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Unter den Blauhelmen der Vereinten Nationen (United Nations, UN) findet man nur wenige west- liche Gesichter. Stattdessen herrscht in mehrfacher Hinsicht eine Arbeitsteilung in der Friedenssiche- rung – global, funktional und auch innerhalb der UN selbst. Es sind überwiegend Staaten des globa- len Südens, die als Truppen stellende Staaten (troop contributing countries oder kurz TCC*) das Personal für die Friedensmissionen der UN liefern. Dies wird in der internationalen Sicherheitspolitik zu Un- recht als Selbstverständlichkeit betrachtet, denn sowohl die Architektur der internationalen Friedens- sicherung als auch die UN-interne Arbeitsteilung lie- fern negative Anreize für die TCC, ihr Engagement im derzeitigen Umfang aufrecht zu halten. Zur Untermauerung dieser These wird die Arbeitsteilung in der Friedenssicherung näher untersucht und die Anreizstruktur der TCC innerhalb der UN analy- siert. Daraus werden Schlussfolgerungen gezogen, die sich auf Reformmöglichkeiten des Status Quo beziehen. Darauf aufbauend wird ein neuer Rahmen für Friedensoperationen als Möglichkeit zur Lösung einiger der vorher diskutierten Probleme skizziert. Abschließend werden Handlungsempfehlungen für die deutsche Außen- und UN-Politik formuliert. Die globale Arbeitsteilung in der Friedenssicherung Friedensmissionen lassen sich zunächst in UN- geführte Missionen (im Folgenden UN-Missio- nen) und Missionen, die von anderen Organisatio- nen oder Koalitionen durchgeführt werden (im Fol- genden Nicht-UN-Missionen), unterscheiden. Mis- sionen der ersten Kategorie werden grundsätzlich über den Peacekeeping-Haushalt der UN und da- mit von allen Mitgliedstaaten nach einem ausgehan- delten Schlüssel getragen; außerdem werden sie vom dafür in New York zuständigen Department of Peacekeeping Operations (DPKO) geführt. Hie- runter fallen derzeit 17 Missionen (Sommer 2012). Zusätzlich existieren derzeit 15 militärische Nicht- UN-Missionen sowie 12 weitere polizeiliche oder zivile Missionen, letztere bis auf eine Ausnahme von der EU oder der OSZE durchgeführt. Über diese globale Arbeitsteilung hinaus besteht eine de facto- Aufgabenteilung innerhalb der UN zwischen (1) den Staaten, die die Entscheidungen über Einsätze im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN-SC) fällen, (2) derer, die sie finanzieren und (3) jenen, die das Personal stellen. Eine Untersuchung des Zeitraums 2001-2008 ergab, dass die TCC und die Truppensteller für Nicht- UN-Missionen zwei weitgehend getrennte Staaten- gruppen bilden. Westliche Staaten schicken ihre Truppen überwiegend in NATO-Missionen, der globale Süden stellt das Personal für UN-Missionen. Es hat sich also eine Art „Zweiklassen-System“ der internationalen Friedenssicherung entwickelt. Aus diesem langfristig kaum tragfähigen System resultieren zwei Konsequenzen: erstens wird dem fiktiven globalen Pool an Peacekeepern für UN- Missionen eine beachtliche Menge an Personal entzogen (vgl. Abb. 1). Zweitens bedeutet die Auf- In der Reihe Policy Paper nehmen Autoren der DGVN Stellung zu aktuellen Diskus- sionen im Bereich der Vereinten Nationen, der internationalen Zusammenarbeit sowie zu Fragen der deutschen UN-Politik. Keine Partner zweiter Klasse: Die Truppenstellerstaaten der Vereinten Nationen verdienen Deutschlands Unterstützung Christian Stock / Johannes Varwick herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. DGVN Policy Paper 1/2012 ISSN-1614-5461 * Im Folgenden sind mit „TCC“ immer die Truppensteller der UN gemeint, wenn es nicht explizit anders angegeben wird.

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Unter den Blauhelmen der Vereinten Nationen(United Nations, UN) findet man nur wenige west-liche Gesichter. Stattdessen herrscht in mehrfacherHinsicht eine Arbeitsteilung in der Friedenssiche-rung – global, funktional und auch innerhalb derUN selbst. Es sind überwiegend Staaten des globa-len Südens, die als Truppen stellende Staaten (troopcontributing countriesoder kurz TCC*) das Personalfür die Friedensmissionen der UN liefern. Dieswird in der internationalen Sicherheitspolitik zu Un-recht als Selbstverständlichkeit betrachtet, dennsowohl die Architektur der internationalen Friedens-sicherung als auch die UN-interne Arbeitsteilung lie-fern negative Anreize für die TCC, ihr Engagementim derzeitigen Umfang aufrecht zu halten. ZurUntermauerung dieser These wird die Arbeitsteilungin der Friedenssicherung näher untersucht und dieAnreizstruktur der TCC innerhalb der UN analy-siert. Daraus werden Schlussfolgerungen gezogen,die sich auf Reformmöglichkeiten des Status Quobeziehen. Darauf aufbauend wird ein neuer Rahmenfür Friedensoperationen als Möglichkeit zur Lösungeiniger der vorher diskutierten Probleme skizziert.Abschließend werden Handlungsempfehlungen fürdie deutsche Außen- und UN-Politik formuliert.

