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1 DEUTSCHLANDFUNK - Köln Redaktion Religion und Gesellschaft Tel.: 0221 / 345 1580 Redaktion Rüdiger Achenbach DOSSIER Aus Religion und Gesellschaft Wo die Erde den Himmel berührt - Die Mönchsrepublik Athos Von Manuel Gogos Sendung : . März 2007 Uhrzeit : 19.15 - 20.00 Uhr - unkorrigiertes Manuskript ! - URHEBERRECHTLICHER HINWEIS: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinaus geht, ist unzulässig.

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DEUTSCHLANDFUNK - Köln Redaktion Religion und Gesellschaft Tel.: 0221 / 345 1580 Redaktion Rüdiger Achenbach DOSSIER Aus Religion und Gesellschaft Wo die Erde den Himmel berührt - Die Mönchsrepublik Athos Von Manuel Gogos Sendung : . März 2007 Uhrzeit : 19.15 - 20.00 Uhr - unkorrigiertes Manuskript ! - URHEBERRECHTLICHER HINWEIS: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinaus geht, ist unzulässig.

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DEUTSCHLANDFUNK – DOSSIER – Sdg.: 02.03.2007 Wo die Erde den Himmel berührt - Die Mönchsrepublik Athos Autor: Manuel Gogos Musikeinspielung Agni Parthene, Track 1 00:00-00:25 Zitator 1: In der Nacht, wenn sich alles Schlechte hervorwagt, um im Schutz der Dunkelheit sein böses Spiel zu treiben. Dann ist unsere Zeit angebrochen. Dann sitzt jeder einzelne von uns in seiner Zelle und tritt dem Bösen entgegen und kämpft im Gebet um Gerechtigkeit und Gnade. Jede Nacht aufs Neue flehen wir aus tiefster Seele, dass Gott die Menschen nicht fallen lässt. Sprecher 2: Seit über tausend Jahren entziehen sich die Mönche auf dem Athos der Welt, um für sie zu beten. Das orthodoxe Mönchtum war immer kontemplativ, von geistlicher Einkehr und Erfahrung geprägt. Für orthodoxe Christen ist das Mönchsleben das „engelsgleiche Leben“, die Spiritualität der Mönche ist Leitbild auch für viele fromme Laien. Und der Athos ist bis heute das geistige Zentrum dieser orthodoxen Frömmigkeit. Bis heute zieht es religiöse Rigoristen aus allen Ländern der Ostkirche auf den heiligen Berg im Norden Griechenlands, der schon den Griechen der Antike als ein Wohnsitz der Götter galt: Russen, Bulgaren, Rumänen, Griechen und Serben versuchen in den ihnen Klöstern Gott so nahe wie irgend möglich zu kommen. Zitator 2: Wo die Erde den Himmel berührt. Die Mönchsrepublik Athos. Eine Sendung von Manuel Gogos (über Atmo CD I, Track 1 01:01-01:15 Möven/Meer) Sprecher 1: Der Athos ist ein ganz eigener kleiner Kosmos, der sich von der übrigen Welt abschottet. Es ist deshalb nicht leicht, eine Besuchserlaubnis zu bekommen. Nicht selten dauert es sechs Monate, bis man endlich das „ Diamonitirion“ erhält, das die Einreise erlaubt. Der Weg führt von Thessaloniki über die Chalkidiki bis nach Ouranopolis hinunter. Die „Himmelsstadt“ markiert die Grenze der Halbinsel zur Mönchsrepublik. Von hier aus geht es nur auf dem Seeweg weiter. (über Atmo I, Track 2 00: 16-00:23 Motorboot) Erst als der starke Wind nachlässt, legt das alte, ziemlich heruntergekommene Schiff ab. Es hält sich nahe an der Küste. Wir fahren an felsigen Steilwänden vorbei, in denen man ein Kloster nach dem anderen entdeckt. Mit ihren kühn aufragenden Mauern und den schwindelerregenden Holzbalustraden erinnern sie mich an tibetische Klöster im Himalaja. Das Rückgrat des Landzuges bildet ein Waldgebirge. Es wirkt wie das Rückgrat eines urzeitlichen Tiers, an dessen Kopfende sich der mächtige Gipfel des „Heiligen Berges“ erhebt, zweitausend Meter über dem Meer. In manchen Jahren ist der Berg Athos bis in den Mai hinein von Schnee bedeckt. An klaren Tagen soll von seinem Gipfel aus Konstantinopel zu sehen sein. Oben auf der Spitze steht eine kleine Kapelle, die der Verklärung Christi geweiht ist. Einmal im Jahr, am 6. August, dem Fest der metamorphósis, steigen die Mönche den Berg hinauf, um hier ihre nächtliche Liturgie zu feiern. [über Atmo I, Track 5 Männergemurmel 00:06-00:53] Wir legen in dem kleinen Hafen Daphni an. Ich befinde mich jetzt mitten in einer reinen Männergesellschaft aus Mönchen, Soldaten und Arbeitern. Frauen ist die Einreise prinzipiell verboten. Ein alter Mönch verkauft selbstgeflochtene Gebetsketten. Er hat vergessen , wann er damit angefangen hat. Von Daphni aus kann man in ein kleineres Boot umsteigen, um die Klöstern Grigoríou, Símonos Pétra und Dionysíou zu erreichen. Oder man kann am Fuße des Athos das Kap umrunden. Hier, in der so genannten „Eremiá“ - einer Wüste aus blendend weißem Kies – leben bis heute christliche Eremiten in ihren Höhlen. Nach dem Vorbild des Propheten Hosea:

