Deutschland Regieren nach Zahlen - DER SPIEGEL

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FOTO: CHRISTIAN THIEL Deutschland E s ist fast vergessen, aber Angela Merkel besaß einst den Spitznamen „Klimakanzlerin“. Als junge Regie- rungschefin reiste sie 2007 nach Grönland und ließ sich im roten Anorak vor einem Eisberg ablichten. „Hier wird der Klima- wandel sichtbar, ja fassbar“, sagte sie dazu. Zwei Jahre später sollte aus dem Foto- termin Weltpolitik werden, beim Klima- gipfel in Kopenhagen. Vor ihrer Abreise nach Dänemark hatte die Kanzlerin aller- dings noch Klärungsbedarf im eigenen Land. Nicht alle in Deutschland waren von den ehrgeizigen Zielen zur Reduktion des CO ² -Ausstoßes gleichermaßen begeistert. Viele Spitzenleute in der Union und beim liberalen Koalitionspartner sorgten sich um die Wettbewerbsfähigkeit der deut- schen Industrie. In dieser Lage ließ die Kanzlerin vom Meinungsforschungsinstitut Emnid sicher- heitshalber das Volk konsultieren. Vom 23. bis 25. November 2009 klingelte in zahlreichen deutschen Haushalten das Te- lefon. Detailliert wollten die Demoskopen wissen, welche Klimapolitik sie wünschten. Drei Wochen später, am Morgen vor dem Abflug nach Kopenhagen, gab Merkel eine Regierungserklärung ab. Legt man die Ergebnisse der Emnid- Umfrage neben den Redetext, sieht es so aus, als hätten die Meinungsforscher ihr die Feder geführt. „Wir wollen auch unserer be- sonderen Verantwortung als Hauptverursacher des Klima- wandels gerecht werden“, sagte die Kanzlerin im Bundestag. Bei Emnid klang es verblüffend ähn- lich: 86 Prozent der Bürger stimmten der Aussage zu, dass die Industrieländer eine „beson- dere Verantwortung für den Kli- maschutz tragen, weil sie den Klimawandel maßgeblich verur- sacht haben“. „Sollte Deutschland in der Kli- maschutzpolitik vorangehen?“, wurden die Bürger gefragt. 77 Prozent stimmten dafür. „Wir müssen vorangehen“, erklärte Merkel dann im Parlament. Gleich mehrere Kernaussagen hatte das Kanzleramt zuvor in der Bevöl- kerung testen lassen, so als handelte es sich um eine neue Margarine-Reklame – und nicht um die Begründung eines zen- tralen Regierungsvorhabens. Deutsche Kanzler lassen sich seit Jahr- zehnten von Meinungsforschern beraten. Helmut Kohl hörte auf Elisabeth Noelle- Neumann und deren Institut in Allensbach, Gerhard Schröder setzte lange auf Man- fred Güllner und dessen Forsa-Kollegen. Und Angela Merkel? „Ich tue das, was ich für richtig und wichtig halte. Sich nach Umfragen zu richten wäre vollkommen falsch“, sagte sie im August 2006. Da war Merkel gerade seit neun Mona- ten im Amt. Sie sei eine Regierungschefin, heißt es seither, die vom Ende her denke, eine Physikerin der Macht, die lange über- legt und kühl die Folgen einer Entschei- dung abwägt, bevor sie handelt. Von der Vorbereitung und Absicherung politischer Entscheidungen durch die Demoskopie ist dabei nicht die Rede, für diese Form des Populismus ist in dem Image von der ge- duldigen Strategin kein Platz. Erstmals konnte der nun syste- matisch einen bisher wenig bekannten In- strumentenkasten merkelscher Politik aus- werten: die geheimen Meinungsumfragen des Kanzleramts. Was die Deutschen um- treibt, welche Fragen sie belasten, was sie von der Politik erwarten: All das wird in der Regierungszentrale mit großem Auf- wand verfolgt und analysiert. Woche für Woche liefern Meinungsforschungsinstitu- te dort neue Zahlen und Expertisen ab. Rund 150 Umfragen gibt Merkel über das Bundespresseamt jährlich in Auftrag, im Schnitt etwa drei pro Woche. Zwei Millio- nen Euro kostet das im Jahr. Die Ergeb- nisse jedoch bleiben fast immer unter Ver- schluss. Und so hätte es die Regierung am liebs- ten weiterhin gehandhabt. Monatelang wehrte sie sich gegen den Grünen-Politiker Malte Spitz, der mit einem Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz umfassen- den Einblick in das Zahlenwerk verlangt hatte – und sich am Ende auch vor Gericht durchsetzte. „Warum nutzt Merkel die Um- fragen als Herrschaftswissen?“, fragt Spitz: „Was mit Steuergeldern erho- ben wird, sollte der Allgemein- heit zur Verfügung stehen.“ Alle Umfragen aus der ver- gangenen Legislaturperiode, also aus den Jahren 2009 bis 2013, sind nun zugänglich; nur die aktuellen, die seit dem Re- gierungswechsel in Auftrag ge- geben wurden, bleiben vorerst gesperrt. Sichtbar wird in den Akten eine Kanzlerin, die ihre Arbeit viel stärker an Umfra- gen orientiert als bislang be- kannt. Was die Meinungsfor- scher in Berlin abliefern, prägt ihre Politik; manchmal augen- fällig im Detail, manchmal im Grundsätzlichen und manch- mal auf indirektem Wege. Sicherlich kann sich kein Re- gierungschef erlauben, allein den Umfragen zu folgen. Es gibt Parteitagsbeschlüsse und Koalitionsverträge, auch Mer- kel hat gelegentlich die Mehr- heitsmeinung ignoriert. Aber * Beim Tag der offenen Tür im Kanzler- amt Ende August in Berlin. 20 DER SPIEGEL / Bericht des Presseamts (Ausriss): „Müssen vorangehen“ Regieren nach Zahlen Kanzler Nach Meinungsforschern, hatte Angela Merkel einst erklärt, wolle sie sich nicht richten. Jetzt zeigen 600 geheim gehaltene Umfragen des Bundespresseamts, wie Demoskopen Merkels Denken, Reden und Handeln beeinflussen.

