzen in der nun vorliegenden Form gewiss.

Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Ich freue mich, dass wir heute das Vierte Verbrauch-

steuergesetz verabschieden können. Die Große Koalitionhat gezeigt, dass sie – obwohl der Wahlkampf schon seine

Schatten vorauswirft – in der Sache zügig und zielorien-tiert arbeitet. Die rasche Umsetzung der dem Gesetzzugrunde liegenden EU-Richtlinie des Rates vom 16. De-zember 2008 schafft Planungssicherheit für Unterneh-men, Handel und Verwaltung.

Zugegeben: Inhalt und Zielrichtung der Gesetzesvor-lage erschließen sich Nicht-Fachleuten sowie den meis-ten Bürgerinnen und Bürgern wohl kaum ohne Weiteres.Das Verbrauchsteueränderungsgesetz ist in der Tat einGesetz, in dem verfahrenstechnische Gesichtspunkte diemaßgebliche Rolle spielen. Genau gesagt, es geht um dieBesteuerung, Beförderung und Lagerung von verbrauch-steuerpflichtigen Waren wie zum Beispiel Tabak, Alkohol,Energieerzeugnisse und Strom im innereuropäischen Ver-kehr. Bislang wurde die Besteuerung dieser auf Grund-lage von Papierdokumenten vorgenommen, im digitalenZeitalter, wie ich meine, durchaus ein Anachronismus.Papier erzeugt Mehraufwand und ist für die Zollbehördenschwieriger zu kontrollieren. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie wird ein europaweites IT-Verfahren eingeführt.Es erlaubt Wirtschaftbeteiligten und Zollverwaltung, dieBeförderung der von mir genannten Waren in Echtzeit zuüberwachen. Dadurch leisten wir einen wichtigen Bei-trag zur Bekämpfung von Steuerbetrug und entlasten Un-ternehmen und Handel von Bürokratie.

Neben der Einführung eines computergestützten Ver-fahrens enthält der Gesetzentwurf weitere Regelungen,die ich sehr erwähnenswert finde: So wird der Mindest-packungsinhalt bei Zigaretten von bisher 17 auf 19 Stückangehoben. Bei Feinschnitt wird ein Mindestpackungsin-halt von 30 Gramm eingeführt. Das macht die einzelnePackung teurer. Hinzu kommen, wie letzte Woche in derPresse zu lesen war, Preiserhöhungen einiger führenderZigarettenhersteller. In der Konsequenz wird das Rau-chen somit spürbar teurer – bei einer Zigarettenpackungkann das ein Betrag bis zu 50 Cent sein. Besonders ausSicht des Kinder- und Jugendschutzes kann ich diesePreisentwicklung nur begrüßen, auch wenn es immerStimmen geben wird, die sagen: Wegen einer solchenPreiserhöhung wird niemand abgehalten, sich Zigarettenzu kaufen, der ernstlich raucht oder mit dem Rauchen an-fangen will. Ich bin der festen Überzeugung, dass Preis-erhöhungen einen wichtigen Beitrag leisten, den Zugangfür Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zuerschweren. Darüber hinaus sehe ich auch eine morali-sche Verpflichtung des Staates, eine Politik zu betreiben,welche die unbestreitbaren Gesundheitsgefährdungendes Rauchens nicht verharmlost. Vielmehr brauchen wireine Politik, welche den Gefahren vorbeugend entgegen-wirkt.

Schon seit vielen Jahren setzt sich die SPD-Fraktiondaher im Bundestag dafür ein, den Gefährdungen desRauchens mit umfassenden präventiven Maßnahmen zubegegnen. Ich erinnere daran, 2003 hatte die Bundesre-gierung die Tabakwerbung im Kino vor 18 Uhr verboten.Im Sommer 2004 folgte ein Verbot für das kostenlose Ver-teilen von Zigaretten zu Werbezwecken. Zigaretten-Klein-packungen sind seit Januar 2005 nicht mehr erlaubt. DieAltersgrenze für den Verkauf von Tabakwaren an Kinderund Jugendliche wurde von 16 Jahren auf 18 Jahre er-höht. Zigarettenautomaten mussten bis Ende letzten Jah-

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Ingrid Arndt-Brauer

res technisch so umgerüstet sein, dass Kindern und Ju-gendlichen unter 18 Jahren die Entnahme von Zigarettennicht möglich ist.

Hinzu kamen eine schrittweise Erhöhung der Tabak-steuer und die Einführung einer Sondersteuer auf Alko-pops 2004. Beide Steuererhöhungen erschwerten dieVerfügbarkeit dieser Stoffe gerade für Kinder und Ju-gendliche, was nachweisbar zu einem deutlichen Kon-sumrückgang führte. Diese verbrauchsteuerlichen Maß-nahmen stellen somit erfolgreiche Beispiele für einemoderne Suchtpolitik dar! Ende 2006 haben wir diesePolitik fortgesetzt und Tabakwerbung in Printmedien, imHörfunk und im Internet verboten. Als weiteren Beleg fürunseren umfassenden und präventiven Politikansatz ver-weise ich gerne auch auf das Nichtraucherschutzgesetzaus dem Jahre 2007. Ich bin mir sicher: Die jetzige Ver-teuerung der Zigarettenpackungen steht in konsequenterLinie mit der von uns betriebenen Politik in den letztenJahren. Die Preiserhöhungen werden ihre Wirkung nichtverfehlen.

Wenn ich eine Bilanz ziehe, so kann ich guten Gewis-sens mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zufrieden sein.Das gilt auch deshalb, weil es uns in vielen Beratungenund Gesprächen gelungen ist, faire und praktikable Lö-sungen für Wirtschaft und Handel zu finden. Mit der Ver-längerung der Abverkaufsfrist bis zum 31. Dezember2009 kann der Tabakwaren-Groß- und Einzelhandel si-cher gut leben. Bei der Besteuerung von Ölabfällen ist esuns gelungen, dass betroffene Unternehmen und Betriebedurch den zukünftigen Wegfall der Steuerbefreiung fürÖlabfälle nicht übermäßig belastet werden.

Ich empfehle Ihnen daher, dem Gesetzentwurf zu zu-stimmen.

Frank Schäffler (FDP): Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf in der

vom Finanzausschuss geänderten Fassung zu. Schwer-punkt des Gesetzes ist es, eine nationale Rechtsgrundlagefür die EU-weite Einführung des IT-Verfahrens EMCS(Excise Movement and Control System) zu schaffen, da-mit die bisher auf der Grundlage von Papierdokumentenablaufenden Beförderungsverfahren mit steuerbaren Wa-ren künftig unter Steueraussetzung lT-gestützt abgewi-ckelt werden können. Dabei ist uns als FDP-Fraktionwichtig, dass die Bundesregierung ihre Zusage einhält,die sie in ihrer Gegenäußerung zur Bundesratsstellung-nahme gegeben hat. Der Bundesrat hatte gefordert, dassdie Bundesregierung bei der Konkretisierung des Verfah-rens auf eine möglichst geringe Kostenbelastung der be-troffenen Unternehmen achten müsse, da diesen Kostenzwischen 100 Euro und mehreren 100 000 Euro entste-hen. Die Bundesregierung hat zugesagt, dieser Empfeh-lung zu folgen. Angesichts der enormen Bandbreite anKosten ist es uns wichtig, dass hier keine unnötigen An-forderungen an die Unternehmen gestellt werden.

Beim vorliegenden Gesetzentwurf stellt sich aber na-türlich auch die Frage, warum der Mindestpackungs-inhalt bei Zigaretten nun auf 19 angehoben wird. Da voreinem Monat erst die Packungsgrößen bei Lebensmittelnfreigegeben wurden, was gerade ein Schritt zu weniger

Bürokratie war, ist es widersprüchlich, wenn nun für dasProdukt Zigaretten der Mindestpackungsinhalt nicht nurbestätigt, sondern erhöht wird. Eine Tafel Schokoladedarf nun beispielsweise auch 91 Gramm wiegen, einMilchpack 0,95 Liter enthalten. Warum es dann künftigverboten sein soll, 18 Zigaretten zu verkaufen, lässt sichschlecht begründen. Wir haben zur Kenntnis genommen,dass die Neuregelung ein Wunsch von Industrie und Han-del sei.

Die Regelungskompetenz bezüglich des Mindestin-halts bleibt aber auch künftig dem Gesetzgeber überlas-sen. Dies begrüßen wir. Im Gesetzentwurf war ursprüng-lich vorgesehen, dass die Festlegung des Mindestinhaltskünftig durch Rechtsverordnung des Bundesfinanzminis-ters erfolgen solle. Für eine solche Verlagerung derZuständigkeit gibt es aber überhaupt keinen Anlass. Ge-rade das vorliegende Gesetzgebungsverfahren, in demerst am Ende eine angemessene Übergangsfrist einge-führt wurde, zeigt, dass eine parlamentarische Beratungdurchaus sinnvoll ist.

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mehr Informationspflichten der Wirtschaft zur Be-

kämpfung des Steuerbetrugs, das wird von der Linkengrundsätzlich begrüßt. Wir stimmen daher dem vorlie-genden Gesetzentwurf zur Änderung von Verbrauchsteu-ergesetzen zu.

Die Initiative hierzu geht allerdings auf die EU undnicht auf die Bundesregierung zurück. Denn mit dem Ge-setzentwurf wird nur die EU-Richtlinie 2008/118/EG vom16. Dezember 2008 in nationales Recht umgesetzt. Sie be-trifft die innergemeinschaftlichen Verfahrensregelungenzur Besteuerung, Beförderung und Lagerung von Tabak-waren, Alkohol und alkoholischen Getränken sowieEnergieerzeugnissen und Strom. Die EU-Richtlinie bildetdie Rechtsgrundlage für die EU-weite Einführung des IT-Verfahrens EMCS. Dies ist ein EDV-System für die Über-wachung der Beförderung verbrauchsteuerpflichtigerWaren zwischen den EU-Mitgliedstaaten, für die nochkeine Verbrauchsteuern gezahlt wurden – sogenannteWaren unter Steueraussetzung. Damit soll die bisher aufPapierdokumenten beruhende Erfassung weitgehend ab-gelöst werden. Ziel ist die Bekämpfung von Steuerbetrugund die Sicherung von Verbrauchsteuereinnahmen.

Gewichtig als Einnahmenquelle ist von den betroffe-nen Verbrauchsteuern nur die Energiesteuer. Sie ergab2007 knapp 39 Milliarden Euro für die öffentliche Hand,was einem Anteil von 7,2 Prozent an den gesamten Steu-ereinnahmen entsprach. Alle anderen zusammengenom-men, machten 2007 gerade einmal 4,6 Prozent – knapp25 Milliarden Euro – aus. Es handelt sich also überwie-gend um Bagatellsteuern.

Aber Verbrauchsteuern begründen sich nicht nur ausder Bereitstellung von Finanzmitteln für den Staat. Siesollen auch das Verhalten von Bürgerinnen und Bürgernsowie Unternehmen indirekt beeinflussen, wenn derenKonsum oder Produktion mit Kosten für die Allgemein-heit verbunden sind. So sollen beispielsweise Energie-und Stromsteuer ökologisch wirken, indem sie im Zeit-ablauf den Energieverbrauch senken. Doch nicht immer

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Dr. Barbara Höll

funktioniert dies so eindeutig: So hat die Erhöhung derTabaksteuer zu mehr Steuerhinterziehung und Steuerver-meidung geführt. Denn der Vorrang für die sogenannteKapital- sowie Waren- und Dienstleistungsfreiheit inner-halb des europäischen Binnenmarktes begünstigt Steuer-hinterziehung und -vermeidung – unter „Freiheit“ wer-den hier lasche Kontrollen und mangelnde staatlicheKoordination verstanden. Innergemeinschaftliche Steu-erhinterziehung und -vermeidung funktionieren umsobesser, je weniger die Steuern zwischen den Mitgliedstaa-ten koordiniert und harmonisiert sind, was in der EUleider der Regelfall ist. Das ist der Ausfluss des von derBundeskanzlerin und dem Bundesfinanzminister so ge-schätzten und fleißig betriebenen Steuerwettbewerbs.

Die Linke setzt sich für die Eindämmung des Steuer-wettbewerbs ein. Dieser hat in den letzten Jahrenmaßgeblich zu einer Erosion von Steuerquellen und Steu-ermoral geführt. Steuergefälle zwischen den Mitglied-staaten begünstigen vor allem die mobilen und flexiblenAkteure: Banken, Großunternehmen und Vermögendewählen ihren Stand- oder Wohnort nach der niedrigstenSteuerbelastung. Der Wettbewerb der Mitgliedstaaten umderen Ansiedlung führt zu immer neuen Steuerabsen-kungsrunden. Arbeitnehmerinnen und -nehmer sowiekleine und mittlere Unternehmen können nicht so einfachden Ort wechseln und sehen sich daher seit Jahren mit ei-ner zunehmenden Steuerlast konfrontiert. Die Bundesre-gierung nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. PrägnantesBeispiel ist die Unternehmensteuerreform 2008 mit ihrermassiven Entlastung von Vermögenden (Stichwort:Abgeltungsteuer) und Unternehmen und deren Finanzie-rung auf Kosten der niedrigen und mittleren Einkom-mensbezieher durch die Erhöhung des Mehrwertsteuer-satzes.

Die Vereinheitlichung der Verfahrensweise und diestärkere Kontrolle bei den Verbrauchsteuern sind einkleiner Schritt in die richtige Richtung – aber leider nurein sehr kleiner: Es werden ja nicht einmal die Steuer-sätze angeglichen. Es ist typisch für die EU-Politik, dassbei den unbedeutenden und zudem die niedrigen Einkom-men stärker betreffenden Steuern angefangen wird: Dieeuropaweite Vereinheitlichung der Bemessungsgrund-lage und die Einführung von Mindeststeuersätzen für Ka-pitaleinkommen und bei der Unternehmensbesteuerungwird dagegen regelmäßig blockiert – auch von der Bun-desregierung.

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Entwurf der Bundesregierung

eines Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteu-ergesetzen wird eine EU-Richtlinie in deutsches Rechtumgesetzt. Dabei geht es um die Einführung eines EDV-gestützten Verfahrens bei der Beförderung von ver-brauchsteuerbaren Waren wie Tabakwaren, Alkohol oderEnergieerzeugnissen zwischen den EU-Ländern. Durchdie Einführung dieses EDV-Verfahrens wird die bisherigePapierabwicklung der Besteuerung ersetzt. Damit solleine Vereinfachung des Verfahrens für alle Beteiligten er-reicht werden. Außerdem soll auf diese Weise der Steuer-betrug bekämpft werden. Diese Ziele teilen wir.

Das neue EDV-Verfahren soll ab April 2010 möglichund ab 2011 bindend werden. Spätestens ab 2011 gehörtdie Papierabwicklung bei der Beförderung und Besteue-rung von Waren wie Zigaretten und Alkohohl also endlichder Geschichte an. Dabei frage ich mich und die Bundes-regierung schon: Wieso erfolgen erst jetzt gesetzgeberi-sche Schritte zur Umstellung auf EDV? Wieso hat die EU-Kommission oder das Bundesfinanzministerium nichtschon längst eine entsprechende Initiative ergriffen? In-ternet und Computer sind ja beileibe keine neuen Techno-logien mehr. Kein Unternehmen, kein Büro, keine Kanz-lei, keine öffentliche Verwaltung, nicht einmal Schulenoder Kindertagesstätten kommen heute noch ohne diemoderne Informations- und Kommunikationstechnik aus.Unsere globalisierte, wissensbasierte Welt ist ohne Inter-net und Computer schlicht nicht vorstellbar. Aber die Be-steuerung von Zigaretten und Alkohol zwischen EU-Län-dern erfolgt bis zum heutigen Tage auf Papierbasis, alsomit einer Technologie, die fast 2 000 Jahre alt ist! Wieohne EDV-technische Erfassung und Abgleich von Steu-erdaten bisher überhaupt eine wirksame Steuerbetrugs-bekämpfung möglich sein sollte, ist mir schleierhaft. DasGesetz ist also ein überfälliger Schritt in Richtung Mo-derne.

Weitere Änderungen wie die Stückzahl in Zigaretten-packungen, Anpassungen bei der Kaffeesteuer, verän-derte Informationspflichten oder Korrektur bei der weg-fallenden Steuerbefreiung von Ölabfällen kann ich imEinzelnen nicht abschließend bewerten. Die Begründun-gen des Ministeriums scheinen mir jedoch im Wesentli-chen schlüssig und nachvollziehbar. Dem Gesetzentwurfstimmen wir daher zu.

Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung.

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf den Drucksachen 16/12878 und 16/12903, denGesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-sachen 16/12257 und 16/12675 in der Ausschussfassunganzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, umdas Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungeinstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten JanKorte, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKE

Ein Moratorium für Sicherheitsgesetze bis zurVorlage eines Prüfberichts zu Folgen der

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Vizepräsidentin Petra Pau

Urteile des Bundesverfassungsgerichts zurOnline-Durchsuchung

– Drucksache 16/8981 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeJan Korte für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nicht nur die Linke spricht dieses Thema immer wiederan; zuletzt hat das der Präsident des Bundesverfassungs-gerichtes getan, der die Bundesregierung und den Bun-destag vor einem Super-GAU im Datenschutz warnte. Erermahnte den Staat, endlich zu handeln.

In den letzten Jahren gab es eine ganze Reihe von Ur-teilen des Bundesverfassungsgerichtes zu Fragen vonEingriffen in die Grund- und Freiheitsrechte. Wir habeneine wachsende Bürgerrechtsbewegung zu verzeichnen.Es gab mehrere Demonstrationen unter dem Motto„Freiheit statt Angst“. Das ist gut und muss noch weiterwachsen. Vor allem haben immer mehr Verbände – auchsolche, die nicht unbedingt als Vorfeldorganisationen derLinken bekannt sind, zum Beispiel Rechtsanwaltsver-bände, Journalistenverbände – vom Bundestag gefordert,endlich darüber zu diskutieren, wohin es mit der Sicher-heitsarchitektur in diesem Land gehen soll.

Deswegen hatte die Linke eine, wie ich finde, hervor-ragende Idee,

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Gut, dass Sie das finden! – JerzyMontag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es istgut, dass Sie schmunzeln, Herr Korte!)

um dem Bundestag und der Bundesregierung Zeit zuverschaffen, ausführlich über diese Fragen zu diskutie-ren.

Was fordern wir? Wir fordern erstens eine unabhän-gige Expertengruppe, die mit Vertretern aus Bürger-rechtsorganisationen, Anwaltsvereinen, Richtervereinen,Datenschutzvereinigungen und Gewerkschaften besetztwerden soll.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Und wo bleiben die Hartz-IV-Empfän-ger?)

Diese Truppe soll darüber diskutieren, wie es um dieGrundrechte in diesem Land bestellt ist. Ich halte das füreinen sehr guten Vorschlag.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens soll diese Expertengruppe analysieren, wasin den letzten Jahren in Bezug auf den Kampf gegen deninternationalen Terrorismus beschlossen worden ist. Eswäre gut, eine solche umfassende Analyse von unabhän-giger Seite zu bekommen. Sonst kommt das immer vonden Wirtschaftssachverständigen, die meistens leiderfalsch lagen. Wir wissen nicht, was bei den unabhängi-gen Experten herauskommt. Deshalb ist das eine guteIdee.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens fordern wir, dass bereits beschlossene Ge-setze auf ihre Verträglichkeit mit den Grund- und Frei-heitsrechten überprüft werden. – Da würde ich nicht sogrinsen, denn das geht eher schlecht aus für Sie.

(Beifall bei der LINKEN – Jerzy Montag[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Siedas Ergebnis schon? – Frank Hofmann[Volkach] [SPD]: Sandkastenspiele sind das!)

Viertens schlagen wir vor – das halte ich in der Tat füreine wirklich wichtige Sache; denn die Begründung füralle Gesetze, die wir hier verabschiedet haben, war im-mer, dass wir Verschiedenes machen müssen, um größt-mögliche Sicherheit in unserem Land zu erreichen –, ne-ben der Frage der Grund- und Freiheitsrechte zuanalysieren und zu evaluieren, ob das Ganze wirklich zumehr Sicherheit geführt hat oder ob es einfach nur einStrohfeuer gewesen ist. Deswegen wollen wir eine unab-hängige Überprüfung dessen und nicht, dass das Bun-desministerium des Innern, wie es dies ansonsten – mankann sagen: durchaus lustig – macht, seine eigenen Ge-setze evaluiert

(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Sie habendie letzten Gesetze gar nicht gelesen! Sie ha-ben keine Ahnung!)

und zu dem Schluss kommt, dass die Gesetze hervorra-gend sind. So geht es natürlich nicht. Vielmehr wollenwir das Ganze unabhängig gestalten. Bis dahin fordernwir – das ist der Kern unseres Antrages –, auf neue Ge-setze zu verzichten,

(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Buße tun!)

erst einmal in sich zu gehen und nachzudenken.

Kollege Wieland, ich habe einen Beweis dafür, wa-rum das dringend notwendig ist. Heute bekam ich vomKollegen Peter Altmaier die Antwort auf unsere KleineAnfrage „Kompetenzausweitung für das Bundesamt fürVerfassungsschutz“. Wir haben gefragt, ob die Ergeb-nisse der Onlinedurchsuchungen nach Meinung der Bun-desregierung auch dem Bundesamt für Verfassungs-schutz zur Verfügung gestellt werden sollten. Sie könnensich denken, dass wir das nicht wollen. Sie hat ehrlichdarauf geantwortet und gesagt – das ist zumindest einePosition –, dass das natürlich so sein sollte. Zitat: EineRegelung wird in die Prüfung des Handlungsbedarfs dernächsten Wahlperiode einbezogen.

(Helmut Brandt [CDU/CSU]: Korrekt!)

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Jan Korte

Unser Antrag ist natürlich aktueller denn je, um demvorzubeugen, dass das nicht so kommt, wie Sie sich dasvorstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

An dieser Stelle möchte ich durchaus Kritik dahin ge-hend zulassen, dass der Antrag schon etwas älter ist.

(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Ein ganz toleranter Mensch!)

– Ich kann es nicht ändern, dass die Verfahren hier solangsam sind. Ich würde sie auch lieber beschleunigen. –Nach den letzten Urteilen gibt es ein neues Grundrecht,und zwar ein Grundrecht auf die Gewährleistung derVertraulichkeit und Integrität informationstechnischerSysteme.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Schön abgelesen!)

Ziel unseres Antrages ist, dass man dieses neue Grund-recht in Zukunft bei allen Gesetzentwürfen, über die wirhier diskutieren, im Vorfeld mitbedenkt. Das ist auch fürdie Bundesregierung hilfreich, weil sie dann nicht dummdasteht, wenn das Verfassungsgericht sagt: So geht esnicht, wie ihr das vorgeschlagen habt. – Das ist doch ein-mal ein konstruktiver Vorschlag.

(Beifall bei der LINKEN – Hüseyin-KenanAydin [DIE LINKE]: Das wäre eine gute Hilfefür Sie!)

Das ist der Kern dieses Antrags. Es ist eine Chance füruns alle, einmal in sich zu gehen, sachlich zu diskutierenund mit Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen, Verbändenund Gewerkschaften darüber ins Gespräch zu kommen,wie wir die Innenpolitik in diesem Land in den nächstenJahren gestalten wollen. Deswegen bitte ich um einewohlwollende Prüfung unseres hervorragenden Antra-ges.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Hüseyin-KenanAydin [DIE LINKE]: Mehr Demokratie wa-gen! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Gut,dass Sie selbst lachen und Humor haben!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege

Helmut Brandt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Helmut Brandt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Wenn das Thema nicht so ernst wäre, würdenwir alle über Ihren Antrag lachen, wie Sie selber überihn gelacht haben.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Nein, ich habe über die Zwischenrufe gelacht!)

Ich denke, man sollte dieses Thema sachlich debattierenund nicht solche Anträge formulieren, zu denen mandann selber dem Grunde nach nicht steht.

(Beifall bei der CDU/CSU – WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dasist das Beste, was man machen kann: Lachenüber diesen Antrag!)

– Das ist wahr, Kollege Wieland. Insofern schließe ichmich Ihnen an.

Da wir aber über diesen Antrag debattieren, in demwir bzw. die Bundesregierung aufgefordert werden, zu-mindest teilweise auf die Vorlage und Verabschiedungvon Gesetzentwürfen zu verzichten, die – wie beispiels-weise das vor wenigen Monaten verabschiedete BKA-Gesetz – für die Gewährleistung der inneren Sicherheitunabdingbar sind,

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein schlechtes Beispiel!)

erlauben Sie mir, dass ich zu Beginn ein paar allgemeineBemerkungen mache.

Der vorliegende Antrag soll ganz offensichtlich denEindruck erwecken, als seien die von uns verabschiede-ten Gesetzentwürfe der letzten Monate im Bereich derinneren Sicherheit quasi aus Jux und Tollerei entstanden.Noch schlimmer: Die Fraktion Die Linke versucht offen-bar, den Eindruck zu vermitteln, als seien die Gesetze,die in jüngster Zeit auf dem Gebiet der inneren Sicher-heit beschlossen wurden, nicht verfassungskonform undverfolgten lediglich den Zweck, unsere Bürger mehr zukontrollieren und auszuspionieren.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist uner-hört! – Jan Korte [DIE LINKE]: Genau so istes! Dieser Eindruck ist richtig!)

Herr Korte, abgesehen davon, dass dieser Eindruck voll-kommen an der Realität vorbeigeht

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!)

und Sie die derzeitige Sicherheitslage auf der Welt undin Deutschland, die diese Gesetze erst notwendig ge-macht hat, komplett ignorieren, erschüttern Sie – das istmein Vorwurf an Sie; das ist Ihre wahre Absicht – mitAnträgen wie diesem das Vertrauen des Bürgers in dasParlament; zumindest tragen Sie in ganz erheblichemMaße dazu bei. Das ist in unseren Augen verantwor-tungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.Frank Hofmann [Volkach] [SPD] – Jan Korte[DIE LINKE]: Warum?)

Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass derTerrorismus auch Deutschland erreicht hat. Immer ein-dringlicher warnen Experten vor der Gefahr eines An-schlags auch in Deutschland. Ich kann nur sagen: Werdas nicht begriffen hat und weiterhin, zumindest unter-schwellig, behauptet, durch die Terrorismusbekämpfungin Deutschland werde übermäßig in die persönliche Frei-heit des Einzelnen eingegriffen, hat den Ernst der Lagenicht begriffen oder handelt, wie Sie es mit Ihren Vorhal-tungen tun, verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Wo steht das denn im Antrag?)

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24084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

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Helmut Brandt

– Ich komme ja jetzt zu Ihrem Antrag, Herr Korte.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Okay!)

Als Erstes – Sie haben es eben wiederholt – fordern Siedie Einrichtung einer unabhängigen Expertengruppe, inder Bürgerrechts-, Rechtsanwalts-, Journalisten-, Rich-ter- und Datenschutzvereinigungen sowie Verbände undGewerkschaften vertreten sein sollen. Welche Verbändedas sind, haben Sie nicht gesagt. Ich vermute, dass Siekeine Verbände von Stasigeschädigten meinen; dennsonst hätten Sie diese hier sicherlich aufgeführt. Aberauch, welche besonderen Kompetenzen Gewerkschaf-ten in diesem Zusammenhang haben sollen, haben Sienicht deutlich machen können.

Ich sage Ihnen: So, wie der Antrag formuliert ist, ister es schon von seiner Unbestimmtheit her eigentlichnicht wert, dass man sich näher damit beschäftigt. Eswird aber wenigstens deutlich, dass Sie über die Bedeu-tung und die Aufgabe des Bundesdatenschutzbeauftrag-ten völlig hinweggehen.

Aufgabe des Bundesbeauftragten für den Datenschutzund die Informationsfreiheit ist es unter anderem, insbe-sondere im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren Emp-fehlungen auszusprechen und Gutachten zu erstellen.Dementsprechend wurde und wird der Bundesdaten-schutzbeauftragte von der Regierung bei Gesetzen, dieden Datenschutz tangieren, bereits sehr früh mit in dieBeratungen einbezogen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Manchmal!)

In Ihrem Antrag fordern Sie darüber hinaus

eine umfassende Evaluation aller in der Vergangen-heit beschlossenen Sicherheitsgesetze mit Blick aufderen Verhältnismäßigkeit und objektive Wirksam-keit für die Sicherheit …

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Was spricht dagegen?)

– Dagegen spricht nichts. Ich werde Ihnen aber jetzt sa-gen, was Ihnen in den letzten Monaten alles nicht aufge-fallen ist:

Der Gesetzgeber ist natürlich verpflichtet, die Aus-wirkungen seiner Entscheidungen, insbesondere im Be-reich der Grundrechte und der ihn insoweit treffendenSchutzpflichten, im Blick zu behalten und, falls erforder-lich, auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Ich bin mir si-cher, dass dies zumindest den Juristen unter Ihnen geläu-fig ist.

Erstaunt bin ich aber vor allen Dingen deshalb, weilIhnen offensichtlich entgangen ist, dass wir bei allen zu-letzt verabschiedeten Gesetzen im Bereich der innerenSicherheit eine solche Evaluation bereits vorgesehen ha-ben.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Von wem?)

– Ich werde das im Einzelnen darlegen, Herr Korte. – Essteht dem Gesetzgeber dem Grunde nach ja frei, wie erder von mir gerade erwähnten Verpflichtung nachkommt.Das Parlament muss nicht mit jeder Ermächtigung zuGrundrechtseingriffen zugleich eine förmliche Verpflich-

tung zur Evaluierung der Eingriffe schaffen. Dennoch hatder Deutsche Bundestag gerade in jüngster Zeit im Hin-blick auf die mögliche Betroffenheit von Grundrechtenvorgesehen, dass ihm regelmäßig über die Auswirkungeneiner getroffenen Regelung berichtet werden muss. Diesgilt insbesondere für die die innere Sicherheit betreffen-den Gesetze aus der jüngeren Zeit. Ich komme jetzt imEinzelnen dazu:

Erster Punkt. Nach Art. 6 des Gesetzes zur Abwehrvon Gefahren des internationalen Terrorismus durch dasBundeskriminalamt sind die Vorschriften über die neuenZuständigkeiten des BKA im Bereich der Terrorismusbe-kämpfung und die Zusammenarbeit des Bundeskriminal-amtes mit den Polizeibehörden der Länder, die Raster-fahndung und die Onlinedurchsuchung nach fünf Jahren,also zum 31. Dezember 2014, unter Einbeziehung einesSachverständigen, der im Einvernehmen mit diesemHaus bestellt wird, zu evaluieren.

Zweiter Punkt. Nach Art. 5 des Gemeinsame-Dateien-Gesetzes ist das Antiterrordateigesetz fünf Jahre nachdem Inkrafttreten, das heißt schon im Dezember 2011,unter Einbeziehung eines Sachverständigen, der auchwieder im Einvernehmen mit dem Bundestag zu bestel-len ist, zu evaluieren.

Dritter Punkt. Nach Art. 11 des Terrorismusbekämp-fungsergänzungsgesetzes vom 5. Januar 2007 sind diedort näher bezeichneten Regelungen nach spätestensfünf Jahren ebenfalls zu evaluieren.

(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Das ist eineNachhilfestunde für die Linken, weil die nichtvorbereitet sind! Wir haben das alles ge-macht! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIELINKE]: Ihr seid doch die Bürgerrechtspar-tei!)

Meine Damen und Herren von der Linksfraktion, ichweiß, dass Sie das alles nicht gerne hören, aber es ist dieRealität. Ihre Forderung nach einer Evaluierung ist da-mit vollkommen überflüssig. Ich denke, ich konnte au-ßerdem gerade auch aufzeigen, dass sich die Koalitions-fraktionen einer möglichen Grundrechtsbetroffenheitnicht nur bewusst gewesen sind, sondern dass wir daraufauch durchaus besonnen reagiert haben.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Man kann seine ei-genen Sachen doch nicht selbst evaluieren!)

Ich versichere Ihnen noch etwas: Selbstverständlichwerden Bundestag und Bundesregierung auch bei künfti-gen Gesetzesvorhaben die verfassungsrechtlichen Vor-gaben hinsichtlich des Grundrechts auf Vertraulichkeitund Integrität informationstechnischer Systeme, dasvom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Ver-bindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes abgeleitetwurde, strikt beachten.

Ihre Forderung nach einem Moratorium im Hinblickauf die Novellierung des Bundeskriminalamtgesetzes– damit bin ich bei der letzten Forderung Ihres Antrages –ist deshalb überholt und nicht erforderlich.

(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: So ist es!)

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Helmut Brandt

Überdies wäre es aber auch unzulässig, der Bundesre-gierung die Vorlage von Gesetzentwürfen zu untersagenund ihr damit die Möglichkeit zu nehmen, auf bestehen-den gesetzlichen Regelungsbedarf zu reagieren.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Zumal von Gesetzen, die schon verab-schiedet sind, Herr Kollege! Das ist besondersunzulässig!)

– Ja, das ist besonders unzulässig. Das ist sozusagen un-zulässig unzulässig. Da gibt es leider kaum noch eineSteigerungsform. – Ein Gesetz, Herr Korte, wird ge-schaffen, weil man die Notwendigkeit einer Regelungerkannt hat. Sie allerdings weigern sich, von dieser Not-wendigkeit Kenntnis zu nehmen. Allein aus diesemGrund ist Ihre Forderung nach einem Moratorium ab-surd. Man denke einmal darüber nach, welche Konse-quenzen ein solcher Beschluss hätte.

Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen, dassfür die von uns in jüngster Zeit geschaffenen Einflussbe-fugnisse wie die sogenannte Onlinedurchsuchung nichtnur hohe Hürden aufgestellt wurden – sie unterliegenbeispielsweise einem Richtervorbehalt –, wodurch Ein-griffe in das Recht auf Datenschutz des Einzelnen auf ei-nige ganz wenige Fälle beschränkt sind. Ich denke, es istaußerdem deutlich geworden, dass wir über genügendKontrollmechanismen verfügen, um rechtzeitig und an-gemessen auf Fehlentwicklungen reagieren zu können.

Eigentlich bräuchte ich es nicht mehr zu sagen: Es istselbstverständlich, dass wir Ihren Antrag ablehnen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – JanKorte [DIE LINKE]: Das überrascht jetztdoch!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP-

Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Gisela Piltz (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Zuschauer! Als ich den Antrag, über den wirheute hier debattieren, zum ersten Mal gelesen habe, istmir durch den Kopf gegangen, dass es viele, leider zuviele Initiativen hier im Bundestag gibt, die sozusagenals Tiger starten und als Bettvorleger in der Mitte diesesHauses landen. Ich glaube, diesem Antrag wird es genauso ergehen. Das wäre dann sogar noch ein Kompliment.

Richtig ist, dass die Bundesregierung oft genug dieGrundrechte mangelhaft achtet.

Richtig ist auch, dass die Bundesregierung, und zwarleider nicht erst diese schwarz-rote, sondern auch schon– ich schaue jetzt die Grünen an – die rot-grüne zuvor,mit zahlreichen Gesetzen an die Grenze der Verfassunggegangen ist,

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das ist ja hochinteressant!)

und manchmal auch darüber hinaus.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Na, na, na!)

– Das Luftsicherheitsgesetz hat ja wohl Rot-Grün hierverabschiedet.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Einmal!)

– Einmal ist aber nicht keinmal. Man muss schon zählenkönnen.

(Monika Knoche [DIE LINKE]: Sehr richtig, dass Sie das sagen!)

Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgesetz die Re-gierung – egal wie die Mehrheitsverhältnisse aussahen –aufgrund verfehlter Gesetzgebung hier und da auch indie Schranken weisen musste.

Richtig ist auch, dass das neue IT-Grundrecht sichnicht in der Schrankensetzung für heimliche Online-durchsuchungen erschöpft, sondern generell gilt.

Falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü-nen, ist aber Ihre Schlussfolgerung.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Jetzt bitte an die Linken!)

– Die Linke. Entschuldigung, habe ich „die Grünen“ ge-sagt? Oh Gott.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Sie argumentie-ren ähnlich! – Wolfgang Wieland [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind so fixiert aufuns! Dabei habe ich die liberalen Farben auf-gelegt! Ihnen zu Ehren!)

– Davon träumst du nachts! – Entschuldigung, wenn ichdas einmal außerhalb des Protokolls sagen darf!

Auf einen furiosen Auftakt, liebe Kolleginnen undKollegen von der Linken, folgt nichts. Eine Experten-gruppe? Also wirklich! Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Eine Gruppe!)

Das kann doch wirklich nicht die Antwort sein. Die ein-zige verfassungsrechtlich richtige Antwort in unsererparlamentarischen Demokratie ist doch, dass wir als Par-lament diese Aufgabe wahrnehmen und unserem Auf-trag nachkommen, verfassungsgemäße Gesetze zu be-schließen. Ich kann doch meine Verantwortung nichtoutsourcen. Das wollen Sie aber tun. Das ist absolut un-demokratisch.

(Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]:Dann können wir auch keine Anhörung mehrmachen!)

Das ist aus unserer Sicht der falsche Weg.

Das Parlament als Vertreter des deutschen Volkes,wir, die Abgeordneten, in freier, geheimer und gleicherWahl vom Volk gewählt, müssen verfassungsgemäßeGesetze machen. Das können wir nicht jemand anderemüberlassen.

(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: So ist es!)

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Gisela Piltz

Wir müssen evaluieren, nicht irgendwelche demokra-tisch nicht legitimierten Gruppen und Grüppchen, dienach Gusto von der Regierung zusammengesetzt wer-den. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Natürlich gehört es auch zu einer ernsthaften Gesetz-gebung, sich Expertenmeinungen anzuhören.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!)

Dafür gibt es Anhörungen;

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Mehr als genug! – Jan Korte [DIELINKE]: Nur zu einzelnen Themen!)

Sie können mit jedem sprechen und überall hinfahren.Das ist überhaupt keine Frage. Auch ich bedaure zwar,dass es im Moment oft genug Anhörungen gibt, die ei-gentlich überflüssig sind – das sehe ich sehr wohl –, weildie sogenannte Große Koalition das Parlament oft genugals Abnickgremium begreift;

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Euer Klub macht das dann besser, oderwas?)

aber das kann doch nicht zur Selbstentmachtung diesesParlamentes führen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Die sollen ja nichts entscheiden!)

– Ich finde es falsch, dass Sie versuchen, Ihre Verant-wortung, die Ihnen vom Wähler übertragen worden ist,outzusourcen und jemand anderem zuzuschieben; sokann man mit seiner eigenen Verantwortung nicht umge-hen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Evaluierung von Sicherheitsgesetzen ist richtigund wichtig. Das fordern wir auch; wir teilen diese Mei-nung. Noch wichtiger wäre es doch, gar nicht erst frag-würdige Gesetze zu beschließen und so die Verantwor-tung für Grundrechtseingriffe auf später zu verschieben.

Wie gesagt: Wir sind das Parlament. Das hier ist keinLaborversuch. Hier geht es nicht um Trial and Error,auch wenn diese Woche oft genug versucht worden ist,uns das weiszumachen. Wir sind die Gesetzgeber; wirmüssen die Verantwortung wahrnehmen. Das gilt auchfür das neue IT-Grundrecht. Dieses nur von einer Exper-tengruppe mit Leben füllen zu lassen, ist völlig falsch.Das müssen wir tun. Das kann man nicht outsourcen.

Ich erinnere an Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes – ichweiß nicht, ob Sie da einmal reingeschaut haben –:

(Jan Korte [DIE LINKE]: Regelmäßig!)

Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzge-bung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung alsunmittelbar geltendes Recht.

Das bedeutet doch: Bei allem staatlichen Handeln, beider Gesetzgebung ebenso wie beim Erlass von Verwal-

tungsakten und beim Urteilsspruch, müssen alle ein-schlägigen Grundrechte geprüft werden, auch das neueIT-Grundrecht. Von einer Expertengruppe kann ich imGrundgesetz jedenfalls nichts lesen.

(Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]:Dann muss man auch die Wirtschaftsweisenabschaffen! Das geht dann auch nicht mehr!)

Die FDP-Fraktion bekennt sich zur Verantwortungdes Deutschen Bundestages gegenüber unseren Wähle-rinnen und Wählern,

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Vom ganzen Volk sind Sie gewählt,nicht nur von den FDP-Wählern!)

die ein Parlament gewählt haben, von dem sie zu Rechterwarten, dass es verfassungsgemäße Gesetze be-schließt. Die FDP-Fraktion bekennt sich zu einem star-ken Parlament, das in der Lage ist, all das zu gewährleis-ten. Deshalb brauchen wir keine Expertengruppe, dieohne jegliche demokratische Legitimation eingesetztwird. Wir müssen den Kopf hinhalten und dürfen dasnicht irgendwelchen Expertengruppen überlassen. Wirsind verantwortlich. Deshalb können wir diesen Antragnicht sehr wohlwollend begleiten.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Aber ein bisschen!)

Vielen Dank!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann für die

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Lieber Herr Korte, ich hätteerwartet, dass die Linke den Antrag zurückzieht, nach-dem wir Sozialdemokraten in der Koalition durchgesetzthaben, dass wir uns erst nach einem Urteil des Bundes-verfassungsgerichts mit der Frage der Verankerung vonOnlinedurchsuchungen im BKA-Gesetz beschäftigen,zumal wir die Vorgaben des ersten Verfassungsgerichts-urteils quasi buchstäblich in das BKA-Gesetz übernom-men haben.

Ihr Antrag ist vom 25. April 2008. Das BKA-Gesetzgilt seit dem 1. Januar 2009. Man hätte also Zeit gehabt,den Antrag zurückzunehmen, statt ihn jetzt vorzulegen.So muss Ihr Antrag zerlegt werden, ob von der CDU/CSU, der FDP oder – das erwarte ich – von HerrnWieland. Das, was Sie schreiben, ist nämlich einfachschwach. Sie betreiben hier Sandkastenspiele.

Das betrifft zum Beispiel Ihre Forderung nach einerEvaluierung. Jeder bringt heute das Stichwort Evaluie-rung. Ich habe mich mit Wissenschaftlern oft genug da-rüber unterhalten, wie schwierig es ist, eine Evaluierungdurchzuführen. Es geht schon gar nicht, im Nachhineineine Evaluierung irgendwelcher Gesetze durchzuführen;

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Frank Hofmann (Volkach)

man muss vorher die Indikatoren festlegen. Als der ersteGesetzentwurf vorlag und wir gesagt haben, dass wir ei-nen unabhängigen, von uns bestimmten Wissenschaftlerbenötigen, der sich mit der Evaluierung beschäftigt, hatdas Innenministerium wohlweislich gleich eine entspre-chende Stelle ausgeschrieben; denn der Wissenschaftlermuss die Entstehung des Gesetzes von Anfang an beglei-ten, er muss Indikatoren entwickeln und festlegen, wiedie Evaluierung durchgeführt werden soll. Man kann mitder Evaluierung nicht erst im Nachhinein beginnen; daskann man nur fordern, wenn man keine Ahnung hat.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Die Evaluierung macht man immer danach!)

– Nein, Sie müssen vorher die Indikatoren festlegen. DiePolizeibeamten müssen wissen, was sie überhaupt auf-schreiben, was sie statistisch erfassen sollen. Ansonstenfällt es weg; es kann nicht anders funktionieren.

Hinsichtlich der Kritik, die Sie an diesem Staat üben,sage ich: Bitte zeigen Sie mir ein Beispiel aus einemwestlichen Rechtsstaat, wo derartige Hürden für dieExekutive aufgebaut wurden und so weitgehende Trans-parenz gesetzlich fixiert wurde, wie wir es beim BKA-Gesetz gemacht haben.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Selbst dann sind Verbesserungen immer möglich!)

– Bitte zeigen Sie mir trotzdem erst einmal diesen west-lichen Rechtsstaat. Das, was Sie jetzt machen, ist reineTheorie. Sie sagen: Es muss immer noch etwas bessergehen.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wir können noch besser sein!)

– Ja, wir geben uns alle Mühe; wir wollen noch bessersein.

In Ihrer Antragsbegründung begeben Sie sich auf einehohe moralische Position. Ich wünschte mir, dass diesedurchgängig in der Partei Die Linke vorhanden wäre. Ichhabe heute Mittag bei der Aktuellen Stunde genau aufge-passt. Rund um den 1. Mai haben Sie aus meiner Sichtetwas anderes gezeigt.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Was denn? – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich will es wiederholen: Der Anmelder für die Demons-tration zum 1. Mai ist Bezirksverordneter der Linken. Erist keine Kooperation mit der Polizei eingegangen, ob-wohl öffentlich bekannt war, dass Demonstrationsteil-nehmer auf Gewalt aus waren. Der Anmelder aber hatnichts unternommen, um sich davon zu distanzieren oderzu einer gewaltlosen Demonstration aufzurufen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Da hat Herr Edathyaber differenzierter argumentiert! – Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Die Linke hat dasgetan!)

– Jetzt rede ich, nicht Herr Edathy.

Die Linke in Berlin und im Deutschen Bundestaghätte sich distanzieren können, zum Beispiel mit einem

offenen Aufruf, dass sie Gewalt gegen Polizeibeamte ab-lehnt. Hier haben Sie geschwiegen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

Das, was Frau Lötzsch von den Linken im Nachhineinheute in der Aktuellen Stunde abgeliefert hat, genügtdem nicht. Das ist eine Verschlimmbesserung.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das ist unredlich, was Sie da tun!)

Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen: Die Frak-tion Die Linke faselt im Deutschen Bundestag von ei-nem Moratorium, und Sie tun so, als ob Sie die Verteidi-ger der Freiheit wären. Tatsächlich wird die Freiheitgerade aus den Reihen Ihrer Partei mit Füßen getreten.Das ist nur schwer auszuhalten.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das istunredlich! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]:Sehr richtig! Sehr gut! – Hellmut Königshaus[FDP]: Warum koaliert ihr mit denen?)

Herr Korte, was tun Sie in einer Partei, die ein ungeklär-tes Verhältnis zur Gewalt hat?

Der Antrag der Linken zum Moratorium für Sicher-heitsgesetze, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist dasPapier nicht wert, auf dem er steht. Meine Fraktion haterfolgreich gegenüber dem Innenminister darauf gedrun-gen, mit der Verabschiedung einer Novelle des BKA-Gesetzes, die Onlinedurchsuchungen erlaubt, auf das Ur-teil des Bundesverfassungsgerichtes zu warten.

Ich will Ihnen sagen: Wir haben im Bereich der Si-cherheit Standards entwickelt. Dazu zählen die Evalua-tion, die Befristung von Gesetzen – das ist nicht immerso, wie ich es mir wünsche; aber es zählt dazu – und dieRechtswegegarantie, auf die wir bei allen heimlichenEingriffen großen Wert legen. Das haben wir in der ge-samten Zeit, seitdem ich dies im Innenausschuss ver-trete, immer durchgesetzt. Ich denke, wir haben damiteinen Standard erreicht, den Sie noch nicht erreicht ha-ben. Wir erleben nämlich, dass Sie im Zusammenhangmit Ihrem Antrag Nachhilfestunden von allen Seiten be-kommen. Ich hoffe, dass Sie jetzt endlich einmal einse-hen, wie es im Bereich der inneren Sicherheit aussiehtund welche Politik man da machen kann und welche Po-litik gemacht wird.

Es mag sein, dass wir nicht immer alles richtig ma-chen. Ich denke aber, dass wir gute Standards haben. Wirversuchen, möglichst geringe Eingriffe vorzunehmen,und lassen sie nur bei den schwerwiegendsten Rechts-gütern zu. Auch anhand dessen – das wissen Sie eigent-lich –, wie im Innenausschuss darüber diskutiert wirdund wie vorsichtig wir damit umgehen, zeigt sich, dasswir nicht mit dem großen Hammer ausholen, um für Si-cherheit zu sorgen, sondern dass wir das Spannungsfeldzwischen Sicherheit und Freiheit immer wieder betrach-ten und, wie ich glaube, sorgfältig damit umgehen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

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Frank Hofmann (Volkach)

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU und des Abg. WolfgangWieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

der Kollege Wolfgang Wieland.

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Jan Korte – Genosse Jan Korte! Sie empfehlenmir ja immer, einen festen Klassenstandpunkt einzuneh-men.

(Beifall des Abg. Jan Korte [DIE LINKE] –Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSUund der FDP – Hüseyin-Kenan Aydin [DIELINKE]: Wäre ja nicht schlecht!)

– Ja, das ist seine ständige Empfehlung.

Aber egal, vom Standpunkt welcher Klasse aus ichdiesen Antrag auch betrachte: Er ist und bleibt groberUnsinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP –Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Die Aussagewar klasse!)

– Ja, das war klasse, aber kein Klassenstandpunkt.

(Heiterkeit im ganzen Hause)

Den aber fordert Herr Korte – so tuend, als wüsste er,was das ist – immer bei mir ein.

Jetzt aber im Ernst, mein lieber Herr Korte –

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist ja richtig väterlich, wie Sie mit ihm reden!)

auch die Kollegen Brandt und Hofmann haben ja ernst-haft über Ihren Antrag referiert –: Es lag an Ihnen, dassIhr Antrag ein Jahr lang nicht aufgesetzt wurde, wie manso schön sagt. Wenn es Ihnen ernst gewesen wäre, hättenSie das tun müssen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Das Verfahren ken-nen Sie doch wohl!)

Selbst wenn dieser Antrag angenommen würde, würdezwangsweise ein Moratorium entstehen, weil die Wahl-periode zu Ende ist. Damit liegt es an der Wählerin undam Wähler, ein ganz großes Moratorium herbeizuführen,nämlich die Ablösung dieser Bundesregierung,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN-KEN)

insbesondere die Ablösung des Bundesinnenministers,der uns viele der Probleme, von denen in Ihrem Antragdie Rede ist, beschert hat.

Die Chance, über eine tatsächliche Verbesserung derEvaluierung nachzudenken, hat der Kollege Hofmanngenutzt. Für eine Verbesserung der Evaluierung zu sor-gen, wird in Zukunft unsere Aufgabe sein. Sie hingegen

haben Zeit verplempert. Das war eine Auszeit für dasParlament, also eine Auszeit für uns alle. Es fehlt nurnoch, dass Sie fordern, die CDU/CSU-Fraktion solle fürdas, was sie angerichtet hat, Buße tun.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wäre gut!)

Schließlich fordern Sie, eine Kommission einzuset-zen – aber ganz ohne Befristung. Diese Kommissionkönnte so ein Jahr oder zwei Jahre tagen. In dieser Zeitsollte der Gesetzgeber nichts tun. Obwohl eigentlich je-der von uns schon jetzt weiß, zu welchem Ergebnis einesolche Kommission unter den jetzigen Voraussetzungenkommen würde, erwarten Sie, dass diese Kommission zudem Ergebnis kommt, dass die Gesetzgebung in Zukunftauf eine ganz neue Grundlage gestellt werden muss.Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind der DeutscheBundestag und nicht der Quatsch Comedy Club.

Mehr fällt mir dazu nicht ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab-geordneten der SPD – Jan Korte [DIELINKE]: Dann brauchen wir gar keine Kom-missionen mehr! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das war ja richtig gut!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/8981 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewer-berecht und in weiteren Rechtsvorschriften

– Drucksache 16/12784 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: LenaStrothmann für die Unionsfraktion, Doris Barnett für dieSPD-Fraktion, Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion,Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke und Dr. TheaDückert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Lena Strothmann (CDU/CSU): Wir begannen in den Jahren 2004 und 2005 mit der

Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie. Einige empfan-den diese Richtlinie als größte Bedrohung des wirtschaft-lichen Gefüges in Europa und in Deutschland. Heute wis-sen wir, wo die eigentlichen Gefahren liegen. Nach wievor ist es auch im Hinblick auf die Finanzkrise richtig:Die Öffnung der europäischen Dienstleistungsmärkte

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Lena Strothmann

bietet große Chancen für mehr Wachstum und mehr Ar-beit in Deutschland. Die deutsche Dienstleistungsbran-che, zu der zum Beispiel das Handwerk und die freien Be-rufe gehören, ist im Vergleich mit unseren europäischenNachbarn modern und leistungsfähig. Unser Anspruchwar und ist, dass wir nach dem Vorbild des Exportwelt-meisters – diesen Titel haben wir trotz der chinesischenKonkurrenz erneut sichern können – auch einen Spitzen-platz beim Handel mit Dienstleistungen einnehmen.

Dennoch, die damals vorgetragenen Sorgen wurden zuRecht ernst genommen und wurden in dem geändertenVorschlag und letztendlich auch im Beschluss berück-sichtigt: Ich erinnere daran: Unser Arbeitsrecht, Sozial-recht und Anerkennung der Berufsqualifikation und diezugrunde liegenden Standards bleiben von der Dienst-leistungsrichtlinie unberührt. Die Entsenderichtlinie – inder deutschen Umsetzung das Entsendegesetz als Schutzvor ausländischen Dumpinglöhnen – bleibt unbehelligt.Vor allem bleiben unsere Behörden die Kontrollinstanzfür die ausländischen Dienstleister. Der gesamte Gesund-heitsbereich bleibt ausgeklammert, und Steuern und dasinternationale Privatrecht sind ausgenommen.

In den vergangenen Monaten hat sich auch gezeigt,dass viele der Befürchtungen nicht eingetreten sind.Konnten wir vor zwei oder drei Jahren ahnen, dass zumBeispiel im Grenzbereich zu Polen deutsche Handwerkernicht allein mit Qualität überzeugen, sondern auch beiden Preisen konkurrenzfähig sind und verstärkt für Auf-träge in Polen den Zuschlag erhalten? Dass auch der um-gekehrte Weg möglich ist, steht außer Frage. Um es nocheinmal klarzustellen: Es ist nicht Aufgabe der DLR, unserbewährtes Qualifikationssystem, Standards und Geneh-migungspflichten auszuhöhlen. Es geht vielmehr darum,die ungerechtfertigten Hürden abzubauen.

Die Dienstleistungsfreiheit ist ein europäisches Grund-prinzip. Dienstleistungen haben an unserem Bruttoin-landsprodukt immer noch den hohen Anteil von knapp70 Prozent, der grenzüberschreitende Handel ist aber im-mer noch gering. Ein Grund dafür waren sicherlich diehohen Hürden, die die einzelnen Mitgliedstaaten errich-tet haben. Ein weiteres Problem bzw. Ärgernis ist ausSicht der Dienstleister, zunächst einmal herauszufinden,welche Vorschriften es im Ausland überhaupt gibt. Diesebeiden Punkte, die Kenntnis über die Genehmigungs-pflichten und die Schwierigkeiten, diese Hürden zu über-winden, sind in der Dienstleistungsrichtlinie geregelt.

Die Mitgliedstaaten und somit auch Deutschland hat-ten also zwei große Aufgaben zu bewältigen, um die na-tionale Umsetzung vorzubereiten. Erstens: Dienstleistersollen zukünftig bei einer einzigen Stelle alle Fragen be-antwortet bekommen. Diese einheitliche Stelle als zentra-ler Anlaufpunkt ist in Deutschland bereits im Verwal-tungsverfahrensgesetz geregelt worden und kann nundurch diesen Gesetzentwurf auch für das Gewerberechtetc. angewendet werden, übrigens: nicht nur im Rahmender Dienstleistungsrichtlinie, sondern auch darüber hi-naus. Die Gestaltung der einheitlichen Stelle als soge-nannter Einheitlicher Ansprechpartner obliegt inDeutschland der Zuständigkeit der Bundesländer. Meh-

rere Modelle wurden lange und mit viel Vehemenz disku-tiert: Sind die Kommunen der geborene EAP, da die Ge-nehmigungen eh hier gegeben werden? Wären dieKammern nicht doch besser geeignet, da sie tagtäglichmit Existenzgründungen und den Anforderungen anDienstleister zu tun haben? Bietet sich nicht gerade we-gen dieser Gründe ein Mischmodell zwischen diesen bei-den an? Oder muss gar eine gänzlich neue Behörde ge-schaffen werden? Die Bundesländer haben mit allenBeteiligten beraten und verhandelt. Die meisten Länderhaben nun Festlegungen getroffen, und es spiegelt sich inder Anzahl der Varianten mit aller Deutlichkeit unser fö-derales System wider. Dennoch: Auch wenn es diese un-terschiedlichen Festlegungen für die Bundesländer gibt,muss für den ausländischen Dienstleister – wie auch fürden deutschen, der diese Stelle selbstverständlich nutzendarf – das Angebot gleich sein. Es gilt: Alle Anliegen rundum die Dienstleistungserbringung in Deutschland wer-den dort bearbeitet. Dieses Prinzip eines „One-Stop-Shop“ ist unbestritten ein richtiger und auch ein in vielenKammern bereits bewährter Ansatz, um eine serviceori-entierte Verwaltung zu schaffen.