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Zitator 2: Ich will dich umwerben und in die Wüste entführen. Dort werde ich zu deinem Herzen sprechen. Sprecher 1 über Atmo eintreffende Fahrzeuge: In Dáphni trifft auch der einzige Bus ein, der mich mit Mönchen und Pilgern in die „Hauptstadt“ Kariés bringen soll. Eine hochtourige Fahrt über Schotterpisten beginnt [über Atmo I, Quietschende Sitze, Murmeln]. Immer wieder schaut man durch den Hochwald aus Kastanien aufs Meer. Als wir die Höhe überwunden haben und auf der anderen Seite des Berges wieder hinunter ans Meer gelangen, bin ich am Ziel meiner Reise angekommen: dem Kloster Vatopédi. Musikeinspielung „Soundtrack“, darüber

Sprecher 2: Vatopédi, das in der Hierarchie der Athos-Klöster an zweiter Stelle steht, wurde um 980 von dem Mönch Athanassios gegründet. Er gehörte der Bewegung der sogenannten Studitenmönche an, die von Abt Theodor im 8. Jahrhundert in Konstantinopel ins Leben gerufen wurde. In seinem Regelwerk für das Zusammenleben ging es Theodor besonders darum, die Mönche durch genaue Bestimmungen über die Wirtschaftsführung von allzu eifriger Geschäftstüchtigkeit zurückzuhalten. Das monastische Leben sollte nicht durch das Anhäufen von zu großem Reichtum korrumpiert werden. An diesem Regelkanon orientierte sich auch Athanassios, als er mit der Unterstützung Kaiser Nikephoros Phokas auf dem Athos die ersten Klöster gründete. Bis heute wird Athanassios als Lehrer und Lenker des Athos verehrt. Sprecher 1: Bei der Ankunft im Kloster Vatopedi werden wir Gäste, wie es üblich ist, im Trakt des Gästepaters mit einem Raki und einer Süßigkeit begrüßt, die sich „Loukoumi“ nennt. 400 Jahre Türkenherrschaft in Griechenland haben auch hier ihre Spuren hinterlassen. Die holzgetäfelten Decken erinnern an den Topkapi-Serai in Istanbul. An der Wand hängt ein Ölgemälde: der Athos, umkreist von Schaufelraddampfern. So muss es ausgesehen haben, als vor hundert Jahren die russische Schickeria ihre Ausflüge hierher unternahm. An einer anderen Wand entdecke ich eine Ikone, auf der eine riesenhafte Maria ihren Fuß auf den Athos setzt, als wolle sie ihren Besitz markieren: Ihr ist der Athos geweiht. Sie duldet hier keine anderen Frauen neben sich, selbst die russische Zarin Katharina die Große durfte nicht an Land. Byzantinische Musik DVD „42“ Sprecher 2: Vatopedi ist das größte und wohlhabendste Kloster auf dem Athos. Und in mancherlei Hinsicht auch das Fortschrittlichste. Seine Mönche waren die ersten, die den Gregorianischen Kalender und das elektrische Licht einführten. Der 35 Meter hoch aufragende Uhrturm ist das Wahrzeichen des Klosters. Die mehrstöckigen Aufbauten mit Wohntrakten und Wirtschaftsgebäuden wirken wie eine intakte mittelalterliche Stadt. Es gibt ein Labyrinth von Innenhöfen mit unzähligen Treppen. Die gesamte Klosteranlage mit ihren trotzigen Türmen gleicht eher einer Festung als einer friedvollen Behausung von Mönchen. Das äußere Tor ist zum Schutz vor Angriffen zweifach mit Eisen beschlagen. Eine Erinnerung an die Zeit der osmanischen Piraten und der katalanischen Söldner, die sich daran die Zähne ausbeißen sollten. Sprecher 1: Am Tor treffe ich Pater Mathew, er wird mich durch diese geheimnisvolle Welt der Mönche führen. O-Ton Mathew: Dies war der Originaleingang des Klosters. Siehst Du die Stärke der Türen? // Diese Türen waren notwendig, um sich immer wieder vor den Überfällen der Piraten zu schützen. Und schau dir dieses komplizierte Verschlusssystem an. Es brauchte zwei Schlüssel.

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Mit dem einen Schlüssel öffnete man das eine Schloss, erst dann konnte man mit dem zweiten Schlüssel das andere öffnen. Das heißt, Du musstest schon wirklich reinkommen wollen. Sprecher 1: Überraschenderweise ist der Athos nicht nur ein Ort der Stille und der andächtigen Beschaulichkeit, wie sie seit vielen Jahrhunderten hier gelebt wird. Der Heilige Berg ist offenbar auch im 21. Jahrhundert angekommen. Ein Zeichen dafür sind die vielen Baustellen, auf denen ich Mönche beobachte, die mit dem Handy am Ohr wie geschäftige Bauherren auftreten. Die Europäische Union hat Fördermittel zur Erhaltung der Klöster zur Verfügung gestellt. Pater Mathew erklärt, wie behutsam man dabei vorgehen muss. O-Ton Mathew: Wir versuchen bei unseren Restaurationsarbeiten von der alten Bausubstanz so viel wie möglich zu erhalten. Am Anfang hatten wir damit Schwierigkeiten, aber langsam bekommen wir Erfahrung. Hier kannst Du die alten Türen sehen, das Holz ist wurmstichig, man tauscht aber nur dort einzelne Teile aus, wo es absolut notwendig ist. Sprecher 1: Mathew führt mich in mein Quartier im Kloster. Keine Mönchszelle, sondern ein Gästeraum. Es gibt natürlich keinen Luxus hier, aber asketisch ist es auch nicht gerade. An der Wand hängt eine kleine Reproduktion des Katharinenklosters auf dem Berg Sinai. Sprecher 2: Auf dem Sinai empfing Moses die Gesetzestafeln. Auf dem Berg Tabor wurde Christus vom unerschaffenen göttlichen Licht verklärt. Wie in anderen Religionen haben Berge auch im Christentum eine besondere Symbolik. Sie gelten als „Aufstiegsorte“, als Orte des Kontaktes mit dem Göttlichen. Johannes Klimakus, der im 7. Jh. Abt des Katharinenklosters war, hat die Himmelsleiter darum zur zentralen Metapher christlichen Heilsstrebens gemacht. Atmo , Track 2, Weckruf darüber

