DFG-Tierversuche in der Forschung · 2020-06-07 · Inhalt 2 Geleitwort 3 Tierversuche: Definition...

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Deutsche Forschungsgemeinschaft Tierversuche in der Forschung

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DeutscheForschungsgemeinschaft

Tierversuche in der Forschung

Impressum

Die Deutsche Bibliothek – CIP Einheitsaufnahme

Tierversuche in der ForschungHrsg. Senatskommission für tierexperimentelle Forschung

Deutsche Forschungsgemeinschaft – Bonn: Lemmens Verlags- & Mediengesellschaft, 2004

ISBN 3-932306-53-8

Herstellung: Lemmens Verlags- & Mediengesellschaft mbH, Bonn

Alle Rechte vorbehalten

Anschrift des VerlagesLemmens Verlags- &Mediengesellschaft mbHMatthias-Grünewald-Str. 1-3D-53175 BonnTelefon: +49 228/42137-0Telefax: +49 228/42137-29E-Mail: [email protected]: www.lemmens.de

Redaktion:Cornelia Exner (verantw.)Hans-Joachim BodeKarin BlumerChristian Giese

Gestaltung:Regina Fischer

Druck: Courir-Druck GmbH, Bonn

ISBN 3-932306-53-8

DeutscheForschungsgemeinschaft

Tierversuche in der Forschung

Herausgeben von derSenatskommission für tierexperimentelle Forschung

unter Mitwirkung vonCornelia Exner (federführend), Hans-Joachim Bode, Karin Blumer und Christian Giese

Inhalt

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Geleitwort 3

Tierversuche: Definition und Zahlen 4Fadenwurm, Fruchtfliege, Maus 5Was ist ein Tierversuch und welche Tiere werden eingesetzt? 6Tierversuche in Zahlen 7

Tierexperimentelle Praxis: Einsatzbereiche für Versuchstiere 8Grundlagenforschung 9Erkenntnisgewinn in der Medizin 11Schwerpunkte der biomedizinischen Forschung 14Transplantationsmedizin 15Zell- und Gewebeersatz beim Menschen 15Stammzellforschung 16Genomforschung, mutagenisierte und transgene Tiere 17Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen 18Tiermedizinische Forschung 19

Tierversuche & Tierschutz: Eine ethische Abwägung 20Ist ein Verzicht auf Tierversuche möglich? 21Gibt es Alternativen zum Tierversuch? 22Grenzen von Alternativmethoden 23Die drei Rs 24Akzeptanz von Tierversuchen 24Die Entwicklung des Tierschutzgedankens in Deutschland 26Ethische Aspekte zu Tierversuchen und das Solidaritätsprinzip 27

Tierversuche in Deutschland: Vom Antrag zur Durchführung 30Europäische Regelungen für Tierversuche 31Tierversuche unter Genehmigungsvorbehalt 32Auslegung des Tierschutzgesetzes für den Bereich Tierversuche 32Was bedeutet aus rechtlicher Sicht „unerlässlich“? 33Was bedeutet aus rechtlicher Sicht „ethisch vertretbar“? 33Genehmigungsverfahren 34Durchführung von Tierversuchen 34Kontrolle des Versuchs 35Belastungen im Tierversuch 36Wer darf Tierversuche durchführen? 37Wie erfolgt die Ausbildung? 37

Resümee 38

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Professor Dr. Ernst-Ludwig WinnackerPräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Professor Dr. Peter GrussPräsident der Max-Planck-Gesellschaft

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft(DFG) und die Max-Planck-Gesellschaft(MPG) anerkennen die mit biologischer

und medizinischer Grundlagenforschung ver-bundene große ethische Verantwortung. Beider Förderung und Durchführung tierexperi-menteller Forschung versuchen sie geradediesem Aspekt ihre besondere Aufmerksam-keit zu widmen.

Tierschutz ist in vielen europäischen Län-dern ein wichtiges gesellschaftliches Thema.In Deutschland ist der Tierschutz auf hohemNiveau gesichert. Im Bewusstsein, dass artge-rechte Haltung und sensibler Umgang mitVersuchstieren nicht nur ethische Notwendig-keit, sondern auch Voraussetzung für dieQualität tierexperimenteller Forschung dar-stellen, haben sich DFG und MPG stets für dieVerbesserung von Haltungsbedingungen undeine möglichst schonende Behandlung vonVersuchstieren engagiert. Tierversuche undErsatz- und Ergänzungsmethoden zum Tier-versuch stehen in einem engen Zusammen-

hang. Im finanziellen Umfang der Forschungs-förderung für Grundlagenforschung nehmenletztere seit langer Zeit einen größeren Raumein als die Tierversuche selbst. Ersatz- undErgänzungsmethoden dienen dem Erwerb je-ner Detailkenntnisse über zelluläre Strukturenund Abläufe, die dann im Tierversuch der Vali-dierung unterworfen werden. Nur in der Kom-bination lässt sich erkennen und verstehen,welche Prozesse in der Natur, im lebendenOrganismus und letztlich – mutatis mutandis –im menschlichen Körper ablaufen. Wir meinen,dass ohne das Experiment am Tier diese kau-sale Forschung nicht möglich ist.

Die von der Senatskommission für tier-experimentelle Forschung der DFG vorgeleg-te Studie entspricht dem in einer Umfrageunter verschiedenen gesellschaftlichen Grup-pen und Experten ermittelten Desideratumeiner aktuellen verständlichen Information zurtierexperimentellen Forschung. Wir wünschenden an Forschung und Tierschutz interessier-ten Lesern eine gewinnbringende Lektüre. �

Geleitwort

Tierversuche:

Definition und Zahlen

Im Jahr 2000 sorgte eine Meldung weltweit fürAufsehen: Wissenschaftlern war es gelungen,das menschliche Genom weitgehend zu ent-

schlüsseln. Die Aufklärung des Erbguts komplexerLebewesen – wie des Menschen, der TaufliegeDrosophila melanogaster, der Ratte und der Maus– gehören zu den großen wissenschaftlichen Leis-tungen der jüngsten Zeit. Aber auch in anderenGebieten der Biowissenschaften wurden großeFortschritte erzielt, beispielsweise bei Erkenntnis-sen über die Struktur von Ribosomen – den Ei-weißfabriken der Körperzellen – und bei Einsatz-möglichkeiten von Stammzellen in der Behand-lung von Krankheiten. Erkenntnisse wie diese tra-gen vielfach zur Verbesserung unserer medizini-schen Versorgung und Ernährung bei und könnenfür eine steigende Lebenserwartung und verbes-serte Lebensqualität sorgen.

Die Fortschritte in den Lebenswissenschaftenwären ohne den Einsatz von Tierversuchen nichtdenkbar. Nur mit ihrer Hilfe konnten in der Ver-gangenheit Zusammenhänge im Organismus nä-her aufgeklärt werden. Dazu gehören die Funk-tion der Sinnesorgane ebenso wie die des Ner-ven-, Hormon- und Immunsystems. Tierversuchewerden auch in Zukunft notwendig sein, beispiels-weise für die Aufklärung der Genfunktionen, denndie Bedeutung einzelner Gene für den Gesamt-organismus kann nur am intakten, lebenden Orga-nismus festgestellt werden.

Versuche an Tieren werden seit Jahrhunder-ten für die Aufklärung physiologischer Zusam-menhänge und die Entwicklung neuer medizini-scher Methoden eingesetzt. Ebenso lange gibt esaber auch Gegner dieser Versuche. Heute wie da-mals werfen diese den Wissenschaftlern vor, dem

Menschen eine Vorrangstellung gegenüber denTieren einzuräumen. Ein weiterer Kritikpunkt be-sagt, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen nichtauf den Menschen übertragen werden könnenund Tieren Leid zugefügt werde, nur um die wis-senschaftliche Neugier zu befriedigen. Aus heuti-ger Sicht wirken manche Versuche aus der An-fangszeit der tierexperimentellen Forschung tat-sächlich grausam, ähnlich wie auch chirurgischeEingriffe an Menschen während dieser Zeit grau-sam anmuten. Dies liegt aber vor allem an den un-zureichenden Operationstechniken und Narkose-möglichkeiten jener Zeit. Die Entdeckung derNarkose war für Mensch und Tier ein Segen, undihr Einsatz bei Tierversuchen ist heute Routine.

Die Kritik an Tierversuchen hat schon im 19.Jahrhundert dazu geführt, dass gesetzliche Rege-lungen für den Einsatz von Tieren in der For-schung erlassen wurden. Diese sind seitdem stän-dig verbessert worden, und heute verfügen alleeuropäischen Länder über detaillierte gesetzlicheVorschriften für die Durchführung von Tierversu-chen. Das deutsche Tierschutzgesetz zählt welt-weit zu den restriktivsten. Es stellt sicher, dassTierversuche nur in einem von der Gesellschaftakzeptierten Umfang erfolgen und staatlichenKontrollen unterliegen. Bevor in Deutschland dieGenehmigung für einen Tierversuch zu biomedizi-nischen Forschungszwecken erfolgt, wird eineTierschutzkommission angehört, in der nebenFachwissenschaftlern auch Vertreter von Tier-schutzverbänden ihren Sitz haben. Diese Kommis-sionen beurteilen, im Rahmen einer Güterabwä-gung, neben der wissenschaftlichen Erforderlich-keit eines Tierversuchs vor allem seine ethischeVertretbarkeit. Diese Entscheidung ist häufig

Tierversuche:Definition und Zahlen

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Fadenwurm, Fruchtfliege, Maus

Das deutsche Tierschutzgesetz in der Fas-sung von 1998 versteht unter Tierversuchen„Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchs-

zwecken an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Lei-den oder Schäden für diese Tiere, oder am Erbgutvon Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oderSchäden für die erbgutveränderten Tiere oderderen Trägertiere verbunden sein können“(§ 7).Tierversuche sind in Deutschland nur für folgendevier Zwecke zulässig: Forschung zur medizini-schen Gesunderhaltung von Mensch und Tier, Er-kennung von umweltgefährdenden Einflüssen,Überprüfung von Arzneien oder Chemikalien aufihre Unbedenklichkeit, Grundlagenforschung.

Das Tierschutzgesetz unterscheidet zwischengenehmigungspflichtigen und anzeigepflichtigenTierversuchen. Prinzipiell gelten die gesetzlichenVorschriften für alle Tierarten, also für Würmerund Insekten ebenso wie für kalt- oder warmblüti-ge Wirbeltiere. Versuche an Wirbeltieren unterlie-gen besonders strengen Auflagen und sind grund-sätzlich genehmigungspflichtig, wenn die Mög-

lichkeit besteht, dass sie mit Schmerzen, Leidenoder Schäden verbunden sind. Bei diesen Tierenwerden auch die Haltungs- und Pflegebedingun-gen staatlich kontrolliert. Zu den anzeigepflichti-gen Tierversuchen gehören insbesondere gesetz-lich vorgeschriebene Tierversuche, beispielsweisedurch das Arzneimittel- oder Chemikaliengesetz,Versuche zur Prüfung von Impfstoffen bei Zulas-sungsverfahren sowie die Entnahme von Organenund Versuche zu Aus- und Weiterbildungszwe-cken (z.B. von Studenten der Biologie oder Medi-zin). In der öffentlichen Diskussion hingegen wirdder Begriff „Tierversuch“ meist breiter verwendetund schließt jeden Einsatz von Tieren auf wissen-schaftlichem oder medizinischem Gebiet ein. DieRichtlinie des Europarates definiert Tierversucheumfangreicher als das deutsche Tierschutzgesetz.Sie berücksichtigt alle Bereiche, in denen Tiere fürVersuche oder zu anderen wissenschaftlichenZwecken herangezogen werden. Tierversuchewerden überwiegend an Nagetieren durchge-führt, insbesondere an Mäusen und Ratten, in ge-

schwierig zu treffen und kann Anlass zu Mei-nungsverschiedenheiten bieten. Bei gesetzlichvorgeschriebenen Tierversuchen, wie beispiels-weise der Überprüfung von Arzneimitteln auf ihreWirksamkeit und Unbedenklichkeit für den Men-schen, bieten die Schutzbelange des Menschenausreichend Grund, um von einer gesondertenethischen Rechtfertigung jedes einzelnen Ver-suchs abzusehen. Um in der tierexperimentellenForschung europaweit einen hohen bioethischenStandard zu sichern, hat die European ScienceFoundation (ESF) – ein Zusammenschluss der for-schungsfördernden Organisationen – ein Grund-satzpapier mit Empfehlungen zum Umgang mit

Versuchstieren erarbeitet, das die Bedeutung vondrei wichtigen Grundsätzen hervorhebt, die in derForschung zu beachten sind. Sie sind als die drei„Rs“ bekannt und haben die Reduzierung (Re-duction) und Verfeinerung (Refinement) von Tier-versuchen sowie die Entwicklung von Ersatz- undErgänzungsmethoden (Replacement) zum Ziel.Diese Grundsätze sind implizit auch im deutschenTierschutzgesetz verankert und werden in diesemum den Aspekt der ethischen Abwägung erwei-tert. Trotz gesetzlicher Regelungen bleiben die Be-denken vieler Menschen gegen Tierversuche be-stehen. Kritiker empfinden die rechtlichen Bestim-mungen weiterhin als unzureichend. �

Tierversuche:Definition und Zahlen

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Was ist ein Tierversuch und welche Tiere werden eingesetzt?

Mäuse

Vöge

l

ande

re Ti

ere

ande

re N

ager

Kani

nche

nFisch

e

Ratte

n

0,83 Nutztiere0,21 Hunde0,09 Affen

0,03 Katzen

3,25,5

1,92,8

14,2

24,2

48,2

WeiterführendeInformationen

auf der CD-ROM

Anteil der Tierarten 2001(in Prozent)

Quelle:Tierschutzbericht 2003 des BMVEL

ringerem Umfang auch an Meerschweinchen. Gro-ße Menschenaffen, wie Schimpansen und Bono-bos, werden seit 1992 in Deutschland nicht mehrfür Tierversuche eingesetzt. Die Fallzahlen der

anderen Affenarten (Hunds- und Breitnasenaffen)und der Halbaffen (Lemuren, Galagos und Loris)liegen bei 0,1% der Versuchstiere und sind in denletzten Jahren annähernd konstant geblieben. �

Tierversuche:Definition und Zahlen

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WeiterführendeInformationenauf der CD-ROM Im Jahr 2002 wurden in Deutschland 2,21 Milli-

onen Versuchstiere eingesetzt. Von 1991 bis 1997fielen die Versuchstierzahlen kontinuierlich ab

und reduzierten sich insgesamt um bis zu 40 Pro-zent. Seit 1998 ist wieder ein Anstieg der Zahlen zuverzeichnen, der vor allem auf den verstärkten Ein-satz von so genannten transgenen Mäusen zurück-zuführen ist. Diese Tiere werden in der biomedizi-nischen Forschung eingesetzt, um genetische Ursa-chen von Erkrankungen aufzuklären und neueTherapieverfahren zu entwickeln. Während in denVorjahren die Zahl von Tierversuchen abnahm, gibtes seit Januar 2000 einen Anstieg der Versuchstier-zahlen, der vor allem Mäuse und Kaninchen betrifftund auf eine geänderte Zählweise der neuen Ver-suchstiermeldeverordnung zurückzuführen ist.Während nach der alten Meldeverordnung nur Tie-re gezählt wurden, die nach § 7 des Tierschutzge-setzes als Versuchstiere gelten, schließt die neueVerordnung auch diejenigen Tiere ein, die für diewissenschaftliche Ausbildung, zur Gewinnung vonImpfseren und Impfstoffen oder zur Organentnah-me zu wissenschaftlichen Zwecken und für Zellkul-turen getötet werden. Rund ein Drittel der erfasstenVersuchstiere wurden für Zwecke verwendet, dienach der alten Rechtslage nicht gemeldet werdenmussten. Die jetzt vorliegenden Versuchstierzahlensind daher nicht mit den Vorjahresdaten vergleich-bar. Vor allem die Aufnahme der zur Organentnah-me schmerzlos getöteten Tiere in die Zählung hatdazu geführt, dass es zu diesem Anstieg der Tier-versuchszahlen gekommen ist.

