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DIE ARCHITEKTUR DER IWANE 161

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DIE ARCHITEKTUR DER

IWANE

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Abb. 154 Schah-Moschee in Isfahan. Fassade mit «Außen-Iwan» zum PlatzMaidan-i Schah.

Abb. 153 Fassadenlose Architektur der Freitagsmoschee in Isfahan. Der Hofwird durch die «Innen-Iwane» gestaltet.

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DER IWAN UND DIE ENTSTEHUNG DESSTADTRAUMS

Die fassadenlose Architektur der ersten Periode von 650 bis1250 erwies sich beim Bau größerer architektonischer Ensembleals problematisch. Der Bau immer größerer Moscheen, die mitder Zeit immer mehr Gläubigen Platz bieten mussten, ist eingutes Beispiel für dieses Problematik (Abb. 153). Jedes großeGebäude verlangt einen differenzierten Eingang, den derBesucher erkennt und der ihm den Weg weist. Außerdem wurdedie kahle Außenwand als zu armselig für eine Religionempfunden, die sich als universell verstand. In Persien undMittelasien wurden die Außenflächen religiöse Gebäude miteiner enormen dekorativen Intensität verziert. Die Mauern undKuppeln wurden mit einer scheinbar unendlichen Vielfalt anFormen und Ornamenten überzogen. Keramikmosaike undKacheln eroberten die leere Wand und die Fassaden erhielteneinen repräsentativen Charakter.

Bis zu diesem Punkt der Entwicklung kannte die islamischeArchitektur nur “Innenfassaden”, dass heißt, nur eineGestaltung der Hofinnenseiten. Der Innen-Iwan, ein großes demHof zugewandtes Portal, diente als Wegweiser, der die Richtungder Qibla-Wand markierte. Zugleich war er ein schattigerEmpfangssaal, der unabhängig vom Innenraum der Moscheegenutzt werden konnte. Die neue Aufmerksamkeit für dasÄußere, für die Außenfassade, wurde von einer Betonung desEingangs begleitet. Der Innen-Iwan, der zunächst nur zumRepertoire der Höfe gehörte, übernahm als Teil derAußenfassade eine ganz neue Rolle. Erst dort, in derAußenmauer, erhielt er die eigentliche Funktion einesEingangsportals. Dieser Sprung des Iwan vom innen zum außenveränderte die Gebäude nachhaltig: Die primitive Moschee, eineunbegrenzte Baumasse ohne besondere architektonischeHöhepunkte, dehnte sich in der Vertikalen aus; die Kompositiondes Hofes änderte sich radikal, indem zwei sich kreuzendeAchsen auf die bis dahin homogene Säulenstruktur gelegtwurden.

Der von Minaretten flankierte Iwan ist charakteristisch für dieArchitektur Irans und Mittelasiens. Mit der Verlagerung desIwan vom Hofinneren an die Außenseite der Gebäude erreichendie Außenfassaden eine Monumentalität, die einen Grundsteinfür die Entwicklung der großen islamischen Stadtplätze legt. Vorden großen Gebäuden herrschaftlicher oder religiöserBedeutung mussten große Plätze freigehalten werden, vondenen aus die Monumentalität eines neuen Portals überhaupterst wahrgenommen und bewundert werden konnte.

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Die Entwicklung der Iwan-Moschee aus der Medrese und dieVerlagerung des Iwan nach Außen haben somit die Entstehunggroßer offener Räume vor den monumentalen Gebäudenausgelöst. Die traditionelle islamische Architektur zeichnetesich durch die gewollte, absichtliche Verneinung derAußenfassade aus. Eindrucksvolle Gebäude mit imposantenFassaden traten in Persien und Mittelasien ab dem 14.Jahrhundert auf. Die Intensität und Kraft des Dekors, dieAbsicht, eine gestaltete Außenfläche zu bilden, und dermonumentale Maßstab, bedeuteten nicht unbedingt eine Abkehrvon dem grundlegenden Prinzip islamischer Weltanschauung:sich nicht nach außen zu zeigen.

Trotz des scheinbaren städtebaulichen Charakters derislamischen Plätze, behält der Raum seine Eigenschaft, ein“Innen” zu sein. Die islamischen Plätze sind nichts anderes, alsgroße Höfe oder Innenhöfe in städtischem Maßstab. Ein Belegdafür ist der Umgang mit der Wand, einer blinden Fläche, derverschiedene unabhängige Elemente wie der Iwan hinzugefügtwerden. Die Außenwand kann daher nicht im europäischenSinne des Wortes als “Fassade” bezeichnet werden. Dieislamische Architektur bleibt damit eine Architektur ohneFassaden.

DIE URSPRÜNGE DES IWANS

Eines der wichtigsten Elemente in der Entwicklung derislamischen Architektur ist der Iwan, das große räumliche Por-tal. Der Begriff Iwan ist aus dem persischen Aywan abgeleitet,was soviel wie “eine Art Zimmer” bedeutet. Hoag (1986)beschreibt den Iwan als “eine gewölbte Nische oder offeneVorhalle”, die sich zu einem Hof öffnet (S. 203). Der Iwan fügtsich in eine große Oberfläche oder Pistaq ein, die den Saaleinrahmt. Beide Begriffe, Pistaq und Iwan, werden sogar alsSynonyme benutzt, obwohl es entscheidende Unterschiede gibt.Der Pistaq ist ein großes Rechteck, das einen Spitzbogeneinrahmt. Der Bogen schließt eine Gewölbehalle ab. ImGegensatz zum Iwan thront der Pistaq jedoch meist auf zweidicken Säulen oder Pilastern. Nach Hoags Definition ist derPistaq ein “Mauerteil, das sich über die Dachlinie erhebt und einPortal oder einen Iwan bekrönt” (S. 203). Der Pistaq diente derBetonung einer Öffnung, die damit den Rang einesEingangsportals gewinnt. Der Iwan ähnelt einem Innenraum,dessen eine Hälfte weggeschnitten worden ist, so als ob man ihnim Schnitt sehen könnte. Neben seiner Funktion, den Eingangzu markieren und der Fassade einen monumentalen Aspekt zuverleihen, gilt der Iwan auch als Symbol des Paradises. Dieältesten und alten Iwane waren immer Innen-Iwane.

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Der erste große Iwan der Geschichte wurde im Taq-i Kesra

Palast des Königs Kosroes II. (590-628) in Ktesiphon, unweit vonBaghdad errichtet (Abb. 155). Er nahm die Formen “der früherenpartischen Paläste von Assur und Hatra wieder auf und steigertesie zu gewaltigen Dimensionen” (Bianca 1991, S. 81). DieserIwan war ein überdachter Raum, an drei Seiten von Mauernbegrenzt, wie eine großzügige Nische mit einer ebenenRückwand. Einer der ersten europäischen Reisenden, dieKtesiphon besuchten, war Gaspar de Bernardino. Derportugiesische Handelsreisende, der 1606 die Wüste zwischenMeshed Ali und Aleppo durchquerte, bezeichnete den Iwan vonKtesiphon als “das Großartigste, was er auf seinen Reisengesehen hatte” und “so groß, dass ein Handelssegler unter ihmhätte hindurchfahren können” (Carruthers 1996, xix). Derriesige Raum, der nach oben hin von einem 26 Meter langen undim Scheitel 34 Meter hohen Tonnengewölbe bedeckt war, dientewahrscheinlich als Empfangssaal des Herrschers. Hinter demIwan befand sich der Thronsaal.

Die Abasiden-Kalifen übernahmen den Iwan aus der Architekturder Sassanidenpaläste. Die ersten, noch unvollkommenenBeispiele finden sich ab dem 8. Jahrhundert in ihren Wüsten-Palästen in Syrien und Palästina. Der Iwan ist hier jedoch nochnicht als eigenständiges Architekturelement hervorgehoben,sondern ähnelt basilikalen Sälen oder Triumphbögen. Zunächstwurde er nur in die Medresen, die hofartigen Koranschulen,eingefügt und erst später fand dieses Baumerkmal auch Eingangin die Moscheen. Nach und nach verlagerte sich der Iwan dannin die Außenfassaden der religiösen Gebäude. Der Iwan wurdezu einem wesentlichen Bestandteil der persischen religiösenArchitektur, in dem er nicht nur die Raumgliederung derGebäude veränderte, sondern auch die Bauweise.

Abb. 155 Iwan des Taq-i Kesra-Palastes im heutigen Irak, 6. Jahrhundert.

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Der Hof der Moschee, der bis jetzt von Säulen oder Pilastern ineinfachen undefinierten Kolonnaden umsäumt war, wurdedurch dieses Element bereichert und erhielt neueentscheidende Kompositions-Achsen. Der Iwan wird Teil jederder vier Kolonnaden und besetzt deren Mitte. Der frühe,gleichmäßige Hof gewinnt an Monumentalität und verliert seineschlichte Gestalt. Trotz der neuen Raumgliederung gibt es keinegrundsätzliche Raumhierachie und keine der vier Richtungenwird besonders betont. Zwar ist der Qibla-Iwan größer als dieanderen, aber der Unterschied ist kaum wahrnehmbar und allevier Portale haben eine gleich starke Stellung. Die räumlicheUnbestimmtheit des Hofes wird durch die Wiederholung seinerElemente betont, genauso wie der Betsaal der Moschee, wo derBlick zu keinen bestimmten Punkt gelenkt wird, sondern aufeine Fläche, die Qibla-Wand.

Die Einfügung des Iwan in die Formensprache der religiösenArchitektur im Laufe des 12. Jahrhunderts bringt auch neueSpannungen im inneren Gleichgewicht des Gebäudes mit sich.Die frühere Homogenität des Säulensaals wird durch die Iwane

aufgehoben und der bisher unbegrenzte Raum in vier Teilezerschnitten. Außerdem erhält die Hoffassade damit eineMonumentalität, die das gänzliche Fehlen einer Außenfassadenoch offensichtlicher macht. Eine Grundidee der islamischenArchitektur wird jedoch trotz der Neuerung, die der Iwan

darstellt, beibehalten. Die vier Seiten des leeren Hofesbewahren trotz der neuen Monumentalität ihreGleichwertigkeit.

Die vier großen Iwane mit ihrer angedeuteten räumlichen Tiefeverfielfältigen die Blickrichtungen statt sie auf einen Punkt zulenken. Wie im Hof der frühen Moschee sieht sich derBetrachter mit einem Raum konfrontiert, der sich sowohl durcheine Vielzahl an Orientierungen als auch Perspektivenauszeichnet. Es ist ein nach oben unbegrenzentes Außen mitallen Eigenschaften eines Innen, weil der Hof rundum begrenztist. Dieser Raum wird von großen Portalen beherrscht, die einInneres versprechen, das durch deren sichtbare Rückwandgleich wieder zurückgenommen wird. Erneut handelt es sich umden zweideutigen von Widersprüchen geprägten Raum derislamischen Architektur.

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DER INNEN-IWAN: IWAN-PALÄSTE

Die Mehrzahl der erhaltenen Wüstenpaläste befindet sich inSyrien und Palästina, einer Region, in der der Islam in dieserZeit in den Städten noch keine starke Stellung hatte. Es gibtverschiedene Erkärungen über den Ursprung dieser frühenLandsitze. Anfang des 20. Jahrhunderts bezeichnetenromantisierende Historiker diese Landsitze als Badiyah. DiesesWort steht für das Verlangen nach dem “Rückzug” aus der Stadtund einem Urverlangen nach dem Leben in der Wüste. Die“allzu romantische Erklärung für die einsam gelegenenHerrenhäuser und Bäder war, daß die omaijadische Elite nurwiderstrebend das freie Nomadenleben mit dem seßhaftenLeben in der Stadt vertauschte” (Hoag 1986, S. 16). Ebensowenigkann der Versuch überzeugen, die Existenz dieserWüstenpaläste allein mit wirtschaftlichen Interessen zuerklären. Die Fürsten besaßen auch Grundstücke inunmittelbarer Nähe der Städte, wo sowohl wirtschaftlicheTätigkeit als auch ein ungestörtes Leben in der Natur vieleinfacher gewesen wäre. Die dritte Theorie geht davon aus, dassdie Fürsten vor den verpesteten und dreckigen Städten auf derSuche nach frischer Luft und Ruhe gleichsam in die Wüstengeflohen sind: “Man unterstellte, daß diese aristokratischenAraber sich nach offenen, abgesonderten und einsamen Plätzensehnten, fern von den älteren übervölkerten Handelszentren wieDamaskus oder auch von den neuen Zentren wie Basra undKufa, wo die Bevölkerung rasch zunahm” (S. 16).

Aber auch dies wäre wohl nahe der Städte ebenso möglichgewesen. Grabar (1990) behauptet hingegen, dass der Islam indieser frühen Phase seiner Ausbreitung in den Städten noch auferheblichen Widerstand stieß und die Wüstenpaläste eine idealeZufluchtsstätte für die Fürsten der Nomadenvölker waren, diebei der Verbreitung der neuen Religion eine entscheidendeRolle spielten und “als autarke Militärkolonie geplant gewesenseien, die Lebensmittel und Weideland bereithalten sollten, umein vorübergehend in der Nähe lagerndes Heer zu versorgen” (S.158). Sauvaget (1967) und Grabar (1990) haben gezeigt, “daßdiese Gebäude – manchmal befestigt – keine Stätten desVergnügens und der Erholung des Prinzen waren, sondern eherMittelpunkt ausgedehnter landwirtschaftlicher Güter, die demKalifen oder arabischen Fürsten gehörten“ (Stierlin 1996, S. 65).Während in den Städten des 7. und 8. Jahrhunderts weniggebaut wurde, war der Einfluss des Islam in ländlichen Gebietensehr groß. Er äußerte sich vor allem in der Landnahme durchFürsten, die über eine weit entwickelte Landwirtschaftverfügten. Die Wüstenpaläste oder genauer gesagt Herrensitzewaren Teil großer landwirtschaftlicher Anlagen, die derSelbstversorgung dienten. Die meisten, wenn nicht allePalastanlagen, befinden sich in oder bei kunstvoll bewässertenlandwirtschaftlich genutzten Ländereien, “die mehr zu erzeugenvermochten, als die Bewohner selbst verbrauchten” (Hoag 1986,S. 16).