Sprecher 1: Die Nächte auf dem Athos sind kurz. Lang vor Sonnenaufgang läuft der Archondáris - der Gästepater - von Tür zu Tür, um die Pilger zu wecken. Atmo Gott in Russland Sprecher 1: Als wir ins Freie treten, liegt der Klosterhof noch im Mondlicht. Wir Gäste gehen gemeinsam zur Klosterkirche. Atmo CD 1, Track 9. Simandron Sprecher 1: Ein Mönch mit dem Simandrón, dem hölzernen Instrument des Rufens, umkreist die Kirche, das Herzstück des Klosters. Hier wird sie „Katholikón genannt. In ständiger Erinnerung an die Passion Christi ist sie blutrot bemalt. Atmo CD 1, Track 10. Gebet am Beginn der Liturgie, Ankommen, darüber

Sprecher 1: Der Gottesdienst wird stehend gefeiert. Im schwachen Dämmerlicht sehe ich ungewaschene und verschlafene Pilger ankommen. Sie verneigen sich vor der Christus-Ikone rechts neben der Bilderwand, bekreuzigen sich dreimal, küssen die Ikone und gehen zurück zu ihrem Platz, um reumütig in ihrem Chorstuhl zu versinken. Nacheinander betreten jetzt die Mönche den Kirchenraum. Sie ziehen ihre schwarzen Tuchschleier über das „ángelos schéma“, das Engelsgewand, weshalb man sie auch die „schwarzen Engel“ nennt. Atmo, darüber

Sprecher 1: Zuerst liest ein Mönch mit halblauter Stimme aus den Lobpreisungen. Dann beginnen einige zu psalmodieren. Ich stehe mit den anderen Laien im hinteren Kirchenraum. Von hier sieht man die eigentlichen Zelebranten nicht. Die Liturgie ist ein Mysterium, bei dem zur Feier des Erscheinens Gottes unter den Menschen nur die Berufenen, die Mönche, zugelassen

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sind. Der Dienst habende Diakon macht feierliche, fast pathetische Gesten inmitten der Weihrauschwaden. Der Halbschlaf verleiht allem eine besondere Atmosphäre. So hat es der deutsche Athos-Reisende Erhart Kästner erlebt:

Zitator 2: Nach Regeln, die man unmöglich durchschaut, wird bald diese, bald jene Lampe heruntergezogen, angezündet, gelöscht. Ein Diakon versieht den Dienst an den Leuchten. Wie er eine Lampe ansteckt, neigt und dreht er den Kopf, um von unten den Docht zu erkennen, blinzelt, der milchige Schein fällt auf die Bartkrause und das unausgeschlafene Gesicht. Mir fällt ein, dass ich sein Beugen und Blinzeln und das Unausgeschlafene genau so im vorigen Jahr sah. Es scheint, die Mönche lieben die Nacht. Das Heilige, sie stellen es gern wieder her, immer wieder und wieder. Atmo, darüber

Sprecher 1: Die schwach blau, grün und rot beleuchteten Heiligen vorn an der Ikonen-Wand sind lebensgroß. Christus in demütiger Haltung. Neben ihm die Muttergottes, und dann Johannes der Täufer, der Prototyp aller Asketen. Ihre Gesichter liegen im Schatten. Unter der Kirchenkuppel stehen sie mit den Mönchen im Kreis wie eine eingeschworene Gemeinschaft. Musikeinspielung „Agni Parthene, Sprecher 2: Die Göttliche Liturgie wird dem berühmten Kirchenvater Johannes Chrysóstomos zugeschrieben, sie gleicht einer unendlichen Vergegenwärtigung der Heilstaten Christi. Die rituellen Handlungen während des Gottesdienstes haben nur ein Ziel: die mystische Vereinigung der Gläubigen mit Christus. Musikeinspielung „Agni Parthene, darüber

Sprecher 1: Schien mir die Liturgie anfangs fast monoton, entdecke ich nach und nach eine subtile Dramaturgie. Während der Chor überschwänglich psalmodiert: „Wir haben das wahrhaftige Licht gesehen“, scheinen die Mönche das himmlische Jerusalem auf die Erde herabziehen zu wollen. Die Morgen-Liturgie dauert über drei Stunden. Aber die Zeit scheint irgendwie stillzustehen. O-Ton Pater Mathew: Es gibt hier immer wieder Leute, die die Erfahrung der Zeitlosigkeit machen. Auch wenn sie sich darüber gar nicht bewusst werden: Sie treten aus der Zeit heraus. Ich erinnere mich an meinen Beichtvater aus den USA, der orthodox wurde wie ich. Wir kamen aus dem Westen und waren nicht an den langen byzantinischen Ritus gewöhnt. Und er sagte: Manchmal erscheinen einem diese Liturgien endlos, aber manchmal auch zeitlos. Sprecher 1: Für Ephraim, den Abt des Klosters Vatopédi, sind das ganz alltägliche Erfahrungen. 1000 Jahre wie ein Tag, sagt er. Und beschreibt mir, wie die Mönche Liturgien durchstehen, die an den hohen Feiertagen sogar über fünfzehn Stunden dauern können: O-Ton Ephraim, Abt von Vatopedi: Nehmen wir zum Beispiel die Osterwoche. Die meiste Zeit verbringen wir in dieser „großen Woche“ in der Kirche. Und häufig fragen uns die Leute, die kommen: wird euch da nicht langweilig, all diese Stunden in der Kirche zu verbringen. Denn sie kommen nur für zehn Minuten, dann werden sie schon wieder unruhig, drehen draußen eine Runde, wechseln ein paar Worte, kommen dann wieder herein und so weiter. Ich antworte diesen Leuten dann immer: Wir Mönche fühlen uns in der Kirche wie das Embryo im Bauch der Mutter. Das langweilt sich nicht. Es ist selig. Es ist in seinem natürlichen Element. Atmo Trapeza, Stühlerücken, das Scheppern der Blechbecher etc., darüber

