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Die Berücksichtigung sozialer Belange im Vergaberecht Hinweise für die kommunale Praxis Herausgegeben vom Deutschen Städtetag in Zusammenarbeit mit: - dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales - dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Autorinnen und Autoren: Barbara Meißner, Hauptreferentin, Deutscher Städtetag Martin Krämer, Ltd. städtischer Rechtsdirektor, Leiter Liegenschaftsamt Stadt Bonn Christoph Bartscher, Abteilungsleiter Zentraler Vergabeservice, Liegenschaftsamt Stadt Bonn Tobias F. Korta, Referent, Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gisela Habel, Referentin, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Elisabeth Kirfel-Rühle, Referentin, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nadja Roderburg, Referentin, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Maria Backhouse, Beraterin, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH Horst Ollmann, Rechtsanwalt, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH Unter Mitwirkung der Mitglieder des Beirats für das öffentliche Auftrags- und Beschaffungswesen des Deutschen Städtetags

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Die Berücksichtigung sozialer Belange im VergaberechtHinweise für die kommunale Praxis

Herausgegeben vom Deutschen Städtetag in Zusammenarbeit mit:- dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales- dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Autorinnen und Autoren:Barbara Meißner, Hauptreferentin, Deutscher StädtetagMartin Krämer, Ltd. städtischer Rechtsdirektor, Leiter Liegenschaftsamt Stadt BonnChristoph Bartscher, Abteilungsleiter Zentraler Vergabeservice, Liegenschaftsamt Stadt BonnTobias F. Korta, Referent, Bundesministerium für Arbeit und SozialesGisela Habel, Referentin, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungElisabeth Kirfel-Rühle, Referentin, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungNadja Roderburg, Referentin, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EntwicklungMaria Backhouse, Beraterin, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbHHorst Ollmann, Rechtsanwalt, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH

Unter Mitwirkung der Mitglieder des Beirats für das öffentliche Auftrags- und Beschaffungswesen des Deutschen Städtetags

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Vorwort

Viele öffentliche Auftraggeber wünschen sich schon seit längerem bessere Möglichkeiten, um auch soziale Kriterienin Vergabeverfahren einbeziehen zu können. So engagieren sich zahlreiche Städte bereits heute erfolgreich gegen ausbeuterische Kinderarbeit. Allerdings war dies aufgrund der bisherigen Rechtslage mit erheblichen recht-lichen Risiken behaftet, die viele öffentliche Auftraggeber von der Berücksichtigung sozialer Vergabekriterien ab-geschreckt haben. Bedenken bestanden insbesondere wegen des Risikos von Nachprüfungsverfahren bei europa-weiten Vergaben oder von Schadensersatzansprüchen aufgrund von Vergabeverstößen. Daher haben nicht nur dasBundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Bundesministerium für Arbeitund Soziales immer wieder auf eine entsprechende Novellierung des Vergaberechts gedrängt.

Die Beschaffung von Produkten, die unter ausbeuterischen Bedingungen, insbesondere durch Kinderarbeit, herge-stellt werden, wurde in der Öffentlichkeit immer wieder zu Recht kritisiert. Dies betrifft z. B. die Beschaffung vonNatursteinen, Textilien, Spielwaren sowie von Produkten und Fertigteilen aus IT- und anderen Bereichen.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts wurden nunmehr weitere Vorschriften der EG-Vergabericht-linien im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) umgesetzt und dadurch die Möglichkeit geschaffen,die Beachtung sozialer Aspekte als zusätzliche Bedingungen für die Ausführung von Aufträgen zu verlangen. Mitdieser Neuregelung hat der Bundestag auch die entsprechende Forderung des Hauptausschusses des DeutschenStädtetages vom Februar 2006 sowie einiger Länder erfüllt.

Die neuen Möglichkeiten gilt es nun effektiv und rechtssicher zu nutzen. Um den Städten und anderen öffentlichenAuftraggebern den Umgang mit der neuen Rechtslage zu erleichtern, wurden diese Hinweise vom Deutschen Städ-tetag in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesministerium fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (unterstützt von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zu-sammenarbeit (GTZ) GmbH) erarbeitet.

Die Hinweise geben erste Antworten auf Fragen, die bei der praktischen Anwendung der neuen Regelungen auftau-chen können. Die Autorinnen und Autoren präsentieren auf der Basis des gegenwärtigen Standes der rechtlichenDiskussion sinnvolle und zuverlässige Lösungen.