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FOTO

: CHRISTIAN THIEL

Deutschland

Es ist fast vergessen, aber AngelaMerkel besaß einst den Spitznamen„Klimakanzlerin“. Als junge Regie-

rungschefin reiste sie 2007 nach Grönlandund ließ sich im roten Anorak vor einemEisberg ablichten. „Hier wird der Klima-wandel sichtbar, ja fassbar“, sagte siedazu.

Zwei Jahre später sollte aus dem Foto-termin Weltpolitik werden, beim Klima-gipfel in Kopenhagen. Vor ihrer Abreisenach Dänemark hatte die Kanzlerin aller-dings noch Klärungsbedarf im eigenenLand. Nicht alle in Deutschland waren vonden ehrgeizigen Zielen zur Reduktion desCO²-Ausstoßes gleichermaßen begeistert.Viele Spitzenleute in der Union und beimliberalen Koalitionspartner sorgten sichum die Wettbewerbsfähigkeit der deut-schen Industrie.

In dieser Lage ließ die Kanzlerin vomMeinungsforschungsinstitut Emnid sicher-heitshalber das Volk konsultieren. Vom 23. bis 25. November 2009 klingelte inzahlreichen deutschen Haushalten das Te-lefon. Detailliert wollten die Demoskopenwissen, welche Klimapolitik siewünschten. Drei Wochen später,am Morgen vor dem Abflug nachKopenhagen, gab Merkel eineRegierungserklärung ab. Legtman die Ergebnisse der Emnid-Umfrage neben den Redetext,sieht es so aus, als hätten dieMeinungsforscher ihr die Federgeführt.

„Wir wollen auch unserer be-sonderen Verantwortung alsHauptverursacher des Klima-wandels gerecht werden“, sagtedie Kanzlerin im Bundestag. BeiEmnid klang es verblüffend ähn-lich: 86 Prozent der Bürgerstimmten der Aussage zu, dassdie Industrieländer eine „beson-dere Verantwortung für den Kli-maschutz tragen, weil sie denKlimawandel maßgeblich verur-sacht haben“.

„Sollte Deutschland in der Kli-maschutzpolitik vorangehen?“,wurden die Bürger gefragt. 77Prozent stimmten dafür. „Wirmüssen vorangehen“, erklärteMerkel dann im Parlament.Gleich mehrere Kernaussagen

hatte das Kanzleramt zuvor in der Bevöl-kerung testen lassen, so als handelte essich um eine neue Margarine-Reklame –und nicht um die Begründung eines zen-tralen Regierungsvorhabens.

Deutsche Kanzler lassen sich seit Jahr-zehnten von Meinungsforschern beraten.Helmut Kohl hörte auf Elisabeth Noelle-Neumann und deren Institut in Allensbach,Gerhard Schröder setzte lange auf Man-fred Güllner und dessen Forsa-Kollegen.

Und Angela Merkel? „Ich tue das, wasich für richtig und wichtig halte. Sich nachUmfragen zu richten wäre vollkommenfalsch“, sagte sie im August 2006.

Da war Merkel gerade seit neun Mona-ten im Amt. Sie sei eine Regierungschefin,heißt es seither, die vom Ende her denke,eine Physikerin der Macht, die lange über-legt und kühl die Folgen einer Entschei-dung abwägt, bevor sie handelt. Von derVorbereitung und Absicherung politischerEntscheidungen durch die Demoskopie istdabei nicht die Rede, für diese Form desPopulismus ist in dem Image von der ge-duldigen Strategin kein Platz.