Zahlreiche der durchgeführten Tierversuchedienen nach wie vor dem Verbraucherschutz: InDeutschland wurden auch 2002 viele der Versuchs-tiere für die Sicherheitsprüfungen, Qualitätskon-trollen oder die toxikologische Prüfung eingesetzt.Hierunter fallen unter anderem die Überprüfungder Verträglichkeit von Arzneimitteln sowie diePrüfung von Substanzen auf ihre Umweltgefähr-dung (beispielsweise Überprüfung der Industrieab-wässer). Viele dieser Tierversuche sind gesetzlichvorgeschrieben und Voraussetzung für die Zulas-sung von Medikamenten oder anderen Stoffen, mitdenen der Mensch in Berührung kommt. ÄhnlicheZahlen wurden auch in anderen europäischen Län-dern erhoben, beispielsweise in Großbritannien.

Die Zahl der für die Forschung eingesetztenVersuchstiere macht etwa 0,5 Prozent aller Tiereaus, die jährlich in Deutschland getötet werden.99,5 Prozent der Tiere werden für andere Zweckegetötet, insbesondere für die menschliche Ernäh-rung. So werden jährlich über 44 Mio. Schweine,über 4,1 Mio. Rinder, 2,2 Mio. Schafe und Ziegensowie etwa 16 600 Pferde geschlachtet (StatistischesBundesamt und Bundesministerium für Verbrau-cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft). DieZahl der geschlachteten Hühner liegt mit etwa 250Millionen noch erheblich höher. Außer zu Ernäh-rungszwecken werden Tiere durch die Schädlings-bekämpfung und durch Jagd und Fischfang ingroßer Zahl getötet. Im Schnitt werden jährlich umdie 250 000 Wildschweine und eine Million Reheerlegt (Deutscher Jagdschutz-Verband e.V.). �

Tierversuche in Zahlen

Mäuse

Vöge

l

ande

re Ti

ere

ande

re N

ager

Kani

nche

n

Fisch

e

Ratte

n

1,04 Nutztiere0,24 Hunde0,06 Affen

0,03 Katzen

3,66,0

2,73,1

9,2

23,4

52,0

Anteil der Tierarten 2002(in Prozent)

Quelle: Pressemitteilung des BMVEL,November 2003

Tierexperimentelle Praxis:

Einsatzbereiche für Versuchstiere

Z iel der Grundlagenforschung ist die Ge-winnung neuer Erkenntnisse, welche dieBasis für die angewandte Forschung bil-

den. Die Grundlagenforschung in der Medizinoder Biologie hat keine unmittelbare Anwen-dung vor Augen, sondern erarbeitet das wissen-schaftliche Fundament, auf dem alle weitereForschung aufbaut. Die medizinische Grund-lagenforschung setzt Labortiere ein, um dieVoraussetzungen für die auf den Patienten bezo-gene Forschung zu erarbeiten. Die so gewonne-nen Erkenntnisse lassen Lebensvorgänge undderen Störungen besser verstehen. Obwohl dieUmsetzung der Ergebnisse aus der Grundlagen-forschung weder planbar ist, noch ihr direkterNutzen kurzfristig abgesehen werden kann, istdie biomedizinische Forschung ohne sie nichtdenkbar.

Viele Ergebnisse der Grundlagenforschungwerden an Zellkulturen gewonnen. In derKrebsforschung sollen diese Versuche das Ver-ständnis der zellbiologischen Grundlagen derEntstehung von entarteten Zellen ermöglichen.In so genannten Tiermodellen, wie der Maus,wird parallel dazu auch die Entwicklung des Tu-mors im lebenden Tier weiter untersucht. Erstwenn die Mechanismen von Tumorentstehungund Wachstum näher bekannt sind, können alsFolge neue Therapieansätze sinnvoll weiter ver-folgt werden.

Auch für die Erforschung von Infektions-krankheiten sind Versuche am Tier notwendig.Dabei geht es darum, die Mechanismen der In-fektionswege und der körpereigenen Abwehrzu entschlüsseln. Grundlagenforschung hat ih-ren festen Platz in der Bakteriologie, Virologie,

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

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Grundlagenforschung

� Bessere Diagnose- und Behandlungsverfahren gegenKrebs

� Bessere Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bei Erkrankungen des Herzens und desBlutgefäßsystems

� Verbesserung der Behandlungsverfahren beiStoffwechselerkrankungen wie des Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)

� Neue Behandlungsformen beiAutoimmunerkrankungen wie Rheuma und Multiple Sklerose (MS)

� Verbesserung der Allergiebehandlung

� Entwicklung von Behandlungsmethoden und Impfstoffen gegen AIDS

� Diagnose und gezielte Behandlung von neuro-logischen Erkrankungen wie Parkinsonsche und Alzheimersche Erkrankung

� Verbesserung der Transplantationsverfahren

� Entwicklung von künstlichen Organen, um ausgefal-lene Organfunktionen zu ersetzen (Biomaterialien)

� Weiterentwicklungen in der Neuroprothetik beiquerschnittsgelähmten Menschen

� Verbesserung der nichtinvasiven Diagnostik (zum Beispiel Computertomographie (CT))

� Erforschung des Potenzials der Stammzellen alsneuer Therapieansatz

� Entwicklung von neuen Ansätzen der somatischenGentherapie bei erblichen Immundefizienzen

Aktuelle Beispiele der medizinischen Forschung

Laufen für die Forschung

Die Zeiten, in denen eine

Labormaus in ein Laufrad steigt,

um sich zu bewegen, sind nicht

willkürlich über den Tag verteilt,

sondern folgen einem tages-

periodischen Rhythmus, der

offenbar genetisch beeinflusst

ist. Mit Hilfe eines Computers

wird die Laufradaktivität

gemessen und ausgewertet.

Parasitologie, Immunologie und der Tropenme-dizin. Erkenntnisse über die Interaktion von Vi-ren und ihren Wirtszellen ermöglichen die ge-zielte Behandlung von Viruserkrankungen (zumBeispiel Grippe, Herpesinfektion oder Pocken)sowie Maßnahmen zur Vorbeugung. Umgesetztwurden diese Erkenntnisse beispielsweise aufdem Gebiet der Schutzimpfungen. Tierversuchesind erforderlich, da die komplexen Zusammen-hänge des Krankheitsgeschehens nur am intak-ten, lebenden Organismus untersucht werden

können. Das gilt auch für vergleichende Unter-suchungen zur Funktionsweise des Nervensys-tems, des Herz-Kreislauf-Systems und der Wir-kungsweise von Hormonen.

Sehr dynamische Entwicklungen findenauch auf dem Gebiet der Genom- und derStammzellforschung statt. Von letzterer erhofftman sich mittels Zell- oder Gewebeersatz neuetherapeutische Ansätze für die Behandlung vonneurologischen Erkrankungen wie der Parkin-son-Krankheit oder beim Herzinfarkt. �

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Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

Beispiele für den Einsatz von Tieren in der Forschung

Kaninchen

Entwicklung von Impfstoffen

Wirksamkeitsprüfung vonArzneimitteln

Rind, Pferd

Impfstoffgewinnung und Entwicklung

VeterinärmedizinischeForschung

Katze

Herzchirurgie

Neurophysiologische Studien

Entwicklung von Hörhilfen

Erforschung der Katzenleukose

Veterinärmedizinische Forschung

Hund

Herz-Kreislauf-Forschung

Herzchirurgie

Knochenmarkstransplantation

Osteosynthese

Diabetesforschung

Veterinärmedizinische Forschung

Schwein

Transplantationschirurgie

Osteosynthese

Notfallchirurgie

Diabetesforschung

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Osteoporoseforschung

Veterinärmedizinische Forschung

Ratte, Maus

Krebsforschung

Stoffwechselerkrankungen

Wirksamkeitsprüfung vonArzneimitteln

Genomforschung

F ortschritte in der Medizin sind untrennbarmit der Grundlagenforschung und demEinsatz von Tierversuchen verbunden. Bei-

spielhaft ablesen kann man die Umsetzung vonErkenntnissen aus der tierexperimentellenForschung in die medizinische Anwendung ander Entwicklung von Behandlungsmethodenfür den Diabetes mellitus, die Zuckerkrankheit.In den zwanziger Jahren des vorigen Jahr-hunderts wurde Insulin als ein Hormon identi-fiziert, das den Blutzuckerspiegel reguliert.Versuche an Hunden und Kaninchen führtenzu dieser Entdeckung und halfen, die Wirkungdes Insulins auf den Blutzuckerspiegel zu ver-stehen und neue Therapien zu entwickeln.1923 erhielten die kanadischen WissenschaftlerFrederick Banting und J.J.R. McLeod für dieEntdeckung des Insulins den Nobelpreis.Hunde und Kaninchen wurden in der physiolo-gischen Forschung später weitgehend durchdie Ratte und die Maus abgelöst. Die schnelleGenerationenfolge dieser Tierarten ermöglichteine gezielte Zucht im Hinblick auf spezielleKrankheitsbilder. Hierzu gehören beispielswei-se die „Diabetesmaus“, die erhöhte Blutzucker-werte aufweist, und die „Zuckerratte“, die eineschwere Fettleibigkeit entwickelt.

Ein weiteres wichtiges Forschungsgebiet,das nicht auf den Einsatz von Tieren verzichtenkann, ist die Immunologie. Sie befasst sichunter anderem mit der Abwehr von Krank-heitserregern oder der Abstoßung von Trans-plantaten nach einer Organverpflanzung. Zahl-reiche Beispiele zeigen den Nutzen von Tier-versuchen in der Entwicklung von Impfseren

und der Untersuchung von Krankheitsver-läufen: die Entwicklung des Antiserums gegenDiphtherie (Meerschweinchen), Impfstoffe ge-gen Gelbfieber und Kinderlähmung (Maus undAffe), Untersuchungen zur Pathogenese derTuberkulose (Schaf und Rind), des Typhus(Maus, Ratte, Affe) und der Malaria (Taube).Dies waren bahnbrechende Fortschritte für dieMedizin. Auch heute noch werden „Tier-modelle“ in der medizinischen Forschung ein-gesetzt. So wurden 1996 die Arbeiten der For-scher Rolf Zinkernagel (Schweiz) und PeterDoherty (Australien) zur Immunantwort desOrganismus auf virusinfizierte Zellen mit demNobelpreis ausgezeichnet. Ihre Erkenntnissegewannen die Forscher unter anderem durchMausversuche. Bei Versuchen an Hamsternund Mäusen gelang es dem Amerikaner Stan-ley Prusiner, Prionen als Auslöser von Krank-heiten zu identifizieren, die zu neuronalen De-generationen führen. Prusiner erhielt 1997 fürdiese Arbeit den Nobelpreis.

In der Chirurgie konnten durch Tierver-suche neue Techniken entwickelt und Opera-tionsmethoden verfeinert werden. Die erstenVersuche zur Verpflanzung von Geweben fan-den bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ander Maus statt. Heute dienen vor allemSchweine, aber auch Hunde und Schafe alsTiermodelle, mit deren Hilfe auf dem Gebietder Nierentransplantation, der Knochenmarks-übertragung und der Herzchirurgie neueMethoden zur Heilung oder Linderung beiOrganerkrankungen des Menschen entwickeltwerden. �

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

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Erkenntnisgewinn in der Medizin

Lernen und

Gedächtnistraining

Kognitive Prozesse, also Lern-,

Gedächtnis- oder Wahr-

nehmungsprozesse, sind bei

vielen psychischen Erkrankungen

beeinträchtigt. Solche Störungen

tragen zu Einschränkungen der

Lebensqualität der Betroffenen

bei. In Tiermodellen werden

neue Therapieansätze und

deren Auswirkungen auf die

Gedächtnisleistung oder das

Lernverhalten untersucht.