In diesem Sinne hoffen wir, dass die Hinweise dazu beitragen, noch bestehende Unsicherheiten im Umgang mit derneuen Rechtslage zu beseitigen und so den sozialen Kriterien im Vergaberecht einen angemessenen Stellenwert zusichern.

Dr. h.c. Petra Roth Olaf Scholz Heidemarie Wieczorek-Zeul

Präsidentin Bundesminister für Bundesministerin fürdes Deutschen Städtetags Arbeit und Soziales wirtschaftliche ZusammenarbeitOberbürgermeisterin der Stadt und EntwicklungFrankfurt am Main

Köln, Berlin und Bonn im September 2009

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Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

A. Allgemeines .............................................................................................................................................................................. 7

B. Rechtliche Grundlagen .......................................................................................................................................................... 10

I. Die EG-Vergaberichtlinien ............................................................................................................................................... 10

II. Die Umsetzung ins deutsche Recht............................................................................................................................. 10

III. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ............................................................................. 10

III.1. Beentjes................................................................................................................................................................. 11

III.2. Nord-Pas-de-Calais............................................................................................................................................ 11

III.3. Concordia Bus Finland ...................................................................................................................................... 11

III.4. Wienstrom ............................................................................................................................................................ 11

III.5. Rüffert.................................................................................................................................................................... 11

IV. Haushaltsrecht ................................................................................................................................................................. 11

V. Berücksichtigung der sozialen Kriterien im Vergabeverfahren ........................................................................... 12

C. Praktische Umsetzung ........................................................................................................................................................... 13

I. Vorbereitung der Vertragsunterlagen........................................................................................................................... 13

I.1. Leistungsbeschreibung ........................................................................................................................................... 13

I.2. Zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags ........................................................................ 16

I.3. Durchsetzung der Grundprinzipien und Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO)....................................................................................................................................... 19

II. Vorbereitung des Vergabeverfahrens .......................................................................................................................... 23

II.1. Eignungskriterien .................................................................................................................................................... 23

II.2. Zuschlagskriterien................................................................................................................................................... 24

III. Auftragsausführung........................................................................................................................................................ 25

D. Fallbeispiele .............................................................................................................................................................................. 26

E. Exkurs: Standardinitiativen, Zertifizierungen und Labels............................................................................................ 31

I. Standard ............................................................................................................................................................................... 31

II. Konformitätsprüfung ....................................................................................................................................................... 31

III. Governancesystem (Steuerungssystem).................................................................................................................... 32

F. Einführung und Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in bzw. für das Thema „Sozialverantwortliche Beschaffung“ .................................................................................................................. 33

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Inhalt

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A. Allgemeines

I. Ziel des Leitfadens

Ziel dieses Leitfadens ist eine möglichst praxisorien-tierte Unterstützung für interessierte öffentliche Auf-traggeber vor allem auf kommunaler Ebene, die bei ihren Beschaffungen soziale Kriterien berücksichtigenwollen. Dabei geht es beispielsweise um die Einhaltunggrundlegender sozialer Standards beim Einkauf vonWaren, insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsbedin-gungen bei ihrer Herstellung in Entwicklungs- undSchwellenländern und in transnationalen Lieferketten.Auch spielen Fragen der Barrierefreiheit oder Gender-aspekte eine Rolle. Hierfür werden Hintergrund- informationen zu den politischen und rechtlichenGrundlagen sowie Hinweise zu praktischen Umsetzungs-möglichkeiten gegeben.