Die globale Arbeitsteilung in der Friedenssicherung

Friedensmissionen lassen sich zunächst in UN-geführte Missionen (im Folgenden UN-Missio-nen) und Missionen, die von anderen Organisatio-nen oder Koalitionen durchgeführt werden (im Fol-

genden Nicht-UN-Missionen), unterscheiden. Mis-sionen der ersten Kategorie werden grundsätzlichüber den Peacekeeping-Haushalt der UN und da-mit von allen Mitgliedstaaten nach einem ausgehan-delten Schlüssel getragen; außerdem werden sie vomdafür in New York zuständigen Department ofPeacekeeping Operations (DPKO) geführt. Hie-runter fallen derzeit 17 Missionen (Sommer 2012).Zusätzlich existieren derzeit 15 militärische Nicht-UN-Missionen sowie 12 weitere polizeiliche oderzivile Missionen, letztere bis auf eine Ausnahme vonder EU oder der OSZE durchgeführt. Über dieseglobale Arbeitsteilung hinaus besteht eine de facto-Aufgabenteilung innerhalb der UN zwischen (1) denStaaten, die die Entscheidungen über Einsätze im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN-SC)fällen, (2) derer, die sie finanzieren und (3) jenen,die das Personal stellen.

Eine Untersuchung des Zeitraums 2001-2008 ergab,dass die TCC und die Truppensteller für Nicht-UN-Missionen zwei weitgehend getrennte Staaten-gruppen bilden. Westliche Staaten schicken ihreTruppen überwiegend in NATO-Missionen, derglobale Süden stellt das Personal für UN-Missionen.Es hat sich also eine Art „Zweiklassen-System“ der internationalen Friedenssicherung entwickelt.Aus diesem langfristig kaum tragfähigen System resultieren zwei Konsequenzen: erstens wird demfiktiven globalen Pool an Peacekeepern für UN-Missionen eine beachtliche Menge an Personalentzogen (vgl. Abb. 1). Zweitens bedeutet die Auf-

In der Reihe Policy Papernehmen Autoren der DGVN Stellung zu aktuellen Diskus-sionen im Bereich derVer einten Nationen, der internationalen Zusammenarbeit sowie zu Fragen derdeutschen UN-Politik.

Keine Partner zweiter Klasse: Die Truppenstellerstaaten der Vereinten Nationenverdienen Deutschlands UnterstützungChristian Stock / Johannes Varwick

herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.

DGVNPolicy Paper 1/2012

ISSN

-1614-5461

* Im Folgenden sind mit „TCC“ immer die Truppensteller derUN gemeint, wenn es nicht explizit anders angegeben wird.

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teilung in westliche und nichtwestliche Staaten, dassdie UN keinen oder nur geringen Zugriff auf die hochentwickelten Fähigkeiten moderner west-licher Armeen besitzen.

Die unterschiedlichen Fähigkeitenprofile von UN-und Nicht-UN-Missionen legen zudem eine funk-tionale Aufgabenteilung nahe. Aus dieser Perspek-tive sind UN-Missionen für das Einsatzprofil ‚inte-grierte Operation’ (in der die Betonung auf der zivilen Komponente und einem entsprechendenAnsatz liegt) und Nicht-UN-Missionen für ‚enfor-cement’-Aufgaben unter glaubhafter Androhung(und ggf. Anwendung) von militärischem Zwangam besten geeignet.

Häufig wird zudem betont, dass Nicht-UN-Missio-nen – die in aller Regel ebenfalls UN-mandatiertsind – den UN Handlungsspielräume jenseits derMöglichkeiten ihres eigenen Budgets eröffnen.Dies trifft vor allem dann zu, wenn man unterstellt,dass Staaten ihr Geld zumindest im sicherheitspo-litischen Bereich lieber direkt als über den Umwegdes UN-Budgets ausgeben.

UN-Friedenssicherung: mehrfach zweitrangigDer Vorteil dieser globalen Arbeitsteilung bestehtfür die TCC darin, dass sie eine potenziell pres -tigeträchtige Funktion innerhalb der Friedenssiche-rung wahrnehmen können, die ihnen sonst ver-

wehrt bliebe. Zugleich bringt diese Form der Un-terstützung der UN, die ‚näher an der Charta’ ist,die TCC in eine starke Position, Kritik an der glo-balen Arbeitsteilung üben zu können. Erstens sindUN-Peacekeeper – schon optisch die ‚Garde derUN‘– im Einsatz strukturell schlechter geschütztals ihre Kameraden in Nicht-UN-Missionen, insbe-sondere jene der NATO. Dies liegt vor allem an derungleichen Verfügbarkeit von Evakuierungs- und‚over-the-horizon’-Eingreifkräften sowie der Aus-stattung mit (kostenintensiver) medizinischer Aus-rüstung. Zweitenswird das Kalkül der Nicht-TCC,das deutlicher an machtpolitischen und ökonomi-schen Interessen orientiert ist, häufig kritisiert.Dennoch finden es einige TCC mittlerweile durchaus attraktiv und überlegen, ihr eigenes En-gagement entsprechend zu ändern. Dieser Gesin-nungswandel im Verständnis von Engagement –insbesondere dann, wenn er von der Mehrheit offen vertreten wird – ist schwer mit dem Anspruchder UN-Charta in Einklang zu bringen. Drittensschließlich ist es bekannt, dass UN-Missionen in derRegel kosteneffizienter sind als Nicht-UN-Mis-sionen. Der Sparzwang, der von westlichen Diplo-maten bei jeder Gelegenheit als Grund für die Zu-rückhaltung der Beitragszahler genannt wird, müss-te daher haushälterisch-rational eher zu einer Um-schichtung zugunsten von UN-Missionen führen.Da dies nicht der Fall ist, liegt es aus Sicht der TCC nahe, dem Westen nationale Eigeninteressenund nicht die Absicht einer effektiveren Verwen-

Der Vorteil dieser

globalen Arbeits -

teilung besteht für

die TCC darin,

dass sie eine poten-

ziell prestigeträchtige

Funktion innerhalb

der Friedens sicherung

wahr nehmen können,

die ihnen sonst

verwehrt bliebe.