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

12

1900

� Behandlung von Vitaminmangelerkrankungen wie Rachitis

� Elektrokardiographie beim Frosch (EKG) und Herzkatheter

� Passive Immunisierung gegen Tetanus und Diphtherie (Kaninchen, Maus, Pferd als Serumspender;Meerschweinchen)

� Erste Transplantationsversuche an der Maus

1920

� Entdeckung des Schilddrüsenhormons und damit Möglichkeiten der Behandlung der Schilddrüsenunterfunktion

� Entdeckung der Blutzuckerregelung durch Insulin (erste Versuche am Hund)

1930

� Therapeutischer Nutzen der Sulfonamide, einer Arzneigruppe synthetisch hergestellter Antibiotika die bei Syphilis eingesetzt wurden

� Impfung gegen Tetanus

� Entwicklung von Blutgerinnungsfaktoren, von modernen Anästhetika und neuromuskulären Hemmstoffen

1940

� Therapie der rheumatischen Arthritis und des Keuchhustens

� Entdeckung des therapeutischen Nutzens verschiedener Antibiotika wie beispielsweise Penicillin und Streptomycin

� Entdeckung des Rhesusfaktors (Kaninchen und Rhesusaffen)

� Behandlung von Lepra

� Faktoren zur Beurteilung der Gewebeverträglichkeit bei Transplantationen

1950

� Schluckimpfung gegen Kinderlähmung

� Entwicklung erster Chemotherapien gegen Krebs

� Herzschrittmacher und Operationen am offenen Herzen

1960

� Impfung gegen Röteln

� Bypassoperation am Herzen

� Therapeutischer Nutzen von Cortison

� Entwicklung von Radioimmunoassays (RIA) für den Nachweis von winzigen Mengen an Antikörpern, Hormonen und anderen Substanzen im Körper

� Entdeckung von Substanzen gegen Bluthochdruck

Tierversuche: Erkenntnisfortschritte in der Medizin

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

13

1970

� Impfung gegen Masern, Ausrottung der Pocken

� Behandlung von Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße

� Herztransplantation

� Entwicklung von neuen, nicht süchtig machenden Schmerzmitteln

� Entdeckung der Onkogenese (= Entstehung und Entwicklung bösartiger Tumoren)

� Lasertherapie bei Netzhautablösung

� Erste Medikamente gegen Viren

� Entwicklung monoklonaler Antikörper (= Antikörper aus Nachkommen von genetisch identischen Zellen) (Maus)

� Verbesserungen in der Intensivmedizin

1980

� Organtransplantationen (Hund, Schwein)

� Einsatz von Cyclosporin, einem Antibiotikum zur Minderung der Abstoßungsreaktion bei Transplantationen

� Implantation von Kunstherzen

� Impfstoffe gegen Hepatitis B

� Azidothymidin (AZT) zur Behandlung von AIDS

� Behandlung der Taubheit mit Hilfe von Cochlea-Implantaten (= Innenohrimplantat) (Katze)

� Cholesterinsenkende Medikamente

� Entdeckung der tumorunterdrückenden Gene

� Untersuchungen zur Entstehung von Krebsmetastasen

� Behandlung von Leukämie im Kindesalter

� Auflösung von Nierensteinen mit Hilfe von Ultraschall

� Diagnose und Behandlung der Borreliose, einer bakteriellen Infektionskrankheit, die durch Zecken übertragen wird

1990

� Verbesserungen auf dem Gebiet der minimalinvasiven Operationstechniken (Endoskopie) zur Schonung des Patienten und dessen schnellerer Genesung

� Neue diagnostische und therapeutische Ansätze bei der Behandlung des Brustkrebses

� Aufschlüsselung von erblichen Dispositionen und Umwelteinflüssen für die Entstehung von Brustkrebs

2000

� Entschlüsselung des Genoms von Drosophila, Maus, Ratte, Mensch

Tierversuche: Erkenntnisfortschritte in der Medizin

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

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Schwerpunkte der biomedizinischen Forschung

In den Ländern der westlichen Welt ist durcheine verbesserte medizinische Versorgungdie Lebenserwartung der Menschen gestie-

gen und die Neugeborenensterblichkeit gesun-ken. Trotz des medizinischen Fortschritts kön-nen viele Krankheiten jedoch nur symptoma-tisch behandelt werden, da ihre Entstehung

noch nicht ausreichenderforscht ist. Die Gesell-schaft setzt daher nachwie vor große Erwartun-gen in Fortschritte aufdem Gebiet der medizini-schen Versorgung.

Bei vielen Erkrankun-gen ist der Erfolg der Be-handlung von einer recht-zeitigen Diagnose abhän-gig. Daher liegt einSchwerpunkt der medizi-nischen Forschung auf derVerfeinerung der diagnos-tischen Verfahren. Nicht-invasive Untersuchungs-

techniken wie die Positronenemissionstomo-graphie (PET) und die Computertomographie(CT), die keinen Eingriff verlangen und daherfür die Patienten schonender sind, sowie dieEntwicklung von Kontrastmitteln eröffnenneue Diagnosemöglichkeiten. Bei der Entwick-lung der Computertomographie, für die 1979der Amerikaner Allan M. Cormack und derEngländer Godfrey N. Hounsfield den Nobel-preis erhielten, diente neben anderen Tierendas Schwein als Modellorganismus. In derVeterinärpraxis kommen diese verfeinertenDiagnoseverfahren auch den Haustierenzugute. Erfahrungen der Humanmedizin mitder Ultraschalldiagnose, dem Röntgen oder derComputertomographie werden auch in dermodernen Tiermedizin genutzt.

Bei chronisch verlaufenden Erkrankungen,wie dem Diabetes mellitus, dem Rheuma undder Multiplen Sklerose (MS), aber auch beiAllergien geht es um die Entwicklung von Be-handlungsverfahren, die die belastenden Symp-tome abschwächen und die Lebenserwartungverlängern. �

� Zellbiologische und molekulargenetische Grund-lagen der Entstehung und des Wachstums vonKrebszellen

� Funktion von Viren und deren Interaktion mitWirtszellen – gezielte Behandlung von Virus-infektionen

� Funktion des Nervensystems und der Hormone

� Funktion des Herzens und der Blutgefäße für dasVerständnis von Kreislauferkrankungen

� Immunbiologie und Parasitologie

� Forschung an Stammzellen zur Entwicklung vonBehandlungsmethoden bei neurologischen Er-krankungen (zum Beispiel Morbus Parkinson)oder bei Gewebeersatz (zum Beispiel Herzinfarkt)

� Erforschung von Krankheiten der Tropen undSubtropen wie Malaria und hämorrhagische Fieber

� Gentransfer zur Behandlung von erblich be-dingten Erkrankungen

� Neurobiologische Forschung zum besserenVerständnis der Gehirnfunktionen

� Funktion und Zusammenwirken von Genen(Genomforschung)

� Entstehung und Entwicklung von Organen

� Kontrolle der Genexpression zur Aufklärung vonFunktion und Funktionsstörungen des Kreislauf-systems, der Fortpflanzungsorgane, desHormonsystems u.a.m.

� Knockout-Mäuse und transgene Mausstämme alsTiermodelle für Krankheitsbilder des Menschen(zum Beispiel Taubheit, Stoffwechselstörungen)

Aktuelle Forschungsschwerpunkte der Grundlagenforschung

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Infektions-erkrankungen

Krebs

Atemwegs-/Magen-Darm-Erkrankungen

Unfälle

Sonstige

29 %

29 %9 %

13 %

10 %

10 %

Ursachen für 53,9 Millionen Todesfälle weltweit

Quelle:WHO, 2001

I n Deutschland werden derzeit etwa 3 500Organtransplantationen pro Jahr durchge-führt. Für die Empfänger der Organe ist die-

ses Verfahren entweder lebensrettend oderbedeutet eine entscheidende Verbesserung derLebensqualität. Die operativen Technikensowie alle Verfahren zur Vermeidung von Ab-stoßungsreaktionen wurden vornehmlich intierexperimentellen Studien entwickelt. IhreWeiterentwicklung ist auch zukünftig auf vor-klinische Untersuchungen unter Verwendungtierexperimenteller Modelle angewiesen. Zieldieser Versuche ist eine verbesserte Versor-gung der Patienten und eine längere Funk-tionszeit der Spenderorgane. Auf dem Gebietder Immunsuppression (Unterdrückung derkörpereigenen Abwehrmechanismen gegendas Spenderorgan) müssen Konzepte mit gerin-geren Nebenwirkungen für den Organempfän-ger entwickelt werden. Ein weiteres Ziel istauch die Verbesserung der begleitenden chir-urgischen Technik und der Konservierung derSpenderorgane auf dem Transportweg.

Die so genannte Xenotransplantation (vongriechisch xenos = Fremder), bei der Organevon einer Tierart zur anderen oder vom Tier aufden Menschen übertragen werden, nimmt in derTransplantationsforschung eine Sonderstellungein. Ziel der Experimente ist es, Tierarten zu fin-den, deren Organe aufgrund biomedizinischerund physiologischer Übereinstimmung für dieTransplantation geeignet sind. Aus anatomi-schen und physiologischen Gründen wird der-zeit das Hausschwein als aussichtsreichsterOrganspender für den Menschen angesehen.Insofern stellt die tierexperimentelle Forschunghier eine bedeutsame Schnittstelle zur Nutztier-forschung dar.

Die Möglichkeiten der Xenotransplantationwerden derzeit kontrovers diskutiert. Eine naheliegende Form der Nutzung dieser Technik liegtin der Überbrückung von klinischen Notfällen,wenn kein geeignetes menschliches Spender-organ sofort zur Verfügung steht. Derzeit befin-det sich die Forschung auf diesem Gebiet nochin einem sehr frühen Entwicklungsstadium. �

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

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Transplantationsmedizin

Eine Vielzahl heute bekannter Erkrankungenberuht auf dem Verlust von Zellen oder Ge-weben oder ihrer Funktionsfähigkeit. Bei de-

generativen Krankheiten wie der ParkinsonschenErkrankung oder der Alzheimer-Erkrankung,aber auch durch Unfälle, Herzinfarkt oder beiArthrose, kommt es zum Zell- oder Gewebeun-tergang mit erheblichen Auswirkungen auf dieLebensqualität der Erkrankten. Die medikamen-

töse Behandlung, chirurgische Korrekturen unddie Implantation von Geweben (Haut oderNervenzellen) oder biomechanischen Systemen(Herzklappen, Kunstherzen, Herzschrittmacher,künstliche Gelenke) sind Verfahren, die sich aufTierversuche stützen. Mit der künstlichen Züch-tung von körpereigenem Ersatzgewebe, dem sogenannten „tissue engineering“, könnte es inZukunft möglich werden, den Verlust von Zellen

Zell- und Gewebeersatz beim Menschen

Mensch oder Tier?

Operationen am Tier werden

unter ähnlich technischem

Aufwand durchgeführt

wie am Menschen.

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

16

Z iel der Stammzellforschung ist es, dieGrundlagen der Zelldifferenzierung unddie Möglichkeiten ihrer Beeinflussung

zu entschlüsseln. Bei Stammzellen handelt essich um Zellen, die noch weitgehende Tei-lungs- und Entwicklungsfähigkeit besitzen.Die „totipotenten“ Stammzellen sind Alles-könner, aus denen sich vollständige Lebe-wesen entwickeln können. Bei den „pluripo-tenten“ embryonalen Stammzellen ist diesnach heutigem Wissensstand nicht mehr derFall, sie verfügen jedoch noch über ein viel-fältiges Entwicklungspotenzial. Dies gilt auchfür die „adulten“ (erwachsenen) Stammzellenaus fertig entwickelten Organen, wie Kno-chenmark, Haut oder Zentralnervensystem,die Schäden im Organismus reparieren kön-nen.

Tierversuche in der Stammzellforschunghaben eine lange Tradition in der Entwick-lungsbiologie, die sich mit dieser Thematikintensiv auseinandergesetzt hat. Ein Ziel derbiomedizinischen Forschung ist die Entwick-lung neuer Therapieansätze für derzeit nochnicht heilbare Krankheiten. So kann man imTierversuch durch die Übertragung vonStammzellen aus der Bauchspeicheldrüse(Pankreas) ausgewachsener Mäuse den Dia-

betes vom Typ I bei Mäusen beeinflussen.Auch bei der Behandlung von querschnitts-gelähmten Ratten wurden erste Erfolge er-zielt. Embryonale Stammzellen aus dem Ge-hirn waren in der Lage, eine Art Brücke zwi-schen den Rückenmarksstümpfen zu bilden,was den Tieren eine eingeschränkte Beweg-lichkeit zurückgab. Auch über das Potenzialder möglichen Differenzierung von Gewebe-stammzellen konnten mit Hilfe des Tierver-suchs erste Erkenntnisse gewonnen werden.Es gibt Hinweise, dass sich Stammzellen ausdem Knochenmark im Gehirn zu Nerven-zellen entwickeln, die den übrigen Neuronendes zentralen Nervensystems ähneln. Einlangfristiges Ziel ist es, aus menschlichenStammzellen komplexe Zellverbände oderganze Organe für die Transplantation zuzüchten. Fortschritte auf diesem Gebiet wür-den das Risiko von Unverträglichkeits- undAbstoßungsreaktionen deutlich reduzieren.

Das Potenzial der Stammzellen und derenMöglichkeiten des medizinischen Einsatzessind immens, und es sind zusätzliche zellbio-logische Studien und Tierversuche erforder-lich, um die Verwendbarkeit von embryona-len und adulten Stammzellen zur Heilung vonGewebeschäden auszuloten. �

und Geweben durch patienteneigenes Materialzu ersetzen. Die Verwendung von Stammzellen,wie in der Knochenmarkstransplantation bereitserfolgreich angewendet, kann die Möglichkeiteröffnen, bestimmte Gewebe nachwachsen zulassen. Durch so genannte „Biohybrid-Implan-

tate“ werden darüber hinaus körpereigene Zell-strukturen und Funktionen mit elektronischenoder mechanischen Implantaten kombiniert.Auch im Bereich der Biosensorik (implantierbareelektronische Seh- und Hörhilfen) sind neue Ent-wicklungen zu erwarten. �

Stammzellforschung

In vitro-Versuche mit

Mäusestammzellen

Embryonale Stammzellen

der Maus differenzieren sich

in Nährmedien zu leberzell-

ähnlichen Strukturen aus,

die in der Lage sind,

das Protein Albumin- (grün)

und alpha-1-Antitrypsin (rot)

zu produzieren.

D ie Genomforschung befasst sich mit derErfassung und Entschlüsselung derFunktion der Erbanlagen von lebenden

Organismen. Hierbei interessiert nicht nur diereine Buchstabenfolge des genetischenCodes, sondern vor allem die Funktion derGene, da in ihnen der Schlüssel zum Aufbaudes Körpers und zur Wechselwirkung zwi-schen den Organen liegt. Um diese in einemkomplexen Organismus analysieren zu kön-nen, ist es notwendig, gezielt Veränderungenim Erbmaterial herbeizuführen. Dies kanndurch Übertragung von Genen oder durcheine chemische Behandlung des Erbmaterials(Mutagenese) erreicht werden. Auswirkungenim „Phänotyp“ der Tiere – also beim Aussehenoder Verhalten, bei Organfunktionen oder imBlutbild – ermöglichen Rückschlüsse auf diegenetischen Grundlagen dieser Veränderun-gen. Für diese Versuche werden so genannteModellorganismen wie Fliegen, Fadenwür-mer, Zebrafische, Mäuse oder Ratten herange-zogen. Bei der Erforschung menschlicher Er-krankungen nimmt die Maus eine besondereStellung ein, da das Mausgenom und dasmenschliche Genom große Übereinstimmun-gen aufweisen. Sowohl das menschliche alsauch das Mausgenom sind inzwischen ent-schlüsselt.

Tiere, bei denen Abschnitte der Erbsub-stanz (DNS) gezielt verändert wurden, werdenals transgene Tiere bezeichnet. Ein Ziel bei derEtablierung solcher Zuchtstämme ist es, Tieremit definierten Funktionsausfällen zu züchten.Es ist gelungen, Gene zu identifizieren, die so-wohl beim Menschen als auch bei der Maus ander Entstehung des Diabetes mellitus (Zucker-krankheit) beteiligt sind. An den Maus-stämmen können neue Therapieansätze für

diese bei Menschen weit verbreitete Krankheitentwickelt werden. Auch für die Erforschungvon Krankheiten wie Krebs, Fettleibigkeit undTaubheit existieren bereits entsprechendeZuchtstämme. Beispielsweise ist bei Maus undMensch das gleiche Gen für die Entstehungvon Dickdarmkrebs verantwortlich, und mansucht derzeit nach Möglichkeiten, diese entar-teten Zellen zu beeinflussen.