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Die Palast-Architektur dieser Fürsten steht in der Tradition derrömischen Villa, die in der Mittelmeerregion in der Antikebegann und bis zum Mittelalter beibehalten wurde. In diesenländlichen Residenzen finden sich vorislamische Bauelemente,die nach und nach dem Wandel der Raum- undBauvorstellungen des sich entwickelnden Islam angepasstwerden. Hier wird bereits das Bestreben deutlich, kompakteWohneinheiten oder Baits um Höfe herum zu schaffen, in dieman durch monumentale Eingänge gelangte. Zum ersten maltaucht hier auch in der islamischen Architektur der Pistaq undseine weiterentwickelte Form, der Iwan, auf.

Für die Entwicklung des Iwan ist auch das Beispiel des PalastesHirbat al-Mafgar (Abb. 156, Abb. 157) im heute israelischbesetzten Westjordanland wichtig. Der Wüstenpalast in derNähe von Jericho wurde in der ersten Hälfte des 8.Jahrhunderts (Grabar 1990, S. 157) erbaut. Der Eingangsbereichwird differenzierter als der Rest des Ensembles behandelt. DasTor befindet sich in einem rechtwinkligen Arkaden-Innenhof,dessen Seiten 54 mal 135 Meter messen. Dieses Tor führt inden Palast, in dessen Mitte sich ein zweiter Hof befindet. Die“Fassade” dieses Hofes ist die eigentliche Fassade des Palastesoder Qasr (Hoag 1986, S. 19).

Der Säulengang des äußeren, ersten Hofes wird in der Mitte vondem Eingangsblock unterbrochen, der so breit wie dreiSäulenweiten ist. Der Rahmen um das Tor reicht bis zumBodenniveau hinunter. Das Ganze wirkt wie ein Triumphbogen,der vor einer Fassade steht. Dieser kompakte Block hat zweiklar voneinander unterschiedene Stockwerke. Über derverhältnismäßig kleinen Eingangstür erhebt sich ein solitärerBogen, der als Balkon dient. “Vom östlichen Thronsaal (imersten Stock) aus konnte man durch ein kunstvoll gearbeitetesFenster den großen Hof überblicken” (Hoag 1986, S. 19).

Die Eingangsstruktur des Hirbat al-Mafgar lässt sich jedochkaum als Iwan bezeichnen. Obwohl Hoag (1986) undEttinghausen/Grabar (1987/1994) das Portal als Iwan

beschreiben, mangelt es ihm an der Räumlichkeit einesklassischen Iwan oder, nach Marçais (1983), eines“majestätischen Eingangs”. Ettinghausen/Grabar (1987/1994)vermuten, das Ganze sei vielleicht eine symbolischeNeugestaltung des großen Thron-Iwan von Ktesiphon. Wichtig andem Beispiel des Hirbat al-Mafgar für die Entwicklung des Iwan

ist aber auf jeden Fall die Hervorhebung des Eingangs alsdifferenzierter Block, der aus der Fassade heraustritt.

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Abb. 156 Hirbat al-Mafgar, Fassade mit Eingangstor zum Palast, erste Hälfte

des 8. Jahrh..

Abb. 157 Grundriss der Anlage von Hirbat al-Mafgar.

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Eingangstorzum Palast

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Der Wüstenpalast Uhaidir oder “die Grüne” (Abb. 158) aus demJahre 778 (Hoag 1986, S. 22) befindet sich inmitten einesausgedehten, einstmals bewässerten, landwirtschaftlichgenutzen Gebietes 120 Kilometer südlich der “runden Stadt”Baghdad (Abb. 9). Uhaidir besitzt eine viertorige Außenmauermit einer Ausdehnung von etwa 175 x 169 Metern und eineInnenmauer von etwa 112 x 82 Metern (Abb. 159). Trotzt seinesfrühen Datums findet sich in dem einzigen aus der AbbasidenPeriode bekannten Wüstenpalast bereits ein früher Pistaq oder“falscher Giebel” wie Hoag (1986) ihn nennt. Er umrahmt einenBogen, der sich über dem Eingang im Hof erhebt. Hoag schreibtunter Bezug auf dieses große Portal, daß hier in Uhaidir zumersten Mal ein Iwan gebaut worden sei. DieseEingangsgestaltung findet sich nicht nur an der südlichen Seitedes Ehrenhofes, sondern auch in jeder Bait (Wohneinheit) derResidenz. Hinter dem Pistaq-Portal liegt zunächst ein Saal, derEmpfangsraum. Dahinter schließt sich ein vormalsüberkuppelter Raum an, der sich seinerseits zu dreiSäulenhallen öffnet. Die räumliche Folge von Portal,Empfangssaal und Kuppelraum wird später besonders in deniranischen Moscheen oft wiederholt und zu einem ganz neuenMoscheetypus führen.

Der Ehrenhof ist äußerst interessant, weil hier ein neuesRaumverständnis erstmals Gestalt gewinnt. Die freistehendeMauer hat die Funktion, einen Raum zu begrenzen und damitein Innen zu schaffen. Es ist allerdings untypisch für dieislamische Architektur, dass eine solche reineBegrenzungsmauer, hinter der nur lange Flure liegen, einederart gestaltete Fassade aufweist. Die langen Flurfluchtentrennen den Hauptbereich des Palastes von den Bait-Einheiten.Der Hof ist ein isolierter Raum, der wie ein Filter und zugleichwie eine Schutzzone vor dem Palast angelegt ist.

Abb. 158 Uhaidir, Palasthof, 778.

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Diese “in sich gekehrte” Fassade und der Raum, der dadurchentsteht, wird zu einem der Hauptcharakteristiken derislamischen Architektur. In dieser neuen Form, die Architekturzu verstehen und den Raum zu gestalten, kommt dem Iwan eineaktive Rolle zu. In einer kahlen Wand ohne Fenster oderOrnamentik ist der Iwan Empfangsort und zugleich Wegweiser.Die Fläche der Mauer wird vom Iwan unterbrochen. Der Iwan

bewahrt aber seine Unabhängigkeit und verschmilzt nicht mitder Wand. Abgesehen vom Iwan existiert keine echtearchitektonische Verbindung zwischen Fassade und demdahinterliegenden Gebäude. Nichts an der geschlossenen Wandweist auf die Korridore hin, die sich hinter ihr entlangziehen.Die Wand fungiert als Maske, als eine Verkleidung, hinter dersich das eigentliche Gebäude versteckt.

Der Ehrenhof in Uhaidir weist große Ähnlichkeit mit den Hof derTarik Hana Moschee von Damghan in Iran auf (Abb. 175). Diesesseltene Beispiel der frühen Abbasidenzeit wurde im Jahre 750errichtet. Die kleine persische Stützenmoschee (die im Kapitel“Die Iwan-Moschee” dargestellt wird) ist ihrem Grundriss nacharabisch, der Konstruktion und Architektur nach abersassanidisch. In dem einfachen, massigen und gänzlichschmucklosen Bau befindet sich – wie in Uhaidir – ein Pistaq

über zwei schweren zylindrischen Pfeilern, eine konstruktiveLösung, die hier zum ersten mal in einem religiösen Gebäudeverwendet wurde.

Abb. 159 Uhaidir, Grundriss.

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Aus dem Uhaidir-Komplex hat sich nach Hoag (1986) schließlichdie Qa´a entwickelt, aus der der bis ins 19. Jahrhundert für denägyptischen Wohnhausbau typische Empfangsraum wurde. Ob imEingangsbereich oder direkt als Empfangssaal, wird der Iwan dieganze Komposition des Gebäudes beeinflussen.

Es gibt auch andere frühe Beispiele persischer Wüstenpaläste,wo dem Eingangsbereich keine besondere Aufmerksamkeitgewidmet wird. Als Beispiele sollen hier nur am Rande diePaläste Mschatta, Hirban Miniah und Qasr al-Hayr aus dem 8.Jahrhundert erwähnt werden. Alle befinden sich in WüstenSyriens. Die zwei ersten verfügen über einen Diwan, eine ArtBasilika-Saal, die für diese Arbeit nicht von Interesse ist. Fastalle Wüstenpaläste wurden schon um 750 wieder aufgegeben,vor allem “wegen der Zerstörungen der Paläste der Omaijadenund deren Anhängern durch die neuen Abbassiden-Kalifen. Esgibt eine große zeitliche Lücke beim Bau königlicher Paläste, diebis in das 11. Jahrhundert reicht, als der Iwan in den nunurbanen Residenzen eine Wiedergeburt erfuhr. Der erste“systematische Einsatz des Iwans” (Ettinghausen/Grabar 1987/1994) in einem königlichen Palast findet sich im Lashkar-i

Bazar (Abb. 160), dem früheren Laskargah (Kaserne), bei Bust imSüden des heutigen Afghanistans. Der Iwan wird in denfolgenden Jahrhunderten nach seinen Vorläufern in den frühenWüstenpalästen und den etwas späteren Stadtresidenzen nunvor allem in Medresen und Moscheen eingefügt und damit alswesentliches Element der architektonischen Formenspracheentwickelt und den neuen Erfordernissen angepasst. In denMedresen kommen dem Iwan im Laufe der Entwicklung zweiFunktionen zu: In der ersten Phase bleibt der Iwan auf dasInnere der Anlage beschränkt, daß heißt auf die Höfe. In derspäteren Phase tritt der Iwan als monumentaler Portaleingangan die Außenseite der Gebäude. Diese “prächtigen Säle” (Aula

regia) dienten in Medresen und Moscheen als Versammlungsortfür Gläubige, als Lehrraum oder einfach als im Sommer beihochstehender Sonne schattiger Platz, und im Winter bei niedrigstehender Sonne lichtdurchfluteter Raum.

Abb. 160 Lashkar-i Bazar, 11. Jahrh..

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IWAN-MEDRESEN

Nach der ursprünglichen Säulenmoschee ist die Medrese diezweite große Hervorbringung der islamischen Architektur. DasWort Medrese ist aramäisch-arabischen Ursprungs und bedeutet“Studienort” oder “Ort des Studierens”. Das arabische Verb“darasa” heißt “studieren, lernen”. Seit dem 11. Jahrhundert istdie Medrese gleichbedeutend mit einer Hochschule, an derTheologie, Rechtswissenschaften, Mathematik und Astronomieunterrichtet wurde. Im heutigen Iran wird das Wort für jede Artvon Schule oder Universität benutzt. Ende des 10. Jahrhundertssetzte sich in Mittelasien und Ost-Iran die Idee durch, Schulenzu gründen, in denen die neue offizielle Religion gelehrt undverbreitet werden sollte. Nach der Besetzung Irans und des Irakdurch seldschukische Türken, wurden viele Medresen gebaut,die der Wiederbelehrung der moslemischen Massen unterBeachtung orthodoxer Prinzipien dienten. Ihr Bau wurde mitfinanzieller Hilfe der Prinzen oder durch private Spendenermöglicht. Sie dienten dem Zweck, den Einfluss der Erobererauf die religiöse Bildung zu institutionalisieren und damitsicherzustellen.

Ihr Entwurf richtete sich von Anfang an nach einer klardefinierten Form und Funktion. Das Gebäude hat daher eineinfaches Schema: Ein rechteckiger Zentralhof wird an seinenvier Seiten von einer meist ununterbrochenen Zellenreiheumgeben. Der leere Innenhof, zum Himmel hin geöffnet, ist oftmit Säulen versehen, hinter denen sich entwederuntereinander verbundene oder nebeneinanderliegendeautonome Räume anschließen. Die ideale Medrese hat zweiStockwerke, auf denen sich kleine Wohnzellen oder Hujras

befinden. Den Wohnzellen sind zum Hof hin kleine Iwane

vorgelagert. Sie verbinden die Hujras miteinander. Jede Seitedes viereckigen Hofes ist von je einem größeren Iwane gekrönt,die einen kreuzförmigen Grundriss bilden. Dies sorgt für eineklosterartige Atmosphäre.

In der Medrese wie in den Moscheen nehmen die Haupt-Iwane

nicht an der inneren Raumverteilung teil. Jedes Element, obIwan, Hof, oder Hujra, bildet eine separate Raumeinheit. In denstädtischen Medresen kam dem Eingang eine repräsentativesowie eine den Weg weisende Bedeutung zu. Die Schule wolltegerade von Außen wahrgenommen werden und ihre Funktionsollte sich an der Fassade ablesen lassen. Im Gewirr derunübersichtlichen vorderasiatischen Stadt wurde der Iwan alsTor in der Außenfassade zum Identifikationsbild der oft nurkleinen Medresen. Die Wiederholung dieses Grundmusters,insbesondere im Falle der Medresen und Hane, entspricht einergemeinsamen Strategie. Ihren Ursprung sehen vieleWissenschaftler in frühen Wohnhäusern der Provinz Chorasanim Osten des heutigen Iran. Diese Häuser erwiesen sich alsideale Muster einer Schule neuen Typs. Der Iwan-Hof diente alsRaum für Versammlungen, während die Zimmer für individuelleKoranstudien oder auch für Übernachtungen genutzt wurden.

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Das Chorasan-Haus bestand aus einem Innenhof mit vierkleinen Iwanen, um den herum die Wohnräume gruppiertwurden. Zu Beginn, als es noch keine Medresen gab, wurdenprivate Häuser als Koranschulden genutzt. Es könnte sich umWohnhäuser der Lehrer oder auch der Spender gehandelthaben. Grabar (1990) und Sourdel Thomine (1970) gehen davonaus, daß es eine westiranische oder irakische Ursprungsversiondes Hofbaues mit Iwan geben muß, die als Vorlage für diemonumentalen Moscheen späterer Zeit in dieser Gegend diente.Archäologen haben bisher jedoch keine Bestätigung für dieseAnnahme finden können. Die Tatsache, daß “syrische undtürkische Medresen bereits eine Form hatten, die kaumtypologische Variationen aufwiesen, und deren Grundriss undBauart schon präzise festgelegt waren, ist ein weiterer Hinweisauf die mögliche Existenz eines Vorläufers. Es ist aber absolutnichts bekannt über die gestalterische Form der vermuteteniranischen Ur-Medrese aus der Zeit vor der zweiten Hälfte des12. Jahrhunderts” (Sourdel Thomine 1970, S. 105).