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Sprecher 1: Der Kirche direkt gegenüber liegt die Trápeza, wo wir morgens um neun unser Mittagessen einnehmen. Dieser Speiseraum wirkt mit seinen Wandgemälden sehr festlich. An der Stirnseite nehmen die Mönche der oberen Hierarchie des Klosters Platz, in ihrer Mitte, eigentlich im Fluchtpunkt des ganzen Raums, sitzt der Abt. Auf sein Zeichen hin dürfen wir uns an die gedeckten Tische setzen. Je sechs Personen passen an einen der Marmorblöcke, die noch aus dem 12. Jahrhundert stammen. Die Mahlzeiten hier sind rustikal: Kolokýthia, gebratene Zucchini, in große Stücke geschnitten, eine Linsen- oder Bohnensuppe mit Paximádi, dem schwarzen Brot, das sechs Wochen haltbar ist, dafür aber vor der Mahlzeit in Wasser aufgeweicht werden muss. Es gibt Fisch, und ein Glas Wein. Auch wenn ich mich ausgehungert fühle: An Fisch und Wein zum Frühstück muss ich mich erst gewöhnen. Während des Essens rezitiert der Vorleser einen Text über die Gefräßigkeit, in dem es heißt, dass wir Menschen nicht wie die Tiere über das Essen herfallen sollen. Denn der Magen, das sei Luzifer. Atmo: Mönche kommen raus, lockere Plauderei nach der Trapeza Sprecher 1: Als die Mahlzeit beendet ist, erheben sich alle Gäste von ihren Plätzen und bilden ein Spalier, bis alle Mönche die Trápeza verlassen haben. Ich wundere mich, wie viele „schwarze Engel“ es in diesem Kloster gibt und wie jung sie sind. Im Durchschnitt vielleicht gerade einmal 35 Jahre alt. Mit ihren blassen Gesichtern und schwarzen Bärten sehen die Mönche so aus wie die Ikonen, die sie verehren. Nach der Trápeza bin ich mit Pater Mathew verabredet. O-Ton Mathew: Wenn du 1985 hierher gekommen wärst, hättest Du gerade einmal ein Dutzend alte Mönche angetroffen, die nicht einmal allzu großes Interesse hatten, das Kloster vor dem Verfall zu retten. Also nur Graubärte, keine Schwarzbärte. Alles war in einem schlechten Zustand, schmutzig, heruntergekommen. Zu der Zeit damals war die Schauspielerin und Sängerin Melína Mercoúri Kultusministerin von Griechenland. Sie wollte aus dem Heiligen Berg ein Museum machen. Als im Jahre 1963 auf dem Athos die Tausendjahrfeier stattfand, haben viele gemeint, das wäre die Beerdigungsfeier. Sprecher 2: Mitte des letzten Jahrhunderts schien das spirituelle Leben auf dem Athos zu erlöschen. Die alten Mönche blieben unter sich, an Nachwuchs war kaum noch zu denken. Erst als die Heilige Gemeinschaft des Athos - mit Unterstützung des Patriarchen von Konstantinopel - die Bruderschaft Josef des Älteren einlud, aus ihrer nahe gelegenen Einsiedelei herüber zu kommen und das Kloster Vatopédi zu übernehmen, veränderte sich die scheinbar ausweglose Situation. Die jungen Mönche belebten die Klöster wieder neu. Seit dieser Zeit steigt die Zahl der Mönche von Jahr zu Jahr. Seit 1990 sind alle Klöster auf dem Athos wieder zur strengen Form des kinovitischen Lebens zurückgekehrt. Athos-Klöster wie Vatopédi erlebten eine Wiedergeburt. Seither entdecken auch junge Griechen wieder den strengen Zauber der Tradition. O-Ton Mathew: Wir haben sehr extreme Reaktionen der Väter auf den Wunsch ihrer Söhne, Mönch zu werden. Und da unsere meisten Mönche aus Zypern kommen, hat dort ein Vater sogar eine Selbsthilfegruppe für betroffene Eltern gegründet. Diese Väter meinen, dass ihre Söhne von unseren charismatischen Führern zum monastischen Leben verführt werden. Sie sprechen von „Gehirnwäsche“ und kämpfen darum, ihre Kinder wieder frei zu bekommen. Sprecher 2: Der Athos hat mittlerweile auch auf Gottessucher aus aller Welt eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Immer häufiger verbirgt sich hinter Bart und Kutte ein Belgier, Deutscher, Australier oder Amerikaner. Sprecher 1: Um unsere Gespräche ungestört fortführen zu können, führt Mathew mich in das Büro des Finanzverwalters des Klosters, Pater Arsenis, ein ehemaliger Marxist, der gerade mit