II. Vergaberechtsreform stärkt soziale Aspekte

Soziale Aspekte in der öffentlichen Auftragsvergabespielten in Deutschland in der Vergangenheit nur eineuntergeordnete Rolle. Lediglich in den wenigen Fällen,in denen der Leistungsgegenstand selbst in seinen Eigenschaften und Nutzungsmöglichkeiten sozialenAnforderungen gerecht werden musste, wie z.B. beimBau eines behindertengerechten öffentlichen Gebäu-des, konnten sich soziale Aspekte etablieren. Forderun-gen nach gerechten Löhnen oder Tariftreue bei der Auftragsausführung oder Beachtung des Verbots vonausbeuterischer Kinderarbeit in der Lieferkette aus Ent-wicklungs- und Schwellenländern wurden häufig als„vergabefremd“ abgewiesen; das Vergaberecht habenicht politischen Zwecken zu dienen, sondern lediglichden wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen Hand zusichern. Allerdings kann sich ein öffentlicher Auftrag-geber nicht nur in politischer Hinsicht immer wenigerleisten, z.B. Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeiteinzukaufen. Auch das verfassungsrechtliche Gebot zurAchtung der Menschenwürde bindet unmissverständ-lich die öffentliche Hand, denn es unterscheidet nichtdanach, ob etwa Kinder in Deutschland durch denstaatlichen Einkauf betroffen sind oder im Ausland.

„Sekundärziele“ sind im Vergaberecht nichts Neues:Hierzu gehören die Mittelstandsförderung durch Los-aufteilung und Unterauftragsvergabe oder auch sozialeund ökologische Aspekte, die den Auftragsgegenstandunmittelbar betreffen. Der Europäische Gerichtshof

(EuGH) hat in seiner Rechtsprechung der Anwendungsozialer und ökologischer Bedingungen für die Auf-tragsausführung den Weg geebnet. Diesem Votum istder europäische Gesetzgeber mit Aufnahme des Artikels26 in die Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EGbzw. des Artikels 38 in die Sektorenkoordinierungsricht-linie 2004/17/EG gefolgt. Er verweist in den Erwägungs-gründen explizit auf die Möglichkeiten, gesellschaft -liche Bedürfnisse, insbesondere im ökologischen und sozialen Bereich, im Rahmen der Auftragsvergabe zuberücksichtigen.

Gegen die Berücksichtigung von Sekundärzielen bei der öffentlichen Auftragsvergabe sprechen auch keinehaushaltsrechtlichen Bedenken, weil der Wirtschaft-lichkeitsbegriff im Haushaltsrecht weit auszulegen ist.Hier gilt ein makroökonomischer Wirtschaftlichkeits -begriff, der es zulässt, auch ökologische und soziale „gesellschaftliche Auswirkungen“ zu berücksichtigen,die bei rein betriebswirtschaftlicher Sichtweise unbe-rücksichtigt blieben. Die öffentliche Hand nutzt dabeieine „weiche“ Steuerungsmöglichkeit über den Markt.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechtsvom 20. April 2009 werden Artikel 26 bzw. Artikel 38der europäischen Vergaberichtlinien umgesetzt und damit die Möglichkeiten der öffentlichen Auftraggebererweitert, Sekundärziele–insbesondere soziale Aspekte–zu verfolgen. Es handelt sich dabei um eine freiwillige Regelung, d.h. um eine Option für öffentliche Auftrag-geber. Diese entscheiden eigenverantwortlich, ob undinwiefern sie davon Gebrauch machen. Damit wird den Grundsätzen der Subsidiarität und der KonnexitätRechnung getragen, sodass Gestaltungsfreiheit dortverankert wird, wo auch die Finanzierungsverantwor-tung liegt.

Auf der Grundlage der Vergaberechtsreform kann nun,um einige der oben genannten Beispiele wieder aufzu-nehmen, sowohl die Beachtung grundlegender Sozial-standards bei Lieferleistungen aus Entwicklungs- undSchwellenländern als auch die Einhaltung von allge-meinverbindlichen Mindestlöhnen bei in Deutschlandauszuführenden Dienstleistungen gefordert werden.Allgemeinverbindliche Mindestlöhne bestehen aufgrunddes Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) für dieBaubranche und im Briefdienstleistungsgewerbe. Insieben weiteren Branchen können nach AEntG Min-destlohntarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden: im Gebäudereinigerhandwerk, in der Pflege-branche, bei Sicherheitsdienstleistungen, bei Bergbau-spezialarbeiten auf Steinkohlebergwerken , bei Wäsche-

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A. Allgemeines

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reidienstleistungen im Objektkundengeschäft, in derAbfallwirtschaft (einschließlich Straßenreinigung undWinterdienst) und im Bereich von Aus- und Weiterbil-dungsdienstleistungen nach dem Zweiten und DrittenBuch Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB III). GesetzlicheMindestlöhne sind darüber hinaus nach dem geänder-ten Mindestarbeitsbedingungengesetz in Branchenmöglich, in denen keine ausreichende Tarifbindung vor-liegt.