In Syrien gibt es ein große Zahl von Medresen, die eineeigentümliche Form besitzen. Der Ursprung der syrischenMedrese ist noch immer umstritten. Vor der Entsehung derMedresen war der Iwan in Syrien so gut wie unbekannt. Es wirdbehauptet, dass die Medrese zusammen mit den Iwan aus demOsten nach Syrien gelangte, was recht wahrscheinlich ist.Ettinghausen und Grabar (1987; S. 304) berichten, zwischendem 12. und dem 13. Jahrhundert habe es in Aleppo 47Medresen und in Damaskus sogar 82 der Koranschulen gegeben.Von ihnen haben aber nur wenige den Lauf der Zeit überlebt. ImGegensatz zu den iranischen Medresen waren die syrischenSchulen insbesonders in Damaskus klein und lagen nicht imZentrum der Stadt.

Obwohl die syrischen Koranschulen nicht dem “Idealtyp” derMedrese entsprechen, stellen sie Dank ihrer Variationen eininteressantes Beispiel dar, das der ursprünglichen Struktur desPrivathauses folgt und die Entwicklung der iranischen Medrese

nachvollzieht. Zunächst als kreuzförmige einfache Gebäudeangelegt, wandelten sich die Medresen mit der Zeit in Hofbautenmit einem oder mehreren Iwanen. Die syrischen Medresen,unter anderem die Adiliya (1123) (Abb. 161), die Nur al-Din(1167-68) (Abb. 162), die Dar al-Hadit-Medrese (1171-72) (Abb.163) in Damaskus oder die Zahiriya (1219) (Abb. 164) und die al-Firdaws-Medrese (1233-36) (Abb. 165, Abb. 166) in Aleppo,bewahrten jedoch die Kolonnade als ihr Markenzeichen undwurden im Gegensatz zu den iranischen Beispielen nie richtigeIwan-Medresen.

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Abb. 161 Medrese Adiliya, Damaskus, 1123.

Abb. 165 Medrese al-Firdaws, Aleppo, 1233-36.

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Abb. 162 Medrese Nur al-Din, Damaskus, 1167-68.

Abb. 163 Medrese Dar al-Hadit, Damaskus, 1171-72.

Abb. 166 Iwan-Hof der al-Firdaw-Medrese in Aleppo.

Abb. 164 Medrese Zahiriya, Aleppo, 1219.

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Die Entwicklung des Iwans als typischer Bestandteil derMedresen und der Moscheen in Irak und Iran läßt sich auch mitknappem Baumaterial erklären. Während es in Syrienzahlreiche Marmorsäulen aus griechischen und späterchristlichen Bauten gab, standen den Baumeistern inMesopotamien und Persien überwiegend nur Lehmziegel undspäter Backsteine zur Verfügung. Backsteine erwiesen sichauch als idealer Baustoff für die großen Kuppelräume, diehinter den Iwanen errichtet wurden. Ab dem 11. Jahrhundertüberzog ein Netz von Koranschulen als “wahre Werkzeuge desGlaubens” die islamischen Städte. Allein in Baghdad wurden 30Medresen errichtet, von denen aber nur zwei in überliefertenTexten beschrieben werden: die Bashariyya und dieMustansiriyya. Die bekannteste islamische Universität, die 1067gegründete Nizamiyya in Baghdad, wurde von 6.000 Studentenbesucht (Dickie 1976, S. 38-39; Ettinghausen/Grabar 1987/1994, S. 294; Sourdel Thomine 1970, S. 105) und es istinzwischen kaum noch umstritten, dass der sogennante“Abassiden-Palast” aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhundertsan der Qal´a in Baghdad (Abb. 167 - Abb. 169) tatsächlich eineSchule war (Hoag 1986, S. 113; Michell 1991, S. 247; Stierlin1996, S. 220).

Abb. 169 Grundriss der Qal´a- Medrese.Abb. 168 Hof-Iwane der Qal´a-Medrese.

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Abb. 167 Hof der Qal´a- Medrese in Baghdad, 1194 oder 1230.

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Die Medrese Mustansiriyya (Abb. 170) aus dem Jahre 1233 stelltangesichts ihrer entwickelten Form ein vollkommenes Beispielder Koranschule dar. Der große weit ausgedehnte Hof (Abb.171), der 62 mal 26 Meter misst, besteht aus drei Iwanen, einemlangestreckten Saal und einer Reihe kleiner, sichwiederholender quasi standardisierter Iwane auf zweiGeschossen. Die drei Portale des Harams, die von einem Pistaq

aus einem Stück gerahmt werden, reihen sich in die Flucht derHoffassade, ohne den Anspruch eines räumlichen Iwans zuerheben. Dennoch wirken die Portale durch die Licht- undSchattenspiele des Hofes wie Iwane. In Wircklichkeit handelt essich aber nur um “flache” Tore, die nur der Hof-Gestaltunghalber als Iwane dekoriert und hervorgehoben sind. DieMustansiriyya war die erste “universelle” Medrese des Islam, dasheißt, eine für alle vier Riten gebaute Rechtsschule. Diese neueBestimmung brachte “eine Umgestaltung der baulichen Anlagemit sich, da nun auch vier große Lehrsäle erforderlich wurden”(Brandenburg 1978, S. 161).

Abb. 170 Mustansiriyya-Medrese in Baghdad, 1233. Grundriss des Unter- und

Obergeschosses.

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Die Vier-Iwan-Medrese hat nach Brandenburg (1978) ihrenUrsprung in der Mustansiriyya in Baghdad: “Unabhängig vonihrer universellen Bestimmung hatte bereits die nur einemRitus zugeeignete Anlage auf Grund ihrer vielseitigenVerwendung an den Architekten hohe Anforderungen gestellt;nur eine aus diesem Problem resultierende Spielartmanifestiert die Medrese von kreuzförmigen Grundriß”, wie siein Persien und Mittelasien in Erscheinung tritt (S. 162).

In Iran begegnet uns seit dem 11. Jahrhundert die Medrese alsneuer Typ des Sakralbaus, der deshalb Aufmerksamkeitverdient, weil er von entscheidender Bedeutung für die fernereGestaltung der Moschee werden sollte (Kühnel 1949, S. 32;Golvin 1995, S. 20). In Persien entstanden die Medresen, als im11. Jahrhundert die seldschukischen Türken in Vorderasien dieMacht an sich rissen und den politischen Einfluß derAbbasidenkalifen immer mehr reduzierten. Sie tratenandererseits in religiöser Hinsicht als ihre Helfer auf, indem siedie durch die Ausbreitung der Shi´a in Iran und in Irak starkbedrängte sunnitische Orthodoxie auf ihre Fahne schrieben.Zur Durchführung dieses Programs sollte ihnen in erster Liniedie Einrichtung der Medrese dienen, die als Rechts-undTraditionsschule seit dem 10. Jahrhundert in Chorasanaufgekommen war und besonders von den Anhängern des ImamShafi´i verbreitet wurde.

Aus der frühen Zeit der Seldschuken-Herrschaft sind keineiranischen Medresen bekannt. Nach Sourdel Thomine (1970) läßtnichts vermuten, daß schon zuvor eine seldschukische Vier-Iwan-Medrese existierte, die als Beispiel späterer Bautengedient hätte. Dennoch schlägt sie vor, von einem“hypothetischen Bild” der ursprünglichen iranischen Medrese

auszugehen.

Abb. 171 Hof der Mustansiriyya-Medrese.

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Sie argumentiert, dass die Entstehung der Institution Medrese

von einem spezifischen Gebäudetyp begleitet werden musste (S.105). Viele persische Elemente, vom Iwan bis zur Ornamentik,die in frühen Moscheen Syriens und Iraks verwendet wurden,scheinen die Theorie zu bestätigen, dass es in Persien eine Ur-Medrese gab. Das Grundschema mit vier Iwanen wurde in Iranentwickelt und erreichte dort den Rang eines Modells, das imganzen persischen Einflussgebiet bis Mittelasien übernommenwurde. Die persische Koranschule erreichte ihre Idealform im15. Jahrhundert.

Im Rahmen dieser Arbeit wird nicht näher auf ägyptische undmaghrebinische Medresen eingegangen, da es sich um eineFortentwicklung der syrischen Medrese mit einigen persischenElementen handelt, die sich stark vom klassischen iranischenMedrese-Typ unterscheiden. In Ägypten ist die Medrese Teilumfangreicher Anlagen, die Moscheen, Mausoleen und eineoder mehrere Koranschulen in sich vereinigen. Die Medrese

passt sich in diesem Ensemble meist der jeweiligen Form deranderen Gebäude an. Die Höfe verfügen über große Iwane. DerEingang wird in der Regel durch monumentale Pistaqs undMinarette akzentuiert. Bei den maghrebinischen Medresen sinddie Iwane in den Innenraum eingegliedert.

In Hargird an der historischen Seidenstraße nahe der heutigenGrenze zwischen Iran und Afghanistan liegt die Ruine derzwischen 1442 und 1445 gebauten Giyatiyya-Medrese (Abb. 172).Trotz ihrer einsamen und verlassenen Lage ist die Wüsten-Medrese eines der wichtigsten Gebäude der timuridischenArchitektur und ein frühes wesentliches Beispiel für dieEntwicklung der iranischen Medrese und Iwan-Moscheen. DieFassade wirkt nicht megalomanisch wie die Fassaden derfrüheren Herrscher, übertrifft aber die älteren Denkmäler inder Logik ihrer Gliederung und der hervorragenden Ausführung.Aus dem kompakten Ziegelmauerwerk wurden Räumeausgespart, die mit den ineinandergreifenden Mustern “an sichschon ein ästhetisches Erlebnis” (Hoag 1986, S. 146) sind. Inden Ecken befanden sich wahrscheinlich Minarette aufpoligonalen Basen, eine Lösung, die an die monumentalenmittelasiatischen Medresen erinnert.

Der vordere Teil des Gebäudes oder Dichliz bildet denEingangsbereich. Er besteht aus drei überkuppelten Räumen,von denen der rechte eine Moschee war, sowie einem Außen-und einem Innen-Iwan, die durch eine Darkah oder Vorhalleverbunden sind. Diese Anordnung stellt die Endstufe derEntwicklung der Hof-Medrese dar. Dieser “öffentliche” Teil desGebäudes ist eine relativ unabhängige Struktur, die durcheinen Iwan mit dem “privaten” Teil der Medrese verbunden ist.Die Raum-Tiefe des Eingangs-Iwans entspricht der Hälfte desInnen- oder Hof-Iwans. Dazwischen befindet sich ein Raum, derals Einganshalle dient.

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Der Grundriss ist zweiseitig symmetrisch (Abb. 173). Derzweistöckige Hof mit abgeschrägten Ecken bildet ein Quadrat,dessen Seitenlänge 28,40 Meter mißt. Auch in den Eckenbefinden sich auf jedem der beiden Stockwerke je ein Iwan. Erentspricht weitgehend den Iwanen der Längsseiten. JedesArchitekturelement wirkt in sich und im Verbund mit demGanzen harmonisch. Ein kompliziertes Stützen-System, dasverschiedene Eingangs- und Durchgangs-Möglichkeiten bietet,bildet die Hofstruktur. Während im Erdgeschoss die Wohn-undStudienzellen vom Hof aus zugänglich sind, muss die Iwan-Struktur im ersten Stock entlang der Hof-Fassade“durchlöchert” sein, um einen Verbindungskorridor vor denZelleneingängen zu schaffen. Die vier jeweils über Eckverlaufenden Korridore werden von den mittleren großen Iwanen

begrenzt, die die ganze Tiefe des Gebäudes einnehmen. Dieräumliche Einheit der Portale wird dadurch bewahrt, dass das“Private” (die Wohnzellen) vom “Geimeinsamen” (den Iwanen alsHörsäle) getrennt wird. Dieser Effekt der räumlichenUnabhängigkeit wird durch die doppelte Höhe der Iwane, derenPistaq die Traufhöhe des Hofes überragt, noch verstärkt. Die vierIwane stimmen in Form und Größe überein, was dieHomogeneität der Innenfassade verstärkt.

Die Giyatiyya stellt den Höhepunkt der Entwicklung derpersischen Medrese dar. Ob Isfahan oder Samarkand undBuchara, jede islamische Stadt erhielt in der Folgezeit einGebäude ähnlicher Struktur. Der Dichliz als Empfangs-Teilbetont den Unterschied zwischen dem Innen und Außen.Zusammen mit den vier großen mittleren Iwanen und den fastschon standardisierten Iwan-Reihen, die die Hof-Fassade bilden,werden das Merkmal jeder persischen und auch derMonumental-Medresen Mittelasiens. Diese Medresen könnenwegen ihrer Größe und ihrer reichen Ornamentik sogar mit denMoscheen konkurrieren.

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Abb. 172 Giyatiyya-Medrese in Hargird,im heutigen Iran, 1442

Obergeschoss.

Abb. 173 Untergeschoss derGiyatiyya-Medrese in Hargird.

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Die Mader-i Schah-Medrese oder “Medrese der Mutter desSchah” in Isfahan (Abb. 174) ist ein großer Bau von 150 mal 140Metern. Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut, ist dieseKoranschule Teil eines Komplexes, der einen Bazar, Ställe undeine im Grundriss ähnliche Karawansarai einschließt. Auf denersten Blick scheint das Gebäude von einer strengen Symmetriebeherrscht. Tatsächlich aber weist der Grundriss erheblicheAbweichungen vom Modell der Ideal-Medrese auf. Sie erklärensich durch die Lage in Gefüge der Stadt sowie die obligatorischeOrientierung der Qibla-Wand in der Medrese-Moschee genMekka.