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UN NATORegional and ad hoc deployments

150000

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02001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

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Abb. 1:Militärisches Personal in Friedensmissionen 2001-2011, Quelle: Center on International Cooperation (2012):Annual Review of Global Peace Operations. Briefing Paper. S.1.

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dung der eigenen Truppen zu unterstellen. DasZweiklassen-System bezieht sich somit nicht nur aufdie Ausführung, sondern auch auf die Bedeutung derKonflikte, in die Missionen entsandt werden. DieUN werden oftmals dort aktiv, wo kein westlicherStaat eingreifen möchte. UN-Missionen haben da-mit aus westlicher Perspektive automatisch eine ge-ringere Priorität, weil sie in – für ihre Interessen re-lativ – ‚unwichtige‘ Konflikte entsandt werden.

• Die Kernaufgabe der Friedenssicherung ist glo-bal, funktional und innerhalb der Vereinten Na-tionen deutlich zwischen relativ klar abgegrenz-ten Staatengruppen arbeitsteilig organisiert.

• Blauhelme in UN-Missionen sind schlechtervor den Risiken ihres Einsatzes geschützt undwerden vor allem in die Einsätze geschickt, denen in der westlichen Öffentlichkeit relativwenig Aufmerksamkeit zuteil wird.

• Die Tatsache, dass sowohl in den westlichenStaaten als auch im globalen Süden das Bewusstsein vorherrscht, dass Nicht-UN-Missionen eher den nationalen Interessen die-nen als die Beteiligung in UN-Missionen,schwächt die Tragfähigkeit dieses Zweiklassen-Systems deutlich.

Die UN-interne Arbeitsteilung

Die Unterscheidung in westliche Staaten und Staa-ten des globalen Südens verweist bereits darauf, dassletzteren innerhalb der UN als Truppensteller einewichtige Bedeutung zukommt. Sie stellen kontinu-ierlich die Mehrheit des militärischen Personals.Mitte der 1990er waren unter den Top-10 hinge-gen noch mehrere europäische Staaten, so Frank-reich, Großbritannien, Polen, die Niederlande undNorwegen. Der erste westliche Staat ist heute Italien auf Rang 14.

Ein besonderes Merkmal der TCC innerhalb derUN-internen Arbeitsteilung ist die Freiwilligkeit,denn trotz des allgemeinen Aufrufs zur Truppen-stellung nach Art. 43 der UN-Charta besteht keine Möglichkeit der Zwangsverpflichtung. Die Finanzierung von UN-Missionen hingegen erfolgtüber Pflichtbeiträge, die sich grob am Verteiler-schlüssel des regulären Budgets orientieren.

Ein vergleichender Blick auf Abb. 2 und Abb. 3macht deutlich, dass es keine Übereinstimmung zwi-schen den Staatengruppen gibt. Ergänzend belegtAbb. 4, dass der personelle Anteil der Beitragszah-

ler nach 2000 immer geringer wurde, bis sie dannim Jahr 2007 durch die Mandatierung von UNMILII wieder etwas stieg. Das bedeutet, dass der west-liche Anteil am Militärpersonal während der letz-ten großen Expansion (‚surge’) der UN-Friedens-sicherung gesunken ist.Bezieht man schließlich dienicht-ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsra-tes (UN-SC) in die Betrachtung ein, zeigt sich, dassauch hier keine Korrelation zur Truppenstellungexistiert. Ausnahmen waren im Zeitraum von 1996bis 2009 Kenia, Ghana, Bangladesch und Südafri-ka. Ob die gegenwärtige (2012) UN-SC-Mitglied-schaft von Pakistan und Indien eine Trendwendeeinleiten wird, bleibt abzuwarten. Zugleich sind diemeisten der Top-Beitragszahler permanent oderhäufig im UN-SC vertreten.

Ein besonderes

Merkmal der TCC

innerhalb der UN-

internen Arbeits-

teilung ist die Frei-

willigkeit, denn trotz

des allgemeinen

Aufrufs zur Truppen-

stellung nach Art. 43

der UN-Charta

besteht keine Mög -

lich keit der Zwangs -

verpflichtung.

DGVN Policy Paper 1/2012 3

Rang Land Punkte1 Pakistan 284

2 Bangladesch 277

3 Indien 226

4 Nigeria 178

5 Ghana 146

6 Jordanien 131

7 Nepal 127

8 Uruguay 67

9 Kenia 44

10 Äthiopien 42

Abb. 2: Die zehn quantitativ bedeutendsten Truppen-steller 2001-2010. Es wurden pro Jahr drei Stichprobengezogen, insgesamt also 30. Der Staat, der im betreffen-den Monat die meisten Truppen stellte, erhielt dafür 10 Punkte, der zweite 9 usw. Im Untersuchungszeitraumkonnten also maximal 300 Punkte erreicht werden. DiePunktezahl ist also ein Produkt aus Regelmäßigkeit undAnteil der gestellten Truppen. Quelle: eigene Berech-nung auf Grundlage von DPKO-Daten als Teil eines um-fangreicheren Forschungsprojektes zu den TCC.