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dem Kopf des Johannes Chrysostomsos – einer der kostbarsten Reliquien von Vatopedi - durch Griechenland reist, um Spenden zu sammeln. Pater Mathew ist 56 Jahre alt. Sein weißer Bart mäandert über eine geflickte graue Lederjacke, die ihm als Arbeitskleidung dient. Er wurde in Wisconsin geboren und stammt aus einer römisch-katholischen Familie. Schon seit seiner Jugend fühlt er sich zur Religion hingezogen. Als er an der Universität war, brach die Ära der Hippis an und Mathew tauchte damals voll in die Szene ein. O-Ton Pater Mathew: Die Hippis waren Leute, die unzufrieden waren mit dem – was wir den Status Quo nannten. Sie wollten etwas anderes. Sie waren enttäuscht von dem, was ihnen in den westlichen Religionen begegnete, und sie suchten nach alternativen spirituellen Erfahrungen. Viele, und unter ihnen auch ich, begannen sich für die fernöstlichen Religionen zu interessieren. Ich besonders für den Zen-Buddhismus und Yoga. Sprecher 1: Heute meint Mathew, er habe schon mitten in diesem Hippi-Umfeld Erfahrungen der Gnade gemacht. Während einer sechsmonatigen Pilgerreise quer durch die Vereinigten Staaten, auf der er auch orthodoxe Klöster besuchte, lebte er in den Wäldern und Nationalparks, um dort allein zu campen und zu beten. O-Ton Pater Mathew: Ich hatte überhaupt keine Pläne, auf den Athos zu kommen, obwohl ich schon davon wusste. Aber gegen Ende dieser Pilgerreise hörte ich in meinem Herzen eine Stimme. Die wiederholte ständig „Berg Athos“. Zuerst sagte ich: Nein! Das war einfach zu verrückt. Aber diese innere Stimme schwieg nicht. Ich sprach mit meinem damaligen geistlichen Vater darüber, und der meinte: Das hört sich so an, als müsstest du da etwas herausfinden. Sprecher 1: Als er den Athos betrat, erinnert sich Mathew, hatte er sofort das Gefühl seine Suche sei zu Ende. Er war angekommen. Wenn er heute zurückschaut, sieht es so aus, als hätte er lange Zeit nur an der Oberfläche gesucht, zwischen allen Konfessionen, Religionen und Philosophien. O-Ton Pater Mathew: Erst als ich die Orthodoxie fand, habe ich begonnen, die Reise in die Tiefe anzutreten. Das ist es, was jetzt mit mir geschieht: Diese Reise in die Tiefe für viele Jahre. Ich kann die Innigkeit nicht in Worte fassen, die mich zu Gott treibt. Das hier ist es. Da gibt es kein zurück. Musikeinspielung Soundtrack, darüber

Sprecher 2: Das griechische Wort für Mönch, ‚Monachos’, bedeutet ‚der Einsame’. Der Mönch ist ein „Asket“, ein Übender. Unablässig prüft er sich. Am Anfang steht der Bruch mit der Vergangenheit, jene Umkehr, für welche die verschiedenen Traditionen die unterschiedlichsten Namen haben: conversio, metanoia. Doch dazu gehört immer auch ein Leben in der Abgeschiedenheit. In einem Hymnos Symeon dem Neuen Theologen heißt es: Zitator 2: Geht fort von mir, noch weiter fort mit euch. Laßt mich allein in meiner Zelle. Laßt mich mit Gott allein. Niemand darf an meine Türe klopfen. Niemand darf vernehmen lassen seine Stimme. Niemand mich besuchen, Verwandte nicht, nicht Freunde. Niemand darf von der Betrachtung meines Herrn, des Guten, Schönen, meinen Geist ablenken. Niemand reiche Speise mir, niemand gebe mir zu trinken: es ist genug, wenn ich, in meinen Gott versenkend mich, vergehe. Sprecher 1: Die asketische Tradition der Wüstenväter ist sehr lebendig auf dem Heiligen Berg. So jedenfalls scheint es mir, wenn ich mich mit Pater Palamas, dem Stellvertreter des Abts, über