Die zweite Hauptaufgabe nach Verabschiedung derRichtlinie bestand in der Überprüfung der nationalen Ge-setzgebung auf mit der Richtlinie unvereinbare Hinder-nisse. Dies ist die sogenannte und viel zitierte Normen-prüfung. In einem enormen Kraftakt wurde ein Verfahrenentwickelt, die Gesetze und Vorschriften mittels einesausgeklügelten Onlinefragebogens vom Geltungsbereichauszuschließen oder sie auf die Konformität hin zu über-prüfen, das heißt die unzulässigen Einzelnormen heraus-zufiltern. Dieses neuartige und neu entwickelte Prüfras-ter musste anschließend noch IT-technisch umgesetztwerden. Diese Herausforderung hatte Bayern übernom-men, und sie wurde hervorragend gelöst.

Nach den technischen Vorbereitungen ging es an dieNormenprüfung. Hier galt der Grundsatz, dass Bund undLänder, Kammern und Kommunen für die Prüfung in ih-rem Zuständigkeitsbereich jeweils selbst verantwortlichwaren. Das Ergebnis der Normenprüfung zeigte jeweilsan, ob eine Anpassung erforderlich war. Ergab sich, dassdie gestellten Anforderungen an einen Dienstleister richt-linienkonform sind, ist keine Änderung notwendig. Ergabsich jedoch hier ein Widerspruch zur Richtlinie, muss dasnationale Gesetz geändert werden. Dazu werden dasübergeordnete Gewerberecht und einige andere Gesetzegeändert. Diese Änderungen sind im nun vorgelegten Ge-setzentwurf zusammengefasst. Zentrale Punkte sind hier-bei: die Umsetzung der Dienstleistungsfreiheit durch denWegfall von einigen bisher notwendigen Erlaubnissenund Genehmigungen; die Genehmigungsfiktion, welchebedeutet, dass der Antrag eines Dienstleisters nach einerangemessenen Frist automatisch als genehmigt gilt. Al-lerdings ersetzt diese automatische Zustimmung nicht deneventuell notwendigen Nachweis einer bestimmten Qua-lifikation bzw. eines Abschlusses.

Die Beteiligten werden in den nächsten Wochen aus-reichend Gelegenheit haben, diesen Gesetzentwurf zu be-werten.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Doris Barnett (SPD): Vor fast dreieinhalb Jahren ist durch die Veröffentli-

chung im Amtsblatt der Europäischen Union die EU-Dienstleistungsrichtlinie in Kraft getreten mit der Maß-gabe, dass die Mitgliedstaaten sie bis zum 28. Dezember2009 in nationales Recht umzusetzen haben. Der Verab-schiedung dieser Richtlinie war eine heftige Diskussionim Europäischen Parlament, in den Nationalparlamen-ten, mit der Kommission und im EU-Ministerrat voraus-gegangen, wie weit die Dienstleistungsrichtlinie in natio-nales Recht eingreifen darf oder dieses sogar aushebelndürfe. Ob eine Inländerbenachteiligung gewollt in Kaufgenommen werden dürfe – auch das war und ist noch einThema. Die Furcht, dass über diese Regelung nationaleSchutzrechte geschleift werden, haben die Gewerkschaf-ten in ganz Europa aufgebracht und zu Demonstrationengegen diese Richtlinie bis nach Straßburg geführt. Dassdie Bedenken und Ängste bei den Volksentscheiden überden Lissabon-Vertrag eine nicht unerhebliche Rolle ge-spielt haben, will ich hier gar nicht verschweigen. Undich werte das Abstimmungsverhalten auch nicht als einsolches, das sich gegen unser europäisches Projekt wen-det, sondern als einen massiven Hinweis aus der Bevöl-kerung und der Arbeitnehmerschaft, besonders sozialeAnliegen ernst zu nehmen.

Es ist der sozialdemokratischen Seite im EuropäischenParlament und den Nationalparlamenten in der Tat ge-lungen, das Herkunftslandprinzip sowie die Anzahl derDienstleistungen, die der Richtlinie unterfallen, in erheb-lichem Maße zu begrenzen. Art. 2 führt abschließend auf,um welche Bereiche es sich dabei handelt (Dienstleis-tungen von allgemeinem Interesse, Finanzdienstleistun-gen, Leiharbeitsagenturen, Gesundheitsdienstleistungen,Glücksspiele usw.). Dass wir dabei nicht alle unsere Vor-stellungen und Forderungen umsetzen konnten, ist aller-dings keine neue Erfahrung.

Die Niederlassungsfreiheit wird gemäß Art. 43 desVertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaftgewährleistet und Art. 49 des Vertrags regelt den freienDienstleistungsverkehr. Allerdings gab es bisher natio-nalstaatliche Beschränkungen für die Entwicklung vonDienstleistungstätigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten.Die Europäische Kommission gibt als Begründung für dieBeseitigung von derartigen Beschränkungen, die durchdie Dienstleistungsrichtlinie erfolgen soll, auch an, dassdamit die Ziele „ein stärkeres Zusammenwachsen derVölker Europas“ und „die Förderung eines ausgewoge-nen und nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Fort-schritts“ verfolgt werden. Beide Adressaten, also Kapitalund Arbeit, sind gleichwertig und sollten deshalb auchnicht gegeneinander ausgespielt werden. Bei der Umset-zung der Dienstleistungsrichtlinie haben wir diese Vor-gabe im Focus.

Der vorliegende Gesetzentwurf berücksichtigt die Er-gebnisse der vorgegebenen Überprüfung unseres dienst-leistungsrelevanten Rechts im Rahmen der Normenprü-fung. Im Bund ist sie bereits abgeschlossen; in denLändern und Kommunen befindet sie sich noch im Gange.Das hat seinen Grund in den komplexen Strukturen unse-res föderalen Aufbaus, der zu einem großen Aufwand

führt und einen erheblichen Koordinierungs- und Abstim-mungsbedarf zwischen allen drei Ebenen erfordert.Schließlich sind bis hin zur Friedhofssatzung alle Recht-setzungsakte auf ihre Dienstleistungsrichtlinie-Tauglich-keit hin zu überprüfen.

Heute geht es vornehmlich um das Gewerberecht undseine Anpassung. Art. 16 der Richtlinie verlangt, dass diefreie Ausübung und die freie Aufnahme von Dienstleis-tungstätigkeiten in den einzelnen Mitgliedstaaten nurnoch dann von Genehmigungen abhängig gemacht wer-den dürfen, wenn die öffentliche Ordnung, die öffentlicheSicherheit, die öffentliche Gesundheit oder der Schutz derUmwelt dies rechtfertigen. Diese vier Rechtfertigungs-gründe sind durchschlagend, bedeuten sie doch für etli-che Vorschriften der Gewerbeordnung, dass sie nichtmehr angewandt werden dürfen, also aufzuheben sind. ImRahmen der Gleichbehandlung können wir für die einhei-mischen Dienstleister ja keine strengeren Vorschriftenbeibehalten. Art. 1 § 4 des vorliegenden Gesetzes über-trägt also Art. 16 der Richtlinie und bestimmt, welcheVorschriften der Gewerbeordnung keine Anwendungmehr finden, und baut somit die Hürden für den grenz-überschreitenden Dienstleistungsverkehr ab.

Ein weiterer zentraler Punkt der Dienstleistungsricht-linie ist die Schaffung der sogenannten EinheitlichenAnsprechpartner. Hier hat der Bundesgesetzgeber haupt-sächlich eine flankierende Rolle; es waren die notwendi-gen Anpassungen im Verwaltungsverfahrensgesetz vorzu-nehmen. Am 18. Dezember 2008 wurde mit dem ViertenGesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicherVorschriften den zentralen verfahrensrechtlichen Vorga-ben der Richtlinie Rechnung getragen. Über den neuen§ 6 b GewO findet er Eingang in das Gewerberecht.

Über den Einheitlichen Ansprechpartner, dessen Aus-kunft, Genehmigung usw. für den Dienstleistungserbrin-ger maßgeblich für das ganze Bundesgebiet ist, könnenwir bei klugem Vorgehen die Verwaltungsstrukturenvereinfachen, Bürokratie abbauen, den einheimischenDienstleistungserbringern zu Diensten sein und nicht zu-letzt den Menschen im Lande eine umfängliche und bür-gerfreundliche Verwaltung anbieten. Verfahren und For-malitäten können vereinfacht und beschleunigt werden.Allerdings ist diese informationstechnologisch basiertePlattform sicherlich nicht sofort perfekt, weil ja jedesBundesland über den IT-Erbringer (Provider) entschei-det – es wird aber eine bundeseinheitliche Internetseitegeben. Sicherlich werden anfangs Probleme nicht ver-meidbar sein an den Schnittstellen von einer Plattformzur nächsten, und dies braucht nicht erst an der Landes-grenze von Bundesland zu Bundesland aufzutreten, auchinnerhalb eines Bundeslandes mit verschiedenen Einheit-lichen Ansprechpartnern (in NRW gibt es 18) kann es zuSchnittstellenproblemen kommen. Aber es handelt sichum ein sehr großes, sehr komplexes Projekt, das man si-cherlich als lernendes System bezeichnen kann und wobeiwir hier auch etwas Geduld haben müssen. Endziel wirddie europäische Vernetzung sein, die es dann auch ermög-licht, Steuer- und Abgabenzahlungen sicherzustellen undMissbrauch möglichst zu vermeiden. Darin sehe ich einegroße Chance für alle.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Doris Barnett

Art. 1 § 6 c regelt die Ermächtigung zur Umsetzung derInformationspflichten der Dienstleistungsrichtlinie, diein einer Rechtsverordnung erfolgt. Dadurch, dass sie zen-tral vom Bundeswirtschaftsminister erlassen wird, habensowohl Verbraucher als auch Dienstleistungserbringereine zentrale Stelle, was der Übersichtlichkeit dient undletztendlich die anderen Ressorts und auch die Länderentlastet. Die Dienstleistungsrichtlinie sieht in ihremArt. 22 derzeit zwar keinerlei Informationspflichten vorgegenüber der dritten beteiligten Seite, dem Arbeitneh-mer, der die Dienstleistung in einem anderen als seinemHerkunftsland erbringt – zum Beispiel über Arbeits-schutz, Mindestlohn etc. Aber ich bin sicher, dass dieseInformationspflicht – sollte sich ihr Fehlen als Manko er-weisen – nachgeholt wird. Denn nicht nur soll die Richt-linie auch dem sozialen Fortschritt dienen, sie sieht auchvor, dass die Kommission dem Europäischen Parlamentund dem Rat am 28. Dezember 2011 und danach alle dreiJahre einen Bericht über die Anwendung der Richtlinievorlegt, Art. 41.

In der Praxis werden sich auch der neu formulierte§ 36 GewO und die vom Bundeswirtschaftsministeriumzu erlassende Durchführungsverordnung über die An-erkennung von Berufsqualifikationen, besonders aber dieöffentliche Bestellung von Sachverständigen, beweisenmüssen. Schließlich haben wir hierzulande ein sehr diffe-renziertes und fachlich ausgefeiltes System der Qualitäts-sicherung entwickelt als Grundlage der fachlichen Be-stellung. Diese hohen Anforderungen können wir nichteinfach „herunterschleifen“, weil sie ja gerade für unserRechtswesen und damit für die Verbraucher, die Wirt-schaft und die Justiz – also für den Rechtsfrieden – vongrößter Bedeutung sind. Auch bei der Umsetzung der Be-rufsanerkennungsrichtlinie sollten die Grundlagen na-tionaler Gesetzgebung nicht ohne Berücksichtigung blei-ben.

Ich wünsche mir, dass wir die Dienstleistungsrichtlinienicht mehr als eine Bedrohung behandeln, sondern alseine Chance für die Stärkung unseres Wirtschaftsstand-orts begreifen. Dabei ist klar, dass es mit der Verabschie-dung dieses Gesetzes, das ja jetzt erst in die Beratunggeht, nicht getan ist; seine tägliche Anwendung bedarf ei-ner kritischen und konstruktiven Begleitung.

Ernst Burgbacher (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Richtli-

nie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und desRates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen imeuropäischen Binnenmarkt umgesetzt werden. In der Ge-werbe- und der Handwerksordnung sowie der Wirt-schaftsprüferordnung und dem Signaturgesetz werdenÄnderungen vorgenommen, die den grenzüberschreiten-den Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen.

Das Ziel der Dienstleistungsrichtlinie ist es, Fort-schritte im Hinblick auf einen freien Binnenmarkt fürDienstleistungen zu erreichen. Im größten Sektor dereuropäischen Wirtschaft sollen sowohl die Unternehmenals auch die Verbraucher den vollen Nutzen aus den Mög-lichkeiten des Binnenmarkts ziehen. Zur Erreichung die-ses Ziels sieht die Dienstleistungsrichtlinie insbesondere

die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren und den Ab-bau von Hindernissen für die Erbringung von Dienstleis-tungen vor. In diesem Rahmen haben die Mitgliedstaatendie Richtlinienkonformität aller Rechtsvorschriften kri-tisch zu prüfen, die die Aufnahme oder Ausübung vonDienstleistungsaktivitäten einschränkend regeln. DieserAnsatz ist grundsätzlich zu begrüßen.

Auch sollen mit Einzelregelungen im Hinblick auf denBürokratieabbau Fortschritte erzielt werden. Die Bun-desregierung geht dabei von einem Einsparvolumen vongut 500 000 Euro bei den Informationspflichten aus. Obtatsächlich die geschätzten 518 000 Euro erreicht wer-den, bleibt abzuwarten. Zudem ist auch dieses Einsparvo-lumen, wenngleich es immerhin eine halbe Million Euroerreicht, angesichts der gesamten Kosten für Informa-tionspflichten von knapp 48 Milliarden Euro nur ein„Tropfen auf den heißen Stein“. Die Umsetzung derDienstleistungsrichtlinie hätte insgesamt für einen mas-siven Bürokratieabbau genutzt werden können. Statt sichbei der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Ge-werberecht mit Einsparungen von nur gut einer halbenMillion Euro zu begnügen, hätte die Bundesregierung ei-nen großen Wurf bei der Umsetzung dieser Richtlinie er-reichen können. Doch wurde erneut die Chance zumBürokratieabbau verspielt. Die EU-Dienstleistungsricht-linie hätte die Chance geboten, insbesondere kleine undmittlere Unternehmen massiv zu entlasten. Dies wäreauch im Bereich der Gewerbeordnung möglich gewesen,vor allen Dingen aber in dem wichtigen Bereich eineseinheitlichen Ansprechpartners, der ebenfalls von derDienstleistungsrichtlinie gefordert wird.

Trotz des grundsätzlich richtigen Ansatzes, den ein-heitlichen Dienstleistungsmarkt in der EU voranzubrin-gen, enthält das Umsetzungsgesetz jedoch eine Reihe vonRegelungen, die insbesondere für inländische Unterneh-men zu erschwerten Wettbewerbsbedingungen führenkönnen. Die neuen Regelungen im Gewerberecht findennicht nur in den klassischen Bereichen der Dienstleis-tungsfreiheit Anwendung, das heißt im Bereich einerkurzfristigen oder gelegentlichen Dienstleistungserbrin-gung, sondern auch dann, wenn ein Gewerbetreibenderaus einem anderen EU-Staat sich im Inland niederlässt.Einziges einschränkendes Merkmal ist dann, dass dieseNiederlassung nicht eine „feste Infrastruktur“ sein darf.

In der Begründung zum Gesetzentwurf legt die Bun-desregierung dar, warum eine Beschränkung nicht aufnur vorübergehende und gelegentliche Dienstleistungenin Deutschland vorgenommen wird. Die Bundesregierungerklärt in der Begründung, dass eine Beschränkung aufnur kurzfristige oder gelegentliche Dienstleistungen nuraus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichenSicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzesder Umwelt gerechtfertigt sei. Im Hinblick auf die Ände-rungen stellt die Bundesregierung schlicht fest:

Für die Gewerbeanzeige und weitere Anforderun-gen der Gewerbeordnung sowie für die meisten derin der Gewerbeordnung geregelten Erlaubnisse, so-weit diese der Dienstleistungsrichtlinie unterfallen,ist eine Rechtfertigung anhand der genannten vierRechtfertigungsgründe nicht möglich.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Ernst Burgbacher

Eine Begründung dafür, warum dies nicht möglich seinsoll, fehlt aber und lässt sich deshalb auch nicht nachvoll-ziehen.

Es stellt sich deshalb die Frage, warum die Bundes-regierung im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie diefür die Gewerbeordnung erforderliche Normenprüfungallzu restriktiv durchgeführt hat. Eine sehr viel weiterge-hende Entlastung von bürokratischen Pflichten, eine„Lichtung“ des Normendschungels im Bereich der Ge-werbeordnung, hätte hier seitens der Bundesregierungerfolgen können und müssen. Dies gilt grundsätzlichauch für die Nichtanwendbarkeit der Genehmigungs-pflichten für Gewerbetreibende aus dem EU-Ausland.

Das Umsetzungsgesetz zur Dienstleistungsrichtlinieerleichtert die Gewerbeausübung für aus dem EU-Aus-land kommende Gewerbetreibende. Im Rahmen deseinheitlichen Binnenmarktes ist auch diese Regelunggrundsätzlich zu begrüßen. Für Unternehmerinnen undUnternehmer, die zur Ausübung des Pfandleihgewerbes,des Versteigerergewerbes, des Maklergewerbes, des Ge-werbes der Bauträger und Baubetreuer sowie des Reise-gewerbes unter Inanspruchnahme der Dienstleistungs-freiheit in Deutschland tätig werden, gelten bestimmteGenehmigungspflichten der Gewerbeordnung künftignicht mehr.

Diese Umsetzung wird durch die Bundesregierung da-mit begründet, dass nach Art. 16 der Dienstleistungs-richtlinie Genehmigungen und sonstige Anforderungenan Dienstleistungserbringer nur aufrechterhalten werdendürfen, soweit dies aus den genannten Gründen der öf-fentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, deröffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umweltgerechtfertigt sei. Bei den genannten gewerblichen Tätig-keiten sei eine solche Rechtfertigung nicht möglich, so-dass die Genehmigungsvorbehalte keine Anwendung fin-den könnten, wenn Gewerbetreibende aus dem EU-Aus-land in Deutschland tätig würden.

Für inländische Unternehmerinnen und Unternehmergilt diese Regelung jedoch nicht. Gerade für deutscheUnternehmerinnen und Unternehmer, die in den genann-ten Bereichen tätig werden wollen, bleibt auch zukünftigder Genehmigungsvorbehalt bestehen. Die Bundesregie-rung muss sich aber entscheiden, ob sie eine Tätigkeitdeshalb unter den Vorbehalt einer Genehmigung stellt,weil von dieser Tätigkeit besondere Gefahren ausgehenkönnen oder eine besondere Sachkunde von Nöten ist,oder ob die Tätigkeit genehmigungsfrei sein kann. Wenndie Gewerbeausübung für Unternehmen aus dem EU-Ausland genehmigungsfrei ist, dann muss sie dies auchfür die Unternehmerinnen und Unternehmer ausDeutschland sein. Andernfalls liegt eine nicht hinnehm-bare Inländerdiskriminierung vor. Letzteres lässt sich mitBlick auf das Versteigerergewerbe zum Beispiel auch da-ran festmachen, dass inländische Gewerbetreibende denVerbotsnormen des § 34 b Abs. 6 GewO unterliegen. Soist es Inländern zum Beispiel verboten, „ungebrauchteWare“ zu versteigern, wogegen diese Einschränkung fürGewerbetreibende aus dem EU-Ausland bei grenzüber-schreitender Dienstleistungserbringung keine Anwen-dung finden soll. Hier drohen den im Inland ansässigen

Versteigerern erhebliche Wettbewerbsnachteile. Ich for-dere die Bundesregierung auf, diese Wettbewerbsverzer-rungen zu verhindern und den Gesetzentwurf an diesenStellen deutlich nachzubessern.

Die Bundesregierung will mit der Umsetzung derEU-Dienstleistungsrichtlinie den grenzüberschreiten-den Dienstleistungsverkehr sowohl innerhalb der EU alsauch zwischen EU-Mitgliedstaaten und Angehörigen derEuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft erleichtern. DieBundesregierung selbst spricht in der Begründung desGesetzentwurfs von großen Chancen auch für deutscheUnternehmerinnen und Unternehmer, sich im europäi-schen Ausland zu engagieren. Wenngleich der Wettbe-werb sich zwar verstärken würde, würden doch die Chan-cen für Handwerker in den Grenzregionen überwiegen.Tatsächlich aber werden viele Regelungen die Wettbe-werbsbedingungen für inländische Unternehmen ver-schlechtern und Gewerbetreibende aus Deutschland ge-genüber ihren Mitbewerbern diskriminieren.

Zudem sieht die zwischenstaatliche Realität in etlichenBereichen hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit leideranders aus. Auf meine Frage, wie die Bundesregierunggegen protektionistische Maßnahmen von europäischenNachbarländern reagieren wird, hat mir die Bundes-regierung geantwortet, dass es „ab dem Jahr 2010 einePhase der gegenseitigen Evaluierung zwischen den Mit-gliedstaaten im Zusammenhang mit der Normenprüfungnach der europäischen Dienstleistungsrichtlinie“ gebenwird. Faktisch bestehen Marktzugangsbeschränkungen,die deutsche Unternehmen betreffen, wenn sie zum Bei-spiel Bauleistungen in Frankreich erbringen oder alsHandwerker in der Schweiz tätig werden wollen. Hierhätte die Bundesregierung aktiv werden und sich im Ratdafür einsetzen müssen, dass deutsche Unternehmennicht länger benachteiligt werden. Erst dann kann auchim Hinblick auf die Umsetzung der heute zur Debatte ste-henden Richtlinie von einer Chancenerweiterung fürdeutsche Unternehmen gesprochen werden. Ansonstenschafft die Bundesregierung verbesserte Wettbewerbs-chancen für die ausländischen Mitbewerber in Deutsch-land, während durch Abschottungsmaßnahmen deutscheUnternehmen aus den Nachbarländern faktisch heraus-gehalten werden.

Im parlamentarischen Verfahren muss deshalb an die-ser Stelle nachgebessert werden. Ich fordere die Bundes-regierung auf, tätig zu werden und sich in Europa dafüreinzusetzen, dass ein freier Dienstleistungsverkehr nichtals „Einbahnstraße“ funktioniert.

Ulla Lötzer (DIE LINKE): Vorgestern haben SPD und DGB eine Erklärung für

ein soziales Europa verabschiedet. Dort ist in schönen,hehren Worten zu lesen: „Soziale Grundrechte und Stan-dards dürfen nicht durch Wettbewerb und Liberalisierungim europäischen Binnenmarkt eingeschränkt werden.“Heute kann ich Ihnen am vorliegenden Gesetzentwurf zurUmsetzung der Dienstleistungsrichtlinie zeigen, dass dieGewerkschaften sich damit keinen Gefallen getan haben.

Zuerst aber zum Grundsätzlichen. Die Linke hat alseinzige Partei im Deutschen Bundestag die Dienstleis-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Ulla Lötzer

tungsrichtlinie von Anfang an konsequent bekämpft undgemeinsam mit den Gewerkschaften bestimmte Abschwä-chungen des Herkunftslandsprinzips durchsetzen können.Allerdings dürfen auch jetzt Regeln für grenzüberschrei-tende Dienstleister nur dann weiter bestehen, wenn sieaus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Ge-sundheit oder zum Schutz der Umwelt gerechtfertigt sind.Regeln des Arbeitnehmer- oder Verbraucherschutzeskommen unter den Bolkestein-Hammer!

Die Linke trat und tritt grundsätzlich dafür ein, dassDienstleistungen nach dem Recht des Landes erbrachtwerden, in dem sie ausgeführt werden. Damit will dieLinke eine ungeschützte Lohnkonkurrenz, den Abbau vonStandards und eine Diskriminierung von Inländern ver-hindern. Es geht uns dabei nicht darum, wer die Dienst-leistungen macht, sondern unter welchen Bedingungen!

Wir haben diese Position über die komplette Legisla-turperiode hin vertreten bis hin zum letzten Fall, der Auf-hebung der Tariftreue in der öffentlichen Auftrags-vergabe durch das Rüffert-Urteil. Immer wieder hörte ichvon meinen sozialdemokratischen Kolleginnen und Kol-legen dann das öffentliche Lippenbekenntnis zu einem so-zialen Europa und musste am nächsten Tag in den Geset-zen lesen, dass sie darauf keinen Pfifferling geben undsehr wohl die Bewegungsfreiheit des Kapitals über Um-welt-, Sozial- oder Verbraucherrechte setzen. Ich zitieredazu den entscheidenden Satz aus dem Gesetzentwurf:„Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie führt teil-weise zu einer unterschiedlichen Behandlung von im In-land niedergelassenen Dienstleistern und aus anderenEU-Staaten grenzüberschreitend tätigen Dienstleistern.Dies ist jedoch dadurch gerechtfertigt, dass der grenz-überschreitend tätige Dienstleister bereits die Anforde-rungen seines Niederlassungsstaates erfüllt.“ Mit dieserfadenscheinigen Begründung erklären Sie heute wesent-liche Elemente des Gewerberechts für ungültig, und zwarnicht für in Deutschland niedergelassene Unternehmen,sondern für Dienstleister, die von einer Niederlassung imEU-Ausland aus agieren. Damit gelten für Wettbewerberan einem Ort unterschiedliche Normen. Das ist Wettbe-werbsverzerrung. Wo bleibt denn da die viel besungeneMarktwirtschaft? Wo bleibt denn da die viel besungeneRechtssicherheit? Und wo bleiben die Grundrechte undStandards, für die sich die SPD einsetzen will?

Damit aber nicht genug. Der gesamte Prozess des Nor-menscreenings wurde durch die Bundesregierung inkeinster Weise transparent gestaltet. Wir werden jetzt imGesetzentwurf mit der absoluten Nullaussage konfron-tiert, dass für bestimmte Anforderungen aus der Gewer-beordnung und vor allem auch für die Gewerbeanzeigekeine Rechtfertigungsgründe nach der Dienstleistungs-richtlinie vorliegen. Weder für die Opposition noch fürdie Betroffenen und schon gar nicht für den Bürger istnachzuvollziehen, warum gesetzliche Regelungen, dieüber Jahre als sinnvoll erachtet wurden und auch weiter-hin für hier niedergelassene Unternehmen gelten, jetzt fürgrenzüberschreitende Dienstleister – seien es Makler,Pfandleiher oder Bauträger – nicht mehr gelten sollen.Ihre Begründung, dass diese bereits irgendwelche Anfor-derungen in ihrem Heimatland erfüllen mussten, istnichts anderes als eine Kapitulation des Rechtsstaates

vor der neoliberalen Deregulierungswut. Wo wurdendenn in der EU in den letzten Jahren Sicherheits- oderGesundheitsstandards bei der Dienstleistungserbringungharmonisiert, worauf stützen Sie denn diese Annahme?Darauf geben Sie keine Antwort, sondern nutzen denBrüsseler Blankoscheck! Ergebnis sind kafkaeske Be-gründungsformulierungen und in der Realität eine uner-trägliche Diskriminierung von inländischen Gewerbe-treibenden. Das kritisieren nicht nur wir, sondern sogareiner der schärfsten Befürworter der Dienstleistungs-richtlinie, der Deutsche Industrie- und Handelskammer-tag; er erklärt so gut wie jede Ihrer Regelungen als pra-xisuntauglich.

Unser dritter Kritikpunkt bezieht sich schließlich da-rauf, was Sie als grenzüberschreitende Dienstleistung de-finieren: Sie machen sich gar nicht mehr die Mühe, zwi-schen einer grenzüberschreitenden Dienstleistung undeiner Niederlassung in der Bundesrepublik zu unterschei-den. Damit weiten Sie die Grauzone aus, statt sie zu be-grenzen.

Die Linke lehnt diesen Gesetzentwurf ab und bestehtauf ihrem parlamentarischen Recht, über das Nor-menscreening der Bundesregierung informiert zu werden,bevor weitere sinnvolle und wichtige Regelungen unterden Bolkestein-Hammer kommen. Ich fordere weiter denArbeitsminister auf, sich in das Umsetzungsverfahreneinzuschalten und die deutschen Gewerkschaften an derUmsetzung zu beteiligen. Machen Sie endlich ernst mitIhren hohlen Phrasen und bereiten Sie nicht jetzt schonden nächsten Wahlbetrug vor.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umset-

zung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in deutsches Ge-werberecht ist die Konsequenz verfehlter Politik seitensder Großen Koalition auf europäischer Ebene. Die zen-trale Schwachstelle der europäischen Dienstleistungs-richtlinie ist das Herkunftslandprinzip. Dies wurde vonder Bundesregierung durchaus erkannt. In ihrem Koali-tionsvertrag hat die Koalition zur Dienstleistungsrichtli-nie festgehalten:

Das Herkunftslandprinzip in der bisherigen Ausge-staltung führt uns nicht in geeigneter Weise zu die-sem Ziel. Deshalb muss die Dienstleistungsrichtli-nie überarbeitet werden. Wir werden ihr aufeuropäischer Ebene nur zustimmen, wenn sie sozialausgewogen ist, jedem Bürger den Zugang zu öf-fentlichen Gütern hoher Qualität zu angemessenenPreisen sichert und Verstöße gegen die Ordnungauf dem Arbeitsmarkt nicht zulässt.

Leider folgten dieser Erkenntnis keine Taten. DieRichtlinie wurde mit der Stimme der Bundesregierungverabschiedet. Das Herkunftslandsprinzip taucht zwarexplizit nicht mehr auf, dennoch hat seine Regelung fak-tisch Bestand.

Das Problem des Herkunftslandsprinzips ist Folgen-des: Einem Dienstleister muss die Ausübung seiner Tätig-keit in einem anderen EU-Staat erlaubt werden, wenn erdie Rechtsvorschriften seines Herkunftslandes erfüllt.Das ist noch unproblematisch. Der Fehler der Dienstleis-tungsrichtlinie liegt aber darin, dass ein Dienstleister sei-

Zu Protokoll gegebene Reden

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ner Tätigkeit in einem anderen Land auch nach den recht-lichen Vorgaben seines Heimatlandes nachgehen kann.So können Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandardsumgangen werden. Diesen zentralen Punkt haben Bünd-nis 90/Die Grünen stets bemängelt. Stattdessen haben wireinen eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht unduns dafür eingesetzt, das Herkunftsland nur beim Markt-zugang anzuwenden. Für die Ausübung der Tätigkeit solldas Ziellandsprinzip gelten. So würden die Dienstleis-tungsfreiheit in Europa gewährleistet und Sozial- undÖkodumping verhindert werden. Dieser Vorschlagstammte von der SPD-Berichterstatterin Gebhardt. Lei-der ließ die SPD die Vorschläge von Frau Gebhardt fallenund sorgte sich stattdessen um den Koalitionsfrieden.

Nun versucht die Bundesregierung, Schadensbegren-zung zu betreiben. Ihr Gesetzentwurf enthält mit § 4Abs. 2 einen Passus, der die Umgehung nationaler Stan-dards verhindern soll. Der Abschnitt bietet jedoch weitenInterpretationsspielraum und kann auch ehrlichen Unter-nehmern in Grenzregionen zum Verhängnis werden. Da-mit erweist sich das Gesetz mit seinen ungenauen Formu-lierungen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für dieGerichte. Hätte die Bundesregierung ökologische,soziale und Verbraucherstandards wirklich schützen wol-len, dann hätte sie der europäischen Dienstleistungs-richtlinie in dieser Form nicht zustimmen dürfen.

Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen und dieKoalition muss für ihre eigenen Fehler geradestehen.Dies ist umso bedauerlicher, weil ein funktionierendereuropäischer Binnenmarkt für Dienstleistungen enormeWachstumspotenziale böte. Besonders die Bundesrepu-blik könnte profitieren. Die vorliegende Richtlinie leistetaber keinen Beitrag, die Beschäftigungspotenziale zu ak-tivieren und so einen wichtigen Beitrag gegen die Ar-beitslosigkeit zu leisten, die im Zuge der aktuellen Wirt-schaftskrise wieder rasant ansteigt. Die Bundesregierunghat diese Potenziale mal wieder nicht erkannt, und denSchaden haben die Bürgerinnen und Bürger.

Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-

fes auf Drucksache 16/12784 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazuanderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten ThiloHoppe, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck(Köln), weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Landrechte stärken – „land grabbing“ in Ent-wicklungsländern verhindern

– Drucksache 16/12735 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhaltensoll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-schlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Thilo Hoppe.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir reagieren mit unserem Antrag auf eine sehr besorg-niserregende Entwicklung. In jüngster Zeit verstärkt sichder Trend, dass Unternehmen und Regierungen wohlha-bender Länder riesige Flächen fruchtbaren Ackerlandesin Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, aufkaufenoder pachten, um auf diesen Flächen Nahrungsmittel fürden Eigenbedarf oder Biospritpflanzen anzubauen. Man-che dieser Investoren wollen auch einfach nur mit Grundund Boden spekulieren.

Presseberichten zufolge hat vor kurzem ein US-ame-rikanischer Investmentfonds einem südsudanesischenMilizenführer, also einem Warlord, die gigantische Flä-che von 400 000 Hektar abgekauft. Ob dieser überhauptder rechtmäßige Besitzer war, ist höchst zweifelhaft;aber er hatte die Waffen und die Möglichkeit, diesenDeal auch umzusetzen.

Es gibt solch krasse Fälle von illegaler Landaneig-nung, es gibt aber auch vieles, was im Grunde genom-men ähnlich ist, aber rechtlich in einem Graubereichliegt. In vielen Fällen sind es arabische Ölstaaten, in ei-nem speziellen Fall ist es ein koreanischer Konzern, dievon zwar gewählten, aber doch recht schwachen und oftkorrupten Regimen riesige Landstriche kaufen oderpachten. Auf den ersten Blick ist das legal. Bei genaue-rem Hinsehen erkennt man aber, dass das, wie gesagt, oftmit Korruption oder der Missachtung traditionellerLandrechte oder des elementaren Menschenrechts aufNahrung verbunden ist.

All diese Formen illegaler oder illegitimer Landan-eignung werden in dem neudeutschen Begriff Land-Grabbing, also Land-Grapschen, zusammengefasst. Wirhaben es hier mit einer neuen Welle des Kolonialismuszu tun. Haben die Kolonialmächte früher Länder mitWaffengewalt erobert, geschieht es heute mit demScheckbuch: Ganze Regionen werden einfach gekauftoder gepachtet.

Diese Landstriche sind aber nicht menschenleer.Meistens leben dort Kleinbauern, die dort schon seit Ge-nerationen für den Eigenbedarf, für lokale oder regionaleMärkte Nahrungsmittel anbauen, oft jedoch keine einge-tragenen Grundbuchtitel vorweisen können. Die Folgevon Land-Grabbing ist sehr oft, dass die Kleinbauernvertrieben werden. Wenn sie die einzige Ressource, diesie zum Überleben haben – Grund und Boden –, verlie-ren, sind sie gezwungen, entweder in die Slums abzu-wandern oder sich bestenfalls als Tagelöhner auf denPlantagen zu verdingen, oft nur zu Hungerlöhnen.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wenn sie Glück haben!)

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In manchen Ländern hat dieses Land-Grabbing schon zusozialen Unruhen geführt, auf Madagaskar sogar zumSturz der Regierung.

Wenn zwielichtige Investmentfonds oder Staaten wieSaudi-Arabien, einige andere Ölstaaten oder China– also Staaten, die es mit den Menschenrechten eh nichtso genau nehmen – Land-Grabbing betreiben, gibt es all-seits Kritik. IFPRI, das renommierte Internationale For-schungsinstitut für Nahrungsmittelpolitik, hat allerdingsherausgefunden, dass auch etliche deutsche, englischeund schwedische Unternehmen an dem Run auf denknappen Rohstoff Land beteiligt sind. Es sind also nichtallein die bekannten Bad Guys.

Um nicht missverstanden zu werden: Nicht jeder Er-werb von Grund und Boden in Entwicklungsländerndurch ausländische Investoren soll unter Generalver-dacht gestellt werden. Es gibt durchaus sinnvolle, ent-wicklungspolitisch wertvolle Investitionen, durch dieArbeitsplätze gesichert und bei denen Sozial-, Umwelt-und Menschenrechtsstandards eingehalten werden.

Bei genauerem Betrachten muss man aber leider fest-stellen: Das sind Ausnahmen. Die meisten dieser Land-nahmen sind mit Vertreibung und Verelendung verbun-den. Ich könnte eine lange Reihe von Beispielenaufzählen, nicht nur Beispiele aus Afrika, auch Beispieleaus Indonesien, Kolumbien und vielen anderen Ländernder Welt.

Der Energiehunger der Industrienationen – auch unserEnergiehunger – hat den Run auf den Rohstoff Land unddie Spekulation mit Grund und Boden natürlich weiterangeheizt. Es trifft leider, wie so oft, die Schwächsten,die Ärmsten der Armen, diejenigen, die sich keinen An-walt leisten können, diejenigen, die keine Lobby haben,diejenigen, die sich nicht wehren können.

Dieser Trend erfordert die Reaktion der Politik. Zu-nächst einmal muss eine Bestandsaufnahme gemachtwerden, in welcher Größenordnung sich zurzeit Land-Grabbing ereignet. Zweitens stehen wir vor der Heraus-forderung des Gegensteuerns und Regulierens. Ein Codeof Conduct, ein freiwilliger Verhaltenskodex reicht danicht aus. Multilaterale Organisationen, vor allem dieFAO, sind gefordert, verbindliche, einklagbare Stan-dards auszuarbeiten.

Ich fordere die Bundesregierung auf, dieses Thema,das noch nicht genügend Beachtung findet, auf dieAgenda zu setzen und Konferenzen dazu abzuhalten.Wir im Entwicklungsausschuss machen dies. Wir habenfür die nächste Sitzung den neuen Sonderberichterstatterder Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung,Olivier De Schutter, eingeladen, uns diese Entwicklunggenauer vorzustellen. Das ist ein Auftakt.

Ich fordere Sie auf, Aktivitäten wie den Antrag, denwir eingebracht haben, zu unterstützen, und zwar in die-ser und in der nächsten Legislaturperiode. Hier muss un-bedingt reagiert werden.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hoppe, achten Sie bitte auf die Zeit.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir dürfen nicht zulassen, dass den Schwächsten und

Ärmsten der Grund und Boden unter den Füßen wegge-zogen wird.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Wolf Bauer für die Uni-

onsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heutein erster Beratung einen Antrag der Grünen, der unseben vorgestellt worden ist. Der Antrag ist inhaltlich perse nicht falsch, aber warum er gerade jetzt kommt, istmir nicht ganz erklärlich. Denn wie bereits anklang, ha-ben wir schon öfters im Ausschuss – beispielsweise imRahmen der Debatten über ländliche Entwicklung – undbei Veranstaltungen unserer Fraktion das Thema disku-tiert, Kritik geäußert und festgestellt, was getan werdenmuss. Auch ich hatte mich bereits im letzten Jahr an dieRegierung gewandt, um das Vorgehen von Daewoo, dasSie angesprochen haben, äußerst kritisch begleitet zuwissen.

Das Thema ist also wahrlich nicht neu. Darüber hi-naus sind wir uns bei diesem Thema auch fraktionsüber-greifend im Wesentlich inhaltlich einig. Auch ich habeSorge vor möglichen Gefahren, die aus dem sogenann-ten Land-Grabbing entstehen können, und kann daherden vorliegenden Antrag in vielen Punkten mittragenund unterstützen.

Auch die Forderung, mögliche negative Auswüchsedes Land-Grabbing mit den Instrumenten der Entwick-lungszusammenarbeit zu verhindern und die Land- undEigentumsrechte der lokalen Bevölkerung zu stärken, istein unterstützenswertes Ansinnen. Vieles von dem, wasim Antrag steht, wird aber bereits vom BMZ und denDurchführungsorganisationen gemacht. Doch ich be-fürchte, dass der Antragsteller die Möglichkeiten derEntwicklungszusammenarbeit in diesem Fall schlicht-weg überschätzt.

Das Überschätzen zieht sich wie ein roter Fadendurch den Antrag, wogegen wichtige andere Ansatz- undSchwerpunkte vernachlässigt werden. So werden zumBeispiel die Rolle einer guten Regierungsführung unddie Eigenverantwortung der nationalen Regierungen beider rechtlichen Ausgestaltung von Boden- und Eigen-tumsfragen kaum beleuchtet. Aber gerade hier ist derHebel für eine vernünftige und vor allem auf die sozialenBelange der Bevölkerung abgestimmte Ausgestaltungentsprechender Verträge anzusetzen. Daher stellt sich dieFrage, warum der Antragsteller die nationalen Regierun-gen aus der Pflicht nimmt. Es macht zumindest den Ein-druck, als wäre das der Fall.

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Dr. Wolf Bauer

(Beifall bei der CDU/CSU – Thilo Hoppe[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wirgar nicht!)

Gerade die nationalen Regierungen können, ja müssender zentrale Akteur sein, der den Unterschied ausmacht.Denn bei allen Gefahren, die mit dem Land-Grabbingverbunden sind, darf man auch nicht unterschätzen, dasssogenannte FDIs auch eine Chance für das jeweiligeEntwicklungsland sein können – das haben Sie dankens-werterweise angeführt –, wenn sie von den Regierungenvertraglich richtig ausgestaltet und partizipativ mit um-gesetzt werden.

Ich erinnere mich noch gut an diverse Appelle unse-res Ausschusses an die Wirtschaft, sich mehr in Ent-wicklungsländern zu engagieren bzw. dort zu investie-ren. Gelegentlich kommt es mir – frei nach Goethe – sovor, als ob zwei Seelen in unserer Brust schlagen.

Aus meiner Sicht sollten wir uns besonders um An-reize bemühen, die sozialen Belange der örtlichen Be-völkerung bei der Vertragsgestaltung in den Fokus zu rü-cken. Ein möglicher Hebel leitet sich aus der Zielsetzungdes Land-Grabbing ab. Der Antrag definiert Land-Grab-bing als Aufkauf großer Flächen in Entwicklungsländerndurch Drittstaaten oder Unternehmen zum Nahrungsmit-telanbau für den eigenen Binnenmarkt oder Gewinnungvon Bioenergie. Wenn also Land-Grabbing beispiels-weise mit dem Ziel erfolgt, Bioenergie zu gewinnen,dann können wir in Deutschland oder auch in Europaüber maßvolle Beimischquoten zum Beispiel beim Bio-sprit viel erreichen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Das ist wahr!)

Wir brauchen – auch das ist bereits angesprochenworden – ein entsprechendes WTO-konformes Zertifi-zierungssystem unter Einbeziehung von Sozialstandards.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hellmut Königshaus [FDP])

Das ist überaus wichtig, und genau dafür wirbt unsereFraktion. Ich freue mich, dass wir auch Unterstützungvon der FDP bekommen.

(Hellmut Königshaus [FDP]: Ja, manchmal! Wenn ihr recht habt!)

Dazu – besonders zur WTO-Frage – hätte ich mir imvorliegenden Antrag mehr gewünscht als nur einen Ab-satz, der wie ein Appendix drangehängt wird. Geradedieser Weg scheint mir realistischer zu sein als vieles,was im Antrag sonst in aller Breite vorgeschlagen wird;denn ich befürchte, dass der Einfluss der Bundesregie-rung auf die Ausgestaltung der Vertragswerke zwischenden Investoren und den nationalen Regierungen rechtbegrenzt ist. Der Antrag sollte nichts anderes suggerie-ren.

Leider muss ich feststellen, dass – fast ist man ge-willt, zu sagen: wieder – einige ideologisch motivierteAussagen im Antrag zu finden sind. Die Unionsfraktionkann diese nicht mittragen; denn wieder einmal wird einallein seligmachendes kleinbäuerliches Ideal propagiert.Ich erinnere nur daran, dass dies in der letzten Anhörung

von den zuständigen Herren aus den betreffenden Län-dern kritisiert wurde. Wir dürfen nicht aus ideologischenGründen eine einzige Form der Landnutzung als das ein-zig Wahre darstellen. Vielmehr müssen wir darübernachdenken, was der Bevölkerung vor Ort den meistenNutzen bringt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn möglicherweise etwas größere Einheiten mehrNahrungsmittel erzeugen können – das ist in der Regelder Fall; wir kennen das aus unserer Nachkriegsge-schichte –, dann dürfen wir nicht von vornherein sagen,dass das nicht brauchbar ist. Vielmehr müssen wird dasin unserer Argumentation berücksichtigen.

Ich appelliere daher an meine Kolleginnen und Kolle-gen, in den Ausschussberatungen über diesen Antrag dieGemeinsamkeiten beim Land-Grabbing zu betonen. Esist ganz klar, dass wir alle das wollen. Wir wollen nichtwieder in Grabenkämpfe verfallen, die wir schon mehr-fach ausgetragen haben. Land-Grabbing war und bleibtein wichtiges Thema, das eine kritische Begleitung ver-dient. Daher hoffe ich, dass unsere gemeinsamen Sorgenund Ziele bei diesem Thema ein starkes Signal nach au-ßen senden und dass wir in diesem Punkt weiterkom-men.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus für die

FDP-Fraktion.

Hellmut Königshaus (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Land-

Grabbing ist in der Tat ein Problem. Völlig zu Recht wer-den im Antrag der Grünen die negativen Folgen darge-legt, die mit dem sogenannten Land-Grabbing – darunterist eine großflächige Landaneignung zu verstehen – ver-bunden sind. Aber das eigentliche Problem wird zumindestin Teilen schamhaft umschrieben. Schon die englische Be-zeichnung verhüllt den Skandal. Bei den vielfältigen For-men der Landnahme geht es um den Diebstahl konkreterZukunftschancen der Entwicklungsländer. Diejenigen,die es sich leisten können, verschaffen sich eigene Chan-cen zulasten der ärmsten Länder. Sie kooperieren dazumit korrupten und skrupellosen Eliten, die Land und Roh-stoffvorkommen verscherbeln.

(Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)

– Lieber Kollege Hoppe, das sind nicht nur die wohlha-benden Länder.

(Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch nicht behauptet!)

Diese Ausbeuter sind häufig auch die großen Schwellen-länder und ihre Staatskonzerne.

Ich will mein Lieblingsbeispiel anführen – das wirdSie nicht verwundern –: China. In einem regierungsamt-

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Hellmut Königshaus

lichen Papier aus dem Jahr 2008 fordert das chinesischeLandwirtschaftsministerium die chinesischen Unterneh-men auf, im Ausland Boden zu erwerben. Damit solle– so heißt es dort – Chinas Nahrungsmittelversorgunglangfristig sichergestellt werden, wohlgemerkt ChinasNahrungsmittelversorgung. Das ist Klartext. Der tut auchuns in diesem Zusammenhang gut. Wir können dann auchoffen über die Rolle dieser Länder in der Entwicklungs-politik sprechen. Wir Liberale fordern seit geraumer Zeitein Umdenken gerade im Umgang mit den Schwellenlän-dern, mit Brasilien, China, Indien, Südafrika usw. Wirwollen sie auf gemeinsame Werte verpflichten und sievon Hilfsempfängern zu Partnern machen, damit auch siesich der Entwicklung der ärmsten Länder verpflichtetfühlen und sich nicht nur an der eigenen Entwicklung undam eigenen Vorankommen orientieren.

Bleiben wir beim Beispiel China. China ist nicht nur,aber vorwiegend in Afrika aktiv. Sein Vorgehen dort istrücksichtslos. Es gefährdet die Eigenversorgung der dor-tigen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Das konterka-riert unsere entwicklungspolitischen Ansätze in vielenBereichen. Wir brauchen nach der Finanzkrise sicherlichnicht eine zusätzliche große Nahrungsmittelkrise in denbetreffenden Regionen.

Die FDP betont schon seit langer Zeit, wie wichtig esist, die Eigentumsrechte im ländlichen Raum in den Ent-wicklungsländern zu stärken. Wir wiederholen immerwieder den Grundsatz: Ohne Katasteramt und ohneGrundbuchamt gibt es keine nachhaltige ländliche Ent-wicklung. Ownership ist an der Basis, also bei der ländli-chen Bevölkerung, zu fördern und nicht bei den häufigkleptokratischen Eliten in den Städten. Wir haben in denvergangenen Jahren gesehen, welche Folgen die rapidesteigenden Nahrungsmittelpreise haben. Wir haben auchsehr intensiv über einige der Gründe gesprochen: verän-derte Konsumgewohnheiten, Biokraftstoffe – Sie habendas eben auch angesprochen –, Nahrungsmittelkonkur-renz, um nur einige zu nennen.

(Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Spekulationen!)

Worüber wir auch sprechen müssen, ist die Ursachedes Land-Grabbing. Täter sind nicht nur die angeblichbösen Öl- und Rohstoffkonzerne des Westens, wie dasBeispiel China zeigt. Gerade in Afrika verfolgt das Landeine besonders egoistische Politik der Ressourcensiche-rung, die zulasten der Menschen dort geht. Wir brauchen– das sollte uns in der nächsten Zeit gemeinsam beschäf-tigen – ein international verbindliches und klares Regel-werk. Es muss für die Investoren klar sein, was geht, wasnicht geht, was verantwortbar ist und was nicht verant-wortbar ist.

(Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Es muss eindeutige Sanktionsmöglichkeiten geben, dieauch angewandt werden, wenn Staaten oder Staatskon-zerne gegen das Regelwerk verstoßen.

Es steht außer Frage: Investitionen in die Landwirt-schaft der Entwicklungsländer sind nötig, wenn wir denHerausforderungen, auch denen aus dem Ausland, be-

gegnen wollen. Sie müssen aber den Menschen nützenund der Nahrungsmittelsicherheit vor Ort dienen. DasNegativbeispiel Daewoo in Madagaskar, das die Kolle-gen Bauer und Hoppe angesprochen haben, zeigt uns,welche Folgen das haben kann.

Ich möchte eines festhalten: Private Investitionen,technische Innovation und der damit verbundene Know-how-Transfer leisten – richtig angepackt – einen wert-vollen Beitrag zum Wachstum der Entwicklungsländerund zum Wohlstand der Bevölkerung dieser Länder.Aber – deshalb sind wir Ihnen für den Impuls, den Siehier geben, dankbar – die Politik des Wegsehens der in-ternationalen Gemeinschaft hinsichtlich der ländlichenEntwicklung muss beendet werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg[SPD])

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe aus der

SPD-Fraktion.

Dr. Sascha Raabe (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Dass wir heute das Augenmerk wieder auf dieländlichen Regionen dieser Erde richten, erinnert michan den Antrag zur Förderung der ländlichen Entwick-lung, den die Koalitionsfraktionen eingebracht haben,und an die Debatte dazu, die wir hier zuletzt AnfangMärz zu Recht sehr breit geführt haben.

Damals haben wir bereits Folgendes festgestellt – dassteht in unserem Antrag, den wir damals beschlossen ha-ben –:

Unterernährung und Hunger sind nicht nur ein Pro-blem der absolut produzierten Nahrungsmittel-menge, sondern vorrangig eine Frage des Zugangsder Bevölkerung zu Nahrung.

Es ist richtig, dass wir den Menschen in den Entwick-lungsländern helfen, da sie tagtäglich darauf angewiesensind, ihr Leben und das ihrer Familien mit dem, was sieauf ihren kleinen landwirtschaftlichen Flächen produzie-ren, zu sichern; in Deutschland ist das ganz anders. Wirmüssen dafür sorgen, dass diese Menschen weiterhin dieMöglichkeit dazu haben.

Es ist in der Tat ein Phänomen, das einen fassungslosmacht: Heute gibt es zwei Gruppen von Land-Grabbern,zum einen Staaten und zum anderen – das wurde bereitsam Rande erwähnt – Finanzspekulanten, die mit demHunger der Menschen spekulieren und aus den Lebens-bedingungen der ärmsten Bauern dieser Erde Profitschlagen wollen. Diesem Treiben sollten wir alle hier imBundestag die rote Karte zeigen; denn dem muss einEnde gesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der LINKEN)

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Dr. Sascha Raabe

Ich betrachte die Finanzspekulanten als eine Gruppe,die zur Nahrungsmittelkrise beigetragen hat, da siedurch Spekulationen auf Weizen und andere Nahrungs-mittel die Preise in die Höhe getrieben hat. Man mussaber auch auf diejenigen schauen, die Landkäufe tätigen,um ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. Gerade wur-den China und Korea angesprochen. Die Regierungendieser Länder haben Angst, dass sie ihre Bevölkerungnicht mehr ernähren können. Es ist aber der falsche Weg,dem durch eine Art Neokolonialismus entgegenzuwir-ken und zum Teil sogar selbst Arbeiter in diese Länderzu schicken, um ohne langfristige nachhaltige Perspek-tive den Boden auszubeuten.

Denn oft werden nach Ablauf der Pacht ausgebeuteteBöden und kaputtes Land zurückgelassen. Die Men-schen vor Ort haben dann gar keine Möglichkeit mehr,diese Felder und Äcker nachhaltig weiter nutzen zu kön-nen. In dem Sinne sind dort Investitionen von ausländi-schem Direktkapital, die wir den Entwicklungsländernin anderen Sektoren durchaus wünschen, sicherlich ge-fährlich. Das sollte unterbunden werden.

Die Frage ist allerdings, wie wir des Problems Herrwerden können; denn eine Sache ist es, vom Bundestagaus einen Appell zu richten – es ist gut, dass aufgrunddes Antrags der Grünen dieses Thema auf die Tagesord-nung gesetzt worden ist –, eine andere Sache ist es, wiewir tatsächlich verhindern können, dass so etwas ge-schieht. Auch da müssen wir unterscheiden. Es gibt kor-rupte Regierungen, die Verträge vermeintlich zumWohle der eigenen Bevölkerung abschließen. So wirdbehauptet, die Pachtverträge kämen der eigenen Bevöl-kerung zugute, indem sie zu Investitionen und der Ver-mittlung von Know-how führen. Diese Regierungen ste-cken das Geld aber oft in die eigene Tasche. Ich glaube,wir können nur Erfolg haben, wenn wir auf UN-Ebenemit einem Rat für ökonomische, ökologische und sozialeEntwicklung, wie ihn Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vorgeschlagen hat und wie er im Regierungspro-gramm meiner Partei steht, die Möglichkeit bekommen,sogenannte sittenwidrige Verträge auch auf internationa-ler Ebene im Nachhinein für ungültig zu erklären, weildie Verträge nicht im langfristigen Interesse der Bevöl-kerung sind, auch wenn sie von einer Regierung abge-schlossen worden sind, die demokratisch gewählt wurde.Das kann aber nur in Extremfällen so sein; denn es istauch klar, dass wir die Eigenverantwortung der Länderrespektieren müssen, wenn wir Demokratie fördern wol-len.

Damit komme ich zu der Frage, was wir machen kön-nen, um in diesen Ländern Landreformen zu fördern unddie Demokratie zu stärken. In diesem Zusammenhangmöchte Sie an den Antrag erinnern, den wir AnfangMärz dieses Jahres hier beschlossen haben. Manchmalist es gut, nicht ständig neue Anträge zu stellen. Das istmeine einzige Kritik an Teilen des Antrags der Grünen.Dort werden Dinge aufgegriffen, die wir erst vor einigenMonaten hier beschlossen haben. Ich finde es gut, dasswir es uns im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung zur Übung gemacht haben, im-mer wieder zu kontrollieren, was von den Anträgen, diewir beschlossen haben, umgesetzt wird. Ich möchte zum

Abschluss zitieren, was wir mit unserem Antrag derBundesregierung mit auf den Weg gegeben haben. Dortwird die Bundesregierung aufgefordert,

demokratische Agrar- und Bodenreformen in Ent-wicklungsländern verstärkt zu unterstützen, indemsie im Politikdialog mit Regierungen der Partner-länder für derartige Reformen eintritt und in dermultilateralen Entwicklungszusammenarbeit dieAbstimmung und Verabschiedung freiwilliger Leit-linien zu Bodenpolitik, Landrechten und nachhalti-ger Landnutzung vorantreibt. Insbesondere sind imRahmen der bilateralen Entwicklungszusammen-arbeit die Förderung demokratischer Landverfas-sungsreformen, sozial verträglicher Landverteilungund die rechtliche Sicherung des Landzugangs oder-eigentums – insbesondere für Frauen – sowie dieFörderung effizienter Katasterwesen durch finan-zielle Unterstützung und Beratungsmaßnahmenauszubauen.

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Raabe, Sie können weitersprechen, dann aber

auf Kosten Ihres Kollegen.