Der Eingang-Iwan an der West-Seite des Gebäudes befindet sichan der Tschahar-Bagh-Allee, der unter der Herrschaft SchahHussein I. (1694-1722) neuangelegten Garten-Straße. Auf dentraditionellen Dichliz wurde verzichtet. Er wird durch einenleeren langgestreckten Raum ersetzt, der als “Polster” desInnenbereichs fungiert und die Wohnzellen von der Außenmauertrennt. Eine Dichliz-ähnliche Struktur, die parallel zu dergegenüberliegenden Seite des Basars verläuft, beherbergt eineMoschee mit Säulensaal, einen mit dem Qibla-Iwan verbundenenKuppelraum und verschiedene andere Säle, dieunterschiedliche Funktionen erfüllten.

Die klare Gliederung der Komposition und der Funktionen derHargird-Medrese wird in der Isfahaner Medrese in eine Vielzahlfester Bestandteil aufgelöst, die sich je nach Bedarf anderszusammensetzen lassen. Insbesondere an den städtischenBeispielen zeigt sich, wie flexibel die islamische Architektur ist.Der Hof der Mader-i Schah-Medrese ist von einem zweistöckigenIwanen-Netz umgeben, hinter dem die Wohnzellen liegen, Wie inHargird sind die Hof-Ecken abgeschrägt. Die Eckbögen desoberen Stockwerks zeigen eine interessante Drehung derinneren Wand, wo eine zweite, mit Spitzbögen durchlöcherteund mit Kacheln verzierte Mauer zu sehen ist.

Abb. 174 Mader-i Schah-Medrese, Grundriss.

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Die vier Hof-Iwane (Abb. 175) sind nicht mehr ein einfacherquadratische Raum, sondern eine Kombination aus Pistaq-Bögenund einem in die Breite gezogenen Raum, der von Muqarnas

gekrönt ist. Der Iwan ist vollständig in die Hof-Strukturintegriert. Die Portale treten als Organisations-undOrientierungs-Element auf und dienen natürlich auch alsschattiger Ort für Lehre und Meditation. Die Blick-Richtungwird durch die gewaltige Kuppel und das Minarett zur Moschee-Seite gelenkt. Die formale Homogenität des Hofes verdeckt dieAbweichungen von dieser äußeren Harmonie bei denInnenräumen und deren unterschiedliche Funktionen. Wasnicht “geordnet” ist, wird vor den Augen verborgen. Vom Hof hergesehen, erscheint die Architektur immer einheitlich,symmetrisch und geordnet.

Der Größe der Mader-i Schah-Medrese ist bereits ein Vorboteder Pracht iranischer und mittelasiatischer Bauten, derenMaßstab und Monumentalität auch die städtischen Räumebeinflussen sollten. Die neuen Medresen und Moscheen würdendie Stadt völlig ändern. In kurzer Zeit entwickelten sichweitläufige Plätze vor den eindrucksvollen religiösen Gebäuden,die die Macht des Islam in Architektur übersetzten. Diemittelasiatische oder “Monumental-Medrese” wird imZusammenhang mit dem Außen-Iwan eingehender beschrieben.Diese Art Koranschule ist für die Außenfassade der Gebäudeund damit für die Entwicklung des Außenraumes im Islamentscheidend.

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Abb. 175 Hof der Mader-i Schah-Medrese in Isfahan.

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DIE IWAN-MOSCHEE

Der Ursprung der Vier-Iwan-Moschee ist auf den Einfluss unddie enorme Verbreitung der Iwan-Medrese zurückzuführen.Dieser Annahme, die von van Berchen (1910) zuerst formuliertworden ist, haben sich später Herzfeld (1941), Kühnel (1924)und Godard (1965) angeschlossen. Sie ist unter dem Schlagwortder “Medrese Theorie” bekannt (Ettinghausen/Grabar 1987/1994, S. 266). Der Grundriss der Medrese “wurde auf diepersische Moschee übertragen und gab dieser ein völlig neuesGesicht” (Kühnel 1974, S. 32). Wie bereits weiter oben dargelegt,sollte die Aufnahme des Iwans in das Grundschema der Moscheeweitreichende Konsequenzen haben, nicht nur für dieAufteilung der Räume, sondern auch für das Verhältniszwischen dem Inneren und dem Äußeren des Gebäudes.

Die Idee der Iwan-Moschee wird in Iran erstmals im 12.Jahrhundert in der Zawara-Moschee verwirklicht. Doch schon inden viel älteren Moscheen von Damghan, Nain und Fahraj aufdem iranischen Hochplateau finden sich erste Hinweise auf diespätere Anpassung der traditionellen Stützenmoschee an dasKonzept der religiösen Gebäude mit Iwan-Hof. Neu war, daßzunächst an einer der vier Riwaqs, der Hofseiten, eineVeränderung stattfand. Während sich in den Medresen –wennauch noch in reduzierter Form– schon die Idee des Iwan-Bausauswirkte, behielten die Gebetshäuser weiterhin dentraditionellen Stützensaal, den Haram. Auch der Sahn, der Hofder Moschee, war weiter von Pfeilern aus Holz, Stein oder inIran aus Lehmziegeln umgeben.

Nach der Eroberung Irans durch die Araber im Jahre 637wurden die traditionellen Bauweisen und Baumaterialien in denDienst des Moscheebaus gestellt. Das Ziel bestand darin, großeRäume mit möglichst wenigen störenden Stützen zu errichten.In Iran standen dafür die seit Urzeiten verwendeten Lehmziegelund Backsteine zur Verfügung. Holz und Marmor waren dagegenMangelware. Zwar fanden sich in den Palästen desaltpersischen Königsgeschlechts der Achämeniden (6. bis 4.Jahrhundert vor Christus) eine große Zahl von Säulen, aberdieses Bauelement wurde ab dem 2. Jahrhundert kaum nochverwendet. In Syrien dagegen verfügten die Baumeister überzahlreiche Marmorsäulen aus griechischer Zeit und auschristlichen Kirchen, die nach dem Religionswechsel einfachübernommen wurden. Iran hat eine alte Tradition derBacksteingebäude, deren früheste bekannte Beispiele aus dem4. Jahrtausend vor Christus stammen. Konstruktionsformen wieKuppeln, die seit Parther- und Sassaniden-Zeiten (2.Jahrhundert vor Chr.) angewendet wurden oder die obenerwähnten Iwane, waren typisch für die vorislamischeArchitektur des Iran. Die Bauten waren vor allem ausgetrockneten Lehmziegeln errichtet, die auch als Füllsteineverwendet wurden, während die Außenmauern aus gebranntenBacksteinen bestanden. Die ersten islamischen Bauten in Iranwaren wahrscheinlich aus Lehm gebaut. Die ältesten iranischenStützen-Moscheen hatten dicke Lehm- und Backsteinsäulen.

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Die Tarik-Hana-Moschee in Damghan ist die älteste MoscheeIrans. Zwischen 750 und 789 gebaut, stellt der kleine Bau trotzseiner bescheidenen Maße und Konstruktionsart eine innovativeLösung in der Entwicklung der frühen Moschee dar. DieHauptseite des Hofes, die Qibla-Seite, erfährt eine wichtigeVeränderung: Die Mittelschiff-Arkade, oder das Mihrab-Schiff,die beträchtlich breiter als die restliche Arkaden ist, wird voneinem Pistaq eingerahmt, der sich über die Dachlinie erhebt(Abb. 176, Abb. 177). Die zwei schweren zylindrischen Pfeiler ausgebrannten Ziegeln, die den Pistaq tragen, unterscheiden sichdennoch nicht vom Rest der Struktur. Der Saal ist homogen unddie Tonnengewölbe der Schiffe verlaufen rechtwinklig zurAußenmauer, was die Tiefe des tatsächlich kurzen Saales zuverlängern scheint.

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Abb. 176 Hof der Tarik-Hana-Moschee, Damghan.

Abb. 177 Grundriss der Tarik-Hana-Moschee.

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Die kleine Moschee ist sehr massiv (Abb.178). Ihre Strukturbesteht aus zwei ganz verschiedenen Teilen: ein unterer, ausschweren zylindrischen Säulen und ein oberer “aufgesetzter”Teil mit Arkaden und Gewölben. Das Übereinanderlegen beiderTeile ist in der etwas groben Lösung der Verbindung von Pfeilerund Arkade ablesbar: teils sind sie klar voneinander abgegrenzt,teils bilden beide strukturellen Elemente eine Einheit. DieArkadenspitzbögen des Hofes sind von Halbsäulen eingerahmt,die vom Boden bis zur Dachlinie aufgeführt sind, und derHoffassade damit einen unfertigen Eindruck verleihen. DiePerser, die bis dahin keine Erfahrung mit dem Bau vonSäulensälen besaßen, sahen sich plötzlich mit einem neuenkonstruktiven Problem konfrontiert, dessen Lösung anfänglichSchwierigkeiten bereitete.

Die Differenzierung der verschiedenen Bauelemente, (Stützen-Arkaden-Pistaq) und die Hierarchisierung der Mitte sind derschüchterne Anfang einer neuen Entwicklung, die sich erst einJahrhundert später völlig entfaltete und wo jedes Teil und jederRaum sich voneinander trennen und spezializieren würde. DieMoschee mit Pistaq oder Iwan entsprach in Iran aber keinem imvoraus bestimmten Entwurfs-Programm. Vielmehr handelt essich um eine zufällige oder anders gesagt unabsichtlicheWiederholung traditioneller Bauelemente, die zuerst in denPalästen und dann in den Moscheen als selbstverständlicheKonstruktion verwendet wurden. Die Tarik-Hana-Moschee istein Transitionstyp zwischen der einfachen frühenStützenmoschee arabischen Grundtyps und der Vier-Iwan-Moschee. Hoag (1986) hat den kleinen Bau so definiert: “DieTarik-Hana-Moschee ist ihrem Grundriß nach arabisch, derKonstruktion nach jedoch sassanidisch” (S. 23-25).

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Abb. 178 Haram der Tarik-Hana-Moschee, Damghan.

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Abb. 180 Mihrab-Iwan und nord-östliche Iwan-Seite der Nain-Moschee.

Abb. 179 Grundriss der Nain-Moschee, Iran, 960.

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Die im Jahre 960 gebaute Nain-Moschee im zentraliranischenHochplateau ist sehr gut erhalten. Ihr ältester Teil hat großeÄhnlichkeit mit der Tarik-Hana-Moschee. Die gewölbten Schiffestehen rechtwinklig zur Außenmauer, und die Hinzufügungspäterer Teile verleiht dem Innenraum, besonders in derbreiteren Nord-West Ecke des Saals einen komplexerenEindruck. Die Orientierung im Saal ändert sich ständig durchden Wechsel der Richtung der Gewölbeschiffe (Abb. 179).

Die Nain-Moschee weist einige große Fortschritte gegenüberdem Damgan-Beispiel auf. Das Mihrab-Schiff ist, wie in der TarikHana, breiter als die restlichen Moschee-Schiffe. Der Scheiteldes Spitzbogens im mitteleren Qibla-Pistaq erreicht die Höhe derDachlinie. Der Pistaq selbst überragt die Dachlinie aufunspektakuläre Weise um einige Zentimeter (Abb. 180). Neu andieser Lösung ist der fast durchgehende Pistaq, der nicht mehrauf Pfeilern ruht, sondern weiter nach unten reicht und dort aufeinem mehr oder weniger hohen Sockel steht. Die Stützen alstragendes und freistehendes Element sind aus der Hoffassadeverschwunden und werden durch eine kreative Pistaq-Halbsäulen-Variante ersetzt. Diese neue Komposition stellteinen bedeutenden Zwischenschritt auf dem Weg zurHerausbildung der Iwan-Moschee dar. Obwohl die Hoffassadeden Eindruck erweckt, aus Iwanen oder aus einer Folge vonnach unten verlängerten Pistaqs zu bestehen, fehlt noch dieRäumlichkeit des echten Iwan.

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Abb. 181 Freitagsmoschee in Fahraj.

Die kleine Freitagsmoschee in Fahraj aus dem 10. Jahrhundert(Abb. 181) gehört zum selben Bautyp wie die Moschee in Nain.Der Saal wird durch gewölbte Schiffe geformt, die rechtwinkligzum Hof verlaufen. In Fahraj ist die Struktur auf ein Minimumreduziert: Rechteckige Stützen tragen die Gewölbereihen, die imHaram wie auch in den Riwaqs, die den Hof umgeben, in eineeinzige, zur Qibla-Wand verlaufende Richtung angeordnet sind.

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Diese Lösung, die an bestimmte syrische Wüstenpalästeerinnert, wiederholt sich im größeren Maßstab in der Niriz-Moschee aus den Jahren 973-976 (Abb. 182). Ein richtiger Iwan,der wahrscheinlich später gebaut wurde, befindet sichgegenüber des monumentalen Mittelschiffes in der Süd-Ost-Seite des Hofes. Es handelt sich um einen Mihrab-Iwan in seinerreinsten Form, dessen seitliche Innenwände von Gängendurchschnitten sind. In Niriz bestehen die restlichen Hofseitenaus einfachen Stützen-Kolonnaden ohne Iwane. Das Gebäudewird von einem basilikalen Raum beherrscht, der fünfSäulenweiten tief ist und sich zum Hof öffnet. Der Haram bildetin seiner gesamten Fläche keine Einheit, da das monumentaleMittelschiff von Räumen flankiert wird, die keine besondereAusrichtung und keine einheitliche Struktur aufweisen. Dasmittlere Haram-Schiff wird seitlich von kräftigen Strebenmauerngehalten. Vom Hof her wirkt der Basilika-Saal in seinerüberdimensionalen Räumlichkeit wie ein tiefer Iwan.

In den oben beschriebenen Beispielen spielt der Eingang nureine Nebenrolle, während die Fassade noch nicht entwickelt ist.Die Zugänge, von denen es mehrere gibt, liegen seitlich, und dieinneren Verbindungswege sind labyrinthisch und durchständige Richtungswechsel unterbrochen. Diese Beispielezeigen auch, dass der Iwan zuerst in die Höfe integriert wurde,während die Außenmauer von den Veränderungen desInnraumes der Moschee nicht betroffen wird.