Die Erfüllung allgemein geltender Pflichten zur Zahlungeines tariflichen oder gesetzlichen Mindestlohnes kannnicht nur bei der Auftragsausführung gefordert werden,sondern bereits im Vergabeverfahren, das zur Auftrags-vergabe führt, eine gewisse Rolle spielen: ÖffentlicheAufträge dürfen nur an zuverlässige Bieter vergebenwerden. Die Einhaltung dieser allgemein geltenden ar-beitsrechtlichen Pflichten durch den Unternehmer,wenn sein Verhalten in der Vergangenheit dazu Anlassgibt, ist im Rahmen der Eignungsprüfung über das vomGesetzgeber bei der Vergaberechtreform herausgeho-bene Kriterium der „Gesetzestreue" zu prüfen. Wird Un-zuverlässigkeit festgestellt, führt dies zum Ausschlussaus dem Vergabeverfahren.

III. Sozialstandards im Welthandel

Mit dieser vergaberechtlichen Neuregelung erhält dieöffentliche Hand ein Instrument, um auch ihrer Vor-bildfunktion insgesamt gerecht zu werden: Sie ziehtdamit mit führenden Unternehmen gleich, die ihrerseitsunter dem Stichwort „Corporate Responsibility“ bei ih-rem Einkauf von Produkten und Vorleistungen sozialeund ökologische Mindeststandards beachten.

Die weltweite Verbreitung und Umsetzung grundlegen-der Sozialstandards, wie sie in den wichtigsten Konven-tionen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO)vereinbart worden sind, ist ein wichtiges politischesAnliegen der Weltgemeinschaft, dem auch die Europä -ische Union und ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet sind.

Im Zentrum der internationalen politischen Aufmerk-samkeit stehen dabei die sog. IAO-Kernarbeitsnormen,also z.B. das Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit,Zwangsarbeit und Diskriminierung sowie die Gewäh-rung der Koalitionsfreiheit, d.h. des Rechts sich zurWahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschafts-bedingungen zusammenzuschließen. Diese Grundprin-zipien haben in acht IAO-Übereinkommen ihre konkreteAusgestaltung gefunden (Nr. 29, Nr. 87, Nr. 98, Nr. 100,

Nr. 105, Nr. 111, Nr. 138, Nr. 182, vgl. www.ilo.org).Wenngleich festgehalten werden muss, dass es auchheute noch überall zu Verletzungen dieser grundlegen-den Rechte kommen kann, ist diese Problematik aktuellvor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern an-zutreffen.

Die mögliche Verletzung der IAO-Kernarbeitsnormen indiesen Ländern steht angesichts einer immer dynami-scheren Globalisierung mit zunehmender internationa-ler Arbeitsteilung, wachsendem Güter- und Warenaus-tausch und verstärktem globalem Wettbewerb immermehr in einem engen Zusammenhang mit den Konsum-gewohnheiten hierzulande. Mit der aktuellen Phase derGlobalisierung gehen neue ökonomische Chancen einher,die zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer of-fensiv nutzen. Gleichzeitig herrscht in den Industrielän-dern eine steigende Nachfrage nach kostengünstigenProdukten oder Vorleistungen aus den sich entwickeln-den Ländern. Dennoch unterstützen immer mehr Ver-braucherinnen und Verbraucher mit einer bewusstenKaufentscheidung Produkte, die nach ökologischen undsozialen Standards produziert worden sind. Nichtregie-rungsorganisationen und Gewerkschaften haben in denvergangenen Jahren wiederholt öffentlich auf Miss-stände im internationalen Arbeitsprozess hingewiesen.Etliche Unternehmen in Deutschland und anderen In-dustrieländern haben sich daraufhin eigene Richtlinienfür ihr Verhalten gegeben, so genannte Verhaltens -kodizes, oder arbeiten mit neu gegründeten oder beste-henden Standardinitiativen wie dem Fairen Handel zusammen. Sie folgen damit der Erkenntnis, dass sichfür sie die Einhaltung von Sozialstandards in ihren Zu-lieferbetrieben und Tochterunternehmen in vielfältigerWeise positiv auswirkt. Dazu gehört nicht nur einImagegewinn, sondern beispielsweise auch die Qualitäts-verbesserung der importierten Waren.