Erstmals konnte der SPIEGEL nun syste-matisch einen bisher wenig bekannten In-strumentenkasten merkelscher Politik aus-werten: die geheimen Meinungsumfragendes Kanzleramts. Was die Deutschen um-treibt, welche Fragen sie belasten, was sievon der Politik erwarten: All das wird inder Regierungszentrale mit großem Auf-wand verfolgt und analysiert. Woche fürWoche liefern Meinungsforschungsinstitu-te dort neue Zahlen und Expertisen ab.Rund 150 Umfragen gibt Merkel über dasBundespresseamt jährlich in Auftrag, imSchnitt etwa drei pro Woche. Zwei Millio-nen Euro kostet das im Jahr. Die Ergeb-nisse jedoch bleiben fast immer unter Ver-schluss.

Und so hätte es die Regierung am liebs-ten weiterhin gehandhabt. Monatelangwehrte sie sich gegen den Grünen-PolitikerMalte Spitz, der mit einem Antrag nachdem Informationsfreiheitsgesetz umfassen-den Einblick in das Zahlenwerk verlangthatte – und sich am Ende auch vor Gerichtdurchsetzte. „Warum nutzt Merkel die Um-fragen als Herrschaftswissen?“, fragt Spitz:

„Was mit Steuergeldern erho-ben wird, sollte der Allgemein-heit zur Verfügung stehen.“

Alle Umfragen aus der ver-gangenen Legislaturperiode,also aus den Jahren 2009 bis2013, sind nun zugänglich; nurdie aktuellen, die seit dem Re-gierungswechsel in Auftrag ge-geben wurden, bleiben vorerstgesperrt. Sichtbar wird in denAkten eine Kanzlerin, die ihreArbeit viel stärker an Umfra-gen orientiert als bislang be-kannt. Was die Meinungsfor-scher in Berlin abliefern, prägtihre Politik; manchmal augen-fällig im Detail, manchmal imGrundsätzlichen und manch-mal auf indirektem Wege.

Sicherlich kann sich kein Re-gierungschef erlauben, alleinden Umfragen zu folgen. Esgibt Parteitagsbeschlüsse undKoalitionsverträge, auch Mer-kel hat gelegentlich die Mehr-heitsmeinung ignoriert. Aber

* Beim Tag der offenen Tür im Kanzler-amt Ende August in Berlin.

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Bericht des Presseamts (Ausriss): „Müssen vorangehen“

Regieren nach ZahlenKanzler Nach Meinungsforschern, hatte Angela Merkel einst erklärt, wolle sie sichnicht richten. Jetzt zeigen 600 geheim gehaltene Umfragen des Bundespresseamts,wie Demoskopen Merkels Denken, Reden und Handeln beeinflussen.

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Kanzlerin Merkel*

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Deutschland

schon die breite Themenauswahl weist da-rauf hin, wie umfassend sich die Kanzlerinüber die Stimmungslage im Volk informie-ren lässt: Vom Afghanistan-Einsatz bis zurZuwanderung ermittelten Allensbach, Em-nid, Forsa und weitere Institute in der Be-völkerung detaillierte Meinungsbilder.Auch den eigenen Marktwert, den ihresVizekanzlers und ihrer Minister ließ sielange regelmäßig erfassen, und zwar sehrviel ausführlicher, als dies SPIEGEL oderARD-Deutschlandtrend tun. Dort wirdnach Zufriedenheit gefragt, nicht abernach „Bürgernähe“, „Glaubwürdigkeit“oder „Durchsetzungsfähigkeit“.

Wenn die Kanzlerin aus Steuermittelnvor der Bundestagswahl die „Agenda derBürger für die nächste Legislaturperiode“abfragen lässt, ist sie auch als CDU-Vorsit-zende bestens vorbereitet – besser jeden-falls als andere Parteichefs, die auf die Um-fragen des Bundespresseamts keinen Zu-griff haben. Nicht einmal die Mitgliederihrer Regierung dürfen alle Ergebnisseohne Erlaubnis lesen.

Viele Kanzlerbeobachter haben festge-stellt, dass Merkel ein untrügliches Gespürfür den deutschen Mainstream entwickeltzu haben scheint. Ihre nüchterne Art passtoffenkundig zur pragmatischen Grund -haltung der meisten Wähler. In den ver-gangenen Jahren hat sie ihr Image der Un-aufgeregten derart perfektioniert, dassmanchmal beinahe eine Art Seelenver-wandtschaft zwischen der Kanzlerin undihrem Volk aufzublitzen scheint. In denUmfragen finden sich Hinweise darauf,dass sie ihr Gespür für Stimmungslagenwomöglich nicht nur der Intuition verdankt.