Abb. 182 Grundriss der Niriz-Moschee, 973-976.

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Abb. 183 Schematischer Grundriss der frühen Freitags-Moschee in Isfahan.

Die Freitagsmoschee oder Masgid-i Djâmi in Isfahan wurde im9. Jahrhundert als seinerzeit größte Stützenmoschee Iranserrichtet. Es handelte sich um eine große Moschee arabischenTyps, deren Umfang von 140 x 90 Metern noch heute imGrundriß erkennbar ist (Abb. 183, Abb. 184). Archäologen habengezeigt, dass der heutige Komplex nicht völlig dem Originalentspricht, obwohl die verbleibende Kernmoschee (vermutlichaus dem 12. Jahrhundert) sich am selben Platz wie die älterebefindet und deren Form übernommen hat (Zander 1968, S. 8;Kühnel 1949/1974, S. 34). Das Geviert war von einerUmfassungsmauer geschützt, die drei Eingänge hatte. Der Hofhat seine Form und Dimension durch den Lauf derJahrhunderte trotz gestalterischer Änderungen bewahrt. Auf derMihrab-Achse außerhalb des ursprünglichen Gebäudes befindetsich der nördliche Kuppelraum, der 1088-89 errichtet und späterdurch eine Säulenhalle in den Moscheeraum einbezogen wurde.Der eigenständige Kuppelbau, der auf zwei Seiten offen war,lässt vermuten, dass die frühere weitläufige Fläche, die wie einVorplatz vor der Moschee lag, eine Musalla oder offeneGebetsstätte war. Anfang des 12. Jahrhunderts wurde der Nord-Portal gebaut und den Hoffronten vier Iwane hinzugefügt. Soentstand die erste Moschee nach dem Vier-Iwan-Hof-Prinzip inPersien. Obwohl die heutige Moschee ein Produkt des 14.Jahrhunderts ist, verkörpert der Vier-Iwan-Hof mit der Kuppelhinter dem Qibla-Iwan das charakteristischste Merkmal derMoschee.

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Die Vier-Iwan-Kombination, die von O´Kane (1995) als“revolutionäre Entwicklung” (S. 123) und von Ettinghausen/Grabar (1987/1994) als die “letzte und größte architektonischeForm der Zeit” (S. 284) bezeichnet wurde, ist jedem Gebäude,gleich welcher Funktion, einfügbar. Die interessantesteAnwendung findet in der Moschee statt, wo “die grundsätzlicheUngleichwertigkeit der Teile (…) in eine monumentaleGleichheit verwandelt wird“ (S. 284). Der größte räumlicheUnterschied der Iwan-Moschee zu den Iwan-Bauten frühererEpochen besteht darin, dass in den Palästen oder Medresen dieIwane von geschlossenen Räumen umgeben waren, während dieMoschee wegen lithurgischer Zwecke immer noch offene Sälebenötigt. Moscheen streben nach “Räumen mit sowenigHindernissen als möglich, so daß die Gläubigen in Reihenparallel zur Mihrab-Wand Platz nehmen können, ein Prinzip, dasdie Iwane schamlos verletzen” (O´Kane 1995, S. 123).

Abb. 184 Grundriss der Freitagsmoschee in Isfahan.

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Abb. 185 Luftphoto der Freitagsmoschee in Isfahan.

Besonders bei hauptstädtischen Sakralbauten, die in großenProportionen geplant wurden, “bot das Prinzip der Iwan-Moscheenatürlich die Möglichkeit, in ganz anderen Maße als bei demhorizontalen Stützensystem monumentale Wirkungen zuerzielen” (Kühnel 1949/1974, S. 33). Der Vier-Iwan-Hof wird vonkeiner offensichtlichen Orientierung geprägt. Trotzdem, wieschon weiter oben erwähnt, ist der Qibla-Iwan etwas größer undin seiner Verzierung und allgemeiner Komposition wichtiger alsdie anderen.

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In der Freitagsmoschee in Isfahan wird er sogar von zweiMinaretten flankiert, eine recht frühe Anwendung eines Motivs,das später eine große Rolle nicht nur in der Gestaltung derMoschee spielen sollte (Abb. 186). Die Hoffassade wird nicht nurvon den großen Iwanen, sondern auch von einer zweistöckigenArkade bestimmt. Die übereinander liegenden kleinen Iwane,die im Erdgeschoß deutlich höher sind, als die oberen,verbergen die im Inneren bewahrte einstöckige Anordnung.

Die Freitagsmoschee in Isfahan hat keine Außen-Fassade. Sieist “wie viele nordafrikanische Moscheen ein Bau, der sich ausseiner Umgebung heraus entwickelt” (Kuban 1974, S. 9). Deraus verschiedenen Perioden stammende Komplex hat neunEingänge, deren wichtigster sich an der Süd-Ost-Seite desHarams zum Bazar hin befindet. Der mittelhohe mit Muqarnas

verzierte Iwan liegt Tür an Tür mit den kleinen Marktständendes Bazars, die sich in die äußere Struktur der Moscheehineindrängen. Enge, labyrinthische Gassen umgeben dengroßen Bau (Abb. 186), der nach außen massiv wirkt. Nichtskündigt in der unscheinbaren Außenmauer die gelasseneRegelmäßigkeit, die Gefasstheit der Geometrie des Hofes an(Abb. 185). Die Moschee in Isfahan, die oft mit dem Parthenonoder mit der Kathedrale in Chartres verglichen worden ist(Ettinghausen/Grabar 1987/1994, S. 284; Michell 1991, S. 257;Bloom/Blair 1997, S. 157), verkörpert die “Architektur desHofes”, die Struktur und Funktionen des Innenraumes verbirgt.Während die westlichen monumentalen Gebäude verlangen, vonAußen betrachtet zu werden, ist die Moschee in Isfahan nur vomHof aus zu bewundern.

Abb. 186 Hof und Haupt-Iwan der Freitagsmoschee in Isfahan.

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Die Vier-Iwan-Moschee wird zum ersten mal in Zawara, einerkleinen Stadt am Rande der iranischen Zentral-Wüste,verwirklicht (Godard 1936, 298 ff.; Ettinghausen/Grabar 1987/1994). Während dem größten Teil der persischen GebetshäuserAnfang des 12. Jahrhunderts ein oder mehrere Iwane

hinzugefügt wurden, ist die Zawara-Moschee als “Monument auseinen Guß” (Kühnel 1949/1974, S. 33) entstanden (Abb. 187,Abb. 188). Kühnel liefert die Beschreibung des aus dem Jahre1136 stammenden Baus: “Um den fast quadratischen Hof liegenvier Iwane, von denen einer, breiter als die anderen, auf derRückwand geschlossenen, einen Durchgang zu demanstoßenden Kuppelraum mit dem Mihrab frei läßt” (S. 33).

Der große zum Hof offene Mihrab-Iwan ist hier mit einemgeschlossenen Raum verbunden, eine Kombination, die ab jetztstandardisiert in großen ebenso wie in kleinen Moscheeneingefügt wird. Die Einbettung des Gebäudes in die Altstadt vonZawara ist auch ein Zeichen des urbanen Charakters derMoschee. Sie verfügt über zwei Eingänge, die auf derStraßenachse liegen. Wenn die Türen der Moschee geöffnetsind, wirkt die Nordost-Seite des Gebäudes wie eine öffentlicheKolonnaden-Passage und der Moscheehof wie ein Platz.

Genauso wie Persien “den Islam iranisiert hat” (Fryre 1993, S.2), entwickelte sich in Iran ein neuer Moscheetyp, der sich vomarabischen Ursprung unterscheidet. Das Gebetshaus des Islamshat damit bereits in einem relativ frühen Stadium derEntwicklung ein räumliches und formales Programm erhalten,das nicht mehr Resultat einer Ansammlung von Bautenverschiedener Maße und räumlicher Eigenschaften ist.

Abb. 187 Grundriss der Zawara-Moschee, 1136

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Abb. 188 Mihrab-Iwan am Hof der Zawara-Moschee, in Iran.

Die Zeit der Entstehung einer Vier-Iwan-Hof-Moschee ist nichtzufällig. Zawara wurde zeitgleich mit der Verbreitung derMedrese mit Vier-Iwan-Hof gebaut, was die sogenannte “Theorieder Medrese” (Ettinghausen/Grabar 1987/1994, S. 266)bestätigt. Warum gerade in Zawara, einer unscheinbarenkleinen Wüstenstadt der erste Versuch unternommen wurde,ein einheitliches Gestaltungsprinzip für die persische Moscheein die Wirklichkeit umzusetzen, bleibt ein Rätsel derGeschichte.

Obwohl in verschiedenen Phasen gebaut, ist dieFreitagsmoschee in Ardistan, eine kleine Stadt einige Kilometervon Zawara entfernt, ein interessantes Beispiel für einGebäude, dem nachträglich vier Iwane hinzugefügt wurden (Abb.189, Abb. 190). Der Haupt-Iwan und der dahinterliegendeKuppelraum stammen aus dem Jahre 1160, während der ältesteTeil der Moschee unter dem Mihrab-Raum wahrscheinlich einFeuertempel der Zoroaster aus Sassaniden-Zeiten war (Godard1937, S. 195; Hutt 1977, S. 252; Prochazka 1986, S. 124).

Wie die Freitagsmoschee in Isfahan, war der Bau in Ardistanzunächst eine Stützenmoschee. Von der ursprünglichenStruktur ist so gut wie nichts übriggeblieben (O´Kane 1995, S.122). Die Haupt-Mihrab-Achse wird von den zwei sichgegenüberliegenden monumentalen Iwanen bestimmt. Dieanderen Iwane in den beiden Frontseiten werden von je zweidoppelstöckigen Arkaden ergänzt. Die Moschee ist auszahlreichen transparenten Iwan-Strukturen verschiedenerGröße zusammengesetzt, was dem Gebäude Leichtigkeit undEinfachheit verleiht. Das Gefühl, in einem Außen zu sein, wirddurch die Ausblicke in die Landschaft, die die großzügigen Iwane

ermöglichen, bekräftigt.

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Abb. 189 Hof der Ardistan-Moschee, Iran.

Abb. 190 Ardistan-Moschee, 1160, Grundriss.

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Eine große Zahl islamischer Gotteshäuser wurde nach demModell der Freitagsmoschee von Isfahan in den Städten Persiensund Mittelasiens gebaut. Eine Ausnahme bildete dieFreitagsmoschee in Tabriz, deren Grundriss (Abb. 191) nachwidersprüchlichen literarischen Quellen von Golombek/Wilber(1988) rekonstruiert wurde, und nicht ihresgleichen in Iran hat.

Abb. 192 Varamin-Moschee, 1322. Abb. 193 Grundriss der Kerman-Moschee, 1349.

Abb. 191 Freitagsmoschee in Tabriz.

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Abb. 194 Außen-Iwan der Kerman-Moschee.

Zwei weitere Gebäude aus dem 14. Jahrhundert –die Moscheevon Varamin (ca. 1322) (Abb. 192) bei Teheran und der Masgid-iDjami in Kerman (ca. 1348) (Abb. 193, Abb. 194)– zeigen aufeindrucksvolle Weise, wie vollständig sich die Idee des Vier-Iwan-Hofes in Iran durchgesetzt hatte. In der Kerman-Moscheeerhebt sich ein monumentaler Außen-Iwan. Er überragt dieHöhe des Gebäudes und konkurriert in seiner Monumentalitätsogar mit dem inneren Mihrab-Iwan. Das Portal, das vollständigvon Mosaiken überzogen ist, wurde später um Arkadenreihen zubeiden Seiten ergänzt. Der so geformte Vorplatz, der wie einMaidan wirkt, liegt zwar auf derselben Ebene der Moschee,jedoch unter dem Niveau der umliegenden Straßen.

Der Plan des Masgid-i Shah in Isfahan (Abb. 195) “ist derHöhepunkt einer fast tausend Jahre währenden Entwicklungder Vier-Iwan Moschee” (Hoag 1986, S. 186). Der zwischen 1611und 1638 errichtete Sakralbau wird von Außenräumenbeherrscht. Der zentrale Hof – circa 85 x 62 Metern groß – istder “Hauptdarsteller” der Moschee. Die vier Iwane, die dieSilhouette des Gebäudes überragen, bilden mit dendahinterliegenden Kuppelräumen eine eigene bauliche Einheit.

Der geräumige Sahn (Abb. 196) ist von Arkadenreihen indoppelter Höhe umgeben, die zusammen mit den viermonumental wirkenden Iwanen die “Architektur des Hofes”verkörpern. Nur an der Mihrab-Seite, wo sich die Haupt-Innenräume der königlichen Moschee befinden, erfüllen dieArkaden in der Form kleiner Iwane ihre Funktion alszweistöckige Front-Fassade.

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Abb. 195 Masgid-i Schah-Moschee, Isfahan.

Die restlichen Seiten sind scheinbare Umschließungen, die denRaum des Hofes einfrieden und den Maßstab der Fassadewahren. Die Abgrenzung des Außenraumes, die Gestaltung derHoffassade, scheint tatsächlich das Hauptanliegen desArchitekten gewesen zu sein. Diese „scheinbare Ordnung“ desHofes, die einen besonderen “Sinn für Maßstab und Proportion”(Frishman/Khan 1994/1997, S. 128) widerspiegelt, lässtvermuten, dass sich hinter der Hoffassade ein großer Saalerstreckt.

Wie ein Trompe-l´oeil, eine Vortäuschung, verbirgt dieharmonische geometrische Gliederung des Hofes eineAnsammlung von Räumen, die voneinander getrennt oder nurindirekt verbunden sind. Die Innenseiten der Iwane und dieHoffronten sind mit glasierten Kacheln verkleidet. Wie Hoag(1986) erwähnt, ist diese Verkleidung der Flächen interessant:“Jede noch so kleine sichtbare Fläche dieses erstaunlichenBauwerks ist innen und außen über einem durchgehendenMarmorsockel mit quadratischen, bemalten Fliesen verkleidet.(…) Wenn das Ziel des islamischen Architekturornaments in derAuflösung der festen Masse besteht, so ist es hier vollkommenerreicht” (S. 188). Die äußere Form der Moschee ist relativunregelmäßig. Die Außenmauer ist vom Rest der umliegendenStadt kaum zu unterscheiden, obwohl die Moschee alsMonument aus einem Guss entstanden ist. Die Schah-Moscheekann in ihrer vollen Pracht nur vom Hof aus wahrgenommenwerden und hat nur ein “Gesicht” nach Außen.