Aus arbeits- und entwicklungspolitischer Sicht ist dieVerwirklichung von sozialen Mindeststandards, so wiesie in den Konventionen der IAO niedergelegt sind, einwichtiger Schritt zur Verbesserung der Lebensverhält-nisse weltweit und damit zu Armutsbekämpfung, Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und sozialgerechter Gestaltung von Globalisierung. Neben derkontinuierlichen Arbeit an der Verbesserung der Rah-menbedingungen auf internationaler und nationalerEbene (z.B. Beteiligung an Aushandlung und Ratifizie-rung von Konventionen, Einbringen der IAO-Kernar-beitsnormen in Welthandelsorganisation und bilateraleHandelsabkommen sowie Umsetzung internationalerKonventionen in nationales Recht) ist die Unterstüt-

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A. Allgemein

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zung freiwilliger Standard-Initiativen, wie die des FairenHandels für die deutsche Entwicklungspolitik, ein wich-tiges Instrument zur tatsächlichen Verbesserung derLebensverhältnisse in Entwicklungs- und Schwellen -ländern. Gleichzeitig eignet es sich gut für die entwick-lungs- und verbraucherpolitische Bildungsarbeit, umMenschen hierzulande für Handels-, Lebens- und Arbeitsbedingungen weltweit und die diesbezüglichenAuswirkungen ihrer Konsumgewohnheiten zu sensibili-sieren. Daher unterstützen Bundesregierung und zahl-reiche Institutionen auf Länder- und KommunalebeneStandardinitiativen wie beispielsweise den Fairen Han-del sowie Unternehmen, die in Projekten und Dialog -foren ihrer gesellschaftlichen Verantwortung auch imHinblick auf ihre globalen Zulieferketten gerecht wer-den.

Vor diesem Hintergrund ist es für viele öffentliche Institutionen eine Frage der politischen Glaubwürdig-keit, sich auch bei der öffentlichen Beschaffung in ihrer Rolle als Marktteilnehmer für die Einhaltung vongrundlegenden Sozialstandards bei den von ihnen be-schafften Produkten einzusetzen.

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A. Allgemeines

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B. Rechtliche GrundlagenHinsichtlich der Berücksichtigung sozialer Kriterien imVergaberecht gelten unterschiedliche Rechtsgrundlagenfür die Vergaben unterhalb und oberhalb der Schwel-lenwerte.

Im Unterschied zu den Vergaben unterhalb der Schwel-lenwerte, wo nur das jeweilige Haushaltsrecht zur Anwendung kommt, bildet für Vergaben oberhalb derSchwellenwerte das Gesetz gegen Wettbewerbsbe-schränkungen (GWB) die speziellere Rechtsgrundlage.Das GWB setzt die EG-Vergaberichtlinien in deutschesRecht um.

I. Die EG-Vergaberichtlinien

Ziel der EG-Vergaberichtlinien ist es, öffentliche Auf-träge diskriminierungsfrei abzuwickeln, so dass Unter-nehmen aus dem gesamten Europäischen Wirtschafts-raum (sowie aufgrund von internationalen Abkommenauch darüber hinaus) von diesem wichtigen Markt profitieren können. Aufträge oberhalb bestimmterSchwellenwerte1 müssen deshalb europaweit ausge-schrieben werden.

Oberhalb der Schwellenwerte gelten die im Jahr 2004reformierten EG-Vergaberichtlinien: Die Richtlinie2004/17/EG zur Koordinierung der Zuschlagserteilungdurch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie-und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und dieRichtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Ver-fahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferauf-träge und Dienstleistungsaufträge.

Beide Richtlinien sehen ausdrücklich die Möglichkeitvor, soziale und umweltbezogene Kriterien bei der Auf-tragsvergabe zu berücksichtigen:

„Die öffentlichen Auftraggeber können zusätz -liche Bedingungen für die Ausführung des Auf-trags vorschreiben, sofern diese mit dem Gemein-schaftsrecht vereinbar sind und in der Bekannt-machung oder in den Vertragsunter lagen angegeben werden. Die Bedingungen für dieAusführung eines Auftrags können insbesonderesoziale und umweltbezogene Aspekte betreffen.“(Artikel 26 der Richtlinie 2004/18/EG und Arti-kel 38 der Richtlinie 2004/17/EG).