Rang Land Punkte1 USA 150

2 Japan 135

3 Deutschland 118

4 Vereinigtes Königreich 98

5 Frankreich 96

6 Italien 78

7 Kanada 55

8 Spanien 40

9 China 24

10 Russland 9

Abb. 3: Die zehn Mitgliedstaaten mit dem größten An-teil am UN-Peacekeeping-Budget 1999-2011. Der Staat,der im betreffenden Jahr den höchsten Anteil zahlte, erhielt dafür 10 Punkte, der zweite 9 usw. Im Unter -suchungszeitraum konnten also maximal 140 Punkte erreicht werden. Quelle: eigene Berechnung auf Grund-lage von Philip Cunliffe: The Politics of Global Governancein UN Peacekeeping, in: International Peacekeeping 3(2009), S., 323–336; Daten des Center on InternationalCooperation; Daten des UN-Sekretariats.

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• Innerhalb der UN übernimmt der globale Sü-den die Truppenstellung, der Westen finanziertdie Einsätze. Im UN-SC sind große Truppen-stellerstaaten kaum, Beitragszahler hingegenüberproportional vertreten.

• Das militärische Engagement der Top-Bei-tragszahler im Rahmen der UN ist zeitgleichmit der Ausweitung der UN-Friedenssicherunggesunken.

Motive für das Engagement der TCC des globalen Südens

Aufgrund der strukturellen Isolation der TCC imGefüge der Stakeholder in der UN-Friedenssicherung– TCC, Beitragszahler, UN-SC und UN-Sekretariat – stellt sich die Frage, welche Faktoren dieMotivation der TCC ausmachen und wie tragfähigdiese sind. Grundsätzlich lassen sich hier das Strebennach ideellem Prestige, das Streben nach einer kon-kreten Erweiterung des Einflusses und direkte Vor-teile auf Ebene der Nationalstaaten unterscheiden.

PrestigeWestliche Staaten sind in der Regel darum bemüht,ihr sicherheitspolitisches Handeln durch Rück -bezug auf die UN-Charta und Resolutionen desUN-SC zu legitimieren. Viele der südlichen TCChingegen stellen die Werte der UN als Ziel und ihreigenes Handeln als dazu notwendigen Beitragdar. Hinzu kommt bisweilen die Selbstinszenierungals ‚friedliebende Nation‘ oder auch als ‚Friedens-bringer‘, insbesondere dann, wenn sich die Regie-rung Kritik an ihrer Friedfertigkeit ausgesetzt sieht.Zumindest bei einigen TCC ist fraglich, ob sie nicht

auch von menschenrechtlichen Defiziten im eige-nen Land ablenken wollen. In jedem Fall ist der Zu-wachs an internationaler Bedeutung ein Pfand,mit dem sich national und regional wuchern lässt.Die langfristige Tragfähigkeit des internationalenPrestiges als Motivation der TCCs ist jedoch fragwürdig, so lange es deklaratorisch bleibt. Gera-de angesichts der angesprochenen realpolitischenVorteile, die sich Staaten durch ihre Aktivitäten inNicht-UN-Missionen sichern, bedarf es auch kon-kreter und sichtbarer Anerkennung innerhalb derUN, damit das ideelle Prestige einen greifbaren Gegenwert erhält.

Einfluss innerhalb der UNEine zentrale Forderung der TCC lautet daher, dassdiese Staaten regelmäßiger – oder sogar permanent– im UN-SC vertreten sein müssten oder zumin-dest besser in die konzeptionelle Entwicklung derUN-Friedenssicherung und in den Prozess derMandatsformulierung eingebunden werden sollten.Dies ist auch zentral im Leitthema der gegenwär-tigen Reformbemühungen aus dem UN-Sekretari-at (‚New-Horizon-Prozess’), der ‚partnership inpeacekeeping’. Konkret geht es sowohl um Informa-tionsrechte als auch um aktive Mitgestaltung. Diebisherige Praxis nichtöffentlicher Sitzungen zum In-formationsaustausch mit dem UN-SC und dieEinrichtung der Plenararbeitsgruppe zur Friedens-sicherung des UN-SC sind aus Sicht der TCC nachwie vor nicht ausreichend. Die jüngsten Reform-schritte, nach denen das DPKO die TCC besser aufdie Sitzungen mit dem UN-SC vorbereiten soll undder Sitzungstermin nun mindestens zwei Wochenvorab bekannt gemacht wird, sind eher inkremen-taler Natur. Weitere Maßnahmen, z. B. die bereitsim UN-SC diskutierte Einbeziehung des bisher eher

Gerade angesichts

der realpolitischen

Vorteile, die sich

manche Staaten

durch ihre Aktivi -

täten in Nicht-UN-

Missionen sichern,

bedarf es konkreter

und sichtbarer Aner-

kennung für die

TCC, damit das

ideelle Prestige einen

greifbaren Gegen-

wert erhält.

4 DGVN Policy Paper 1/2012

Anteil am militärischen Personal in %

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15

10

5

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1997

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2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Abb. 4: Anteil der jeweiligen Top-10-Beitragszahler an der Gesamtzahl des militärischen Personals in UN-Missionenim jeweiligen Jahr. Quelle: eigene Darstellung nach Cunliffe (2009: 330).

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inaktiven Militärausschusses, sind notwendig, umdie Erfahrungen der TCC besser nutzbar zu ma-chen. Trotz struktureller Verbesserungen bedarf esjedoch auch des selbstbewussten Auftretens derTCC. Häufig entwickeln sich jedoch beispielswei-se die ‚triangular consultations’ zwischen UN-SC,DPKO und TCC, die als strategischer Dialog zurbesseren Einbindung der TCC gedacht sind, zu einem Dialog zwischen UN-SC und Sekretariat. Zudem handeln viele TCC einzeln und ihren jewei-ligen nationalen Interessen folgend, was ihre Durch-setzungsfähigkeit als Akteursgruppe reduziert.