Wie bei anderen Tierversuchen fordertdas Tierschutzgesetz auch für die Her-stellung von genetisch veränderten Tierenbereits im Vorfeld eine ethische Abwägungund Einschätzung der Belastung für dieElterntiere und die nachfolgenden Genera-tionen. Operative Eingriffe, wie die Übertra-gung der Eizelle in die Ammenmütter oderdie Durchtrennung der Samenleiter bei denmännlichen Tieren, werden unter Narkosevorgenommen und sind für das Einzeltier mitgeringen Belastungen verbunden. Bei denNachkommen ist der Grad der Belastung oftnicht vorhersehbar. Die Erfahrung hat abergezeigt, dass sich transgene Tiere häufig inihrem Erscheinungsbild kaum oder gar nichtvon den so genannten Wildtyp-Tieren unter-scheiden. Offensichtlich wirken das intakteGen oder andere Gengruppen den Beein-trächtigungen entgegen. Bei transgenenTieren, die bezüglich des eingefügten Merk-mals mit der gleichen Erbanlage ausgestattetsind (so genannte homozygote Tiere), mussbei etwa fünf Prozent der Nachkommen mitAusfällen gerechnet werden. Die Schwereder Belastung kann von gering bis hochgra-dig variieren oder die Embryonalentwicklungkann so stark gestört sein, dass es bereits vorder Geburt zum Absterben der Embryonenoder Föten kommt. �

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

17

Genomforschung, mutagenisierte und transgene Tiere

WeiterführendeInformationenauf der CD-ROM

Tumortherapie bei Fischen

Fehlen den Platie-Kreuzungen

die Kontrollgene über ein

Tumorgen, so können sich in der

Haut Melanome bilden. Die

Fische erscheinen ganz dunkel

pigmentiert und mit Tumoren

übersät (links). Nach einer

dreimonatigen Behandlung

mit einem Hormon, das die

terminale Differenzierung der

Tumorzellen verhindert, kommt

es zu einer drastischen

Rückbildung des Tumor-

geschehens (rechts).

D ie Bestandteile von Körperzellen und diebiochemischen Mechanismen, die denLebensvorgängen zu Grunde liegen, wei-

sen bei den verschiedenen Tierarten sehr großeÄhnlichkeiten auf. Die molekulare Genetik kannbeweisen, dass alle heute lebenden Organismenden gleichen Ursprung haben und dass für denKörperaufbau verantwortliche und im Laufe derZeit modifizierte Gene die materielle Basis für dieAbfolge der Lebewesen durch alle Erdzeitalterbilden. Durch diese Ähnlichkeiten sind sogarVergleiche menschlicher Gene und Stoffwechsel-prozesse mit denen von Bakterien, Pilzen undHefen möglich. Somit ist bei Eingriffen in die all-gemeinen Stoffwechselwege prinzipiell eineÜbertragbarkeit der wissenschaftlichen Befundevon Mikroorganismen auf Tiere und Menschenzu vermuten.

Bei höher entwickelten Tieren und beimMenschen sind die Körperfunktionen jedoch we-sentlich komplizierter als bei niedrigeren Orga-nismen, da sie auf einer Vielzahl von spezialisier-ten Zelltypen und Organen beruhen. So kann einWirkstoff in der Leber zwar eine gewünschte Wir-kung besitzen, aber von den Leberzellen che-misch so verändert werden, dass dabei eine fürdas Zentralnervensystem schädigende Verbin-dung entsteht. Dies zeigt, dass die Übertragungvon Reaktionsweisen aus Zellverbänden auf dengesamten Organismus äußerst schwierig seinkann. Aus diesem Grund sind neben Untersu-chungen auf zellulärer Ebene (Ergänzungsme-thoden) stets auch Untersuchungen am Gesamt-organismus notwendig. Wegen der Ähnlichkei-ten von Zell- und Organfunktionen bei Säuge-tieren geht man davon aus, dass eine Übertrag-barkeit vom Tier auf den Menschen meistensmöglich ist. Diese Grundvermutung gilt sowohlfür die erwünschten als auch für die schädigenden

und toxischen Wirkungen eines Stoffes. DurchTierversuche lassen sich erwünschte und etwa 70Prozent der unerwünschten Wirkungen, die denMenschen betreffen, vorhersagen. Ein Beispielhierfür ist die Acetylsalicylsäure (Wirkstoff desSchmerzmittels Aspirin®). Sie wirkt bei Ratte undMensch schmerzlindernd, aber bei beiden kannes nach der Einnahme zu erhöhter Blutungs-neigung kommen. Weitere Beispiele stellen dieEffekte von Baumaterialen und Lösungsmittelndar, die sowohl auf Ratten als auch auf Menschenschädigende Wirkung haben: Asbest führt beibeiden zu Lungenkrebs, Kunststofflösungsmittelzu Leberkrebs. Aus diesen Erfahrungen lässt sichableiten: Sicherheits- und Wirksamkeitsprüfun-gen im Tierversuch können das Risiko neuerBehandlungsmethoden für den Menschen erheb-lich senken. Dass die Testung von Substanzen imTierversuch nicht immer zu einer hundertprozen-tigen Sicherheit für den Menschen führt, hat inden 1960er Jahren die Contergan-Katastrophe intragischer Weise deutlich gemacht. Bis zu diesemZeitpunkt hat niemand die mögliche keimschädi-gende Wirkung des Medikaments gesehen.

Die Übertragbarkeit der Ergebnisse vomTier auf den Menschen gilt auch im umgekehr-ten Sinne: Arzneien, die erfolgreich für die Be-handlung von Menschen eingesetzt werden,können auch für Haustiere genutzt werden.Auch in der Beurteilung von Schmerzen undEmpfindungen bei Tieren ist die Grundannahmeder Übertragbarkeit ein wichtiger Aspekt. Deranatomische Aufbau des Gehirns sowie die Erre-gungsleitung bei Schmerzen und ihre Erfassungim Zentralnervensystem sind bei höher ent-wickelten Tierarten ähnlich. Dies lässt daherAnalogieschlüsse über das Schmerzempfindenund möglicherweise auch über die Leidens-fähigkeit zu. �

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

18

Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen

Tierexperimentelle Praxis:Einsatzbereiche für Versuchstiere

19

D ie Ergebnisse aus der tierexperimentel-len Forschung, die für die Humanmedi-zin genutzt werden, kommen auch bei

der Entwicklung neuer Diagnose- und Be-handlungsverfahren in der Tiermedizin zumEinsatz. Ein Beispiel für die Übernahme vonBehandlungsmethoden aus der Humanmedi-zin ist die Tumortherapie bei Kleintieren. Inder Regel ist die Übertragung ohne Schwierig-keiten möglich, da die in der Humanmedizinpraktizierten Verfahren durch Tierversuche

erarbeitet wurden. Aber auch die Veterinär-medizin kann auf den Einsatz von Versuchs-tieren in der Grundlagenforschung und derEntwicklung neuer Behandlungsmethodennicht verzichten. Hier wird die Fragestellungmeist so ausgerichtet, dass Tiere der Art in dieUntersuchungen einbezogen werden, bei de-nen später das Verfahren auch in der Praxiszum Einsatz kommen soll. Die Untersuchungerfolgt an der Zieltierart, also am potenziellenPatienten selbst. �

Tiermedizinische Forschung

Labortiere helfen

unseren Haustieren

Oft werden an solchen

Tierarten Untersuchungen

durchgeführt und neue

therapeutische Verfahren

erprobt, die in

der tierärztlichen Praxis

die Patienten sind.

Tierversuche & Tierschutz:

Eine ethische Abwägung

S eit Beginn der tierexperimentellen For-schung wird von ihren Gegnern oft einvölliger oder teilweiser Verzicht auf Tier-

versuche gefordert. Sie weisen stattdessen aufdie Möglichkeiten der Naturmedizin oderMedizinen anderer Kulturen hin, derenMethoden und Wirksamkeit in der Regel jedochwissenschaftlich nicht gesichert sind. ImGegensatz zur so genannten Erfahrungs- oderAlternativmedizin verfolgt die konventionelleeuropäische Schulmedizin den Weg der ur-sächlich begründeten Therapie, um Krankheits-verläufe zu verstehen und neue Behand-lungsmethoden entwickeln zu können.

Ein Verzicht auf Tierversuche könnte eineunverantwortbare Verlangsamung des medizi-nischen Fortschritts bedeuten und damit dieHeilungschancen für kranke Menschen deut-lich schmälern. Die biomedizinische Forschungbefindet sich zur Zeit in einer rasanten Ent-wicklung, und mit neuen Methoden sind in dennächsten Jahren viele neue Erkenntnisse zuerwarten. Deutschland würde bei einem Allein-gang in kürzester Frist den Anschluss an dieinternationale Forschung und damit auch denunmittelbaren Zugang zu Erkenntnissen verlie-ren. Die Verlagerung der Tierversuche ins be-nachbarte Ausland hat global betrachtet keinenEinfluss auf die Entwicklung der Tierversuchs-zahlen und auf die Tierversuche selbst. Eskommt lediglich zu einer Verschiebung in Län-der, in denen weniger strenge Regelungen be-stehen. Der Schutz des einzelnen Tieres wirddadurch nicht verbessert. Man kann davon aus-gehen, dass medizinische Fortschritte, die sichaus exportierten Tierversuchen ergeben, auch

hierzulande weiter genutzt würden. Dies könn-te den Vorwurf der Doppelmoral begründen.

Ein vollkommener Verzicht auf Tierver-suche in Deutschland ist schon deshalb nichtmöglich, weil zahlreiche Versuche aufgrundnationaler und internationaler gesetzlicher Vor-schriften durchgeführt werden. Zu diesen ge-hören Chemikaliengesetze, Arzneimittelricht-linien und Umweltgesetze. Zum Schutz desVerbrauchers und zur Risikoabwägung hat derGesetzgeber diese Substanzprüfungen vorge-schrieben. Derzeit wird für die Zulassung einesMedikaments eine Prüfung auf seine� sofort einsetzende giftige Wirkung, also

seine akute Toxizität,� seine durch längere Einwirkung von gerin-

gen Dosen bedingte chronische Toxizität,� seine Krebs erzeugende, also karzinogene

Wirkung� und seine Wirkung auf das ungeborene Le-

ben, die teratogene Wirkungim Tierversuch gefordert. Solche Prüfungensind nur im intakten Organismus möglich.Allerdings können Teilaspekte dieser Prüfun-gen vorab in Zellkulturen erforscht werden.Von Seiten der Forschung sind Alternativenentwickelt worden, die die Zahl der Tierver-suche verringern und unnötiges Leiden vonTieren vermeiden helfen. In vielen Fällenkönnte eine Angleichung nationaler und inter-nationaler Gesetze den nötigen Umfang derSicherheitsprüfungen verringern. So wird nachwie vor der so genannte LD50-Test zur Prüfungder akuten Toxizität in den internationalenRichtlinien gefordert. Bei diesen Testreihenwird die Konzentration einer zu testenden

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

21

Ist ein Verzicht auf Tierversuche möglich?

Hygiene im Tierbestand

ist oberstes Gebot

Tierpfleger und Wissenschaftler

müssen sich vor dem Betreten

der Tierräume vermummen, um

eine mögliche Infektionsgefahr

für die Tiere auszuschließen.

Substanz ermittelt, bei der 50% der Tiere einerGruppe sterben. Sowohl das Protokoll als auchdie Anzahl der Tiere und die Tierarten sind vor-geschrieben. In der Grundlagenforschung, vorallem aber in den toxikologischen Fächern, ha-

ben die LD50-Tests an Bedeutung verloren, undes wird diskutiert, ob die Prüfung der akutenToxizität im so genannten LD50-Test in diesemUmfang für den Verbraucherschutz wirklich inallen Fällen sinnvoll und notwendig ist. �

D ie Forderung nach „alternativen Metho-den“ oder „Ersatzmethoden“ für Tierver-suche ist in den letzten Jahrzehnten

immer lauter geworden. Im Idealfall handelt essich dabei um Methoden, die vollständig aufden Einsatz von Tieren verzichten. Gemeintsind in diesem Zusammenhang vor allem Arbei-ten mit Zelllinien. Dies ist in der Tat ein Idealfall– im Sinne eines Wunschbildes –, denn dieKomplexität eines Organismus, also das Zu-sammenwirken von Organen und Geweben,kann nicht vollständig durch künstliche Syste-me ersetzt werden. Schon jetzt nehmen Ver-suchsmethoden außerhalb des Organismus, sogenannte in vitro-Verfahren (in vitro = „imGlas“), einen großen Raum in der Forschungund der Forschungsförderung mit staatlichenMitteln ein. Zelluläre und molekulare Detailsder Wirkung und des Stoffwechsels von Medi-kamenten können auf diese Weise geklärt wer-den. Bei der Arbeit mit in vitro-Systemen sind inden letzten Jahrzehnten erhebliche methodi-sche Fortschritte gemacht worden. Aber trotzaller Verbesserungen kann mit diesen Verfah-ren der intakte Organismus nicht ersetzt wer-den, und dessen Reaktion muss letzten Endes invivo („im Leben“), also im Tierversuch, geklärtwerden. Sowohl in der Grundlagenforschungals auch in der industriellen Forschung werdendeshalb biochemische Detailfragen in vitrountersucht, am Ende stehen jedoch meist die

Tierversuche, um die Zusammenhänge imOrganismus zu klären. Beide Vorgehensweisenergänzen sich.

Für die Herstellung von Organ- und Zell-kulturen müssen Tiere getötet werden. Zell-linien von Mensch und Tier, die über viele Ge-nerationen hinweg gelagert und kultiviert wer-den können, können sich im Laufe der Zeit ver-ändern. Sie erlauben zudem nur die Analyse be-stimmter biochemischer Detailfragen. Für dieKultivierung der Zelllinien ist oft Kälberserumaus Schlachttieren als Nährsubstanz notwendig,um die Teilung, das Wachstum und die Differen-zierung der Zellen anzuregen. Dennoch habendie Untersuchungen an Zellkulturen und Zell-linien zu einer Reduzierung der Tierversuchs-zahlen geführt. Dies ist gerade auf dem Gebietder Arzneimittelprüfung und bei der Entwick-lung pharmakologischer Substanzen der Fall.

In der Grundlagenforschung hat die Forde-rung nach Alternativmethoden eine andere Be-deutung. Tierversuche sind hier notwendig,wenn physiologische Zusammenhänge und ihreStörungen im Organismus aufgeklärt werdensollen. Dazu gehören Untersuchungen des Zen-tralnervensystems und der Verarbeitung vonSinnesreizen, das Zusammenspiel des Kreislauf-systems, des Verdauungsapparates, des Hor-monsystems, des Immunsystems sowie dieGrundlagen des Verhaltens. Bei der Geneh-migung von Tierversuchen prüfen die Behörden,

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

22

Gibt es Alternativen zum Tierversuch?

ob ein solcher Versuch unerlässlich ist oder obdie angestrebten Erkenntnisse auch ohne denEinsatz von Tieren gewonnen werden können.