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Abb. 196 Hof der Schah-Moschee in Isfahan.

Abb. 197 Außen-Iwan der Schah-Moschee in Isfahan.

Der Eingangs-Iwan kann aber kaum als Fassade bezeichnetwerden. Er bildet einen eigenen Organismus aus Außen-undInnen-Iwanen, durch die man durch verwinkelte Gänge in denHof gelangt. Die Einfügung des Außen-Iwan in die Front desMaidan-i Schah wird im nächsten Kapitel eingehenderbehandelt. Die Schah-Moschee ist ein Meisterwerk derislamischen Renaissance und zusammen mit dem Masgid-iDjami in Isfahan wegen ihrer imposanten Größe auch als“Kathedralen-Moschee” (Al Gayet 1978, S. 159) bezeichnetworden. Die fast tausendjährige iranisch-islamischeMoscheekunst hat, wie Bianca (1991) betont, “eine Traditiongeschaffen, welche die ganze spätere iranische Architekturbeeinflußt hat und in der (…) Moschee des Schah Abbas mitihrem Spiel zwischen Außenportal, inneren Iwanen und vonKuppeln überwölbten Gebetsräumen ihre Krönung fand” (S. 82).

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Abb. 198 Luftphoto der Stadt Yazd mit der Freitagsmoschee

Abb. 199 Außen-Iwan der Kalian-

Moschee in Buchara, 1514

Abb. 200 Gur-Emir-Mausoleum von Tamerlanin Samarkand. Außen-Iwan

aus dem Jahre 1424 -1439, nachPugatschenkowa

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DER AUßEN-IWAN

Die wenigen Autoren, die den Iwan in ihren Studien behandelthaben, machen keinen Unterschied zwischen Innen- undAußen-Iwan. Ob sich der Iwan im Hof befindet oder sich alsEingangs-Portal in die Außen-Mauer einer Medrese oder einerMoschee einfügt, ist für die Entwicklung des Stadtraumes imIslam jedoch von großer Bedeutung. Während der Vier-Iwan-Hofdem Betrachter keine besondere Orientierung des Blickesabverlangt, muss das monumentale Portal frontal betrachtetwerden (Abb. 198-200).

Es bieten sich drei Erklärungen dafür an, warum der Iwan ander Wende des 14. Jahrhunderts “nach außen gekehrt” wurdeund die Entwicklung des Außenraumes in der Form “islamischerPlätze” begünstigte. Es gibt zunächst einen praktischen Grund,dann Erfordernisse der Repräsentation und schließlichAnforderungen des Entwurfes. Sie sollen im folgenden kurznacheinander erörtert werden.

Der praktische Grund für einen Außen-Iwan ist die bessereErkennbarkeit und Wahrnehmbarkeit eines Gebäudes, dasdurch ein großes Tor in den engen Gassen der Stadt auf sichaufmerksam macht. Die ersten Medresen wurden wieUniversitäten von Studenten besucht, die von weit her kamenund deshalb noch mehr auf Orientierung angewiesen waren.Wichtige Gebäude wie Medresen oder Moscheen sind sogarheutzutage im Stadtgefüge für Fremde nur schwer zu finden.

Im Zeiten, als es nicht genügend Raum für Gläubige innerhalbdes Moschee-Gebäudes gab, boten weitläufige Flächen vor denToren der Gebetshäuser zusätzlichen Platz für Betende. DieVorplätze boten auch für die Trennung von Frauen und Männernwährend des Gebets eine ideale Lösung. Sehr bekannt sind dieriesigen Mengen von Pilgern, die während des Ramadan nachMekka kommen, und jeden verfügbaren Platz in der Moscheeoder in deren unmittelbarer Umgebung besetzen. Obwohl jede“reine” Fläche für die Ausübung der religiösen Pflichtengeeignet war und die Moschee im Islam nicht als “Gotteshaus”im eigentlichen Sinne des Wortes verstanden wird, ist sie einSymbol für die Versammlung der Gläubigen. Ihre Außenmauerspielt in größeren Städten und bei Versammlungen eineaußerordentliche Rolle, weil der Außen-Iwan, auch als Tor desParadieses interpretiert, besonders in den Freitagsmoscheenein Symbol der Moschee selbst wurde.

Auch die Frage der Repräsentation ist von großer Bedeutung.Die hohen iranischen Portale bringen einen neuen religiösenund kulturellen Stolz des Islam zum Ausdruck. Als sich die“jüngste Religion” offiziell etabliert hatte, versuchten Prinzen,Kalifen und Vesire durch monumentale Bauten ihren Glaubenaber auch ihre Macht unter Beweis zu stellen.

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Das “Monumentale” widerspricht im Grunde genommen demislamischen Prinzip der Zurückhaltung, dass heißt in derÖffentlichkeit Bescheidenheit an den Tag zu legen. Das Sakralesoll nicht monumentalisiert und noch weniger zu ideologischenoder politischen Zwecken missbraucht werden: “Der Muslimscheut sich, das Sakrale in materiellen Bauwerken undBildwerken einzufangen, weil sie dadurch zu Idolen werdenkönnten und damit zu unstatthaften Verkürzungen undBeschränkungen des Gottesbildes führen würden. Dieseasketische Haltung in bezug auf sakrale Bauten wargrundlegend für den frühen Islam und wurde auch in späterenJahrhunderten nie ganz vergessen” (Bianca 1991, S. 22).

Die Moscheen und Medresen, die die erstaunlich großenStadträume in Samarkand, Buchara oder Isfahan bilden, sind inderselben Zeit entstanden, als in der islamischen Architekturdie Verbreitung des Ornaments begann. Die riesigen Flächenwurden von formenreichen, geometrischen Mustern verkleidet.Durch “Verdoppelung, Halbierung (und) Gleitspiegelung setztsich das Muster ins Unendliche fort” (Schimmel 1990, S. 43) ineinem Versuch, die eigentliche Struktur und Massivität desGebäudes zu verbergen. Die Dekoration war vonkalligraphischen Schriften aus dem Koran begleitet, die “dasWort Gottes” in die Gebäude einbrachten. Zuerst war dieDekoration auf die Höfe konzentriert, aber mit der Entwicklungdes Außenraumes erreicht die Fassade des Gebäudes und damitauch der Maidan eine ornamentreiche und monumentaleAusdrucksform.

Die in neuen Maßstäben errichteten Bauten bewahren abertrotz der “Veräußerlichung” eine intime Athmosphäre. In diesemKapitel wird versucht, den privaten Charakter islamischer Plätzezu erklären, der trotz repräsentativer Größe erhalten bleibt.

Zum Schluss ist auch die schlichte Notwendigkeit zuberücksichtigen, dass der Architekt eine “Außen-Fassade” –imGegensatz zu den Hof-Fronten– zu entwerfen versucht. Der Iwan

als Eingangs-Tor liegt in der Mitte der Außenmauer. Die innereRaumverteilung der Moschee ist von außen nicht lesbar, weileine durchgehende blinde Mauer das Gebäude umschließt. DerIwan, von Minaretten flankiert, oder die Außenmauer mitEingangs-Tor und symmetrischen Ecktürmen, dient zweiFunktionen. Erstens ruft der Muezzin die Gläubigen von denMinaretten aus zum Gebet. Die zweite Funktion ist kompositivund strukturell zugleich: Die Ecktürme fungieren alsStrebepfeiler, die die Kräfte auf die Fundamente übertragen.Die Türme entwickeln sich in späterer Zeit auch zu Kompositiv-Elementen der Architektur. So setzt sich die “Fassade” ausverschiedenen Teilen zusammen: Iwan, Mauer und Minaretten.

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DER IWAN MIT MINARETTEN

“Laß denjenigen, der Deine Machtund Größe in Frage stellt, DeineGebäude bewundern” (Inschriftam Portal des Aq-Sarai Palastesin Schahr-i Sabz).

Schahr-i Sabz oder “die grüne Stadt” war der Geburtsort desmittelasiatischen Herrschers Timur (geb. 1336)(Pugatschenkowa 1976, S. 43). In Schahr-i Sabz, der alten StadtKesh, zwischen Buchara und Samarkand, wollte er seine neueHauptstadt gründen. Im Nordostteil der Stadt lag ein Komplex,der aus einem Platz, dem Palast und einem Garten bestand.Vom Aq-Sarai oder “weißer Palast” in Schahr-i Sabz, zwischen1370 und 1405 gebaut, ist nur eine Ruine erhalten: Eine immernoch überwältigende Bogenkonstruktion aus Backstein mitblauen, weißen und türkisfarbenen Glasmosaiken verkleidet(Blair/Bloom 1994, S. 37-39; Hoag 1986, S. 137-138;Pugatschenkowa 1976, S. 43-79). Die eingewölbte Raumnischemit der portalartigen Öffnung hatte gewaltige Dimensionen. Dergroße Bogen, von runden Türmen oder Minaretten flankiert, ist22 Meter breit und erreichte eine Höhe von 50 Metern. Es wardas erste mal in Mittelasien, dass ein Iwan in der Kombinationmit Minaretten als Außen-Portal eines Palastes errichtet wurdeund damit den Beginn einer “Fassade” ankündigte.

Ruy González de Clavijo, der 1404 an der Spitze einerspanischen Gesandschaft an den Hof Timurs reiste, berichtete,er wurde “in einer Flucht von Gärten empfangen”, die “mitMauern, Ecktürmen und monumentalen Toren versehen”(González de Clavijo 1582/1859; Pugatschenkowa 1976, S. 46)waren. Der Gesandte der katholischen Könige besuchte denPalast, an dem viele Meister schon 20 Jahre gearbeitet hätten.Der Spanier lässt in seinen Tagebuchaufzeichnungen die Prachtdes Gebäudes wiederauferstehen, “eine Pracht, die sogar den inEuropa und im Orient weitgereisten spanischen Gesandten inErstaunen versetzte”. Clavijo liefert eine detaillerteBeschreibung des Gebäudes: “In diesem Palast gibt es einensehr langen Eingang und ein sehr hohes Portal, und jetztstanden neben dem Eingang zur Rechten und zur LinkenZiegelsteinbögen, verkleidet mit Kacheln, die mit verschiedenenMustern bemalt waren. Unter diesen Bögen gab es so eine Artkleiner Zimmer ohne Türen, und der Fussboden in ihnen warmit Fliesen ausgelegt; das war deshalb gemacht worden, weilhier während des Aufenthaltes des Königs Leute untergebrachtwerden” (Pugatschenkowa 1976, S. 46; Hoag 1986, S. 138; Blair/Bloom 1999, S. 72).

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Nach der Beschreibung von Clavijo hatte der Palast einen Vier-Iwan-Hof: Hinter dem Eingang “gab es jetzt eine andere Tür undhinter ihr einen großen Hof, gepflastert mit weißen Platten undumgeben von reich ausgestatteten Galerien (Abb. 201). In derMitte des Hofes lag ein großes Wasserbecken” (Pugatschenkowa1976, S. 46). Rechts und links gab es “zwei kleinere Iwane undauf der Mittelachse einen sehr großen Iwan” (Hoag 1986, S. 138). “DerHof maß 300 Schritt in der Breite (ca. 444 Meter); über ihngelangte man in ein großes Haus, das eine sehr hohe und breiteTür hatte, die mit Gold, Lasuren und Kacheln sehr schönerArbeit verziert war” (Pugatschenkowa 1976, S. 46-47).Vermutlich handelt es sich hier um den großen Hof-Iwan, derals Audienzsaal des Königs diente. Dass der Gesandte den Iwan

als “großes Haus” schildert, zeigt, was für Ausmaße diesesarchitektonische Element in Zeiten Timurs erreicht hatte.

Dieser Iwan war wahrscheinlich mit einem Kuppelsaalverbunden: “Durch diese Tür gelangte man direkt in dasquadratische Empfangszimmer, dessen Wände mit Gold undLasuren bemalt und mit polierten Kacheln ausgelegt sind; diegesamte Decke aber ist vergoldet. Von hier aus führte man denGesandten in das Obergeschoss hinauf, weil das ganze Hausvergoldet war, und zeigte ihm dort so viele Räume undGemächer, dass es noch sehr viel zu erzählen gäbe: IhreAusstattung war aus Gold, Himmelblau und verschiedenenanderen Farben in wunderbarer Arbeit, und sogar in Paris, woes geschickte Meister gibt, würde diese Arbeit alsaußergewöhnlich schön gelten” (S. 47). Von dieser Pracht, dienicht nur die Meister aus Paris, sondern auch dieandalusischen maurischen Zeitgenossen Clavijos mitBegeisterung betrachtet hätten, ist –wie oben erwähnt- nur dasEingangstor erhalten (Abb. 203). Es war nicht dem Zentrum derStadt zugewandt, sondern ging nach Norden, symbolischerweisein Richtung Samarkand, der eigentlichen Hauptstadt Timurs.

Abb. 201 Schematischer Plan des Aq-Sarai in Schahr-i Sabz, nachPugatschenkowa

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Abb. 202 Eingasgsportal des Aq-Sarai Palastes in Schahr-i Sabz, nachPugatschenkowa.

Pugatschenkowa beschreibt das Portal mit Minarettenfolgendermaßen: “In der Nähe der nördlichen Stadtmauererheben sich heute nur noch einige Ruinen des Portals: eingewaltiger Pfeiler mit zylindrischen Türmen auf achteckigemUnterbau und Reste des Bogens mit einer Spannweite von 22Metern. Im Inneren jedes Turmes und in den Pfeilern sindWendeltreppen mit Ausgängen in verschiedenen Etageneingebaut, die jetzt an den Stirnseiten sichtbar sind” (S. 47).