II. Die Umsetzung ins deutsche Recht

Die Bestimmungen der EG-Vergaberichtlinien zu sozialen und umweltbezogenen Kriterien wurden inDeutschland durch das Gesetz zur Modernisierung desVergaberechts vom 20. April 2009 umgesetzt. § 97 Absatz 4 GWB hat nun folgenden Wortlaut:

„Aufträge werden an fachkundige, leistungs -fähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben. Für die Auftragsaus-führung können zusätzliche Anforderungen anAuftragnehmer gestellt werden, die insbeson-dere soziale, umweltbezogene oder innovativeAspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstandstehen und sich aus der Leistungsbeschreibungergeben. Andere oder weitergehende Anforde-rungen dürfen an Auftragnehmer nur gestelltwerden, wenn dies durch Bundes- oder Landes-gesetz vorgesehen ist.“

Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass die Anforde-rungen des öffentlichen Auftraggebers zum Beispiel dieBeschäftigung von Auszubildenden oder Langzeitar-beitslosen bezogen auf den konkreten Auftrag betref-fen können. Ebenso kann der Auftraggeber demnachz.B. die Pflasterung öffentlicher Plätze aus Steinen verlangen, die im Ausland unter Einhaltung der Kern -arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisationhergestellt wurden.

III. Die Rechtsprechung des EuGH

Der EuGH hatte sich in mehreren Entscheidungen mitsozialen und umweltbezogenen Kriterien im Vergabe-verfahren zu beschäftigen: Allerdings ist zu beachten,dass alle Entscheidungen sich noch auf die alten EU-Vergaberichtlinien beziehen, die noch keine Regelungenzur Berücksichtigung sozialer und umweltbezogenerKriterien enthielten. Die Rechtssache „Rüffert“ beziehtsich insbesondere auf die Entsenderichtlinie.

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B. Rechtliche Grundlagen

1 Die Schwellenwerte ergeben sich aus § 2 der Verordnung über dieVergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV)

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III.1. Beentjes

In dem der Entscheidung „Beentjes“ vom 20.09.1988(Rs. C-31/87, Slg. 1988, S. 4635) zugrundeliegendenFall war die Vergabe eines öffentlichen Auftrags darangeknüpft, dass eine bestimmte Anzahl der für den Auf-trag eingesetzten Arbeitskräfte Langzeitarbeitslose seinsollten. Dieses Kriterium erachtete der EuGH als zuläs-sig, wenn es nicht unmittelbar oder mittelbar zu einerDiskriminierung der Bieter aus anderen Mitgliedstaatenführt und vorher den Bewerbern bzw. Bietern bekannt-gemacht wurde. Die Richtlinien seien kein abschließen-des und erschöpfendes Gemeinschaftsrecht und ließendaher Raum für zusätzliche Bedingungen.

III.2. Nord-Pas-de-Calais

In der Rechtssache „Nord-Pas-de-Calais" vom26.09.2000 (Rs. C-225/98, Slg. 2000, S. I-7471) betonteder EuGH erneut, der öffentliche Auftraggeber könneeine mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zusam-menhängende Bedingung als Kriterium verwenden,wenn diese Bedingung die wesentlichen Grundsätzedes Gemeinschaftsrechts, vor allem das Diskriminie-rungsverbot, beachte. In dieser Entscheidung stufte derEuGH die zusätzlichen Bedingungen erstmals als Zu-schlagskriterien ein.

III.3. Concordia Bus Finland

In der Rechtssache „Concordia Bus Finland“ vom17.09.2002 (Rs. C-513/99, Slg. 2002, S. I-7213) hatteder EuGH erstmals darüber zu entscheiden, inwieferndie Berücksichtigung von Umweltschutzkriterien imRahmen der Zuschlagserteilung Gewichtung findenkönnen. Der EuGH entschied, dass das Europarecht derBerücksichtigung von Umweltkriterien nicht entgegen-stehe, sofern diese mit dem Gegenstand des Auftragszusammenhängen, im Leistungsverzeichnis oder in derBekanntmachung des Auftrags ausdrücklich genanntsind und sofern bei diesen alle Grundsätze des Gemein-schaftsrechts, vor allem das Diskriminierungsverbot,beachtet werden.