Eine Ergänzung zum Tierversuch ist dieComputersimulation. In der biomedizinischenForschung wird diese eingesetzt, um Hypothe-sen über Lebensvorgänge abzubilden und an-hand von theoretischen Modellen zu überprü-fen. Diese Technik wird häufig in der Neurobio-logie verwendet, um Funktionen des zentralenNervensystems zu veranschaulichen. Letztlichmüssen aber auch die Aussagen der Simulationim Tierversuch überprüft werden. In der Ausbil-dung wird auf die Computersimulation zurück-gegriffen, um Studierenden komplexe biologi-sche Zusammenhänge zu demonstrieren undüber das Lehrbuchwissen hinaus anschaulich zumachen. Auch die Durchführung eines Tierver-suchs kann im Lernvideo demonstriert werden.Solche Simulationen dienen als didaktischeHilfsmittel bei der Vorbereitung auf den Um-gang mit lebenden Tieren und sollen einen sen-sibleren Umgang mit den Versuchstieren errei-chen. In Deutschland hat die Zentralstelle zur Er-fassung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden

(ZEBET) im Bundesinstitut für Risikobewertungin Berlin die behördliche Aufgabe, Ersatz- undErgänzungsmethoden zu Tierversuchen zu er-fassen, zu bewerten und nach Möglichkeit ihreAnerkennung zu erreichen. Diese Institution istauch Auskunftsstelle für Alternativmethodenund soll die Validierung tierversuchsfreier Me-thoden vorantreiben. Dies ist erforderlich, umeine Aufnahme in internationale sicherheitstoxi-kologische Prüfrichtlinien zu erreichen. Aufeuropäischer Ebene wird diese Aufgabe vomEuropäischen Zentrum zur Validierung alternati-ver Methoden (ECVAM) in Rom übernommen.In der europäischen Richtlinie 67/548/EEC(Anhang 5) wurden Alternativmethoden aufge-listet, die die Untersuchung von chemischenSubstanzen im Hinblick auf ihre Phototoxizitätbeziehungsweise ihre ätzende Wirkung an Zell-kulturmodellen ermöglichen. Somit müsseninnerhalb Europas diese Prüfungen nicht mehrim Tierversuch erfolgen. Es gibt Bestrebungen,diese Testverfahren weltweit anzuerkennen undin die Richtlinien der OECD (Organisation forEconomic Cooperation and Development) aufzu-nehmen. �

T rotz hoffnungsvoller Perspektiven habendie genannten Methoden einen gravieren-den Nachteil: Der Körper von Mensch und

Tier besteht aus mehr als 200 unterschiedlichausdifferenzierten Zelltypen, deren Zusammen-spiel in Organen und Gewebeverbänden koor-diniert wird. Diese Komplexität zu untersuchenist ein wesentlicher Teil der biologischen For-schung und kann nur am intakten Organismuserfolgen. Selbst wenn ein Medikament sichwährend seiner Entwicklung in der Zellkultur

als brauchbar erwiesen hat, kann es sich inanderen Zelltypen als wirkungslos oder sogarschädlich herausstellen oder zur Bildung vonAbbauprodukten im Körper führen, die in ande-ren Organen Schäden verursachen. In der ge-genseitigen Ergänzung von Tierversuch undAlternativmethoden liegt jedoch eine Chance,die Zahl der Tierversuche deutlich zu vermin-dern. Dies ist vor allem bei Verträglichkeits-studien für den Menschen und die Umwelt mög-lich. �

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

23

Grenzen von Alternativmethoden

O bwohl in der biomedizinischen For-schung auf Tierversuche nicht ver-zichtet werden kann, besteht Konsens

darüber, dass sie auf ein notwendigesMinimum zu beschränken sind. Als Richtliniekönnen dabei die drei „Rs“ gelten. Sie for-dern “reduction, refinement and replace-ment” (Reduktion, Verfeinerung und Ersatz)von Tierversuchen. Zur Reduktion trägt einekonsequente Anwendung statistischer Ver-fahren und eine exakte Planung der Versuchebei. Sie wird dadurch unterstützt, dass dieVergabe von Forschungsgeldern, die behörd-liche Genehmigung und die Veröffentlichungvon Forschungsergebnissen in Fachzeit-schriften an den Nachweis der statistischenSignifikanz der Ergebnisse und der Origina-lität der Untersuchungen gebunden ist. DieVerfeinerung von Tierversuchen hat zum Ziel,Tiere durch die Untersuchungen möglichstwenig zu beeinträchtigen. Durch die Aus-schaltung von Schmerzen mittels Analgesieund Anästhesie, die technische Verbesserungvon Messverfahren sowie die Entwicklungvon nichtinvasiven Untersuchungsmethoden

wurden bei der Verfeinerung von Tie-rversuchen erhebliche Fortschritte erzielt. Inder Grundlagenforschung versucht man, dieTiere nach Möglichkeit nur geringen Belas-tungen auszusetzen. Dies trägt ethischenBedenken gegen Tierversuche Rechnung undverbessert die Qualität der Versuchsergeb-nisse. Forscherinnen und Forscher sind immerwieder neu gefordert, ihre Methoden zu opti-mieren und anhand von objektiven Para-metern, wie beispielsweise dem Verhaltender Tiere, den Grad ihrer Beeinträchtigungeinzuschätzen. Dies setzt sowohl persönlicheSensibilität als auch eine gute Ausbildungvoraus.

Die European Science Foundation (ESF)in Straßburg – der Zusammenschluss allerstaatlichen Organisationen zur Forschungs-förderung in Europa – hat ein Grundsatz-papier mit Empfehlungen zum Umgang mitVersuchstieren verabschiedet. Hierin appel-liert sie an ihre Mitglieder, die Prinzipien derdrei Rs anzuerkennen und zusätzlich gezielteAnstrengungen zu unternehmen, um Tierver-suche zu verringern und zu verbessern. �

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

24

Die drei Rs

Reduction = ReduktionRefinement = VerfeinerungReplacement = Ersatz

B ei einer vergleichenden Untersuchungdurch ein unabhängiges Meinungsfor-schungsinstitut wurden neun bundesweit

durchgeführte Studien der 1980er und 90erJahre ausgewertet und beurteilt.

Die Studie zeigte, dass Tierversuche, diedem Wohle des Menschen dienen, von einemgroßen Teil der Befragten akzeptiert wurden.

Dies wurde umso deutlicher, wenn Sinn undZweck der Forschung verständlich waren. Indem Fall stimmten 10 bis 11 Prozent der Be-fragten uneingeschränkt der Durchführungvon Tierversuchen zu. Mit einer gewissen Ein-schränkung – abhängig vom Zweck der Ver-suche – konnten 71 bis 75 Prozent der Be-fragten die Tierversuche bejahen (EMNID

Akzeptanz von Tierversuchen

WeiterführendeInformationen

auf der CD-ROM

Die Verbesserung der Mess-

technik und ein geschulter

Umgang mit den Tieren helfen

die Stressbelastung für das

Einzeltier zu verringern. Dies

trägt zu einer Reduzierung der

Versuchstierzahlen bei und ent-

spricht dem Konzept der drei Rs.

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

25

1985, 1996). Im Jahr 1993 stimmten beispiels-weise in der Studie des Allensbach-Instituts 50Prozent Tierversuchen zu, wenn mit ihrer HilfeMenschenleben gerettet werden sollten; 24Prozent der Befragten konnten sich nicht ent-scheiden, und 26 Prozent standen Tierver-suchen eher ablehnend gegenüber.

Viele Befragte verbanden wissenschaftlichdurchgeführte Versuche nicht mit Tierquälerei:30 Prozent hatten generell keine Vorbehaltegegen Tierversuche, 49 Prozent machten es vonder Art des Versuchs abhängig (EMNID 1985,1989). Kaum einer der Befragten war der Mei-nung, dass es im medizinischen Bereich über-flüssige Forschungsgebiete gibt. Über 75 Pro-zent wollten darüber hinaus nicht auf die Ent-wicklung neuer Medikamente verzichten, umden Einsatz von Tieren zu verhindern (EMNID1985, 1986, 1989).

Tierversuche werden vom Gesetzgeber fürdie Überprüfung von Arzneimitteln vorge-schrieben. Die EMNID-Umfragen, die sichbesonders intensiv mit dem Themenkreis Arz-neimittelforschung und Tierversuche auseinan-der setzten, zeigten, dass solche Versuche vonden Befragten nicht nur toleriert, sondern sogargefordert wurden. Die Akzeptanz für Tierver-suche in der Arzneimittelsicherung und -for-schung beruhte vor allem auf dem Wunschnach einer unbedenklichen und sicheren medi-zinischen Betreuung. Dass Tiere zum Nutzendes Menschen eingesetzt werden, war für dieMehrheit der Befragten selbstverständlich. Aufden Konsum von Fleischprodukten zu verzich-ten war für 75 Prozent der Befragten derEMNID-Umfrage (1985) und circa 50 Prozentder GfM GETAS-Studie (1993) nicht vorstell-bar. Obwohl die Nutzung von Tieren zu Ernäh-rungszwecken eindeutig befürwortet wurde,wollten sich die meisten bei der Frage nachdem Einsatz von Tieren im Tierversuch nichtfestlegen.

Im Auftrag der Deut-schen Forschungsge-meinschaft und derMax-Planck-Gesell-schaft wurde 1999eine Experten-Umfra-ge zum Thema „Tier-experimente” durch-geführt. Die Befrag-ten kamen aus Wirt-schaft, Wissenschaft,Politik, Presse undTierschutz. Die Er-gebnisse der Befra-gung machen deut-lich, dass in der Ge-sellschaft ein hoherBedarf an Informatio-nen über tierexpe-rimentelle Forschungbesteht. Die Exper-tenumfrage bestätigtden in der Bevölke-rung herrschendenEindruck einer de-fensiven Informati-onspolitik der öffent-lichen Forschungs-einrichtungen. Daherist es für diesen Be-reich besonders wich-tig, die Öffentlichkeitüber Tierexperimen-te zu informieren, weil gerade in die Unab-hängigkeit der Universitäten und Max-Planck-Institute im Vergleich zur kommerziell orien-tierten Industrieforschung besonders viel Ver-trauen gesetzt wird. Es hat sich gezeigt, dassWirtschaftsunternehmen und Forschungsein-richtungen, die einen intensiven Dialog mit derBevölkerung über ihre Tierversuche pflegen,eine höhere Akzeptanz genießen. �

EMNID '85unschlüssig

dagegen

es kommt drauf an

dafür

0 % 20 % 40 % 60 % 80 %

EMNID '86

Allensbach '92

pro50 %

contra26 %

0 % 10 % 20 % 30 % 40 %

WeiterführendeInformationenauf der CD-ROM

Einstellung der Bevölkerungzu Tierversuchen

Ergebnisse der EMNID- und Allensbach-Umfragen

Ergebnisse der GfM GETAS-Umfrage (1993)

pro

contra

unentschieden

contra (mit Einschränkungen)

pro (mit Ein-schränkungen)

D er Gedanke der besonderen Verantwor-tung des Menschen für das in seiner Ob-hut gehaltene Tier ist ein Ergebnis der

historischen Entwicklung der Mensch-Tier-Be-ziehung. Kulturelle, weltanschauliche, gesell-schaftliche und staatliche Normen stecken denRahmen ab, der unsere Einstellung zu den Tie-ren und zu deren Bedürfnissen leitet. Be-trachtet man die heute geltenden Gesetze undVerordnungen, die sich mit dem Tierschutzauseinander setzen, so stellt man fest, dassseine Grundkonzeption auf einem ethisch aus-gerichteten Tierschutz gründet.

Seit dem 17. Jahrhundert lässt sich einanthropozentrischer, also ein den Menschen inden Mittelpunkt stellender Tierschutzgedankenachweisen. Im 18. und 19. Jahrhundert enga-gierten sich einflussreiche Vertreter einer ge-sellschaftlich und sozialpolitisch aktiven Be-völkerungsschicht, die jegliche Tierquälereiverabscheuten und dies zu einem Kennzeichenihres Bildungsstandes machten, für die Tier-schutzbewegung. Hierbei stand jedoch nichtdas Tier im Mittelpunkt des Interesses, sonderndie Sorge um die Verrohung der Menschen undder Gesellschaft. In Deutschland wurden, be-dingt durch die Kleinstaatenbildung, unter-schiedliche gesetzliche Vorgaben erlassen, underst mit der Reichsstrafgesetzgebung (1871)fand der Schutz von Tieren vor Quälerei lan-desweit Eingang in die Rechtsprechung. Dieserechtliche Vereinheitlichung förderte den Tier-schutz als gesellschaftliches Anliegen und führ-te zur Bildung zahlreicher Tierschutzorganisa-tionen, die ihre Ziele darin sahen, Tierquälereiund die „Vivisektion“ (Eingriffe am lebendenTier) zu verhindern. Als zur selben Zeit die ex-perimentelle Forschung und damit die Zahl derTierversuche deutlich zunahm, führte dies

zwangsläufig zu einem Konflikt zwischen Wis-senschaft und Tierschutz. Die Gründe für dieAblehnung von Tierversuchen waren unter-schiedlich. Zum einen wurden Tierversucheaus ethischen Gründen vollständig abgelehnt,oder es wurde eine Verringerung der Tierzah-len gefordert. Religiöse Gruppierungen ver-banden die Missbilligung von Tierversuchenmit ihrer Ablehnung des naturwissenschaftli-chen Fortschrittsdenkens. Aber auch die Ärzte-schaft war in ihrer Einschätzung gespalten undhielt Tierversuche teilweise für ungeeignet,medizinische Probleme zu lösen, da sie dieÜbertragbarkeit der Ergebnisse anzweifelten.