Anfang 2010, die neue Koalition mit derFDP hatte gerade die Arbeit aufgenommen,

traf in Berlin unter dem Vermerk „Vertrau-lich!“ eine 52-seitige Allensbach-Studie mitdem Titel „Wertvorstellungen der Deut-schen“ ein. Die Analyse liest sich wie eineGebrauchsanweisung für die Bundeskanz-lerin: „Die mentale Grundver fassung derheutigen Gesellschaft ist Pragmatismus“,hieß es darin, „entsprechend erwartet dieGesellschaft auch von der Politik eher Prag-matismus als Prinzipientreue.“

Deutschland, stellten die Autoren fest,habe sich grundlegend verändert. Noch zuBeginn der Neunzigerjahre seien die Bür-ger mehrheitlich der Meinung gewesen,dass in der Tagespolitik Grundüberzeugun-gen wichtiger seien als Pragmatismus. In-zwischen spielten Werte in ihren Augenkaum mehr eine Rolle: Über 70 Prozentder Befragten gingen „von einer weltan-schaulich heterogenen Gesellschaft“ aus.

Merkel konnte aus der Studie wichtigeSchlüsse ziehen. Erstens: Der Verzicht auf

ein klares Profil ist kein Makel, sondernverspricht Erfolg, auch wenn die Medienoft das Gegenteil behaupten.

Und zweitens: Das konservative Erbeder CDU ist den Anhängern nicht mehrso wichtig, wie manche Funktionäre glau-ben. Werte wie die Betonung des traditio-nellen Familienbildes treten auch an dereigenen Basis hinter praktische Problemezurück.

Wenn die CDU-Vorsitzende in den ver-gangenen Jahren die Sozialdemokratisie-rung ihrer Partei betrieb, deckte sich dasmit dem Wunsch ihrer Anhänger. „SozialeGerechtigkeit“ stand für diese („Wofür soll-te sich eine christliche Partei Ihrer Mei-nung nach unbedingt einsetzen?“) aufPlatz eins. „Gleichberechtigung von Frau-en“ wünschen sich immerhin 49 Prozentder Unionsanhänger, 5 Prozent mehr alsin der Gesamtbevölkerung. Ein „großesAngebot an Kinderbetreuungsplätzen“ er-hoffen sich 54 Prozent der eigenen Leute,auch das deutlich mehr als der Durch-schnitt der Befragten.

Die Allensbach-Analyse traf im Kanz-leramt zu einem Zeitpunkt ein, als dieschwarz-gelbe Koalition schon in Schwie-rigkeiten steckte. Was im Wahlkampf vonMerkel als „Wunschkoalition“ ausgegebenworden war, fand nicht zueinander. Vorallem die von der FDP verlangten Steuer-senkungen sorgten für Streit, Woche fürWoche fiel die Zustimmung zur Regie-rungspolitik. Wenn es noch eines Beweisesbedurft hätte, dass das schwarz-gelbeBündnis quer zum Meinungstrend lag,dann lieferten ihn die Demoskopen vomBodensee in ihrer Wertestudie. Bei denStichworten „Freiheit“, „Eigenverantwor-tung“ und „Leistungsbereitschaft“ lagen

Unionsanhänger und FDP-Wähler weit aus-einander.

Die kommenden Monate brachten keineBesserung. „Binnen weniger Wochen hatdie neue Regierungskoalition erheblich anAnsehen verloren“, heißt es in einer „100-Tage-Bilanz der neuen Bundesregierung“,die am 19. März 2010 im Kanzleramt ein-ging. Es gebe eine „erhebliche Diskrepanzzwischen der politischen Agenda der Be-völkerung und ihrer Einschätzung der Koalitionsagenda“, stellten die Meinungs-forscher darin fest. „Beides klafft erheb-lich auseinander.“ Auch das Zutrauen inden Kurs der Kanzlerin habe „erkennbargelitten“.

Die bislang gesperrten Umfragen sindin ihrem Befund eindeutig. Sie zeigen eineGesellschaft, die mitten in der Finanz- undSchuldenkrise eher pessimistisch in die Zu-kunft blickte und von der Politik erwartete,den Statuts quo zu sichern. „Die große

Mehrheit kann sich auch nicht vorstellen,dass der Wohlstand in Deutschland nochnennenswert über das erreichte Niveau hi-naus anwachsen wird“, heißt es in einerweiteren Allensbach-Studie über „Pragma-tismus und Werteorientierung“ vom 3. Au-gust 2011: „Die Bürger wünschen sich eineGesellschaft, in der Solidarität und Hilfs-bereitschaft eine große Rolle spielt, derEgoismus zurückgedrängt und mehr Rück-sicht auf Schwache genommen wird.“

Liegt hier ein Grund, warum sich dasBündnis mit den Liberalen nie mehr er-holte? Hat Merkel damals Konsequenzenaus der Meinungsforschung gezogen undbeschlossen, fortan nicht mehr auf dasWohlergehen der Koalition zu schauen,sondern nur noch auf das eigene? Die Zahlen jedenfalls deuten darauf hin. Jetiefer das Ansehen der FDP sank, destohöher stiegen ab Sommer 2010 die Zu -friedenheitswerte mit der Arbeit der Kanz-lerin.