Eine weitere Forderung der TCC, die an einem we-niger prominenten Punkt ansetzt, ist ein größerer An-teil an der Mitarbeiterschaft im UN-Sekretariat.Die gegenwärtige Praxis, die Anzahl der Angehöri-gen der Mitgliedsstaaten im Sekretariat an der Höheder jeweiligen finanziellen Beiträge zu orientieren,wird dementsprechend kritisiert. Der Eindruck derTCC, dass die UN-Friedenssicherung ‚kopflastig‘ sei,erhält dadurch zusätzliches Problempotenzial. Auf-grund der Tatsache, dass das DPKO auf der Arbeits-ebene die engsten Kontakte zu den TCC unterhält– 2010-2011 fanden doppelt so viele Konsultationenzwischen den TCC und dem DPKO statt wie zwi-schen TCC und UN-SC – und dort nicht nur dieRichtlinien für die Missionen entstehen, sondernauch das Feedback aus dem Feld verarbeitet wird,liegt nahe, dass die TCC bei der Personalplanung imDPKO stärker berücksichtigt werden sollten.

Der Einfluss der TCC im Sonderausschuss fürFriedenssicherung der UN-Generalversammlung(kurz ‚C-34’ aufgrund seiner ursprünglichen Mit-gliederzahl) ist hingegen groß. Mit Nigeria stellt eines der bedeutendsten TCC seit vielen Jahrenkontinuierlich den Vorsitz. Die thematische Brei-te des Ausschusses hat sich im Laufe der Jahre geweitet. Während das C-34 sich ursprünglichmit Finanzierungs- und Prinzipienfragen befasste,hat es sich mittlerweile zur Clearingstelle für dieMitgliedstaaten entwickelt. Die Zusammenarbeitmit dem UN-Sekretariat ist eng, die Weiterentwick-lung der UN-Friedenssicherung wird regelmäßig inden detaillierten und umfangreichen Berichtendes C-34 und den Antworten des UN-Generalse-kretärs diskutiert. Allerdings war es nicht möglich,dort 2011 zu einer Einigung über die Anpassung derAufwandsentschädigungen für die TCC zu kom-men. Aus Sicht westlicher Staaten geht es bei derDiskussion um die zukünftige finanzielle Gestaltungder UN-Friedenssicherung hauptsächlich um Ein-sparpotenziale und Effizienzsteigerung. Die TCC

hingegen fordern eine Anpassung der Aufwandsent-schädigungen sowohl für Personal als auch für Gerät, da die letzte Neuregelung zehn Jahre und diezu Grunde liegende Einschätzung der Kosten -niveaus zwanzig Jahre zurückliegt. Die Tatsache,dass der UN-Generalsekretär Anfang 2012 eineHochrangige Beratergruppe eingesetzt hat, die Be-wegung in die verfahrene Situation bringen soll,macht die Schwäche des C-34 deutlich, wenn es umharte Interessendurchsetzung geht.

Strukturelle Macht bedeutet in diesem Kontextauch, die UN-Friedenssicherung konzeptionellmitzugestalten. Aktuell stehen, vorgegeben durchdie „New-Horizon“-Initiative, die Konzepte ‚Schutzder Zivilbevölkerung’ und ‚Robustheit’ im Mittel-punkt. Die TCC nehmen hier tendenziell eine zu-rückhaltende Position ein. Das bedeutet eine skep-tische Haltung gegenüber einer Relativierung derklassischen Prinzipien des UN-Peacekeeping (Zu-stimmung der Konfliktparteien, Neutralität, Einsatzvon Gewalt nur zum Selbstschutz). Allerdings kor-respondiert dies nicht zwangsläufig mit der Haltungim Feld. So vertreten einige TCC durchaus offen-sive Varianten der Robustheit, wenn ihre eigenenStreitkräfte betroffen sind. Dennoch, der NATO-Einsatz in Libyen hat die Diskussion beeinflusst, daer aus der Perspektive vieler Staaten des Südens einBeispiel für die ‚Politisierung’ humanitärer Proble-me bot. Die Initiative Brasiliens der „responsibilitywhile protecting“ (die von der brasilianischen Präsidentin Rousseff später auch in der General -versammlung vorgestellt wurde) kann in diesem Zusammenhang durchaus als programmatische Positionierung gegen den westlichen Mainstreamverstanden werden und wird in der diesjährigen Debatte in der Generalversammlung um die robus-te dritte Säule der Schutzverantwortung (R2P)noch von Bedeutung sein.

Direkte Vorteile auf Ebene der NationalstaatenMaterielle Anreize, insbesondere über die Rücker-stattungen für Personal und Material, werden häu-fig als Motivation ärmerer TCC genannt. Zwar gibtes hierfür durchaus Anhaltspunkte in Einzelfällen,insbesondere aufgrund des relativ niedrigen Sold-niveaus in einigen Staaten des globalen Südens. Allerdings dürfte dieser Effekt nur in Ausnahmenausschlaggebend sein; die lange versäumte Anpas-sung der Erstattungen und die bisweilen jahre -langen Verzögerungen bei der Auszahlung lassendiesen Effekt eher überbewertet erscheinen. Nichtunterschätzt werden sollte aber der positive Effekt

Aus Sicht westlicher

Staaten geht es bei

der Diskussion um die

zukünftige finan zielle

Gestaltung der UN-

Friedenssicherung

hauptsächlich um

Einsparpotenziale

und Effizienz -

steigerung.