Dr. Sascha Raabe (SPD): Das wollen wir nicht tun. In dem Sinne möchte ich

nur empfehlen: Lassen Sie uns den Antrag, den wir imMärz beschlossen haben und der alles vom gerechtenHandel bis hin zur Förderung von Landreformen be-inhaltet, ernst nehmen und umsetzen. Dann, so glaubeich, können wir Land-Grabbing verhindern und denMenschen in den ländlichen Regionen zu einem aus-kömmlichen Einkommen verhelfen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU –Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dr. Raabe istder Beste!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Hüseyin-

Kenan Aydin das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir nehmen zur Kenntnis, dass es weltweit bereits über900 Millionen Menschen gibt, die hungern. Landloseund landarme Bauern in den Ländern des Südens ma-chen 70 Prozent der Hungernden aus. Die Jagd nachAgrarland, über die wir heute sprechen, hat nicht erst indiesem Jahr begonnen. Aber die Nahrungsmittelkrise,der Boom bei Agrartreibstoffen und die Finanzkrise ha-ben diese Entwicklung massiv verstärkt. Es begann eineBieterschlacht um verfügbares Land. Vor allem dieErdöl produzierenden arabischen Staaten, aber aucheuropäische und asiatische Konzerne brauchen mehrLand, um Nahrungsmittel und Energiepflanzen anzu-bauen. In Ländern wie Madagaskar, Uganda, Sudan,Mali, Brasilien oder Indonesien werden zurzeit Flächen

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Hüseyin-Kenan Aydin

verkauft oder verpachtet. Um Ausfuhrstopps zu umge-hen, werden oft intransparente Verträge abgeschlossen.Ein saudischer Geschäftsmann bestätigt, dass in den Ver-trägen ein geringer Prozentsatz für die lokalen Märktevorgesehen ist, „um sicherzustellen, dass Land undLeute uns keine Probleme bereiten.“ Das ist zynisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Landraub ist ein schamloses Ausnutzen der Krisen-situation von Menschen, von Gesetzeslücken und vonnationalen Konflikten. In vielen Ländern sind die Land-rechte vor allem der indigenen Bevölkerung ungeklärt.In Krisengebieten wie im Kongo oder im Sudan verlas-sen Menschen auf der Flucht ihr Land und können keineBesitzansprüche erheben.

Auch die Entwicklungspolitik hat den Kampf umLand verschärft. Das 1,2-Milliarden-Dollar-Programmder Weltbank als Reaktion auf die Krise 2008 beinhaltetmarktorientierte Reformen des Bodenrechts. Das bedeu-tet die direkte Bevorzugung von exportorientiertenGroßkonzernen. Die ärmeren Bauern verkaufen ihrLand, verführt durch für hiesige Verhältnisse hohe Land-preise oder gezwungen durch Schulden und fehlendePerspektiven.

Der Antrag der Grünen greift viele wichtige Punkteauf, um Landraub zu beenden und eine gerechte Land-verteilung in den Ländern zu unterstützen. In der bilate-ralen Entwicklungszusammenarbeit muss eine Gewähr-leistung des Menschenrechts auf Nahrung und gerechteLandreformen unbedingte Priorität haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich warne eindringlich davor, Land zu einer handelbarenWare zu machen. Die Eigenversorgung mit Grundnah-rungsmitteln muss oberste Priorität haben.

Das mosambikanische Landgesetz ist eine gute Vor-lage, der andere Länder folgen können. Darin werden dieLandrechte der Subsistenzbauern – das sind fast 60 Pro-zent der Bevölkerung – gesetzlich abgesichert. Der Staatvergibt Landnutzungsrechte auch an Gruppen, die denBoden seit mindestens zehn Jahren bewirtschaften. Be-vor ein Titel an einen Investor vergeben wird, muss dieBevölkerung der Vergabe zustimmen. Dieses Gesetz istsehr fortschrittlich. Wir sollten es unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Kollegen der CDU/CSU meinen, der vorliegendeAntrag setze falsche Schwerpunkte. Die Regierung habekeinen Einfluss auf Verträge zwischen Entwicklungslän-dern und Investoren, heißt es auf ihrer Homepage. Dasist ebenso falsch wie fadenscheinig. Der Fall des bilate-ralen Investitionsabkommens zwischen Deutschland undParaguay beweist das Gegenteil.

Viele haben dort Land aus Spekulationsgründen ge-kauft, unter ihnen auch Deutsche. Eine indigene Ge-meinschaft im Chaco-Gebiet fordert seit 1991 die Rück-gabe ihres traditionellen Territoriums, das sich im Besitzdes deutschen Großgrundbesitzers Roedel befindet. So

macht sich Deutschland zum Komplizen von staatlicherZwangsräumung und Menschenrechtsverletzung.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wirden Antrag der Grünen, mit dem sie auf dem richtigenWeg sind, unterstützen. Ich hoffe, dass sich die Kollegin-nen und Kollegen von CDU/CSU und SPD im Rahmender Ausschussberatungen ebenfalls bereit erklären, die-sen Antrag zu unterstützen.

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wodarg für die

SPD-Fraktion.

Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Wir haben es hier wieder mit Fällen von Ausbeu-tung zu tun. Die Länder, die ausgebeutet werden, sindimmer dieselben. Es sind Länder, die sich nicht wehrenkönnen. Sie werden ausgebeutet in ihren Rohstoffen.Wenn man zum Beispiel im Kongo die Diamanten unddas Gold abtransportiert, ohne dass die Bevölkerung et-was davon hat, dann ist das eine schlimme Form derAusbeutung. Diese Ausbeutung wird von den dortigenRegierungen toleriert. Die Regierungen und die einzel-nen Personen in den Regierungen verdienen selbst da-ran. Sie sind korrupt.

Wir sehen hier eine neue Form der Ausbeutung. Wirsehen, dass nicht nur die Rohstoffe aus der Erde entnom-men werden. Nicht nur das Öl, nicht nur die Diamantenwerden genommen, die Erde selbst wird genommen. Dasist besonders schlimm, weil die Menschen in diesenLändern nicht einmal mehr in der Lage sind, sich selbstihre Nahrung zu erzeugen. Weil sie verjagt werden, wirdihnen die Chance genommen, das zu tun, was sie nochkönnen und wissen, sich mit Saatgut selbst etwas zu es-sen zu produzieren. Das ist eine besonders schlimmeForm der Ausbeutung.

Dass sie stattfindet, hat verschiedene Gründe; wir ha-ben davon schon gehört. In einigen Staaten hat manAngst, dass die Bevölkerung zu wenig zu essen hat. Dortgibt es ein starkes Bevölkerungswachstum; häufig istihre Fläche klein. Diese Angst besteht in einigen asiati-schen Staaten; Südkorea und China sind Beispiele dafür.Diese Form der Ausbeutung findet aber auch durch Staa-ten statt, in denen es eigentlich genug zu essen gibt; dortisst man sogar zu viel, was häufig gesundheitliche Pro-bleme bereitet: Viele sind zu fett.

Wir sind auch an dieser Ausbeutung beteiligt, weilwir landwirtschaftliche Produkte, die dort angebaut wer-den, importieren. Das ist unverantwortlich. Das heißt,wir sind wieder einmal der Motor für diese Ausbeutung.Die British East India Company, die Britische Ostindien-Kompanie, war ein Wirtschaftsunternehmen, das das in-dische Volk mit Gewalt geknechtet hat. So etwas gibt es

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Dr. Wolfgang Wodarg

jetzt wieder. Kompanien dieser Art bedienen sich auchprivater Militärfirmen. Sie sorgen oft sogar mit Gewaltfür ihre Interessen. Sie sind verantwortlich dafür, dassMenschen mit Gewalt verjagt werden. Derartige Dienst-leistungen kann man heutzutage kaufen. Wir haben die-ses Thema kürzlich auch hier im Bundestag behandelt.

Diese Entwicklung führt dazu, dass staatliche Verant-wortung und Kohäsion in einer Bevölkerung durch Men-schen zerstört werden, die von außen in das Land kom-men. Das ist völkerrechtlich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKENund dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowiedes Abg. Dr. Peter Jahr [CDU/CSU])

Es gibt Regelungen in vielerlei Hinsicht: Es gibt dasRecht auf Nahrung. Es gibt auch das Recht auf Heimat.Man darf von dort, wo man wohnt, nicht vertrieben wer-den. Es gibt auch das Recht auf Teilhabe an der Gesell-schaft. Das gehört implizit und sogar explizit zu denMenschenrechten.

Es gibt folgendes Problem: Die komplexen Formender Landnahme, das Enteignen ganzer Bevölkerungs-schichten, werden vertraglich so geregelt, dass wirmanchmal machtlos sind. Ich erinnere an die Debatte,die wir heute Morgen über Steuerhinterziehung geführthaben. Wir haben darüber gesprochen, dass es in EuropaStaaten gibt, die als Hehler davon profitieren, dass es beiuns Steuerdiebe gibt. Diesen Staaten geht es gut, weil siesich als Hehler das Geld aneignen, das bestimmte Leutediesem Staat, dieser Gesellschaft wegnehmen. So ähn-lich ist es da auch. Wir, Deutschland und andere reicheStaaten, sind auch eine Art Hehler, weil wir zum Bei-spiel das Coltan dieser Länder nachfragen, weil wir esihnen abnehmen, um es zu verbrauchen. Wir wissen ge-nau: Dieses Gut wird diesen Ländern gestohlen. Dahermüssen wir uns auch an die eigene Nase fassen.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Problembewusst-sein in der Bevölkerung stärker wird: Wir brauchen ei-nen fairen Handel;

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wir müssen fair mit den Menschen umgehen. Ich freuemich, dass es in Deutschland Städte gibt, die diesen An-satz sogar zu einem kommunalen Programm machen.Sie „scannen“ ihre Händler und schauen, ob es Lädengibt, in denen Waren verkauft werden, bei deren Erwerbman eigentlich ein schlechtes Gewissen haben müsste.

Das ist ein Modell, mit dem wir selbst etwas tun kön-nen. Wenn wir ihm folgen, unterstützen wir durch unsereKonsumgewohnheiten die verbrecherischen Handlungs-weisen, die es auf der Welt gibt, nicht. Wir müssengleichzeitig internationale Regeln schaffen, und wirmüssen aufpassen, dass wir selbst nicht der Motor fürdiese negative Entwicklung sind.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 16/12735 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausBrähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-PeterFriedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSUsowie der Abgeordneten Annette Faße, RenateGradistanac, Siegmund Ehrmann, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD

Tourismuskooperation und Jugendaustauschmit den neuen EU-Staaten fördern

– Drucksache 16/12730 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus (f)Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: JürgenKlimke aus der Unionsfraktion, Renate Gradistanac ausder SPD-Fraktion, Jens Ackermann aus der FDP-Frak-tion, Dr. Ilja Seifert für die Fraktion Die Linke undBettina Herlitzius für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen.

Jürgen Klimke (CDU/CSU): Wir feiern in diesem Jahr nicht nur den zwanzigsten

Jahrestag des Falles der Berliner Mauer und jener Ereig-nisse, die zur Wiedervereinigung Deutschlands geführthaben, sondern wir begehen auch den 20. Jahrestag derfriedlichen Revolutionen in den damaligen Staaten desWarschauer Paktes und des Falles des Eisernen Vorhangsüberall in Europa. Heute sind die meisten Staaten Ost-europas bereits Mitglied der EU, teilweise im Schengen-Raum integriert und haben den Euro als Zahlungsmittel.In der Geschichte Europas wird die jahrzehntelangeTrennung, vor allem aber ihre Überwindung immer einehistorische Zäsur bilden.

Genauso wie wir in Deutschland jedoch an mancherStelle immer noch um die Vollendung der inneren Einheitringen, so ist es auch immer noch wichtig, dass wir auchin Gesamteuropa das Zusammenwachsen und – imwahrsten Sinne des Wortes – die Völkerverständigung vo-ranbringen. Diese Verständigung ergibt sich nicht alleinaus Verträgen und Sonntagsreden von uns Politikern,sondern aus dem gegenseitigen Kennenlernen durch Be-

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24101

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Jürgen Klimke

suche in den jeweiligen Staaten. Das kann im Rahmen desTourismus geschehen, nachhaltiger wirken jedoch Aus-tauschprogramme und grenzübergreifende Kooperatio-nen. Und dabei liegt es natürlich auf der Hand, dass hierpolitische Rahmenbedingungen und auch das Bereitstel-len von Fördermitteln eine wichtige Rolle spielen.

Im Tourismus mit den neuen EU-Staaten ist eine bei-derseitig positive Entwicklung zu verzeichnen. Waren esanfangs vor allem deutsche Touristen, die aus Neugieroder wegen des guten Preis-Leistungs-Verhältnisses indie Staaten Ost- und Südosteuropas reisten, werden dieseStaaten – unter anderem durch steigende Einkommen –auch als Quellmärkte des Deutschlandtourismus immerwichtiger. Eine besondere Rolle kommt dabei Polen zu,das wegen seiner großen Bevölkerung und der benach-barten Lage in dieser Hinsicht die größten Potenzialebietet. Das hat die Deutsche Zentrale für Tourismus be-reits erkannt und den polnischen Markt zu einem Schwer-punkt für die Auslandsvermarktung des ReiselandesDeutschland gemacht.

Es besteht aber auch eine Vielzahl gemeinsamer tou-ristischer Chancen mit unseren Nachbarländern Polenund Tschechien, die durch grenzüberschreitende Koope-rationen genutzt werden können. Wichtige Tourismusre-gionen wie zum Beispiel der Naturraum des Odertals, derMuskauer Park, die Sächsische und die BöhmischeSchweiz, das Erzgebirge, der Bayerische Wald und derBöhmerwald sowie die Städte Frankfurt/Slubice und Gör-litz/Zgorzelec sind grenzübergreifend. Eine gemeinsameErschließung, Entwicklung und Vermarktung ist in diesentouristisch interessanten Regionen sinnvoll und wirdauch schon in unterschiedlicher Intensität und mit unter-schiedlichem Erfolg praktiziert. Schließlich können damitMittel gebündelt und durch gemeinsame Vermarktungeine größere Außenwirkung in beide Staaten bzw. sogarDrittstaaten erreicht werden.

Der Tourismusausschuss des Deutschen Bundestageshat im Rahmen einer öffentlichen Anhörung diese grenz-übergreifenden Kooperationen mit ihren positiven Effek-ten und den Problemen bei der Kooperation aus ersterHand kennengelernt. Die Dokumentation dieser Anhö-rung soll den Bundesländern zur Verfügung gestellt wer-den, damit der Aufbau und die Entwicklung von grenz-überschreitenden Partnerschaften von den bisherigenErfahrungen profitieren können.

Ein Problem, das von fast allen Teilnehmern der An-hörung angesprochen wurde, betrifft die Förderpro-gramme der Europäischen Union, die ein geeignetes In-strument für eine Unterstützung solcher Kooperationendarstellen: Hier sind die Programme offenbar nicht aus-reichend auf grenzübergreifende Antragsteller ausge-richtet. Für eine Anpassung der Mittelbeantragung andiese speziellen Bedürfnisse fordern wir deshalb in unse-rem Antrag auch den Einsatz der Bundesregierung ge-genüber der EU. Zudem sollte die Bundesregierung ver-stärkt als Türöffner bei der Suche nach Ansprechpartnernjenseits der Grenze fungieren und bei auftretenden Hin-dernissen unterstützend tätig werden.

Selbstverständlich beschränken sich Kooperations-möglichkeiten nicht auf Regionen, sondern sind eine

wichtige Herausforderung für Schulen, Berufsschulen,Hochschulen und gesellschaftliche Gruppen. Diese Part-nerschaften – zu denen ich ausdrücklich auch Städte-partnerschaften zähle – bringen die Menschen aus den je-weiligen Ländern zusammen, fördern das Verständnisfüreinander und können nicht zuletzt auch den Tourismusfördern. Dies hat auch die Konferenz zu Städtepartner-schaften und Tourismus, die kürzlich unter Federführungvon Ernst Hinsken im Bundeswirtschaftsministeriumdurchgeführt wurde, eindrucksvoll bewiesen. Im Rahmengrenzübergreifender Ausbildungsgänge stellen geradeBerufsschul- und Hochschulkooperationen einen Wettbe-werbsvorteil für die Absolventen dar, die dadurch mehrAngebote nutzen können und die Gegebenheiten in zweiStaaten kennenlernen. Die gegenseitige Anerkennung derAbschlüsse erhöht sowohl die Chancen der Absolventenauf dem Arbeitsmarkt als auch den Fachkräftepool für dieUnternehmen.

Eine ganz besondere Bedeutung beim Zusammen-wachsen des „alten“ mit dem „neuen“ Europa hat fürmich der Jugendaustausch. Ich bin fest davon überzeugt,dass das Deutsch-Französische Jugendwerk mindestenseinen ebenso großen Beitrag zur Versöhnung Deutsch-lands mit Frankreich geleistet hat wie die von den Regie-rungen geschlossenen Verträge. Eine ähnliche Bedeutunghat sicher das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das seitdem Fall des Eisernen Vorhangs den größten Teil des Ju-gendaustauschs zwischen Deutschen und Polen trägt.Gerade die Versöhnung zwischen Deutschen und Polenhat eine ähnliche Bedeutung wie jene mit Frankreich,denn die Wunden der Geschichte wirken teilweise nochbis heute fort. Nur wer den jeweiligen Nachbarn aus ei-gener Anschauung kennt, weiß, dass Klischees über dievermeintliche wirtschaftliche Rückständigkeit Polensnicht stimmen.

Wenn gegenseitige Ressentiments zwischen Deutschenund Polen in den letzten zwanzig Jahren abgebaut wur-den, ist es vor allem dem gegenseitigen Kennenlernen derMenschen zu verdanken, die sich ein eigenes Bild machenkonnten. Jugendaustausch hat für die Austauschschülerpositive Effekte nicht nur für die Sprachkenntnisse, son-dern auch für das Verständnis anderer Kulturen, andererAuffassungen und Herangehensweisen. Austausch ver-mittelt nicht zuletzt eine andere, äußere Sicht auf eigeneAuffassungen und Werte sowie auf unser demokratischesSystem in Deutschland. Fast immer regt die Teilnahme aneinem Austauschprogramm deshalb zum verstärktenpolitischen Denken, vielleicht auch zu mehr Engagementin der Politik an.

Die positiven Auswirkungen belegt auch eindrucksvolleine Studie über „Langzeitwirkungen der Teilnahme aninternationalen Jugendbewegungen auf die Persönlich-keitsentwicklung der TeilnehmerInnen“, die unter Feder-führung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- undJugendbildung über einen Zeitraum von zweieinhalb Jah-ren durchgeführt wurde. Wirkungen des Jugendaus-tauschs sind demnach eine Stärkung von Selbstvertrauenund Selbstsicherheit, eine größere Offenheit, Flexibilitätund Gelassenheit, Förderung der interkulturellen Identi-tätsbildung, Stärkung sozialer Kompetenzen sowie natür-lich die Vertiefung der Fremdsprachenkenntnisse. Für

Zu Protokoll gegebene Reden

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viele Jugendliche waren die Erfahrungen sogar Anstoßfür bürgerschaftliches Engagement. Besonders bedeut-sam ist dabei der Jugendaustausch über einen längerenZeitraum. Deshalb setzen wir uns mit unserem Antrag da-für ein, dass der Jugendaustausch auch in wirtschaftlichschwierigen Zeiten die nötige Unterstützung des Bundesund der Länder erhält, weil er eine so nachhaltige Wir-kung auf das Zusammenwachsen Europas und die gesell-schaftliche Entwicklung in unserem Land hat.

Vor diesem Hintergrund bin ich sehr froh, dass es unsgelungen ist, in unserem Antrag die Forderung nach mehrLangzeitaustauschprogrammen zu verankern, die durchden längeren Zeitraum natürlich stärker und nachhalti-ger wirken. Zudem weiß ich aus persönlichen Berichtenvieler Teilnehmer an Austauschprogrammen, dass einZeitraum von drei oder sogar sechs Monaten als zu kurzempfunden wird, weil man sich gerade in die Gastfamilieund die Gegebenheiten des Gastlands eingelebt undFreundschaften geknüpft hat. Deshalb benötigen wirmehr einjährige Austauschprogramme wie das Parla-mentarische Patenschaftsprogramm zwischen Deut-schem Bundestag und Kongress der Vereinigten Staaten,das ich schon seit Jahren durch Benennung von Stipen-diaten aus meinem Wahlkreis unterstütze. Warum nichtein vergleichbares Programm mit den neuen EU-Staatenbzw. den europäischen Staaten, die noch nicht in der EUsind, initiieren?

Bei der Möglichkeit, an Austauschprogrammen teilzu-nehmen, gibt es große regionale Unterschiede. So beste-hen vor allem mit den Staaten Südosteuropas, die nochnicht Mitgliedstaaten der EU sind, kaum Austauschpro-gramme. Dabei ist hier der Bedarf am größten. Wir soll-ten die jungen Menschen aus Serbien, Kroatien, Monte-negro, Albanien, Kosovo, Mazedonien, Bosnien in dembestimmt bei vielen vorhandenen Wunsch unterstützen,Deutschland kennenzulernen. Mittel- und langfristig wirddas sowohl das Zusammenwachsen Europas stärken alsauch einen wirtschaftlichen Nutzen haben, wenn die zu-künftigen Eliten dieser Länder sich durch entsprechendeStipendien ein eigenes Bild von Deutschland machenkonnten. Im Gegenzug ist es natürlich auch in unseremInteresse, dass möglichst viele Deutsche die Länder Süd-osteuropas, die vielleicht in wenigen Jahren auch Mit-gliedstaaten der EU werden, aus eigener Anschauungkennenlernen.

Wir möchten aber nicht beim Jugendaustausch stehen-bleiben. Es geht vielmehr auch um die Begegnung vonsoziodemografischen Gruppen. GrenzübergreifendeSportveranstaltungen, Treffen von Jugendfeuerwehren,Tagungen von Berufsgruppen oder Vereinstreffen mitähnlichen Schwerpunkten knüpfen ebenfalls ein Netzwerkvon Freundschaften, das letztlich zum Abbau der Grenzenin den Köpfen beiträgt. Auch hier kann Politik auf allenEbenen im Kleinen wie im Großen unterstützen und Hin-dernisse beiseite räumen.

Die europäische Einigung lebt davon, dass sie von denMenschen der europäischen Staaten getragen wird. Las-sen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass hier möglichstviele Menschen zu Überzeugungstätern werden. Unter-stützen wir gemeinsam auch weiterhin Jugendaustausch

und Partnerschaften in Europa und darüber hinaus! Un-ser Antrag „Tourismuskooperation und Jugendaustauschmit den neuen EU-Staaten fördern“ soll dazu einen klei-nen Beitrag leisten.

Renate Gradistanac (SPD): Mit diesem Antrag verknüpfen wir, was zusammenge-

hört. Jugendaustausch schafft die Grundlage langfristi-gen touristischen Interesses. Die BKJ-Studie aus demJahr 2005 hat uns deutlich vor Augen geführt: Wer als Ju-gendlicher in ein Land reist, kehrt dorthin wieder einmalzurück. So stärkt der Austausch nicht nur den Auslands-tourismus, sondern liegt ganz im Interesse einer langfris-tigen Wachstumsstrategie des Deutschland-Tourismus.Wir begeistern junge Leute so für unser Land und werbendamit nicht nur für unsere touristischen Ziele. Damit Ju-gendaustausch aber touristisch und persönlichkeitsbil-dend wirksam werden kann, müssen die Strukturen dafürbestehen und gut genutzt werden können.

Jeder Wirtschaftsbereich lernt gerade die neuen EU-Mitglieder kennen oder orientiert sich auf die noch neuenMärkte. Das gilt insbesondere in einem Europa der Re-gionen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit in dengrenznahen Gebieten. Hier ist grenzüberschreitenderHandel und wirtschaftliche Verflechtung seit langem All-tag. Es ist nun kaum erklärbar, warum wir ausgerechnetden Wirtschaftsfaktor Tourismus nicht im selben Bemü-hen unterstützen sollten. Es ergibt sich schon fast vonselbst, unsere Kenntnisse und Erfahrungen, die nicht zu-letzt in der Anhörung deutlich wurden, den Bundeslän-dern zur Verfügung zu stellen und sie bei Umsetzungs-strategien zu unterstützen. Sicherlich ist hier schon vielgeschehen, das Engagement der Länder muss auch ge-würdigt werden. Wir müssen aber die Voraussetzungenfür wirksame, grenzüberschreitende Tourismuskoopera-tionen schaffen. Hierbei ist es ebenso unsere Pflicht, unsauf europäischer Ebene für eine weitere Förderung dergrenzüberschreitenden Regionen einzusetzen.

Grenzüberscheitende Zusammenarbeit darf aber nichtden weiteren Blick auf die „Neuen“ überdecken. Auchden Staaten an den südosteuropäischen EU-Außengren-zen müssen wir die Hand reichen, ihnen unser Interessezeigen und ihre jungen Menschen nach Deutschland ein-laden. Damit wollen wir die europäische Idee konkretisie-ren und ganz praktisch in die Tat umsetzen.

Allerdings ist der Wirtschaftsfaktor Tourismus zuRecht nur ein Ansatzpunkt unseres Antrags. Jugendaus-tausch stellt für viele Jugendliche eine der vielleicht we-nigen Reisemöglichkeit unabhängig vom Geldbeutel derEltern dar. Die Lebenswelt Gleichaltriger kennenzuler-nen ist ein wesentliches Element des Heranwachsens.Das gilt sowohl für zeitlich beschränkte Anlässe und stär-ker natürlich noch für Freiwilligendienste, deren Ausbaufür die osteuropäischen Nachbarn wir fordern.

Schlüsselkompetenzen in einer zusammenwachsendenWelt sich anzueignen ist die vielleicht wichtigste Aufgabeder heutigen jungen Menschen. Hierin besteht die eigent-liche Zukunftssicherung. Es stimmt mich froh, dass unserKoalitionspartner auch zu der Einsicht gekommen ist,dass interkulturelle Kompetenz mehr bedeutet als Pizza,

Zu Protokoll gegebene Reden

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Döner oder Sushi essen. Interkulturelle Kompetenz be-ginnt mit dem Interesse für das andere. Diese Neugierjunger Menschen müssen wir forcieren und unterstützen.Junge Menschen können nicht zu wenig Auslandserfah-rung sammeln, sei es durch Gruppenaustausch, Freiwil-ligendienste oder die EU-Programme für junge Studie-rende.

Zudem sehen wir uns einem unerfreulichen Phänomengegenüber, dem wir mit dem direkten Kontakt jungerMenschen begegnen müssen: Gleich mehrere Studien ha-ben belegt, dass auch ein Teil der jungen Menschen nachwie vor für rassistische, homophobe und diskriminie-rende Ideologien aufgeschlossen ist. Nicht nur inDeutschland, rassistisches und faschistisches Gedanken-gut ist in vielen Teilen Europas immer noch vorhanden.Gegensteuern! lautet die Devise, nach der das demokra-tische Gemeinwesen zu handeln hat. Jugendaustausch istda sicherlich weder der alleinige noch der Königsweg.Aber die direkte Auseinandersetzung mit dem Fremden,also fremdsprachigen Menschen oder Lesben, Schwulenoder Andersdenkenden, baut Vorurteile und vorhandeneRessentiments ab. Auch hier gilt es, die Idee eines freien,auf Antidiskriminierung beruhenden Europas immer undimmer wieder in die Tat umzusetzen.

Deshalb fordern wir die Bundesregierung und die zu-ständigen Ministerinnen und Minister mit diesem Antragdefinitiv dazu auf, deutlich aktiver zu werden, weil es un-sere Pflicht ist, jungen Menschen Chancen zu eröffnenund ihnen jeden Weg für eine chancengleiche Zukunft zuebnen. Die Grundlage unseres Handelns folgt den Ge-danken der amerikanischen LiteraturnobelpreisträgerinPearl Buck: „Die Jugend soll ihre eigenen Wege gehen,aber ein paar Wegweiser können nicht schaden.“

Jens Ackermann (FDP): Den Jugendaustausch zu fördern, sollte unser aller

Ziel sein, denn gerade Jugendliche sind unsere Zukunft.Sie wirken in unserer stark vernetzten Welt als Multipli-katoren und können so in nicht zu unterschätzender Weiseden Tourismusstandort Deutschland heute und zukünftigenorm stärken. Die Jugendlichen von heute sind Touris-ten von morgen.

Wir als FDP-Fraktion begrüßen den Fokus des Koali-tionsantrages auf die neuen EU-Staaten sehr. Gemeinsa-mes Ziel von Politik, Verbänden, Tourismuswirtschaft undden reisenden Jugendlichen muss sein, den Prozess derAnpassung und des Zusammenwachsens innerhalb derEU voranzutreiben. Dies kann nur passieren, wenn maneinander zuhört. Jugendliche haben andere Bedürfnisseals zum Beispiel ältere Menschen. Es gilt diese zu erken-nen und passende Angebote zu unterbreiten. Ich erinneremich noch an die großartigen Ideen der Gastwirte zurWM in unserem Land, wie zum Beispiel das PublicViewing in der kleinsten Eckkneipe.

Gerade deutsche Reiseunternehmen können durch dassteigende Interesse Jugendlicher am Austausch mit demöstlichen Europa stark profitieren. Es verbirgt sich im Be-reich des Jugendaustausches ein großes Potenzial für dieTourismusbranche in ganz Deutschland. Leider wird dasPotenzial, das auch im Antrag der Koalition benannt

wird, durch die aktuelle schlechte Finanzpolitik der Bun-desregierung negativ beeinflusst. Wir können den Touris-mus nur mit den richtigen Rahmenbedingungen weiterstärken.

Es ist nicht fair, die deutschen Gastronomen und Ho-teliers weiterhin dem ungleichen Wettbewerb mit ihrenKollegen jenseits der Grenzen auszusetzen. ReduzierteMehrwertsteuersätze in Europa für die Hotellerie undGastronomie sind mittlerweile der Normalfall. Warumbeschließt der Finanzminister etwas für Europa, wasdann den Deutschen vorenthalten wird? Damit setzt dieKoalition Arbeitsplätze aufs Spiel. Die FDP-Fraktionfordert einen Mehrwertsteuersatz in Höhe von 7 Prozentfür den Bereich der Gastronomie/Hotellerie und somitgleiches Recht für alle in der EU. Für den Bereich derEinführung reduzierter Mehrwertsteuersätze für Hotelle-rie und Gastronomie trifft der erste Punkt im Forderungs-katalog Ihres Antrages auch nicht mehr zu. Die EU gibtuns jetzt die Möglichkeiten, der gesamten Branche zu hel-fen. Das Problem ist nicht die EU, sondern CDU, CSUund SPD, weil die Bundesregierung sich weigert, dieseSpielräume im EU-Recht in Deutschland zu nutzen. Da-mit schadet die Bundesregierung der heimischen Hotelle-rie und Gastronomie. Das ist für die FDP-Bundestags-fraktion völlig inakzeptabel. Vor allem die Union mussendlich ihren vielen Worten Taten folgen lassen, um nichtweiter an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Im Antrag der Koalition wird von Chancen gesprochen,doch bisher hat die Bundesregierung die Tourismusbran-che mit ihren Konjunkturpaketen nicht erkennbar gestärkt.Die Bundesregierung hat den Tourismussektor in ihrenKonjunkturpaketen vergessen! Vielmehr wurden die tou-rismuspolitischen Rahmenbedingungen zum Beispiel mitder Unternehmensteuerreform in 2008 durch die Hinzu-rechnung von Mieten, Pachten etc. bei der Gewerbe-steuer und der Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozentzum 1. Januar 2007 massiv verschlechtert. Diese touris-musfeindliche Politik der Bundesregierung muss mit dersich verschärfenden Wirtschaftskrise endlich ein Endehaben. Wie soll man auf der einen Seite den Jugendaus-tausch fördern, wenn man auf der anderen Seite die Un-ternehmer, die den Austausch organisieren sollen, derartmassiv behindert? Im Antrag ist der Ausbau der länder-übergreifenden Tourismuskooperationen aufgeführt, einschöner Gedanke. Aber auch hier gilt, dass gerade in denGrenzregionen ein Tourist – egal ob jung oder alt – sichnur vom Geldbeutel leiten lassen wird.

Der ganze Antrag ist zwar grundsätzlich in Ordnung,aber in seiner Ausformulierung ein typischer schwammi-ger Antrag der CDU/CSU und SPD. Ein recht umfangrei-cher 21-Punkte-Forderungskatalog wird vorgelegt, deraber leider wieder mal recht unkonkret ist. Natürlich istes mehr als wichtig, Projekte zum Jugendaustausch zufördern und „bei der Lösung von eventuellen Problemenbehilflich zu sein“. Aber wie diese Hilfe aussehen solloder wer sie bezahlen soll, ist in diesem Antrag natürlichnicht zu erkennen.

Das beste Konjunkturpaket für den Tourismus und da-mit auch für den Jugendaustausch wäre die längst über-fällige Steuerreform. Ein niedriges, einfaches und ge-

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rechtes Steuersystem ist die beste Gewähr dafür, dass sichdas Arbeitsplatzpotenzial in der Tourismuswirtschaftendlich entfalten kann und der Jugendaustausch mit denneuen EU-Staaten gefördert wird.

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Das Gute zuerst: Die Fraktionen von CDU/CSU und

SPD bringen einmal von sich aus das Thema Jugendaus-tausch in den Bundestag und verweisen im letzten Absatzihres Feststellungsteils auch auf die Einbeziehung vonJugendlichen mit Behinderungen.

Bisher war es so, dass, wenn Die Linke über die För-derung von Kinder- und Jugendtourismus sowie Schul-fahrten sprach, die Bundesregierung und deren Koali-tionsfraktionen sich für nicht zuständig erklärten und aufdie Länder verwiesen. Dies rächt sich nun. Ihr Antrag– der der Koalition – zeugt von Anfang bis Ende von un-glaublicher Ahnungslosigkeit. Viele Ihrer 21 Forderun-gen an die Bundesregierung sind absurd, schwammigoder unverständlich. Das beginnt gleich bei der ersten,wo Sie die Bundesregierung auffordern, „sich bei der EUfür eine Wettbewerbsgleichheit der Rahmenbedingungenfür Tourismusunternehmen einzusetzen“.

Über finanzielle Auswirkungen Ihrer 21 Forderungenschweigen Sie ebenso wie in vielen anderen Ihrer bishe-rigen Anträge zur Tourismuspolitik in dieser Wahl-periode. Warum wohl? Man merkt, dass Sie sich mit derThematik bisher nicht bzw. kaum beschäftigt haben.

Auch der Versuch, zwei völlig unterschiedliche The-men – die Tourismuskooperation in grenznahen Regionenund den internationalen Jugendaustausch – in einem An-trag zu verpacken, ist Ihnen nicht gelungen.

Die vielen Hinweise und Vorschläge aus der vom Tou-rismusbeauftragten der Bundesregierung Ernst Hinskenorganisierten Konferenz „Internationale Städtepartner-schaften – unentdecktes Potenzial für den Tourismus“ am24. November 2008 bleiben in dem Antrag unberücksich-tigt. Waren Sie nicht da oder haben Sie nicht zugehört?

Auch in Gesprächen mit der Stiftung deutsch-russi-scher Jugendaustausch, mit dem deutsch-polnischen Ju-gendwerk oder mit Tandem, dem deutsch-tschechischenJugendaustausch können Sie viel über deren Erfolge,aber auch die brachliegenden Potenziale, Probleme undHemmnisse erfahren. Dazu gehört zum Beispiel die zumTeil schlechte Finanzausstattung. Das führt auch dazu,dass die Eigenanteile der Jugendlichen steigen und zu-nehmend mehr Kinder und Jugendliche an Austausch-und Begegnungsprogrammen nicht teilnehmen können,weil sie bzw. ihre Eltern diesen Eigenanteil nicht aufbrin-gen können.

Aus Sachsen und insbesondere aus meinem Wahlkreisin der Oberlausitz kenne ich viele Partnerschaften mitStädten und Gemeinden in Osteuropa, und hier schließeich im Unterschied zu Ihnen auch Russland, Belarus unddie Ukraine ausdrücklich mit ein. Manche Städtepartner-schaft steht leider nur auf dem Papier oder beschränktsich auf die regelmäßige gegenseitige Entsendung vonOffiziellen oder Beamten. Es gibt aber auch andere Bei-spiele. Rührige Menschen in Vereinen und Initiativen,

aber auch Schulen und anderen Einrichtungen organisie-ren fantastische Jugendbegegnungen.

Dazu vier Beispiele:

Erstens. Das Europahaus Görlitz e. V. organisiert inZusammenarbeit mit dem Büro Kultur 2020 beim TheaterGörlitz einen internationalen Workshop HIDDENPLACES vom 8. bis 23. August 2009 in Görlitz-Zgorze-lec. Dieses Projekt ist für Kunststudenten und künstle-risch aktive junge Menschen aus den Städten auf der ViaRegia, die sich für Architektur, urbane Kultur und histo-rische Zusammenhänge interessieren. Leitmotiv des Pro-jektes ist die alte Königsstraße Via Regia, eine historischeKommunikationsachse zwischen Ost und West, von Kiewbis Santiago de Compostela.

Zweitens. Auch in diesem Jahr ermöglicht wir-my(www.wir-my.de) wieder vier Görlitzer Schülern im Altervon 16 bis 18 Jahren die Teilnahme am europäischenJugendparlament. Dieses Jahr findet das Parlament imschwedischen Mölndal vom 1. bis 6. Oktober statt.

Drittens. Alljährlich veranstaltet die linksjugend [`so-lid] Sachsen zu Pfingsten ein mehrtägiges offenes, politi-sches und kulturelles Treffen, das Pfingstcamp. Im Jahr2009 findet das Camp zum elften Mal statt und zum neun-ten Mal heißt der Veranstaltungsort Srbska Kamenice inder Tschechischen Republik. In der Vergangenheit nah-men jährlich circa 400 Interessierte im Alter zwischen13 und 45 Jahren aus allen drei Ländern der EuroregionNeiße teil.

Viertens. Die Initiative Kinder von Tschernobyl undanderen umweltgeschädigten Regionen aus Zittau lädtseit 1990 jährlich 15 bis 20 Kinder aus der Gegend umRogatschov in Weißrussland zu einem Aufenthalt von dreibis vier Wochen ein. Dass Die Linke und auch ich persön-lich für viele solcher Projekte spendeten, sei hier nur amRande erwähnt.

Neben Ihrer Ahnungslosigkeit, liebe Kolleginnen undKollegen von der Koalition, muss ich auch – und diesnicht zum ersten Mal – Ihren tourismuspolitischen Ansatzhinterfragen. Ausgangspunkt Ihres Antrags ist nicht dieFörderung von internationalen Begegnungen zwischenJugendlichen, um ihnen zu ermöglichen, andere Spra-chen, Kulturen und Bräuche in unserem gemeinsamenEuropa kennenzulernen. Für Sie geht es in erster Linieum „diese Staaten als Quellmarkt für den Deutschland-tourismus“, um bessere Wettbewerbsbedingen undMarktchancen für die deutsche Tourismuswirtschaft. DieLinke steht für eine Tourismuspolitik, die Reisen für alleermöglichen will, Reisen, die dem Bedürfnis auf Erho-lung, Bildung und Gesundheit Rechnung tragen. Hier istder Unterschied und damit kommt Die Linke auch zu an-deren Schlussfolgerungen.

Dieser Antrag taugt meines Erachtens nicht mal alsSchaufensterantrag für den Wahlkampf, geschweige dennfür eine ernsthafte Debatte. Das ist schade und das habendiejenigen, die sich seit vielen Jahren sowohl in den Be-reichen der grenznahen Tourismuskooperation als auchbei der Organisation von internationalen Kinder- und Ju-gendbegegnungen oder der Entwicklung von Städtepart-nerschaften engagieren, nicht verdient.

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Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir haben im Augenblick die Situation, dass die jewei-

lige Grenze als trennendes Element in allen neuen EU-Staaten noch spürbar ist. Aber solange die Entwicklungenim Tourismusbereich selbst innerdeutsch häufig nebenei-nander ablaufen und eine Zusammenarbeit oftmals an denpolitischen Grenzen scheitert, können wir nicht erwarten,dass die grenzüberschreitende Tourismuskooperation ein-facher zu handeln ist.

Gerade die grenzüberschreitende Tourismuskooperationist erschwert durch unterschiedliche Sprachen, die Kom-pliziertheit der EU-Förderprogramme, hohe bürokratischeHürden und unterschiedliche Verwaltungsstrukturen in deneinzelnen EU-Mitgliedstaaten. Ich glaube, das haben wirfraktionsübergreifend aus unserer Anhörung zu grenz-überschreitenden Tourismuskooperationen mitgenommen.An dieser Stelle besteht Handlungsbedarf: Strukturelleinternationale touristische Zusammenarbeit zwischenGrenzregionen ist bislang einfach nicht vorgesehen. Auchgrenzüberschreitende Vernetzungen in anderen Berei-chen wie Kultur und Wirtschaft existieren bislang leidernoch viel zu selten.

Außerdem ist besonders in den neuen EU-Staaten vieler-orts die Infrastruktur noch schwach entwickelt. So stellenreizvolle Landschaften und unberührte Natur bislang un-genutzte Entwicklungspotenziale dar.

Aus grüner Sicht ist es wichtig, dass die EU, aber auchBund und Länder Informationen und Beratung für touris-tische Leistungsträger zur grenzüberschreitenden Vernet-zung der Tourismusakteure zur Verfügung stellen. Nur sokönnen wir überhaupt erreichen, dass eine Mobilisierungund Initiierung touristischer Aktionen zur Stärkung desGemeinschaftsgefühls vorangeht. Eine kulturell-touristischeVernetzung in europäischen Grenzregionen ist sinnvoll.Ziel muss sein, ein grenzüberschreitendes gemeinsamestouristisches Marketing zu entwickeln und voneinanderzu partizipieren.

Eine Zusammenarbeit bei der touristischen Vermarktungund Produktentwicklung leistet schließlich auch einenwichtigen Beitrag zum Abbau der Grenzen in den Köpfender Bevölkerung beiderseits der Grenzen und stärkt diePosition im internationalen Wettbewerb.

Darüber hinaus irritiert aus meiner Sicht die Verbindungvon Tourismus und Jugendaustausch im vorliegenden An-trag. Auch wenn Tourismuspolitik ein Querschnittsthemaist, stehen für mich beim Jugendaustausch pädagogischeAspekte der Bildung und der Völkerverständigung ein-deutig im Vordergrund. In diesem Sinne müssen wir auchdie finanziellen Mittel dafür bereitstellen. Hier brauchenwir verlässliche Rahmenbedingungen und verbindlicheStrukturen. In diesem vorliegenden Koalitionsantragwerden einfach zu viele Themen miteinander vermischt.

Jugendaustausch erschließt neue Horizonte für dieTeilnehmenden und sensibilisiert für gesellschaftlicheProbleme im Gastland. Es ist deshalb sicher ein guterAnsatz, internationale Jugendpolitik auch in den Zusam-menhang mit anderen Politikfeldern zu stellen. Aber diepotenziell vorhergesagte rein ökonomisch positive Aus-wirkung auf die Tourismuswirtschaft scheint mir da doch

etwas weit hergeholt, und die Erwartungen an die von derKoalition vorgeschlagenen Maßnahmen sind einfach zuhochgeschraubt.

Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/12730 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Dr. ChristelHappach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDP

Schutz der Bienenvölker sicherstellen

– Drucksachen 16/10322, 16/12267 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Max Lehmer Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Peter Jahr für die Unionsfraktion.

Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seitdemich erfahren habe, dass ich heute zum Thema Bienensprechen darf, geht mir das Kinderlied nicht mehr ausdem Sinn, das auch Sie sicherlich kennen: „Summ,summ, summ! Bienchen summ herum!“ Keine Angst:Ich verschone Sie mit meinem Gesang.

(Ute Kumpf [SPD]: Wir können ja gemeinsam singen!)

– Zum Abschluss, denke ich, können wir das heute tun.

Ich möchte Sie auf eine Textzeile in der ersten Stro-phe aufmerksam machen. Sie lautet:

Ei, wir tun dir nichts zu leide, Flieg nur aus in Wald und Heide!

Hoffmann von Fallersleben, dem wir diese Zeilenverdanken, hat 1835 eine allgemeine Tatsache wiederge-geben: Niemand hat die Absicht, Honigbienen zu jagenoder sie an ihrem Tun zu hindern. Sie waren und sindwertvolle Nutzinsekten, ohne die es keine Pflanzenbe-stäubung und damit kein Obst, keine Fortpflanzung undkeinen Honig geben würde.

Page 146: Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/dip21/btp/16/16220.pdf · Volker Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuervollzug

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Dr. Peter Jahr

So ist es kein Wunder, dass das Wort „Biene“ sehr po-sitiv besetzt ist. Die Biene gilt als das ehrlich und unei-gennützig arbeitende Individuum.

(Jan Mücke [FDP]: Fleißig!)

Fleißig wie eine Biene zu sein, ist eine Auszeichnung fürjeden arbeitenden Menschen.

(Ute Kumpf [SPD]: Genau! Es ist „die Biene“,nicht „der Biene“! – Gegenruf der Abg.Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Richtig!)

Die Bienen verfügen über eine ausgeprägte Arbeitstei-lung. Das Sozialgefüge der Bienen macht mir allerdingsSorgen. Wenn mich nicht alles täuscht, werden diemännlichen Angehörigen der Bienenvölker nach getanerArbeit, rausgeschmissen.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist eine Saue-rei! – Jan Mücke [FDP]: Das ist auch typischFrau! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]:Die arbeiten aber auch nicht!)

Ein Parlament der Bienen würde also, was die Ge-schlechterverteilung betrifft, etwas anders aussehen. –Man hat es nicht einmal versucht, und das finde ich be-dauerlich. Ich kenne die Vorwürfe. Zumindest hätte maneinen Resozialisierungsplan entwickeln können. All daswurde unterlassen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP –Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Bei den Drohnen ist das gescheitert!)

Aber Spaß beiseite und zum Thema! Sicher war da-mals, als Hoffmann von Fallersleben jene Verszeile auf-geschrieben hat, kaum vorstellbar, dass das industrielleZeitalter und das moderne Leben den nützlichen Bienendas Dasein zunehmend erschweren würde. Szenarienwie das massenhafte Bienensterben durch die Varroa-Milbe, die ungeklärten Bienenvölkerfluchten in denUSA und die Bedrohung der Bienen durch Elektrosmogsowie durch technisch falsch behandeltes Saatgut wärenwohl niemandem in den Sinn gekommen. Das ist leiderRealität.

Wir Menschen sind es, die das Versprechen: „Ei, wirtun dir nichts zu leide“ nun auch aktiv in die Tat umset-zen müssen. Wir tun das seit geraumer Zeit; ich werdedarauf noch eingehen.

Die Wirksamkeit unserer Bemühungen hängt davonab, wie gut und genau wir in der Lage sind, das Lebender Bienenvölker zu verstehen. Sosehr die Arbeit vonTausenden von Imkerinnen und Imkern – oft ehrenamt-lich – zu schätzen ist: Ohne breite wissenschaftlicheGrundlagen sind unerwünschte Erscheinungen nicht ef-fektiv zu erklären, geschweige denn Gefahren abzuweh-ren und wirksam zu bekämpfen. Aktionismus schadetdaher.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!)

Die seit Jahren stetig abnehmende Zahl der Bienen-völker ist ein Alarmsignal. Wenn, wie in diesem Jahr,das sehr warme Frühjahrswetter Mitte April eine fastgleichzeitige Blüte vieler Bäume und anderer Pflanzen

mit sich bringt, stoßen die Bienenvölker an die Grenzenihrer Leistungsfähigkeit. Sollte es irgendwann den „Im-ker by call“ geben, der seine Völker gegen viel Geld ver-leiht und nach Anforderung bundes- und europaweit amRande eines Feldes oder einer Obstplantage aufstellt?Ich glaube, diese Art von Dienstleistung wollen wir allenicht.

Umso mehr möchte ich betonen, dass die Anstrengun-gen des Verbraucherschutzministeriums und der For-schungsinstitute inzwischen Erfolge zeigen. Ich freuemich, dass wir demnächst belastbare Ergebnisse habenwerden, die geeignete Maßnahmen ermöglichen. Daherhalte ich die Aufforderung der FDP an die Bundesregie-rung für nicht geeignet und schließe mich der Beschluss-empfehlung des Ausschusses an, den Antrag abzuleh-nen.

(Jan Mücke [FDP]: Das ist aber nicht nett!)

Gern möchte ich das begründen. In ihrem Antrag„Schutz der Bienenvölker sicherstellen“ verweist dieFDP zunächst darauf, dass der Bienenbestand inDeutschland in den letzten Jahren kontinuierlich abge-nommen hat. Da diese Schäden im Bienenbestand haupt-sächlich durch die Varroa-Milbe verursacht wordenseien, müsse diese konsequent bekämpft und müssten in-novative und effektive Verfahren wie Impfungen entwi-ckelt werden. Zudem verlangt die FDP, dass eine Strate-gie gegen die Ausbreitung des Maiswurzelbohrers, desinternational bedeutendsten Maisschädlings, entwickeltwird. Neben diesen Forderungen sollen unter anderemnoch die Zulassungsverfahren von Insektiziden über-prüft, Qualitätskontrollen für gebeiztes Saatgut einge-führt und die Nachwuchsförderung von Imkern unter-stützt werden.

Ich habe diesen Antrag mit großem Interesse zurKenntnis genommen und ihn gelesen – Sie haben es ge-merkt –, da er durchaus richtige Forderungen enthält.

(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])

Im Ergebnis stelle ich aber fest, dass er gegenstandslosist. Die Bundesregierung hat bereits sehr effektive Maß-nahmen zum Schutz der Bienen ergriffen, sodass ichkeine politischen Handlungsdefizite in den im Antragangesprochenen Bereichen erkennen kann. Lassen Siemich dies bitte anhand der einzelnen Forderungen desAntrags im Detail etwas genauer ausführen:

Die Bundesregierung nimmt die problematischenEntwicklungen der Bienenpopulation sehr ernst. Genaudeshalb wurden in den letzten fünf Jahren rund5 Millionen Euro für Projekte in der Bienenforschungzur Verfügung gestellt; allein im Jahr 2008 waren es2 Millionen Euro. Dazu gehören zahlreiche Forschungs-projekte wie die des Julius-Kühn-Instituts und desFriedrich-Loeffler-Instituts. Zudem gibt es auch auf derLandesebene verschiedene Einrichtungen, die sich mitder Bienenforschung beschäftigen. Insgesamt sind da-durch alle Bereiche, die derzeit von Bedeutung sind,wissenschaftlich abgedeckt.

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Dr. Peter Jahr

Hinsichtlich der Bekämpfung der Varroa-Milbe wirdseit 2008 ein Verbundprojekt zur verbesserten Bekämp-fung gefördert. Im Mittelpunkt dieses Projekts steht dieVerbesserung der Imkerpraxis zur allgemeinen Krank-heitsprävention. Für das Vorhaben stellt das Bundes-ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz insgesamt rund 500 000 Euro zur Verfügung.Auch mit dem Bienenmonitoring ist dieses Projekt ver-knüpft, da die Zuwendungsempfänger in dessen Beiratmitwirken.

Zur Forderung der FDP nach einer konsequenten Be-kämpfung der Varroose verweise ich auf die Bienen-seuchen-Verordnung, die vorschreibt, dass Bienen inBienenbeständen, die mit Varroa-Milben befallen sind,jährlich gegen die Varroose zu behandeln sind. Um hiereine langfristige Lösung finden zu können, werden vomBundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz Forschungsprojekte zur Zucht vonBienen auf Toleranz gegen die Varroa-Milbe gefördert.Um Bienen vor Krankheitserregern aus anderen Ländernzu schützen, unterliegen die Einfuhranforderungen seitdem Jahr 2000 europarechtlich harmonisierten Vor-schriften.

Ein Wort zu den Pflanzenschutzmitteln, die als Ge-fährdungspotenzial für die Bienen gesehen werden:Grundsätzlich gilt, dass durch das Pflanzenschutzgesetzund die darauf beruhenden Verordnungen ein hohesSchutzniveau für die Honigbiene gewahrt ist. Bei sach-gerechter Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist voneiner Schädigung der Biene daher nicht auszugehen.Dennoch hat das für die Zulassung von Pflanzenschutz-mitteln zuständige Bundesamt für Verbraucherschutzund Lebensmittelsicherheit bereits die Arbeiten für eineÜberprüfung der Zulassungsverfahren aufgenommen.

Gleichwohl sollen für die Ausbringung von Saatgutstrengere Regeln geschaffen werden, um eine unsachge-mäße Anwendung künftig zu vermeiden, wie sie in Süd-deutschland durch das Insektizid Clothianidin vorge-kommen ist. Dies war letztlich auch ein technischesAusbringungsproblem; mit dieser Problematik mussman sich natürlich beschäftigen.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Die modernen Ma-schinen waren schlechter als die alten! – Ge-genruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Viel-leicht ist ja das ganze Prinzip falsch!)

Dies alles zeigt, dass wir dieses Problem sehr ernst undkeineswegs auf die leichte Schulter nehmen.

Abschließend gehe ich auf die letzte Forderung derFDP zur Unterstützung der Imkerei ein: Die finanzielleFörderung der Imker erfolgt in Deutschland in erster Li-nie durch EU-Programme im Rahmen der GemeinsamenAgrarpolitik. Ein Schwerpunkt der Förderung sind Schu-lungs- und Weiterbildungsmaßnahmen. Zudem wird derBereich der Nachwuchsarbeit und Berufsbildung durchdie Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen füreine qualitativ hochwertige Aus- und Fortbildung vonFach- und Führungskräften unterstützt. Der Erfolg dieserMaßnahmen zeigt sich vor allem darin, dass die von der

FDP angesprochene Überalterung des Berufsstandes ge-stoppt werden konnte.

Vor diesem Hintergrund kann man die Arbeit derBundesregierung in diesem Bereich nur begrüßen. DerAntrag der FDP ist inhaltlich nicht verkehrt – das habeich begründet –; aber er ist gegenstandslos und daher ab-zulehnen.

(Lachen bei der FDP)

Abschließend möchte ich gerne den Imkern meinenDank aussprechen. Über 82 000 Imker tragen dazu bei,dass Deutschland naturnah und fruchtbar bleibt und dasses gesunden Honig zum Essen gibt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD – Peter Bleser [CDU/CSU]:Das war eine klasse Rede!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach-

Kasan für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Wa-rum haben Sie keine Biene dabei, Frau Kolle-gin?)

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Jahr, Sie haben mit dem „Summ, summ,summ“ ganz nett angefangen; aber der Rest war doch einbisschen dürftig und leider völlig ohne Engagement. Ichfinde das schade, denn Imker leisten in Deutschland einewertvolle Arbeit, und wir brauchen sie weiterhin.

(Beifall bei der FDP)

Es ist die Zeit der gelben Rapsfelder unter blauemHimmel, die zum Spaziergang einladen, insbesonderenatürlich die Liberalen; aber ich hoffe, auch Sie gehennach draußen.

(Ute Kumpf [SPD]: Die Rapsfelder sind für alle!)

Im Übrigen ist Raps eine ganz wichtige Trachtpflanzefür die Biene; deswegen ist es richtig, mit dem Raps an-zufangen.

Bienen erfahren bei uns eine sehr hohe Wertschät-zung. Der Fleiß der Bienen ist sprichwörtlich. Als ich beimir im Büro herumgefragt habe, habe ich festgestellt,dass man bei Bienen nicht an „Summ, summ, summ“denkt, sondern an die Biene Maja,

(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Die summt doch auch!)

an die Zeichentrickfilme und das Lied von Karel Gott.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist der Unterschied zwischen Ost und West!)

– Das kann gut sein; vielen Dank für den Hinweis. Daswird der Unterschied sein. – Man denkt gerne an die

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Dr. Christel Happach-Kasan

Biene Maja, die mit ihrer Pfiffigkeit den Gefahren ge-trotzt hat.

Bei uns in Deutschland sind die meisten Imker Hob-byimker; 80 000 sind es. Sie haben Freude an der Hal-tung ihrer Bienen und an der Arbeit in der Natur. Be-lohnt werden sie durch eine Honigernte. Obwohl wireine Minderung der Anzahl der Bienenvölker zu ver-zeichnen haben, ist die Honigernte in den letzen Jahr-zehnten kontinuierlich angestiegen. Das ist ein Zeichenfür die gute Arbeit, die unsere Imker leisten.

Es gibt gute Gründe dafür, dass sich der DeutscheBundestag mit dem Schutz von Bienenvölkern beschäf-tigt; denn so gut ist die Situation nicht, wie der KollegeJahr uns hat glauben machen wollen. Bienen sind nichtnur wegen des Honigs wichtig; vielmehr sind sie insbe-sondere aufgrund ihrer Bestäubungsleistung für unsereNatur, aber auch für Landwirtschaft und Obstbau vonbesonderer Bedeutung. Landwirtschaft, Obstbau und Im-ker sind aufeinander angewiesen. Deswegen ist eineKonfrontation zwischen den Berufsfeldern nicht gut.Wir brauchen eine verbesserte, konstruktive Zusammen-arbeit. Landwirtschaft und Obstbau brauchen die Be-stäubungsleistung der Bienen; aber die Imker brauchenauch die Aussaat von Trachtpflanzen, um ihre Bienen er-nähren zu können.