Am Anfang ihrer Kanzlerschaft hatteMerkel die Demoskopie eher skeptisch ge-sehen. Im Gegensatz zu ihrem VorgängerGerhard Schröder, dessen Aufstieg von sei-ner Popularität beim Volk getragen wurde,gelang Merkel ihre Karriere nicht mit demTrend der Umfragen, sondern gegen ihn.

Als sie im Herbst 2005 erstmals zurKanzlerin gewählt wurde, ließ sie den Etatfür Umfragen relativ gleichmäßig auf meh-rere Institute verteilen. Die Demoskopenhaben seitdem kaum direkten Zugang zumKanzleramt, eine Ausnahmestellung be-hielt Renate Köcher von Allensbach, derenExpertise man in der CDU sehr schätzt.

Distanz bedeutet indes nicht Desinteres-se. „Merkel schaut sich die Umfrageergeb-nisse genau an“, sagt ein langjähriger Weg-begleiter. Wenn die Bevölkerungsmehrheiteine bestimmte Position unterstütze, wollesie immer auch wissen, was ihre Anhängerdenken – um daraus ihre eigenen Schlüssezu ziehen: „Sie will sich von Umfragennicht abhängig machen. Aber sie speichertdie wichtigsten Trends ab. Und wenn derrichtige Moment kommt, setzt sie ihr Wis-sen ein.“

Der Aufwand ist enorm. Wie mit einemPulsgerät lässt das Kanzleramt nonstopden Herzschlag der Gesellschaft messen.Neun Meinungsforschungsinstitute erhe-ben fortwährend neue Daten. Diese liefernsie zunächst an das Bundespresseamt, Re-ferat 204 („Meinungsforschung und Eva-luation“), wo seit vielen Jahren Referats-leiterin Ute Molitor die Arbeit der Demo-skopen steuert. Regierungssprecher SteffenSeibert kümmert sich dann um die Prä-sentation für das Büro der Kanzlerin.

„Ergebnisse aus der Meinungsfor-schung“ heißt Seiberts Vorlage für die„Frau Bundeskanzlerin“. Schon auf demDeckblatt liefert der Sprecher in vier Zei-len die Kernaussagen der jüngsten Erhe-

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Wie mit einem Pulsgerät lässt das Kanzleramt nonstop den Herzschlag der Gesellschaft messen.

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Angela Merkel

Ursulavon der Leyen

Wolfgang Schäuble

Karl-Theodorzu Guttenberg

Philipp Rösler

2009 2010 2011 2012 2013

April 2010Die Euroländer gewähren dem bankrottenGriechenland Hilfskredite. Nur einen Monatspäter wird ein Rettungsschirm für Euro-krisenländer beschlossen.

1. März 2011Guttenberg tritt wegeneiner Plagiatsaffäre vonallen Ämtern zurück.

Juni 2011Als Reaktion auf die Nuklearkata-strophe von Fukushima beschließtdas Kabinett einen stufenweisenAtomausstieg bis 2022.

September 2012Mit dem ESM tritt ein dauerhafterEuro-Stabilitätsmechanismus in Kraft.In der Euro-Schuldenkrise profiliert sichMerkel als prinzipienfeste Vertreterin einerAusteritätspolitik, die den Krisenländernharte Reformschritte auferlegt.

Bewertung der politischen ArbeitAnteil der Befragten, die demjeweiligen Kabinettsmitglied eine„eher gute Arbeit“ bescheinigen

Im Juni 2010 attestieren die Meinungsforscher der Kanzlerineinen massiven Ansehensverlust. Nur noch 42 Prozent der Deutschensehen ihre Arbeit positiv. Merkel fällt auf Platz vier im Kabinetts-ranking zurück. Zum Ende der Legislatur hat sie den Spitzenplatzzurückerobert.

Das Comeback der Kanzlerin Ergebnisse von Umfragen der Bundesregierung 2009 bis 2013

Wichtige Ereignisse in der zweiten Amtszeit Merkels

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bung, dann kommt in einer Zusammen-fassung die jeweilige Stimmungslage.

Wie umfassend und systematisch dieVermessung der Republik erfolgt, zeigteine Liste aller Umfragen, die das Bundes-presseamt inzwischen freigegeben hat.Einmal wöchentlich erhebt Forsa die Zu-friedenheit mit der Kanzlerin und der Bun-desregierung – ein unmittelbares Stim-mungsbarometer, das wie ein Frühwarn-system wirkt und Merkel quasi in Echtzeitalarmiert, falls sie sich zu weit von derMehrheitsmeinung im Land entfernt.

Ebenfalls einmal pro Woche erfragt In-fratest dimap, was die Bürger in den ver-gangenen Tagen am meisten beschäftigthat. Der sogenannte Themenmonitor gibteinen guten Einblick in das Innenleben derGesellschaft, denn die Befragten könnenohne Vorgaben frei äußern, was sie geradeinteressiert. Aufschlussreich für die Regie-rung ist dabei insbesondere, welche The-men nicht oder kaum zur Sprache kom-men – wie zum Beispiel die Enthüllungenum Edward Snowden und die NSA imSommer vergangenen Jahres.