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die Spiritualität der Orthodoxie unterhalte. Er zitiert das „Gerontikon“, das Buch der Alten, viel häufiger als das Evangelium. O-Ton Palamas: Wenn ein Laie aus der „Welt“ – so nennen wir das - auf den Athos kommt um Mönch zu werden, dann sucht er sich einen „Gerontas“, einen spirituellen Vater, der diesen normalsterblichen Menschen in einen Mönch verwandeln soll. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Es ist von großer Bedeutung, dass der werdende Mönch sich dem „Alten“ anvertraut, dass er sich sozusagen in den Geist des „Alten“ einführen lässt. Er soll herangeführt werden an die Tradition, in der der geistliche Vater und das Kloster stehen. Sprecher 2: Vatopédi ist, wie die anderen Athos-Klöster, eng mit den mystischen Traditionen des sogenannten Hesychásmus verbunden. Das griechische „hesychía“ bedeutet „Ruhe“, „Stille“; mit Hesychasmus ist eine bestimmte mystische Spiritualität gemeint, die ihre Wurzeln schon im frühen östlichen Mönchtum hat. Der Athos gilt heute als das Zentrum des Hesychasmus, dessen spirituelle Mystik vor allem eine Jesusmystik ist. Dabei soll für den Mönch die Vergöttlichung Jesu im Herzensgebet erfahrbar werden. Ein klassisches Beispiel ist das monologische Sprechen des Jesusnamens, meist in der Formel: Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner!“ Die ständige Wiederholung in Verbindung mit der zugehörigen Atemtechnik führt dabei zum Eintritt in die Ruhe des göttlichen Urgrundes. [über Atmo Rezitation Jesus-Gebet] Sprecher 1: Pater Mathew erzählt mir, dass es auf dem Athos Mönche gibt, die im Gebet derart geübt sind, dass sie beten können, während sie mit anderen Menschen sprechen. Bei ihnen reicht das Gebet selbst noch bis in den Schlaf und die Träume hinein. Es soll sogar Mönche auf dem Athos geben, die durch ihre mystische Praxis außergewöhnliche Fähigkeiten entwickelt haben. O-Ton Pater Methew: Unser spiritueller „Großvater“, Josef der Ältere der Hesychast, lebte ein sehr asketisches Leben in einem sehr abgelegenen Teil des Heiligen Berges. Eines Tages fing sein Herz buchstäblich an zu brennen. Er fühlte einen unerträglichen Druck in sich, er wusste nicht, wie ihm geschah und wie er damit umgehen sollte. Er konnte nur beten, drei Tage lang, und weinen. Das war in den 40er Jahren. Dann kam ein Mann, der erzählte, dass die Deutschen drei Tage zuvor in Polen einmarschiert waren. Das war der Beginn des zweiten Weltkriegs. Sprecher 1: Mathew kam auf den Athos, um in die Einsamkeit zu gehen, von der die „Väter“ sprechen. Nun lebt er in einem Kloster, das ganz eigene Anforderungen an ihn stellt. So wurde er kürzlich vom Abt für einige Monate nach Thessaloniki gesandt, um dort einen unheilbar kranken Bruder bis zum Tod zu begleiten. Ein anderes Mal musste er sogar für das Griechische Fernsehen vor die Kamera treten, um sein Kloster vorzustellen. Sprecher 2: Vatopédi ist ein Groß-Unternehmen. In den Spitzenzeiten wie Ostern, Weihnachten oder im Sommer, beherbergt man hier täglich bis zu 300 Menschen. Das Kloster unterhält neben einer Großküche, einer Bäckerei, einem eigenen Holzkraftwerk und einer unabhängigen Wasserversorgung auch zwei Keltereien für die Produktion von Wein und Olivenöl. In den dunklen Steinkellern und Vorratskammern des Klosters lagern schwarze Fässer mit Wein, daneben Kästen mit Reis und Bohnen. O-Ton Mathew: Hier wird das Öl des Klosters gelagert. Ursprünglich wurde es in diesen großen Tonkrügen aufbewahrt. Aber das Öl sickert da ganz langsam durch. Dann fanden wir heraus, dass sich Marmor sehr gut dafür eignet, Öl aufzubewahren.

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So füllten wir das Öl in diese Behältnisse. Das sind eigentlich Sarkophage aus dem ersten Jahrhundert, die hier in der Umgebung gefunden wurden. Sprecher 2: Öl war nie nur ein Nahrungsmittel, immer hatte es auch eine sakramentale Funktion. Die Menschen wurden mit Öl gesalbt, oder, wie in der Erzählung vom Samariter im Neuen Testament auch geheilt. In der Geschichte von den zehn Jungfrauen, die sich für die Ankunft des Bräutigams bereithalten, wird das Öl zum Symbol für religiöse Wachsamkeit. Die Mönche vergleichen sich mit den Jungfrauen. Auch sie leben in Nah-Erwartung. Der Herr wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Immer wieder spielen auf dem Athos biblische Geschichten und Wundergeschichten in die alltägliche Erfahrung hinein: O-Ton Mathew : Hier siehst du eine der wundertätigen Ikonen des Klosters. Sie heißt Elaiovrítissa, das heißt die Ölspendende. In der Zeit der türkischen Besatzung wurde irgendwann das Öl im Kloster knapp. Der dafür verantwortliche Mönch befürchtete also, dass man schon bald kein Öl mehr für die Lampen in der Kirche haben würde. Darum gab er Mönchen von auswärts kein Öl mehr ab. Als der Abt davon erfuhr, sagte er, das können wir nicht machen, wir müssen abgeben, Gott wird schon für uns sorgen. Als der Mönch dann an einem Morgen den letzten Rest Öl holen wollte, waren alle Krüge bis zum Rand gefüllt. Sprecher 1: Auch wenn diese Wundergeschichten gern erzählt werden, so verlassen sich die Mönche in ihrem Alltagsleben keineswegs nur darauf, dass Gott für alles sorgen wird. Deshalb gibt es in Vatopédi auch eine Schneiderei, in der die Kleidung der Mönche hergestellt oder ausgebessert wird, eine Schreinerei, ein Fischereibetrieb und sogar eine Kfz-Werkstatt. Hinzu kommen unzählige Felder, Olivenhaine, Obst- und Gemüsegarten. O-Ton Mathew: Die Olivenbäume dort auf dem Bergrücken, alles was du siehst, gehört zu Vatopédi. Noch vor 20 Jahren war das alles verwildert. Mit der Zeit haben wir dann alles wieder kultiviert. Das Kloster besitzt 35.000 Olivenbäume. Das ist mit viel Arbeit verbunden. In der Zeit der Olivenernte muss jeder Mönch, der irgendwie verfügbar ist, bei der Ernte helfen. [Atmo: Glocke kommt näher] Sprecher 1: Zur Zeit der größten Hitze am Tag ziehen sich die Mönche in ihre Zellen zurück. Ich nutze die Gelegenheit, mir die große Bibliothek etwas näher anzuschauen. Die Geschichte des Klosters aus diesen großen Folianten zu rekonstruieren, ist nicht ganz leicht. Immer wieder mischen sich Fakten mit Fiktion. [einblenden Musikeinspielung „Agni Parthene]