Bienen sind gefährdet – der Kollege Jahr hat es ange-sprochen –, insbesondere durch die Varroa-Milbe. ImWinter 2002/2003 haben Imker ein Viertel der Bienen-völker verloren. In der Folge ist das sogenannte Bienen-monitoring eingeführt worden.

Wir als FDP-Bundestagsfraktion wollen, dass mit in-novativen, effektiven, konsequenten Bekämpfungsme-thoden der Befall durch die Varroa-Milbe gemindertwird. Die Reaktionen auf meine Rundschreiben an Im-ker haben deutlich gemacht, dass in Zukunft wohl einbisschen mehr getan werden muss, um eine solche Situa-tion wie im Winter 2002/2003 nicht noch einmal zu erle-ben.

Außerdem ist eine sehr sorgfältige Kontrolle der Im-porte notwendig. Da sollten wir uns meines ErachtensAustralien als Beispiel nehmen, das die Importe sehr vielsorgfältiger kontrolliert und damit sicherstellt, dass dieBienenvölker nicht durch Ektoparasiten und andere Pa-rasiten befallen werden.

Bienenvölker sind auch durch die fehlerhafte An-wendung von Pflanzenschutzmitteln gefährdet. Wir ha-ben im vergangenen Frühjahr den Fall gehabt, dass11 000 Völker durch Pflanzenschutzmittel teilweise schwergeschädigt worden sind. 2 Millionen Euro an Entschädi-gungszahlungen sind dafür geleistet worden. Deswegenfordern wir eine Qualitätskontrolle des gebeizten Saat-gutes und insbesondere – da hat die Bundesregierungüberhaupt nichts getan –, dass bei der Zulassung vonPflanzenschutzmitteln die besondere Sensitivität derBienenbrut berücksichtigt wird. Das ist zurzeit nochvollkommen außerhalb der Diskussion. Da gibt es eini-ges zu tun.

Bienen sind, anders als die öffentliche Diskussion esglauben macht, nicht durch den Anbau von gentechnisch

veränderten Pflanzen gefährdet. Das hat die Bundes-regierung auf eine Frage von mir ausdrücklich geantwor-tet:

Auf Grundlage der Praxisversuche kann eine toxi-sche Wirkung von Bt-Mais auf gesunde Honigbie-nenvölker mit hinreichender Sicherheit ausge-schlossen werden.

Honig, der Pollen von gentechnisch veränderten Pflan-zen enthält, ist in seiner Qualität in keiner Weise gemin-dert. Es besteht keine Kennzeichnungspflicht, und auchdie Verkehrsfähigkeit ist nicht beeinträchtigt.

Es ist ein bösartig gestreutes Gerücht, dass der Gehaltvon Bt-Maispollen im Honig dazu führt, dass dieser alsSondermüll bewertet werden muss. Die Bundesregie-rung hat im Ausschuss sehr eindeutig festgestellt, dass eskeine Anweisung an den in Bayern betroffenen Imkergegeben hat, so zu handeln. Es war seine eigene Initia-tive, dies zu tun.

Die FDP-Bundestagsfraktion will mit diesem Antragauf die Notwendigkeit der Novellierung der Bienen-schutzverordnung hinweisen, mit dem Ziel, den Schutzder Bienenvölker in Deutschland zu verbessern. Wir un-terstützen ausdrücklich die Fortführung des Bienenmo-nitorings; denn wir sind der Meinung, dass wir nur beigenauer Kenntnis der Situation der Bienenvölker dierichtigen Maßnahmen treffen können, um den Schutzder Bienenvölker zu gewährleisten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Die Rede des Kollegen Dr. Wilhelm Priesmeier aus

der SPD-Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1)

Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann fürdie Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Dass wir die Biene Maja kennen, habenwir gerade festgestellt. Auch die Ossis kennen sie mitt-lerweile. Wie wichtig die Bienen aber sind, werden wirvielleicht erst merken, wenn sie nicht mehr vorhandensind. Als Bestäuber – das ist schon angesprochen wor-den – sind sie wichtige Garanten für die Erträge in derLandwirtschaft und im Gartenbau. Sie sorgen für denHonig. Die Bienen sind damit eines der wichtigstenNutztiere, die wir überhaupt haben.

Es geht den Bienen aber nicht gut. Auch den Imkerin-nen und Imkern geht es nicht gut.

Erstes Beispiel. Dass im vergangenen Jahr die An-wendung eines Beizmittels zur Behandlung des Mais-saatgutes zum Tod von 11 500 Bienenvölkern geführthat – dieser Skandal ist schon angesprochen worden –,

1) Anlage 4

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Dr. Kirsten Tackmann

war zwar auf eine technische Panne zurückzuführen.Aber ich finde, dass es angesichts eines solchen Ausma-ßes eigentlich nicht mehr wichtig ist, ob die UrsacheSorglosigkeit oder ob es gewollt gewesen ist.

Ein Imker schrieb mir auf diesen Vorfall hin: StellenSie sich vor, Sie fahren mit einem Auto über das Landund sehen Hunderte tote Kühe auf einer Weide liegen.Jeder normal denkende Mensch würde sofort die Polizeiverständigen; Medien und Nachrichten würden berich-ten. Wissenschaftler würden eifrig nach dem Grund fürden Massentod forschen. So ist die Situation bei denBienen. Es gibt Millionen und Abermillionen von Lei-chen; aber es gibt keine Polizei und keinen Aufschrei. –Ich denke, das sollte uns durchaus zum Nachdenkenbringen.

Zweites Beispiel. Wenn Bienen gentechnisch verän-derte Pflanzen anfliegen, ist der Honig nicht mehr ver-kehrsfähig. Hierzu gibt es ein offenes Gerichtsverfahren;widerlegt ist dies noch nicht. Zu gut Deutsch: Man mussdiesen Honig im Rahmen eines Vorsorgeverfahrens ver-nichten.

Drittes Beispiel. Die Bienen finden immer seltener at-traktive Blüten. In der ausgeräumten Agrarlandschaftfehlen Brachflächen und Kulturpflanzenvielfalt. Mono-kulturen und eingeschränkte Fruchtfolgen verstärkendiesen Effekt.

Viertes Beispiel. Ein Bienenmonitoring wird zwardurchgeführt – dies ist schon angesprochen worden –,aber merkwürdigerweise sind gerade Pestiziduntersu-chungen nur am Rande Teil dieses Bienenmonitorings.Das wundert einen schon. Vielleicht ist der Grund, dassdie Industrie dieses Bienenmonitoring mitfinanziert.

Fünftes Beispiel. Die Bienen werden von immer we-niger, immer älteren Imkerinnen und Imkern betreut, im-mer häufiger „nur“ als Hobby. Immer weniger fangenneu an. Das ist ein Zukunftsproblem, das auch mit denRahmenbedingungen zu tun hat.

Es gibt also viele Probleme, die zu lösen sind. DerAntrag der FDP ist angesichts dieser Situation allerdingsscheinheilig. Er ist ein Trojanisches Pferd. Auf den ers-ten Blick sieht er zwar gut aus.

(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Er ist gut!)

Aber es steckt Unheil in ihm. Unter dem Mäntelchen derBienenfreundlichkeit verdeckt die FDP den Lobgesangauf ihre beiden einzigen Klassiker: Pestizide und Agro-gentechnik. Aber gerade diese beiden Aspekte stellendie zentralen Probleme der Imkerei dar; das werden vieleImkerinnen und Imker bestätigen.

Dazu zwei Beispiele. Die FDP will – das ist geradevorgetragen worden – den Maiswurzelbohrer mit ihrerAllzweckwaffe, der Agrogentechnik, bekämpfen.

(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Nein, habe ich nicht vorgetragen!)

Aber die Imkerinnen und Imker gehen schon jetzt wegender Agrogentechnik auf die Straße und protestieren. DieFDP will den Imkernachwuchs fördern. Das wollen wir

alle. Aber es sind doch gerade die beim Einsatz von Pes-tiziden bestehenden Probleme und die dadurch verur-sachten Zwischenfälle, die Monokulturen und die Agro-gentechnik, die vielen Imkerinnen und Imkern die Lustan der Arbeit verderben.

In den einschlägigen Imkerforen ist der vorliegendeAntrag verrissen worden. Vielleicht hat die FDP deswe-gen eine Anhörung zur Situation der Imkerinnen und Im-ker, die die Grünen und die Linken durchführen wollten,abgelehnt.

Die Linke bleibt dabei: Die Zukunft der Imkerei istuns wichtig. Es ist ein dringend zu bearbeitendes Thema.Ich denke schon, dass die Bundesregierung es sträflichvernachlässigt hat. Dabei geht es nicht um das Hobby ei-niger älterer Herren. Es geht um eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe und eine wichtige Leistung. Die Im-kerei muss gestärkt werden, man darf ihr nicht immerneue Steine in den Weg legen.

Ja, im Antrag der FDP stehen auch Maßnahmen, de-nen wir zustimmen könnten, wenn die Gesamtpositionstimmen würde. Das gilt für die Bienengesundheit unddie Überprüfung der Pestizid-Zulassungsverfahren.Auch die Umsetzung der Idee eines Imkerpasses oderBienenführerscheins analog zum Angelschein könntenwir uns vorstellen; das wäre überlegenswert.

Trotzdem werden wir diesem Trojanischen Pferdnicht zustimmen und damit den Antrag der FDP ableh-nen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Ulrike Höfken das Wort.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bienen sind das drittwichtigste Nutztier. Manschätzt den volkswirtschaftlichen Wert der Bestäubungs-leistung in Deutschland auf 2 Milliarden Euro, das heißt,neben den umweltbezogenen Gründen gibt es noch vieleandere Gründe, große Aufmerksamkeit auf das Anliegender Imker zu lenken.

Es geht aber weder um „Summ, summ, summ“ nochum die Biene Maja, sondern die Imker schlagen Alarm.Immer weniger Bienen überleben im Moment in ihrerUmwelt. Auch die Importe, die Frau Happach-Kasanschon angesprochen hat, werden zu einem großen Pro-blem – Stichwort: Südafrika.

Es ist schon gesagt worden: Die FDP klammert in ih-rem Antrag die wesentlichen Probleme der Imkerei aus.

(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das ist nicht richtig!)

Das hat wohl mit der Industrielastigkeit der FDP-Politikzu tun.

Immerhin haben Sie die Probleme der industriellenLandwirtschaft und der Monokulturen angesprochen.Leider ziehen Sie daraus aber keine Schlussfolgerungen.

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Ulrike Höfken

Die Varroa-Milbe ist zwar ein großes Problem, beileibeaber nicht das einzige. Das von der FDP vorgeschlageneKonzept einer Impfung ist nach Aussage von renom-mierten Bienenexperten nichts als Unfug.

Die Bieneninstitute, so haben wir auf einer Anhörungder Grünen gehört, haben schon sehr wirkungsvolleMaßnahmen zur Bekämpfung der Varroa-Milbe vorge-schlagen, die sich auch entwikkeln. Wir sollten auch dar-über nachdenken, ob wir den Imkern bei der Bekämp-fung der Seuche jetzt durch weniger Auflagen undBürokratie und mehr finanzielle Unterstützung helfenkönnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon so, wie Frau Tackmann es auch gesagthat: Ihre Allheilwaffe, nämlich der Genmais, spielt hierwieder eine Rolle. Das Allerabsurdeste ist, dass Sie jetztauch noch indirekt den Vorschlag machen, die Pestizid-belastung in der Landwirtschaft durch die Einführung ei-nes lebenden Pestizids, nämlich des Genmaises, zu sen-ken. Man muss dazu sagen: Gerade durch die Initiativevon Bayern – da gibt es eine FDP/CSU-Regierung –wurde der Genmais MON 810 wegen großer Gefahrenfür die Umwelt, zum Beispiel für die nützlichen Insek-ten, verboten. Es kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein, hiersolche absurden Vorschläge zu machen.

Ein weiteres gravierendes Problem stellen die Pesti-zide dar. Clothianidin ist schon erwähnt worden. Das istaber eben kein Einzelfall oder Unfall, sondern nur dieSpitze des Eisberges. Belegt ist ja auch die Vergiftungvon 1 200 Bienenvölkern durch die Pestizidanwendungauf niedersächsischen Kartoffelfeldern.

(Jan Mücke [FDP]: Was hat das mit Gentech-nik zu tun? Überhaupt nichts!)

Die Behauptung der FDP, dass es in den letzten Jah-ren gelungen sei, die Gefährdung der Bienen durch Pes-tizide auszuschließen, ist reine Schönfärberei, weil demJulius-Kühn-Institut nur noch ein Bruchteil der tatsächli-chen Vergiftungsfälle gemeldet wird. Der Imker solldann eine Pflanzenprobe dazulegen. Das ist bei dem gro-ßen Gebiet, das eine Biene anfliegt, aber außerordentlichschwierig. Bienenvergiftungen werden durch Bürokratieund fehlende Analysekapazitäten daher nur teilweise er-fasst. Hier wäre Geld richtig eingesetzt, um die Unter-suchungsmöglichkeiten zu verbessern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu den subletalen Effekten – auch sie wurden schonangesprochen –: Hier gibt es einen erheblichen Bedarfan Untersuchungen. Darin sind wir uns vielleicht sogareinig. Ganz klar ist aber: Die französische Zulassungsbe-hörde für Pflanzenschutzmittel hat die Daten des deut-schen Bienenmonitorings nicht von ungefähr als unge-eignet für die Zulassung von Clothianidin beurteilt. Dasgilt übrigens ebenso für die Beurteilung des Monitoringsfür den Genmais. Man muss auch sagen: Die Mitfinan-zierung der Agroindustrie und die Ausklammerung die-ser ganzen Problemlage haben wohl miteinander zu tun.

Klar ist, dass die Beizmittel mit technischen Lösun-gen allein nicht zu verbessern sind, vor allem dann nicht,

wenn es sich um Neonicotinoide handelt. Wir wissenvom Guttationswasser sowie von Staub und Abrieb, derauch bei normaler Anwendung von Beizmitteln auftritt.Wir halten es für völlig absurd, dass die FDP eine Wie-derzulassung von Clothianidin fordert. Wir halten dasfür völlig unverantwortlich.

Wir möchten handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Höfken, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. – Wir möchten eine Erleichterung für die Imker

bei der Bekämpfung der Varroatose, das Verbot vonSaatbeizungsmitteln aus der Gruppe der Neonicotinoide,neue Forschung und Testverfahren bei den subletalenSchädigungen, eine Verbesserung der Forschung, abernatürlich auch mehr Fördermittel für den Ökolandbauund selbstverständlich die Beendigung der Agrogentech-nik auf unseren Äckern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Peter Bleser [CDU/CSU]: Die Beendigung derLandwirtschaft!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit demTitel „Schutz der Bienenvölker sicherstellen“. Der Aus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 16/12267, den Antrag der Fraktion der FDPauf Drucksache 16/10322 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, derFraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenom-men.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung der Großen Anfrage der AbgeordnetenVolker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen),Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Menschenrechtssituation in den Ländernder Andengemeinschaft und Venezuela

– Drucksachen 16/9866, 16/11297 –

Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: EduardLintner für die Unionsfraktion, Wolfgang Gunkel für dieSPD-Fraktion, Florian Toncar für die FDP-Fraktion,

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Vizepräsidentin Petra Pau

Michael Leutert für die Fraktion Die Linke und ThiloHoppe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Eduard Lintner (CDU/CSU): Vor ziemlich genau einem Jahr fand an dieser Stelle

eine große Debatte über die Beziehungen Deutschlandsund Europas zu den lateinamerikanischen Ländern statt.Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Lateinamerika-Reisewenig später auch noch einmal die Bedeutung unsererBeziehungen zu diesem Teil der Welt unterstrichen. MeineFraktion hat zu dieser Lateinamerika-Offensive der deut-schen Politik ein eigenes Strategiepapier beigesteuert, indem ganz bewusst auch der Stellenwert von Demokratieund Menschenrechten betont wird. Damit haben wir unsdazu bekannt, dass der Dialog über diese Themen einerder Eckpfeiler des europäisch-lateinamerikanischen Aus-tausches sein muss und dass wir für eine aktive Förde-rung auf diesem Gebiet eintreten. Daher begrüße ichauch die sich heute bietende Gelegenheit, nach einemJahr nun eine Bestandsaufnahme der menschenrechtli-chen Situation in der Andengemeinschaft und Venezuelazu machen.

Wichtig ist zunächst einmal, dass die Regierungen al-ler hier behandelten Staaten sich zu Demokratie undMenschenrechten bekennen. Dies war früher nicht selbst-verständlich und stellt deshalb einen positiven Trend dar.Im Detail gibt es dann aber doch merkliche Unterschiedezwischen den einzelnen Staaten. So hat sich die Men-schenrechtssituation in Kolumbien in den vergangenenJahren merklich verbessert. Dies ist vor allem darauf zu-rückzuführen, dass es der Regierung gelungen ist, denBürgerkrieg einzudämmen und die nichtstaatlichen Ge-waltakteure in ihre Schranken zu weisen. Dadurch ist dasLeben vieler Menschen in Kolumbien friedlicher und si-cherer geworden. Aber die Umtriebe von mächtigen Ban-den sind nach wie vor ein bedrückendes Problem.Kolumbien braucht daher nach wie vor die Unterstützungder internationalen Gemeinschaft bei der Bekämpfungdieser Banden. Das Konzept, diese Gruppen als legitimepolitische Akteure anzuerkennen und in einen politischenProzess einzubinden, wie es in der Vergangenheit vonmanchen Kollegen hier im Hause gefordert worden ist,kann keine Lösung sein.

Für Venezuela ist festzuhalten, dass der Drang vonStaatschef Hugo Chávez, seine Macht gegen Kritik undKontrolle abzuschirmen, zu einer Erosion demokrati-scher Teilhabe und zur Aushöhlung von Bürgerrechtengeführt hat. Auch mit vermeintlichen Verbesserungen beider Verwirklichung der sozialen Menschenrechte, wie sieder Antrag der Grünen anführt, lassen sich die Gefahrennicht relativieren. Man wird sowieso abwarten müssen,ob der venezolanische Staat angesichts sinkender Erlösefür seine Ölexporte weiterhin in der Lage sein wird, seineSozialprogramme im bisherigen Umfang zu finanzieren.

Andere Staatschefs in Lateinamerika, zum Beispiel inEcuador und Bolivien, wollen offenbar den Führungsstilvon Chávez kopieren. Von der Verbreitung des venezola-nischen Herrschaftsmodells geht daher momentan eineder größten Gefahren für die Entwicklung von Demokra-

tie und die Respektierung von Menschenrechten in derRegion aus.

Weitere negative Tendenzen sind die weit verbreiteteKorruption, die Schwäche staatlicher Institutionen unddie Unkenntnis vieler Menschen über die eigenen Rechtein vielen der in der Anfrage behandelten Staaten. DieseFaktoren erschweren es einer Regierung, menschenrecht-liche Standards im eigenen Land durchzusetzen, auchwenn sie besten Willens ist. Es ist daher sehr begrüßens-wert, dass viele der Projekte der deutschen Entwicklungs-zusammenarbeit, die in der Antwort der Bundesregierungaufgeführt werden, genau an diesen Punkten ansetzen.Positiv möchte ich auch die Arbeit der deutschen politi-schen Stiftungen in Lateinamerika hervorheben, die miteiner Vielzahl von Projekten die Verwirklichung vonDemokratie und Menschenrechten in Lateinamerika för-dern. Erwähnt sei hier zum Beispiel die Hanns-Seidel-Stiftung, die sich in Ecuador mit einem Stipendienpro-gramm um die Förderung indigener Nachwuchskräftekümmert. Dadurch wird eine gerechte Teilhabe dieserlange benachteiligten Bevölkerungsgruppe an der Politikund der Arbeit in der Gesellschaft ermöglicht. Diese Pro-jekte können zwar allein nicht eine ganze Gesellschaftnachhaltig verändern, aber sie können wichtige Impulsegeben und vorhandene Ansätze fördern. Schön wäre es,wenn die Bundesregierung mehr Mittel bereitstellenkönnte, um diese Arbeit noch verstärken zu können.

Wolfgang Gunkel (SPD): Wie die Antwort der Bundesregierung auf die Große

Anfrage der Grünen bereits deutlich macht, gibt es großeUnterschiede in der Beurteilung der Menschenrechtslagein den Andenstaaten und Venezuela. Während die Länder,in denen linksgerichtete Regierungen in den letzten Jah-ren an die Macht gekommen sind, die Verbesserung derLebensbedingungen für die ärmsten Bevölkerungsteile inden Vordergrund stellen, ist die gesellschaftliche Ausei-nandersetzung um Menschenrechte und Gerechtigkeit inStaaten wie Kolumbien sehr viel präsenter. Länder wieVenezuela drohen den Blick auf menschenrechtliche Min-deststandards zu vernachlässigen oder produzieren inneuen Herrschaftskonstellationen neue Gefahren für de-mokratische und menschenrechtliche Mindeststandards.

Es liegen nun zwei Entschließungsanträge der Grünenvor, die die Bundesregierung auffordern, ihre Bemühun-gen um die Einhaltung von Menschenrechten speziell inKolumbien und Venezuela zu intensivieren. Beide An-träge vermitteln das Bild, die Bundesregierung würdenicht mit Nachdruck auf die Einhaltung der Menschen-rechte einwirken. Das ist nicht richtig. Es stellt sich eherdas Problem, dass durch internationale Bemühungenzwar Rechte per Gesetz festgeschrieben, aber in derRealität nicht exekutiert werden. Beide Anträge bietenkeinen Ansatz einer Lösung des Problems, dass trotz libe-raler Gesetzgebung in den Anden-Staaten Menschen-rechtsverletzungen durch staatliche und nichtstaatlicheAkteure an der Tagesordnung sind.

Internationaler Druck ist notwendig, aber die interna-tionale und auch nationale Aufmerksamkeit für Men-schenrechte bedeutet keinesfalls, dass auch die angekün-

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Wolfgang Gunkel

digte Umsetzung von Verbesserungen vorangeht. Diesmöchte ich am Beispiel Kolumbien verdeutlichen. In ei-ner Einzelreise nach Kolumbien im März dieses Jahreshatte ich die Möglichkeit, mich über die Situation derMenschenrechte in Kolumbien persönlich zu informieren.Dabei trat die Diskrepanz zwischen der verlautbartenrechtlichen Verbesserung der Menschenrechtssituationeinerseits und den Berichten und Erfahrungen der Akti-visten andererseits deutlich zutage. Im Kontext der ge-rade von Deutschland eingeforderten Verrechtlichung so-zialer und menschenrechtspolitischer Standards wird vielzu oft den offiziellen Darstellungen vertraut, dass mansich zwar auf einem schwierigen, aber richtigen Weg be-fände. Übereinstimmend berichteten die Menschen-rechtsorganisationen in Kolumbien vom gravierendenAnstieg sogenannter Falsos positivos, also gefälschterPositivmeldungen, mit denen die reale Anzahl von extra-legalen Hinrichtungen durch Armee- oder Polizeiange-hörige, die Morde an und die Überfälle auf Gewerkschaf-ter und Menschenrechtsaktivisten verschleiert werdensollen. Im Zusammenhang mit dem Erwartungsdruck aufdie kolumbianische Regierung ist diese Zahl gefälschterMeldungen im zweiten Halbjahr 2008 wieder angestie-gen. So ist auch die Aussage des kolumbianischen Vertei-digungsministers kritisch zu hinterfragen, dass nach Ok-tober 2008 keine extralegalen Hinrichtungen mehrvorgenommen wurden. Dies entspricht nach übereinstim-mender Beobachtung der lokalen Menschenrechtsorgani-sationen nicht der Wahrheit.

Aber auch wenn die Anzahl der Übergriffe offiziellerInstitutionen aufgrund des internationalen Drucks zu-rückgeht, bedeutet dies leider nicht, dass sich die Ver-knüpfung, ja quasi Arbeitsteilung, zwischen Armee undParamilitärs verändert hätte. Noch immer teilen sich Ar-mee und Paramilitärs die zu kontrollierenden Regionenauf, und der Terror der Paramilitärs nimmt deutlich zu.Dabei ist eine Verschiebung zu beobachten. Während aufder einen Seite die Entwaffnung der alten Paramilitärserfolgt, entstehen auf der anderen Seite neue paramilitä-rische Gruppen, die sich auch wieder neu bewaffnen.Während offiziell die Meinungspluralität propagiert undin vielen warmen Worten die Bedeutung der Menschen-rechte beschrieben wird, sehen sich Menschenrechtsakti-visten, NGOs und selbst die Kirche mit dem Vorwurfkonfrontiert, Handlanger der Guerilla zu sein. Dabei ver-fehlen die verbalen Ausfälle von Vertretern der Regierungnicht ihre Wirkung. Die namentlich Erwähnten sehen sichdanach nicht selten konkreten Drohungen ausgesetzt. DerNationale Aktionsplan wird von der Regierung beharr-lich blockiert, weil rechtliche Garantien der Menschen-rechtsarbeit offensichtlich nicht in ihrem Interesse sind.Ungewöhnlich häufig sehen sich Menschenrechtsaktivis-ten mit der Justiz konfrontiert. Verhaftungen und juristi-sche Verfolgung nach fadenscheinigen und oft rechtdurchsichtigen Anklagen sind keine Seltenheit.

Parallel existiert auch weiterhin bei den staatlichenStellen eine Kultur des Wegsehens, wenn ökonomische In-teressen mit Einschüchterung und Mord durchgesetztwerden. Internationale Konzerne kooperieren eng mitden Paramilitärs, um den Kampf um bessere Arbeitsbe-dingungen, höhere Löhne oder gegen Vertreibung zu zer-

schlagen. Die Regierung weiß um diese Verbindungenund tut nichts für einen besseren Schutz von Gewerk-schaftern oder Vertriebenen. Es gibt genug Beispiele, indenen multinationale Großkonzerne Morde an Gewerk-schaftern angeordnet haben, doch im Interesse der ko-lumbianischen Wirtschaft gehen die Täter durchwegstraffrei aus.

Eines der größten Probleme Kolumbiens ist die Vertei-lung von Land. Die Einschüchterung, Enteignung undVertreibung der Kleinbauern durch Armee, Paramilitärsund Guerilla hat Kolumbien zu dem Land mit den meistenBinnenflüchtlingen der Welt gemacht. Unabhängige Be-obachter rechnen mit bis zu vier Millionen Flüchtlingeninnerhalb Kolumbiens, die in extremer Armut und ohneausreichenden Zugang zu Nahrung, medizinischer Min-destversorgung oder gar Bildung leben müssen. Trotz ei-nes viel beachteten Urteils des Verfassungsgerichts, dasdie mangelnde Unterstützung der Flüchtlinge als verfas-sungswidrigen Zustand charakterisiert hat, hat sich ihreSituation nicht verbessert. Auch hier sehen sich Men-schenrechtsaktivisten mit einer deutlichen Diskrepanzzwischen offizieller Darstellung und der Realität konfron-tiert. Während offizielle Stellen verkünden, dass bisher120 000 Hektar der von den Paramilitärs gewaltsam ent-eigneten 6,5 Millionen Hektar Land im Rahmen derNationalen Versöhnungs- und Wiedergutmachungskom-mission – CNRR – eingebracht wurden, berichten die Men-schenrechtsorganisationen von gerade einmal 28 Landgü-tern mit 7 000 Hektar, die in die CNRR eingegangenwären. Zusätzlich sehen sich die Vertriebenen-Selbstor-ganisationen einer extremen Bedrohung gegenüber.Allein in der letzten Zeit wurden sieben Vertreter der Or-ganisationen ermordet. Besonders die indigene und afro-kolumbianische Bevölkerung ist von den gewaltsamenVertreibungen betroffen. Gerade die Indigenen sind dop-pelt betroffen, da ihre Sonderrechte als Indigene territo-rial gebunden sind und nach einer Vertreibung so zusätz-lich der Zugang zu Grundversorgungen erschwert wird.

Man kann an diesen Beispielen deutlich sehen, dasszwischen den offiziellen Stellungnahmen der Regierungs-stellen und der Realität ein deutlicher Unterschied be-steht. Der internationale Druck ist richtig und notwendig.Erst dadurch hat es gewisse Veränderungen in der kolum-bianischen Politik gegeben. Gleichwohl zeigen die Bei-spiele auch, dass den offiziellen Verlautbarungen mit Vor-sicht zu begegnen ist. Deutschland muss hier mit gutemBeispiel vorangehen und die Gespräche hinsichtlich derMenschenrechtsprobleme mit der kolumbianischen Re-gierung intensivieren und gleichzeitig bei abzuschließen-den Verträgen Verbesserungen der Situation verlangen.

Das Beispiel Kolumbien zeigt die grundsätzliche Pro-blematik der internationalen Gemeinschaft gegenüberden Andenstaaten. Viele menschenrechtliche Mindest-standards sind zwar per Gesetz festgelegt, doch die Exe-kutive tut sich schwer mit der Umsetzung. So sind zwaralle Andenstaaten wie Peru, Bolivien und Ecuador parla-mentarische Demokratien mit einer garantierten Mei-nungsfreiheit und einem unabhängigen und nach westli-chen Vorbildern strukturierten Justizsystem. Aber dieStrukturen sind viel zu schwach: Bedrohungen und Ein-schüchterungen bis hin zum Mord gehen viel zu oft straf-

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frei aus, und die Justizsysteme können aus chronischerÜberlastung und mangelnder Ausbildung von Richternund Justizpersonal ihre eigenen Standards nicht einhal-ten. Deshalb gilt es, in der gesamten Region darauf hin-zuwirken, dass genügend Mittel in die Hand genommenwerden, um die menschenrechtlichen Standards auchwirklich umsetzen zu können.

Florian Toncar (FDP): Gegenstand der heutigen Debatte ist die Menschen-

rechtslage in den Staaten der Andengemeinschaft sowiein Venezuela, das 2006 aus diesem Verbund ausgetretenist. Damit wird eine Region in den Fokus gestellt, die oftin der öffentlichen Debatte hinter anderen Themen zu-rücktreten muss.

Es handelt sich um eine Region, in der es einerseitssehr viele Gemeinsamkeiten gibt. Diese beziehen sichnicht nur auf das gemeinsame kulturelle Erbe und geteiltehistorische Wurzeln. Auch sind viele der aktuellen men-schenrechtspolitischen Herausforderungen, denen dieseLänder gegenüberstehen, ähnlich. In der Regel sindstaatliche Sicherheitskräfte oder Rebellen bzw. Milizendie Urheber der großen Mehrheit der zu verzeichnendenMenschenrechtsverletzungen. Polizei und Militär werdenin den wenigsten Fällen für Übergriffe zur Verantwortunggezogen. Die Justizsysteme sind überlastet und aufgrundpersoneller und materieller Mängel nicht in der Lage,Rechtsstreitigkeiten gemäß internationalen Standardsabzuarbeiten. Dies untergräbt vielerorts die verlässlicheRechtsstaatlichkeit für die Bürger. Ebenso verbindet dieStaaten, dass sie über nur mangelhafte Gefängnisse ver-fügen, in denen die Haftbedingungen teils menschen-unwürdig sind. Trauriger Spitzenreiter ist hier Venezuela,wo die Gefängnisse teils dreifach überbelegt sind undeine strenge Hackordnung unter den Insassen herrscht,die zu zahlreichen gewaltsamen Übergriffen unter denGefangenen führt. Ebenso ist in allen Staaten die weitver-breitete Armut ein großes Problem für die Bevölkerungbei der Verwirklichung ihrer Freiheits- und Teilhabe-rechte. Armut wirkt sich besonders im ländlichen Raumnegativ auf Bildungschancen und den Zugang zu gesund-heitlicher Grundversorgung und sauberem Trinkwasseraus. Eine weitere Parallele in der Entwicklung dieserStaaten ist, dass die Rechte von Frauen beispielsweise imHinblick auf gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit nurunzureichend verwirklicht werden. Kinder werden vieler-orts Opfer von Menschenhändlern und sexueller Ausbeu-tung.

Jedoch bestehen zwischen den Staaten auch zahlreiche,teils gravierende Unterschiede. Die Regierung Perus ver-sucht, auf relativ pragmatische Weise die Herausforde-rungen des Landes zu bewältigen, und sieht sich dabeizahlreichen Hürden gegenüber. Bei der Aufarbeitung derMenschenrechtsverbrechen der „20 Jahre der Gewalt“(1980 bis 2000) durch den Leuchtenden Pfad (SenderoLuminoso) und die Tupac Amarú (MRTA) wurden zwarauch einige Verantwortliche aus dem Staatsapparat juris-tisch zur Rechenschaft gezogen. Allerdings wurden diesewenigen Erfolge gegen den zähen Widerstand der Streit-kräfte errungen. Ein Lichtblick ist die Verurteilung desehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori im April 2009,

der für die brachiale Vorgehensweise bei der Nieder-schlagung der Guerilla politisch verantwortlich war.

In Ecuador und Bolivien wurden in sehr kontroversenAuseinandersetzungen neue Verfassungen erarbeitet undin Kraft gesetzt. In Ecuador, wo seit Herbst 2008 eineneue Verfassung gilt, wurden einerseits zwar zahlreicheMenschenrechte formal definiert. Jedoch ist zu befürch-ten, dass die neue Verfassung die demokratische Kulturdes Landes durch die neu geschaffenen „Bürgerräte“ als„vierte Gewalt“ negativ beeinflussen wird.

In Bolivien hat die Regierung von Evo Morales zwardie Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt gerückt. Je-doch ist die Enteignung ausländischer Unternehmen, diesich im Öl- und Gassektor Boliviens engagiert haben, einschwerer Fehler, der nur dem kurzfristigen Machterhaltdient, aber dem Land langfristig schadet. Erfreulicher-weise scheint sein Programm zur Schaffung einessozialistischen Systems nach venezolanischem Vorbildauf derartig entschlossenen Widerstand in den östlichenProvinzen des Landes gestoßen zu sein, dass Morales zuwichtigen Zugeständnissen gezwungen werden konnte.Wichtig ist, dass alle politischen Kräfte im Land begrei-fen, dass eine weitere Eskalation der Auseinandersetzun-gen vermieden werden muss.

Die menschenrechtliche Entwicklung in Venezuela istäußerst besorgniserregend. Das Land hat in den vergan-genen Jahren große Rückschritte bei der Achtung bürger-licher und politischer Menschenrechte gemacht und stelltdamit einen eindeutigen Negativausreißer dar. Der vonden Grünen vorgelegte Entschließungsantrag drückt diesteilweise aus. So wird zu Recht darauf hingewiesen, dassder venezolanische Präsident Hugo Chávez sich die Jus-tiz des Landes durch Benennung ihm loyaler Richter hö-rig gemacht hat. Es ist das einzige Land, in dem die poli-tische Unabhängigkeit der Justiz eindeutig nicht gegebenist. In ihrem Antrag übersehen die Grünen aber darüberhinaus, dass auch die parlamentarische Kontrolle der Re-gierung seit der Parlamentswahl 2005 nicht mehr gege-ben ist. Damals beteiligte sich die Opposition nicht anden Wahlen, da sie den begründeten Verdacht hatte, dassPräsident Chávez Einfluss auf die Wahlkommission aus-üben wollte und ein fairer Wahlkampf nicht möglich war.Auch aus diesem Grund kann von einer funktionierendenGewaltenteilung in Venezuela leider keine Rede mehrsein. Dies hätte im Entschließungsantrag der Grünen he-rausgearbeitet werden müssen.

Erfreulicherweise weisen die Grünen auf die Verlet-zungen der Presse- und Meinungsfreiheit in Venezuelahin. Trauriger Höhepunkt war der Entzug der Sendelizen-zen des ältesten und wichtigsten privaten FernsehkanalsRCTV durch die Regierung Chávez. Ebenso wurden in Ve-nezuela Menschenrechtsorganisationen in den letztenJahren Opfer gezielter staatlicher Repression. Trotz spru-delnder Öleinnahmen ist es Caracas nicht gelungen, dieArmut im Lande entscheidend zu lindern. Im Gegenteil,die Abhängigkeit von Rohstoffexporten steigt und derMittelstand wird schwächer. Auch hat die Kriminalitätneue Höchststände erreicht, wobei die Zustände in denvenezolanischen Gefängnissen zu den schlimmsten nichtnur in Lateinamerika, sondern weltweit zählen. Damit ist

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die menschenrechtliche Bilanz von Präsident HugoChávez die mit Abstand schlechteste in der Region. Lei-der hat der politische Abenteurer und ProvokateurChávez die politische Macht in der einst stabilen Demo-kratie Venezuela so fest an sich gerissen, dass ein Macht-wechsel auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist. Obwohldie von den Grünen geforderten Maßnahmen insgesamtsinnvoll sind, hätte der Antrag noch deutlicher die Vorge-hensweise von Chávez verurteilen müssen. Daher wirddie FDP sich bei diesem Entschließungsantrag enthalten.

Besser verhält sich die Entwicklung in Kolumbien, ei-nem kriegszerrütteten Land, das zur Stabilität den weites-ten Weg vor sich hat. Die Regierung von Präsident AlvaroUribe hat es vermocht, durch eine Mischung aus militä-rischer Stärke und Friedensangeboten die einst mächti-gen Paramilitärs als politisch-militärischen Machtfaktorzu schwächen. Die Angebote zur Demobilisierung wur-den von vielen der sogenannten Paras angenommen, so-dass sich ein Teil heute wieder in die Gesellschaft inte-griert hat. Ein anderer Teil hat erneut zu den Waffengegriffen und geht jetzt hauptsächlich kriminellen Ma-chenschaften im Drogengeschäft nach. Die Aufarbeitungder von den Paras begangenen Verbrechen durch eineWahrheitskommission einerseits und eine strafrechtlichVerfolgung der Anführer andererseits zeigt erste Erfolge.Viele der Drahtzieher sitzen mittlerweile wegen Rausch-giftdelikten in den USA in Haft. Auch ist eine Verbesse-rung des Justizapparats in Kolumbien nicht zu überse-hen. Dabei ist erfreulich, dass auch Deutschland hierbeieinen konstruktiven Beitrag beispielsweise durch die Aus-bildung von Staatsanwälten leistet. Die FDP verbindetmit dieser Hilfe die Erwartung, dass die kolumbianischeRegierung und die Justiz weiterhin und verstärkt gegenStraflosigkeit, Korruption, Waffen- und Drogenhandelund auch gegen Verbrechen der staatlichen Sicherheits-behörden vorgehen. Die Guerillas, die weiterhin dieLandbevölkerung terrorisieren, hunderte Geiseln gefan-gen halten und eng mit der Drogenmafia zusammenarbei-ten, sind zwar militärisch geschwächt und haben stark anZulauf verloren, sind aber noch nicht ausgeschaltet.Doch scheint das besonnene Vorgehen der RegierungUribe in die richtige Richtung zu weisen.

Trotz der weiter anhaltenden Bürgerkriegsgewalt ist inden letzten Jahren eine eindeutige positive Entwicklungbei der Achtung der Menschenrechte in Kolumbien zukonstatieren. Daher ist die Stoßrichtung des von den Grü-nen zu Kolumbien vorgelegten Entschließungsantragsverfehlt. Wenn die Grünen die Politik von PräsidentUribe als gescheitert bezeichnen, so verkennen sieschlicht die Lage vor Ort. Auch hat die Regierung Uribedie Verbindungen von Paramilitär zu Mitgliedern der Re-gierung und der Partei des Präsidenten nicht geleugnet,wie von den Grünen behauptet wird. Vielmehr hat derPräsident alle Anschuldigungen untersuchen lassen unddabei auch vor Ermittlungen gegen enge politische Ver-traute nicht haltgemacht. Als Indiz, wie gradlinig und ef-fektiv diese Untersuchungen bisher verlaufen sind, dientdie Tatsache, dass mehrere Dutzend Abgeordnete der Re-gierungspartei und Provinzgouverneure in Haft genom-men wurden. Hier kann keine Rede davon sein, dass po-litische Korruption unter den Teppich gekehrt wurde. Mit

dieser Anschuldigung verfehlen die Grünen die Tatsa-chen in Kolumbien. Schon allein aus diesem Grund gehtder Antrag insgesamt in die falsche Richtung. Was dieeinzelnen Forderungen anbelangt, finden sich neben ei-nigen sinnvollen Maßnahmen auch völlig kontraproduk-tive Vorstöße. Dazu zählt, weitere Hürden zum Abschlusseines Assoziierungsabkommen zwischen Kolumbien undder EU aufzubauen. Kolumbien braucht für seine weitereinterne Stabilisierung wirtschaftliches Wachstum. Einebaldige Verbesserung der Handelsbeziehungen mit Eu-ropa kann dem nur helfen. Hier weitere Fallstricke zuspannen, wäre völlig fehl am Platz. Daher werden wir denEntschließungsantrag zu Kolumbien ablehnen.

Insgesamt ergibt sich ein gemischtes Bild, was dieAchtung der Menschenrechte in den Staaten der Anden-gemeinschaft und Venezuelas betrifft. Während Peru ver-sucht, pragmatisch die Lage im Lande zu verbessern,könnten die neuen Verfassungen in Bolivien und Ecuadorneben Verbesserungen der materiellen Situation der indi-genen Bevölkerung auch Gefahren für die politische Ge-waltenteilung und die Ausbreitung linkspopulistischerFeldversuche mit sich bringen. Trauriger Spitzenreiterbei der Missachtung bürgerlicher und politischer Men-schenrechte ist Venezuela, wo sich Präsident Chávez ineine Position zu bringen hofft, in der er noch über vieleJahre das Land beherrschen kann. Dagegen zeigt Kolum-bien, dass politischer Wettbewerb auch in diesen Ländernmöglich ist. Das verdient Respekt – und die UnterstützungDeutschlands und der Europäischen Union.

Michael Leutert (DIE LINKE):Die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bun-

desregierung bietet uns heute die Gelegenheit, die Ent-wicklung in einer Region zu diskutieren.

Lateinamerika ist – das gilt zumindest für meine Frak-tion – eine interessante Region. Um in die Vergangenheitzurückzugehen: Es ist ja noch nicht so lange her, da warLateinamerika überwiegend durch reaktionäre Diktaturenbeherrscht und zugleich Versuchsfeld für neoliberale Mo-dernisierungen. Die damit verbundenen Verwerfungensind noch immer spürbar. Heute herrscht Aufbruch, undich denke, dass es nicht pathetisch ist, wenn ich, vor diesemhistorischen Hintergrund, Lateinamerika als einen Motorsozialer und politischer Emanzipation bezeichne.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der gewürdigtwerden muss. 1973 wurde die Regierung Allende durcheinen blutigen Militärputsch hinweggefegt, ein faschisti-scher Massenterror gegen die tatsächlichen und ver-meintlichen Anhänger der Unidad Populare folgte. Dassnach dieser historischen Erfahrung es gerade in Latein-amerika noch einmal dazu kommen könnte, dass Links-regierungen den Weg einer ambitionierten Politik gehenwürden, die Armutsbekämpfung, Umverteilung von Reich-tum und Vergesellschaftung von natürlichen Ressourcenumfassen, dass sie diesen Weg gehen würden, ohne dabeizum Mittel der Diktatur zu greifen, das erfreut zumindestmeine Fraktion.

Die Voraussetzungen, von denen in Lateinamerikaausgegangen werden muss, sind andere als nach 1945 inWesteuropa. Das kriegszerstörte Westeuropa kam in den

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Genuss des Marshallplans, Lateinamerika kam in denhöchst zweifelhaften Genuss von IWF und Weltbank. Daherkonnte Westeuropa die großen Fortschritte hin zu einersozialen Demokratie machen, Lateinamerika muss diesenWeg gehen, aber mit den Folgen von Jahrzehnten derDiktatur und des Neoliberalismus. Vor diesem Hinter-grund müssen die Fortschritte und Defizite der Menschen-rechtsentwicklung beurteilt werden. Nur durch ein Verste-hen der historischen Entwicklung kann unsere Beurteilungüberhaupt erst kritisch, nicht einfach nur nörgelnd sein.

Überhaupt nicht nachvollziehen dagegen kann ich dieBeurteilung, die Kolumbien in der Antwort auf die GroßeAnfrage erhält. Ich möchte nicht zu hart klingen, aberwarum nennt man Kolumbien nicht einfach das, was eszurzeit ist? Ein durch ultrarechte Paramilitärs gestütztesreaktionäres Regime. Das summarische Urteil, in Kolum-bien habe es eine Verbesserung der Menschenrechtslagegegeben, wird nicht nur nicht konkretisiert, im unmittel-baren Anschluss zeichnet die Bundesregierung ein gera-dezu gegenteiliges Bild. Sie widerlegen Ihre eigene Ein-schätzung.

Zu den vorliegenden Entschließungsanträgen: DerEntschließungsantrag der Grünen zu Kolumbien reflek-tiert die Situation in Kolumbien wohl klarer als die Bun-desregierung. Ihm werden wir auch zustimmen. Zum aufVenezuela bezogenen Entschließungsantrag meinen wir,dass die Einzelforderungen ja nicht gleich falsch sind.Was aber auffällt ist der Umstand, dass die Gesamtlage derMenschenrechtsentwicklung in Venezuela vom Antragstel-ler verzerrt dargestellt wird. Wenn es stimmt, wie die Grü-nen ja zu Recht meinen, dass es eine über Jahrzehnte an-dauernde „Kultur der Gewalt“ gegeben habe, kann mander Regierung Chávez zwar vorhalten, damit noch nichtfertig geworden zu sein; aber angesichts der von denGrünen zugestandenen Fortschritte in der Armuts-bekämpfung dann ein Gesamturteil zu fällen, dass sichdie Menschenrechtslage verschlechtert habe, erschließtsich nicht als klar begründet. Deswegen wird die Linkedem zweiten Entschließungsantrag nicht zustimmen.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fast ein Jahr ist es her, dass Angela Merkel nach

Kolumbien reiste. Ein Besuch, den sie in „außerordent-lich guter Erinnerung“ hat, wie sie sagte, als ihr derkolumbianische Präsident Alvaro Uribe im Januar einenGegenbesuch abstattete. Frau Merkel und Herr Uribescheinen sich blendend zu verstehen. Die Beziehungenzwischen Kolumbien und Deutschland wirken durch diegegenseitigen Besuche aufgewertet, scheinen ein beson-ders positives Beispiel dafür zu sein, wie eng die Bezie-hungen zwischen Deutschland und Lateinamerika sind.

Ich finde es mehr als verwunderlich, dass die Bundes-kanzlerin sich so deutlich hinter ihren Kollegen Uribestellt. Denn machen wir uns nichts vor: Dass die Bundes-kanzlerin gerade Kolumbien auf ihrer bisher einzigenLateinamerikareise besuchte, muss als Zeichen der poli-tischen Unterstützung für Präsident Uribe verstandenwerden. Neben Kolumbien führte ihre Reise sie nachPeru, wo der EU-Lateinamerika-Gipfel stattfand, der derGrund der Reise war. Außerdem standen die beiden poli-

tischen und wirtschaftlichen Schwergewichte der Regionauf dem Programm: Mexiko und Brasilien. Mexiko zeich-net sich wie Peru und Kolumbien – und sonst kaum einStaat der Region – durch eine konservative Regierungaus. Und Brasilien wird zwar von einem linken Präsiden-ten regiert, dort galt es aber, eine Verlängerung desdeutsch-brasilianischen Atomvertrags unter Dach undFach zu bringen – ein Deal, der die deutsche Atomlobbymit Sicherheit erfreut.

Die Hofierung des kolumbianischen Präsidentendurch die Bundeskanzlerin stößt mir nicht auf, weil erzum konservativen Lager gehört. Sie stößt mir auf, weilsie mit einer Lobhudelei für eine Regierung einhergeht,die international respektierte Menschenrechtler öffent-lich diskreditiert, sie immer wieder in die Nähe derGuerilla stellt und damit ihr Leben gefährdet. Wenn Uribebei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel in Ber-lin sagt, „das Schlimmste, was dem Sprecher einer NGOin Kolumbien passieren kann, ist, dass er mit dem Präsi-denten diskutieren muss“, ist das reiner Zynismus. Dochder Zynismus der kolumbianischen Regierung hört hiernicht auf. Zu finden ist er immer dann, wenn geleugnetwird, dass in Kolumbien Bürgerkrieg herrscht, ein Bür-gerkrieg, der jedes Jahr Hunderttausende in die Fluchttreibt und in dem vom Militär, den Paramilitärs und derFARC schlimmste Menschenrechtsverletzungen began-gen werden. Zynisch ist es auch, wenn Uribe sagt, dass„die Streitkräfte Kolumbiens in der Welt die größten An-strengungen für die Bewahrung der Menschenrechte un-ternehmen“. Und es ist Zynismus, wenn die Demobilisie-rung der Paramilitärs als voller Erfolg gelobt wird undneue Gruppierungen wie die „Aguilas Negras“ als „ein-fache Drogenhändler“ dargestellt werden. Das Gegenteilist der Fall.

Die Unterstützung durch Merkel kommt zu einer Zeit,in der die Politik Uribes gegen den Paramilitarismus ge-scheitert ist. Sie kommt zu einer Zeit, in der die Verbin-dungen zwischen Paramilitarismus, Politik, Wirtschaftund Militär nicht mehr geleugnet werden können. Undaus welchem politischen Lager kommen denn die Politi-ker mit Verbindungen zu den Paramilitärs? Aus dem La-ger Uribes!

Wenn hohe Paramilitärs an die USA ausgeliefert undwegen Drogenhandels zu langjährigen Haftstrafen verur-teilt werden, wie zuletzt Diego Murillo, kann man das alsErfolg verkaufen. Das klappt aber nur so lange, wie manverschweigt, dass an die USA ausgelieferte Paramilitärsnie wegen begangener Menschenrechtsverletzungen vorein kolumbianisches Gericht gestellt werden können.Durch diese Auslieferungen wird verhindert, dass denOpfern von Menschenrechtsverletzungen Gerechtigkeitwiderfährt.

Kolumbien war lange der treueste Verbündete der USAin Lateinamerika. Durch den Regierungswechsel derUSA verändert sich die Situation aber erheblich. Es istnicht mehr selbstverständlich, dass die USA Kolumbienbei der Drogen- und Aufstandsbekämpfung mit massivenMilitärhilfen unterstützen. Wir waren immer gegen den„Plan Colombia“ und die Vorstellung, dass man mit mi-litärischen Mitteln Drogenanbau und Bürgerkrieg be-

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enden kann. Ein Strategiewechsel der USA gegenüberKolumbien scheint bevorzustehen.

Und ich denke, Deutschland täte in dieser Situationgut daran, seine Position zu Kolumbien zu überdenkenund Menschenrechtsverletzungen deutlich und öffentlichzu kritisieren. Das gilt für extralegale Hinrichtungendurch das Militär. Das gilt, wenn Paramilitärs Zivilistenvon ihrem Land vertreiben. Und das gilt auch, wenndurch die Politik der Regierung Zivilisten in Gefahr ge-raten, weil keine klare Trennung mehr zwischen Kombat-tanten und Nichtkombattanten möglich ist. Es ist die rich-tige Entscheidung gewesen, dass Deutschland sich nichtam „Plan Colombia“ beteiligt und auch nicht am angeb-lichen Waldschutzprogramm „Familias Guardabosques“ –gerade weil die Zivilbevölkerung durch diese Programmein den Konflikt mit hineingezogen wird. Die kolumbiani-sche Regierung versucht immer wieder Unterstützung fürdiese Programme zu bekommen – zuletzt bei den „Fami-lias Guardabosques“ und auch hier vergebens. Da kannman sich schon wundern, warum Uribe sich bei der ge-meinsamen Pressekonferenz bei der Bundeskanzlerin da-für bedankt, dass Deutschland genau dieses Programmunterstütze. Ich denke, der Grund dafür ist, dass von deut-scher Seite nicht klar gesagt wurde, dass dieses Pro-gramm nicht gefördert wird.

Und es ist auch ein Fehler, wenn die BundeskanzlerinUribe „all unsere Unterstützung“ beim Kampf gegen denDrogenanbau verspricht. Es wäre fatal, wenn Deutsch-land in die militärische Drogenbekämpfung einstiege, diezudem stark mit dem Kampf gegen die Guerilla verwobenist. Ich zweifle auch daran, dass die Bundesregierungernsthaft erwägt, sich hieran zu beteiligen. Aber dannkann die Bundeskanzlerin sich doch nicht bei einer Pres-sekonferenz hinstellen und en passant uneingeschränkteUnterstützung zusagen. Menschenrechte können in denbilateralen Beziehungen nicht nur ein Thema für Sonn-tagsreden sein. Sie müssen im Zentrum des bilateralenDialogs stehen – gerade bei einem Staat wir Kolumbien,der traurige Rekorde bei Menschenrechtsverletzungenaufstellt.

Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-

ßungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Werstimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache16/12879? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen derUnionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktiongegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenund der Fraktion Die Linke abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag aufDrucksache 16/12880? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit denStimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenbei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion DieLinke abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerBrüderle, Markus Löning, Dr. Karl Addicks, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Wettbewerbspolitik als Fundament der Sozia-len Marktwirtschaft stärken

– Drucksache 16/7522 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. GeorgNüßlein für die Unionsfraktion, Reinhard Schultz für dieSPD-Fraktion, Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion,Dr. Herbert Schui für die Fraktion Die Linke undDr. Thea Dückert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen.

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):Ich finde es immer bedauerlich, wenn die FDP eine

richtige Idee aufgreift, am Ende aber bei der Umsetzungscheitert; wohlgemerkt nicht an den Mehrheitsverhältnis-sen, sondern an der eigenen Betrachtungsweise. DieÜberschrift ihres Antrages „Wettbewerbspolitik als Fun-dament der Sozialen Marktwirtschaft stärken“ könnte ichsofort unterschreiben. Wenn man den Antrag aber liest,muss man leider feststellen, dass die FDP die sozialeMarktwirtschaft auf reine Wettbewerbspolitik reduziert –und das ist falsch.

Die soziale Marktwirtschaft ist keine Einbahnstraße zumehr Wettbewerb, schon gar nicht nach dem Motto„Freies Spiel der Kräfte, der Große frisst den Kleinen“.Neben Freiheit, Selbstverantwortung, Eigeninitiative undWettbewerb brauchen wir einen durchsetzungsfähigenStaat, der für einen stabilen Rechtsrahmen sorgt und sichauf die Solidarität mit den Schwachen konzentriert. Dashaben der Deutsche Bundestag und die Bundesregierungeindrucksvoll mit ihren schnellen, kraftvollen Maßnahmenim Kampf gegen die Auswirkungen der weltweiten Wirt-schaftskrise in Deutschland eindrucksvoll bewiesen. UnserStaat, unsere soziale Marktwirtschaft hat funktioniert. Alsder Zusammenbruch unseres Bankensystems drohte, habenwir innerhalb von Tagen einen wirkungsvollen Rettungs-schirm gespannt, und mit zwei gewaltigen Konjunktur-programmen – die langsam ihre Wirkung entfalten – habenwir uns an die Seite unserer leistungsfähigen Unternehmengestellt, um ihnen in diesen schwierigen Zeiten zu helfen.

Wir haben in Sachen HRE-Bank die gesetzlichenGrundlagen dafür geschaffen, dass nicht ein Einzelnerdie gesamte Volkswirtschaft erpressen kann. Wir werdenbeim Thema Bad Banks noch viele Anstrengungen daraufverwenden müssen, unseren Finanzsektor wieder mitGestaltungsspielraum und Vertrauen auszustatten, ohnedie Steuerzahler über Gebühr in Haftungsrisiken zu ma-növrieren.

Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle betonen, dasseben nicht die soziale Marktwirtschaft versagt hat, sondernVersager, insbesondere in den USA, unkalkulierbare Risi-ken eingegangen sind, sich falscher, interessengeleiteter

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Ratings bedient und diese Risiken über die Welt verteilthaben. Fehlentscheidungen, Lug und Trug kann die sozialeMarktwirtschaft nicht verhindern. Konstitutive Merkmalesind sie aber nicht.

Richtig ist, dass mehr Wettbewerb, mehr Freiraum fürEigeninitiativen und individuelle Verantwortung imGleichklang mit weniger staatlicher Bevormundung we-sentliche Elemente einer zukunftsfähigen, florierendenVolkswirtschaft sind. Die richtigen Forderungen nach we-niger staatlichen Reglementierungen und weniger Büro-kratie dürfen aber nicht als Forderungen nach freiem, un-reguliertem Wettbewerb verstanden werden. Der Vater dersozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, erklärte zuRecht, dass „Wohlstand durch Wettbewerb“ und „Wohl-stand für alle“ untrennbar zusammengehören.