So erklärten nur drei Prozent der Be-fragten zu Beginn der NSA-Affäre am 18. und 19. Juni 2013, dass sie die Enthül-lungen über das Spionageprogramm Prismder Amerikaner beschäftige. Viel wichtiger

war ihnen die Hochwasserlage in Deutsch-land. Das Interesse an der globalen Über-wachung stieg auch in den kommendenWochen kaum an. Für Merkel und ihre Be-rater lieferte der Themenmonitor damitein wichtiges Signal: Trotz aller Aufregungin den Medien blieb die Bevölkerung indieser Frage gelangweilt bis gelassen. Ent-spannt konnte die Bundeskanzlerin ihrenWahlkampf zu Ende führen.

Die wöchentlichen Erhebungen sum-mieren sich im Laufe einer vierjährigenLegislaturperiode auf über 400 Umfragen.Hinzu kommen monatliche Studien zu denKompetenzen der Parteien und zu großenpolitischen Themen, dazu in unregelmä-ßigen Abständen Spezialerhebungen. DieThemen variieren hier zwischen Euroret-tung, Energiewende und dem Leben der„Singles im Alter von 30 bis 59 Jahren“.Allein in der vergangenen Legislaturpe -riode kamen so noch einmal weit über 100meist sehr ausführliche Analysen zusam-men. Insgesamt erhob das Kanzleramt inder letzten Wahlperiode nach eigenen An-gaben rund 600 Umfragen. Kein Zweifel:Niemand ist über die Gemütslage der Bür-ger, über ihre Ängste und Hoffnungen bes-ser informiert als Angela Merkel.

Damit dies so bleibt, verteidigt das Bun-despresseamt seine Umfragen wie ein

Staatsgeheimnis. Ein Punkt ist SeibertsLeuten besonders wichtig: die Erhebungenzu „Kompetenzwerten“ der Parteien undPolitiker. Würden sie publik, wäre der Exe-kutive „eine unvoreingenommene Willens-bildung nicht mehr möglich“, heißt es ineinem Vermerk des Bundespresseamtsvom Januar 2013: „Im Ergebnis könnte dieBundesregierung ihren verfassungsmäßi-gen Auftrag nicht mehr unbeeinträchtigtwahrnehmen.“ Als brächte die Veröffent-lichung dessen, was die Bevölkerungmeint, das Staatswohl in Gefahr.

Vielleicht möchte das Bundespresseamtnur den Koalitionsfrieden wahren. In demVermerk fürchten die Beamten, dass durcheine Veröffentlichung der Zahlen „die Be-ratungen der Bundesregierung (Bundes-kanzleramt, Bundesministerien) beein-trächtigt“ wären. Da könnten sie recht gehabt haben. Die Ressortchefs hätten ei-niges zu diskutieren gehabt, wenn sie denRegierungsmonitor zu Gesicht bekommenhätten, in dem die Forschungsgruppe Wah-len die Zufriedenheit der Bürger mit jedemeinzelnen Kabinettsmitglied abfragte.

Die Zahlen geben, fast wie an der Börse,Aufschluss über den aktuellen politischenStand der Beteiligten im internen Ranking.Vorsichtshalber bekamen nur Merkel undihr jeweiliger Vizekanzler eine Abschrift

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zu sehen, was für die Stimmungslage imKabinett nicht unbedingt von Nachteil ge-wesen sein wird: Die Arbeit von Kanzler-amtschef Ronald Pofalla beurteilten im No-vember 2011 nur 17 Prozent der Deutschenals „eher gut“. Damit lag Pofalla noch hin-ter den verhassten FDP-Ministern GuidoWesterwelle (28 Prozent Zustimmung),Philipp Rösler (27 Prozent) und Dirk Nie-bel (18 Prozent). Seit Sommer 2013 siehtdas Bundespresseamt nach eigenen Anga-ben davon ab, die Zahlen für jeden einzel-nen Minister zu erheben.

Für die Kanzlerin drehte sich in derzweiten Hälfte der vergangenen Legisla-turperiode der Wind. Im November 2011überstiegen die Zustimmungswerte erst-mals seit Langem wieder die 60-Prozent-Schwelle. Seitdem segelt sie auf einer Wel-le der Sympathie, wie sie nach sechs Jahren Amtszeit allenfalls ein KonradAdenauer erlebt hat.

Die CDU-Chefin verdankt diesen Wie-deraufstieg ganz wesentlich ihrem Agierenin der Eurokrise, in der sie es geschicktverstand, die Ängste der Deutschen auf-zunehmen und zu beruhigen. Während inSüdeuropa die Bürger gegen Merkels„Spardiktat“ auf die Straßen gingen, zeigteim Kanzleramt eine Umfrage nach dernächsten, dass die Deutschen Härte undDisziplin erwarteten.