Die Außenseite des Palastes hatte fünf Etagen. Pugatschenkovahat auch den Grundriss des Eingangsportals rekonstruiert (Abb.202). Die Eck-Türme sind in die Konstruktion des Iwan völligeingefügt, und bilden mit ihm eine einzigartige Einheit. InMittelasien fand so die erste “Veräußerlichung” eineskompositiven Elements statt, das bis dahin nur in den Höfen undohne die Begleitung von Minaretten zu finden war.

Abb. 203 Aq-Sarai in Sahr-i Sabz. Ruine des Eingasgsportals, 1390.

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Der Iwan mit Minaretten wird später nicht nur in Palästeeingebaut, sondern vor allem in städtische Gebäude wie diemonumentalen Medresen und Moscheen in Samarkand. Dieheutige Höhe der Ruinen des Aq-Sarai-Palastes beträgt nochetwa 30 Meter, “ursprünglich aber könnte sie – geht man vonden Proportionen aus – eineinhalbmal so hoch gewesen sein”(Pugatschenkowa 1976, S. 47). Die neue Monumentalität derGebäudeteile ist auch ein wichtiger Schritt in der Entwicklungübermaßstäblicher Bauten und damit des städtischenAußenraums, der die gebauten Symbole der Macht umgibt. DerChronist Timurs, Sharaf al-Din ´Ali Yazdi, sagte, “daß die Weltkein ähnliches Bauwerk gesehen hat, das seine Spitze von derErde bis zur Höhe des Himmelsgewölbes streckt” (S. 47).Hundert Jahre nach Clavijo gab Babur, der Mogulherrscher inIndien, eine kurze Schilderung des Palastes, den er mitKtesiphon verglich (Hoag 1986, S. 138).

Die Architektur des Portals und wohl ursprünglich des gesamtenPalastes war “beherrscht von der Idee des Grandiosen. Alles inihr ist in mächtigen Formen gehalten” (Pugatschenkowa 1976, S.50). Nach Timurs Tod 1405 geriet zwar der Palast inVergessenheit, nicht aber seine Formensprache, die inSamarkand und Buchara wiederzufinden ist. Die Legendeerzählt, “eines Tages sei Abdul-Khan nach Schahr-i Sabzgeritten und hätte (aus der Ferne) den Riesenbau von Aq-Saraierblickt. Er gab seinem Pferd die Sporen und jagte seinen bestenSchnellläufer voraus, weil es ihm schien, als wäre er schon inder Nähe der Stadt. Lange stürmten sie dahin, der Läufer fielschon tot zu Boden, der Palast jedoch schimmerte mit seinengroßartigen Formen immer noch in der Ferne. Da ergrimmte derKhan über seinen Irrtum und befahl, den Palast zu zerstören”(S. 50-51).

Die Idee, einen Bauteil des Hofes in Verbindung mit Minarettennach außen zu verlagern, scheint Timur aus dem von ihmbesetzten Indien “importiert” zu haben. Indien war seit Ende des10. Jahrhunderts islamisch. Die indischen Baumeister hattenihre eigenen traditionellen Bautechniken den Bedürfnissen derneuen Religion angepasst. So erhielten die religiösen Bautendes Islam alte, vorislamische Formen, die in völlig neuenräumlichen Kombinationen ihren Ausdruck fanden.

Die für den Islam typische räumliche Mentalität, sich in einenInnenhof zurückzuziehen, war der indischen Welt fremd. Auchdie Verneinung der Fassade traf auf wenig Gegenliebe derInder, und nur resignierend errichteten die hinduistischenHandwerker glatte, hohe Bogenwände ohne jegliche Verzierung.Obwohl die Inder “in der Verkleidung einfacherZiegelkonstruktionen mit farbig glasierten Kacheln” (Volwahsen1990, S. 41) erfahren waren, reagierten die Baumeister auf dieeinfachen und asketischen Bauten der islamischen Architekturentsetzt. Die indischen Tempel mit den an Skulpturen reichenFassaden verlangten, von Außen betrachtet zu werden (Abb.204).

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Auf riesigen Plateaus errichtet, wirkten die islamischen Bautenschon aus großer Entfernung monumental (Abb. 205). DieAufgabe, ein Gebäude wie etwa eine Moschee in derHorizontalen gen Mekka auszurichten, war eigentlichunvereinbar mit der Raumvorstellung der Hindis. Diehinduistischen Tempel waren auf eine vertikale Achse genHimmel ausgerichtet. Um alle räumlichen Akzente an einemPunkt zu ballen, um aus der (Moschee-) Iwan-Halle einSanktuarium hinduistischer Prägung zu machen, griffen dieindischen Baumeister auf Minarette zurück, die im Hof an dieweit vorspringenden Eckpunkte des Iwan gestellt wurden.

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Abb. 205 Kutub-Moschee in Indien, begonnen 1200. Schnitt und Grundriss.Legende: 1. ursprüngliche, symmetrische Anlage (1200).

2. erste Erweiterung (1210-1229).3. zweite Erweiterung (1295-1315).4. Alai Derwaze (1305).5. Kutub Minar (1200).6. unvollendetes Minarett (1310).7. Grab des Iltutmish (1236).

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Abb. 204 Djami-Moschee in Delhi, gebaut 1644-1658.

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Timur kam 1398 aus Delhi zurück. Wie der Zeitzeuge Sharaf al-Din ´Ali Yazdi berichtet, führte er eine eindrucksvolleKriegsbeute mit. Darunter befanden sich auch indische,aserbaidschanische und iranische Baumeister. 95 Elefantenschleppten Wagen voller Säulen und Platten aus Marmor, die fürseine große Moschee in Samarkand bestimmt waren. TimursZiel war es, in seinem Heimatland Gebäude zu errichten, diekeinesgleichen in der islamischen Welt hätten.

Die gewaltige Ruine des Achmed Yasawi Mausoleums (Abb. 206)in Turkestan-Stadt steht wahrscheinlich an der Stelle einesälteren Gebäudes und scheint nie ganz vollendet worden zu sein(Golombek/Wilber 1988, S. 284; Blair/Bloom 1994, S. 73-75).Zwischen 1394 und 1397 gebaut, befindet sich derGebäudekomplex an der Karawanenstraße nördlich vonTaschkent, an der Syr Darya im heutigen Kasachstan. Wie Hoag(1986) schreibt, ist der Grundriss ungewöhnlich: “EineMonumentalfassade mit einem fast 18 Meter breiten Iwan wirdvon den Stümpfen zylindrischer Minarette auf polygonaler Basisflankiert. (…) Durch einen kleineren Iwan gelangt man in einenquadratischen Kuppelraum von etwa 18 Metern Seitenlänge, inden Gänge und vier Zellen einmünden. Auf der Mittelachsebefindet sich hinter einem weiteren Iwan die gewölbteGrabkammer mit einem monumentalen Nordwesteingang” (S.139). Blair und Bloom (1994, S. 37-39) erklären dieStandardisierung der verschiedenen Räume und Bauteile mitder Verbreitung von Architekturplänen.

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Abb. 206 Yasawi Mausoleum, Turkestan.

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Abb. 208 Grundriss des Yasawi Mausoleums, 1394-1397.

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Abb. 207 Schnitt des Yasawi Mausoleums.

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Das riesige Portal, dessen Höhe die der Kuppel überragt,beherrscht die ganze Außenseite des Mausoleums. Das Gebäudehat keinen Hof und der Iwan mit Minaretten, obwohlunvollendet, dominiert den Außenraum und bildet als einzigesTeil der Anlage in seiner monumentalen Größe eine Fassade.Das Yasawi-Mausoleum ist “eines der ersten Beispiele einesübergroßen Maßstabs” (Blair/Bloom 1994, S. 39) in TimursReich. Ende des 14. Jahrhunderts muss dieser Bau in dermittelasiatischen Oasenstadt Turkestan eine ungeheureWirkung erregt haben. Das Mausoleum ist mit derFreitagsmoschee in Samarkand (Golombek/Wilber 1988, S. 287)verglichen worden, die in derselben Zeit errichtet wurde.

Nach seinem erfolgreichen Feldzug nach Hindustan gab Timurden Befehl, eine Freitagsmoschee in seiner HauptstadtSamarkand zu errichten, die “alle Rechtgläubigen derHauptstadt in ihren Mauern aufnehmen” (Brandenburg 1972, S.85) sollte. Südlich des “Stahl-Tores” der Altstadt ließ er “dieFundamente für eines der kolossalsten Monumente ausheben,das in der islamischen Welt je gebaut wurde (Golombek/Wilber1988, S. 255). 1399 begannen die Bauarbeiten für die MoscheeBibi-Chanum, benannt nach der ersten und LieblingsfrauTimurs (Brandenburg 1972, S. 84). Clavijo notierte, er sei vonTimur in einer Medrese vor einem riesigen Bauplatz empfangenworden (Hoag 1986, S. 139). Die neue Freitagsmoschee wurdemöglicherweise an Stelle einer älteren Moschee errichtet.

Der spanische Gesandte berichtete weiter, “Timur sei dorthingekommen, um den Umbau des Portals seiner großenFreitagsmoschee zu überwachen, das im ersten Entwurf nichthoch genug gewesen war” (Brandenburg 1972, S. 86). Timurhatte das erste Portal, das 19 Meter hoch war (Golombek/Wilber1988, S. 256), abreißen und die Baumeister köpfen lassen. Daszweite Portal wurde wesentlich höher. Das große Iwan-Portalwar fast wichtiger als der ganze Rest des Gebäudes. Denzweiten Versuch, ein monumentales Tor zu errichten, haben dieBaumeister angeblich überlebt. Ein zeitgenössischer Chronistberichtet, “daß dazu 500 Steinmetze aus Aserbaidschan, Farsund Indien herbeigeholt worden seien. Die 480 Steinsäulenwaren jede sieben Ellen (4,5 bis 4,8 Meter) hoch, sie waren ausgrauem Marmor oder Granit” (Hoag 1986, S. 139-140;Brandenburg 1972, S. 85). Jede von ihnen stand auf einem dreiMeter hohen Marmorsockel.

Das Eingangs-Tor wurde 1404 vollendet. Noch heute steht es ander Bazar-Straße von Samarkand und wird derzeit restauriert.Als weniger dauerhaft erwies sich die Säulenhalle, die schonkurz nach dem Tode Timurs zum ersten mal einstürzte: DieGrenzen der Bautechnik waren offensichtlich überschrittenworden und trotz zahlreicher späterer Wiederaufbauversuchestürzte die Anlage bei den häufigen Erdbeben immer wieder insich zusammen. Bei einem besonders schweren Erdbeben 1897wurde die Halle endgültig zerstört und nie wieder aufgebaut.

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Abb. 209 Grundriss der Bibi-Chanum Moschee in Samarkand. Erstes Beispieleines Aussen-Iwans am Platz.

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Die Moschee war ein Rechteck von 109 x 167 Metern, das einenVier-Iwan-Hof von etwa 65 x 76,5 Metern umfasste (Golombek/Wilber 1988, Abb. 26). Der Grundriss (Abb. 209) zeigt einenkreuzförmigen Plan, wo der Haram durch die Iwan-Kuppel-Kombinationen in vier Teile getrennt wird.

Die Iwane und die Kuppeln sind wiederaufgebaut. Der Mihrab-Iwan hat, wie das Außen-Tor, zwei polygonale, sich nach obenverjüngende Minarette und ist eine Wiederholung des Außen-Iwans. Die drei hohen blauen Außenkuppeln hinter den großenIwanen stellen “eine überwältigende Demonstration der Macht”(Hoag 1986, S. 140) dar. Das kolossale Eingangs-Tor war 18Meter breit und mindestens 33 Meter hoch. Zum ersten mal ineiner Moschee wird der Iwan an der Außenmauer vonMinaretten flankiert. Der Außen-Iwan entspricht dem Modell desTores am Aq-Sarai Palast, das auch den Eingangsbereich desYasawi Mausoleums in Turkestan bestimmt hat.

Die Neuerung besteht in der Einfügung des Iwans in denvorderen Stützensaal der Moschee. Der Saal erscheint imVergleich zu dem gewaltigen Bau-Element klein undungegliedert.

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Nach der hypothetischen isometrischen Rekonstruktion der Bibi-Chanum Moschee von Herdeg (Abb. 210) scheint die ganzeArchitektur “nach Außen” gerichtet gewesen zu sein. Derrückwärtige, innere Teil des Außen-Iwans ist im Gegensatz zurornamentreichen Außenwand “nackt” und ohne jede Verzierung.Vom Hof aus betrachtet, ergibt sich der Eindruck, man sei imTheater hinter die Bühnenkulisse geraten. Mit der Kombinationvon Iwan und Minaretten gewann die Außenmauer der Moscheeein großes Gewicht im Stadtraum. Während in der traditionellenislamischen Architektur sich die Ornamentik und räumlicheAufmerksamkeit noch ganz auf die Höfe konzentrierte, begannder Außenraum nun eine neue Rolle zu spielen. Wie in Indienverlangte auch die Architektur Samarkands, von außenbetrachtet zu werden.

Clavijo berichtete, gegenüber der Bibi-Chanum Moschee habeeine große Medrese gelegen, deren Iwan sich in einem Winkelvon 130 Grad zu dem massiven Portal der Moschee befundenhaben soll. „Am 29. September 1404 wurde Clavijo von Timur ineinem Hause nächst einem der Stadttore empfangen, das eineArt Kapelle enthielt, in der die Mutter von Timurs Gemahlinbegraben lag. Dabei muss es sich um die von Bibi Chanumgegründete Medrese handeln, von der ihr Mausoleum gegenüberdem Portal der Moschee erhalten ist” (Hoag 1986, S. 139). DenSchriften des Spaniers zufolge wollte Timur einen feierlichenPlatz zwischen den Gebäuden schaffen, der verschiedeneFunktionen erfüllen sollte. In einer Zeichnung von Raticha(Bernardini 1987, S. 91) war der trapezförmige Platz an seinemkürzeren Ende etwa 100 Meter und am längeren nördlichenRand circa 210 Meter lang. Zwischen den monumentalenGebäuden wurde eine weitläufige Fläche freigehalten.Die “Zurschaustellung” der neuen prächtigen Bauten erforderteeinen weiträumigen Platz, von dem aus die Architekturüberhaupt erst in ihrer ganzen Monumentalität betrachtet undwahrgenommen werden konnte.