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auf die Peacekeeper in puncto Einsatzerfahrung undTraining. Letzteres bringt u.a. durch die Vorgabender UN und den regelmäßigen Einsatz ausländi-scher Berater (so im Rahmen des US-amerikani-schen ACOTA-Programmes) einen wichtigen In-put für die Ausbildung der Streitkräfte.

Zwischenbilanz

TCC engagieren sich personell nicht aus reinerCharta-Treue, sondern sie erwarten sich positiveAuswirkungen auf ihr Prestige, ihren Einfluss imUN-System sowie einige unmittelbare wirtschaft-liche und militärische Vorteile. Über einen Mangelan Prestige klagt kaum jemand, an deklaratori-scher Anerkennung mangelt es also nicht. Sie alleinreicht jedoch nicht aus. Einfluss in Form von Zu-gang zu den Mandatierungsprozessen des UN-SCund mehr nationales Personal im UN-Sekretariatsind mindestens ebenso wichtig. Hier wurden be-reits Fortschritte gemacht, aber es sind zu wenigeund es gibt derzeit für die TCC kaum eine Perspek-tive, das sich dies ändert.

Insbesondere die Tatsache, dass sich die Reform desUN-SC als ‚unendliche Geschichte‘ erwiesen hat,enttäuscht die Hoffnungen vieler TCC, die sich vonihrem Engagement einen besseren Zugang erhoffthatten. Gleichzeitig läuft der UN-SC Gefahr, an Be-deutung zu verlieren. Die Regionalisierung derFriedenssicherung mindert den Einfluss des UN-SC, ebenso die Auslagerung der Debatten in Forenjenseits der UN. In der Konsequenz lässt sich im-mer weniger Prestige durch Engagement für die UNerwerben. Zumindest im Rahmen der Friedenssi-cherung haben die westlichen Staaten vorgemacht,dass es auch sehr gut ohne geht. Zudem ist offen,ob sich gerade die emerging powersweiterhin erfolg-los um mehr Einfluss in den UN bemühen wollen.Alternativen Politikforen, in denen diese Staaten –zugleich wichtige TCCs – aktiv sind, wie z. B. das IBSA (Indien-Brasilien-Südafrika-Dialogfo-rum), dienen derzeit noch vor allem der Erörterungwirtschaftlicher Fragen. Die Abschlusserklärung desIBSA-Gipfels im Oktober 2011 enthält jedochdezidierte Aussagen zur Friedenssicherung (die be-reits oben genannte Idee der ‚responsibility whileprotecting’). Dies legt nahe, dass sich diese Forenzunehmend weiteren Politikfeldern zuwenden wer-den. Westliche Staaten sind daher gut beraten, beider Abwägung zwischen ‚klassischem’ UN- und‚modernem Kreativ-Multilateralismus‘ die Signal-effekte auf die langfristige Attraktivität der UN als

zentralem Akteur der Friedenssicherung nicht ausden Augen zu verlieren.

Auf kurze Sicht könnte die Erhöhung des Anteilsder Sekretariatsmitglieder aus verdienten TCCdas Engagement dieser Staaten honorieren und zu-sätzlich auf einfache Weise helfen, die tägliche Zu-sammenarbeit zu verbessern. Zudem wäre es grund-sätzlich überlegenswert, die Leitung des DPKOnicht als westlichen Erbhof zu behandeln, sondernauch hier das Verdienstprinzip anzuwenden.

• Prestigestreben ist eine zentrale Motivation derTCC. Es reicht allerdings nicht aus, wenndies auf der deklaratorischen Ebene bleibt.

• Innerhalb der UN streben die TCC nach einerbesseren Einbindung der TCC in die konzep-tionelle Entwicklung der Friedenssicherungund in die Mandatsformulierung.

• Da sich die Zusammensetzung des UN-SC aufabsehbare Zeit nicht ändern wird, muss sich derRat bemühen, Anreize für die TCC zu setzen,damit diese sich nicht anderen Foren undHandlungsformaten zuwenden.

• Es wäre angemessen, die TCC personell imDPKO und auch in dessen Führungsebenstärker zu berücksichtigen.

Ein neuer Missionsrahmen zurAuflösung der Spannungen?

Die Rolle der TCC oder genauer: der Wert, denStaaten einem Engagement als TCC beimessen,wird schließlich auch davon abhängen, welche Rol-le die UN-geführten Missionen in der globalenFriedenssicherung einnehmen werden. Derzeitherrscht de facto die beschriebene funktionale Arbeitsteilung: die UN führen integrierte Missio-nen durch während Regionalorganisationen undAd-hoc-Koalitionen unterstützende oder auch un-abhängige robuste bzw. ‚enforcement’-Operationenübernehmen. Nach dem Vorschlag des ehemaligenDPKO-Chefs Alain Le Roy und des für Friedenund Sicherheit zuständigen AU-Kommissars Ramtane Lamamra im World Development Report2011 könnte diese starre funktionale Teilung in einefunktionale Modularisierung überführt werden.Notwendigerweise langfristig angelegte Kompo-nenten, bspw. für den Aufbau und die Unter -stützung des Sicherheitssektors könnten, falls notwendig, kombiniert werden mit einem leichtenBeobachtermodul. Für die Sicherheit könnte eineover-the-horizon-Truppe sorgen, die im Idealfall

Westliche Staaten

sind gut beraten,

bei der Abwägung

zwischen ‚klas -

sischem’ UN- und

‚modernem Kreativ-

Multi lateralismus‘

die Signaleffekte auf

die langfristige

Attraktivität der UN

als zentralem Akteur

der Friedens sicherung

nicht aus den Augen

zu verlieren.