Zahlreiche Verhandlungspositionen ließdie Regierung von den Meinungsforscherntesten: Sollen die Griechen mehr Hilfe be-kommen? Muss man den Krisenstaatenmehr Zeit für Reformen gewähren? SollDeutschland Italien unter die Arme greifen,um das Nachbarland im Euro zu halten?

Mit großer Mehrheit lehnten die Deut-schen alle Vorschläge ab, die auf eineSchuldenunion hinausgelaufen wären.

Stattdessen verlangten sie, Schuldenländerstrenger zu überwachen und notfalls ausder Währungsunion auszuschließen.

Merkel ließ trotzdem im Bundestag ihreRettungspakete verabschieden; wäre es an-ders gewesen, gäbe es heute den Euronicht mehr. In der Frage, ob Griechenlandim Euroraum bleiben solle, stand die Kanz-lerin sogar gegen die Mehrheitsmeinung.Gleichwohl achtete sie genau darauf, dasssich die Richtung ihrer Politik nicht allzuweit von der Grundskepsis der Bürger ent-fernte.

Kurz vor der Wahl im September 2013ließ das Bundespresseamt von Emnid dieseStrategie noch einmal überprüfen. MerkelsKalkül war aufgegangen: 55 Prozent hiel-ten ihre Verhandlungsführung für ange-messen, 32 Prozent fanden die Kanzlerinzu nachgiebig, nur 9 Prozent fanden siezu hart. „Dass Deutschland so gut durchdie Turbulenzen der Krise in der Eurozonegekommen ist“, lautete auch das Fazit vonAllensbach, werde „speziell der Kanzlerinzugerechnet“.

Dass sie manchmal durchaus gegen dieMehrheitsmeinung im Land entscheidet,hat Merkel immer wieder gezeigt. So lehn-ten die Bürger in Umfragen das Betreu-ungsgeld ab, trotzdem setzte sie es durch.Und einen möglichst schnellen Ausstiegaus der Kernenergie haben die meistenBürger schon vor Fukushima unterstützt –nicht erst wie Merkel danach. Aber immerwieder finden sich beim Studium des demoskopischen Materials verblüffendeQuerverbindungen zum Reden und Han-deln der Kanzlerin.

Besonders intensiv begleiteten die De-moskopen auch die Abschaffung der Wehr-pflicht. Lange Zeit hatte sich Merkel zurWehrpflicht bekannt, sie sei ein „Marken-

zeichen unserer Streitkräfte“, erklärte sienoch im Sommer 2009 bei der Vereidigungvon Rekruten. Auch Fraktionschef VolkerKauder und der bayerische Ministerpräsi-dent Horst Seehofer sprachen sich für dieBeibehaltung der Wehrpflicht aus. Als dieFDP und der damalige Verteidigungsmi-nister Karl-Theodor zu Guttenberg derenEnde forderten, hatten Merkels Leute eingroßes Interesse, die Meinung der Deut-schen zu dem Thema zu erfahren.

Im Frühjahr 2010 bestellte das Bundes-presseamt bei Allensbach eine Umfrage,Titel: „Verteidigungspolitik im Spiegel deröffentlichen Meinung“. Die Ansichten derDeutschen waren geteilt; etwa die Hälfteder Befragten sprach sich für die Wehr-pflicht aus, die andere forderte eine Be-rufsarmee. Bei den Unionsanhängern über-wogen die Befürworter.

Allerdings reagierten die Befragten an-ders, wenn sie in einer Nachfrage auf diesteigende Zahl von Auslandseinsätzen derBundeswehr hingewiesen wurden. Dannstimmten 51 Prozent für eine Berufsarmee,nur noch 33 Prozent votierten für dieWehrpflicht. Wichtiger noch: Auch die Unionsanhänger plädierten unter dem Ein-druck dieses Arguments mit knapper rela-tiver Mehrheit für die Umwandlung in einBerufsheer.

Die Analyse machte deutlich, dass dieStimmung an der Basis nicht unbedingtden Ansichten der Parteioberen entsprach,die gegen eine Preisgabe dieser Traditionwaren. Als eine Reformkommission sichim Herbst für die Aussetzung der Wehr-pflicht aussprach, ging Merkel in die Of-fensive – im November 2010 sollte derCDU-Parteitag entscheiden.

Kurz vorher ließen Merkels Berater dasThema ein weiteres Mal testen. Die Bürgerwurden auch diesmal an die „anspruchs-vollen Aufgaben“ der Bundeswehr in derheutigen Zeit erinnert, wieder sprach sicheine Mehrheit für eine Berufsarmee aus.Darauf verwies auch der neue Regierungs-sprecher Steffen Seibert in seinem Ver-merk für die Kanzlerin: Die Unterstützungfür die Berufsarmee steige, wenn man die Forderung mit Argumenten „unter-mauert“.

Genauso lief es dann auch. In ihrer Redevor den Delegierten begründete sie ihreUnterstützung für eine Berufsarmee mit„neuen Bedrohungen, die ganz andere Ein-sätze erfordern“. Deshalb, so Merkel, „se-hen wir heute die sicherheitspolitische Not-wendigkeit für die allgemeine Wehrpflichtnicht gegeben“. Der Parteitag folgte derVorsitzenden, kurz darauf war die Wehr-pflicht Geschichte.