In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhun-derts wurde das erste Tierschutzgesetz inDeutschland erlassen, das auch noch in der Zeitnach dem Zweiten Weltkrieg Gültigkeit hatte.Erste Regelungen im Umgang mit Versuchs-tieren wurden darin festgeschrieben. In densechziger und siebziger Jahren wurde derSchutz der landwirtschaftlichen Nutztiere undVersuchstiere erneut zu einem öffentlich disku-tierten Thema. Dies veranlasste den Gesetzge-ber, neue gesetzliche Regelungen für den Tier-schutz zu schaffen. Das 1972 erlassene Tier-schutzgesetz basierte auf einem ethisch ausge-richteten Tierschutz und zog als Beurteilungs-kriterium wissenschaftliche Erkenntnisse überartgemäße und verhaltensgerechte Normenund Erfordernisse der Tiere heran. Die folgen-den Gesetzesänderungen der achtziger undneunziger Jahre entstanden im Spannungsfeldzwischen Ökonomie, Wissenschaft und Politikund führten zu einer stärkeren Betonung desTieres als Mitgeschöpf und einer Verschärfungder Regelung von Tierversuchen. Um denSchutz der Tiere als Lebewesen in der Rechts-ordnung weiter zu stärken, wurde der Tier-

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

26

Die Entwicklung des Tierschutzgedankens in Deutschland

WeiterführendeInformationen

auf der CD-ROM

Operation am offenen

Brustkorb

Ferdinand Sauerbruch gelang es

mit dem so genannten

Druckdifferenzverfahren, das

Kollabieren der Lunge im

geöffneten Brustkorb zu

verhindern. Erste

Operationsversuche fanden

am Hund statt. Erst durch diese

Methode wurden Operationen

an Herz und Lunge möglich.

schutz als Staatsziel in der Verfassung der Bun-desrepublik Deutschland verankert. Seit Juli2002 enthält das Grundgesetz unter § 20a einenentsprechenden Zusatz. Mit dieser weltweit

einzigartigen Rechtslage hat das Gebot einessittlich verantworteten Umgangs des Men-schen mit dem Tier einen besonders hohenStand erreicht. �

D ie Frage nach der ethischen Vertret-barkeit des wissenschaftlichen Tierver-suchs wird in der philosophischen Ethik

erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhundertssystematisch diskutiert. Ausgelöst wurde dieDiskussion vor allem durch die Schriften desaustralischen Philosophen Peter Singer, der mitseinem 1976 erschienenen Werk „Animal Lib-eration“ („Die Befreiung der Tiere“) den Grund-stein einer neuen Tierschutzbewegung legte.Die Frage der Verantwortung des Menschen fürnicht-menschliche Lebewesen beschäftigt diePhilosophie seit Jahrhunderten. Mit verschiede-nen gedanklichen Ansätzen versucht sich diePhilosophie dem komplexen Thema desMensch-Tier-Verhältnisses zu nähern.

Der klassische Anthropozentrismus, indem Tiere keinerlei Eigenwert besitzen, kannheute als überholt angesehen werden. In derTradition wurde er von so bedeutenden Philo-sophen wie Aristoteles und Immanuel Kant,aber auch von der christlichen Moraltheologievertreten. Seine Grundannahme, dass nur derMensch schützenswert ist, weil nur er ein ratio-nales, vernunftbegabtes Wesen ist (bzw. nur erGottes Ebenbild entspricht), unterliegt zuRecht dem bereits 1789 von Jeremy Benthamerhobenen Speziesismusvorwurf. Dieser weistihm ein gruppenegoistisches Verhalten nach,da allein die Zugehörigkeit zur biologischenSpezies Homo sapiens als Rechtfertigungs-

grund dient. Spätestens seit Mitte des 19. Jahr-hunderts die Evolutionstheorie allgemein aner-kannt wurde, kann die These der biologischenEinzigartigkeit des Menschen nicht mehr auf-recht erhalten werden.

Allerdings sind viele andere ethische Posi-tionen zum Mensch-Tier-Verhältnis ebenfallsunbefriedigend. So krankt der Holismus, derein unabhängiges Existenzrecht selbst fürBerge oder Flüsse fordert, an seinen starkmetaphysischen Prämissen, die beispielsweiseeine „Beseeltheit“ der Natur voraussetzen.Der vom Friedensnobelpreisträger AlbertSchweitzer entwickelte „radikale Biozentris-mus“, der alle Lebewesen in die moralischeGemeinschaft aufnimmt, erscheint zwar aufden ersten Blick plausibel, baut aber auf einerextrem deontologischen Norm auf. Sie verbie-tet die Schädigung jedes Lebens – egal, ob essich um ein Tier, eine Pflanze oder einBakterium handelt – und stellt so den Handeln-den vor unauflösbare Dilemmata.

Der von Peter Singer und vielen anderenTierschützern vertretene Pathozentrismuskann schließlich nicht klar belegen, warumausschließlich Tiere mit einem intakten Zen-tralnervensystem einen moralischen Eigen-wert besitzen sollen. Wesentlich problemati-scher ist jedoch das von vielen Pathozen-trikern vertretene Anliegen, einige Tiere zu„Personen“ zu erklären und gleichzeitig eini-

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

27

Ethische Aspekte zu Tierversuchen und das Solidaritätsprinzip

Von Karin Blumer

VollständigerArtikel auf derCD-ROM

Albert Schweitzer (1875-1965)

Sein radikaler Biozentrismus

nimmt alle Lebewesen in die

moralische Gemeinschaft auf.

Danach ist die Schädigung jed-

weden Lebens, ob Tier, Pflanze,

Parasit oder Bakterium,

untersagt.

gen Menschen die Personalität abzuerkennen.Besonders tut sich hier Peter Singer hervor, fürden Menschenaffen, Wale und Delfine sicher,alle anderen Säugetiere mit hoher Wahr-scheinlichkeit Personen sind, während gleich-zeitig neugeborene, schwer geistig Behinderteoder komatöse Menschen zu „bloßen Angehö-rigen der Spezies Homo sapiens“ degradiertwerden.

Eine heute weitgehend akzeptable undplausible Moraltheorie könnte ein „gemäßigterBiozentrismus“ beziehungsweise ein „gemä-ßigter Anthropozentrismus“ sein. Beide Theo-rien verleihen allen Lebewesen einen morali-schen Status, dessen verpflichtender Eigenwertjedoch mit der Höhe der jeweiligen Spezies inder „Scala naturae“ (Hierarchie der Organis-men) ansteigt. So wäre beispielsweise die Ge-sundheit eines Hundes stärker schützenswertals die eines Hamsters oder Wurms. Aber auchinnerhalb eines „gemäßigten Biozentrismus“oder „gemäßigten Anthropozentrismus“ behältder Mensch als Person eine Sonderstellung.

Ein Hauptanliegen der philosophischenEthik besteht darin, Normen für das menschli-che Handeln zu entwickeln und rational zubegründen. Anhand formaler Vorgaben mussjede Verletzung tierischer Interessen durch ei-ne Güterabwägung gerechtfertigt werden. Diesbetrifft nicht nur Tierversuche, sondern jedeArt von Handlungen, bei denen Tiere für men-schliche Bedürfnisse eingesetzt werden.

Bei Überlegungen zum Mensch-Tier-Ver-hältnis nehmen Tierversuche einen Sondersta-tus ein – nicht nur, weil sie von vielen Menschenkritischer beurteilt werden als beispielsweise dieTötung von Schlachttieren oder die gezielteZüchtung schöner, aber anatomisch oder physio-logisch kranker Rassen. Vielmehr gilt es zu be-rücksichtigen, dass das handlungsmotivierendeZiel des wissenschaftlichen Tierversuchs der Er-kenntnisgewinn ist. Dieser Zuwachs an Wissen

ist keineswegs Selbstzweck, sondern hat einkonkretes Ziel: Gesundheit und Lebensqualitätvon Mensch und Tier zu erhalten und zu fördernund das Wissen über die Natur zu vergrößern.Dieses Ziel kann zwar nicht mit jedem Einzel-versuch erreicht werden, besitzt aber nach phi-losophischem Ermessen einen höheren Stellen-wert als beispielsweise die Überversorgung derMenschen in Industrieländern mit tierischen Ei-weißen oder ästhetische Ansprüche von Heim-tierhaltern an ihre Hunde oder Katzen. Da inunserer Gesellschaft der Erkenntnisgewinn ei-nen hohen sittlichen Stellenwert einnimmt, kön-nen Tierversuche gerechtfertigt sein, wenn fol-gende Bedingungen erfüllt sind:� Der Erkenntnisgewinn ist unerlässlich und

dient ethisch vertretbaren Zielen.� Der Erkenntnisgewinn kann auf keinem

anderen Wege erreicht werden (Alternativ-methoden können nicht eingesetzt werden).

� Es handelt sich um keinen unbegründeten„Doppelversuch“.

� Es werden nicht mehr Tiere als unbedingterforderlich eingesetzt.

� Die im Versuch eingesetzten Tiere gehörenim Sinne der „Scala naturae“ der niedrigst-möglichen Spezies an.

� Den Tieren werden keine vermeidbarenÜbel zugefügt (dies betrifft vor allem Pflege,Haltung und eventuelle schmerzmilderndeMaßnahmen).

Bei der Genehmigung eines Tierversuchs folgendie Tierschutzkommissionen diesen Kriterien.

Diese Abwägung ist auch bei Tierversuchenin der Grundlagenforschung zulässig und erfor-derlich. Es wird oft übersehen, dass bei derGüterabwägung dem Interesse der Tiere nichtnur der bloße Erkenntnisgewinn als Selbst-zweck gegenübersteht. Vielmehr müssen dieInteressen der zahllosen Menschen, die an der-zeit nicht oder nicht ausreichend therapierbarenErkrankungen leiden, in die Entscheidung ein-

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

28

Nach Aristoteles (384-322 v.Chr.)

verfügen Tiere über eine

„vegetative“ und eine

„animalische“ Seele und

können zielgerichtet einer

Bedarfsdeckung nachgehen; sie

können aber nicht vernünftig

handeln. Für Arthur

Schopenhauer (1788-1860)

zeigen Tiere die gleichen

Wesenszüge wie der Mensch,

das heißt, sie sind fähig zu leiden

und zu empfinden.

bezogen werden. Unter dieser Prämisse wirdeine massive Einschränkung der biomedizini-schen Forschung, wie sie teilweise gefordertwird, ihrerseits ethisch unvertretbar, da nicht nurHandeln, sondern auch Unterlassen sittlichgerechtfertigt werden muss. Ein vollständigerVerzicht auf Tierversuche ist nur dann denkbar,wenn in weiten Bereichen der biomedizinischenForschung auf Erkenntniszuwachs verzichtetwird. Ein derartiger Forschungsverzicht beträfemögliche Therapien für viele Krankheiten, diekeineswegs Randphänomene darstellen, son-dern zum Teil weit verbreitet sind. Darunter fal-len Leiden wie Krebs, HIV-Infektion und AIDS,Mukoviszidose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen,Morbus Alzheimer oder Morbus Parkinson.

Ein vollständiges Verbot der tierexperimen-tellen Forschung würde mit einer ebenfalls gül-tigen sittlichen Fundamentalnorm, dem Solida-ritätsprinzip, kollidieren. Dieses beschreibt diePflicht, Hilfsbedürftigen, so auch allen Schwa-chen und Kranken, bestmögliche Unterstützungzukommen zu lassen. Das Solidaritätsprinzip istnicht nur eine von vielen Voraussetzungenmenschlichen Zusammenlebens – es zeichnetden Menschen als moralisch verantwortlichesund zur Solidarität fähiges Wesen besonders aus.

Wer Tierversuche durchführt, stellt sich selbstimmer aktiv in das Spannungsverhältnis zwei-er Pflichten. Die eine, die positive, ist die Pflicht,eigenes Wissen und eigene Fähigkeiten zurMinderung menschlichen und tierischen Leidseinzusetzen. Die negative Pflicht hingegenbesteht darin, nicht selbst anderen Wesen ver-meidbares Leid zuzufügen. Es gehört zu denRahmenbedingungen menschlichen Handelns,dass wir oft in Entscheidungsnot geraten, inder wir gezwungen sind, gegen eine Pflicht zuverstoßen. So lange es wissenschaftlich un-möglich ist, komplexe Ursache-Wirkungs-Ver-hältnisse in lebenden Organismen ohne Tier-versuche zu erforschen, wird diese Pflichten-kollision immer Thema ethischer Diskursebleiben. Eine Antwort auf die Frage, ob einTierversuch vertretbar ist, wird es dabei niegenerell, sondern nur im Einzelfall geben. �

Die Autorin ist Tierärztin, wurde in Philosophiepromoviert und ist derzeit in einem Unter-nehmen der pharmazeutischen Industrie tätig.

Tierversuche & Tierschutz:Eine ethische Abwägung

29

Tierversuche in Deutschland:

Vom Antrag zurDurchführung

Deutschland ist als Teil Europas in die recht-liche Landschaft der europäischen Unioneingebunden. Dies betrifft nicht nur die

tierschutzrechtlichen Regelungen, sondern auchdie Bestimmungen bei der Durchführung vonTierversuchen.

EuroparatDer Europarat als allgemeinpolitische, gesamteu-ropäische Regionalorganisation will die gemein-samen politischen Ideale der Mitgliedstaaten ver-wirklichen und den engeren Zusammenschlussder Mitgliedstaaten fördern. Dazu gehört aus derSicht des Europarats das Thema Umweltschutz,welches auch den Tierschutz beinhaltet. In die-sem Zusammenhang wurde das „EuropäischeÜbereinkommen zum Schutz der für Versucheund andere wissenschaftliche Zwecke verwende-ten Wirbeltiere“ vom 18. März 1986 erlassen. Alsmultilateraler völkerrechtlicher Vertrag bedarfdas Übereinkommen der Ratifikation. Mit demZustimmungsgesetz vom 11. Dezember 1990(BGBl. 1991 II, S. 740) ist das Abkommen fürDeutschland verbindlich geworden. Das deut-sche Tierschutzgesetz entspricht für den BereichTierversuche diesen Richtlinien des Europarates.

Europäische GemeinschaftAuch das Vertragsrecht der Europäischen Ge-meinschaft enthält eine Gemeinschaftskompe-tenz für den Tierschutz unter dem Aspekt desUmweltschutzes (Art. 174 EGV). Im Vertrag vonAmsterdam vom 2. Oktober 1997 ist als Nr. 10 das„Protokoll über den Tierschutz und das Wohler-gehen der Tiere“ verabschiedet worden, das ver-bindlicher Teil des Primärrechts der Gemein-

schaft ist. Darin wird der Wunsch ausgedrücktsicherzustellen, dass der Tierschutz verbessertund das Wohlergehen der Tiere als fühlende We-sen berücksichtigt wird. Die Gemeinschaft selbstdarf zum Beispiel die Vergabe von Forschungs-mitteln an qualitativ hochstehende Tierversuchs-standards knüpfen. Das Gleiche wird auch vonden Mitgliedstaaten bei der Vergabe von For-schungsmitteln erwartet. Der Zugriff auf das The-ma „Tierversuche“ geschieht demnach mittelsder Rechtsangleichungskompetenz der Gemein-schaft. Auf dieser Basis hat sie die „Richtlinie desRates zur Annäherung der Rechts- und Verwal-tungsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutzder für Versuche und andere wissenschaftlicheZwecke verwendeten Tiere“ vom 24. November1986 (86/609/EWG ABl. Nr. L 358, S. 1) erlassen.Für die „Richtlinie“ in der EU ist die innerstaatli-che Geltung auf die Umsetzung durch den natio-nalen Gesetzgeber angewiesen. �

Tierversuche in Deutschland:Vom Antrag zur Durchführung

31

Europäische Regelungen für Tierversuche

WeiterführendeInformationenauf der CD-ROM

Genehmigung Durchführung Kontrolle

Tierversuche in Deutschland

Antragsteller

Mitglied einer wissenschaftlich geführten

Forschungseinrichtung

Tierschutzkommission Tierschutzbeauftragter

Genehmigungs-behörden

je nach Bundesland:Regierungspräsidium,Bezirksregierung u.a.