6 DGVN Policy Paper 1/2012

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sogar mit anderen Missionen geteilt werden könn-te. Diese Überlegungen setzen allerdings voraus,dass UN-Missionen nicht als Lückenbüßer be-nutzt werden. Genau dies wird aber von einigen Be-obachtern unterstellt. Die UN-geführten Missionenals Ergebnis der UN-internen Arbeitsteilung lösenaus dieser Perspektive das Dilemma, das sich ausdem normativem Imperativ der Charta und den po-litischen Risiken für die Intervenierenden ergibt.

Den Gedanken der funktionalen Modularisierungweitergedacht, könnte als neuer Rahmen die umfassende Hybridisierung von Friedensmissionen alsneuer Standard etabliert werden. Darin würden dierobusten Module von westlichen Staaten bereit -gestellt. Diese würden unter dem Dach der einenMission agieren und trotzdem ein höheres Maß anoperativer Autonomie behalten. Die klassischenTCC würden dadurch im Einsatz effektiv unter-stützt, was sich vor allem auf die Sicherheit des Per-sonals positiv auswirken würde. Zugleich könntenauf diesem Wege die klassischen Prinzipien der UN-Friedenssicherung entsprechend dem Anspruchder jeweiligen TCC in den nicht-robusten Modu-len angewendet werden. Natürlich heißt dies nicht,dass innerhalb einer einzigen Mission völlig unter-schiedliche Maßstäbe angelegt werden können.Zweifellos existiert aber schon jetzt ein Interpreta-tionsspielraum, der von den Mitgliedstaaten sowohlin UN-Missionen als noch mehr in Nicht-UN-Mis-sionen unterschiedlich ausgenutzt wird. Diese in derPraxis durchaus sinnvolle Vielfalt wäre innerhalb einer hybriden, in ihren Modulen heterogenenMission sicherlich immer noch kohärenter als in einer auseinanderstrebenden Zwei-Klassen-Archi-tektur, deren Züge die globale Arbeitsteilung mehrund mehr annimmt.

• Eine Modularisierung von UN-Missionenkönnte durch die bessere Anpassung der Mis-sionskomponenten an die Erfordernisse vorOrt die Effizienz der Missionen erhöhen.

• Gleichzeitig böte sie auch die Möglichkeit, -negative Effekte der Arbeitsteilung in der Frie-denssicherung zu neutralisieren und die posi-tiven Effekte besser zu nutzen. Denkbar wäre,dass westliche Staaten überwiegend die robus-ten und TCC des globalen Südens die längerim Feld stehenden klassischen Module bereit-stellten. Dadurch würden die Spezialisierungs-vorteile gewahrt; die Einheit als eine Missionwürde die Kohärenz im Vergleich zu heute jedoch steigern.

Deutschland und die UN-Truppensteller

In der UN-internen Arbeitsteilung ist Deutschlandals drittwichtigster Beitragszahler klar verortet.Diese Funktion übt es zudem mustergültig aus, weiles seine Beiträge nicht als politisches Druckmittelmissbraucht, sondern verlässlich pünktlich zahltund damit Planungssicherheit ermöglicht. Auch inder bilateralen Unterstützung der TCC ist Deutsch-land sehr aktiv. So wurden unter anderem umfang-reiche Mittel für den Aufbau des wichtigen „KofiAnnan Peacekeeping Training Centre“ in Ghana bereitgestellt und die Ausbildung und Ausrüs-tung senegalesischer Polizei finanziert, die in UNAMID zum Einsatz kommt. Konzeptionellhat sich Deutschland ebenfalls eingebracht, bspw.durch die Anregung einer ‚engineering capacity’ für Friedensmissionen.

Im Allgemeinen werden diese UN-intern erbrach-ten Leistungen zudem stets in einem Atemzug mitdem Engagement für Nicht-UN-geführte (aberUN-mandatierte) Missionen genannt und damit alsGesamtbeitrag Deutschlands zu Frieden und inter-nationaler Sicherheit politisch vermarktet. Diesgreift aus oben genannten Gründen jedoch zukurz. Auch Befürworter der funktionalen Arbeits-teilung müssen eingestehen, dass Deutschland die-se in den vergangenen Jahren zu deutlich zu Lastender UN-geführten Missionen justiert hat. Zwar waren etwa die Stabilisierungsmissionen im Kongotatsächlich eine kurzzeitige, robuste Ergänzung fürdie langfristig angesetzten, weniger robusten Blau-helme. Die Missionen etwa in Afghanistan und aufdem Balkan entsprechen durch ihre Langfristigkeitjedoch eher dem UN-Typ. Ein wichtiger Grund da-für, nicht die kosteneffizienteren UN-Missionen zuwählen, ist das Misstrauen und Vorurteile weiter Tei-le der deutschen Politik (und des Militärs) gegen-über UN-geführten Missionen. Zentral sind dabeiBedenken gegenüber der Sicherheit der eigenen Sol-daten und der vermeintlichen Ineffektivität vonUN-Missionen. Anstatt dies als gegeben zu akzep-tieren – und dabei zu ignorieren, dass etwa dieNATO-geführte ISAF in Afghanistan für Deutsch-land wesentlich verlustreicher ist als sein gesamtesbis heriges Engagement unter UN-Kommando –sollte Deutschland aktiv daran mitwirken, die Sicherheit der Soldaten in UN-Missionen besser zugewährleisten. Auch und insbesondere durch eige-nes Personal. Als Richtwert für eine maßvolle Er-höhung des personellen Anteils geben EkkehardGriep und Winfried Nachtwei an, dass Deutschland

Den Gedanken

der funktionalen

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weitergedacht,

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die umfassende

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Friedensmissionen

als neuer Standard

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eine Präsenz in mindestens der Hälfte der UN-Frie-densmissionen anstreben sollten (Griep, Ekke-hard/Nachtwei, Winfried 2011: Für eine politischeAufwertung der UN-Friedenssicherung in Deutsch-land – Ungenutzte Chancen im UN-Peacekee-ping nutzen. DGVN Policy Paper 1/2011, Berlin).Freiwerdende ISAF-Kräfte könnten hier zumindestteilweise Verwendung finden.