Mithilfe der sozialen Marktwirtschaft haben wir auseinem durch einen furchtbaren Krieg zerstörten Land eineder stärksten Volkswirtschaften der Welt geschaffen. SeitJahren sind wir Exportweltmeister und belegen Spitzen-plätze auf vielen Weltmärkten. Gleichzeitig haben wir einsoziales Sicherungssystem aufgebaut, um das uns vieleLänder beneiden. Die soziale Marktwirtschaft hat einenbreit gestreuten Wohlstand gebracht mit einer Fülle vonChancen für die Menschen. Chancen für alle, das heißtzum Beispiel, dass jeder die Möglichkeit hat, sich auszu-bilden und weiterzubilden. Chancen für alle heißt auch,dass jeder entscheiden kann, ob er als Arbeitnehmer odermit einem tragfähigen Konzept als Unternehmer tätig seinwill. Damit jeder diese Chancen ergreifen kann, brau-chen wir eine marktwirtschaftliche Ordnung, in welcherdem Staat die Aufgabe zukommt, den Ordnungsrahmender Wirtschaft zu gestalten.

Die Antwort auf die Frage: Wie schaffen wir Wohlstandfür alle?, lautet also nicht: freier, ungebremster Wettbewerb.Die richtige Antwort lautet: Wir brauchen einen starkenWettbewerb mit maßvollen wettbewerbspolitischen und inAusnahmefällen sogar regulatorischen Maßnahmen desStaates. Das ist auch der Grund dafür, dass wir Kartell-ämter und Regulierungsbehörden aufgebaut haben. Siedienen dem Schutz des Wettbewerbs als Teil der sozialenMarktwirtschaft.

Die soziale Marktwirtschaft ist nicht am Ende, wie einigevom linken Lager behaupten. Die soziale Marktwirtschafthat uns die Kraft gegeben, dass Deutschland viel besserder schweren Banken- und Wirtschaftskrise begegnen kannals zahlreiche andere europäische Staaten. Die sozialeMarktwirtschaft hat ihre Bewährungsprobe bestanden.Das ausgewogene Verhältnis von Wettbewerb und sozialerVerantwortung für alle Menschen wird auch für künftigeGenerationen die Grundlage für solides Wirtschafts-wachstum und Wohlstand für alle sein.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Der Antrag der FDP sollte eigentlich lauten „Die un-

koordinierte Marktwirtschaft stärken“; denn genau dasist das Ziel, das Sie hier verfolgen. Seit Jahren „beglü-cken“ Sie uns mit Anträgen, in denen das Hohelied desMarktradikalismus rauf und runter gespielt wird. Undselbst jetzt, wo wir mitten in einer der schwersten Wirt-schaftskrisen stehen, vertrauen Sie auf die freien und sich

selbst regulierenden Kräfte des Marktes. Dabei waren esdoch gerade die Kräfte eines freien Marktes, nämlich desKapitalmarktes, die uns in diese verheerende globaleFinanzkrise gestürzt haben und die für die aktuelle Welt-wirtschaftskrise verantwortlich sind. Sie verlieren damitaus meiner Sicht völlig den gesellschaftlichen Überblick.Anstatt aus den Ursachen der Krise zu lernen, wollen Siemit ihren Deregulierungsforderungen ein System zemen-tieren, das ganz klar versagt hat.

Wir werden Sie dabei gewiss nicht unterstützen und er-teilen diesen Forderungen eine deutliche Absage. Dennwir wollen die Chance, die dieser Krise innewohnt, nut-zen und die soziale Marktwirtschaft tatsächlich stärken.Ein funktionierender und vor allem gerechter Wettbewerbauf nationaler, europäischer und internationaler Ebeneist dabei eine wichtige, jedoch nicht die einzige Kompo-nente. Vielmehr gehört für uns die Balance zwischen wirt-schaftlichem Wachstum und sozialer Gerechtigkeit zumKern des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells.Wir wollen soziale Ziele und Grundrechte im europäi-schen Binnenmarkt stärken und sicherstellen, dass diewirtschaftlichen Grundfreiheiten des europäischen Bin-nenmarktes keinen Vorrang vor sozialen Grundrechtenund Zielen haben. Nur so entsteht qualitatives Wachstum,das gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Fort-schritt sichert. Ein sich selbst überlassener Markt, wie dieFDP ihn fordert, ist sozial und ökologisch blind. Er wirdund muss scheitern.

Sie zitieren in ihrem Antrag von Hayek mit seiner De-finition des Wettbewerbs. Ich möchte zum Abschluss mei-ner Rede den Ökonomen Alfred Müller-Armack zitieren,der den Begriff und das Konzept der sozialen Marktwirt-schaft maßgeblich geprägt hat und dessen Buch „Wirt-schaftslenkung und Marktwirtschaft“ ich als erhellendeLektüre nur dringend empfehlen kann: Demnach istsoziale Marktwirtschaft keine sich selbst überlassene, li-berale Marktwirtschaft, sondern eine bewusst gesteuerte,und zwar sozial gesteuerte Marktwirtschaft. Und das istgenau die soziale Marktwirtschaft, für die wir stehen.

Rainer Brüderle (FDP): Wirtschaftspolitisch verstärkt der Reformvertrag der

Europäischen Union, als Vertrag von Lissabon am13. Dezember 2007 unterzeichnet, die ohnehin schon inden vertraglichen Grundlagen der Union bestehendenSpannungsfelder zwischen Markt und Wohlfahrtsstaat,zwischen Wettbewerb und Intervention sowie zwischenSystemwettbewerb und Zentralisierung.

Das europäische Bekenntnis zu einem „freien und un-verfälschten Wettbewerb“ findet im neuen Grundlagen-vertrag nur noch Berücksichtigung als Protokollnotiz.Auch wenn dies an der bestehenden Rechtslage zunächstnichts ändert, besteht doch die Befürchtung, dass die Be-fürworter dieser Änderung die wirtschafts- und gesell-schaftspolitische Grundausrichtung Europas langfristigändern wollen. Bertolt Brecht schrieb einmal: „Ver-trauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch ge-nommen wird.“ Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen.Die Bundesregierung ist daher aufgerufen, sich in Zu-kunft wieder für eine auch symbolische Stärkung des

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Rainer Brüderle

„freien und unverfälschten Wettbewerbs“ auf europäi-scher Ebene durch explizite Benennung in den Zielen dereuropäischen Verträge einzusetzen.

Zusätzlich ist in nationalen wie internationalen Ge-setzgebungen nachdrücklich dafür Sorge zu tragen, dassdas Wettbewerbsrecht nicht zu einem Mittel zur Durchset-zung staatlich definierter Wohlfahrtsziele degradiertwird. Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren ist alssolcher zu schützen. Dies hat schon der renommierteÖkonom und Nobelpreisträger Friedrich August vonHayek zu Recht herausgestellt. Wettbewerb ist das wir-kungsvollste Entmachtungsinstrument und dient damitdem Schutzbedürfnis Einzelner vor der wirtschaftlichenMacht anderer. Zugleich ist er der beste Verbraucher-schutz, da er die Interessen der Verbraucher an der Siche-rung einer günstigen Versorgung mit den von ihnen be-gehrten Produkten und Dienstleistungen gewährleistet.

Wettbewerb fordert aber auch abstrakte, offene Regelngerechten Verhaltens, unabhängig von überindividuellenZwecken. Wir brauchen daher eine Emanzipation desWirtschaftsrechts vom Einfluss gut organisierter Interes-sengruppen. Starke Wettbewerbshüter sind für die nach-haltige Sicherung marktwirtschaftlicher Strukturen uner-lässlich. Ein starkes Kartellamt mit klaren Befugnissen,adäquater Ausstattung und einem konsistenten ordnungs-politischen Auftrag war und bleibt ein Standortvorteil derBundesrepublik Deutschland. Die Unabhängigkeit dereuropäischen Wettbewerbspolitik ist durch die Schaffungeines politisch neutralen Europäischen Kartellamts zugewährleisten, welches dem Ziel eines Binnenmarkts mitfreiem und unverfälschtem Wettbewerb verpflichtet istund dabei auf ein ergebnisoffenes Wettbewerbskonzeptzum Schutz der Handlungsfreiheit der Marktteilnehmerund zur Sicherung einer wettbewerbsförderlichen Markt-struktur vertraut.

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Wenn Wettbewerb das Fundament der sozialen Markt-

wirtschaft sein soll, das behauptet der FDP-Antrag ja,dann ist die Frage gestellt, was denn der Wettbewerb imKonzept der sozialen Marktwirtschaft bewirken soll. FürEucken – bekanntlich der entscheidende Theoretiker die-ser Richtung – war Wettbewerb nicht eine ergebnisoffeneVeranstaltung – so das Verständnis der FDP. Vielmehrsollte er in seiner Idealform als vollständiger Wettbewerbdrei Ziele verwirklichen: Erstens. Die Unternehmen sindso klein, dass sie keinen politischen Einfluss ausübenkönnen. Damit ließe sich eine klare Trennung zwischender Sphäre der Wirtschaft und des Staates erreichen.Zweitens. Der Wettbewerb führt die wirtschaftlichenHilfsmittel ihrer bestmöglichen Verwendung zu. Drittens.Wettbewerb ist die Triebkraft der technischen Entwick-lung. Also ein klarer Zweck! Damit kann im Sinne der so-zialen Marktwirtschaft Wettbewerb nicht Zweck an sichsein. Er muss sich vielmehr – wie jede wirtschaftliche Or-ganisationsform – mit seinen Ergebnissen rechtfertigen.Er kann sich nicht mit sich selbst legitimieren bzw. damit,dass er – so die FDP – die „Handlungsfreiheit der Markt-teilnehmer“ schützt.

Die FDP ist in ihrem Antrag unentschlossen: Auf dereinen Seite fordert sie den ergebnisoffenen, den Wettbe-werb als Selbstzweck – auf der anderen Seite aber soll erkonkreten Schutzanliegen nachkommen, so „die Markt-macht“ eliminieren oder die „Konsumentenwohlfahrtfördern“. Erfüllt er aber diese Erwartungen, dann ist ernicht mehr ergebnisoffen. Also was denn nun, was ist dieWettbewerbsidee der FDP, wie soll er begründet werden?

Die FDP ist besorgt über die Abwertung des Art. 3Abs. 1 EGV. Darin ist unter anderem der freie Dienstleis-tungsverkehr festgeschrieben. Damit ist der freie Wettbe-werb auf dem Arbeitsmarkt mit gemeint. Die Konsequen-zen aus diesem Artikel sind die Dienstleistungsrichtlinieund etliche Urteile des EuGH, die die Koalitionsfreiheitdrastisch einschränken. So kippte das Rüffert-Urteil dasniedersächsische Vergaberecht. Wie schon in den Urtei-len zu Laval und Viking Line hat der EuGH auch hier ent-schieden, dass der Kampf um gleiche Löhne und Arbeits-bedingungen mit Verweis auf die Dienstleistungs- undNiederlassungsfreiheit der Unternehmen eingeschränktwerden kann. Damit ist die Koalitionsfreiheit nichts mehrwert.

Wenn auch auf dem Arbeitsmarkt nach Vorstellungender FDP freier und unverfälschter Wettbewerb herrschensoll, dann bedeutet das vor allem eine Minimierung desLohnes und die Schwächung der Gewerkschaften. DerLohn darf kein Wettbewerbslohn sein. Deshalb gibt esLohntarifverträge und – unterstützend – den gesetzlichenMindestlohn. Eine solche Barriere auf der Lohnseite ver-hindert, dass unternehmerischer Einfallsreichtum sichauf Lohnsenkungen konzentriert statt auf Prozess- undProduktinnovationen.

Wenn aber Wettbewerb ergebnisoffen ist, dann fragtsich, ob alle dieses Ergebnis akzeptieren. Was wollen Sietun, wenn bei ergebnisoffenem Wettbewerb die Löhne ab-sinken und dies von den Beschäftigten nicht hingenom-men wird? Wollen Sie Demonstrationen untersagen und,wenn nötig, deswegen das Grundgesetz ändern, damitschließlich alle den Wettbewerb als Selbstzweck akzeptie-ren?

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gestern hat in Tschechien nach dem Abgeordneten-

haus auch der Senat dem Vertrag von Lissabon zuge-stimmt. Der Staatspräsident Vaclav Klaus zögert noch.Das ist schade; denn gerade jetzt braucht Europa denVertrag dringender denn je. Nur eine starke EU kann diedrängenden Probleme wie die Finanz- und Wirtschafts-krise, den Klimawandel, eine sichere Energieversorgungoder die gerechte und soziale Gestaltung der Globalisie-rung lösen.

Und da kommt die FDP mit einem Antrag, in dem ge-gen den Vertrag von Lissabon gestänkert wird, weil darinangeblich das Wettbewerbsprinzip entwertet wird. Ichglaube, meine Damen und Herren von der FDP, Sie habenda etwas grundlegend falsch verstanden. Wenn man IhrenAntrag liest, wird das mehr als deutlich. Sie verstehenWettbewerb als Selbstzweck und glauben, wenn man demMarkt freie Hand ließe, werde von allein alles gut.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Dr. Thea Dückert

Es gibt so viele Beispiele, zum Beispiel in der Energie-erzeugung, in denen mangelnde Regulierung des Markteszu Monopolbildung, Preissteigerungen und massivenUmweltschädigungen geführt hat. Und das, da sind wiruns doch sicher einig, gereicht zum Nachteil des Verbrau-chers, oder, wie Sie es nennen, des Konsumenten.

Sie von der FDP bemängeln nun, dass Wettbewerb ver-stärkt an der Konsumentenwohlfahrt ausgerichtet werdensoll. Aber wozu soll Wettbewerb denn sonst dienen? Wasist falsch daran, wenn der Strom bezahlbar bleibt und dieErderwärmung begrenzt wird? Denn genau das versteheich unter Konsumentenwohlfahrt.

Damit wir uns richtig verstehen: Auch wir Grüne sindfür Wettbewerb. Auch wir glauben, dass nur durch Wett-bewerb Fortschritt zum Wohle des Verbrauchers und desKlimas entstehen kann. Der Unterschied zu Ihnen istaber, dass wir echten und fairen Wettbewerb herstellenund sichern wollen, und dafür ist auch Regulierung nötig.

Für eine solche Wettbewerbspolitik haben wir den Be-griff der Grünen Marktwirtschaft geprägt. Für einen öko-logischen Umbau brauchen wir die Dynamik der Märkte.Eine konsequente Wettbewerbspolitik kann vermachteteMärkte wie die Energie- und Lebensmittelmärkte aufbre-chen und Verbraucherrechte stärken. Denn Wettbewerbsetzt Anreize für Investitionen sowie für soziale und tech-nologische Innovationen.

Wir wissen aber auch, dass Märkte an sich ökologischund sozial blind sind. Für dieses Marktversagen benöti-gen wir einen Ordnungsrahmen, der politisch gesetztwird. Dazu gehört auch, dass Umweltkosten in das indi-viduelle Entscheidungskalkül integriert werden. Hierwollen wir in erster Linie marktwirtschaftliche Instru-mente wie Steuern, Zertifikate und Informationen nutzen.

Wenn man sich die Vorstellungen der FDP zur Ener-giepolitik anguckt, stellt man fest: Wir sind in vielem garnicht so weit voneinander entfernt. Auch die FDP will dieStromübertragung von der Stromerzeugung trennen unddamit auch kleineren Anbietern, die oft dezentral Stromaus erneuerbaren Energien erzeugen, den Marktzutritterleichtern. Auch die FDP will die Photovoltaik mit de-gressiv ausgestalteten Steuerzuschüssen fördern.

Aber dann wird es wieder schizophren. Die FDP willdie Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern. Dabeisind weder die Sicherheit von Atomkraftwerken gegebennoch die Endlagerproblematik gelöst oder die Verfügbar-keit von Uran dauerhaft gewährleistet. Diese Unsicher-heiten verursachen sowohl externe Kosten als auch Kos-ten für die kommenden Generationen, die sämtlich nichtoder nur zum Teil in den Preisen der Betreiber von Atom-kraftwerken enthalten sind. Und das ist extrem wettbe-werbsverzerrend.

Vollends absurd wird es, wenn man sich die kleinen,aber feinen Ausnahmen anguckt, die die FDP für ihre Kli-entel macht: Von den einen wird laut gefordert, sie solltensich dem rauen Klima der Globalisierung stellen. Ganzbesonders auf dem Arbeitsmarkt. Für Ärzte, Apotheker,Architekten, Handwerksmeister, Rechtsanwälte und vieleandere Selbstständige aber verteidigt die FDP dagegendie schützenden Standesprivilegien. Markt und Wettbe-

werb haben dort ihre Grenzen, wo sie die Verdienstmög-lichkeiten der die FDP tragenden Klientel beschneiden.Dieser Wettbewerbsbegriff ist ebenso scheinheilig wie diegebetsmühlenartigen Forderungen nach Steuersenkun-gen und wird der FDP im Wahlkampf um die Ohren flie-gen. Die Menschen wollen Konzepte und keine Klientel-politik.

Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/7522 an den Ausschuss für Wirtschaftund Technologie vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung sobeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaBehm, Peter Hettlich, Nicole Maisch, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verkehrsprojekt 17 Deutsche Einheit jetzt be-enden – Kein Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals

– Drucksache 16/12116 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: RenateBlank für die Unionsfraktion, Jörg Vogelsänger für dieSPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion, Diana Golze für die Fraktion Die Linke undCornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Blank (CDU/CSU): Wir wollen weiterhin die Wettbewerbsfähigkeit der

deutschen Binnenschifffahrt erhalten und sichern, um sounter wirtschaftlichen Betrachtungen mehr Güterverkehrvon der Straße auf das Wasser zu verlagern. Aus diesenGründen befürworten wir den Ausbau der Havel zu einerverkehrstüchtigen und effizienten Wasserstraße. Dabeikommt dem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 17 eine be-sondere Bedeutung zu.

Beim vorliegenden Antrag der Grünen-Fraktion erin-nere ich mich zunächst daran, dass der heute gültigeBVWP, der auch das 1992 beschlossene VDE Nr. 17 wei-ter als „vordringlich“ beinhaltet, im Jahr 2003, also inder Regierungszeit von Rot-Grün, beschlossen wurde.Die Grünen-Fraktion hat dem damals im Bundestag zu-gestimmt, freilich nicht ohne hinterher eine Pressemittei-lung mit Eigenlob zu verbreiten, die, wahrscheinlich umdie eigene Klientel zu beruhigen, triumphierend daraufhinweist, dass gleichzeitig dafür gesorgt wurde, dass derFinanzrahmen in den nächsten Jahren ohnehin nicht füreine Verwirklichung ausreichen werde. Das ist nicht ge-rade das, was ich unter „Nachhaltigkeit“ verstehenwürde; das ist ein durchsichtiges Doppelspiel.

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Renate Blank

Meine Damen und Herren von den Grünen, auch an-gesichts nahender Wahlen macht die permanente Wieder-holung von falschen Behauptungen diese nicht wahrer:Wie Sie sehr wohl wissen, gibt es, was den wasserrechtli-chen Teil anbelangt, überhaupt keine negativen Auswir-kungen auf die Landschaft vor Ort, keine negativenAuswirkungen auf das Weltkulturerbe in Potsdam. Ichempfinde es als mehr als seltsam, dass die lokale Natur-schutzszene auf der einen Seite dieses Projekt großartiglobt und sagt, wie toll das alles ist. Auf der anderen Seitegibt es Klagen. Das ist kein gradliniger Weg, der einge-schlagen wird. Das Verkehrswegeprojekt Deutsche Ein-heit Nr. 17 ist zwar schon über die Hälfte abgeschlossen,bietet aber immer noch zahlreiche Chancen zur Aufwer-tung der Gewässerqualität und des Naturschutzes entlangder mittleren Havel. So wurden zum Beispiel bereits sämt-liche erforderlichen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmenaußerhalb des Baufeldes für den geplanten Ausbau desSacrow-Paretzer-Kanals realisiert, obwohl mit den ei-gentlichen Baumaßnahmen für dieses Teilprojekt nochgar nicht begonnen wurde!

Was ist eigentlich in den letzten Jahren geschehen? ImAntrag wird ja doch der Eindruck erweckt, als ob das Ver-kehrsprojekt 17 noch den gleichen Planungsstand wie zuder Zeit habe, als es 1992 gestartet wurde. Das VDE 17wurde seinerzeit – unter meiner Beteiligung – in denBVWP 1992 aufgenommen und beruhte damit folgerich-tig auf den damals erstellten Verkehrsprognosen für denZeithorizont 2010. Inzwischen wurden die Prognosen be-kanntlich für den Bundesverkehrswegeplan 2003 überar-beitet – Prognosehorizont war dort das Jahr 2015. Auchdanach wurde das Projekt, wie erwähnt, in den vordring-lichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes 2003 über-nommen. Seit Dezember 2007 gibt es nun auch eine Lang-fristprognose für den Zeithorizont 2025. Allein schon ausdem zu erwartenden Seehafenhinterlandverkehr ergebensich dabei enorme Chancen für die Binnenschifffahrt.

Seit dem Jahr 2004 sind die Umschlagleistungen derBinnenschifffahrt in Berlin übrigens um über 30 Prozentund in Brandenburg um über 17 Prozent angestiegen.Heuer kann erstmals eine durchgehende Brückendurch-fahrtshöhe von mehr als 4,50 Meter zwischen den Nord-seehäfen und Berlin und Brandenburg angeboten werden.Damit wird die Wirtschaftlichkeitsschwelle für Contai-nertransporte überschritten, sodass aktuell eine Zu-nahme des Verkehrs auf der Wasserstraße zu erwarten ist.

Verkehrsminister Tiefensee hat in einer Presseerklä-rung vom März 2008 in aller Deutlichkeit klargestellt,dass er konsequent an der wirtschaftlichen Anbindungdes Westhafens Berlin an das europäische Wasserstra-ßennetz der Wasserstraßenklasse Vb festhält, und hatdazu auch noch einmal explizit die wichtigsten Projekt-ziele für den Ausbau benannt: Zulassung des Verkehrsmit Großmotorgüterschiffen und Schubverbänden bis185 Meter Länge und 2,80 Meter Abladetiefe.

Erwecken Sie auch bitte nicht wieder den Eindruck,dafür sind Sie, Kolleginnen und Kollegen der Grünen,viel zu sehr versierte Verkehrspolitiker, dass die aktuelleDelle im Bereich des Güterverkehrs bzw. im Bereich derLogistik nun als Messlatte für den Ausbau von Verkehrs-

wegen genommen werden könnte; denn Sie wissen sehrwohl, dass man Verkehrswege tatsächlich in einem völliganderen Zeithorizont planen und bauen muss.

Der von Ihnen geforderte Verzicht auf den Ausbau dermittleren Havel nach Wasserstraßenklasse V und ein Ver-zicht auf 2,80 Meter Abladetiefe bedeutet 25 ProzentMehrkosten für Massenguttransporte der Energie- undBauwirtschaft sowie die Stahlindustrie und die Land- undForstwirtschaft und den Verzicht auf einen netzkonfor-men Anschluss an das standardisiert ausgebaute euro-päische Wasserstraßennetz für Hersteller hochwertigerAnlagentechnik – Generatoren, Transformatoren, Wind-kraftanlagen etc.. Das kann zu Negativentscheiden beider Standortauswahl für Neuansiedlungen und mittelfris-tig auch zu Standortverlagerungen von Herstellernschwerer und großformatiger Industriegüter führen.Übertragen auf die Bahninfrastruktur würden die Forde-rungen der Ausbaugegner bedeuten, dass die Gleisanla-gen in Berlin und Brandenburg, bei anstehenden Ersatz-investitionen, nur noch auf die Spurweite der HarzerSchmalspurbahnen ausgelegt würden. Ich kann mir kaumvorstellen, dass Sie das wollen! In diesem Zusammen-hang staune ich übrigens über die im Antrag geäußertebizarre Meinung, die Erhöhung der LKW-Maut würde40 Zentimeter Abladetiefe quasi überflüssig machen –das ist, vorsichtig ausgedrückt, reines Wunschdenken undgeht an den Realitäten vorbei!

Die Binnenschifffahrt muss den Transport für circa200 Euro pro Container anbieten, um konkurrenzfähig zuLkw – 350 bis 450 Euro pro Container – und Bahn – circa300 Euro pro Container – am Markt operieren zu können.Auf einen Ausbau für das „Großmotorgüterschiff“ mit110 Meter Länge und 11,45 Meter Breite kann daher nichtverzichtet werden. Anderenfalls findet die auch umwelt-politisch von uns allen gewollte Verlagerung von Contai-nerverkehr auf das Binnenschiff nicht statt. Viele Exper-ten sind schon heute der Auffassung, dass die vorhandeneStraßen- und Gleisinfrastruktur im Seehafenhinterland-verkehr nicht mehr in der Lage ist, die mittelfristig erwar-tete weitere Verdopplung des Containerverkehrs aus denbzw. in die Seehäfen ab- bzw. anzufahren.

Die Ausbauvorhaben haben auch keine negativen Aus-wirkungen auf die Wasserstände in der Region: Nachvollständiger Realisierung des VDE 17 entsprechend ak-tuellen Ausbauplanungen ergeben sich für die Stauhal-tung Brandenburg an der Havel nach den aktuellsten Er-kenntnissen keine nennenswerten Veränderungen derOberflächen- und Grundwasserverhältnisse. Als proble-matisch ist allenfalls die Veränderung der Überflutungs-dynamik auf den natürlichen Überflutungsflächen derHavel bei Hochwasser zu betrachten. Hauptursächlichsind hierbei allerdings die Veränderungen im Wasserdar-gebot, welches von der Binnenschifffahrt und vom Ver-kehrswasserbau nicht beeinflusst werden kann. Zu Hoch-zeiten der DDR-Braunkohlenförderung wurden nochmehrere Milliarden Kubikmeter Grundwasser aus denTagebauen abgepumpt und über Spree und Schwarze Els-ter abgeleitet. Dadurch wurde der natürliche Abfluss derSpree um zeitweise über 30 m³/s aufgehöht. Die darausbereits eingetretenen Veränderungen der Überflutungs-dynamik sind deutlich gravierender als die aus dem

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Renate Blank

VDE 17 zu erwartenden. Die Bewältigung der aus denVeränderungen resultierenden Konflikte für Natur undLandschaft ist also eine Gemeinschaftsaufgabe, für diedas Know-how und die Ressourcen des Verkehrswasser-baus in idealer Weise genutzt werden können.

Die „FAZ“ und der „Berliner Tagesspiegel“ publizier-ten im vergangenen Jahr wieder einmal die Mär von denfaulenden Fundamenten der Potsdamer Schlösserland-schaft durch sinkende Wasserstände infolge des umwelt-verträglichen Ausbaus der mittleren Havel zur Wasser-straßenklasse V. Dabei weiß man längst, dass das VDE 17keine Bedrohung, sondern eine Chance für die Funda-mente der kulturhistorisch wertvollen Bauwerke dar-stellt. Die für die Gründung und die Standsicherheit derGebäude maßgebenden Wasserstände sind die Niedrig-wasserstände. Insbesondere bei den holzpfahlgegründe-ten Baudenkmälern, wie dem Marmorpalais im NeuenGarten und der Sacrower Heilandskirche kann ein Absin-ken der Niedrigwasserstände von negativer Bedeutungsein, wenn die hölzerne Gründungskonstruktion oberhalbdes Grundwasserspiegels freiliegt und die Wassersätti-gung des Holzes abnimmt. Dann besteht die Gefahr einesPilzbefalls, welcher zur Entfestigung des Holzes undnachfolgend zu bauwerksschädigenden Setzungen führenkann. Die Niedrigwasserstände werden durch den Aus-bau der Havel jedoch nicht verändert! Damit wird dasVDE 17 sogar zur wichtigsten Chance für die Festschrei-bung hoher Niedrigwasserstände in der StauhaltungBrandenburg und damit zum wichtigsten Verbündetenbaufachlich interessierter Beschützer kulturhistorischwertvoller Bauwerke.

Der geplante Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals istnicht nur wichtig für die weitere Entwicklung der preis-werten, sicheren, schadstoffarmen und lärmfreien Bin-nenschifffahrt in Berlin und Brandenburg, er zeigt auchneue Wege zur kooperativen und ergebnisorientierten Be-wältigung der naturschutzfachlichen Eingriffsregelungauf. Eine schnelle Verwirklichung des Projekts erachteich daher als wichtig und richtig, da es in dieser außer-gewöhnlichen Situation einer besonderen Anstrengungbedarf, um auch die Auswirkungen der globalen Wirt-schaftskrise für die örtliche Wirtschaft und für die Bevöl-kerung so gering wie möglich zu halten

Die Zeiten einer Frontbildung, hier „guter“ Umwelt-schützer, da „böser“ Verkehrspolitiker, sollten vorbeisein, noch dazu wenn es um den ökologischen Verkehrs-träger Binnenschifffahrt geht. Wir räumen den Belangenvon Natur und Landschaft einen hohen Stellenwert ein.Auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen, so habenVerkehrswasserbauer und Naturschützer doch eine großeInteressenschnittmenge rund um die Nutzungskonfliktezum Thema Binnenschifffahrt. Für Konfliktpunkte zwi-schen wasserbaulichen Maßnahmen und Naturschutzkönnen vielfach umweltgerechte Lösungen gefunden wer-den. Ich appelliere daher an alle Beteiligten, auf der Ba-sis einer konstruktiven Diskussion gemeinsam die enor-men Chancen zu nutzen, die sich uns beim Ausbau derWasserstraßen und der Bewahrung unserer Natur bieten.Die Entwicklung einer leistungsfähigen Verkehrsinfra-struktur wie der Ausbau der Bundeswasserstraßen und

die Bewahrung einer nachhaltigen Kultur- und Natur-landschaft müssen keine Gegensätze sein.

Die aus dem internationalen Flaggenalphabet abge-leitete Flagge des Aktionsbündnisses zum Havelausbau-stopp steht für den Buchstaben „L“ und bedeutet für dieSchifffahrt „Bringen Sie Ihr Fahrzeug sofort zum Ste-hen!“. Während einer sportlichen Regatta steht dieschwarz-gelbe Flagge jedoch auch für „Bitte kommen Siein Rufweite!“. In diesem Sinne rufe ich Ihnen zu, die gu-ten Argumente, die für den Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals sprechen, nicht aus ideologischen und vermeint-lich populistischen Gründen zu überhören.

Jörg Vogelsänger (SPD): Die Schifffahrt ist als Transportmittel zweifellos das

umweltfreundlichste Verkehrsmittel für den Gütertrans-port, insbesondere bei Massengütern. Der Energiever-brauch pro Tonne und Kilometer liegt weit unter dem vonStraße und auch Schiene. Deshalb sollten wir dem Trans-portmittel Schiff nicht negativ gegenüberstehen. Wir dür-fen uns notwendigen Maßnahmen und Investitionen ander Wasserstraße nicht verschließen.

Bezüglich des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“Nr. 17 gab es zahlreiche Untersuchungen und Erörterun-gen. Das war notwendig, und in dessen Folge sind dieAusbaumaßnahmen beim Projekt 17 kaum noch ver-gleichbar mit den Planungen Anfang der 90er-Jahre. Dasist auch ein Erfolg von engagierten Bürgerinnen und Bür-gern, die sich hier eingebracht haben. Das deutsche Pla-nungsrecht bietet hierfür vielfältige Möglichkeiten. DieForderung, die Binnenschiffe sollten sich ausschließlichden Wasserstraßen anpassen, nützt uns dabei jedoch we-nig. Wir brauchen eine leistungsfähige Wasserstraßen-infrastruktur. Durch die deutsche Teilung und die DDR-Mangelwirtschaft wurde die Wasserstraße systematischvernachlässigt. Im Übrigen sind Kanäle künstliche Was-serstraßen. Der Sacrow-Paretzer-Kanal ist zwischen1874 und 1876 von Menschen geschaffen worden. EineWasserstraße muss, wie bei anderen Verkehrswegenauch, immer wieder modernisiert werden. Diese Maß-nahme gefährdet zudem nicht die Potsdamer Kulturland-schaft.

Die Modernisierung des Sacrow-Paretzer-Kanals er-folgt im Einvernehmen mit dem Land Brandenburg, undes ist kein massiver Ausbau vorgesehen. Das Land Bran-denburg hat ein hohes Interesse an Investitionen in dieWasserstraße. Ein gemeinsamer Erfolg von Bund unddem Land Brandenburg ist erst kürzlich erzielt wordenmit dem abgesicherten Neubau des SchiffshebewerkesNiederfinow. Zudem stellt der Bund, mit mehrheitlicherUnterstützung des Bundestages, zusätzliche Mittel für dieWasserstraße über das Konjunkturprogramm bereit. Da-mit investieren wir verstärkt in ein ökologisches Ver-kehrsmittel. Eine leistungsfähige Anbindung an das gutausgebaute westeuropäische Binnenwasserstraßennetzund auch den Hafen Szczecin wird für Berlin/Branden-burg ein Standortvorteil werden.

Selbstverständlich gibt es bei überregionalen Verkehrs-projekten immer wieder regionale Widerstände. Es ge-hört zu unserem demokratischen System, dass man hier

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auch entsprechende Rechtsmittel nutzt. Für uns Verkehrs-politiker bleibt die stärkere Nutzung der Wasserstraßedurch die Binnenschifffahrt eines der wichtigstes Ziele.Die Ausbaumaßnahmen am Sacrow-Paretzer-Kanal hal-ten wir hierfür für notwendig und angemessen.

Hans-Michael Goldmann (FDP): Seit 15 Jahren läuft das Verkehrsprojekt 17 zur Deut-

schen Einheit. Stets zu knappe Mittelzuweisungen habenzu jahrelangen Verzögerungen geführt. Jetzt sind wir end-lich fast fertig, die Anbindung Berlins an das Wasserstra-ßennetz ist fast abgeschlossen, da kommen die Grünenwie Kai aus der Kiste und wollen die bisherigen Investi-tionen ad absurdum führen. Sie sehen Probleme, wo eskeine gibt.

Bereits 2003 hat die Bundesregierung (der damals dieGrünen noch angehörten) auf eine Kleine Anfrage derFDP geantwortet, dass die Beeinflussungen des Grund-wasserstandes durch den Kanalausbau kleiner als dienormalen jährlichen Schwankungen sind. Außerdem seiPotsdam in seinem Status als Weltkulturerbe nicht beein-trächtigt. Gilt das alles nicht mehr, weil die Grünen jetztin der Opposition sind?

Auch verkehrswirtschaftliche Entwicklungen verursa-chen keinen neuen Entscheidungsdruck. Eindeutig ist,dass der Kanalausbau ohne Alternative ist, weil eineNordumgehung nicht nur teurer, sondern auch umwelt-schädigender wäre. Eine alleinige Sanierung des Kanalsist ebenfalls nicht sinnvoll, weil dann in drei betroffenenSeen Wartestellen einzurichten wären.

Mit Bedauern ist weiterhin festzuhalten, dass der all-gemeine Zustand der Wasserstraßen in den neuen Län-dern auch 20 Jahre nach dem Mauerfall immer nochschlecht ist, teilweise sogar schlechter als zu Zeiten derDDR. Die von Anfang an zu niedrigen Mittelzuweisungenwurden unter Rot-Grün noch einmal verschlechtert.Umso wichtiger ist es, dass wir uns endlich der Fertig-stellung des VDE 17 nähern.

Zu Recht weisen die Industrie- und Handelskammernauf die Standortwirkung des fertigen VDE 17 hin.120 Häfen und Umschlagstellen werden hierdurch ver-bunden. Wir können nicht immer nur von der Verlagerungdes Güterverkehrs von der Straße auf Wasserwege reden,wir müssen dann auch die Voraussetzungen für eine sol-che Verlagerung schaffen.

Diana Golze (DIE LINKE): Die Planungen zum Sacrow-Paretzer-Kanal sind ein

Schildbürgerstreich erster Güte. Was sich die Wasser-und Schifffahrtsdirektion Ost – WSD Ost – hier leistet,muss einmal in aller Ausführlichkeit gewürdigt werden.

An erster Stelle auf dieser Negativ-Würdigungslistesteht für mich, dass ein Planfeststellungsbeschluss ohnesubstanzielle Begründung erlassen wurde. Mit substan-ziell meine ich, dass keine konkreten Verkehrszahlen ge-nannt werden. Ein so großes Projekt zu planen, ohne esmit konkreten Fakten zu unterlegen, ist nicht nur für michmehr als fragwürdig. Wer sich ein wenig mit Verkehrspo-litik beschäftigt, weiß: Verkehrsprojekte werden damit be-

gründet, dass es einen Bedarf gibt. Und dieser Bedarf lei-tet sich aus dem Verkehrsaufkommen ab, das auf einerStraße oder, wie in diesem Fall, auf einem Kanal erwartetwird. Dazu werden Verkehrsprognosen erarbeitet, die zei-gen, ob der Verkehr ausreicht, ein Projekt zu bauen – odernicht. Dass ich mit meinem Anspruch an Verkehrswege-planung nicht ganz verkehrt liege, wird dadurch deutlich,dass dies seit jeher auch vom Verkehrsministerium so ge-handhabt wird. Auch wenn wir bei einigen Planungen zuanderen Ergebnissen kommen würden, sollte wenigstensdiese auf der Basis von fundierten Erhebungen fußendeArbeitsweise gängige Praxis bleiben.

Beim Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals bekommtman allerdings den Eindruck, dass Verkehrsprognosendie WSD Ost gar nicht interessieren. Sie ist offenkundigder Auffassung, dass die Zahlen für die Festlegung desBedarfes eines Ausbaus unerheblich sind. Dass dabei dieParlamentarische Staatssekretärin Karin Roth in derFragestunde am 24. September 2008 Schützenhilfe gege-ben hat, macht den Sachverhalt noch ein Stück makabe-rer.

Wenn man sich die entsprechenden Verkehrsprognosenallerdings einmal ansieht, dann weiß man natürlich auch,warum das Ministerium und die WSD Ost diese nicht be-rücksichtigen wollen: Die Ende 2007 vorgelegten Zahlenliegen nämlich um 70 bis 80 Prozent unter den früherenvon Anfang der 1990er-Jahre. Der Schildbürgerstreichwird dadurch komplett, dass die Ausbauentscheidung aufdiesen alten Prognosen beruht. Mit den aktuelleren Erhe-bungen wäre freilich der Ausbau nicht mehr zu rechtfer-tigen. Dabei kennt die Bundesregierung die Fakten! Inihrer gestern eingetroffenen Antwort auf eine Kleine An-frage meiner Fraktion, die auf meine Initiative hin einge-reicht wurde, werden sie alle aufgelistet. Andererseitsverschweigt die gleiche Staatssekretärin hier die Zahlenaus den alten Prognosen – und damit die erhebliche Dif-ferenz. Auf die schwerwiegenden ökologischen Folgenwill ich an dieser Stelle gar nicht eingehen. Die verkehrs-politischen und haushaltspolitischen Gründe reichen völ-lig aus, dieses Projekt umgehend zu beenden.

Die rot-rote Koalition in Berlin ist mit gutem Beispielvorangegangen: Das Abgeordnetenhaus hat einen Be-schluss gefasst, im Berliner Abschnitt des VDE 17 auf denAusbau zu verzichten. Warum kann nicht in Brandenburgdas gehen, was auch in Berlin gehen kann? Wir brauchenkeinen Ausbau für den reibungslosen Begegnungsverkehrauf dem Sacrow-Paretzer-Kanal, und wir brauen auchkeine Vertiefung auf eine Abladetiefe von 2,80 Meter.Wenn es ein Wachstum in der Binnenschifffahrt gibt, dannbei den zweilagigen Containerverkehren. Für die reichen2,20 Meter Abladetiefe aber aus. Deswegen reicht eineSanierung des Kanals völlig aus.

Ich bin allerdings nicht völlig ohne Hoffnung, dasssich das Verkehrsministerium und die WSD Ost dochnoch Sachargumenten öffnen. Schließlich ist gegen denPlanfeststellungsbeschluss eine Klage des BUND anhän-gig, die angesichts der völlig unzureichenden Projektbe-gründung sehr aussichtsreich ist. Auch die Stadt Potsdamklagt. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtswird erst nach der Bundestagswahl erwartet. Die Bun-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Diana Golze

desregierung hat also noch etwas Zeit, ihr Gesicht zuwahren und vor einem vernichtenden Urteil ihre Planun-gen zu stoppen.

Statt Stück für Stück die veralteten Planungen zu rea-lisieren – mit einer erheblichen Verschwendung von Steu-ergeldern –, fordere ich die Bundesregierung dazu auf,auf Basis der aktuellen Verkehrsprognosen und deraktuellen Entwicklung in der Binnenschifffahrt ein neuesGesamtkonzept für die Elbe und die Wasserstraßen öst-lich der Elbe zu entwickeln.

Die für diesen Ausbau geplanten 65 Millionen sollenhier völlig sinnlos verschwendet werden. Wie Sie sich si-cher vorstellen können, hätte ich viele Vorschläge, woman dieses Geld nutzbringender verwenden könnte. DieBezeichnung „nachhaltig“ würden zum Beispiel auch dieInvestitionen in den Kita-Ausbau und in Bildung verdie-nen. Und wenn es nur dafür gut ist, dass die kommendeGeneration bedachter und klüger mit unserer Umweltumgeht, weil sie es besser weiß.

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer 17

(VDE 17) ist ein Überbleibsel aus einer Zeit großerWachstumshoffnungen und Träume von großen Güter-frachten per Binnenschiff durch Ostdeutschland. Wieviele Träume kurz nach der Wiedervereinigung habensich auch diese nicht erfüllt. Die Bundesregierung mussnun endlich der Realität Rechnung tragen und dasVDE 17 geordnet beenden, und zwar so schnell wie mög-lich.

Die den Planungen des Wasserstraßenausbaus zu-grunde liegenden Prognosen für Gütertransporte aus denJahren 1992 und 1995 sind inzwischen um 70 bis 80 Pro-zent nach unten korrigiert worden. Die aktuelle, im Auf-trag des Bundesverkehrsministeriums erstellte „Pro-gnose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen2025“ rechnet, bezogen auf das Jahr 2004, in der RegionBerlin-Brandenburg mit einer Reduzierung des Binnen-schifffahrtsgüterverkehrs um 26 Prozent. Vor diesem Hin-tergrund droht mit den bestehenden Ausbauplänen mas-sive Steuerverschwendung.

Die Überdimensionierung der Ausbaupläne zeigt sicham im letzten Jahr planfestgestellten, 12,7 Kilometer lan-gen Projektteilstück des Sacrow-Paretzer-Kanals. Wederöstlich noch westlich dieses Teilstücks wurden bisher Pla-nungsverfahren eingeleitet. Trotzdem soll der Kanal vonderzeit 3,2 Meter auf 4 Meter vertieft werden. Das nörd-liche Ufer soll im Schnitt 4 bis 5 Meter verbreitert wer-den. Dafür müssten über 800 Bäume gefällt werden. Essind überwiegend über 100-jährige und aus Naturschutz-sicht sehr wertvolle Exemplare. Dabei ist auf dem Kanallediglich mit zwei Großmotorgüterschiffen täglich undalle zehn Tage mit einem Großschubverband zu rechnen.Statt eines Vollausbaus für Begegnungsverkehr auf Ka-nallänge könnte man genauso gut Wartestellen vorsehen.

Wegen der starken Beeinträchtigung von Natur, Land-schaft und Wasserhaushalt wird der Planfeststellungsbe-schluss von der Stadt Potsdam sowie dem Umweltver-band BUND vor dem Bundesverwaltungsgericht beklagt.

Zahlreiche Verbände und Initiativen engagieren sich ge-gen den Ausbau. Sie können und wollen nicht einsehen,dass für ein unrentables Wasserstraßenbauprojekt nichtnur Millionen Euro im märkischen Sand verschwindensollen, sondern wertvolle Kulturlandschaft und Naturmassiv beeinträchtigt werden. Statt Geld für juristischeAuseinandersetzungen auszugeben, sollte die Bundesre-gierung den Planfeststellungsbeschluss schnellstmöglichaufheben.

Am 20. April 2009 erklärte die ParlamentarischeStaatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung Karin Roth bei einem Ortstermin,dass ein Ausbau des Teltowkanals „vom Tisch“ sei. Da-mit entfällt auch die Begründung für den Ausbau derKleinmachnower Schleuse auf 190 Meter. Für die Bin-nenschifffahrt zwischen Elbe und Spree herrschen bereitsheute wettbewerbsfähige Bedingungen. 1,3 MilliardenEuro Bundesmittel sind bisher für das VDE 17 verbautworden. 800 Millionen bis 1 Milliarde Euro an Baukostensind noch in der Planung. Angesichts von Klimakrise,Finanzkrise und Wirtschaftskrise – alles Krisen derNachhaltigkeit – sollte die Bundesregierung jetzt nichtstur an alten Plänen festhalten, sondern auf die War-nungen und Mahnungen der Fachleute hören. Wenn dasVDE 17 jetzt geordnet beendet wird, werden Finanzmittelfrei, die in Klimaschutz und nachhaltige Arbeitsplätze in-vestiert werden können. Wir brauchen keine Wasserauto-bahnen, die in die Sackgasse führen, sondern Wege in dieZukunft. Am Green New Deal führt kein Weg vorbei!

Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/12116 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten MartinZeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP

Kompetenzen des Bundeskartellamts weiter-entwickeln

– Drucksache 16/8078 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)Ausschuss für Arbeit und Soziales

Auch hier sollen, wie in der Tagesordnung ausgewie-sen ist, die Reden zu Protokoll genommen werden. Eshandelt sich um die Reden folgender Kolleginnen undKollegen: Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfraktion,Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion, Gudrun Koppfür die FDP-Fraktion, Dr. Herbert Schui für die FraktionDie Linke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):Gratulation an die FDP: Dies ist ein über weite Strecken

sehr gelungener Antrag. Aber leider kommen wir zwar zuähnlichen, aber nicht zu denselben Schlussfolgerungen.

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Dr. Georg Nüßlein

Sie sprechen mir aus dem Herzen, wenn Sie fordern,die Kompetenzen des Bundeskartellamtes zu erweitern.Auch ich halte gut aufgestellte Wettbewerbshüter für dasFunktionieren einer Marktwirtschaft für unerlässlich.Wenn wir in wirtschaftspolitischen EntscheidungenMacht und Schutzregeln umstrukturieren, um der Markt-wirtschaft ihren Rahmen zu setzen, schreit jede Lobbyauf, die bisher davon profitierte: mal die Gewerkschaften,mal die Unternehmen. Sie alle werden im Gesetzgebungs-verfahren über die Verbändeanhörungen berücksichtigt.Wettbewerb hingegen hat keine Lobby. Deshalb müssenwir – das Parlament und die Regierung – ihn durch unserHandeln durchsetzen und schützen. Alleine können wirdiese Arbeit nicht leisten, darum haben wir die Kartell-und Regulierungsbehörden. Dass sie gestärkt werdenmüssen, steht außer Frage. Funktionierender Wettbewerbist ein hohes Gut in unserem Wirtschaftssystem. Wenn derWettbewerb ausgeschaltet wird, zahlt der Verbraucherletzten Endes die Zeche.

Wissen Sie, dass unser ehemaliger Bundeswirtschafts-minister Glos ein Anhörungsrecht für das Bundeskartell-amt als Anwalt des Wettbewerbs noch während seinerAmtszeit wiederholt gefordert hat? Auch unser derzeitigerWirtschaftsminister zu Guttenberg vertritt diese Meinung.Und ja, auch ich sehe, dass unser momentaner wirt-schaftspolitischer Kurs – als beispielhaft möchte ich hierdie Mindestlöhne, die Abwrackprämie oder auch dieGesundheitsreform benennen – in eine Richtung geht, dieeinen überzeugten Ordnungs- und Wettbewerbspolitikerwie mich sehr nachdenklich stimmt. Manchmal drängt sichmir der Eindruck auf, als sei uns politischen Entscheidungs-trägern im stürmischen Koalitionsmeer der Kompassabhanden gekommen – der Kompass, der uns zeigt,welche gravierenden wettbewerblichen Auswirkungen somanche bereits getroffene politische Entscheidung hat.Staatliche Markteingriffe laufen immer Gefahr, wesent-liche Anreizmechanismen für Unternehmen außer Kraftzu setzen. Wettbewerb kann also – und das müssen wir unsmehr denn je vor Augen führen – von zwei Seiten einge-schränkt werden: den Unternehmen einerseits, aberandererseits auch durch staatliches Handeln.

Unternehmerische Wettbewerbsbeschränkungen erfor-dern von den Kartellbehörden in der heutigen Welt opti-mierte kartellrechtliche Instrumente und geeignete Koope-rationsmechanismen. Hieran arbeiten wir beständig.Staatlich verursachte Wettbewerbsverzerrungen erfordern,dass die Kartellbehörden die Möglichkeit haben, für dasWettbewerbsprinzip offensiv einzustehen und zu werben.Bisher haben sie diese Möglichkeit nur über Umwege:Mögliche praktische Marktauswirkungen eines Gesetzesim Gesetzgebungsprozess werden nur mittelbar überInterventionen bzw. gelegentliche Anhörungen des Bun-deskartellamts über das BMWi berücksichtigt. Hier mussdringend Abhilfe geschaffen und den Wettbewerbshüternmehr Gehör verschafft werden.

Die Monopolkommission schlug in ihrem Sonder-gutachten letztes Jahr vor, dass dem Bundeskartellamtzumindest vor der Allgemeinverbindlicherklärung vonTarifverträgen ein Anhörungsrecht eingeräumt werdensolle. Dabei sollte sich das Amt insbesondere zu derFrage äußern, wie die zu erwartenden wettbewerblichen

Nachteile infolge der Allgemeinverbindlicherklärung aufden betroffenen Märkten zu bewerten sind. Ich begrüßeein derartiges Anhörungsrecht ausdrücklich. So könntedas Bundeskartellamt – um im Bild zu bleiben – vom gutverstauten Kompass in der Schublade des Schiffs zu einemsichtbar angebrachten Navigationsgerät werden, dem diePolitik nicht folgen muss, aber kann. Der Vorschlag derMonopolkommission ist also ein Schritt in die richtigeRichtung.

Das Bundeskartellamt ist dazu aufgefordert, verstärkt alsLobby für das Wettbewerbsprinzip einzutreten. Wir sinddazu aufgefordert, dieses Eintreten für den Wettbewerb zuinstitutionalisieren. Die Wettbewerbsbehörden müssen inden politischen und administrativen Entscheidungsprozessbei wettbewerblich relevanten Themen mit eingebundensein. Auf diese Weise könnten sie negative Effekte auf denWettbewerb in neuen Regelungen, Gesetzen und Einzel-fallentscheidungen aufdecken und dazu Stellung nehmen.

Werte Damen und Herren von der FDP, Sie gehen inIhrem Antrag aber leider nicht nur diesen einen Schritt,Sie schießen über das Ziel hinaus: Sie fordern, den Wettbe-werbsbehörden gleich bei allen Gesetzgebungsprozessendie institutionalisierte Möglichkeit zu geben, sich zu denwettbewerblichen Auswirkungen des geplanten Gesetzes zuäußern. Haben Sie schon über die bürokratischen Konse-quenzen nachgedacht? Kann das Bundeskartellamt dieseArbeit personell überhaupt leisten? Und wo bleibt dieSchlagkraft einer Äußerung des Bundeskartellamts, wennsich zukünftig die Wettbewerbshüter inflationär bei jedemGesetzesvorhaben bemüßigt fühlen, eine Stellungnahmeabzugeben? Heute merkt noch jeder Abgeordnete auf,wenn das Bundeskartellamt mit einem Anliegen an seineTür klopft.

Fest steht: Die flexible und pragmatische Handhabungdes Wettbewerbsrechts und die Nutzung seiner Spiel-räume ist das Gebot der Stunde. Ich bin fest davon über-zeugt, dass das BMWi die zentrale Idee Ihres Antrags wei-terverfolgen wird.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Freier Wettbewerb braucht Regeln – und die setzt die

Politik! Der Antrag der FDP ist ein weiterer durchsichti-ger Versuch, ihrem marktradikalen Ansatz zum Durch-bruch zu verhelfen. Erfüllungsgehilfe soll an dieser Stelledas Bundeskartellamt sein. Mittels Anhörungsrecht solldas Bundeskartellamt dafür sorgen, dass die Politik keinewirtschaftspolitischen Entscheidungen trifft, die diefreien Kräfte des Marktes beschneiden. Nicht mit uns,liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP!

Die Politik setzt den rechtlichen Rahmen für die Kom-petenzen des Bundeskartellamtes. Wesentliche Grund-lage hierfür liefert das Gesetz gegen Wettbewerbsbe-schränkungen. Die Aufgabe des Bundeskartellamtes istes, Wettbewerbsbeschränkungen in der BundesrepublikDeutschland zu verfolgen und damit das Funktionierenmarktwirtschaftlicher Strukturen zu gewährleisten. Unddiese Aufgabe erfüllt das Bundeskartellamt vorbildlich.

Die Politik setzt aber auch den rechtlichen Rahmen fürden freien Wettbewerb. Denn der freie Wettbewerb steht

Zu Protokoll gegebene Reden

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Reinhard Schultz (Everswinkel)

nicht über allen anderen Zielen, selbst wenn die FDP diesgerne so hätte. Aus Sicht der SPD ist es Aufgabe derPolitik, dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft ihrer sozialenVerantwortung nachkommt. Für uns gehören unterneh-merische Freiheit und soziale Verantwortung in einer so-zialen Marktwirtschaft untrennbar zusammen.

Wir haben einen Post-Mindestlohn durchgesetzt undfür allgemeinverbindlich erklärt, um die Branche derBriefdienstleistungen vor einem Wettbewerb um dieschlechtesten Löhne zu schützen. Denn wir wollen, dassdie Menschen von ihrer Arbeit leben können – bei derPost und auch in anderen Branchen. Der Wettbewerb beiBriefdienstleistungen wird mit Sicherheit trotzdem inGang kommen – aber eben nicht auf dem Rücken der Mit-arbeiter.

Nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes kann das Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertragunter bestimmten Voraussetzungen für allgemeinverbind-lich (av) erklären. Dies geschieht auf Antrag einer Tarif-vertragspartei im Einvernehmen mit einem Ausschussaus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Ar-beitgeber und der Arbeitnehmer. Genau dies ist im Falledes Post-Mindestlohns geschehen. Dazu kann sich dasBundeskartellamt äußern und hat dies ja auch getan. EinAnhörungsrecht brauchte es dazu nicht. Und das wird esauch in Zukunft mit uns nicht geben.

Gudrun Kopp (FDP): Das Bundeskartellamt ist als die zentrale Wettbe-

werbsbehörde in der Bundesrepublik von entscheidenderBedeutung für die marktwirtschaftliche Ordnung unsererVolkswirtschaft. Dieser Garant für einen funktionierendenund gesicherten Wettbewerb ist ein großer StandortvorteilDeutschlands; die Kompetenzen des Bundeskartellamtssollten entsprechend institutionell weiterentwickelt wer-den.

Als Kontrollinstrumente des Bundes sind mit dem Bun-deskartellamt und auch der Bundesnetzagentur effizienteund schlagkräftige Instanzen geschaffen, um Gefahrendurch Machtkonzentrationen zu beheben und Wettbewerbzu garantieren. Die FDP hat sich in den letzten Jahrenimmer wieder für die personelle und institutionelle Wei-terentwicklung beider Institutionen stark gemacht.

Die Monopolkommission hat in ihrem Sondergutach-ten „Wettbewerbsentwicklung bei der Post 2007: Mono-polkampf mit allen Mitteln“ vorgeschlagen, dass demBundeskartellamt vor der Allgemeinverbindlicherklä-rung von Tarifverträgen ein Anhörungsrecht eingeräumtwird.

Die FDP will mit diesem Antrag noch einen Schrittweiter gehen als die Monopolkommission, die sich bei ih-rem Vorschlag nur auf den Aspekt der Allgemeinverbind-lichkeit bezieht. Sinnvoll wäre stattdessen, dem Bundes-kartellamt ein generelles Anhörungsrecht einzuräumen.So kann bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen mitwettbewerblicher Relevanz durch das Bundeskartellamtschon im Entscheidungsprozess auf mögliche negativeWettbewerbseffekte hingewiesen werden, wodurch aucheine größere Planungssicherheit für die Wettbewerber

entstünde. Überdies stärkt dieses Wahlrecht den Schutz-auftrag des Bundeskartellamts gegenüber Verbrauchernund Wettbewerbern.

Mit der Unterstützung dieses Antrags kann der Bun-destag ein klares Zeichen für eine Stärkung des fairen, si-cheren und offenen Wettbewerbs in Deutschland setzen.Gerade jetzt, in Zeiten der Wirtschaftskrise, wäre dies einwichtiges Zeichen unabhängiger Stabilität für Investorenund Verbraucher.

Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Die Linke hält es für notwendig, das Bundeskartellamt

zu stärken, um der Konzentration wirtschaftlicher Machtzu begegnen. Die FDP fordert im Titel des vorliegendenAntrags Ähnliches, nämlich die Kompetenzen des Bun-deskartellamts weiterzuentwickeln.

Beim Lesen des Antrags erlebt man allerdings zweiÜberraschungen: Erstens fällt der konkrete Forderungs-teil außerordentlich bescheiden aus: Das Bundeskartell-amt soll ein Anhörungsrecht erhalten. Dagegen sprichtfreilich wenig. Der viel zitierten Waffengleichheit desKartellamts mit den Monopolen im Bereich der Stromver-sorgung, des Einzelhandels oder der Mineralölwirtschaftkommt man damit allerdings kaum näher.