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Abb. 210 Isometrie (nach Herder) der Bibi-Chanum Moschee in Samarkand.

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Abb. 211 Plan des städtebaulichen Programms Timurs für Samarkand, 15.Jahrhundert, nach Raticha.Legende:

1. Bibi Chanum-Moschee.2. Medrese.

3. Bazar.

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Mit der Gegenüberstellung zweier monumentaler Bauten (Bibi-Chanum-Moschee und Medrese) wurde ein großer öffentlicherRaum geschaffen, ähnlich einem Platz als beeindruckender„Empfangsraum“ für den Zugang vom Stadttor her.

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Timur wollte ein systematisches Städtebauprogramm umsetzen,in dem die Plätze eine wichtige Rolle spielten (Bernardini 1987,S. 91). Diese Plätze waren zugleich Märkte (Abb. 212), die vondem langgestreckten Hauptbazar der Stadt verbunden wurden.Dieser Platz ist der früheste Versuch in der islamischen Stadteinen zeremoniellen öffentlichen Raum zu schaffen. Heute istdie Bibi-Chanum Moschee zum Teil wiederaufgebaut, der Restist Ruine oder völlig verschwunden. Von der Medrese sind außerdem Mausoleum keine Reste erhalten. Der frühere Platz ist mitden Gebäuden verloren gegangen, aber der Raum lässt sichnoch erahnen. In einer Zeit, als es in Europa noch gar keinemonumentalen Stadträume gab, stellte die Vollendung des “Bibi-Chanum-Platzes” die Geburtsstunde des islamischen Platzesdar.

Abb. 212 Markt vor der Bibi-Chanum Moschee in Samarkand, Photo nach Curtis(vor der sowjetischen Invasion Turkestans).

Abb. 213 TimuridischeMoschee in Anau, 1455-1457.

Die timuridische Moschee, Teil des Mausoleums des ScheicksJamal al Din (Golombek/Wilber 1988, II. Abb. 63-64) von 1455-1457 in Anau, eine Ruinenstadt 15 km südlich von Aschchabadin Turkmenistan hatte einen 21 Meter hohen Iwan an derHoffassade (Abb. 213). Er war von zwei schlanken Minarettengekrönt. Die Moschee wurde glücklicherweise vor 1948aufgenommen, als das monumentale Gebäude einem Erdbebenzum Opfer fiel. Zu dieser Anlage gehörten auch ein Mausoleumund eine Hanaka, die ebenfalls zestört worden sind. Diesogennante Festungsmoschee wurde unter Abu l-Qasim Babur(1447-1457 Herrscher von Chorasan) errichtet (Pander 1982, S.191). Hinter dem Portal befand sich ein quadratischer Saal (10,5Meter Seitenlänge), der mit einer flachen Kuppel überdacht undvon einer dreiteiligen Säulenhalle umgeben war. Auffallend istbesonders das Dekor über dem Portal der Hauptfassade: zweischwarzweiß stilisierte Drachen auf blauem Grund, darüber ineinem rechteckigen Feld eine Koran-Inschrift in weißenBuchstaben auf blauem Untergrund (S. 191-192).

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Der Iwan mit Minaretten tritt in Iran zum ersten mal in derMoschee Gawarschad in Maschad auf (Abb. 214). Das Gebäudeist Teil eines größeren Komplexes, der sogenannten HeiligenShiitischen Stätte von Imam Reza (Blair/Bloom 1994, S. 44;Golombek/Wilber 1988, S. 328-331; Hoag 1986, S. 141-142;Kühnel 1949/1974, S. 45). Seit dem Baubeginn im 10.Jahrhundert wurde die Anlage ständig vergrößert und sogarheutzutage wird noch an dem Ort gebaut. Das 1414 errichteteGotteshaus wurde nach dem Modell der Bibi-Chanum-Moscheein Samarkand entworfen. Weil sie als Ergänzung einesMausoleums gedacht war, hat die Gawarschad-Moschee kaumeine Eingangsfassade und somit auch keinen Außen-Iwan.

Im schematischen Plan von Golombek und Wilber (1988) (Abb.215) kann man die frühe Organisation der verschiedenenGebäude aus dem Ende des 15. Jahrhunderts sehen: DerEingang befindet sich am “alten Platz”, der eine direkteVerbindung mit dem Bazar hatte. Die Moschee erreicht mandurch das Mausoleum. Sie ist ein klassischer Vier-Iwan-Bau umeinen rechteckigen Hof von etwa 26 x 31 Metern, der von einemStützensaal umgeben ist. Der Mihrab-Iwan, von Minarettenflankiert, beherrscht den zweigeschossigen Arkaden-Hof. Andersals in Samarkand, wo die polygonalen Eck-Minarette mit demIwan eine Einheit bilden, scheinen in Maschad diezylindrischen, vom Boden aufsteigenden Minarette demeinfachen, tiefen Iwan hinzugefügt worden zu sein (Golombek/Wilber 1988, S. 328-329).

Wie in der traditionellen Moschee ist der Hof in Maschad nochder Protagonist des Raumes. Iwane, Minarette und Arkaden sindvöllig mit glasierten und stumpfen Ziegeln verkleidet, die mitArabesken aus vielfarbigen Plättchenmosaiken verziert sind. Dievier Iwane überragen die Arkaden, die wiederum sehrharmonisch durch Flechtbänder gegliedert sind.

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Abb. 214 Minaretten-Iwan am Hof der Gawarschad-Moschee in Maschad, Iran.

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Der Haram ist eingeschossig und die blinden Arkaden im zweitenStock haben nur den Zweck, die Proportion des Hofes zuerhalten und einen theatralischen Effekt zu erzielen. DerZugang zur Moschee –inklusive Moschee-Hof und angrenzendeFlächen– ist Nicht-Muslimen streng verboten. Es ist deswegensehr schwierig, einen räumlichen Eindruck von dem Gebäude zugewinnen (Golombek/Wilber 1988, S. 329). Trotzdem lässt siesich mit der Bibi-Chanum Moschee vergleichen. Die Größe derBauten ist sehr unterschiedlich. Die Gawarschad-Moscheeentspricht in ihrer Fläche ungefähr nur einem Viertel derMoschee in Samarkand und auch der Iwan mit Minaretten istwesentlich kleiner. Der Iwan mit Minaretten als Außen-Tor wirdin Iran erst viel später gebaut, als in Mittelasien. Anfang des 17.Jahrhunderts wurde die Lutfullah Moschee (1598-1603) und dieMasgid-i Schah (1611-1638) am Maidan in Isfahan gebaut, diebeide große Portale aufwiesen. Die “wahren Fassaden” derislamischen Gebäude Persiens wurden den VorbildernMittelasiens aus der Zeit der Herrschaft Timursnachempfunden. Dies gilt nicht nur für die Fassaden, sondernauch für die Plätze. Blair und Bloom (1994) beschrieben dieseEntwicklung als “erfinderische Verwandlung der Außenräume inmonumentale, zum Himmel hin offene Interieurs” (S. 192).

Abb. 215 Grundriss der Gawarschad Moschee.

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DIE MONUMENTALEN MEDRESEN MITTELASIENSUND DIE „ENTDECKUNG“ DES STADTRAUMES

In den mittelasiatischen Städten Samarkand, Buchara undChiwa waren die Koranschulen ebenso wichtig wie dieMoscheen. Die Medresen entwickelten sich zu monumentalenBauten, die der Stadt ein neues Gesicht verliehen. Dieaufwendigen Eingänge aus großen, von Minaretten flankiertenIwanen zog eine Neugestaltung der Außenmauer nach sich, dieim Islam nie zuvor eine solche Bedeutung gehabt hatte. Dieneuen, prächtigen Fassaden verlangten, von außen betrachtetzu werden. Die Kombination von zwei oder mehreren Medresen

mit einander gegenüberliegenden Portalen schuf Räume, diemehr und mehr den Charakter eines Platzes annahmen.

Im Kontrast zu den rechtwinklig angelegten Höfen der Moscheenwirken die unregelmäßigen Stadtviertel islamischer Städtebesonders willkürlich. Die Stadt glich einem von einemMauerring umschlossenen Organismus, der den Einwohnernkeine anderen gemeinsamen “offenen” Plätze bot, als die langenBasarpassagen oder die Höfe der Gebetshäuser. Während “fürden Propheten und seine ersten Nachfolger die Suche nacheiner repräsentativen Architektur noch kein ernsthaftesAnliegen (war, erwachte unter) den neuen Konvertiten dasBedürfnis, monumentale Bestätigungen der sich festigendenseßhaften Kultur” (Bianca 1991, S. 72) zu errichten. Dieislamischen Herrscher Mittelasiens benutzten die Stadt alsMittel für die Darstellung ihrer Macht und Größe.

Medresen und Moscheen wurden zum Instrument derVermittlung dieser Macht und der Kraft der neuen offiziellenReligion. Viele Reisende waren von der islamischen ArchitekturMittelasiens beeindruckt. Die Bewunderung der Europäerbeschränkte sich nicht nur auf die Bauten, sondern galt auchden gestalteten Stadträumen, die von diesen Gebäudengeschaffen wurden.

Die Ulug Beg-Medrese (Abb. 215), zwischen 1417 und 1421errichtet, ist der älteste Teil des heutigen Registan inSamarkand. Nach dem Vorbild der persischen Vier-Iwan-Medrese

gebaut, stellt die mittelasiatische Koranschule das größte undkomplexeste Beispiel der timuridischen Bauten dar. Diekönigliche Medrese befand sich am alten Registan gegenübereiner Hanaqa (Kloster), die nicht mehr existiert. Das Gebäudehat einen Umfang von 58 x 81 Metern. Der vordere Teil ist einDichliz, der von einen Außen-Iwan unterbrochen ist. Hinter demDichliz erstrecken sich die traditionellen Wohnzellen um einenquadratischen Vier-Iwan-Hof, dessen Seiten 33 Meter lang sind.Die Ulug Beg-Medrese bot früher mehr als 100 Studenten Platzund Unterkunft. Der große Eingangs-Bogen des Außen-Iwan istvon einem 35 Meter hohen Pistaq eingerahmt, der vollständig mitweißen, blauen und türkisfarbenen glasierten Kachelnverkleidet ist.

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Die Ulug Beg-Medrese wurde einige Jahre später als die BibiChanum-Moschee (1399) gebaut (Abb. 216-217). Die Koranschulewiederholt die Eingangskombination des Iwan mit Minaretten,jedoch mit einem wesentlichen Unterschied. Während in derMoschee Iwan und Minarette eine einzige bauliche Einheitbilden, die weit aus der Außenmauer hervortritt, ist das Portalder Medrese von den Minaretten getrennt. Bei der Betrachtungdes Grundrisses ist erkennbar, dass der Iwan nicht mehr als einunabhängiges Element in das Gebäude eingefügt wurde,sondern sich aus dem Gebäude selbst entwickelt. Der Außen-Iwan nimmt die ganze Mitte des Dichliz ein und bestimmt so dieAußenseite der Medrese. Die Minarette sind nicht mehr ein Teildes Portals. Sie werden an die Gebäudeecken gelegt. Zwischendem Iwan und den Eck-Minaretten gibt es ein Segment desDichliz, das wesentlich niedriger als der Pistaq ist und die Höheder Hofarkaden wiederspiegelt. Hinter diesen Mauern befindensich zwei symmetrisch angeordnete Kuppelsäle mit je zweiArkaden zum Registan, von denen je einer geschlossen und derandere ein Fenster hat. Die Außenmauer der Bibi-Chanum-Moschee war eine geschlossene Wand, die nichts von derinneren räumlichen Anordung des Gebäudes verrät. In der UlugBeg-Medrese hingegen ist die Struktur des Dichliz, des Hofes unddadurch des ganzen Gebäudes von außen “ablesbar”.

Abb. 216 Grundriss der Ulug Beg-Medrese in Samarkand.

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Wie schon oben erwähnt, ist der Iwan in der Medrese keineunabhängige Struktur mehr. Ein Element, das immer wie einerfremden Struktur “hinzugefügt” wirkte, hat jetzt eine neue,gestalterische Rolle übernommen. Das Iwan-Portal, die Wandund die Eck-Minarette sind derart miteinander verbunden, dasssie das Gebäude quasi von außen “umarmen”. Aus dieserKombination von Elementen, die früher einzeln verwendetwurden, und der Übereinstimmung von Innenräumen undAußenmauer entsteht zum ersten mal in der islamischenArchitektur eine “monumentale Fassade”. Sie ist von Anfang anals Fassade gedacht und gibt zum ersten mal von außenAufschluss über das Innere des Gebäudes.

Diese Fassade, die sich stark vom westlichen Konzeptunterscheidet, bedeutet keine Änderung der islamischenRaummentalität. Das Innere, obwohl jetzt an der Außenmauerablesbar, bleibt weiter verborgen. Diese Abgeschiedenheit desInnenhofes von der Außenwelt wird durch den Eingang gewahrt:Zwar suggeriert das hohe Portal, dort befände sich der direkteZugang ins Innere. Tatsächlich aber gelangt man nur auf einemengen, abgewinkelten Gang durch den Dichliz zum Hof.Die Baumeister der Ulug Beg-Medrese haben zweigegensätzliche Ziele erreicht: zum einen die von denHerrschern geforderte Monumentalität des Äußeren zu schaffen,zum anderen die Privatheit der inneren Welt zu bewahren. DieFassade der Ulug Beg-Medrese ist nicht, als “Haut desGebäudes” gedacht. Das Ganze wirkt durch seine Massivität undGröße. In späteren Zeiten wurden der Ulug Beg-Medrese zweiweitere Koranschulen gegenüber und zur Seite gestellt. DieseAnordnung schafft etwas völlig Neues: Zwischen den Gebäudenentsteht ein öffentlicher “Platz”.

Abb. 217 Fassade der Ulug Beg-Medrese in Samarkand.

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