Überwachungs-behörde

Veterinäramt

beru

ft

berä

t

genehmigtesProjekt

berät

Kontrolle

Kont

rolleAntrag/Anzeige

Genehmigung/

Ablehnung

S o wenig, wie jemand beispielsweise ohneBaugenehmigung ein Haus errichtenoder ohne Lizenz eine Gaststätte betrei-

ben darf, so wenig dürfen Tierversuche ohneGenehmigung durchgeführt werden. Es han-delt sich hierbei um ein so genanntes „präven-tives Verbot“. Dies bedeutet, dass Tierver-suche prinzipiell erlaubt sind und nur im Ein-zelfall, wenn die gesetzlichen Voraussetzun-gen nicht vorliegen, verboten werden können.Um Regulierungen durch die Behörden zu er-möglichen, ist vor die Durchführung einesVersuchs ein Genehmigungsverfahren ge-schaltet (§ 7 TierSchG).

Das Grundgesetz garantiert die Freiheit derWissenschaft. Das präventive Verbot schränktjedoch die Freiheit des Forschers ein. Freiheits-eingriffe bedürfen nach der Systematik desgrundgesetzlichen Grundrechtsschutzes derRechtfertigung. Für Grundrechte, die – wie dieWissenschaftsfreiheit – keinen Vorbehalt für den

Gesetzgeber vorsehen, ist eine Interventiondurch Gesetze nur zulässig, wenn dies zu Guns-ten von verfassungsrechtlich geschütztenRechtsgütern geschieht. Die verfassungsrechtli-che Rechtfertigung liefert seit dem Juli 2002 derArtikel 20a des Grundgesetzes mit der For-mulierung „und die Tiere“ im Rahmen desStaatsziels „Umwelt“. Damit ist klargestellt, dassdas Tierschutzgesetz die Forschungsfreiheit ver-fassungsgerecht begrenzen kann.

Sachlich-rechtlich ändert sich an den gel-tenden Regelungen allerdings nichts. Da derSchutz der Tiere Staatsziel im Rahmen der ver-fassungsmäßigen Ordnung ist, bleibt es exklusi-ve Aufgabe des Gesetzgebers, den Einklang vonForschungsfreiheit und ethischem Tierschutzherzustellen. Diese Aufgabe hatte der Gesetz-geber auch bisher schon wirkungsvoll mit den§§ 7 bis 9 des Tierschutzgesetzes vorgenommen– allerdings auf verfassungsdogmatisch etwasfragiler Grundlage. �

T ierversuche bedürfen der Genehmigung.Es muss also klar sein, wann ein Tier-versuch vorliegt. Die Definition von Tier-

versuchen orientiert sich am Zweck des Ge-setzes, wie ihn § 1 Tierschutzgesetz festlegt.Danach darf niemand ohne vernünftigenGrund Tieren Schmerzen, Leiden oder Schä-den zufügen. Das „Tierversuchsrecht“ wirdfolglich im Genehmigungsverfahren prüfen,ob ein vernünftiger Grund vorliegt, wenn„Schmerzen, Leiden oder Schäden“ zugefügtwerden.

Folgende Merkmale kennzeichnen einen Tier-versuch:� der Versuchszweck: das Ziel des tierexperi-

mentellen Handelns ist der Zugewinn an Er-kenntnis; ein Erkenntnisgewinn ist zu vernei-nen, wenn die Fragestellung bereits geklärt ist;

� der Eingriff am Tier kann mit Schmerzen,Leiden oder Schäden verbunden sein, oder

� der Eingriff am Erbgut von Tieren kann zuSchmerzen, Leiden oder Schäden für die erb-gutveränderten Tiere oder deren Trägertiereführen.

Tierversuche in Deutschland:Vom Antrag zur Durchführung

32

Tierversuche unter Genehmigungsvorbehalt

Auslegung des Tierschutzgesetzes für den Bereich Tierversuche

WeiterführendeInformationen

auf der CD-ROM

Herzklappen im Test

Nach der Implantation der

Herzklappen werden die

operierten Schafe wieder zu

ihren Artgenossen gebracht und

können in ihrem gewohnten

sozialen Umfeld leben. Die

Funktion der Implantate wird

medizinisch überwacht.

Das Tierversuchsrecht kennt zulässige Versuchs-zwecke, absolut unzulässige und grundsätzlichunzulässige Zwecke.� Zulässig sind Tierversuche, wenn es um ein hu-

manmedizinisches oder veterinärmedizinischesErkenntnisinteresse geht, beispielsweise

– bei der Entwicklung neuer Arzneimittel, – beim Erkennen von Umweltgefährdungen, – bei der Prüfung der Unbedenklichkeit von

Arznei- und Pflanzenschutzmitteln, Lebens-

mitteln und Bedarfsgegenständen, Chemikalienund Gefahrstoffen,

– bei der Grundlagenforschung.� Absolut unzulässig sind Tierversuche zur Ent-

wicklung und Erprobung von Waffen, Munitionund dazugehörigem Gerät.

� Grundsätzlich unzulässig (mit der Möglichkeit,Ausnahmen zuzulassen) sind Tierversuche zurEntwicklung von Tabakerzeugnissen, Wasch-mitteln und Kosmetika. �

V om Forscher wird erwartet, dass er sich beider Planung seines Versuchs über den Standder Forschung informiert und abwägt, ob

sein Vorhaben über die bereits vorhandenenErkenntnisse hinausführen kann. „Unerlässlich“ istein Versuch nur, wenn es gemessen am verfolgtenZweck keine gleichwertige Alternative gibt. Dahermuss geprüft werden, ob es unter Berücksichtigungdes erreichten Standes der wissenschaftlichen Er-

kenntnis kein anderes Verfahren gibt, das denVerzicht auf den Tierversuch ermöglicht. Es gehthierbei um alle anerkannten Ergebnisse, wobeiauch Minderheitsmeinungen anerkannt werden,sofern sie den wissenschaftlichen Standards genü-gen. Die Unerlässlichkeit ist nicht nur für die Frageder Zulässigkeit des Tierversuchs („ob“), sondernauch für die konkrete Durchführung („wie“) zu prü-fen. Für beides gilt das Drei-R-Prinzip (s. S. 24). �

Tierversuche in Deutschland:Vom Antrag zur Durchführung

33

Was bedeutet aus rechtlicher Sicht „unerlässlich“?

Bei der Frage der ethischen Vertretbarkeitgeht es um die Abwägung der Belastungenwährend des Versuchs für das Versuchstier

und die Frage, ob der wissenschaftliche Erkennt-nisgewinn diese rechtfertigt. Bei der Beurteilungdes Versuchs geht es also um die Gewichtung deszu erwartenden Nutzens gegen die zu erwarten-den Lasten für die Tiere. Dies ist im Einzelfall eineschwierige Entscheidung.

Weitere Maßstäbe für die ethische Vertret-barkeit stellen auch jene Normen dar, die von

Gesetzes wegen Tierversuche vorschreiben (zumBeispiel das Arzneimittelrecht, die Gefahrstoff-verordnung, die Pflanzenschutzmittelverordnungoder das Abwasserrecht). Diese bedürfen nichtmehr der Genehmigung und verdeutlichen einebestimmte Nutzen-Lasten-Abwägung. Die Durch-führung dieser Versuche orientiert sich an denGesetzeszwecken und den Ansprüchen unsererGesellschaft. Letztendlich entscheidet die Ge-sellschaft bei der Abwägung, welche Risiken siezu tragen bereit ist. �

Was bedeutet aus rechtlicher Sicht „ethisch vertretbar”?

Grundlagen der Orientierung

Wie die Bienen orientieren sich

Heuschrecken am Polarisations-

muster des Himmels.

Messung ohne Störung

Körpertemperatur und Sauer-

stoffverbrauch der Murmeltiere

werden während ihres Winter-

schlafes aufgezeichnet.

Bei der Versuchsdurchführung wirkt sich derGrundsatz der Unerlässlichkeit erneut aus (§ 9 TierSchG): � Versuche an „sinnesphysiologisch höher ent-

wickelten“ Tieren dürfen nur durchgeführtwerden, wenn Versuche an sinnesphysiolo-

gisch niedriger entwickelten Tieren nichtausreichen.

� Versuchstiere müssen speziell gezüchtetwerden. Der Einsatz von streunenden Hun-den und Katzen ist in Deutschland verboten,

B evor ein Tierversuch durchgeführt werdenkann, muss dieser den zuständigen Behör-den gemeldet und von diesen genehmigt

werden. In der Anzeige oder dem Antrag mussder Tierversuch umfassend wissenschaftlich be-legt und fachlich dokumentiert werden. Im Ge-nehmigungsverfahren sind drei Elemente dar-zulegen, damit dem Antragsteller die Erlaubniserteilt oder versagt werden kann.

� Vorhabenbezogen: Das Projekt muss wissen-schaftlich begründet werden, und die Uner-lässlichkeit sowie die ethische Vertretbarkeitmüssen dargelegt werden. Darüber hinausdarf das angestrebte Versuchsergebnis nichtandernorts bereits greifbar sein. Die Beur-teilung unterliegt den zuständigen Behörden(beispielsweise Ministerien oder Regierungs-präsidien der Länder), die eine Plausibilitäts-kontrolle durchführen müssen. Die Behördedarf bei ihrer Entscheidung nicht ihre eigenenAnsichten über den Wert des Versuchszwecksan die Stelle der wissenschaftlich plausiblenDarlegung setzen.

� Personenbezogen: Der verantwortliche Leiterdes Versuchsvorhabens und sein Stellver-

treter müssen die erforderliche fachliche Eig-nung besitzen und persönlich zuverlässigsein, das heißt, sie dürfen in der Vergangen-heit nicht gegen das Tierschutzgesetz ver-stoßen haben.

� Anlagenbezogen: Die baulichen und perso-nellen Voraussetzungen zur Durchführungeines Tierversuchs müssen gewährleistetsein. Hierzu gehören qualifizierte Tier-pfleger, geeignete Tierhaltungsräume unddie Benennung eines Tierschutzbeauftrag-ten. Bei der Tierhaltung wird darauf geach-tet, dass Versuchstiere art- und bedürfnisge-recht untergebracht sind und ihre medizini-sche Versorgung sichergestellt ist.

Liegen diese Voraussetzungen vor, muss dieBehörde die Genehmigung binnen drei Mona-ten erteilen. Die Genehmigung ist befristet undkann mit Auflagen versehen werden. SolltenVerstöße festgestellt werden, so können in be-gründeten Fällen Bußgelder in Höhe von bis zu25 000 Euro oder Freiheitsstrafen verhängtwerden. Ein Verbot der Versuchsdurchführungund ein Tierhaltungsverbot sind ebenfalls mög-lich. �

Tierversuche in Deutschland:Vom Antrag zur Durchführung

34

Genehmigungsverfahren

Durchführung von Tierversuchen

Wie bewegt man sich durch

unebenes Gelände,

ohne umzufallen?

Bei der Entschlüsselung von

koordinierten Bewegungs-

abläufen dient die Stabheu-

schrecke als Modell. Ergebnisse

aus diesen Untersuchungen

werden in der Robotertechnik

umgesetzt.

und „Tierfänger“ können keine eingefange-nen Tiere an Labors verkaufen.

� Versuche an Tieren, die aus der Natur ent-nommen sind, sind nur zulässig, wenn spezi-ell gezüchtete Tiere nicht zur Verfügung ste-hen; sie stehen unter einem besonderenGenehmigungsvorbehalt.

� Es dürfen nicht mehr Tiere verwendet wer-den als erforderlich.

� Schmerzen, Leiden oder Schäden dürfen denTieren nur im unerlässlichen Maß zugefügtwerden; es gilt der Vorrang der Betäubung

des Versuchstieres und der Pflicht zurSchmerzlinderung.

� Schwere operative Eingriffe dürfen nichtmehr als einmal bei einem Wirbeltier durch-geführt werden.

� Bei absehbarem Tod ist eine zu erwartendeLeidenszeit so kurz wie möglich zu halten.

� Die medizinische Nachsorge muss durch ei-nen Tierarzt erfolgen, damit dieser nacheinem Versuch entscheiden kann, ob dasTier ohne Schmerzen und Leiden weiterle-ben kann. �

E ine effektive Kontrolle des Tierversuchsdurch die Behörden setzt die Dokumen-tation des Versuchsgeschehens voraus.

Deshalb müssen Art und Weise des Versuchsaufgezeichnet werden. Außerdem ist die An-zahl der Tiere und die Tierart anzugeben. BeiWirbeltieren ist zum Schutz streunender Kat-zen und Hunde auch der Vorbesitzer anzuge-ben (§ 9a TierSchG). Hinzu kommt nach § 11a TierSchG die Aufzeichnungs- und Kenn-zeichnungspflicht des Züchters, so dass derLebensweg der Tiere bis zum Versuch undauch darüber hinaus verfolgt werden kann.

Die interne Kontrolle wird durch denTierschutzbeauftragten durchgeführt. Dieserüberprüft die Tierhaltung und muss zu deneingereichten Anträgen Stellung nehmen.Außerdem soll er die am Versuch Beteiligtenberaten und innerbetrieblich auf die Ent-

wicklung und Einführung von Verfahren zurVermeidung oder Beschränkung von Tierver-suchen hinwirken. Er ist bei der Erfüllungseiner Aufgaben nicht weisungsgebunden.

Neben dieser internen Kontrolle unterlie-gen Einrichtungen, in denen Tierversuchedurchgeführt werden, der Kontrolle durch diezuständigen Veterinärämter. Diese könnenohne Ankündigung Einsicht in die Unter-lagen nehmen und Proben entnehmen. DieBehörde kann auch die zur Beseitigung fest-gestellter Verstöße notwendigen Anordnun-gen treffen. Dazu gehört auch die Anordnung,Tierversuche einzustellen, die ohne die erfor-derliche Genehmigung oder entgegen einemtierschutzrechtlichen Verbot durchgeführtwerden (§ 16a TierSchG). Verstöße gegen dieVorschriften gelten als Ordnungswidrigkei-ten, im Extremfall sogar als Straftat. �

Tierversuche in Deutschland:Vom Antrag zur Durchführung

35

Kontrolle des Versuchs

W irbeltiere haben nach dem heutigenStand wissenschaftlicher Kenntnisseein Schmerzempfinden, das mit dem

des Menschen vergleichbar ist. Je näher die Tieredem Menschen entwicklungsgeschichtlich ste-hen, desto eher kann man davon ausgehen, dassTiere Schmerzen nicht nur wahrnehmen, sonderndass sie auch subjektiv leiden. Diesen Umstandberücksichtigt der Gesetzgeber, indem er bei derGenehmigung eines Tierversuchs die Einschät-zung der Folgen für das Tier fordert. Die Beurtei-lung der Belastung erfolgt nach den allgemeinenVerwaltungsvorschriften zum Tierschutzgesetz invier Schweregrade (keine, geringe, mäßige underhebliche Belastungen). Um diese Belastungenbesser beurteilen zu können, wurde von der DFGund der Max-Planck-Gesellschaft in Anlehnungan die Kategorisierungsvorschläge von H. P.Schnappauf („Kriterien für die Beurteilung desunerlässlichen Maßes bei Eingriffen und Behand-lungen im Rahmen der Hochschulforschung“,Tierärztl. Umschau 39, 1984; 870-879) eine Zu-ordnung gängiger Eingriffe getroffen. Als geringbelastend werden Eingriffe bezeichnet, die auchbeim Menschen ohne Anästhesie oder Schutz-maßnahmen erfolgen. Hierzu gehören beispiels-weise Injektionen und ein kurzfristiges Fixierendes Tieres. Als mittelgradig oder mäßig belastendwerden Eingriffe bezeichnet, die nach mensch-lichem Ermessen unangenehm, aber noch nichtgewebeschädigend sind. Auch operative Ein-griffe unter Narkose mit geringen Folgebelastun-gen fallen darunter, wie zum Beispiel das Legeneines Dauerkatheters. Erhebliche Belastungenwerden in zwei weitere Schwerestufen unterteilt.Hoch ist die Belastung dann, wenn nach der Ope-ration mit Schmerzen zu rechnen ist, die den Ein-satz eines Schmerzmittels erforderlich machen.Als sehr hoch einzustufen ist eine Belastung in

einem Versuch, bei dem die entstehendenSchmerzen nicht ausgeschaltet werden können.Für die Beurteilung sind sowohl die Versuchs-dauer als auch die Wiederholungsfrequenz derEingriffe zu berücksichtigen.