Die zweite Überraschung bezieht sich darauf, worindie FDP die Hauptbedrohung für den Wettbewerb sieht.Ihre Sorge gilt nicht der wachsenden Marktmacht dergroßen Unternehmen, sondern der Allgemeinverbindlich-keit von Tarifverträgen. Der Antrag der FDP suggeriert,dass der eigentliche Zweck des Tarifvertrags im Postbe-reich darin liegt, die Monopolstellung der DeutschenPost zu festigen. Das ist eine kuriose Vorstellung. Sie be-haupten damit, den Gewerkschaften ginge es im Post-bereich gar nicht um die Löhne. Dies wäre nur vorge-schoben, um das Monopol der Deutschen Post zuverteidigen. Wenn dem so wäre, wie erklären Sie dann,dass die Gewerkschaften sich auch in allen anderenBranchen für höhere Löhne und gegen Dumping engagie-ren, obwohl es dort kein Monopol zu verteidigen gibt?

Sie behaupten: Mindestlöhne im Postgewerbe ver-drängen die Konkurrenten der Deutschen Post. Damitmachen Sie ein wichtiges Eingeständnis: Ohne Lohn-dumping können die Konkurrenten der Post nicht beste-hen. Mit anderen Worten: Lohndumping ist der einzigebedeutende Grund, aus dem private Konkurrenten billi-ger sein können als die Post. Das hat einen wirtschaftli-chen Grund: Je mehr Postsendungen man verteilt, destoniedriger sind die Stückkosten. Volkswirtschaftlich ist eseffizienter, nur ein Verteilernetz zu unterhalten, als viele.Postdienste sind ein natürliches Monopol.

Für natürliche Monopole gilt, dass sie sinnvoll nichtwettbewerblich organisiert werden können. Lange Zeithat die Wirtschaftstheorie darin übereingestimmt. Bei-spiele sind die Energiewirtschaft, die Bahn, die Post, dieFlugsicherung. In diesen Bereichen kann es keinen mun-teren Wettbewerb von effizienten Kleinunternehmen ge-ben, wie die FDP sich das ausmalt. In den letzten Jahrenhat die Politik mit Unterstützung der FDP die Privatisie-rung natürlicher Monopole vorangetrieben. Das Ergeb-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Dr. Herbert Schui

nis sind private Monopole. Natürliche Monopole müssenstaatlich reguliert werden, um Qualität und angemessenePreise sicherzustellen. Die Inszenierung von Wettbewerbim Bereich natürlicher Monopole ist volkswirtschaftlichineffizient. Es kann dennoch ein objektives Interesse da-ran geben, nämlich dann, wenn man über Schmutzkon-kurrenz die Löhne drücken möchte.

Durch Gewerkschaften und Tarifverträge können Be-schäftigte die Konkurrenz untereinander überwinden undsich gegen Dumping wehren. Die Solidarität der Beschäf-tigten ist der FDP ein Dorn im Auge, das ist ihrem Antraganzumerken. Ich erinnere an die Ankündigung ihres Vor-sitzenden Guido Westerwelle vor der letzten Bundestags-wahl, ich zitiere: „Wir werden nach dem Wahlsieg 2006die Gewerkschaftsfunktionäre entmachten. Wir werdendas starre Tarifvertragssystem aufbrechen.“ Dies istkeine Politik gegen Kartelle, sondern eine gegen die De-mokratie.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir stimmen der FDP zu, dass wir ein starkes Bundes-kartellamt mit klaren Befugnissen, einer adäquaten Aus-stattung und einem konsistenten ordnungspolitischenAuftrag brauchen. Deswegen haben wir stets eine Aufsto-ckung des Personalhaushalts des Bundeskartellamts ge-fordert, die im Haushalt 2009 von der Regierung über-nommen wurde.

Ich möchte die FDP-Fraktion daran erinnern, dass dieHauptaufgaben des Bundeskartellamtes die Durchset-zung des Kartellverbots, die Durchführung der Zusam-menschlusskontrolle sowie die Ausübung der Miss-brauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmensind. Es kann die Zusammenschlüsse von Unternehmenverbieten, missbräuchliche Verhaltensweisen untersagen,Auflagen erteilen, Geldbußen verhängen und verfügtüber weitgehende Ermittlungsbefugnisse. Das ist gut so,und daran soll sich auch nichts ändern.

Wir wollen aber nicht, dass das Bundeskartellamt inZukunft Einfluss auf wirtschaftspolitische oder sozial-politische Entscheidungen nimmt, die nicht im engerenSinne etwas mit Wettbewerbsrecht zu tun haben. Die Ent-scheidungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sollenwie eh und je von den Parlamenten und der Regierung ge-troffen werden und nicht vom Bundeskartellamt politi-siert werden.

Die Problematik des FDP-Antrags wird bereits imzweiten Absatz deutlich. Die FDP verweist auf einen Vor-schlag der Monopolkommission, die – wie auch dieFDP – empfiehlt, dass sich das Bundeskartellamt in sei-ner Stellungnahme über die Auswirkungen der Allge-meinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen aufProduktmärkte äußern sollte. Die FDP geht sogar nocheinen Schritt weiter und fordert ein generelles Anhö-rungsrecht des Bundeskartellamts zu wirtschaftspoliti-schen Fragen. Davon halten wir überhaupt nichts. DasBundeskartellamt hat mit der konsequenten Anwendungdes Wettbewerbsrechts genug zu tun. Es soll sich mit wett-bewerbsrechtlichen Fragen auseinandersetzen und sichaus der Sozial- und Tarifpolitik heraushalten. Deswegen

lehnen wir den Antrag der FDP „Kompetenzen des Bun-deskartellamts weiterentwickeln“ ab.

Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/8078 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN

Vorbildlich und importunabhängig Ökostromund Biogas einkaufen

– Drucksache 16/11964 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)ÄltestenratInnenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: ChristianHirte für die Unionsfraktion, Marko Mühlstein für dieSPD-Fraktion, Michael Kauch für die FDP-Fraktion,Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke, Hans-JosefFell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Hirte (CDU/CSU): Als ich den Titel des Grünen-Antrags gelesen hatte, da

schlugen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits istüberhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn man staat-liche Liegenschaften ausschließlich mit Ökostrom undBiogas betreiben möchte; da wäre ich sehr dafür. Ande-rerseits müssen wohl selbst die Grünen zugeben, dassnicht überall, wo Umweltstrom draufsteht, auch Öko-strom drin ist.

Wenn man sich die einschlägigen Angebote der Strom-anbieter ansieht, wird man zum Beispiel für Berlin fest-stellen können, dass der günstigste Anbieter von Öko-strom tatsächlich der Kernkraftwerksbetreiber Vattenfallmit seinem ÖkoPur-Tarif ist. Das ist so weit in Ordnung;denn auch Kernenergie ist CO2-frei. Nun ist bekannt, dassder ökologische Hardliner als Verbraucher erwartet,dass der unter dem Label Öko vermarktete Strom tatsäch-lich ausschließlich aus regenerativen Energiequellen ge-wonnen wird. Nur gibt es diese Sicherheit in der Realitätfreilich nicht. Anders formuliert: Bei jemandem, derStrom zu 100 Prozent aus Wasserkraft bucht, werden sehrwohl die Lichter ausgehen, wenn das Atomkraftwerk ne-benan vom Netz geht.

Zudem sind bei diesen Zahlenschiebereien die absur-desten Effekte denkbar. So kann ein deutscher Stromver-sorger einen Vertrag mit einem Stromproduzenten in

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Christian Hirte

Frankreich, Finnland oder irgendeinem anderen Landschließen, in dem die Bevölkerung ein relativ entspanntesVerhältnis zur Atomenergie pflegt. Dann wird zum Bei-spiel aus Finnland eine Strommenge X importiert, die perWasserkraft erzeugt wurde. Im Gegenzug liefert der deut-sche Versorger deutschen Atomstrom, und zwar ebenfallsdie Menge X. Praktisch passiert natürlich gar nichts, weilweiterhin jeder seinen lokalen Strom erzeugt und ver-braucht. Die deutsche Firma überweist Geld nach Finn-land für den „wertigeren“ Wasserstrom und darf danndem besorgten deutschen Ökokunden mitteilen, um wieviel Prozentpunkte der Wasserkraftanteil stieg. Faktischbleibt alles beim Alten – außer, dass der deutsche Ver-braucher sich besser fühlt. Das Lutherjubiläum 2017, fürdas ich mich sehr engagiere, scheint auch hier seineSchatten vorauszuwerfen; denn eines ist sicher: Soweit esdie Angaben über die Herkunft von Ökostrom betrifft, ha-ben derlei Zusicherungen so viel Wert wie eine vorrefor-matorische Ablassurkunde.

Also fragt sich der geneigte Zuhörer, was die Grünentatsächlich mit ihrem Antrag bezwecken. Sie bezweckennichts anderes, als das „grüne“ Selbstverständnis wieeine Monstranz vor sich her zu tragen, um dann gegebe-nenfalls auf den politischen Gegner einschlagen zu kön-nen. Nichts anderes ist von den Antragstellern beabsich-tigt. Nur so kann man sich die herbe Aufforderung derGrünen an die Bundesregierung erklären, wo doch eineBitte um Prüfung deutlich sachgerechter gewesen wäre.Aber Vorsicht! Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“titelte 2005: „Fischer und Künast sündigen beim Öko-strom“. Eine parlamentarische Anfrage der FDP ent-hüllte damals: Gut ein Viertel des Stroms beziehen dieBerliner Ministerien aus Atomkraftwerken. Ausgerechnetdie Ämter der Grünen-Minister Joschka Fischer undRenate Künast verzichteten komplett auf Ökostrom. DasNuklearzeitalter war also demnach – trotz beschlossenenAusstiegs – für Rot-Grün noch nicht beendet. Da stelltsich doch die ketzerische Frage, wo denn das vermeint-lich ökologische Gewissen der Grünen geblieben war –vermutlich auf der Strecke.

Aber auch abseits der politischen Polemik gibt es ganzpraktische und nachvollziehbare Gründe, warum die Um-stellung auf Ökostrom noch nicht zu 100 Prozent erfolgtist. Ich möchte der Fraktion der Grünen die Lektüre derBundeshaushaltsordnung dringend empfehlen. Sie istüber die Seiten des Bundesministeriums der Justiz abruf-bar; aber auch bei Google wir man fündig. Ich zitiere § 7Abs. 1 Satz 1der BHO:

Bei Aufstellung und Ausführung des Haushalts-plans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeitund Sparsamkeit zu beachten.

Aus eben diesem Grund muss es der öffentlichen Handüberlassen bleiben, selbst zu entscheiden, von wem sie ih-ren Strom bzw. ihr Gas bezieht.

Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit sind doch keineleeren Floskeln. Sollen wir wirklich in finanziell schwe-rem Fahrwasser jedwede Haushaltsregel über Bord wer-fen? Hat der Bürger in Zeiten der Finanzkrise keinenAnspruch mehr darauf, dass die politischen Entschei-dungsträger mit den Steuermilliarden vernünftig umge-

hen? Ich verstehe und achte das Anliegen der Grünen,welches hinter diesem Antrag steht. Sie sagen richtiger-weise, dass die erneuerbaren Energien in unseren Minis-terien zukünftig einen höheren Anteil haben sollen. Demstimmen wir als Regierungskoalition ausdrücklich zu,aber doch nicht um jeden Preis. Lassen Sie uns lieber da-rüber nachdenken, wie wir beides – Ökologie und Wirt-schaftlichkeit – unter einen Hut bringen können. Dafürwird sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einsetzen.Verlassen Sie sich darauf.

Marko Mühlstein (SPD): Wenn es um die Frage einer nachhaltigen und zu-

kunftssicheren Energieversorgung geht, haben die Bun-desregierung und der Deutsche Bundestag in der Tat einewichtige Vorbildfunktion. Und wie die Antragsteller rich-tig feststellen, sind wir dieser Aufgabe in den letzten Jah-ren gerecht geworden. So verfügt der Deutsche Bundes-tag bereits seit seinem Umzug von Bonn nach Berlin überein zukunftsweisendes, umweltpolitisch verantwortungs-volles und vorbildliches Energiekonzept. So betreibt derBundestag hauseigene Blockheizkraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung, die der Erzeugung regenerativerEnergien dienen. Der darüber hinaus benötigte Bedarfwird ebenfalls durch den Einkauf von Strom aus erneuer-baren Energien gedeckt. Gleiches gilt für das Bundesum-weltministerium und dessen nachgeordnete Behörden.

Grundsätzlich ist der Forderung zuzustimmen, auchdie übrigen Bundesministerien mit Strom aus erneuerba-ren Energien zu versorgen. Jedoch sind hierbei beste-hende Verträge und die Versorgungsmöglichkeiten mitentsprechenden Kapazitäten zu berücksichtigen. Ich gehedavon aus, dass die Verantwortlichen in den Ministerienund im Bundeskanzleramt sich dieser Problematik be-wusst sind und in einigen Jahren sämtliche Behörden derBundesregierung mit Strom aus erneuerbaren Energienversorgt werden.

Die vom Antragsteller geforderte Umstellung auf Bio-gas wird sich aus verschiedenen Gründen nicht so schnellin die Tat umsetzen lassen, weshalb dem Antrag in dervorliegenden Form nicht zugestimmt werden kann. Zu-nächst einmal ist festzustellen, dass die Einspeisung vonBiogas in das Erdgasnetz erst seit relativ kurzer Zeit anBedeutung gewinnt. Mit der Novellierung des Erneuer-bare-Energien-Gesetzes haben wir an dieser Stelle wich-tige Impulse gesetzt, doch eine solche Entwicklung benö-tigt eben auch eine gewisse Zeit. Vor diesem Hintergrundist äußerst fraglich, ob kurzfristig überhaupt die benötig-ten Mengen an Biogas generiert werden können, die füreine verlässliche Versorgung aller Bundesministerieneinschließlich des Kanzleramtes sowie des Bundestagesbenötigt werden. Ich plädiere dafür, diesen Prozess mitAugenmaß zu entwickeln und in den nächsten JahrenSchritt für Schritt die Nutzung von Biogas zu intensivie-ren. Dies ist in der Praxis eher umzusetzen als eineschnelle Umstellung der entsprechenden Ausschreibun-gen.

Darüber hinaus ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen,dass die Nutzung von Biogas den gesamten Anwendungs-bereich berücksichtigen muss. Erst in der letzten Sit-

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Marko Mühlstein

zungswoche haben wir mit der Verabschiedung des Ge-setzes zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffenden Weg für eine Anrechnung von Biogas auf die Bio-kraftstoffquote frei gemacht. Damit haben wir einenneuen Nutzungspfad für Biogas eröffnet, der bei der Be-rechnung der Potenziale beachtet werden muss. DennBiogas ist ohne Zweifel ein nachhaltiger und umwelt-freundlicher Energieträger, aber auch nicht in unendli-chen Mengen erzeugbar. In diesem Zusammenhang for-dere ich alle Kolleginnen und Kollegen in diesem HohenHause auf, sich für eine verstärkte energetische Abfall-und Reststoffverwertung einzusetzen. Hierdurch würdesich die verfügbare Menge an Biogas drastisch erhöhen.

Abschließend möchte ich feststellen, dass die Intentiondes Antrages in die richtige Richtung geht, eine Umset-zung in die Praxis jedoch nicht wie beschrieben erfolgenkann. Was diesem Antrag fehlt, ist die Erkenntnis, dassdie Biogasnutzung nur im Rahmen einer Gesamtstrategieund unter Berücksichtigung der von mir genanntenPunkte nachhaltig ausgebaut werden kann.

Michael Kauch (FDP):Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorge-

legte Antrag zum Einkauf von Ökostrom und Biogasdurch Bundesbehörden stellt auf die Vorbildfunktion deröffentlichen Hand für den Klimaschutz und die Versor-gungssicherheit ab. Dabei soll allen Bundesministerienund Bundesbehörden der Bezug von Ökostrom und Biogasvorgeschrieben werden.

Wir müssen zunächst einmal feststellen, dass es in diesemAntrag vorrangig um Symbolik geht. Durch den Einsatzregenerativen Stroms und Gases durch Bundesbehördenwird kein großer Beitrag zu Klimaschutz und Versorgungs-sicherheit geleistet. Dennoch ist anzuerkennen, dass einesolche Symbolwirkung dann ein wirklicher Beitrag ist,wenn es zu nennenswerten Nachahmeffekten durch Bürgerund Unternehmen kommt. Ob es zu solchen Nachahm-effekten kommt und diese dann die Zusatzkosten für dieöffentlichen Haushalte rechtfertigen, muss Gegenstandder Ausschussberatungen sein.

In jedem Fall übersehen die Grünen aber die Gesetzes-lage, die sie selbst befürwortet haben. Nach dem Erneu-erbare-Wärme-Gesetz darf Biogas nämlich nur in KWK-Anlagen, nicht aber in Gasheizungen eingesetzt werden.Damit betreibt die Regierung Greenwashing: Die CO2-Einsparung durch Biogas wird schöngerechnet, da es nurfür besonders effiziente Verwendungen verkauft werdendarf, während das „böse“ russische Erdgas in den„schlechten“ Gasheizungen verbrannt wird. Die Grünenhaben das bei Verabschiedung des Gesetzes nicht kritisiert.Ökologisch ist das natürlich Unsinn, denn niemand kannnach der Einspeisung ins Netz unterscheiden, ob die Gas-Moleküle aus russischem Erdgas oder heimischem Biogasstammen.

Da nun aber die schwarz-rot-grüne Allianz dieseBeschränkung aus ideologischen Gründen ins Gesetzgeschrieben hat, ist die Forderung im Antrag der Grünenschlicht rechtswidrig. Denn viele Verbrauchsstellen inBundesbehörden werden keine KWK-Anlagen, sondernzum Beispiel Gasheizungen sein. Vor diesem Hintergrund

empfehle ich den Grünen, mit der FDP erst einmal füreinen Abbau der gesetzlichen Beschränkungen für Biogaseinzutreten. Stattdessen bringen Sie hier einen Schau-antrag für den Wahlkampf ein, der an den eigentlichenProblemen nichts ändert.

Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Wer von anderen mehr Klimaschutz fordert, sollte zu-

nächst selbst seine Hausaufgaben machen. Deshalb ist esrichtig, wenn der Bund bei seinen Liegenschaften voran-geht und bei der Versorgung auf heimische erneuerbareEnergien umsteigt.

Der Bundestag ist in der Sache bereits tätig geworden.So bezieht das Parlament Ökostrom und wird in Zukunftden Bezug von Biogas in der Ausschreibung berücksich-tigen. Immerhin „verheizt“ das hohe Haus pro Jahr rund1,8 Millionen Kubikmeter Erdgas. Das Problem war fürEnergieversorger bisher, diese großen Mengen als Biogasaus nachhaltiger Erzeugung bereitzustellen. Ab 2010werden aber mehrere Anbieter – darunter auch die Berli-ner GASAG – dieses Produkt anbieten können. Für denBundestag hat sich diese Anforderung der Grünen damiterledigt. Ein herzlicher Dank gilt deshalb auch der Ver-waltung des Deutschen Bundestages, die sich früh undprofessionell dieser Thematik angenommen hat.

Die Liegenschaften der Bundesministerien und derenBehörden könnten dann also ohne Weiteres folgen. Ob siedies tun, wird sich daran zeigen, ob entsprechende Aus-schreibungen erfolgen, und ob bereits ausreichende Bio-gasmengen verfügbar sind. Man muss dabei an dieAdresse der Grünen anmerken, dass sie derzeit – in Über-einstimmung mit der Bundesregierung – wenig dafür tun,den erforderlichen Biogasaufwuchs zu unterstützen. DasProblem ist, dass in Deutschland nur begrenzt Flächenfür die Bioenergienutzung zur Verfügung stehen.

Von der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschlandmit knapp 16 Millionen Hektar können nach Untersu-chungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen– SRU – unter Berücksichtigung sozialer und ökologi-scher Belange langfristig 19,0 Prozent oder drei Millio-nen Hektar für die Bioenergienutzung bereitgestellt wer-den. Derzeit beträgt der Anteil schon 12,7 Prozent. EinGroßteil dieser Flächen wird bereits für den Anbau vonPflanzen zur Biospriterzeugung belegt. Dabei hat sich dieBundesregierung unter Beifall der „Ökopartei“ sehrhohe Ziele gesteckt.

Die Folge ist allerdings, dass kein Platz mehr fürEnergiepflanzen zur Biogasproduktion bleibt. Es seidenn, man verzichtet auf den Schutz des Naturhaushaltesoder schränkt die Nahrungsmittelerzeugung ein. NachBerechnungen des SRU würden beim Festhalten an derjetzigen Biokraftstoffstrategie sämtliche Flächen für dieErzeugung von Agroenergie benötigt. Wir müssen unsalso entscheiden zwischen der teilweise klimaschädli-chen und ineffizienten Biospritherstellung oder für Bio-gas, das je Hektar Biomasse eine dreimal höhere Ener-gieausbeute erreicht.

Die Linke spricht sich deshalb für eine gezielte Förde-rung von Biogas aus und fordert eine hindernisfreie Re-

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Hans-Kurt Hill

gelung zur Einspeisung von Biogas ins Erdgasnetz. Dannkommt auch genug Biogas im Bundeswirtschaftsministe-rium an.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung ha-

ben eine wichtige Vorbildfunktion beim Klimaschutz undbei der Energieversorgungssicherheit. Der Bundestag,das Bundesumweltministerium und seine nachgeordnetenBehörden sind dieser Vorbildfunktion im Bereich derStromversorgung mittlerweile gerecht geworden, da sieinzwischen anhand festgelegter Ausschreibungskriterienden Strombezug auf Ökostrom umgestellt haben. Wir hat-ten damals selbst den Antrag zur Umstellung des Bundes-tages auf Ökostrom in den Bundestag eingebracht undsind deshalb guter Hoffnung, dass auch dieser AntragUnterstützung in den anderen Fraktionen finden wird. Beiden übrigen Ministerien und im Kanzleramt herrscht im-mer noch Fehlanzeige. Zwar sind alle Minister und dieBundeskanzlerin in ihren Sonntagsreden für den Klima-schutz. Wenn es aber darum geht, wenigstens in ihreneigenen Häusern mit gutem Beispiel voranzugehen,herrscht Fehlanzeige. Braunkohlestrom, Steinkohle-strom, Strom aus Atomkraftwerken, all das ist heute nochStandard in den meisten Ministerien, obwohl diese längstStrom aus erneuerbaren Energiequellen beziehen könn-ten. Vollkommen überflüssig werden daher Klimagase indie Luft geblasen, Schwermetalle über das Land verteiltund Atommüll erzeugt, von dem keiner weiß, wo er mallanden soll.

Noch dürftiger als beim Ökostrom sieht die Bilanz derBundesregierung beim Bezug von Biogas aus. Mittler-weile gibt es einige Biogasanlagen, die ihr Biogas aufbe-reitet in das Erdgasnetz einspeisen. Aber nicht einmal dasBundesumweltministerium und dessen nachgeordneteBehörden beziehen Biogas. Wie sollen die Bürger die Re-den von der Energieversorgungssicherheit ernst nehmen,wenn nicht einmal die Bundesregierung für ihre eigenenGebäude eine von Erdgaslieferanten unabhängige Ener-gieversorgung sicherstellen kann? Biogas wird zwar erstseit relativ kurzer Zeit in das Erdgasnetz eingespeist.Mittlerweile gibt es aber Unternehmen, die Biogas lie-fern.

Wir fordern die Bundesregierung auf, in sämtlichenMinisterien und dem Bundeskanzleramt – inklusive dernachgeordneten Behörden – den Strombedarf, der nichtüber Eigenerzeugung abgedeckt wird, künftig von einemÖkostromanbieter zu beziehen. Die Institutionen sollendiesbezüglich nach Ablauf der geltenden Verträge Aus-schreibungen vornehmen. Ebenso fordern wir die Bun-desregierung auf, zu prüfen, welche Anbieter Biogas fürdie Gasversorgung der Gebäude der Bundesregierungsowie der nachgeordneten Behörden zur Verfügung stel-len können, und eine entsprechende Ausschreibung vor-zubereiten. Sollte es noch laufende Verträge geben, diedie Institutionen für einen bestimmten Zeitraum binden,soll ein Angebot des Vertragspartners für die Belieferungmit Biogas eingeholt werden.

Aber nicht nur die Bundesregierung ist aufgefordert,mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir Parlamentarier

müssen natürlich vor allem selbst mit gutem Beispiel vo-rangehen. Bei unserem letzten diesbezüglichen Antragwurde unsere Forderung noch mit dem Argument zurück-gewiesen, es gäbe noch keine Anbieter von Biogas. Wirhalten dieses Argument für überholt und fordern die Bun-destagsverwaltung auf, zu prüfen, welche Anbieter Bio-gas für die Gasversorgung des Deutschen Bundestageszur Verfügung stellen können, und eine entsprechendeAusschreibung vorzubereiten. Sollte es noch laufendeVerträge geben, die die Bundestagsverwaltung für einenbestimmten Zeitraum binden, soll ein Angebot des Ver-tragspartners für die Belieferung mit Biogas eingeholtwerden. Gerade angesichts der diesjährigen Erdgaskrisewäre die Umstellung des Bundestages auf Biogas einSchritt, der international Beachtung finden dürfte. DieUmstellung sämtlicher Gebäude der Bundesregierungauf Ökostrom sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Esist sehr erstaunlich, dass erst der Bundestag die Bundes-regierung auffordern muss, diesbezüglich aktiv zu wer-den.

Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 16/11964 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-ordneten Martin Zeil, Paul K. Friedhoff, FrankSchäffler, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP

Eigenkapitalbildung fördern – DeutschlandsMittelstand fit machen

– Drucksachen 16/3841, 16/5952 –

Berichterstattung:Abgeordnete Sabine Zimmermann

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auchhier die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sichum die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr.Heinz Riesenhuber für die Unionsfraktion, AndreaWicklein für die SPD-Fraktion, Paul K. Friedhoff für dieFDP-Fraktion, Sabine Zimmermann für die Fraktion DieLinke, Christine Scheel für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.

Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise gilt: Deutsch-

land kann nur mit immer neuen innovativen Produkten,Verfahren und Dienstleistungen im globalen Wettbewerbbestehen und damit Wachstum, Arbeitsplätze und Wohl-stand in Deutschland sichern. Dazu brauchen wir heutemehr denn je einen starken und innovativen Mittelstand,denn er ist die treibende Kraft im Innovationsgeschehen.Junge Technologieunternehmen und innovative kleineund mittlere Unternehmen sorgen für die schnelle Ver-breitung neuer Technologien in der Wirtschaft und für die

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Dr. Heinz Riesenhuber

Entwicklung und Einführung von Marktneuheiten. Siegelten zudem als besonders wachstumsstark und schaffenmehr neue Arbeitsplätze als nicht innovative Unterneh-men.

Dank der guten konjunkturellen Lage konnten die mit-telständischen Unternehmen in den vergangenen Jahrenihre finanzielle Basis stärken und ihre Innovationsaktivi-täten ausweiten. So ist die durchschnittliche Eigenkapi-talqoute des Mittelstandes von 2002 bis 2007 laut einerStudie der Universität Münster von 17,2 auf 26 Prozentgestiegen, gleichzeitig hat der Mittelstand seine internenFuE-Aufwendungen laut Stifterverband von 13,5 auf15,2 Prozent erhöht.

Doch bleibt die ausreichende Finanzierung des Mittel-standes ein Unsicherheitsfaktor, nicht nur im innovativenBereich. So sind die Unternehmen in vielen Branchen mitweniger als 10 Prozent Eigenkapital weiterhin unterkapi-talisiert, und der im Mittelstand nach wie vor gängigeWeg, die Eigenkapitalquote durch die Einbehaltung vonGewinnen zu erhöhen, ist heute kaum mehr möglich.Denn in der aktuellen Wirtschaftskrise sind die Aufträgebei einzelnen Firmen um bis zu 90 Prozent eingebrochen,und die Liquidität hat sich teilweise dramatisch ver-schlechtert. Die Finanzierungsprobleme betreffen beson-ders auch den traditionellen Weg der Kapitalbeschaffungüber den Bankkredit. Dort sorgen die Verschärfung derKreditvergabekriterien und die erhöhten Anforderungenan die Eigenkapitalquote zur Erhöhung der Bonität imRahmen von Basel II sowie die aktuelle Zurückhaltungder Banken in der Krise für Restriktionen. Entsprechendsinkt zurzeit die Bereitschaft der Unternehmen, zu inves-tieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das gilt beson-ders für exportorientierte Branchen wie Maschinen- undAnlagenbau, Automobilzulieferer, die Chemie und dieElektroindustrie.

Die Wirtschaftskrise geht auch am Beteiligungsmarktnicht spurlos vorüber und stellt an die Unternehmen undihre Unternehmen große Herausforderungen. Das ge-fährdet besonders die Gründung und das Wachstum jun-ger Technologieunternehmen, wo die Höhe der notwendi-gen Entwicklungsinvestitionen und die teilweiseunsicheren Erfolgsaussichten den Rahmen jedes norma-len Bankkredits sprengen und Gewinne erst nach Jahrenrealisiert werden können. Eine aktuelle Studie der KfWbestätigt, dass im Zuge der Wirtschaftskrise rund dreiViertel der kleinen und mittleren Unternehmen in ihrerInnovationstätigkeit behindert sind. Der Mangel an Fi-nanzierungsquellen stellt dabei das größte Innovations-hemmnis dar, und zwar am meisten für diejenigen Unter-nehmen, die für unseren technologischen Strukturwandelund unsere wirtschaftliche Entwicklung die wichtigstenImpulse geben. Neben Finanzierungsschwierigkeiten– beklagt von 62 Prozent der von Innovationshemmnissenbetroffenen Unternehmen – spielen auch bürokratischeHemmnisse – 47 Prozent – und der Mangel an Fachper-sonal – 31 Prozent – eine Rolle, außerdem organisatori-sche Probleme – 20 Prozent –, das Fehlen relevanterMarktinformationen – 19 Prozent – und das Fehlen vontechnologischem Know-how – 13 Prozent –. Generellgilt: Je kleiner und je jünger der Mittelständler, umso be-deutender sind die Schwierigkeiten, Innovationen aus ei-

genen oder fremden Mitteln zu finanzieren. Laut KfWdroht die Gefahr einer Abwärtsspirale aus schlechter Ge-schäftslage, mangelnder Finanzierung und unterlassenerInnovation. Wenn der Mittelstand aufgrund der derzeiti-gen konjunkturellen Schwächephase die Innovationsan-strengungen der vergangenen Jahre nicht aufrechterhal-ten kann, dann bleiben entscheidende Impulse für diewirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Ent-wicklung Deutschlands aus.

Die unionsgeführte Bundesregierung hat in den letztendreieinhalb Jahren zahlreiche Maßnahmen ergriffen, umdie allgemeinen Rahmenbedingungen und die Finanzie-rungsbedingungen sowohl für den breiten Mittelstand alsauch für den besonders innovationsstarken Mittelstandzu verbessern. Damit haben sich die Forderungen desheute hier diskutierten FDP-Antrags aus dem Jahre 2006zum größten Teil erledigt. So haben wir mit den drei Mit-telstandsentlastungsgesetzen den Bürokratieabbau we-sentlich vorangebracht. Wir haben die Unternehmen vonStatistikpflichten befreit und seit 2006 über 300 bürokra-tische Regelungen abgebaut. Die Einführung des Stan-dardkostenmodells und des Normenkontrollrats werdenzur weiteren Reduzierung von Bürokratiekosten beitra-gen. Wir haben den Spielraum für Investitionen erhöhtmit der Senkung der Unternehmensteuern auf rund30 Prozent im Rahmen der Unternehmensteuerreform2008 und durch die bessere steuerliche Absetzbarkeit vonhandwerklichen und haushaltsnahen Dienstleistungendurch private Haushalte. Wir haben eine Existenzgrün-dungsoffensive gestartet, die von der Internetplattform„startothek“ über das Unternehmensregister, die GmbH-Reform, den besseren Pfändungsschutz bis hin zur ver-stärkten Förderung von innovativen Gründungen eineFülle von Maßnahmen umfasst. Gleichzeitig haben wirdie Innovationsfähigkeit des Mittelstandes gestärkt:durch Bündelung der BMWi-Förderprogramme in dem„Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ – ZIM –,durch das BMBF-Programm „KMU Innovativ“ unddurch die Mittelerhöhung für die Innovationsförderunginsgesamt. Die Mittelstandsfinanzierung im engerenSinne profitiert von dem neuen KleinkreditprogrammKfW Start Geld für Gründer, der 50 prozentigenHaftungsfreistellung beim Unternehmerkredit, der Neu-gestaltung des ERP-Innovationsprogramms, dem Son-derfonds Energieeffizienz für kleine und mittlere Unter-nehmen, dem neuen KfW-Genussrechts-Programm zurFinanzierung des breiten Mittelstandes, der mittel-standsfreundlichen Umsetzung der Basel-II-Richtlinienfür Kreditinstitute in deutsches Recht, dem Forderungs-sicherungsgesetz zur Verbesserung der Zahlungsmoralvon Auftraggebern und der Ausweitung der Exportkre-ditgarantien. Auch die Rahmenbedingungen zur Mobili-sierung von Wagniskapital für Innovationen haben wirverbessert. Zu nennen ist hier vor allem das neue Wag-niskapitalbeteiligungsgesetz, der Ausbau der Fonds fürGründer und junge Technologieunternehmen mit Part-nern aus der Wirtschaft – High-Tech-Gründerfonds,ERP-Startfonds, ERP/EIF Dachfonds – und das neueNetzwerk „Innovationsfinanzierung“ zur regionalen Sti-mulierung des Marktes für Eigenkapitalinvestitionen injunge Technologieunternehmen.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Dr. Heinz Riesenhuber

Die beiden Konjunkturpakete der Bundesregierungbringen 2009 und 2010 zusätzlich deutliche Steuer- undAbgabenentlastungen für den Mittelstand und sorgen mitdem kommunalen Investitionsprogramm von rund 17 Mil-liarden Euro für zahlreiche Aufträge. Zu diesen Maßnah-men gehören unter anderem die bessere degressive Ab-schreibung beim Kauf neuer Maschinen oder Anlagen,Sonderabschreibungsmöglichkeiten für kleine und mitt-lere Unternehmen, die höhere steuerliche Absetzbarkeitvon Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Mo-dernisierungsmaßnahmen, die Förderung des Autoabsat-zes durch die Umweltprämie, die Ausweitung der KfW-Kredit- und Beteiligungsprogramme, die Aufstockung desCO2-Gebäudesanierungsprogramms, die Senkung desArbeitslosenversicherungsbeitrags auf 2,8 Prozent unddes Krankenkassenbeitrags auf 14,9 Prozent, die Auswei-tung des Kurzarbeitergeldes, das Bad-Bank-Modell zurStimulierung der Kreditvergabe durch die Banken und– last not least – der staatliche 100-Milliarden-Euro-Schutzschirm zur Sicherung der Kreditversorgung vonUnternehmen – all das kann und wird die Finanzierungs-situation der kleinen und mittelständischen Unternehmenverbessern und ihnen durch die Krise helfen.

Viel getan – viel zu tun, das gilt auch hier. Die KfW istdabei, die Durchführung der Konjunkturprogramme fürden Mittelstand zu optimieren. Noch kommt das Geldbeim Mittelstand nicht im gewünschten Umfang an. Undlangfristig brauchen wir noch weitere Verbesserungen,um die Finanzierungs- und Eigenkapitalsituation desMittelstandes zu stärken. Zu beseitigen sind insbesonderedie Nachteile, die die Unternehmensteuerreform – trotzaller Vorteile durch die breiten Steuersenkungen – für dieUnternehmen auch gebracht hat und die gerade jetzt kri-senverschärfend wirken. So wurden insbesondere dieVerrechnung von Verlusten auch bei seriösen Beteili-gungsinvestitionen und die Zinsabzugsfähigkeit durch diesogenannte Zinsschranke verschlechtert – mit allenNachteilen für besonders wachstumsstarke, kapitalinten-sive Unternehmen, für Unternehmen in der Krise und fürforschende Unternehmen. Diese Nachteile konnten auchdurch das neue Wagniskapitalgesetz für Investoren in in-novativen Unternehmen nicht kompensiert werden. Vorallem das Engagement von Business Angels, die in frühenPhasen für innovative Unternehmen durch Rat und Tatund Investitionen unersetzlich sind, wird nach wie vornicht angemessen steuerlich gewürdigt. Selbst die Erhö-hung der Freigrenze für die Veräußerungsgewinnbesteue-rung im Wagniskapitalgesetz kommt nicht zum Zuge, dadie EU diese Regelung noch immer nicht freigegeben hat.

Es besteht jedoch begründete Hoffnung, dass wir denMittelstand – wie von der Union seit langem gefordert –in einigen Bereichen bald noch weiter steuerlich entlas-ten können. So hat die SPD im Rahmen unserer Verhand-lungen inzwischen signalisiert, dass sie zumindest bei Sa-nierungsfällen eine steuerliche Verlustverrechnung fürdie Investoren unter bestimmten Voraussetzungen fürmöglich hält und dass sie auch die Einführung eines steu-erlichen Verlustrücktrages und die Verlängerung der Ist-Besteuerung bei der Umsatzsteuer über 2009 hinaus prü-fen will.

Damit allein aber sind unsere Vorstellungen einer op-timalen Politik für den breiten und für den innovativenMittelstand noch lange nicht erfüllt. Wünschenswert istauch eine Anhebung der Umsatzgrenzen bei der Ist-Be-steuerung. Und weiter diskutieren müssen wir insbeson-dere über greifbare steuerliche Erleichterungen für Busi-ness Angels, die auch von den Ländern angemahnteEntschärfung der Zinsschrankenregelung, die Absenkungbei den gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnungen zumBeispiel bei Immobilienmieten, eine zyklenübergreifendeRegelung der Basel-II-Kriterien im Rahmen der G 20 –und spätestens nach der Wahl über die weitere steuerlicheBegünstigung von Investitionen in die Zukunft, allenvoran den von den Forschungspolitikern der Union schonlange geforderten Steuerbonus für innovative, forschendeUnternehmen.

All diese Verbesserungen brauchen wir so schnell wiemöglich, um den Mittelstand als zentralen Leistungsträ-ger unserer Wertschöpfungsketten und als Garant für Ar-beit und Wohlstand weiter zu stärken.

Andrea Wicklein (SPD): Nicht nur in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage ist

die Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen einwichtiges Thema. Mit ausreichend Eigenkapital könnenUnternehmen kostengünstiger investieren, neue Arbeits-plätze schaffen oder erhalten. Unbenommen ist in derderzeitigen Lage auf dem Finanzmarkt ausreichend Ei-genkapital für die Unternehmen besonders wichtig, umProjekte umsetzen zu können.

Die Bundesregierung hat bereits in den letzten Jahrendie rechtlichen Rahmenbedingungen deutlich verbessert,um die Eigenkapitalbasis der Unternehmen zu stärken:Mit der Unternehmensteuerreform haben wir die Besteue-rung der Gewinne von Kapitalgesellschaften von fast39 Prozent auf unter 30 Prozent gesenkt. Diese Steuerent-lastung der Unternehmen haben wir uns als Sozialdemo-kraten nicht leicht gemacht. Sie hilft aber heute, mehrEigenkapital in den deutschen Unternehmen zu bildenund vor allem – was uns wichtig war – die Steuerflucht insAusland zu stoppen. Was die Höhe der Besteuerung be-trifft, befinden wir uns wieder im europäischen Mittelfeld.Auch die Abgeltungsteuer, mit der Kapitalerträge einheit-lich mit 25 Prozent besteuert werden, ist bereits Realität.Sie hat die Transparenz der Besteuerung deutlich verbes-sert.

Zu erwähnen ist auch das Gesetz zur Modernisierungder Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen vomJuni letzten Jahres, das die FDP abgelehnt hat. Mit demGesetz wurden die Rahmenbedingungen für die Bereit-stellung von Kapital an junge und mittelständische Un-ternehmen verbessert. Ein wichtiger Teil war die Förde-rung von Wagniskapitalbeteiligungen durch steuerlicheFreistellungen. Wir haben die Bedingungen für Beteili-gungskapital für junge und mittelständische Unterneh-men, denen andere Finanzierungsmöglichkeiten nicht of-fen stehen, also bereits deutlich verbessert.

Bundesregierung und Bundestag haben auch auf dieFinanzierungsschwierigkeiten der deutschen Wirtschaftdurch die Krise auf den Finanzmärkten reagiert. Wir ha-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Andrea Wicklein

ben nicht nur die geltenden Förderprogramme aufge-stockt, sondern leisten mit dem Bürgschaftsprogrammvon 115 Milliarden Euro über die KfW einen wichtigenBeitrag für Investitionen und den Erhalt von Arbeitsplät-zen in Deutschland. Erstmals können auch größere Un-ternehmen von dem Programm profitieren.

Der Antrag der FDP stammt bekanntlich aus dem Jahr2006. Dort wurde noch – dieser Seitenhieb sei mir er-laubt – davon gesprochen, dass „kapitalmarktbasierteFinanzierungsinstrumente“ eine „Chance zu einer Effi-zienzsteigerung des Finanzsystems“ bieten würden. DieFDP schlussfolgert daraus, dass sich der Zugang zu tra-ditionellen Finanzierungsmitteln in Form von Kreditenaufgrund dieser veränderten Geschäftspolitik der Bankenverschlechtert habe. Im Rückblick wissen wir: Nicht dieUnternehmen leiden unter „unzureichender Aufklärung“über Finanzierungsinstrumente, wie die FDP in ihremAntrag schreibt, sondern die Banken müssen ihre Ge-schäftspolitik ändern!

Paul K. Friedhoff (FDP): Obwohl alle anderen Fraktionen unseren Antrag im

Frühjahr 2007 ablehnten, nahmen sie die enthaltenenForderungen ernst. Einige unserer Forderungen wie diezur Vermeidung von Finanzbürokratie hilfreiche Abgel-tungsteuer wurden umgesetzt.

Aber lassen Sie mich zum grundlegenden Problemkommen, der zu geringen Eigenkapitalausstattung desdeutschen Mittelstandes. Die Banken sind derzeit nichtwillens oder in der Lage, die Kreditnachfrage zu befrie-digen. Das ist für kleine und mittlere Unternehmen beson-ders schlimm, da gerade diese kaum einen Zugang zumKapitalmarkt haben und daher auf die klassischen Finan-zierungsmöglichkeiten angewiesen sind. Eine ausrei-chende Finanzierung ist aber für Innovationen und Inves-titionen ebenso wichtig wie für die Standortsicherung undden Erhalt der Arbeitsplätze.

In der jetzigen Lage sind die Banken aufgefordert,ihrer Verantwortung und ihrer Funktion als gewerblicherFinanzierungshelfer nachzukommen. Zwar haben siegesteigerte Anforderungen an ein die Kreditrisiken ab-sicherndes Eigenkapital zu beachten, und dies ist auchsinnvoll, da die Finanzkrise gerade durch unterbe-sicherte Kreditausreichungen verstärkt wurde. Doch dür-fen die Banken jetzt nicht über das Ziel hinausschießenund gesunde Unternehmen durch zu restriktive Kreditver-gabe in Bedrängnis bringen. Das Problem ist häufig nichtder grundsätzliche Zugang zu Krediten, meist jedoch sindes die Konditionen.

Eine allgemeine Kreditklemme ist derzeit nicht fest-stellbar, dies ist immerhin beruhigend. Wegen der tradi-tionell starken Abhängigkeit von Bankkrediten aber istder Mittelstand von einem Anstieg der Kreditkosten be-sonders stark betroffen. Daher kann die Kreditvergabe-praxis der Banken in vielen Fällen für die Investitions-schwäche der Unternehmen verantwortlich gemachtwerden.

Der Staat sollte alles unterlassen, was die Unterneh-mensfinanzierung erschwert. Privates Wagniskapital

darf nicht gegenüber anderen Finanzierungsformen dis-kriminiert werden. Auf der Seite der Unternehmen mussder Staat dabei vor allem zur Aufklärung beitragen, dennvielfach ist die zu geringe Eigenkapitalausstattung aufmangelnde Informationen über die verschiedenen Mög-lichkeiten der Unternehmensfinanzierung zurückzufüh-ren. So ist oftmals eine Angst vor Eigenkapital von Betei-ligungsgebern festzustellen. Gerade Existenzgründeroder aber neue Unternehmen mit hohen Forschungs- undEntwicklungskosten sollten vor Beteiligungskapitalge-bern nicht zurückschrecken. Wenn die Politik diese Geld-geber jedoch pauschal als Heuschrecken beschimpft, istdies nicht hilfreich. Stattdessen muss der Staat den Grün-dern alle sich dadurch bietenden Möglichkeiten aufzei-gen und diese Finanzierungsform erleichtern. Dafürkommen steuerliche Förderungen in Betracht.

Wenn wir in unserem Antrag 2006 gefordert haben, diemittelständischen Unternehmen auf der Kapitalseite fit zumachen, so war das bereits zu jenem Zeitpunkt richtig.Derzeit ist es geradezu zwingend. Wer sich vor Augenführt, dass der Mittelstand hierzulande 40 Prozent allerUnternehmensumsätze erwirtschaftet und über 70 Pro-zent aller Arbeitsplätze stellt, der kann unser Anliegennur unterstützen.

Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Die Frage, wie viel Eigenkapital ein mittelständisches

Unternehmen braucht, erhält eine völlig neue Bedeutungdurch die derzeitige Wirtschaftskrise, die die tiefste undwahrscheinlich auch längste Wirtschaftskrise wird in derGeschichte der Bundesrepublik.

Erstens: Die Höhe des Eigenkapitals wird zur Überle-bensfrage. Sie entscheidet darüber, ob das Unternehmengenügend Substanz besitzt, um Auftragseingänge undNachfrageeinbrüche zu verkraften, die Krise zu überste-hen und damit auch Arbeitsplätze zu halten. Das gilt fürdie mittelständische Baufirma ebenso wie für den kleinenKfz-Betrieb oder den Bäckermeister.

Zweitens: Bei der Kreditvergabe der Banken hat dieHöhe des Eigenkapitals ein noch stärkeres Gewicht be-kommen. Das hat nicht nur etwas mit der FinanzrichtlinieBasel II zu tun. Es ist schlicht so, dass trotz der Milliar-den-Bürgschaften für den Bankensektor die privaten Ge-schäftsbanken eine restriktive Kreditvergabe betreiben,also hohe Anforderungen an das Eigenkapital der Unter-nehmen stellen. Werden die Bedingungen nicht erfüllt,gibt es keinen Kredit oder der Zinssatz wird raufge-schraubt. Erst gestern meldete eine Wirtschaftsagentur:„Kreditklemme erfasst Deutschlands Biotech-Branche“.Angesicht dessen ist es richtig und wichtig, dass wir dieFrage des Eigenkapitals kleiner und mittlerer Unterneh-men diskutieren. Aber wir müssen hier zu Lösungen kom-men, und zwar zu solchen, die mit der bisherigen Politikbrechen.

Die FDP spricht von mehr Risikokapital und Steuer-senkungen für Privatinvestoren. Sie hat für diese Forde-rungen bis auf Die Linke von allen Parteien Zustimmungerhalten. Aber genau diese Politik hat uns in die heutigeKrise geführt. Es wäre verhängnisvoll, wenn wir nichtdaraus lernen und alles beim Alten bleibt. Wir müssen

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neue Wege gehen, und zwar nicht nur in Worten, wie esdie SPD immer wieder tut, sondern in Taten.

Die Linke hat klare Alternativen. Wir fordern, mit derbisherigen Wirtschaftspolitik zu brechen, die rein aufProfit ausgerichtet war und die derzeitige Krise hervor-gebracht hat. Wir wollen für das künftige Wirtschaftendas Gemeinwohl ins Zentrum stellen. Das wäre auch zumWohle der vielen kleinen und mittleren Unternehmen indiesem Land und ihrer Beschäftigten.

Was sind diesbezüglich unsere zentralen Forderun-gen?

Erstens: Der Bankenrettungsschirm ist ein Milliarden-geschenk an die Manager ohne klare Auflagen für einebessere Kreditversorgung. Wir lehnen das ab und wollenstattdessen alle Großbanken vergesellschaften. Nur sokann im öffentlichen Interesse der Staat beeinflussen,dass es ausreichend Kredite gibt zu ordentlichen Kondi-tionen. Zugleich stellt diese Maßnahme sicher, dass nichtwie bisher der Steuerzahler für die Verluste aufkommt, dieGewinne aber in privater Hand einiger weniger verblei-ben.

Zweitens fordert Die Linke einen staatlichen Zukunfts-fonds in Höhe von 100 Milliarden Euro. Dieser sollKredite, Subventionen und Beteiligungen an Industrie-unternehmen ermöglichen. Aber anders als die Bundes-regierung knüpfen wir die Vergabe der Gelder an die Bedin-gung, dass Beschäftigung gesichert wird und ökologischeInnovationen stattfinden. So werden notleidende Unter-nehmen unterstützt und zugleich der Weg zu einem ande-ren Wirtschaften eingeschlagen, damit wir in einigenJahren nicht wieder vor denselben Problemen stehen wieheute. Es darf kein „weiter so“ geben!

Drittens: Das Eigenkapital vieler kleiner und mittlererUnternehmen verbessert sich letztlich durch eine ordent-liche Auftragslage – das heißt genügend und gut bezahlteAufträge. Die Linke fordert ein öffentliches Investitions-programm, das diesen Namen verdient. Die Gewerk-schaft Verdi hat vor dem Hintergrund der sich verschär-fenden Krise völlig zu Recht die Zahl von 100 MilliardenEuro genannt. Mit Investitionen in diesem Umfang wür-den zehntausende Handwerks- und Dienstleistungsunter-nehmen unterstützt und hunderttausende Arbeitsplätzegesichert und neu geschaffen.

Ich komme zum Schluss: Wenn es die Bundesregierungernst meint mit einem Politikwechsel, muss sie diese Vor-schläge aufgreifen. Andernfalls bleibt es bei Lippenbe-kenntnissen. Verlierer wären zehntausende kleine undmittlere Unternehmen und ihre Beschäftigten.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Intention des FDP-Antrages, die Eigenkapital-

situation für kleine und mittlere Unternehmen zu verbes-sern, ist grundsätzlich richtig und wird von uns ausdrück-lich unterstützt. Die konkreten Forderungen der FDPbringen uns allerdings nicht voran; denn die Krise ist inder Wirtschaft unverkennbar angekommen: Auftragsein-gänge und Umsätze brechen dramatisch ein, die Kurzar-beit steigt rasant, und auch die Zahlen der Arbeitslosenund der Insolvenzen klettern nach oben. Wir brauchen so-

fort wirksame Maßnahmen, die den Unternehmen helfen,die Krise produktiv zu bewältigen. Solche Ansätze bietetder FDP-Antrag nicht.

So ist der Antrag in großen Teilen überholt. Die vonder FDP geforderte Abgeltungsteuer ist längst einge-führt. Allerdings ist diese Abgeltungsteuer so ausgestal-tet, dass die Eigenkapitalbildung der Unternehmen be-hindert wird. Dividenden werden mit rund 50 Prozent fastdoppelt so hoch besteuert wie Zinsen mit 25 Prozent. Da-mit hat die Große Koalition einen starken Anreiz gesetzt,die schon jetzt dünne Eigenkapitaldecke zugunsten vonFremdkapitalfinanzierungen weiter auszudünnen. Auchder Sachverständigenrat hat davor gewarnt, dass dieverfehlte Ausgestaltung der Abgeltungsteuer Eigenkapi-talfinanzierungen zum steuerlich unattraktivsten Finan-zierungsweg werden lässt. Diese Probleme werden imAntrag der FDP gar nicht angesprochen. Wir Grünen for-dern die Abgeltungsteuer so auszugestalten, dass Eigen-und Fremdkapital gleich hoch besteuert werden, zum Bei-spiel durch die Anwendung des halben Steuersatzes aufDividenden und Veräußerungsgewinne.

Der Antrag der FDP bleibt trotz der fortgeschrittenenDiskussion zur Förderung von Wagniskapital sehr im All-gemeinen. So fordert die FDP zum Beispiel bessereBedingungen für Beteiligungskapitalgeber oder Erleich-terungen für die Beteiligung von Privatinvestoren durchSteuersenkungen. Konkrete Vorschläge zu Maßnahmenund Steuersätzen fehlen. Keinerlei Erkenntnisfortschrittebringt der Antrag für die Abgrenzung der förderungswür-digen Frühphasen- und Anschlussfinanzierungen vonnormalen Buy-outs. Eine Fokussierung der Förderungauf junge innovative Unternehmen oder Hochtechnolo-giegründungen ist aber notwendig, um keine allgemeineSteuerbegünstigung zu schaffen. Das zeigen auch inter-nationale Erfahrungen. So wurde zum Beispiel über dieAbschaffung der Steuervorteile für Private Equity in denUSA und Großbritannien diskutiert, gerade weil dieseeine allgemeine Begünstigung dieser Branche und keineFörderung von innovativen Unternehmen darstellen.

Wir Grünen haben in unserem Antrag „Innovations-fähigkeit des Standortes stärken – Wagniskapital för-dern“ klare Forderungen aufgestellt. Ins Zentrum derFörderung sollen Hochtechnologiegründungen undjunge innovative Unternehmen gestellt werden. Diesesteuerliche Förderung soll deshalb zielgenau auf kleineund mittlere Technologie- und andere hochinnovativeUnternehmen beschränkt werden, die zunächst mindes-tens 30 Prozent ihres Umsatzes für Forschung und Ent-wicklungsausgaben aufwenden und die nicht von einemoder mehreren zusammenwirkenden Großunternehmenbeherrscht werden. Konkret fordern wir, dass bei Über-tragung und Verkauf von Anteilen und Neuinvestitionvon Kapital Verlustvorträge voll erhalten bleiben sollen.Verluste sollen auch zeitlich und in der Höhe unbe-schränkt vorgetragen und mit Gewinnen verrechnet wer-den können. Die Mindestbesteuerung soll in diesen Fäl-len nicht greifen. Um die negativen Wirkungen derAbgeltungsteuer zu mindern, sollen Dividenden und pri-vate Veräußerungsgewinne der Anteilseigner mit demhalben Steuersatz der Abgeltungsteuer belegt werden.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Damit wird die Benachteiligung der Eigenkapitalfinan-zierung beseitigt. Venture Capital Fonds, die in dieseHightechunternehmen investieren, sollen generell alsvermögensverwaltend eingestuft werden. Dies bedeutet,dass auf der Fondsebene keine Besteuerung stattfindet. –Solche klaren Forderungen fehlen im FDP-Antrag.

Auch für die unmittelbare Krisensituation hat die FDPnichts zu bieten. Unternehmen sparen in der Krise zuerstbei Forschung und Entwicklung. Um kurzfristig zu über-leben, opfern kleine und mittlere Unternehmen Kapazitä-ten, die sie für den ökologischen Strukturwandel dringendbrauchen. Wir wollen mit einer 15-prozentigen Steuergut-schrift für alle FuE-Ausgaben diesem Trend entgegenwir-ken. Wir wollen mittelständische Unternehmen stärkeranreizen, neue Produkte und Verfahren zu entwickeln.Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft; eineökologische Wende kann nur mit dem Mittelstand gelin-gen. Die Steuergutschrift soll wie eine Zulage wirken; siewird also auch gezahlt, wenn das Unternehmen Verlustmacht und gar keine Steuern zahlt. Damit fördern wirauch Unternehmen, die trotz Verlusten weiter in die Zu-kunft investieren.

Natürlich unterstützen auch wir Grünen Mitarbeiter-beteiligungen an Unternehmen. Es gehört einfach zueiner modernen Unternehmenskultur, dass die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrem Unternehmenpartizipieren. Stock Options sind allerdings für Mitarbei-terbeteiligungen ungeeignet, da diese hochgradig risiko-belastet sind. Hier ist die FDP auf dem Holzweg. Notwen-dig ist vielmehr, dass die Bundesregierung bürokratischeHemmnisse bei Mitarbeiterbeteiligungen abbaut.