Sprecher 1: Die ganze Geschichte der Mönchsrepublik liest sich zuweilen wie ein Krimi: Verflechtungen mit jeweiligen Königshäusern und Kaisern waren sehr eng. Byzantinische Kaiser, russische Zaren und Serbenkönige übertrugen den Klöstern Landbesitz und brachten wertvolle Geschenke dar: seltene Handschriften, Reliquien, wundertätige Ikonen und immer wieder pures Gold. [Musikeinspielung „Gott in Russland“] Sprecher 2: Auch die slavischen Völker haben Klöster auf dem Berg - seine Ausstrahlung durch die Jahrhunderte war gewaltig. In der Geschichte Serbiens zum Beispiel spielte Chilandar, das Athos-Kloster der Serben, eine bedeutende Rolle. Immer wieder soll Chilandar Einfluss auf die Politik im Heimatland genommen haben. Eine serbische Redensart lautet deshalb:

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Zitator 2: Nichts geschieht in Chilandar, ohne dass man es ins Serbien bemerkt - und umgekehrt. Chilandar ist unser Mekka. Sprecher 2: Der Athos beflügelte aber auch die Phantasie der russischen Intelligenzia, etwa die die Fiodor Dostojewskijs. Panteleimonos, das Kloster mit seinen grünen Kuppeln in Zwiebelform erlebte einen ungeahnten Zulauf an Mönchen und russischen Pilgern. Erst nach der Russischen Revolution verebbte dann der Pilgerstrom, der Athos verlor sein „russisches Hinterland“, das Rossikón verwaiste. Heute fließt das Geld wieder und auch die Pilgerströme. Atmo Meer: darüber Musikeinspielung byzantinische Musik] Sprecher 2: Für alles bildet der Berg den Hintergrund. Immer wieder haben europäische Reisende den Athos seiner besonderen Präsenz wegen gerühmt. So auch der berühmte Griechenlandreisende Jakob Philipp Fallmerayer, der 1838 von Konstantinopel aus über die Inseln Lemnos und Thassos bei Nacht mit dem Boot dem Athos entgegenfuhr. Sein Ziel war Vatopedi: Zitator 2: Abends erschreckte uns der Riese, er schien so nahe bei uns. Über der bodenlosen Tiefe an seinem Fuße schwammen wir in die Finsternis. Es war mondlose Mitternacht, wogendes Meer, bedeckter Himmel und Regen, wie das Fahrzeug am Fuße des Riesenkegels vorüberzog… Und als der Morgen graute, war das Phantom verschwunden. Sprecher 2: Für Fallmerayer stellt die Mönchsrepublik einen „orientalischen“ Gegenentwurf zum Fortschrittsglauben seiner Zeitgenossen dar. Der Athos erscheint ihm insgesamt als eine utopische Gegenwelt, die vor der Zerstörungskraft des bloß dem Diesseits zugewandten Okzidents geschützt werden müsse: Zitator 2: Zündet auf Athos die Wälder an und fällt die Urwaldriesen, bald wird mit der grünen Herrlichkeit auch der Bach versiegen, wird der Mastixbaum verdorren, und ihr habt die Künste unserer Zeit über ein unentweihtes Labyrinth gebracht, habt den Sitz des seligsten Entzückens mit Axt und Feuerbrand säkularisiert. Verwitterte, abgenutzte Seelen des Okzidents, nach Athos eilet, den Duft ewiggrüner Laubholzwälder atmet ein, wenn ihr noch der Erhebung fähig seid. Sprecher 1: Tatsächlich dringt heute aus dem Wald der Motorenlärm der Bulldozer. Schon zur Tausendjahrfeier 1963 waren anlässlich des hohen Besuchs von Kirche und Staat Schneisen geschlagen und Pisten angelegt worden, deren Netzwerk bis heute stetig erweitert wurde und deren Narben mittlerweile den ganzen Berg bedecken. Heute muss der Athos durch den Einzug moderner Stromversorgung, des Straßenbaus, eigener Jeeps, Handys, Computer und sogar eigenen Internetseiten seine Überlebensfähigkeit unter radikal veränderten Bedingungen ganz neu unter Beweis stellen. Sprecher 2: Ins Zentrum des öffentlichen Interesses rückt die Mönchsrepublik, die zu Griechenland gehört aber – ähnlich dem Vatikan - einen autonomen Status genießt, heute vor allem durch emotionale Debatten in der Europäischen Union. Zankapfel ist dabei immer wieder das Avaton, das tausend Jahre alte Aufenthaltsverbot für Frauen auf dem Athos. O-Ton Mathew: Wir verteidigen das nicht, weil wir hier eine schöne Herrenrunde haben wollen, eine geschlossene Gesellschaft, oder weil wir denken, dass Frauen irgendwie nur Weltenbürger zweiter Klasse wären. Wir machen uns nicht lustig über die, die in der Europäischen Union gegen unser Sonderecht kämpfen: Sie verstehen einfach nicht wirklich, was wir hier tun. Uns