Neben der Fortführung des Engagements in der‚UN-Etappe’ sollte Deutschland seine Mitglied-schaft in den verschiedenen UN-Agenturen, -Un-terorganisationen und -Programmen nutzen, um de-ren Politik in einem bestimmten Konflikt kohären-ter zu gestalten und dabei auch die jeweiligen Frie-densmissionen einzubeziehen. Als einer der wich-tigsten Beitragszahler hat Deutschland eine Vorbild-funktion bei der Herstellung eines tragfähigenKompromisses zur Finanzierung der UN-Friedens-sicherung und der TCC. Kooperation durchDeutschland und seine westlichen Partnerstaatenmit den TCCs im C-34 muss als direkter Beitragzur Friedenssicherung gesehen werden und darfnicht als Verteilungskampf missverstanden werden.Auch in den angesprochenen Personalfragen kannDeutschland eine Vorreiterposition einnehmenund die Rekrutierung von erfahrenen Mitarbeiternaus südlichen TCC fördern. Dies gilt explizit auchfür die Führungsebene.

• Deutschland spielt als drittgrößter Beitragszah-ler und in der bilateralen Zusammenarbeiteine bedeutende Rolle für die UN-Friedens -sicherung.

• Als ‚typisch westlich’ agierender Staat in derglobalen Arbeitsteilung muss sich Deutschlandaber auch der Schwächen dieses Prinzips be-wusst sein. Das bisherige Einsatzprofil derBundeswehr passt zudem besser zum UN-Typals zum – politisch kaum durchsetzbaren – ‚enforcement’.

• Die wichtigste Kritik aus den Reihen der deut-schen Politik an UN-Missionen, die mangel-hafte Sicherheit des eingesetzten Personals, sollte nicht gegen die Entsendung deutschenPersonals sprechen, sondern für ein offensivesAngehen dieser Probleme unter aktiver deut-scher Beteiligung.

• Deutschland sollte sein Engagement für dieUN-Friedenssicherung stärker als dienlich fürseine eigenen Sicherheitsinteressen betrachtenund weniger als notwendige Folge multilatera-ler Verpflichtungen.

Christian Stock ist Doktorand am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg.Johannes Varwick ist Professor für Politikwissen-schaft, ebenfalls an der Universität Erlangen-Nürnberg, und Mitglied des Forschungsrates derDGVN.

Das Policy Paper basiert auf einer Konferenz des DGVN-Forschungsrates an der folgende Personen mitgewirkt haben:Prof. Dr. Donald C. F. Daniel, Georgetown University, Washington; Generalmajor a.D. Manfred Eisele, ehem. Beige-ordneter Generalsekretär der Vereinten Nationen im DPKO;Oberstleutnant Manfred Ertl, Militärischer Berater der Abteilung Vereinte Nationen des Auswärtigen Amtes; Kassa Gebreyohannes, Botschaftsrat, Äthiopische Botschaft Berlin;Dr. Ekkehard Griep, stellvertretender Vorsitzender der Deut-schen Gesellschaft für die Vereinten Nationen; S.E. Shahid A.Kamal, Botschafter der Islamischen Republik Pakistan inDeutschland; Prof. Dr. Heike Krieger, FU Berlin; Prof. Dr.Winrich Kühne, Johns Hopkins University, Bologna; Alain Le Roy, ehem. Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen im DPKO; Izumi Nakamitsu, Leiterin der Policy, Evaluation and Training Division im DPKO; I. E. Prof. U. Joy Ogwu, Stän dige Vertreterin Nigerias bei den Vereinten Nationen; Ruprecht Polenz, MdB, Vorsitzender des Auswärtigen Aus-schusses des Deutschen Bundestages; Prof. Dr. Hassan A. Saliu, University of Illorin; Dr. Elisabeth Schöndorf, StiftungWissenschaft und Politik, Berlin; Christian Stock M.A., Uni-versität Erlangen-Nürnberg; Michael von Ungern-Sternberg,Abteilungs leiter Vereinte Nationen und Globale Fragen, Auswär-tiges Amt; Prof. Dr. Johannes Varwick, Universität Erlangen-Nürnberg.

Als einer der wich -

tigsten Beitragszahler

hat Deutschland eine

Vorbildfunktion bei

der Herstellung

eines tragfähigen

Kompromisses zur

Finanzierung der

UN-Friedenssicherung

und der TCC.

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Impressum & Bezug:

u Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)Zimmerstraße 26/27, D-10969 Berlin, Tel. (030) 259375-20, Fax (030) 259375-29, Email: [email protected], Internet: www.dgvn.de,Redaktion: Dr. Alfredo Märker, Stand: Juni 2012

u DGVN Policy Papers und andere DGVN-Publikationen können gegen Erstattung der Portokosten bestellt werden. DGVN Policy Papers stehen auch zum Download auf der Internetseite der DGVN zur Verfügung.

u Aktuelle Berichterstattung und Hintergrundinformationen zur UN-Friedens-sicherung finden sich im DGVN Internetportal www.frieden-sichern.de

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