Etwas unklar sind auch die FDP-Forderungen zu För-derkrediten. So sollen diese zielgerichteter eingesetztwerden. Offen bleibt allerdings, um welche Ziele es geht;denn hier werden in den unterschiedlichen Bereichenganz unterschiedliche Zielstellungen verfolgt, zum Bei-spiel die Unterstützungen des „kleinen“ Mittelstands,von Unternehmensgründungen oder von Wachstumspha-sen. Eine Weiterentwicklung der Förderprogramme undeine Erhöhung des Bekanntheitsgrades verschiedenerFinanzierungsmöglichkeiten, wie von der FDP gefordert,ist zwar nicht falsch, aber nicht das Gebot der Stunde.Jetzt muss es darum gehen, den Unternehmen unbürokra-tischen und schnellen Zugang zu den zusätzlichen Kredit-programmen der KfW zu verschaffen. Außerdem leidenviele kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe derzeitbesonders unter der schlechteren Zahlungsmoral ihrerKunden. Oft müssen sie die für ihre Produkte und Leistun-gen berechnete Umsatzsteuer an den Fiskus überweisen,obwohl sie selbst noch kein Geld bekommen haben. Diesgefährdet zusätzlich die Liquidität. Kleinbetriebe undHandwerker sollen deshalb nur noch Umsatzsteuer fürbereits bezahlte Rechnungen an den Fiskus abführenmüssen. Die hierfür gültige Umsatzhöchstgrenze von250 000 Euro soll mindestens verdoppelt werden.

Der FDP-Antrag ist in großen Teilen überholt, er istunkonkret und bietet nicht die richtigen Antworten auf diegegenwärtige Krise. Wir lehnen ihn deshalb ab.

Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/5952, den Antragder Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3841 abzuleh-nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfrak-tion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und derFraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen derFDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-ordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K.Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDP

De-minimis-Beihilfen mittelstandsfreundlicherausgestalten

– Drucksachen 16/3149, 16/7730 –

Berichterstattung:Abgeordnete Andrea Wicklein

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. MichaelFuchs für die Unionsfraktion, Andrea Wicklein für dieSPD-Fraktion, Paul K. Friedhoff für die FDP-Fraktion,Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke,Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die FraktionBündnis 90/Die Grünen.

Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Die Dimension der derzeitigen Finanzkrise stellt uns

alle vor bislang unbekannte Herausforderungen. Da dieKrise global um sich greift, sind auch zahlreiche deutscheKreditinstitute mit in den Finanzstrudel geraten.

Deutschland hat zwar als Exportweltmeister vom zu-rückliegenden Boom überdurchschnittlich profitiert, dieWucht, mit der uns die globale Talfahrt trifft, zeigt unsallerdings, dass infolge der Krise ein Lebensnerv unsererVolkswirtschaft getroffen ist.

Der Mittelstand ist Wirtschafts- und Jobmotor undsomit Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Von ihm wird derGroßteil unseres Wohlstands erarbeitet.

Doch der Motor beginnt angesichts der sich zuspitzen-den konjunkturellen Schieflage zu stottern, die Wirtschaftbricht mehr und mehr ein. Einzelnen Unternehmen fälltes schwer, neue Kredite zu erhalten.

Solche Finanzierungsengpässe beeinträchtigen je-doch Investitionen und hemmen somit Innovation undWachstum der Unternehmen.

Vor dem Hintergrund des schwersten Konjunkturein-bruchs seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschlandsehen sich einzelne Unternehmen zunehmend mit ver-

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Dr. Michael Fuchs

schärften Anforderungen an die Finanzierung ihrer imKern gesunden Geschäfte konfrontiert.

Diese ernstzunehmende Entwicklung stellt eine Exis-tenzbedrohung für die betroffenen, meist mittelständi-schen Unternehmen, aber auch für unsere Wirtschaft ins-gesamt dar und könnte den gegenwärtigen Abwärtstrendnoch weiter verstärken.

Sowohl Politik als auch Wirtschaft stehen in diesenWochen und Monaten vor Herausforderungen, bei denenniemand von uns auf vergleichbare Erfahrungswerte zu-rückgreifen kann. Damit die von uns in den zurückliegen-den Monaten angeregten Maßnahmen aber überhauptwirken können, brauchen insbesondere die mittelständi-schen Unternehmen eine sichere und vor allem zügigeKreditversorgung. Dies ist allerdings nach wie vor nochnicht in ausreichendem Maße sichergestellt.

So musste bislang ein Unternehmen unendlich viel Zeitfür die Beantragung einer sogenannten De-minimis-Bei-hilfe aufbringen. Denn alles, was über der 200 000-Euro-Förderung lag, musste in Brüssel erst langwierig geprüftund genehmigt werden.

In einem Schreiben an EU-WettbewerbskommissarinNeelie Kroes hat der damalige Bundeswirtschaftsminis-ter Glos bereits im November 2008 auf die sich zuspitzen-den Finanzierungsengpässe von an sich gesunden Unter-nehmen hingewiesen und unter anderem eine zeitlichbefristete Verdopplung der De-minimis-Beihilfen auf400 000 Euro gefordert.

Meine sehr verehrten Kollegen von der FDP, Ihr An-trag ist also nichts Neues. Im Gegenteil: Die Bundes-regierung hat sich frühzeitig für eine Anhebung der De-minimis-Grenze ausgesprochen. Kollege Michael Gloshat im Gegensatz zu Ihrem an sich betagten Antrag einedeutlich höhere Anhebung der De-minimis-Grenze initi-ieren können.

So hat die EU-Kommission bereits Mitte Dezember imsogenannten „Vorübergehenden Gemeinschaftsrahmen“eine neue Kleinbeihilfe von 500 000 Euro zugelassen, dievon der Bundesregierung bereits am 29. Dezember 2008durch die „Bundesregelung Kleinbeihilfen“ umgesetztworden ist.

Mit dieser bis Ende 2010 zeitlich befristeten Anhebungder Fördersumme auf maximal 500 000 Euro ist es unsgelungen, die Beihilferegelungen insbesondere für mittel-ständische Unternehmen zu lockern und darüber hinauserheblich auszuweiten, um mögliche Finanzierungseng-pässe nicht entstehen zu lassen.

Wird die Bagatellgrenze von 500 000 Euro im Zeit-raum zwischen dem 1. Januar 2008 und dem 31. Dezem-ber 2010 nicht überschritten, muss die Beihilfe weder beider Europäischen Kommission angemeldet noch von ihrgenehmigt werden. Dies erleichtert und erlaubt es denUnternehmen, neben ihren Investitionen auch die laufen-den Ausgaben wie beispielsweise Aus- und Weiterbil-dungskosten in erhöhtem Umfang fördern zu lassen.

Darüber hinaus hat die EU-Kommission im Februardieses Jahres die von der unionsgeführten Bundesregie-rung konzipierte „Bundesrahmenregelung niedrigver-

zinslicher Darlehen“ zur vorübergehenden Gewährungniedrigverzinslicher Kredite an Unternehmen genehmigt.

Dadurch ist es Bund, Ländern und Kommunen sowieöffentlichen Förderbanken wie der KfW möglich, Unter-nehmen, die infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise inSchieflage geraten sind, vergünstigte Zinssätze für Dar-lehen zu gewähren.

Das sich aus dieser Zinsverbilligung ergebende Ge-samtvolumen des Programms beläuft sich auf 6 Milliar-den Euro! Ebenso wie die „Bundesregelung Kleinbeihil-fen“ ist diese Regelung bis zum 31. Dezember 2010befristet. Zusammen mit dem von der Bundesregierunginitiierten „KfW-Sonderprogramm 2009“ zur Deckungdes Unternehmensfinanzierungsbedarfs in Höhe von15 Milliarden Euro und der Aufstockung des ZIM um ins-gesamt 900 Millionen Euro im Zuge des Konjunktur-pakets II liegen die beiden Bundesrahmenregelungen imInteresse der mittelständischen Wirtschaft.

Durch die Gewährung niedrigverzinslicher Darlehenund die Anhebung des De-minimis-Höchstbetrags eröff-nen wir den betroffenen Unternehmen gerade jetzt inZeiten des konjunkturellen Einbruchs neue Spiel- undHandlungsräume. Dadurch stärken wir ihre Innovations-aktivitäten und initiieren Wirtschaftswachstum. Die be-stehenden beihilferechtlichen Instrumentarien sind vonuns flexibel ausgestaltet worden. Durch die befristeteHandhabung wird es uns möglich sein, die Folgen derKrise für den Mittelstand abzufedern ohne dabei denWettbewerb zu verzerren.

Andrea Wicklein (SPD): Worum geht es bei der „De-minimis“-Regelung? Mit

ihr wird für alle EU-Mitgliedsländer einheitlich derSchwellenwert festgelegt, bis zu dem staatliche Beihilfennicht dem EU-Beihilferecht unterliegen. Dies betrifft so-wohl die Direkthilfen als auch die Höhe von Bürgschaf-ten. Die „De-minimis“-Regelung zieht also eine „Unter-grenze“ im Beihilferecht ein. Wie auch die FDP in ihremAntrag richtig sagt, hat die EU-Kommission diese Höhedes Schwellenwertes bereits mehrfach angehoben.

Wichtig zu wissen ist allerdings: Diese Schwellenwertesind nicht willkürlich. Natürlich erleichtert jede Herauf-setzung den Unternehmen, direkte staatliche Fördermit-tel oder Bürgschaften in Anspruch zu nehmen. HoheSchwellenwerte erleichtern auch jedem EU-Mitglied-staat, bestimmte Branchen oder Unternehmen direkt zufördern. Doch bei allem sollten die Ziele der europäi-schen Beihilfekontrolle nicht außer Acht gelassen wer-den. Denn ordnungspolitisch dient die Beihilfenkontrolle:dem Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen, der Vermei-dung von volkswirtschaftlichen Fehlentwicklungen, ins-besondere eines „Subventionswettlaufs“, sowie derSelbstkontrolle der EU im Verhältnis zu auswärtigenHandelspartnern (OECD, WTO).

Die Schwellenwerte werden deshalb ganz bewusst inAnbetracht dieser Eckpunkte festgelegt. Änderungen soll-ten zumindest ordnungspolitisch begründbar sein. Dashat die FDP mit ihrem Antrag nicht getan. Dem Antragder FDP-Fraktion vom 25. Oktober 2006 kann darüber

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Andrea Wicklein

hinaus nicht zugestimmt werden, weil er inhaltlich längstüberholt ist. Ich möchte Ihnen das kurz begründen:

Die „De-minimis“-Grenzen lagen zum Zeitpunkt desFDP-Antrages noch bei 100 000 Euro. Dann beschlossdie EU-Kommission am 12. Dezember 2006 die neue„De-minimis“-Verordnung, die am 1. Januar 2007 inKraft trat und bis zum 31. Dezember 2013 gelten sollte.Darin wurden die behilferechtlichen Bagatellgrenzen auf200 000 Euro angehoben.

Es stimmt auch – und insofern war Ihr Antrag in einemwesentlichen Punkt durchaus zutreffend –, dass es in derEU-Kommission vor der neuen Verordnung Bestrebungengab, das Beihilferecht zu verschärfen und staatliche För-dermaßnahmen verstärkt unter einen beihilferechtlichenGenehmigungsvorbehalt zu stellen. Das aber konnte da-mals auch Dank unserer Intervention abgewendet wer-den. In den Beratungen zur neuen „De-minimis“-Verord-nung konnte die Bundesregierung außerdem durchsetzen,dass den Mitgliedstaaten eine Öffnungsklausel gewährtwird, um durch eigene, von der EU-Kommission geneh-migte Berechnungsmethoden höhere Bürgschaftsbeihilfe-werte zu erreichen.

Inzwischen sind aber bereits im Dezember 2008 mitHinblick auf die dramatischen Auswirkungen der Finanz-krise die „De-minimis“-Grenzen auf bis zu 500 000 Euroangehoben worden. Damit sind die behilferechtlichen Ba-gatellgrenzen heute mittelstandsfreundlicher als jemalszuvor, und damit hat sich die EU-Kommission in derFrage der nationalen Unterstützungsmaßnahmen alsausgesprochen flexibel und konstruktiv erwiesen. DieseAnhebung ist gerade jetzt ganz entscheidend für Indus-trie, Handel und Gewerbe. Mit der neuen Festlegung derGrenzen können durch staatliche Fördermaßnahmen füreinen begrenzten Zeitraum gezielt Innovationen und In-vestitionen unterstützt und entbürokratisiert werden. Dasdient den kleinen und mittleren Unternehmen, die unserRückgrad für Wachstum und Beschäftigung sind.

Die Anhebung schafft vor allem den Bundesländernden nötigen Freiraum, den Klein- und Mittelstand schnellund gezielt zu helfen. Nun ist es wichtig, dass die Ländervon dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen und diestaatliche Unterstützung so eingesetzt wird, dass Arbeits-plätze gesichert oder geschaffen werden. Da die ostdeut-schen Bundesländer flächendeckend Höchstfördergebietsind, können sie nun aufgrund der neuen „De-minimis“-Grenzen die ihnen zur Verfügung stehenden Investitions-fördermittel noch flexibler einsetzen. Das freut mich alsostdeutsche Bundestagsabgeordnete.

Ich möchte noch mal betonen: Die „De-minimis“-Schwellenwerte sind keine Willkür. Sie müssen – und dashat die EU-Kommission getan – je nach aktueller Situa-tion flexibel gehandhabt und möglichst unbürokratischausgestaltet sein. Das ist mit der Anhebung auf500 000 Euro klar der Fall. Auch die Zustimmung derEU-Kommission, dass zunächst bis Ende 2010 alle EU-Mitgliedstaaten ohne individuelle Prüfung durch die EU-Wettbewerbsaufsicht Mittel im Rahmen eines nationalenRettungsplans vergeben können, trägt dem Rechnung.

Übrigens ist es selbstverständlich eine dauerhafte Auf-gabe der Bundesregierung, bei der Ausgestaltung derBeihilferegelung der Europäischen Union eine mittel-standsfreundliche Position zu vertreten. Ich kann nichterkennen, dass sie dieser Aufgabe nicht gerecht wird.Deshalb ist der Antrag der FDP im Wirtschaftsausschussvon allen Fraktionen abgelehnt worden und sollte auchheute abgelehnt werden.

Paul K. Friedhoff (FDP): Der Wirtschaftsausschuss hat Ende 2007 dem Deut-

schen Bundestag empfohlen, unseren Antrag für eine mit-telstandsfreundlichere Gestaltung der Regelung von„De-minimis“-Beihilfen abzulehnen. Diese Ablehnungs-empfehlung sah meine Fraktion schon damals als falschan.

Wir haben diesen Antrag im Herbst 2006 gestellt, in ei-ner Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs. Seitdem habensich – insbesondere im letzten Dreivierteljahr – die wirt-schaftlichen Gesamtumstände massiv verschlechtert. Jemehr die Wirtschaftskrise auch den Mittelstand bedrohtund je problematischer die Finanzierung von Investitio-nen wird, desto wichtiger wird eine entschiedene Verbes-serung der Bedingungen, unter denen mittelständischeUnternehmen wirtschaften können.

Eine wesentliche Rahmenbedingung sind die Regelnfür die Finanzierung von Investitionen. Bei den Investi-tionen entscheidet sich oft, ob die Wettbewerbsfähigkeitund Zukunftsfähigkeit der Unternehmen gesichert werdenkann. In unserem Antrag fordern wir, dass der Rahmenerweitert wird, in dem staatliche Bürgschaften an Unter-nehmen ausgereicht werden dürfen, ohne als sogenannteintransparente Beihilfe zu gelten. Nach der derzeitigeneuropäischen Verordnung können Bürgschaften nur bis1,7 Millionen Euro ohne Genehmigung der EU-Kommis-sion vergeben werden. Diese Grenze ist oftmals zu nied-rig. Angesichts der massiven Finanzierungsprobleme aufbreiter Front und der zögerlichen Kreditvergabe durchprivate Banken ist eine Aufstockung nötig.

Gerade in Krisenzeiten ist die Vermeidung umfangrei-cher Genehmigungsbürokratie für schnelle konjunktu-relle Erholung enorm wichtig. Verzögerungen durchlangwierige Verfahren torpedieren eine effektive Hilfe fürden Mittelstand. Sie sehen, dass unser Antrag gerade inder jetzigen Situation aktuell wie kaum zuvor ist. DieBundesregierung bleibt aufgefordert, bei der EU-Kom-mission dafür einzutreten, dass die Grenzen für öffentli-che Bürgschaften zur Mittelstandsförderung heraufge-setzt werden.

Wir mussten ja bereits mit ansehen, wie die Bundes-regierung nach dem Prinzip vorgeht: „Bei den Großenkommt der Bundesadler, bei den Kleinen kommt der Plei-tegeier“. Jetzt muss für die „De-minimis“-Beihilfen aufeuropäischer Ebene gehandelt werden, damit nicht not-wendige und gewollte Investitionen an hohen bürokrati-schen Hürden scheitern. Hier kann sich die Bundesregie-rung ganz konkret für die Belange der „Kleinen“einsetzen, anstatt in Sonntagsreden die mittelständischeWirtschaft hochleben zu lassen.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Jedes Jahr werden Unternehmen mit großen Geldsum-

men subventioniert. 25 Milliarden Euro Fördermittel fürmittelständische Unternehmen in Deutschland wurdenallein im Jahr 2007 bereitgestellt, von der EuropäischenUnion, der Bundesregierung und den Bundesländern.

Bei dem Thema De-minimis-Beihilfe, über das wirheute beraten, geht es darum, ab welcher Höhe die EU-Kommission solche Subventionen an Unternehmen ge-nehmigen muss. Der Begriff de minimis ist aus dem ehe-maligen Römischen Recht abgeleitet und bedeutet so vielwie: „Um Geringfügigkeiten kümmert sich das Gesetznicht“. Nach der derzeitigen Regelung müssen Subven-tionen an Unternehmen bis zu einer Grenze von200 000 Euro nicht bei der EU-Kommission angemeldetund von ihr genehmigt werden. Der Grund: Die EU-Kom-mission geht davon aus, dass Gelder in dieser Höhe nichtden Wettbewerb verfälschen und nicht den Handel zwi-schen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

Die Linke ist der Meinung: Eine solche Grenze machtSinn, damit kleine und mittlere Unternehmen unbürokra-tisch an die Fördergelder kommen. Wir kritisieren aberdie Absicht der FDP, die Grenze einfach weiter anzuhe-ben. Und wir kritisieren ihre Absicht, die sogenannteTransparenzregelung abzuschaffen. Diese Regelung be-sagt, dass die Genehmigungsfreiheit nur für die Subven-tionen gilt, deren Höhe im Voraus genau berechnet wer-den kann, ohne dass eine Risikobewertung nötig ist. Beiden Subventionen handelt es sich um Steuergelder. DerenVergabe muss ordentlich geprüft und kontrolliert werden!

Hier beginnen auch die grundsätzlichen Probleme derderzeitigen Förderpolitik. Diese geht die FDP mit ihremAntrag ebenso wenig an wie die Große Koalition. DieLinke ist für eine Wirtschaftspolitik, die vorsieht, Unter-nehmen in strukturschwachen Regionen oder auch Zu-kunftsbranchen mit öffentlichen Geldern zu fördern, alsozu subventionieren. Wenn damit eine Angleichung derLebensbedingungen verbunden ist, wichtige Umwelttech-nologien gefördert werden, ist das im Interesse des Ge-meinwohls und zu unterstützen. Die Linke ist jedoch ge-gen eine Förderpolitik, die darauf hinausläuft, dass derStaat mit Steuergeldern Billigjobs fördert wie etwa im Be-reich der Callcenter. Ausbeutungsjobs dürfen nicht mitöffentlichen Mitteln subventioniert werden. Deshalbmuss die Vergabe von Fördermitteln auch an soziale Kri-terien geknüpft werden. Weigert sich das Unternehmen,Tariflöhne zu zahlen? Behindert der Arbeitgeber die Ar-beit der Gewerkschaft und Betriebsräte? Eine solche Be-triebspolitik sollte der Staat nicht auch noch durch öffent-liche Fördermittel unterstützen. Die Linke schlägtdeshalb vor, auch in der Förderpolitik Kriterien für „guteArbeit“ zu entwickeln und diese zu Bedingungen für dieVergabe der Fördermittel zu machen. Diese Frage erhältin den kommenden Monaten eine enorme Bedeutung,denn der Staat hat wegen der Krise der Wirtschaft riesigeFinanzhilfen in Aussicht gestellt – das sollte nicht ohneBedingungen passieren.

Abschließend möchte ich noch ein ganz anderesgrundsätzliches Problem ansprechen: Staatliche Förder-mittel fließen oft an kleineren Unternehmen vorbei. Ich

zitiere die für die Linke unverdächtige „Wirtschaftswo-che“:

Eine aktuelle Umfrage der Deutschen Bank zeigt,dass nur rund ein Drittel der mittelständischen Un-ternehmen öffentliche Fördermittel nutzt, obwohl61 Prozent dieser Unternehmen grundsätzlich Inte-resse daran hätten, diese in Anspruch zu nehmen.Doch oft sind die Programme gar nicht bekannt,heißt es in der Studie. Mancher Unternehmer schei-tert auch an seiner Hausbank, bevor die seinen An-trag an die Förderbank weiterreicht. Denn dieHausbank muss die Unterlagen prüfen und für dieRückzahlung der öffentlichen Mittel einstehen. DieArbeit machen sich manche Banker aber lieber,wenn es um Darlehen des eigenen Instituts geht.

Bisher hat die Bundesregierung nichts getan, um die-ses Problem zu lösen, und bestätigt damit: Sie macht einePolitik für das Großkapital, der Handwerker vor Ort fälltdabei runter.

Sie sehen, bei der derzeitigen Förder- und Subven-tionspolitik liegt einiges im Argen. Die Linke wird hiernicht locker lassen.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

In ihrem Antrag begrüßt die FDP die Anhebung derBagatellgrenze für Beihilfen auf 200 000 Euro und for-dert, dass die Bagatellgrenzen für Bürgschaften der öf-fentlichen Hand an Unternehmen seitens der Kommissionhoch gesetzt werden. Ich muss zugeben: Ich bin erstauntüber den Antrag der FDP. Ich dachte, die FDP würde füreinen konsequenten Subventionsabbau eintreten. Dazumöchte ich kurz aus einem Antrag der Fraktion der FDPzitieren. Darin ist zu lesen: „Jede“ – ich wiederhole:jede! – „Intervention der öffentlichen Hand in den Markt-prozess stört das freie Spiel von Angebot und Nachfrageund somit den Wettbewerb.“ Und weiter heißt es: „Somitsind sämtliche Subventionen zu befristen und alle Finanz-hilfen degressiv zu gestalten.“ Demnach wäre also diePosition der FDP, sämtliche Subventionen zu befristenund alle Finanzhilfen degressiv zu gestalten. In dem An-trag, der uns heute vorliegt, steht hingegen etwas völliganderes. So begrüßt die FDP die pauschale Anhebungder Bagatellgrenze seitens der EU-Kommission auf200 000 Euro. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegenvon der FDP: Sie müssen sich mal entscheiden, was Sieeigentlich wollen. Wollen Sie Subventionen erleichternoder erschweren? Wollen Sie mehr Transparenz odermehr Intransparenz? Wollen Sie mehr Kontrolle bei denSubventionen oder weniger Kontrolle? Das erklären Siemal. Das versteht nämlich niemand mehr.

Jetzt fordern Sie in Ihrem Antrag, auch die Bagatell-grenze für Bürgschaften von 1,7 Millionen Euro weiter zuerhöhen und die Unterscheidung transparente versus in-transparente Beihilfen in der Richtlinie abzuschaffen.Selbstverständlich ist es richtig, immer wieder zu über-prüfen, ob wir den Unternehmen und gerade den kleinen- und mittelständischen Unternehmen übermäßigen büro-kratischen Aufwand zumuten. Deswegen unterstützen wirdie Abschaffung der Unterscheidung von transparenten

Zu Protokoll gegebene Reden

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Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn

versus intransparenten Beihilfen in der Richtlinie.Gleichzeitig brauchen wir aber auch mehr Transparenzbei den Beihilfen und den Bürgschaften seitens der öffent-lichen Hand. Jeder Bürger und jede Bürgerin und auchjeder Wettbewerber muss nachvollziehen können, wer ei-gentlich von den Beihilfen und Bürgschaften profitiert.Deswegen fordern wir Grünen die Veröffentlichung allerSubventionsempfänger.

Die pauschale Anhebung der Bagatellgrenzen fürBürgschaften über 1,7 Millionen Euro, wie die FDP for-dert, lehnen wir ab. Das ist der völlig falsche Weg. DieFrage bei den Beihilfen und Bürgschaften ist doch, wel-che Effekte und Folgen diese haben. Führen sie zu einerWettbewerbsverzerrung auf Kosten der öffentlichenHand; werden also mit den Beihilfen Kosten zuungunstender öffentlichen Kassen externalisiert? Dann sind solcheBeihilfen und Bürgschaften grundsätzlich – und dabeispielt dann die Höhe keine Rolle – abzulehnen. Oder för-dern sie den Strukturwandel hin zu einem ökologischen,energie- und ressourceneffizienten Wirtschaften? In die-sem Falle sind Beihilfen und gerade Bürgschaften sehr zubegrüßen. Dann sind es nämlich Anschubfinanzierungenfür ökologische Technologien und ressourceneffizientesWirtschaften. Und diese brauchen wir dringend, um demKlimawandel entschieden entgegenzutreten.

Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 16/7730, den Antragder Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3149 abzuleh-nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, derSPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der FraktionBündnis 90/Die Grünen gegen Stimmen der FDP-Frak-tion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu demAntrag der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Biologische Kohlenstoffsenken für den Klima-schutz nutzen

– Drucksachen 16/2088, 16/7147 –

Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)Frank Schwabe Michael Kauch Eva Bulling-Schröter Dr. Reinhard Loske

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auchhier die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sichum die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:Andreas Jung für die Unionsfraktion, Frank Schwabe fürdie SPD-Fraktion, Dr. Christel Happach-Kasan für die

FDP-Fraktion, Eva Bulling-Schröter für die Fraktion DieLinke und Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.

Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): Ende dieses Jahres findet die UN-Klimakonferenz in

Kopenhagen statt. Dort soll ein Nachfolgeprotokoll fürdas Kioto-Abkommen verabschiedet werden, das 2012ausläuft. In Kopenhagen besteht die Chance, der globa-len Herausforderung des Klimawandels durch inter-national abgestimmtes Handeln entgegenzutreten; dennnationale Alleingänge sind nicht zielführend. Ähnlich wiein der Finanzkrise ist ein gemeinsames energisches Vor-gehen Grundvoraussetzung für den Erfolg.

Im Rahmen des Kioto-Protokolls gibt es die sogenann-ten flexiblen Instrumente. Es handelt sich dabei um JointImplimentation, JI, und Clean-Development-Mechanism,CDM. CDM ermöglicht es Industrie- und Entwicklungs-ländern, gemeinsam Klimaschutzprojekte in Entwick-lungsländern durchzuführen. JI wiederum bietet Industrie-ländern eine Möglichkeit zur Minderung der Treibhausgaseim gastgebenden Industrieland entsprechend ihrer Ver-pflichtung im Kioto-Protokoll.

Darüber hinaus eröffnet das Protokoll die Möglich-keit, die Reduzierung von Kohlenstoff auf Emissionsre-duktionsverpflichtungen anzurechnen, wenn die Kohlen-stoffeinbindung in sogenannten Senken, zum Beispiel inWäldern, erfolgt.

Ich fasse die Forderungen der FDP kurz zusammen:

Erstens. Die Bundesregierung solle diese Option desKioto-Protokolls für Wälder in Deutschland wahrnehmenund darauf hinarbeiten, dass innerhalb des europäischenEmissionshandels mit Zertifikaten die Nutzung vonWaldsenkenprojekten berücksichtigt wird.

Zweitens. Darüber hinaus solle bei internationalenVerhandlungen darauf hingewirkt werden, dass auch dieKohlenstoffspeicherung im Holz aus nachhaltig genutz-ten Wäldern berücksichtigt wird.

Drittens. In Pilotregionen sollten Monitoringsystemefür Kohlenstoffsenkenprojekte entwickelt und die Techno-logieentwicklung zur energetischen Nutzung von Bio-masse aus Wäldern gefördert werden.

Grundsätzlich teilen wir die Auffassung, dass die Ver-knüpfung der Herausforderungen des Klimaschutzes mitder Notwendigkeit des Waldschutzes wichtig ist. Deshalbist es auch richtig, die Thematik in die internationalenKlimaverhandlungen einzubringen und ihr dort nochmehr Bedeutung beizumessen. Besonderes Augenmerkmuss dabei aber auf die Auswahl geeigneter und zielfüh-render Instrumente gelegt werden. Mitnahmeeffekte müs-sen unbedingt vermieden werden. Auch im Bereich derSenken gilt: Wir wollen mehr Klimaschutz, aber nichtmehr Anrechnungsmöglichkeiten auf Reduktionsver-pflichtungen ohne zusätzliche Maßnahmen.

Aus diesem Grund sollte bei der Option der Senken derSchwerpunkt der Bemühungen eher bei der Frage liegen,inwieweit Urwälder geschützt, Brandrodungen vermie-den und wie insbesondere in Entwicklungsländern wieder

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Andreas Jung (Konstanz)

aufgeforstet werden kann. Deshalb müssen jetzt Konzepteentwickelt werden, wie Senkengutschriften in den inter-nationalen Emissionshandel integriert werden können.Ziel muss sein, die Erlöse in einen Fonds zu überführen,der der Förderung des Waldschutzes dient.

Auf diesem Weg müssen wir weiter vorankommen; denFDP-Antrag lehnen wir heute ab.

Frank Schwabe (SPD): Die Zeit drängt. In etwa 31 Monaten läuft das Kioto-

Protokoll aus. Es gilt seit 2008 und endet 2012. Deshalbverhandelt die internationale Klimadiplomatie geradeein Kioto-Nachfolgeabkommen für die Zeit nach 2012,das im Dezember auf der Klimakonferenz in Kopenhagenverabschiedet werden soll. In diesen Verhandlungen mussbis zum 1. Juli ein Vertragstext bei den Vereinten Natio-nen hinterlegt werden, der dann auf dem Kopenhagen-Gipfel beschlossen werden muss. Und bis zum Gipfel inKopenhagen sind es gerade noch 213 Tage!

Um die Auswirkungen des Klimawandels für Men-schen und Natur auf ein noch kontrollierbares Maß be-grenzen zu können und existenzielle Bedrohungen vor al-lem für kleine Inselstaaten abzuwehren, muss der Anstiegder globalen Durchschnittstemperatur auf maximal Zwei-Grad-Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau um1800 eingedämmt werden. Der Weltklimabericht desIPCC von 2007 setzt dafür eine Verringerung des Treib-hausgas-Ausstoßes in den Industrieländern bis 2020 ummindestens 25 bis 40 Prozent gegenüber 1990 voraus.Parallel dazu muss es gelingen, die weitere Emissionsent-wicklung gerade in den wachstumsstarken Schwellenlän-dern um 15 bis 30 Prozent gegenüber dem jetzt stark stei-genden Trend zu mindern. Der weitere Anstieg derweltweiten Emissionen muss innerhalb der nächsten zehnJahre gestoppt werden, weil sonst deutlich höhere Reduk-tionsziele in noch kürzerer Zeit erreicht werden müssen.Langfristig zeigen die IPCC-Szenarien, dass bis 2050eine Minderung der globalen Treibhausgas-Emissioneninsgesamt um mindestens 50 Prozent notwendig ist – ver-glichen mit dem Stand von 1990, nicht dem höheren vonheute! Für die Industrieländer, und damit auch fürDeutschland, ergibt sich daraus eine Minderungsver-pflichtung von 80 bis 95 Prozent weniger CO2 bis zumJahre 2050. Andernfalls ist mit irreversiblen Veränderun-gen und Schädigungen natürlicher Systeme zu rechnen,die dramatische Folgen für Mensch und Natur haben. DieKioto-Verpflichtungen reichen zur Erreichung diesesZwei-Grad-Ziels bei Weitem nicht aus. Tatsächlich liegtdie derzeitige Emissionsentwicklung seit 2005 über demschlimmsten Szenario des Weltklimarates. Gleichzeitighat die Fähigkeit von natürlichen Ökosystemen wie Wäl-dern, Mooren und Meeren, Kohlenstoff der Atmosphärezu entziehen und dauerhaft zu binden, in den letzten50 Jahren global um etwa fünf Prozent abgenommen.Diese Entwicklung wird sich künftig durch den Klima-wandel, Naturzerstörung und nicht-nachhaltige Landnut-zungen noch weiter verschärfen.

Waldschutz ist eine der Hauptsäulen des globalen Kli-maschutzes. Entwaldung und Walddegradierung verur-sachen etwa 22 Prozent der jährlichen globalen Treib-hausgasemissionen – mehr als die gesamten Emissionen

des globalen Verkehrssektors. Daher muss die inter-nationale Staatengemeinschaft im Rahmen des neuenKlimaschutzabkommens einen neuen, globalen Mecha-nismus zu Verringerung globaler Emissionen aus Entwal-dung als eine der zentralen Säulen verankern. Dabeimüssen wir uns immer vor Augen halten, dass 80 Prozentder Urwälder auf dieser Erde schon vernichtet wurden.Nur 20 Prozent der ehemaligen Urwälder existierenheute noch in großen zusammenhängenden Gebieten. Dieverbleibenden Wälder dieser Welt sind Lebensgrundlagefür Mensch, Tier und Pflanzen. Der ungebremste Klima-wandel kann schon zwischen 2040 und 2060 zum Kollapsdes Amazonas-Regenwaldes führen. Zugleich ist die Ab-holzung einer der starken Treiber des Klimawandels.Eine umfangreiche, globale Strategie zu dessen Begren-zung ist eine Chance, über bisherige Waldschutzstrate-gien hinauszugehen und Wälder, ihre Biodiversität sowiedas globale Klima in Kooperation mit den in und mit ih-nen lebenden Menschen für die Zukunft zu erhalten.

Entscheidend ist nun zu klären, mit welchen Instru-menten wir das Ziel von Klimaschutz und Waldschutz er-reichen. Die FDP hat in ihrem Antrag vorgeschlagen, dieWälder in das System des Emissionshandels aufzuneh-men. Was würde passieren, wenn wir das machen wür-den? Es würde zur Überschwemmung des Marktes mitbilligen CO2-Zertifikaten und zum Ausfall des Preisanrei-zes führen, Maßnahmen in den Industrie- und in denSchwellenländern zu ergreifen. Dabei ist der Kohlenstoff-preis der wichtigste Treiber dafür, die notwendigen An-reize zu setzen, dass Investitionen im Sinne des Klima-schutzes erfolgen. Genau dieser Treiber würde außerKraft gesetzt. Die notwendigen Klimaziele, vor allem dielangfristigen, würden nicht erreicht werden. Deshalb leh-nen wir die Einbeziehung der Wälder in den Emissions-handel als falsches Instrument ab.

Da die Emissionen aus Entwaldung 20 Prozent dervom Menschen produzierten Treibhausgase betragen,muss der Schutz von Wäldern in die internationalen Kli-maverhandlungen einbezogen werden. Wir setzen unsdeshalb dafür ein, dass die Staatengemeinschaft bis spä-testens Ende 2009 wirksame Maßnahmen gegen das Ab-holzen tropischer Urwälder entwickelt (REDD). DasAbkommen muss Anreizsysteme und Finanzierungs-mechanismen für die Vermeidung von Entwaldung ent-halten. Zudem belegte der Stern-Report (2006), dass dieDrosselung der weltweiten Entwaldung ein äußerst kos-tengünstiger Weg sein kann, zum Klimaschutz beizutra-gen. Ein zukünftiger Mechanismus muss so konzipiertsein, dass die Einsparungen von Emissionen aus demWaldbereich zusätzlich zu denen im Energiesektor statt-finden. Industrieländer dürfen sich nicht durch den Han-del mit waldbezogenen Zertifikaten von ihren Verpflich-tungen zur Einsparung von Emissionen im Energiesektorfreikaufen können. Ein Teil des Erlöses des Emissions-handels muss dafür verwendet werden, über einen Wald-fonds den internationalen Waldschutz zu finanzieren. Inunserem Entwurf für das Regierungsprogramm habenwir als SPD klargemacht, dass wir alle Einnahmen ausder Versteigerung der Emissionszertifikate für Klima-und Umweltschutzmaßnahmen nutzen wollen. Wald-schutz aus Erlösen des Emissionshandels ist der richtige

Zu Protokoll gegebene Reden

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Frank Schwabe

Ansatz. Die Einbeziehung der Wälder in den Emissions-handel hingegen führt in eine Sackgasse.

Der Waldfonds muss unter der Klimarahmenkonven-tion angesiedelt werden. Außerdem müssen Förder-ansätze zur vermiedenen Entwaldung strikt von denen fürAufforstung getrennt werden. Auch muss ein Post-2012-Abkommen ein „Co-Benefit“ für die Biodiversität enthal-ten. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt der Initiative derBundeskanzlerin und des Bundesumweltministers auf derBiodiversitätskonferenz CBD letztes Jahr in Bonn gewe-sen. Der zukünftige Mechanismus muss die Rechte der lo-kalen Bevölkerung stärken und ihr Verdienstmöglichkei-ten eröffnen. Er muss „performance based“ sein. Dasheißt, dass die Zahlungen an die Erfüllung der nationalenVerpflichtungen und den Rückgang der Entwaldung ge-koppelt sind. Dabei ist die besondere Situation in denverschiedenen Entwicklungsländern zu berücksichtigen.Die deutsche Regierung wird – wie von BundeskanzlerinMerkel angekündigt – in den Jahren 2009 bis 2012 einenzusätzlichen Betrag von 500 Millionen Euro, und ab 2013eine halbe Milliarde jährlich, für den internationalenWaldschutz bereitstellen. Diese Gelder sollen im Rahmeneines Programms die REDD-Diskussion begleiten undunterstützen.

So weit die Leitplanken, wie ein solcher Mechanismusaussehen muss. Wichtig ist nun, dass wir schnell zu einemVerhandlungstext kommen. Denn die nächste Vorberei-tungskonferenz für Kopenhagen ist schon in dreieinhalbWochen. Nutzen wir die Zeit, um für ein ambitioniertesKioto-Anschlussabkommen zu werben und zu begeistern!Denn Klimaschutz ist keine Belastung, sondern eine Lö-sung aus der gegenwärtigen Krise!

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): In der Klimaschutzkonferenz in Kioto im Jahr 1997

wurden erstmals international rechtlich verbindlicheZiele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen fest-gesetzt. Nachdem das Kioto-Protokoll 2005 in Kraft ge-treten ist, besteht die Möglichkeit, die Kohlenstoffeinbin-dung in Senken, zum Beispiel in Wäldern oder auch inMoorgebieten, innerhalb bestimmter Grenzen auf die je-weiligen nationalen Emissionsreduktionsverpflichtungenanzurechnen.

Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt, dass die Bun-desregierung im Gegensatz zur rot-grünen Vorgänger-regierung entsprechend den Forderungen in unserem be-reits im Sommer 2006 gestellten Antrag entschieden hat,dass deutsche Wälder als Kohlenstoffsenken angerechnetwerden können. Seither ist allerdings nicht viel gesche-hen. Der im März dieses Jahres – also zwei volle Jahrenach dem Beschluss der Bundesregierung – vom Deut-schen Holzwirtschaftsrat durchgeführte parlamentari-sche Abend „Mit Wald und Holz aus der Klimakrise“ ver-deutlichte, dass noch erheblicher Handlungsbedarfbesteht. Die Bundesregierung ist nach wie vor weit davonentfernt, konkret zu sagen, in welcher Weise sie die Be-rücksichtigung der Wälder als Kohlenstoffsenken organi-sieren will.

Die große Bedeutung der Kohlenstoffsenken für denTreibhausgashaushalt der Erde ist wissenschaftlich un-

bestritten. Zahlreiche technische Fragen wie die Defini-tionen, Einzelheiten des Anrechnungsverfahrens sowiedie Anforderungen an eine Kontrolle, Monitoring, sindweitgehend geklärt. Probleme bestehen bislang noch beider genaueren Quantifizierung. Besonders auf welcheWeise die CO2-senkende Wirkung der deutschen Wäldergemessen werden soll, ist bislang nicht hinreichend fest-gelegt. Das genaue Verfahren, wie die Waldbesitzer in un-serem Land für diese Leistung honoriert werden sollen,ist offen. Ferner steht die Ausarbeitung bestimmter Ver-fahrensfragen für Senkenprojekte in Entwicklungslän-dern aus. Hier ist die Bundesregierung gefordert.

Grundsätzlich gilt es, Klimaschutz und Emissionshan-del auf größtmögliche Wirkung und Kostenminimierungdurch die Verknüpfung und integrale Anwendung aller In-strumente des Kioto-Protokolls einschließlich der Koh-lenstoffsenken zu verpflichten. Damit werden die Vorteileder Kioto-Instrumente nicht zuletzt auch der deutschenLand- und Forstwirtschaft zugänglich. Neben nationalenAnstrengungen zur Verminderung der CO2-Emissionenist es unerlässlich, alle flexiblen Mechanismen zur Errei-chung des Klimaschutzziels zu nutzen. Dazu zählt auchdie Möglichkeit der CO2-Bindung in Kohlenstoffsenken.

Für die verstärkte Bindung von CO2 sind gerade auchbiologische Methoden geeignet. Wälder binden Kohlen-stoff. Der Aufbau stabiler Wälder ist somit geeignet, denanthropogen beeinflussten Klimawandel zu verlangsa-men. Dabei werden zusätzlich die Biodiversität gestärkt,die Böden geschützt und die Trinkwasserversorgung ver-bessert. Das Instrument der Kohlenstoffsenke ist kosten-günstig und effizient. Es leistet wichtige Beiträge für dieEnergie- und Rohstoffversorgung, für die Technologie-entwicklung und sorgt für Beschäftigung in struktur-schwachen ländlichen Regionen – im Inland wie im Aus-land.

In Mitteleuropa, wo die potenzielle natürliche Vegeta-tion Wälder hervorbringt, haben diese bei der Bekämp-fung des Klimawandels eine Schlüsselrolle inne. DasHolz der Waldbäume und die humusreichen Waldbödenspeichern Kohlenstoff. Wird der Speicher Wald zerstört,werden die im Holz und den Böden gespeicherten Treib-hausgase in die Atmosphäre abgegeben. Laut IPCC, In-tergovernmental Panel on Climate Change, stammen biszu 30 Prozent der zusätzlichen Belastung der Atmosphäremit CO2 in den letzten 100 Jahren aus der Zerstörung vonWäldern, zum Beispiel durch illegalen Holzeinschlag so-wie durch Brandrodung. Durch Urwaldschutz, Auffors-tung und nachhaltige Bewirtschaftung von bestehendenWäldern kann umgekehrt der Atmosphäre CO2 wiederentzogen und langfristig gebunden werden. Somit bietetder Wald eine kostengünstige Möglichkeit, den Klima-wandel zu verlangsamen und Ökosystemen mehr Zeit füreine Anpassung an das sich ändernde Klima zu geben.

Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich dafür ein, dassdie Bundesregierung die Option des Kioto-Protokolls, dieNutzung von Waldsenkenprojekten innerhalb des europäi-schen Emissionshandels, stärker vorantreibt als bislang.Darüber hinaus soll künftig bei internationalen Verhand-lungen darauf hingewirkt werden, dass auch die Kohlen-stoffspeicherung im Holz aus nachhaltig genutzten

Zu Protokoll gegebene Reden

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Dr. Christel Happach-Kasan

Wäldern berücksichtigt wird. Schließlich müssen nachEinschätzung der FDP künftig in Pilotregionen spezielleMonitoring-Systeme für Kohlenstoffsenkenprojekte ent-wickelt werden. Die bislang gefassten Regelungen zurAnrechnung der CO2-Speicherleistung in der deutschenForst- und Holzwirtschaft sind nach Einschätzung derFDP-Bundestagsfraktion zurzeit noch zu kompliziert undaufwendig und daher zu bürokratisch. Im Kioto-Protokollwird bislang nur die Senke im Wald honoriert. Weiterhinist die Bindung von Kohlenstoff in fertigen Holzproduktenin die Senkenfunktion zu integrieren.

Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Wie Sie wissen, konnte bislang die weltweite Entwal-

dung nicht gestoppt werden. Jährlich werden weltweitrund 13 Millionen Hektar Wald abgebrannt oder gerodet.Diese Zerstörung trägt mit circa 20 Prozent der globalenTreibhausgasemissionen wesentlich zum Klimawandelbei. Im Kampf gegen die Erderwärmung gewinnt daherder Erhalt der Wälder immer mehr an Bedeutung. Auchzum Schutz der Biodiversität und der lokalen Bevölke-rung, die besonders in den Tropen von den Wäldern alsLebensraum abhängig ist, muss die Entwaldung undWalddegradierung – also die Verringerung der Baumbe-stände, die noch nicht den Status einer „Entwaldung“ er-reicht hat – gestoppt werden.

Im Antrag der FDP ist der Schutz der Wälder in gewis-ser Weise Mittel zum Zweck. Natürlich sind auch dieLiberalen für den Waldschutz. Er soll aber in die Emis-sionshandelsysteme einbezogen werden. Er soll so denKlimaschutz für die Industriestaaten preiswerter machen.Und genau hier sehen wir massive Probleme, die ich imFolgenden darstellen will.

In der internationalen Debatte um den Waldschutzgeht es seit ein paar Jahren um Mechanismen, die ökono-mische Anreize dafür schaffen sollen, die Abholzung zustoppen oder wenigstens das Tempo von Entwaldung undWalddegradierung zu bremsen. Das wichtigste Instru-ment hierbei firmiert unter dem Kürzel „REDD“, redu-cing emissions from deforestation and degradation –Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung und Wald-degradierung. Das geplante System basiert darauf, dassdem in den Wäldern gespeicherten Kohlenstoff künftigein wirtschaftlicher Wert beigemessen wird. So soll es fi-nanziell lohnenswert werden, den Wald zu schützen, an-statt ihn abzuholzen.

Das Bündel der Modelle, die hierfür in der Diskussionsind, eint, dass nicht nur eine Vielzahl von politischen,sondern auch von methodischen Problemen bestehen. Soist die Berechnung der Menge an Treibhausgasen, diedurch weniger Abholzung „vermieden“ würde, alles an-dere als banal. Das fängt dabei an, welches Referenzsze-nario benutzt werden soll. Historische Entwaldungsratenoder Prognosewerte? Über welchen Zeitraum soll alsVergleich zurückgeblickt werden? Wie soll die Menge be-rechnet werden, wenn es eine mangelhafte Datenlage fürden Referenzzeitraum oder die Waldtypen gibt? Und diegibt es fast überall. Was geschieht, wenn in einem Gebietvermiedene Entwaldung honoriert wird, die Motorsägenin einem anderen dafür umso länger kreischen? Und lässt

sich das Ganze überhaupt kontrollieren? Nicht zuletzt dieFrage: Wird das neue System mit oder gegen die Bewoh-ner und Nutzer der Wälder durchgesetzt, wer profitiertdavon vor Ort?

Hinsichtlich der Finanzierung könnten zwei Hauptli-nien unterschieden werden: zum einen Fonds, in die In-dustriestaaten einzahlen, zum anderen Bestrebungen,dieses System nach einer Pilotphase in ein Emissionshan-delssystem zu überführen, so wie es die FDP will. Letzte-res System könnte ähnlich dem CDM-System, CleanDevelopment Mechanism, des Kioto-Protokolls funktio-nieren. Dessen Emissionsgutschriften für Klimaschutz-investitionen der Industriestaaten in Entwicklungslän-dern können sich Investoren auf eigene Verpflichtungenanrechnen lassen oder gewinnbringend verkaufen.

Der CDM-Mechanismus ist allerdings wegen seinererheblichen Missbrauchspotenziale in Verruf gekommen.Die vielen offenen systematischen und methodischen Fra-gen bei REDD könnten ähnlich viel Raum für Manipula-tionen und klimapolitische Fehlsteuerungen bieten wiedas CDM-Regime. Vor allem aber muss der Tropenwald-schutz zusätzlich zu den Einsparzielen im Kioto- und Ko-penhagen-Prozess erfolgen. Auch darum wendet sich dieLinke strikt dagegen, den Waldschutz in Emissionshan-delssysteme einzubinden. Ansonsten könnte ein geschütz-ter Wald mehr im Süden gleichzeitig ein neues Kohle-kraftwerk mehr in Europa bedeuten. Und dies wäre exaktdas Gegenteil von nachhaltigem Klimaschutz.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Der Waldschutz ist von zentraler Bedeutung für die Er-

reichung der internationalen Klimaschutzziele und für denerfolgreichen Abschluss eines neuen weltweiten Klima-abkommens Ende des Jahres in Kopenhagen.

Laut IPCC macht die Entwaldung rund 20 Prozent derglobalen Treibhausgasemissionen aus, und es ist die Ent-waldung, die Indonesien inzwischen zum drittgrößten CO2-Emittenten der Welt macht. Ohne erhebliche Fortschrittebeim Waldschutz wird die Begrenzung der Erderwärmungauf unter 2 Grad deshalb kaum zu erreichen sein.

Sir Nicholas Stern hat vorgerechnet, dass Waldschutzauch eine besonders kostengünstige Form des Klima-schutzes ist. Auch deshalb steht die Reduzierung von Emis-sionen aus Entwaldung und Walddegradation spätestensseit der Konferenz von Bali ganz oben auf der Agenda desinternationalen Klimaschutzes.

Die in Bali beschlossenen ersten Schritte – wie Studien,Pilotprogramme, Capacity Building – haben wir in diesemHaus fraktionsübergreifend begrüßt. Einschneidende Er-folge sind aber bislang ausgeblieben. Trotz aller Bemühun-gen schreitet Waldzerstörung ungebremst voran. ObwohlBrasilien einiges für den Waldschutz getan hat, wurdenallein dort in den letzten drei Jahren 6 Millionen HektarWald vernichtet. Das ist knapp zweimal die Fläche vonNRW. Die Maßnahmen der waldreichen Staaten und derinternationalen Gemeinschaft zum Schutz der Wäldersind offenkundig unzureichend.

Deshalb ist es richtig und notwendig, über eine wirkungs-volle Stärkung des Systems des internationalen Wald-

Zu Protokoll gegebene Reden

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Bärbel Höhn

schutzes nachzudenken. Der Ansatz des vorliegendenFDP-Antrags geht dabei aber in die falsche Richtung. Sieschlagen vor, den Wald in den internationalen Handel mitTreibhausgaszertifikaten einzubeziehen. Dieser Ansatzhat einen Reiz: Er könnte privates Kapital für dringendbenötigte Investitionen in den Waldschutz gewinnen undso einen Finanzierungsmechanismus für den Waldschutzschaffen, der nicht von der wankelmütigen Großzügigkeitvon Finanzministern abhängig ist.

Das Problem ist: Diese privaten Investitionen werdennur getätigt werden, wenn es den Unternehmen in denIndustrieländern auf diesem Wege möglich wird, teureeigene Klimaschutzanstrengungen zu vermeiden. DieSchattenseite von mehr Waldprojekten am Amazonaswären dann mehr Kohlekraftwerke hier in Deutschland.Das aber wäre klimapolitisch kontraproduktiv.

Das IPCC hat es ganz klar gesagt: Für das Zwei-Grad-Ziel brauchen wir 25 bis 40 Prozent Emissions-reduktionen in den Industrieländern plus Emissionsmin-derungen in den Entwicklungsländern. Eine Anrechnungvon Waldschutzzertifikaten müsste also zusätzlich zu denEinsparungen in Europa erfolgen. Die europäischenZiele müssten entsprechend angehoben werden, deutlichüber 30 Prozent hinaus. Wer in Poznan war und dasGezerre um das europäische Klimapaket miterlebt hat,der weiß, wie schwer das durchzusetzen wäre.

Wenn es bei den bisherigen CO2-Zielen bleibt, würdedie Einbeziehung des Waldschutzes den Klimaschutz inEuropa zum Stillstand bringen. Wir würden die Probleme,die wir heute schon mit CDM haben, vervielfachen. Stattunsere klimaschädlichen Strukturen in Europa zu ändern,würde der Klimaschutz nach China, Indien oder Brasilienabgeschoben, und das mit unzureichenden Kontrollen undUmweltstandards. Auf diese Weise retten wir vielleichtden Regenwald, geben aber das grönländische Eisschildauf.

Die bessere Lösung ist deshalb ein internationalerWaldschutzfonds, wie wir Grüne ihn schon mehrfach vor-geschlagen haben. Auch ein solches Modell ist nicht ohneSchwierigkeiten, vor allem wenn es darum geht, dienotwendigen Mittel in einer Größenordnung von jährlich10 bis 15 Milliarden US-Dollar aufzubringen. Hier kannin der Tat eine Verknüpfung zum Emissionshandel Sinnmachen, nämlich die Reservierung eines festen Anteilsder Versteigerungserlöse aus dem Emissionshandel fürden Waldschutz. Darüber wird in Kopenhagen zu verhan-deln sein.

Eine Verknüpfung von Waldschutz und Emissionshandelin dem von der FDP intendierten Sinne, die auf einen klima-politischen Ablasshandel der Industriestaaten hinauslau-fen würde, lehnen wir Grüne hingegen ab.

Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7147,den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2088abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die

Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke undder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmender FDP-Fraktion angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zudem Antrag der Abgeordneten Hans-MichaelGoldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr.Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDP

Chancen am Weltmarkt durch marktwirt-schaftliche Weiterentwicklung der Gemeinsa-men Agrarpolitik und Subventionsabbau nut-zen

– Drucksachen 16/4185, 16/9800 –

Berichterstattung:Abgeordnete Marlene Mortler Manfred Zöllmer Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Ulrike Höfken

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden dieReden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um dieReden folgender Kolleginnen und Kollegen: Franz-JosefHolzenkamp für die Unionsfraktion, Manfred Zöllmerfür die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann für dieFDP-Fraktion, Dr. Kirsten Tackmann für die FraktionDie Linke und Ulrike Höfken für die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen.

Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Der FDP-Antrag kann ja schon auf eine längere Ver-

gangenheit blicken. Ende Januar 2007 eingebracht, de-battieren wir heute fast anderthalb Jahre später abschlie-ßend über ihn.

In der Zwischenzeit ist bekanntlich einiges im Bereichder Politik, auch der Agrarpolitik geschehen. Die Bundes-regierung hat ihre EU-Präsidentschaft sehr erfolgreichbeendet. Auch der Health Check, also die sogenannte Ge-sundheitsüberprüfung der europäischen Agrarpolitik,kann als abgeschlossen bezeichnet werden.

Den Antrag als obsolet zu bezeichnen, fände ich aberdoch unangemessen, weil ihm das im Rückblick nicht ge-recht würde. Nein, der FDP-Antrag ist in Teilen sogarsehr gut; denn er beschreibt, sozusagen vorausschauend,die gute Arbeit, die das Agrarministerium für die deut-sche Landwirtschaft geleistet hat und leistet.

Der Titel des Antrages bringt es genau auf den Punkt,was mit der Gesundheitsüberprüfung im vergangenemJahr geleistet worden ist: der Weg hin zu mehr Marktwirt-schaft in der Landwirtschaft wurde bestätigt. Nur die Mit-tel wurden etwas angepasst. Dieser Weg wurde und wirdmit den europäischen Agrarreformen beginnend 1988über 1992 bis hin zu 2003 beschritten. Davon – da sindsich alle europäischen Mitgliedstaaten einig – wird und

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Franz-Josef Holzenkamp

kann auch nicht mehr abgewichen werden. Der Gesund-heitscheck markiert eine systematisch folgerichtige Wei-terentwicklung.

Allen sind die Ergebnisse der Gesundheitsüberprü-fung vom vergangenen Jahr bekannt. Ich brauche daraufjetzt nicht näher einzugehen. Nur so viel: Dem Bundes-ministerium, namentlich Frau Ministerin Aigner, ist es zuverdanken, dass im Ergebnis eine gute Balance zwischenWeiterentwicklung der Marktöffnung und notwendigerUnterstützung der Landwirtschaft gelungen ist. Die ur-sprünglichen Vorschläge der Kommission sahen nochganz anders aus.

Warum erwähne ich das? Die deutsche Landwirtschaftsteht vor großen Herausforderungen, die sich unter dreiStichpunkten kurz zusammenfassen lassen: Welternäh-rung, Energie und Schutz natürlicher Ressourcen. Sozu-sagen unter einen Hut gebracht werden müssen einerseitsder stark steigende Bedarf an Nahrungsmitteln für die ex-plodierende Weltbevölkerung und das Ziel, immer mehrklassische Energieträger durch nachwachsende Roh-stoffe zu substituieren, mit der Verpflichtung, dies beigleichzeitig nachhaltiger Ressourcenschonung zu errei-chen.

Fakt ist, der Bedarf an Nahrungsmitteln und Agrar-rohstoffen wird in den kommenden Jahren weiter steigen.Die hohen Agrarpreise der vergangenen Jahre stehenbeispielhaft dafür. Mittelfristig steigenden Agrarpreisensteht aber auch eine deutliche Preisvolatilität gegenüber.Die derzeit fallenden Preise im Agrarsektor zeigen dies:Sie sind unter anderem der aktuellen Finanz- und Wirt-schaftskrise geschuldet und verdeutlichen, wie eng dieAgrarwirtschaft mit den übrigen Wirtschaftssektorenweltweit verknüpft ist. Ein Übriges zu den Preisschwan-kungen nach oben oder unten tut das Klima.