Um die Belastung eines Versuchstieres rich-tig einschätzen zu können, ist es auch erforder-lich, seine Physiognomie und artspezifische Ver-änderungen seines Verhaltens in Versuchssitua-tionen zu kennen. Es gibt allerdings internationalkeine einheitlichen Kriterien zur Beurteilung. Beider Einschätzung der Belastungen von Nage-tieren empfiehlt es sich daher, dem Bericht derFELASA „Pain and distress in laboratory rodentsand lagomorphs“ (Laboratory Animals 28,1994;97-112) zu folgen.

Eine Sonderstellung in der biomedizinischenForschung nehmen Tierversuche ein, in denenTiere als Modell für spezifische Krankheitsbilderdes Menschen herangezogen werden. Hier kannes vorkommen, dass sie Schmerzen und Leidenerdulden müssen. Aus tierschutzrechtlichenGründen werden die zu erwartenden Schmerz-und Angstzustände mit Hilfe von schmerzmin-dernden oder sedierenden Medikamenten gemil-dert. Versuche, die mit starken Belastungen ver-bunden sind, werden in der Regel in Vollnarkosedurchgeführt – häufig als so genannte Finalver-suche, bei denen die Tiere ständig in Narkosebleiben und nach Abschluss der Untersuchungenin Narkose getötet werden.

Es wird häufig kritisiert, dass möglichenSchwankungen der Belastung innerhalb einesVersuchs nicht Rechnung getragen und der emo-tionale Zustand des Einzeltieres nicht berück-sichtigt wird. Starke Belastungen oder Angst-zustände von Versuchstieren beeinflussen jedochalle Funktionen des Organismus und haben Aus-wirkungen auf das Versuchsergebnis. Ergebnisse

Tierversuche in Deutschland:Vom Antrag zur Durchführung

36

Belastungen im Tierversuch

WeiterführendeInformationen

auf der CD-ROM

Einsatz neuer

Transplantationsverfahren

Die so genannten Minipigs

spielen in der Transplantations-

chirurgie eine große Rolle, um

neue Operationsverfahren zu

entwickeln. Bei diesen beiden

Schweinen fand eine Lungen-

transplantation statt, die die

Tiere unbeschadet überlebt

haben. Heute, ein Jahr nach der

Operation, leben die Minipigs in

einem bäuerlichen Betrieb und

werden regelmäßig

nachuntersucht.

aus Versuchen mit verängstigten und leidendenTieren sind für die Wissenschaft nutzlos und wer-den in der Grundlagenforschung internationalnicht akzeptiert. Um aussagekräftige Versuchser-gebnisse zu erhalten, ist es unerlässlich, dass sich

die Versuchstiere in einem physiologischen Nor-malzustand befinden, also nach Möglichkeitschmerz- und angstfrei leben. WissenschaftlichesInteresse und Tierschutz sind daher nicht als Ge-gensätze anzusehen. �

W ichtigster Garant für die qualifizierteDurchführung von Tierversuchen sindder gut ausgebildete, umsichtige und für

das Tier sensibilisierte Wissenschaftler und seinPersonal. Nach dem Deutschen Tierschutzgesetzdürfen Tierversuche nur von Personen durchge-führt werden, welche die dafür erforderlichenKenntnisse besitzen. Dies sind Personen mit einemabgeschlossenen Hochschulstudium der Veteri-närmedizin, Medizin oder der Naturwissen-schaften beziehungsweise Personen mit einer be-

rufsbezogenen qualifizierten Ausbildung, wie spe-ziell geschulte biologisch-technische Assistentenoder Labortierpfleger, die individuell nachgeprüftwird. Für operative Eingriffe wird dieser Personen-kreis noch einmal deutlich eingeschränkt. Sie dür-fen nur von Tierärzten, Medizinern und Biologenmit Spezialisierung in der Zoologie durchgeführtwerden. Diese müssen an wissenschaftlich arbei-tenden Institutionen beschäftigt sein. Ausnahme-genehmigungen können nur nach Überprüfungder fachlichen Qualifikation erteilt werden. �

D as Ausbildungsangebot im Bereich der ex-perimentellen Versuchstierkunde ist anden Universitäten sehr unterschiedlich.

Feste, rechtsverbindliche Ausbildungspläne füralle Bundesländer liegen derzeit nicht vor. In derRegel wird den Studierenden das erforderlicheWissen im Rahmen vertiefender Praktika undVorlesungen an den Universitäten oder durchKursangebote von wissenschaftlichen Gesellschaf-ten vermittelt. Für die Ausbildung kann man sichan den Empfehlungen des Europarates zur Aus-,Fort- und Weiterbildung von Personen, die mitVersuchstieren arbeiten, orientieren. Diese Emp-fehlungen basieren auf Vorschlägen der interna-

tionalen Fachgesellschaft FELASA (Federation ofEuropean Laboratory Animal Science Asso-ciations, London). Je nach Verantwortlichkeit derPerson wird eine bis zu 80 Stunden (für Versuchs-leiter) umfassende Weiterbildung empfohlen.

Die DFG empfiehlt die Wahrnehmung sol-cher Angebote und kann daher auch Weiterbil-dungsveranstaltungen für Jungwissenschaftlerfinanziell unterstützen. In eigener Initiative füh-ren unter anderem das Tierschutzzentrum derUniversität Hannover und das Tierschutzinforma-tionszentrum der Universität München regelmä-ßig überregionale Weiterbildungsmaßnahmendurch. �

Tierversuche in Deutschland:Vom Antrag zur Durchführung

37

Wer darf Tierversuche durchführen?

Wie erfolgt die Ausbildung?

Resümee

D as Für und Wider von Tierversuchenwird in der Gesellschaft oft sehr emotio-nal diskutiert. Hierbei reicht das Spek-

trum von genereller Ablehnung über die großeGruppe derjenigen, die Tierversuche im be-schränkten Umfang akzeptieren, bis zur Be-fürwortung. Besonders deutlich werden dieunterschiedlichen Standpunkte, wenn Ände-rungen des Tierschutzgesetzes oder der Ver-fassung zur Debatte stehen. Die Verantwor-tung der Forschung gegenüber der Gesell-schaft fordert, dass sie sich mit diesen unter-schiedlichen Positionen auseinandersetzt. Aufdem Gebiet der Risikoabschätzung von phar-makologischen und chemischen Substanzensind Tierversuche durch nationales und inter-nationales Recht vorgegeben. Hier kann dieWissenschaft beratend einwirken. Die For-derung nach einer Reduzierung von Tier-versuchen hat auf diesem Gebiet bereits zueiner deutlichen Senkung der Tierversuchs-zahlen geführt. Die von der Grundlagenfor-schung entwickelten Alternativverfahren zurTestung toxischer Substanzen haben großeFortschritte gemacht. Für die länderübergrei-fende Akzeptanz dieser Methoden zu werbenund diese mit ausgewiesenen Verfahren zuvalidieren, ist aber nicht nur Aufgabe derWissenschaft, sondern vor allem Aufgabe vonPolitik und Gesellschaft.

Zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnissesind mit Hilfe von Tierversuchen gewonnenworden. Die Methoden, mit denen sich die For-schung den Fragen der biomedizinischenGrundlagen nähert, umfassen nicht nur Unter-suchungen am Gesamtorganismus – also den

klassischen Tierversuch –, sondern auch Unter-suchungen an niederen Organismen wie denFadenwürmern oder Zellkulturen als so ge-nannte Alternativmethoden. Dabei hat jede derVorgehensweisen ihre Vor- und Nachteile. Sokönnen beispielsweise nur im Tierversuchkomplexe Zusammenhänge wie die Stoff-wechselleistung, das Verhalten oder die Ver-arbeitung von Sinnesreizen geklärt werden.Zellkulturen dagegen ermöglichen Detail-untersuchungen an streng isolierten und defi-nierten Systemen. Die Gesamtleistung desOrganismus kann hierbei jedoch nicht erfasstwerden. Die Entscheidung, welches Verfahrenfür die Klärung einer bestimmten Fragestellunggeeignet ist, muss im Vorfeld des Versuchs er-folgen. Es ist nicht im Interesse der Wissen-schaft, Tierversuche durchzuführen, wenn ge-eignetere Methoden zur Verfügung stehen, dieden Einsatz von Tieren reduzieren können oderunnötig machen. Generell hat sich die Wissen-schaft das Prinzip der drei „Rs“ (reduction, re-finement, replacement) zu Eigen gemacht.

Wie kaum ein anderer Bereich der Tier-haltung und Tiernutzung wird die tierexperi-mentelle Forschung durch das Tierschutz-gesetz und die entsprechenden Verwaltungs-vorschriften geregelt. Tierschutzkommission,Tierschutzbeauftrage und Veterinärämter be-gleiten und kontrollieren die tierexperimentel-le Forschung. Die ethische Abwägung, welchedie Zulassung oder Ablehnung von Tierversu-chen begleitet, versucht, sowohl die Belangeder Tiere als auch das Solidaritätsprinzip, alsodie moralische Verantwortung der Menschenfüreinander, zu berücksichtigen. �

39

Verantwortung gegenüber Tier und Mensch

Totenkopfäffchen in der

tropenmedizinischen

Forschung

Affen werden in Deutschland

nur selten in Tierversuchen

verwendet. Ihr Anteil macht

nur 0,06% der Versuchstiere

aus. Totenkopfäffchen werden

beispielsweise bei der

Erforschung der Malaria und

der Schlafkrankheit eingesetzt.

Resümee

Senatskommission

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Prof. Dr. troph. Rudolf BallingGesellschaft für Biotechnologische Forschung mbH, Braunschweig

Prof. Dr. med. Ulf EyselInstitut für Physiologie, Abt. Neuro-physiologie der Ruhr-Universität Bochum

Prof. Dr. med. Eberhard GüntherAbteilung Immungenetik Zentrum Hygiene und HumangenetikMedizinische Fakultät der Universität Göttingen

Prof. Dr. med. Axel HaverichKlinik für Thorax-, Gefäß- und Herzchirurgieder Medizinischen Hochschule Hannover

Prof. Dr. rer. nat. Gerhard Heldmaier(Vorsitzender)Fachbereich Biologie – Tierphysiologie der Universität Marburg

Prof. Dr. med. vet. Bernd HoffmannKlinik für Geburtshilfe, Gynäkologie undAndrologie der Universität Gießen

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Florian HolsboerMax-Planck-Institut für PsychiatrieMünchen

Prof. Dr. jur. Wolfgang LöwerInstitut für Öffentliches Recht der Universität Bonn

Prof. Dr. rer. nat. Hermann WagnerInstitut für Biologie II Tierphysiologie/Zoologie der RWTHAachen

Prof. Dr. med. vet. Eckhard WolfLehrstuhl für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie, Genzentrum derUniversität München

Prof. Dr. rer. nat. Franziska WollnikBiologisches InstitutAbt. Tierphysiologie der UniversitätStuttgart

Die DFG-Senatskommission für tierexperimentelle Forschung

Ein zentrales Anliegen der Senatskom-mission für tierexperimentelle Forschungist es, zu Themen der wissenschaftlichen

Arbeit mit Tieren Stellung zu beziehen unddem Auftrag der DFG nachzukommen, Politikund Öffentlichkeit in forschungsrelevantenThemen zu beraten und zu informieren. DieKommission hat in den letzten Jahren diegesetzlichen Änderungen auf nationaler undinternationaler Ebene verfolgt und ihre Um-setzung in Deutschland begleitet. Mitglieder

der Kommission sind in Gremien, die sich mitTierschutz und der tierexperimentellen For-schung befassen, als Sachverständige tätig.Hierzu zählen unter anderem die Tierschutz-kommission des Bundesministeriums für Ver-braucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaft, der Nationale Ethikrat, die EuropeanScience Foundation und das Kuratorium derStiftung zur Förderung der Erforschung vonErsatz- und Ergänzungsmethoden zur Ein-schränkung von Tierversuchen.

Die Mitglieder der Senatskommission:

Weiterführende Informationenauf der CD-ROM

Bildnachweis:

A. Anders, Genetisches Institut, Justus- Liebig-Universität Gießen: 17

Abt. Biologische Kybernetik undTheoretische Biologie, UniversitätBielefeld: 34

Deutsches Albert-Schweitzer-Zentrum,Frankfurt a. M. (Archiv und Museum): 27

FB Biologie Tierphysiologie, Philipps-Universität Marburg: 19 oben,33 unten, 37

FB Biologie/Neurophysiologie,Philipps-Universität Marburg: 33 oben

Gesellschaft für BiotechnologischeForschung mbH, Braunschweig: 21

Institut für Pflanzengenetik und Kultur-pflanzenforschung, Gatersleben: 16

Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologieund Andrologie, Justus-Liebig-Universität Gießen: 19 unten

Klinik für Thorax-, Gefäß- und Herz-chirurgie, Medizinische Hochschule:13, 15, 32, 36

Kunsthistorisches Museum Wien: 28 oben

Mauritius, Die Bildagentur GmbH:Titelfoto, 5, 12, 22, 23, 35

Max-Planck-Gesellschaft, Archiv der Pressestelle, München: 9

Max-Planck-Institut für Psychiatrie,München: 11

Mitteilungen aus den Grenzgebietender Medizin und Chirurgie, Bd. 14,Jena 1904: 26

Paul-Ehrlich-Institut, Langen: 24, 39

Stadt- u. Universitätsbibliothek Frank-furt a. M./Arthur-Schopenhauer-Archiv:28 unten

ISBN 3-932306-53-8

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