Wie ein Schachspieler, so schien es bis-her, plant die Kanzlerin im Hauptstadt -betrieb ihre Politik. Erst wenn sie die mög-lichen Züge ihres jeweiligen Gegenübers– sei es der Koalitionspartner, sei es die

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ANK ZAURITZ

Regierungssprecher Seibert: Informationsvorsprung vor der Konkurrenz?

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Deutschland

Wissenschaft, aber auch als Beitrag zurChancengleichheit im politischen Wettbe-werb. „Wir konnten uns als Partei im letz-ten Bundestagswahlkampf nur eine großeUmfrage leisten“, sagt Spitz. „Mit 600 Um-fragen wie Frau Merkel könnte man Wahl-kämpfe zielgenauer planen und den einoder anderen Fehler vermeiden.“

Im Frühjahr 2013 zog Spitz vor das Ber-liner Verwaltungsgericht, weil das Presse-amt nur einzelne Studien freigeben wollte.Der Richter teilte die Ansicht des Grünenund forderte das Bundespresseamt auf, dieUmfragen freizugeben. Am 21. Oktober2013, rund vier Wochen nach der Bundes-tagswahl, klingelte es in Spitz’ Wohnungin Berlin-Mitte. Vor der Tür standen dreiMitarbeiter der Regierung, die ihm ein gro-ßes Paket mit Unterlagen übergaben, fürdie er so lange gekämpft hatte. In einemBegleitschreiben hieß es, dass die Wahl-periode abgelaufen sei und Spitz deswegennun die Kopien haben könne.

Damit war die Transparenzoffensiveaber auch schon wieder erledigt. Eine An-frage von Spitz zu den aktuellen Umfragenließ das Bundespresseamt bislang unbeant-wortet. Sven Becker, Frank Hornig

Opposition – durchschaut hat, bewegt sieihre Figuren auf dem Brett. Deshalbbraucht sie so lange für ihre Entschei-dungsfindung. So zumindest wurde sie inder Vergangenheit häufig analysiert.

„Merkel neigt niemals zu unüberlegtem,spontanem Handeln“, stellte ihr BiografGerd Langguth schon 2009 fest. Sie lasseihre Minister miteinander streiten undwarte ab, wer sich durchsetzt. „MerkelsPolitikstil ist stark von der Rationalität desDenkens einer Naturwissenschaftlerin ge-prägt“, urteilte der inzwischen verstorbenePolitikwissenschaftler.

Nun zeigt sich, dass es eine profanereErklärung für ihre abwartende Haltung ge-ben könnte: Auch die Bürger müssen sicherst eine Meinung bilden und diese in Um-fragen für die Bundesregierung zum Aus-druck bringen.

Das Herrschaftswissen aus der Demo-skopie verschafft Merkel einen bemerkens-werten Informationsvorsprung gegenüberder politischen Konkurrenz. Einige Um-fragen stehen im Verdacht, dass sie vielmehr den Parteiinteressen dienen als derRegierungsarbeit. Der Regierungsmonitorstellt dreimal jährlich die sogenannteSonntagsfrage, welche Parteien die Befrag-ten bei einer Bundestagswahl wählen wür-den. 2011 und 2012 sollte die Forschungs-gruppe Wahlen bei mehreren Umfragen

herausfinden, ob sich eine rot-grüne Re-gierung nach Ansicht der Deutschen besserum das Gemeinwohl oder langfristige Pro-bleme kümmern würde als Schwarz-Gelb.Seibert informierte Merkel in seinen Zu-sammenfassungen über die Ergebnisse.

Der Bundesrechnungshof kritisiert Um-fragen, die parteipolitischen Interessendienen. Die Erhebung von Daten wie derSonntagsfrage oder der Parteipräferenzohne Zusammenhang mit konkreten Sach-fragen sei unzulässig, erklärt ein Sprecher.Es bestehe die Gefahr, dass die „Chan-cengleichheit der miteinander konkur -rierenden Parteien“ verletzt werde. Re-gierungssprecher Seibert ist sich hingegenkeiner Schuld bewusst: „Das Bundes -presseamt bewegt sich innerhalb seines Auftrags und der dabei zu beachtendenGrenzen.“

Den Vorwurf, sich mit SteuergeldernVorteile zu verschaffen, könnte die Regie-rung schnell aus der Welt räumen, würdesie alle Umfragen öffentlich machen. Abergenau dagegen sperrt sie sich.

Bereits im September 2012 hatte derGrüne Malte Spitz beim Bundespresseamtseinen ersten Antrag auf Akteneinsichtnach dem Informationsfreiheitsgesetz ge-stellt. Er verlangt, dass alle Umfragen mög-lichst bald nach ihrer Erhebung im Internetveröffentlicht werden – im Dienste der