Diese Gemengelage birgt große Chancen für unsereLandwirtschaft, aber auch Risiken, für die sie sich ausrei-chend wappnen muss. Vor diesem Hintergrund muss auchder Reformweg der europäischen Agrarpolitik gesehenwerden. Der Weg der Liberalisierung, also einer allmäh-lichen Marktöffnung, ist richtig, muss aber mit Augenmaßgegangen werden.

Einer unserer Leitgedanken muss sein: Chancen gibtes nur, wenn auf Augenhöhe konkurriert wird – welt- wieeuropaweit. Das heißt, was nützt uns die hohe Nachfragenach Agrarprodukten, wenn unsere Landwirte aufgrundhöherer Naturschutz-, Tierschutz- und Qualitätsstan-dards preislich nicht mit brasilianischen oder US-ameri-kanischen Landwirten konkurrieren können? Nichts! Wirwürden über kurz oder lang unsere landwirtschaftlichenArbeitsplätze in diese Länder exportieren.

Es geht also nicht anders: Wir brauchen weltweite,über die WTO verankerte Produktionsstandards. Ich binmir sehr wohl bewusst, dass dies eine kühne Forderungist. Viele wichtige Konkurrenten der europäischen unddeutschen Landwirtschaft dürften sich mit Händen undFüßen dagegen sträuben.

Genau deshalb wird es mit der Union in naher Zukunftkeine übermäßige Absenkung der Direktzahlungen ge-ben. Landwirte als Subventionsempfänger zu diffamieren,

ist ja ein beliebtes Spiel. Ich kann denjenigen, die das im-mer wieder versuchen, nur ins Stammbuch schreiben: Siewürden sich schön wundern! Streichen wir die Direktzah-lungen, die ja nichts anderes als eine Entschädigung un-serer Landwirte für hohe Produktionsstandards sind – siesind übrigens die höchsten in der Welt –, würden wir se-henden Auges unsere Landwirtschaft nachhaltig schädi-gen.

In der Frage der Wettbewerbsgleichheit müssen wiraber gar nicht so weit in die Welt schauen; denn die Un-gleichheit liegt doch so nah. Beispiel: die Agrardiesel-steuersätze in Europa. Leider sind die deutschen Land-wirte mal wieder Spitze: Sie zahlen europaweit diehöchsten Steuern auf Agrardiesel. Seit 1998 hat sich dieAgrardieselsteuer vervierfacht. Das führt zu einem Wett-bewerbsnachteil von etwa 40 bis 50 Euro pro Hektar.Auch hier wäre eine europäische Angleichung notwendig.

Die für die hohen Steuern verantwortliche rot-grüneVorgängerregierung hat das ja versucht – vergeblich. Mitdem Versuch zu brüsten brauchen Sie sich allerdingsnicht; denn der musste scheitern. Welches EU-Mitglieds-land wollte schon die Agrardieselsteuern auf das wettbe-werbsschädliche deutsche Niveau anheben. Die einheitli-chen europäischen Sätze sind also ferne Zukunftsmusik.

Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktionschon seit langem eine Absenkung der deutschen Steuernfür Agrardiesel. Unser Koalitionspartner sagt aber kate-gorisch nein. Das wundert mich nicht. Herr Kelber hat jaerst kürzlich in seinem Newsletter geschrieben, wie vielVerständnis er für die Nöte heimischer Landwirte hat,nämlich keines.

Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen anderenPunkt eingehen, der mir wichtig erscheint, wenn wir überdie Frage des Nutzens von Chancen sprechen. Tue Gutesund rede darüber ist ein bekannter PR-Grundsatz. Über-tragen auf unsere Landwirtschaft heißt das: ProduziereGutes und rede darüber. Ich meine die Exportförderung.

Die Exportförderung ist ein ganz wesentlicher Eck-pfeiler, damit die deutsche Agrarwirtschaft sich nicht nurin Europa, sondern auch und vor allem im europäischenAusland behaupten kann. Das Verfassungsgerichtsurteilzur CMA und ZMP ist vor diesem Hintergrund nur zu be-dauern. Die wichtigsten europäischen Konkurrenten ha-ben schlagkräftige Agrar-Marketingagenturen. Deutsch-land steht hier zurzeit im Regen.

Nicht hoch genug sind daher die Exportaktivitäten desBundesministeriums zu begrüßen. Die Einrichtung derStabsstelle Export und deren kontinuierliche Weiterent-wicklung – auch im Hinblick auf die finanzielle Ausstat-tung – sind elementar. Allerdings ist nun auch die deut-sche Wirtschaft gefordert, ihren Teil zu einer kohärentenExportförderung für deutsche Agrarprodukte beizutra-gen. Sonst steht sie in wenigen Jahren nicht im Regen,sondern auf dem Trockenen.

Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf dieFrage des Risikos bzw. der Sicherheit zu sprechen kom-men. Ich sprach eingangs von der zunehmenden Volatili-tät der Agrarmärkte. Eine deutliche Marktöffnung hatnatürlich auch zur Folge, dass frühere Marktsicherungs-

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Franz-Josef Holzenkamp

maßnahmen der EU abgebaut werden. Die Landwirtewerden künftig noch stärker die Volatilität der Märkte zuspüren bekommen. Deshalb muss für die europäischeLandwirtschaft zumindest ein unteres Auffangnetz überinterne Stützungsmaßnahmen und einen gewissen Außen-schutz bestehen bleiben.

Je weniger Schutz die EU ihren Landwirten gewährt,desto stärker rückt auch private Vorsorge gegenüberMarktrisiken, wie zum Beispiel Ernte- oder Tierversiche-rungen, in den Fokus. Die in der Gesundheitsüberprü-fung beschlossenen, für die Mitgliedstaaten freiwilligenVersicherungsmodelle wurden vom Agrarministerium zuRecht abgelehnt. Denn dies hätte eine Kürzung der Di-rektzahlungen und damit den Entzug von Investivkapitalaus der Landwirtschaft zur Folge gehabt.

Vielmehr sollte hier eine nationale Lösung über eineRisikoausgleichsrücklage angestrebt werden. Ich halteein Modell für zukunftsfest, in dem Landwirte eigenver-antwortlich als Ausgleich für kommende risikobedingteErtragsschwankungen in guten Jahren eine steuermin-dernde Rücklage bilden dürfen – vergleichbar dem Forst-schäden-Ausgleichsgesetz. Dadurch können zum BeispielErtragsschwankungen oder Unwetterschäden austariertwerden. Hier muss sich das Finanzministerium noch be-wegen.

Unsere Landwirtschaft steht vor großen Herausforde-rungen. Die Märkte – daran gibt es keinen Zweifel – wer-den sich immer stärker öffnen. Das birgt Chancen wieRisiken. Uns muss daran gelegen sein, mit flankierenden,unterstützenden Maßnahmen unsere Landwirtschaft da-für weiter fit zu machen. Hierbei – das möchte ich beto-nen – helfen uns keine Luftschlösser und Utopien.

Nur wenn es uns gelingt, die richtigen Rahmenbedin-gungen zu setzen, wird die deutsche Agrarwirtschaft aufden Märkten der Zukunft weiterhin eine gewichtige Rollespielen können.

Manfred Zöllmer (SPD): Die Agrarpolitik war immer ein zentraler Bereich

europäischer Politik. Dies begann bereits mit den Römi-schen Verträgen von 1957. Darin wurde der Grundsteinfür eine europäische Agrarpolitik – GAP – gelegt. DieserBereich der Politik wird seitdem zentral durch die EU be-stimmt. In der Nachkriegszeit galt die Herstellung vonErnährungssicherheit in Europa zunächst als ein zentra-les Ziel der Agrarpolitik. Daneben war es Absicht, dieProduktivität der Landwirtschaft zu steigern, für ein an-gemessenes Einkommen der in der Landwirtschaft Be-schäftigten zu sorgen und die Versorgung der Verbrau-cherinnen und Verbraucher mit Lebensmitteln zuangemessenen Preisen zu sichern.

Der europäische Agrarmarkt war in den ersten Jahr-zehnten deutlich vom Weltmarkt abgeschottet. Der Schutzvor billigen Agrarimporten stand ganz oben auf derAgenda. Für bestimmte Agrarprodukte gab es Garantie-preise, zu denen die Landwirte ihre Produkte abliefernkonnten. Die europäische Agrarpolitik war bei der Errei-chung ihrer Ziele extrem erfolgreich. Die eingeführten

Preis- und Abnahmegarantien führten zu einem Wechselvon der Mangel- zur Überschusswirtschaft.

Eine landwirtschaftliche Arbeitskraft ist heute inzwi-schen neunmal so produktiv wie 1950, die durchschnittli-chen Erträge haben sich seitdem verdoppelt. 1959 wur-den in Deutschland 26 Kilogramm mineralischerStickstoff pro Hektar und Jahr ausgebracht, heute sind esüber 110 Kilogramm. Dies veranschaulicht die enormeProduktivitätssteigerung, die in der Landwirtschaft statt-gefunden hat. Diese Produktionsdynamik führte zu einemwachsenden Strukturwandel. Viele kleine Höfe ver-schwanden vom Markt.

In den 70er-Jahren entwickelte sich zunehmend dieÜberschussproduktion in der europäischen Landwirt-schaft. Neben der Einlagerung von Überschussproduktenwurden mithilfe von Exporterstattungen die Agrar-überschüsse auf dem Weltmarkt verkauft. AusländischeProdukte wurden durch Zölle vom europäischen Marktferngehalten. Daneben wurden Überschussprodukte vomMarkt genommen, oft vernichtet und mit Quotensystemen– zum Beispiel Milchquoten – wurde versucht, die Produk-tion zu verringern. Mit weiteren Marktentlastungspro-grammen, wie zum Beispiel Flächenstillegungsprogram-men, wurde ferner versucht, die Überschussproduktion vonlandwirtschaftlichen Produkten einzudämmen.

Die Kritik an den Fehlentwicklungen der EU-Agrar-politik spitzte sich weiter zu. Die drastische Zuspitzungder Probleme führte in den 90er-Jahren zu einem Um-steuern in der EU-Agrarpolitik. „Der Status quo lässtsich weder verteidigen noch aufrechterhalten. Und ob-wohl die Mittel für den Agrarsektor zwischen 1990 und1991 um fast 30 Prozent aufgestockt wurden, müssen dieLandwirte in allen Mitgliedstaaten weitere Einbußen hin-nehmen. Wir haben mit unserer Politik nicht zu verhin-dern gewusst, dass die Landwirte in Scharen ihre Tätig-keit aufgeben“, formulierte der damalige EU-KommissarMcSharry. In der Konsequenz dieser Kritik wurden dieagrarpolitischen Instrumente verändert. Es wurde einSystem der „gekoppelten Preisausgleichzahlungen“ ein-geführt.

Im weiteren Verlauf kam es zu einer erneuten Re-formrunde mit dem Vorschlag zur Agenda 2000 durch denKommissar Fischler. Dies war der Auftakt zu einem Re-formmarathon, der eine wirkliche Neuausrichtung derGAP zur Folge hatte. Zielsetzung waren eine stärkereMarktorientierung der landwirtschaftlichen Produktionund die Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf den in-ternationalen Märkten durch Annäherung an die Welt-marktpreise sowie eine stärkere Orientierung an unter-nehmerischer Initiative der Landwirtschaft. Dies warauch deshalb notwendig, weil die internationale Diskus-sion um die Rolle der Landwirtschaft bei den Verhandlun-gen in der damaligen Uruguay-Runde zur Liberalisie-rung des internationalen Handels eine große Rollespielte. Die direkten Subventionen, die Exportsubventio-nen und die Abschottung der europäischen Agrarmärktegegenüber Drittländern standen im Mittelpunkt der Kri-tik.

Mit der Agrarreform von 2003 wurde ein umfassenderSchritt in Richtung auf Entkopplung der Direktzahlungen

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Manfred Zöllmer

von der Produktion gemacht. Damit wurde ein Großteilder handelsverzerrenden Subventionen beseitigt. Ein be-stimmter Teil der Direktzahlungen wurde für die Entwick-lung des ländlichen Raumes verwendet (Modulation).

Diese Darstellung der Entwicklung der GAP in der EUzeigt deutlich, dass die europäische Agrarpolitik aufeinem erfolgreichen Kurs der marktwirtschaftlichenNeuausrichtung ist. Die Einbindung der europäischenAgrarwirtschaft in den internationalen Handel ist weitfortgeschritten. Mit den Angeboten zur vollständigen Ab-schaffung der Exportsubventionen bis 2013 auf der WTO-Konferenz in Hongkong hat die EU deutlich gemacht,dass sie ihren Beitrag zu einem erfolgreichen Abschlussder laufenden Doha-Runde leisten will. Mit den Be-schlüssen zur Abschaffung der Milchquote bis 2015 ha-ben die EU-Agrarminister deutlich gemacht, dass sie inihrer Mehrheit den Weg der Marktorientierung weiterge-hen wollen.

Der vorliegende Antrag der FDP bringt keinen einzi-gen neuen Gedanken. Dies gilt für alle Forderungen. Erbleibt völlig unkonkret in seinen allgemeinen Appellen.Die FDP scheut sich zum Beispiel, für die laufenden Ver-handlungen in der WTO konkrete Vorschläge für weitereZugeständnisse in der Agrarpolitik zu machen. Auf ak-tuelle Problemlagen und die vielfältigen Herausforde-rungen der Agrarpolitik angesichts des Klimawandels,bedrohter Biodiversität und der weltweit steigenden Be-völkerung geht der Antrag nicht ein. Der vorliegende An-trag der FDP ist nicht nur flüssig – er ist vollständigüberflüssig.

Hans-Michael Goldmann (FDP): In mehr als den letzten 15 Jahren war die Gemeinsame

Agrarpolitik einem rasanten Wandel unterworfen. WTO-Handelsrunden, Reformen der GAP in den Jahren 1992,1999 (Agenda 2000) und im Juni 2003 führten zu einemagrarpolitischen „Reformmarathon“. Mit der vorerstletzten GAP-Reform in 2003 war ein Paradigmenwechselverbunden, der zu einer stärkeren Orientierung an denPrinzipien der sozialen Marktwirtschaft und der Nach-haltigkeit führte. Die Europäische Union hat mit diesemagrarpolitischen „Reformmarathon“ im Bereich derGAP ihren Teil für einen erfolgreichen Abschluss der lau-fenden Welthandelsrunde geschaffen.

Liberale Grundprinzipien für eine zukunftsweisendeeuropäische Landwirtschaft orientieren sich am Leitbilddes unternehmerischen, eigenverantwortlichen Land-wirts. Die Potenziale des kompletten Spektrums von mo-derner „Hightechlandwirtschaft“ bis zum ökologischenLandbau müssen genutzt werden. Unsere Landwirte ken-nen Standortfaktoren und Produktionstechnologien selbstam besten. Gesetzliche Regulierungen dürfen deshalbnicht die Land- und Forstwirtschaft belasten, sondernmüssen verhältnismäßig sein und sie im Wettbewerb stär-ken. Der moderne Landwirt muss in die Lage versetztwerden, die Chancen des Marktes zu nutzen, und darfnicht durch einen überbordenden Verwaltungsaufwanddaran gehindert werden. Nur dann werden sich effizientelandwirtschaftliche Produktionsverfahren, basierend aufeiner leistungsfähigen Agrarforschung, auf nationaler

und internationaler Ebene durchsetzen und helfen, diewachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Nicht zuletztdie am meisten von Hunger und Armut betroffenenSchwellen- und Entwicklungsländer könnten von einemsystematischen Wissenstransfer profitieren. Dazu sollteauch die verantwortbare Nutzung der Grünen Gentechnikgehören, da sie Umweltbelastungen vermindert, die Er-nährungssicherung und die Qualität von Nahrungs-mitteln verbessert sowie Pflanzen für die industrielleNutzung als nachwachsender Rohstoff optimieren kann.Deshalb ist das Ergebnis des Health-Checks auch doppeltunbefriedigend gewesen. Nicht nur hat die Bundesregie-rung ihr Versprechen gebrochen, an der Ersten Säuleunverändert festzuhalten, und der Erhöhung der Modu-lation zugestimmt, sondern es kam auch nicht zu den an-gekündigten Erleichterungen bei den Cross-Compliance-Regelungen.

Trotz der aktuellen Wirtschaftskrise, die mittlerweileauch die Landwirtschaft erreicht hat, ist festzuhalten,dass ein Abschluss der WTO-Welthandelsrunde imInteresse sowohl der heimischen Land- und Ernährungs-wirtschaft als auch der Entwicklungsländer ist. Die Le-bensmittelproduktion für den heimischen Verbrauch inDeutschland und der EU bleibt dabei aber weiterhin dievorrangige Aufgabe der Landwirtschaft.

Durch die weiter rasant wachsende Weltbevölkerungwird mittel- und langfristig die Nachfrage nach Getreide,Fleisch und Milch sowie Milchprodukten steigen. DieseEntwicklung wird durch eine steigende Flächennutzungzur Erzeugung nachwachsender Rohstoffe wie zum Bei-spiel zur Herstellung biogener Kraftstoffe verstärkt undbeschleunigt. Schließlich resultiert aus den klimatischenVeränderungen ein Verlust landwirtschaftlicher Fläche.

Zudem werden bereits heute weltweit auf mehr als120 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzenangebaut. Das ist mit umwelt-, agrar- und entwicklungs-politischen Vorteilen verbunden, von denen insbesondereder Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschlandprofitieren kann. Deshalb ist der augenblickliche populis-tische Kurs der Landwirtschaftsministerin unverantwort-lich. Statt diffuse Ängste zu schüren, sollte die Regierungdie Bevölkerung aufklären. Wir erwarten von einer ver-antwortungsvoll handelnden Bundesregierung, dass sieberechtige Interessen der innovativen und erfolgreichenLand- und Ernährungswirtschaftsbranche auf nationaler,europäischer und internationaler Ebene mit dem notwen-digen Nachdruck vertritt, damit diese Zukunftsbrancheihre vielfältigen Potenziale auch in Deutschland zur Si-cherung und Schaffung von Arbeitsplätzen ausschöpfenkann.

Als FDP sind wir aber davon überzeugt, dass wir einenGrundsockel in der Ersten Säule auch über 2013 erhaltenmüssen. Auch künftig wird es einen Ausgleich für die imVergleich zum Weltmaßstab höheren Belastungen durchstrengere Produktionsregeln geben müssen, wenn wirwollen, dass die europäischen Landwirte sich am Welt-markt durchsetzen und behaupten können. Eines aberdarf es nach 2013 definitiv nicht mehr geben: Exportsub-ventionen. Es ist nicht länger zu verantworten, dass durcheuropäische Exportsubventionen Märkte in der Dritten

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Hans-Michael Goldmann

Welt überschwemmt werden und die dortige Landwirt-schaft zerstört wird. Exportsubventionen sind ein Ana-chronismus und gehören schnellstmöglich abgeschafft.

Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Der Antrag der FDP ist längst überholt. Auch die Aus-

gangslage ist heute völlig anders als zur Antragstellung.Im Jahr 2007 stiegen die Erzeugerpreise. Selbst für dieMilch wurden zwischendurch ungewohnt hohe 45 Centpro Liter gezahlt. Heute sind wir wieder weit davon ent-fernt. Die kurzzeitige Preisblase für landwirtschaftlicheErzeugnisse ist sehr schnell geplatzt. Der durchschnittli-che Erzeugerpreis für Milch hat sich seitdem halbiert.Damit wird auch eines sehr deutlich: Nicht die erhöhteNachfrage aus Asien bei knappem Weltmarktangebot hatzum Preisschub geführt. Es waren vor allem die Spekula-tionsgeschäfte an landwirtschaftlichen Rohstoffmärkten.Das Finanzkapital flüchtete aus dem unsicher geworde-nen amerikanischen Immobilienmarkt in die Agrarroh-stoff- und Bodenmärkte. Eine virtuelle Nachfrage wurdeerzeugt. Ernten wurden gehandelt, für die noch nicht malgesät war.

Bei dieser zunächst eher nüchternen Situationsbe-schreibung dürfen wir eines nicht vergessen: Wir redenhier über den Einfluss von Spekulanten auf Nahrungs-mittelpreise. Das hat selbstverständlich eine völlig an-dere gesellschaftliche und humanitäre Dimension alsPreisschwankungen bei Industriegütern oder privatenDienstleistungen. Insofern braucht der Agrarmarkt einegesellschaftliche Kontrolle – noch nötiger als die Finanz-wirtschaft. Aber gerade dem deregulierten Agrarmarkt,der Ursache der beschriebenen Entwicklung ist, redet dieFDP mit ihrem Antrag weiter das Wort, obwohl er wederaus Landwirtschafts- noch aus Verbrauchersicht akzepta-bel ist. Die FDP fordert eine verstärkte marktwirtschaft-liche Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik – GAP –in Richtung Weltmarkt. Deutschlands und Europas Land-wirtschaft solle sich in erster Linie durch Agrarexporteentwickeln. Damit würden die gravierenden Einkommens-probleme im Agrarsektor gelöst, behaupten die Libera-len. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Orientierung amWeltmarkt führt in Deutschland zu sinkenden Erzeuger-preisen, bindet unnötig dringend benötigte Flächen undvergeudet natürliche Ressourcen.

Für die Linke ist klar: Spekulationsgesteuerte Märktesind keine Basis für eine umweltgerechte, regional veran-kerte Landwirtschaft mit sozialer Stabilisierungsfunk-tion. Entfesselte Marktwirtschaft denkt ausschließlich be-triebswirtschaftlich, nicht volkswirtschaftlich. Sie löstkeine ökologischen oder sozialen Probleme im Interesseder Gesellschaft. Sie löst keine Ungerechtigkeiten in derglobalen Ernährungs- und Einkommensverteilung. In ei-ner nach den aktuellen Regeln der WTO globalisiertenAgrarpolitik spielen Recht auf Nahrung, regionale Er-nährungssicherung und Einkommensziele in ländlichenRäumen keine Rolle. Kurzfristiger Profit ist wichtiger alsökologische und soziale Standards. Das ist die Welt, diesich die Liberalen wünschen. Aber das ist mit der Linkennicht zu machen! Wir wollen eine Agrarwirtschaft, die ih-rer gesellschaftlichen Rolle gerecht wird: mit sozialerund ökologischer Verantwortung die regionale Ernäh-

rungssouveränität und zunehmend auch Energieversor-gung abzusichern. Sie ist mehr als ein marktwirtschaft-lich auszurichtender Wirtschaftssektor. Sie ist in vielenländlichen Regionen eine tragende Säule des sozialenund wirtschaftlichen Lebens. Sie prägt Natur- und Kul-turlandschaften. In vielen Teilen der Welt ist sie die wich-tigste Einkommensquelle für die Menschen. Sie ist Basisregionaler Wertschöpfungsketten.

Die gemeinsame EU-Agrarpolitik – GAP – muss diesevielfältigen Funktionen der Agrarwirtschaft unterstützen.Eine auf Nachhaltigkeit orientierte europäische Agrar-politik muss zudem die Entwicklung einer Agrarwirt-schaft in Entwicklungs- und Schwellenländern fördernund darf sie nicht zerstören. In den WTO-Verhandlungenmüssen ökologische und soziale Aspekte endlich Eingangfinden. Den Antrag der FDP lehnen wir ab.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Hauptaussage des Antrags der FDP ist die Forderung

an die Bundesregierung, „einen definitiven Beschlusszum Ausstieg aus der Milchmengenregulierung spätes-tens bis zum 31. Januar 2015 zu verabschieden“. Solchvöllige Deregulierung ist nach Ansicht der FDP „dieChance auf dem Weltmarkt“. Die Folgen der neolibera-len Freibriefe für die Märkte sind allerdings aktuell amBeispiel der Finanzkrise schmerzhaft für Steuerzahlerund Betroffene zu spüren und haben zur schwersten Wirt-schaftskrise der letzten Jahrzehnte geführt.

Der Deutsche Bauernverband, die Bundesregierungund allen voran die Fraktionen der Koalition CDU, CSU,SPD haben sich mit eindeutigen Beschlüssen ins gleicheFahrwasser begeben und mit dem „Soft Landing“ dieMilchmengenerhöhung lange Zeit mitgetragen. Die „er-folgreiche“ FDP-Politik gab den Landwirten nicht „Pla-nungssicherheit und Verlässlichkeit“, stattdessen stehendie Milchbauern deutschlandweit vor dem Aus. Die Aus-sicht der Handelsketten auf intensives ungezügeltes Mas-senangebot und die wieder entstandenen Übermengendrücken die Preise für die Erzeuger auf 18 bis 25 Cent,deutlich unter die Gestehungskosten.

Selbst wenn die Front der Neoliberalen jetzt ange-sichts der Proteste auch in den Bundesländern bröckeltund Ministerin Aigner einen weiteren Eiertanz vollzieht,wird nicht endlich mit Mengenbegrenzung politisch ge-handelt, sondern es werden die Brüsseler Beschlüsse fürgottgegeben erklärt. Doch das war noch nie so. Mit derletzten Agrarreform wurden tatsächlich endlich einigegute Gegenstrategien zu Fehlentwicklungen wie Über-schusserzeugung, Marktverzerrung, Lebensmittelskan-dalen und ökologischen Folgeschäden entwickelt. Dochdie Probleme im Milchmarkt haben die Luxemburger Be-schlüsse offen gelassen. Die getroffenen Beschlüsse zumMilchmarkt beinhalten konkret: eine zeitliche Verlänge-rung der Milchquotenregelung bis 2015, eine zeitlicheVerschiebung der bereits mit der Agenda 2000 beschlos-senen Quotenaufstockung von 3 mal 0,5 Prozent um einJahr, das heißt einen Start erst in 2006; der Vorschlag derKommission, die Milchquote in 2007/2008 zu erhöhen,wurde nicht verabschiedet.

Zu Protokoll gegebene Reden

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Ulrike Höfken (Bündnis 90/Die Grünen)

Die Luxemburger Beschlüsse zur Milchquote wurdenumgesetzt in der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003. Dasteht zur Milchquote: „Ab dem 1. April 2004 wird für elfaufeinander folgende Zeiträume von zwölf Monaten(nachstehend ‚Zwölfmonatszeiträume‘ genannt) begin-nend mit dem 1. April auf die im jeweiligen Zwölfmonats-zeitraum vermarkteten Mengen von Kuhmilch oder ande-ren Milcherzeugnissen, die die in Anhang I festgesetzteneinzelstaatlichen Referenzmengen überschreiten, eineAbgabe erhoben …“

Ich darf die damalige LandwirtschaftsministerinRenate Künast aus der Bundestagsrede zu den Luxembur-ger Beschlüssen zitieren: „Das Ergebnis der längerenBeratung an der Stelle war: Erstens. Die Quotenregelungwird bis 2015 verlängert. Sie alle wissen, dass noch imJanuar/Februar die Mehrheit des Agrarrates gegen dieseVerlängerung war. Herr Deß, wenn Sie merken, dass imJuni etwas herauskommt, wovon Sie im Januar nicht zuträumen wagten, könnten Sie ruhig ein freundliches Ge-sicht machen. Zweitens. Die von der Kommission vorge-schlagene Milchquotenerhöhung ab 2007/08, die denDruck auf den Markt noch mehr erhöht hätte, ist erst ein-mal vom Tisch. Drittens. Wir haben durchgesetzt – Sie ha-ben sich noch nicht einmal getraut, das zu fordern –, dassdie bereits in der Agenda 2000 beschlossenen Regelun-gen zur Milchquotenerhöhung erst einmal verschobenwerden.“ Es geht also doch, mit Durchsetzungskraft undRealitätsnähe.

In den Luxemburger Beschlüssen steht nichts drin, wiees nach diesen elf Zeiträumen von zwölf Monaten weiter-gehen soll. Tatsache ist lediglich, dass die Kommissionals Einzige ein Vorschlagsrecht zur Änderung der Verord-nung hat und sich bisher weigert, hier neue Vorschläge zumachen. Da sollten die Europawahlen doch weiterhelfenund den vernünftigen Vorschlägen einer Mengenregulie-rung nach Angebot und Nachfrage zur Durchsetzung ver-helfen, wie der Bund der Milchviehhalter sie in die Dis-kussion bringt.

Klar ist jedenfalls: Steuerzahler-Gelder für Export-subventionen zulasten der Entwicklungsländer, Aus-gleichsfonds oder die immer wiederkehrenden Agrar-diesel-Forderungen können und dürfen die Weltmarkt-Illusionen der Bundesregierung, der FDP und des Bau-ernverbandes sowie die Interessen des Handels und derVerarbeiter nicht finanzieren.

Die Reform der GAP muss für 2013 weiterentwickeltund den neuen Herausforderungen wie der Entwicklungder ländlichen Räume und Arbeitsplätze, dem Klima-schutz, der stärkeren Nachfrage nach gesunden Produk-ten und Biolebensmitteln, nach Bioenergie und der welt-weiten Nachfrage nach Lebensmitteln muss nachhaltigRechnung getragen werden. Immer mehr Masse, immermehr Chemie und Gentechnik, wie es die FDP will: Dasschafft nicht Wertschöpfung, sondern Wertvernichtungund Armut.

Vizepräsidentin Petra Pau: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-

nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehltin seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9800,den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4185abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DieBeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke undder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmender FDP-Fraktion angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Mittwoch, den 13. Mai 2009, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen er-folgreiche Tage.

(Schluss: 20.07 Uhr)

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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24149

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Anlagen zum Stenografischen Bericht

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

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Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

07.05.2009

Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

07.05.2009

Becker, Dirk SPD 07.05.2009

Bodewig, Kurt SPD 07.05.2009

Brüderle, Rainer FDP 07.05.2009

Dörflinger, Thomas CDU/CSU 07.05.2009

Ernstberger, Petra SPD 07.05.2009

Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 07.05.2009

Fograscher, Gabriele SPD 07.05.2009

Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 07.05.2009

Dr. Geisen, Edmund Peter

FDP 07.05.2009

Gleicke, Iris SPD 07.05.2009

Griefahn, Monika SPD 07.05.2009

Hänsel, Heike DIE LINKE 07.05.2009

Hoffmann (Wismar), Iris

SPD 07.05.2009

Homburger, Birgit FDP 07.05.2009

Humme, Christel SPD 07.05.2009

Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 07.05.2009

Knoche, Monika DIE LINKE 07.05.2009

Lehn, Waltraud SPD 07.05.2009

Mattheis, Hilde SPD 07.05.2009

Müller (Düsseldorf), Michael

SPD 07.05.2009

Nešković, Wolfgang DIE LINKE 07.05.2009

Röring, Johannes CDU/CSU 07.05.2009

Sager, Krista BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

07.05.2009

Dr. Scheer, Hermann SPD 07.05.2009

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung der NATO

Anlage 2

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust,Jochen-Konrad Fromme und Hans Peter Thul(alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent-wurf eines Gesetzes zur Beschleunigung desAusbaus der Höchstspannungsnetze (Tagesord-nungspunkt 16 a)

Ich stimme dem oben genannten Gesetz zu, obwohlich in der Frage der teilweisen Erdverkabelung inhaltli-che Bedenken habe.

Der Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Ausbausder Höchstspannungsnetze ermöglicht den Einsatz vonErdkabeln auf der Höchstspannungsebene im Übertra-gungsnetz als Pilotvorhaben auf vier verschiedenen Lei-tungen/Abschnitten.

Obwohl auch von den Erfahrungen bei der Umset-zung der vier Pilotvorhaben wichtige Erfahrungen überVerlässlichkeit und Kosten der Erdverkabelung zu er-warten sind, bleiben Rückschlüsse auf einen möglichenflächendeckenden Einsatz von Erdkabeln schwierig, dadie Erdverkabelung auf den vorgesehenen Strecken nurteilweise angewendet wird.

Es wäre deshalb wünschenswert, wenn beim Ausbauder Höchstspannungsnetze bei einem einzelnen Pilotpro-jekt komplett auf den Einsatz von Erdkabeln gesetztwerden könnte. Auf diesem Weg könnte auch die zu-kunftsweisende HGÜ-Technik effektiv erprobt werden.

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg)und Dr. Thea Dückert (beide BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN) zur Beschlussfassung über den An-trag: Schutz des Klosters Mor Gabriel sicher-stellen (Zusatztagesordnungspunkt 5 c)

Schily, Otto SPD 07.05.2009

Dr. Stinner, Rainer FDP 07.05.2009*

Strothmann, Lena CDU/CSU 07.05.2009

Thiele, Carl-Ludwig FDP 07.05.2009

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

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Heute liegen dem Bundestag drei in Titel, Text undSache eng beieinanderliegende Anträge zum KlosterMor Gabriel in der Türkei vor, der Antrag Druck-sache 16/12867 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:„Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen“, dergleichnamige Antrag Drucksache 16/12866 der Fraktio-nen der Großen Koalition, unterstützt von der FDP, so-wie der Antrag „Dauerhaften Schutz des Klosters MorGabriel sicherstellen“ Drucksache 16/12484 der Frak-tion Die Linke. Es geht in diesen Anträgen um die Be-wahrung und Akzeptanz der Vielfalt in der Türkei, umden Schutz von Minderheiten und ihren Besitz.

Eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen, diedem Kloster Mor Gabriel gegenwärtig drohen, würdesich negativ auf die Kultur der Minderheit der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei auswirken. Der türki-sche Staat und die türkische Justiz sind aufgefordert,gegenüber dem Kloster Mor Gabriel Fairness und Ge-rechtigkeit walten zu lassen. Glücklicherweise gibt es in-zwischen Signale von höchster politischer Ebene in derTürkei, in der Auseinandersetzung vermitteln zu wollen.Wir hoffen, dass sich die Chancen für eine außergericht-liche Lösung damit verbessern. Es wäre gut, wenn derKonflikt schnell beigelegt und der Druck vom Klostergenommen würde.

Bei einer Türkeireise hatten Abgeordnete des Bun-destagsausschusses für Kultur und Medien sich nähermit der Situation des Klosters befasst. Die an der Reiseteilnehmenden Abgeordneten Monika Griefahn,Dr. Lukrezia Jochimsen und ich haben uns bereits in derTürkei öffentlich für Mor Gabriel stark gemacht. Eineweitere gemeinsame Behandlung des Themas im Bun-destag wurde vereinbart.

Die Union hat sich an der wichtigen Sacharbeit zudiesem Thema zunächst nicht beteiligt. Im Weiterenstellte sie dann aber wohl fest, dass auch sie die Interes-sen des christlichen Klosters in der Türkei mit vertretensollte. Dem ursprünglichen Desinteresse folgte der Ka-perungsversuch. Ein Antragsentwurf, der die gemein-same Position aller Bundestagsfraktionen widerspie-gelte, wurde kurzerhand zu einem Antrag der GroßenKoalition erklärt, ohne dass die Bereitschaft vorlag, die-sen Antrag durch alle Fraktionen gemeinsam einbringenzu lassen. Die SPD war offensichtlich nicht in der Lage,sich hier gegen die Union durchzusetzen und für die Ein-haltung guter parlamentarischen Gepflogenheiten zu sor-gen.

Dem Kaperungsversuch folgte der Entschluss derGroßen Koalition, den Antrag auf dem überhasteten Wegeiner Sofortabstimmung ohne Aussprache einzubringen.Offensichtlich wollte man sich nun schnell und lautlosdes peinlichen Vorgangs entledigen. Das ist aber kein an-gemessener Umgang in der Sache. Mor Gabriel darf keinparteipolitischer Spielball der Union und der GroßenKoalition sein.

Unter den gegebenen Voraussetzungen haben wir alsFraktion Bündnis 90/Die Grünen uns entschlossen, denursprünglich gemeinsam ausgearbeiteten Antrag selbst-ständig einzubringen. Mit diesem Vorgehen wollen wirzeigen, dass Mor Gabriel eine ernsthafte Erörterung im

Bundestag verdient und nicht parteipolitische Verschie-bemasse sein darf. Daraus ergibt sich unser Abstimm-verhalten zu diesem Tagesordnungspunkt.

Anlage 4

Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts: Schutz der Bienenvölker sicherstellen(Tagesordnungspunkt 28)

Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Wenn dieser Punktauch als einer der letzten Tagesordnungspunkte aufgeru-fen wird, so ändert dies nichts an der Bedeutung derThematik!

Sehr geehrte Frau Happach-Kasan, ich freue michganz besonders, dass Sie zum Ende dieser Legislatur-periode Ihr Herz für die Bienen entdeckt haben. Ichfrage mich nur die ganze Zeit, ob das vielleicht an derFarbgebung der Bienen liegt. Die ist ja bekanntlichschwarz-gelb! Der Umgang der possierlichen Tierchenist für den gemeinen Bürger nicht ganz ungefährlich, daihre Reaktionen häufig nicht vorauszusehen sind.Parallelen zu Ihrer Arbeit sind nicht ganz von der Handzu weisen.

Bienen sind sicherlich keine Haustiere, wie in IhremAntrag beschrieben, sondern entsprechend ihrer ökono-mischen Bedeutung das drittwichtigste landwirtschaftli-che Nutztier. Ihr landwirtschaftlicher Produktionswertmacht durchaus mehrere Milliarden Euro aus, das solltenwir in dieser Debatte nicht vergessen.

Ich darf mich zuerst für die hervorragende Arbeit al-ler Beteiligten innerhalb des Deutschen Bienenmonito-rings bedanken. Ganz besonders möchte ich HerrnDr. Rosenkranz danken, der die Interessen der beteilig-ten Imkerverbände, der deutschen Bieneninstitute, derIndustrie und der landwirtschaftlichen Berufsverbändeim Rahmen dieses Verbundprojektes so erfolgreich koor-diniert hat, dass die Ergebnisse des Bienenmonitoringsnun auch über die Landesgrenzen hinaus europaweit Be-achtung finden. Sie liefern uns einen fundierten Über-blick über den Status quo der deutschen Bienenpopula-tionen. Die SPD hat dies zum Anlass genommen, dieProjektergebnisse mit Praktikern, Vertretern aus Verbän-den, der Beratung sowie der Forschung zu erörtern.Dazu haben wir vor zwei Wochen ein sehr intensivesFachgespräch in Berlin geführt.

Mir hat das Fachgespräch erneut verdeutlicht, dasswir, wenn wir den Interessen der Bienen und der Imkernicht ausreichend Rechnung tragen, langfristig eine in-takte Umwelt und einen Großteil der landwirtschaftli-chen Produktion gefährden. Die SPD nimmt die Belangeund Sorgen der Imker und Bienenzüchter ernst und willihre Interessen in der Politik für die Entwicklung derländlichen Räume stärker berücksichtigten.

Damit man weiß, wo in der Praxis der Schuh drückt,muss man aber auch den Dialog mit den Betroffenen ak-tiv suchen und vorantreiben. Das hat die SPD getan. Und

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ich sage Ihnen: Von radikalen Stimmungen oder gar of-fenen Vorbehalten in der Imkerschaft gegenüber unsererpolitischen Arbeit habe ich nichts gespürt! Ganz im Ge-genteil: Aufgeschlossen, offen und intensiv, manchmalauch sehr kontrovers haben wir einen Tag lang über dieverschiedenen Aspekte und Herausforderungen der Im-kerei und Bienenzucht gesprochen. Meinen Kollegenvon der Union rate ich dringend, sich diesem erforderli-chen und für beide Seiten sehr lehrreichen Dialog nichtweiter zu verschließen. Ich hoffe, dass auch Sie zukünf-tig ein offeneres Ohr haben – auch wenn bisher wenigeImker unter den Schirm des Deutschen Bauernverbandsgeschlüpft sind.

Klar geworden ist: Wir benötigen mehr praxisorien-tierte Forschung! Die bisherigen Forschungsschwer-punkte sind auszubauen. Dabei sind die Herausforderun-gen für die Imkerschaft aber weitaus vielfältiger, als unsdie Kolleginnen und Kollegen der FDP in ihrem Antragglauben machen wollen.

Wir haben eine Vielzahl an Fragestellungen, die diemoderne Landwirtschaft betreffen. Die Bienenforschungkann und sollte uns beispielsweise Fragen nach den Aus-wirkungen pflanzlicher Neuzüchtungen auf Bienen be-antworten. Auch die Fragen nach den Möglichkeiten desGVO-Einsatzes und ihrer Auswirkungen sollten wir da-bei nicht ausklammern und unter Berücksichtigung derwissenschaftlichen Erkenntnisse offen diskutieren. Wirmüssen ja auch feststellen, dass gerade ökologische Fra-gestellungen für die an der Imkerei Interessierten undNeuimker besonders wichtig sind. Der Anbau von GVOhat bei den Imkern zu erheblichen Unsicherheiten ge-führt. Hier ist es meine feste Überzeugung, dass wir auchdurch die Definition der Guten Fachlichen Praxis beimAnbau von GVO auf die berechtigten Fragen und Sorgender Imker eine Antwort geben müssen.

Mich als Tierarzt haben Fragen rund um Bienen-krankheiten auch in meiner langjährigen Praxistätigkeitbegleitet. Für mich ist eine breitere und intensivere Ursa-chenforschung bei Bienenkrankheiten das Gebot derStunde. Forschung darf sich nicht nur auf die Varroose-Problematik beschränken. Zwar stehen die Varroose-Bekämpfung auf biologischer Basis und die Erforschungder Zusammenhänge zwischen Varroose und viralenSekundärinfektionen am Anfang und müssen selbstver-ständlich ausgebaut werden. Aber dabei dürfen wir dieanderen Problembereiche nicht vernachlässigen. Ge-nannt sei in diesem Zusammenhang die Suche nach Al-ternativen zu den bisherigen Bekämpfungsmethoden desFeuerbrandes in Obstplantagen. Das durch den WirkstoffClothianidin ausgelöste Bienensterben entlang derRheinschiene hat gezeigt, dass wir auch die Folgewir-kungen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in derRisikobewertung stärker berücksichtigen sollten. Fehlerbei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln dürfennicht auf Kosten der Imkerei gehen. Im Zweifelsfall hatdas Vorsorgeprinzip zu gelten. Hier setzt sich die SPDfür mehr Aufmerksamkeit sowohl in der Zulassung alsauch bei der Kontrolle durch die Länder ein.

Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir in vielenPunkten noch viel zu wenig über die Auswirkungen ver-

schiedener Umwelteinflüsse auf die Gesundheit und dieVitalität der Bienen wissen. Bienen sind auch ein Indika-tor für den Zustand unserer Umwelt! Wenn wir vielfäl-tige und blühende Ackerkulturen zunehmend durchMaismonokulturen ersetzen, dürfen wir uns nicht wun-dern, dass nicht nur die Imker und ihre BienenvölkerProbleme bekommen. Hier könnte eine breiter aufge-stellte Bienenforschung beispielsweise wichtige Impulsefür die Entwicklung umweltverträglicher Biogaskon-zepte geben. Der Deutsche Imkerbund hat ein ausführli-ches Positionspapier zur zukünftigen Ausrichtung derForschung vorgelegt. Dieses bildet eine sehr gute Basis,um die Diskussion voranzutreiben.

Aber, und das muss an dieser Stelle betont werden,ein intelligenter Mitteleinsatz und verstärkte Kooperatio-nen sind erforderlich. Zukünftig werden wir nur durcheine stärkere Zusammenarbeit innerhalb der gesamtenForschungskette gewährleisten, dass eine praxisorien-tierte Forschung erfolgen kann. Die SPD bekennt sichausdrücklich zur Verantwortung des Bundes. Daher un-terstützen wir auch die Finanzierung von Forschungs-projekten aus Mitteln des Bundesministeriums fürErnährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Umden Praxisbezug sicherzustellen, sollten die Vertreter derImker in jedem Fall frühzeitig in die Entwicklung desForschungsdesigns einbezogen werden. Praktiker solltendann als gleichberechtigte Partner in alle Phasen der For-schungsprojekte einbezogen werden. Ein Gradmesserfür erfolgreiche Projektarbeit muss auch das Maß des Er-gebnistransfers in die Praxis sein, denn nur auf diesemWeg lässt sich die Arbeit der Forschungsinstitute dauer-haft legitimieren.

Liebe Kollegin Happach-Kasan, Sie erwähnen in Ih-rem Antrag zu Recht die Problematik des Maiswurzel-bohrers. Bezüglich seiner Ausbreitung und Bekämpfungin Deutschland möchte ich Folgendes anmerken: Die zu-ständigen Landesbehörden haben bereits sehr drastischeMaßnahmen ergriffen, wie Sie sicherlich wissen. Geradedie Auflagen bezüglich der Einhaltung einer ordnungs-gemäßen Fruchtfolge stoßen aber bei einigen Landwir-ten auf erhebliche Vorbehalte, wenn nicht gar auf Wider-stand. Das verstehe ich nicht. Es wird seitens desBerufsstandes immer wieder darauf verwiesen, dass dieGute Fachliche Praxis von den Landwirten praktiziertwird. Aber stark eingeengte Fruchtfolgen bergen be-kanntlich ackerbauliche Gefahren. Diese zu beachten,gehört auch zu den Grundsätzen einer langfristigen undnachhaltigen Betriebsführung. Es kann nicht sein, dassdie Ordnungsbehörden in Bayern und Baden-Württem-berg diese einzelbetrieblichen Fehlentwicklungen aufdem Verwaltungswege beheben müssen und sich gleich-zeitig anhören müssen, wie stark sie in die unternehmeri-sche Entscheidungsfreiheit des einzelnen Landwirts ein-greifen. Hier setze ich in Zukunft auf mehr Vernunft undBeachtung der ackerbaulichen Erfahrungen.

In diesem Zusammenhang muss ich neben einem Ta-del natürlich auch ein Lob einfließen lassen. In vielenRegionen Deutschlands gibt es hervorragende Koopera-tionen zwischen Imkern und Landwirtschafts- bzw.Obstbaubetrieben. Diese zum Teil langjährige Zusam-menarbeit bildet eine solide Grundlage, um die zukünfti-

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gen Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Daherunterstützt die SPD den Ausbau regionaler Kooperatio-nen in diesem Bereich.

Ein Hauptaugenmerk müssen wir selbstverständlichauf die Aus- und Weiterbildung der Hobby- und Berufs-imker legen. Das können wir nicht einfach lapidar in ei-nem Halbsatz abhandeln, wie es die FDP in ihrem An-trag getan hat. Gerade die gesetzlichen Vorgaben fürsichere Lebensmittel haben die Anforderungen an dieHoniggewinnung in den letzten Jahren erheblich gestei-gert. Als Lebensmittelproduzenten müssen sich Hobby-und Berufsimker stetig weiterqualifizieren und sind aufentsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote ange-wiesen.

Die SPD unterstützt eine stärkere Verzahnung dervorhandenen Strukturen der Bienenzuchtberatung, derImkerberatung und -schulung sowie der Weiterbildung.Dazu ist aber auch erforderlich, dass die Bundesländerihren personellen wie finanziellen Verpflichtungen ge-genüber diesem wichtigen landwirtschaftlichen Produk-tionszweig stärker als bisher nachkommen.

Was die Berufsqualifikation angeht – hier sind sicher-lich noch einige Veränderungen wünschenswert. Bishergibt es für Imker keine eigenständige Berufsausbildung.Ihre Ausbildung ist in die des Tierwirts integriert. Dashalte ich angesichts der vielfältigen Anforderungen fürnicht mehr zeitgemäß. Daher unterstütze ich die Ausar-beitung einheitlicher nationaler Standards für eine mehr-jährige Imkerausbildung. Vielleicht können die Imker-verbände eine Prüfung für Hobbyimker entwickeln unddiese – analog zur Sportfischerprüfung – zukünftig inEigenregie durchführen? Das wird langfristig sicherlichdas Produktionsniveau steigern und den Gesundheits-status in der Hobbyimkerei fördern.

Liebe Kollegin Happach-Kasan! Sie sprechen in ei-nem Nebensatz die Überalterung des Berufsstandes an.Auch dies ist eine besondere Herausforderung für denBerufsstand. Wenn wir in Deutschland zukünftig eineflächendeckende Imkerei erhalten wollen, muss in ersterLinie die Nachwuchsförderung verstärkt werden. Diedeutschen Imker und Bienenzüchter sind redlich be-müht, Menschen für die Bienen zu begeistern. In einigenRegionen stoßen sie aber auf erhebliche Probleme, diesie alleine mit Engagement und Ehrenamt nicht mehr be-wältigen können.

Die SPD unterstützt die Imkerverbände darin, dieNachwuchsförderung auszubauen. Die Ansprache der ander Imkerei und Bienenzucht Interessierten muss aberheute auch den modernen Kommunikationsanforderun-gen genügen. Ich setze mich für den Aufbau eines bun-desweiten internetbasierten Aus- und Weiterbildungs-angebots ein. Ein entsprechendes E-Learning-Angebotsollten die Imkerverbände in Zusammenarbeit mit priva-ten und staatlichen Beratungseinrichtungen mittelfristigrealisieren. Eine Kofinanzierung durch den Bund halteich persönlich für äußerst sinnvoll. Insbesondere ausdem Topf für Modellvorhaben kann der Bund hier unter-stützend tätig werden. Sicherlich sind in erster Linie die

Berufsverbände gefragt, die Imagewerbung des Berufs-standes zu professionalisieren. Nur so lässt sich das posi-tive Bild in der Öffentlichkeit, das sich gerade auch inden letzten Jahren entwickelt hat, sinnvoll für die Nach-wuchsarbeit nutzen. Ein modernes, buntes und positivesBild der Imkerei in der Öffentlichkeit sollte von einerbundesweiten Imagekampagne aufgegriffen werden. Ichwünsche mir, dass das BMELV eine solche Kampagneunterstützt, denn wir können dann auch gleichzeitig In-formationen zu Chancen und Möglichkeiten der Berufs-imkerei als Ausbildungsberuf transportieren.

Gute Aus- und Weiterbildung werden das Produk-tionsniveau steigern, davon bin ich überzeugt. Das ist inDeutschland auch dringend nötig. Bisher schöpfen diedeutschen Imker das vorhandene Marktpotenzial nichtaus. Das hat viele Ursachen und lässt sich dauerhaft nurdurch eine Vielzahl von Maßnahmen erhöhen. Dazu ge-hören eine klare Qualitätsorientierung in der Produktion,ein hohes Ausbildungsniveau der Hobby- wie auch Be-rufsimker und die Nutzung aller Marketinginstrumente,um das Qualitätsprodukt Honig noch besser zu positio-nieren.

Die SPD setzt sich für eine flächendeckende Imkereiein, nach dem Motto: „Nicht alles überall, aber überalletwas!“ Dabei müssen wir den regionalen Gegebenhei-ten Rechnung tragen.

Den FDP-Antrag lehnen wir ab, weil er im Forde-rungsteil der Komplexität der gegenwärtigen Fragestel-lungen, die im Einleitungstext angesprochen wurden,nicht gerecht wird.

Die Interessen und Belange der Imkerei und Bienen-zucht müssen auf allen Ebenen unserer Arbeit stärker be-rücksichtigt werden. Genau dafür wird sich die SPDweiter einsetzen.

Anlage 5

Amtliche Mitteilungen

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt,dass sie den Antrag Die europäische Integration der Re-publik Moldova unterstützen auf Drucksache 16/9358zurückzieht.

Die Abgeordneten Peter Albach, Peter Bleser, AnkeEymer (Lübeck), Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land),Hartwig Fischer (Göttingen), Hans-Joachim Fuchtel,Thilo Hoppe und Antje Tillmann haben darum gebeten,bei dem Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung desSchwangerschaftskonfliktgesetzes auf Drucksache16/11106 nachträglich in die Liste der Antragsteller auf-genommen zu werden.

Die Abgeordneten Dr. Erwin Lotter und Carl-LudwigThiele haben darum gebeten, bei dem Entwurf eines …Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskon-fliktgesetzes auf Drucksache 16/11330 nachträglich indie Liste der Antragsteller aufgenommen zu werden.

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Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse habenmitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattungzu den nachstehenden Vorlagen absieht:

Auswärtiger Ausschuss

– Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun-gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtver-breitung sowie über die Entwicklung der Streitkräfte-potentiale (Jahresabrüstungsbericht 2007)

– Drucksache 16/9200 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun-gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtver-breitung sowie über die Entwicklung der Streitkräfte-potentiale (Jahresabrüstungsbericht 2008)

– Drucksache 16/11690 –

– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Inter-parlamentarischen Union

119. Versammlung der Interparlamentarischen Unionvom 10. bis 15. Oktober 2008 in Genf, Schweiz

– Drucksachen 16/11876, 16/12357 Nr. 1.2 –

Haushaltsausschuss

– Unterrichtung durch die Bundesregierung

Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-tungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haus-haltsjahres 2007

– Drucksachen 16/5657, 16/5803 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung

Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-tungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haus-haltsjahres 2007

– Drucksachen 16/7456, 16/7573 Nr. 11 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung

Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-tungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haus-haltsjahres 2007

– Drucksachen 16/7260, 16/7376 Nr. 4 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung

Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich-tungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haus-haltsjahres 2007

– Drucksachen 16/8730, 16/8964 Nr. 3 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung

Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007Ergänzung der Zusammenstellung der über- undaußerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungs-ermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haushalts-jahres 2007

– Drucksachen 16/9244, 16/9391 Nr. 1.6 –

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

– Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-nikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a derGeschäftsordnungTechnikfolgenabschätzung (TA)TA-Projekt: Biobanken für die humanmedizinischeForschung und Anwendung– Drucksache 16/5374 –

Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse habenmitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehendenUnionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-ner Beratung abgesehen hat.

Auswärtiger AusschussDrucksache 16/12188 Nr. A.1EuB-EP 1861; P6_TA-PROV(2009)0023 Drucksache 16/12188 Nr. A.2EuB-EP 1864; P6_TA-PROV(2009)0027

InnenausschussDrucksache 16/10286 Nr. A.8EuB-EP 1749; P6_TA-PROV(2008)0304 Drucksache 16/10958 Nr. A.3Ratsdokument 14003/08Drucksache 16/12511 Nr. A.1Ratsdokument 7075/09

FinanzausschussDrucksache 16/12188 Nr. A.6Ratsdokument 6035/1/09 REV 1Drucksache 16/12511 Nr. A.4Ratsdokument 7084/09

HaushaltsausschussDrucksache 16/12188 Nr. A.8Ratsdokument 5444/09Drucksache 16/12188 Nr. A.9Ratsdokument 6145/09Drucksache 16/12188 Nr. A.10Ratsdokument 6220/09

Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieDrucksache 16/8983 Nr. A.10Ratsdokument 6944/08Drucksache 16/9394 Nr. A.6Ratsdokument 8696/08Drucksache 16/9693 Nr. A.8Ratsdokument 9480/08Drucksache 16/10958 Nr. A.19Ratsdokument 14059/08Drucksache 16/10958 Nr. A.20Ratsdokument 14265/08Drucksache 16/11132 Nr. A.9EuB-EP 1797; P6_TA-PROV(2008)0460 Drucksache 16/11721 Nr. A.16Ratsdokument 16097/08Drucksache 16/11819 Nr. A.7Ratsdokument 5028/09Drucksache 16/11965 Nr. A.8Ratsdokument 5237/09Drucksache 16/12188 Nr. A.11Ratsdokument 5791/09Drucksache 16/12188 Nr. A.13Ratsdokument 5982/09Drucksache 16/12188 Nr. A.14Ratsdokument 6006/09

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Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und VerbraucherschutzDrucksache 16/10958 Nr. A.21Ratsdokument 13195/08

Ausschuss für Arbeit und SozialesDrucksache 16/12188 Nr. A.20Ratsdokument 5881/09

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendDrucksache 16/6715 Nr. 1.18Ratsdokument 12772/07Drucksache 16/10286 Nr. A.53Ratsdokument 11268/08Drucksache 16/10286 Nr. A.54Ratsdokument 11428/08

Ausschuss für GesundheitDrucksache 16/11819 Nr. A.19Ratsdokument 17503/08

Ausschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungDrucksache 16/11819 Nr. A.21Ratsdokument 17563/08Drucksache 16/12188 Nr. A.22Ratsdokument 5620/09

Drucksache 16/12188 Nr. A.24Ratsdokument 6074/09Drucksache 16/12369 Nr. A.9Ratsdokument 5779/09Drucksache 16/12369 Nr. A.10Ratsdokument 5789/09

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeDrucksache 16/11132 Nr. A.18Ratsdokument 14602/08Drucksache 16/12188 Nr. A.29EuB-EP 1859; P6_TA-PROV(2009)0021 Drucksache 16/12188 Nr. A.30EuB-EP 1865; P6_TA-PROV(2009)0028 Drucksache 16/12188 Nr. A.31EuB-EP 1866; P6_TA-PROV(2009)0029

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionDrucksache 16/10286 Nr. A.90Ratsdokument 10255/08Drucksache 16/11517 Nr. A.36Ratsdokument 15256/08Drucksache 16/11965 Nr. A.16Ratsdokument 5289/09Drucksache 16/11965 Nr. A.17Ratsdokument 17358/08Drucksache 16/12188 Nr. A.33Ratsdokument 5981/09

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ISSN 0722-7980