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geht es einfach darum, dass wenigstens einige Leute versuchen, die Welt in der Balance zu halten, indem sie sich direkt an Gott wenden... Sprecher 2: Das Avaton ist am 14. Januar 2003 per Beschluss des Europaparlaments mit 277 zu 255 Stimmen aufgehoben worden. Der Sonderstatus des Berges wurde als unvereinbar mit der Geschlechtergleichheit in der europäischen Gemeinschaft angesehen. Besonders die Mönche des Klosters Espherigmenou sehen in dieser Argumentation einen Trick teuflischer Mächte, sich in das Hoheitsgebiet der wahren Christenheit einzuschleichen. Und lehnen es ab, sich von laizistischen Politikern aus Brüssel und Straßburg Vorschriften machen zu lassen. Durch ihre kompromisslose Militanz geraten diese Athos-Mönche immer wieder in die Schlagzeilen. Aber es stört sie nicht, was die Weltöffentlichkeit über sie denkt. Aus den Fenster ihres Klosters hängen schwarze Fahnen, und auf einem Felsen gegenüber ihrem Kloster steht in großen Lettern: Orthodoxie oder Tod. Auf Geheiß des Patriarchen von Konstantinopel wurde das Kloster auch schon von der griechischen Militärpolizei umstellt. Die Mönche verschanzten sich und drohten in alter griechischer Partisanenmentalität, sich in die Luft zu sprengen. Hunderte Mönche skandierten dabei gegen das EU-Abkommen von Schengen: Schengen ist der Satan! Sprecher 1: Aber es sind nicht nur die Eiferer aus dem Kloster Espherigmenou, die sich kompromisslos zeigen. Selbst Pater Mathew, obschon ein eher ausgleichendes Temperament, wird in diesem Punkt zum Verteidiger der „Hardliner“: O-Ton Pater Mathew: Wir sind sehr „traditionell“ hier auf dem Heiligen Berg. Wir sind nicht sonderlich „ökumenisch“. Wir wollen zwar, dass die Kirche sich wieder eint. Aber sie soll vereint sein in der Reinheit des Glaubens. Heute sind viele christliche Kirchen stark beeinflusst vom Zeitgeist. Wie soll ich mit ihnen beten? Wir waren darum nicht glücklich über den Besuch des Papstes in Konstantinopel. Die Heilige Gemeinschaft des Athos hat einen offenen Brief an den Patriarchen gerichtet. Viele Leute, die diesen Brief lesen werden sagen: Ah, diese Fanatiker, die Taliban des Christentums. Aber das sind wir nicht. Wir lieben unseren Glauben. Wir sehen in ihm den Rettungsanker für die Welt. Und darum wollen wir ihn beschützen. Sprecher 1: Pater Mathew hält diesen so unzeitgemäßen Exklusivismus der Athos-Mönche für notwendig und unaufgebbar. O-Ton Pater Mathew: Heute sind die meisten Menschen nicht interessiert, das „Kreuz“ auf sich zu nehmen. Sie sind nicht an Enthaltsamkeit interessiert, sie sind nicht interessiert, „Opfer“ zu bringen. Sie wollen direkt in diesem Leben ein Ergebnis ihrer Bemühungen sehen. Die Botschaft der Welt heute ist meistens „postchristlich“. Die Menschen suchen nach etwas Spirituellem, aber sie wollen es konsumieren. Die Orthodoxie gibt uns das aber nicht. Es gibt eben kein leichtes Christentum. Es gibt überhaupt keine wirkliche Spiritualität, die leicht zu haben ist. Sprecher 2: Der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton hat in seiner Schrift zur „Orthodoxie“ die Rechtgläubigkeit gegen ihre postmodernen Verächter verteidigt. Zitator 2: Viele Menschen sind in die alberne Gewohnheit verfallen, Orthodoxie für etwas Schwerfälliges, Langweiliges und Gefahrloses zu halten. Aber nie gab es etwas Riskanteres und Packenderes als sie. Sie war das Gleichgewicht eines von wild galoppierenden Pferden gezogenen Wagenlenkers, der sich hierhin zu beugen und dorthin zu neigen scheint. Es gibt unzählige Punkte, wo man fällt, aber nur einen, wo man steht. Dies ist das fesselnde, romantische Abenteuer der Orthodoxie.

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Sprecher 2: Mönchsein hat auch auf dem Athos immer etwas mit Radikalität und Vollendung zu tun. Die Athos-Mönche leben in Abgeschiedenheit, in einer Art „Reservat“ des wahren Christentums, wie sie es verstehen. Sie empfinden sich dabei nicht als Eckensteher oder Spielverderber auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Vielmehr sehen sie ihren Gotteswinkel als „Omphalos“, als „Nabel der Welt“. Damit scheinen die orthodoxen Mönche so etwas wie Widerhaken unserer Weltkultur zu sein. Sprecher 1: Vor dem Abendgebet machen Pater Mathew und ich noch einen letzten gemeinsamen Gang zum Friedhof des Klosters. Ein frisches Grab trägt den Namen Simon. Das ist der Pater, den Mathew in Thessaloniki bis zum Tod begleitet hat. 46 Jahre ist er alt geworden. O-Ton Pater Mathew: Das ist unser Friedhof. Hier ist nicht sehr viel Platz. Deshalb werden die Mönche zunächst hier begraben. Nach einigen Jahren holt man ihre Knochen wieder heraus und man bringt sie in dieser Kapelle dort unter. Vor ein paar Jahren wollte man die Kapelle von Grund auf reinigen. Da haben sie unter den Knochen wieder eine alte Schicht gefunden, die sich nun die Archäologen ansehen wollen. Sprecher 1: Mit dem Tod wird hier augenscheinlich sehr unsentimental umgegangen. Neben der Kapelle liegen unzählige Knochen auf einem Haufen, die Totenschädel sind wie Holzscheite übereinander geschichtet. Ein klassischer Ort für ein Gespräch über „letzte Dinge“. O-Ton Pater Mathew: .... Das hier ist meine Zukunft. Eigentlich ist es Jedermanns Zukunft. So enden wir alle, egal ob reich oder arm, berühmt oder unbekannt, krank oder gesund. Zumindest was dieses Leben betrifft. Hier siehst du, was Salomon gesagt hat: Alles ist eitel. Übrig sind nur ein paar Knochen. Darum ist es so wichtig, was die Menschen mit ihren unsterblichen Seelen machen. Alles andere ist Staub. Glocken CD „Hymnen“ Ausklang auf Agnoi Parthene, Track1 („Soundtrack“) 06:48-07:07 Zitator 2: Sie hörten „ Wo die Erde den Himmel berührt – Die Mönchsrepublik Athos Eine Sendung von Manuel Gogos Die Redaktion der Sendung hatte Rüdiger Achenbach Eine Produktion des Deutschlandfunks 2007