III.4. Wienstrom

In der Rechtssache „Wienstrom“ vom 04.12.2003 (Rs. C-448/01, Slg. 2003, S. I-14527) führte der EuGHseine Rechtsprechung zu den Umweltkriterien fort. So stellte er fest, dass die Unbestimmtheit des Begriffs„wirtschaftlich günstigstes Angebot“ es erlaube, Um-

weltschutzkriterien – konkret einen bestimmten Öko-stromanteil – zu berücksichtigen, sofern die in der „ Concordia Bus Finland“ herausgearbeiteten Voraus -setzungen vorlägen. Der öffentliche Auftraggeber seinicht nur bei der Auswahl der Zuschlagskriterien frei,sondern auch bei der Gewichtung dieser Kriterien, sofern diese eine Gesamtwürdigung der Kriterien er-möglicht, die der Ermittlung des „wirtschaftlich güns-tigsten Angebots“ diene.

III.5. Rüffert

Der Entscheidung „Rüffert“ vom 03.04.2008 (Rs. C-346/06 = EuZW 2008, S. 306) lag das NiedersächsischeLandesvergabegesetz zugrunde, das u.a. vorsah, dassAufträge nur an solche Unternehmen vergeben werdendürfen, die sich schriftlich verpflichten, ihren Arbeit-nehmern mindestens das örtlich tarifvertraglich vor -gesehene Entgelt zu zahlen. Der EuGH entschied, dassdiese landesrechtliche Vorschrift mit dem Gemein-schaftsrecht, konkret der Entsenderichtlinie, nicht imEinklang stehe. Die Entsenderichtlinie sehe für Min-destlohnvorgaben lediglich die Instrumente eines all -gemeinverbindlichen Tarifvertrages oder einer entspre-chenden gesetzlichen Regelung vor.

IV. Haushaltsrecht

Gemeinsame Grundlage für das Haushaltsrecht vonBund und Ländern bildet § 30 Haushaltsgrundsätzege-setz. Die Regelung verlangt, dass der Vergabe von Auf-trägen über Lieferungen und Leistungen eine öffentli-che Ausschreibung vorausgehen muss, sofern nicht dieNatur des Geschäfts oder be sondere Umstände eineAusnahme rechtfertigen. Entsprechend ist dies in denLänderhaushaltsordnungen und in den Gemeindehaus-haltsvorschriften umgesetzt (z.B. § 25 Gemeindehaus-haltsverordnung NW).

Nach welchen Verfahrensvorschriften die öffentlicheAusschreibung nun konkret zu erfolgen hat, hängt vonder im jeweiligen Land getroffenen gesetzlichen Rege-lung ab. Überwiegend verweisen jedoch die gesetzli-chen Vorschriften auf die Anwendung der Vergabe- undVertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) so-wie der Vergabe- und Vertragsordnung für LeistungenTeil A (VOL/A).

Anders als die für den Oberschwellenbereich geltendenAbschnitte der Vergabe- und Vertragsordnungen habendie für den Unterschwellenbereich geltenden erstenAbschnitte lediglich den Charakter von Verwaltungs-

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B. Rechtliche Grundlagen

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vorschriften. Sie entfalten damit lediglich eine Binnen-wirkung für die Verwaltung. Aber im Gegensatz zumersten Abschnitt der VOB/A, der den Kommunen in al-len Ländern verbindlich zur Anwendung vorgeschriebenist, ist die Anwendung des ersten Abschnitts der VOL/Anicht in allen Ländern vorgesehen. Hier reicht dieSpannweite von einer unmittelbaren gesetzlichen Ver-weisung im jeweiligen Haushaltsrecht und damit einervollumfänglichen Bindung hin bis zu der Bekanntma-chung allgemeiner Vergabegrundsätze durch Erlasse,die auch hier wieder unterschiedliche Bindungen – voneiner verpflichtenden Anordnung der Anwendung bishin zu lediglich einer Empfehlung – vorsehen.

Vor diesem Hintergrund ist zunächst die Frage beant-wortet, inwiefern die Anwendung der Vergabe- undVertragsordnungen unterhalb der Schwellenwerte unddamit die Beachtung der VOL/A im Einzelfall zwingendist. Gleichwohl ist festzuhalten, dass auch bei öffent -lichen Ausschreibungen in den Ländern wie z.B. Nord-rhein-Westfalen, in denen die Anwendung der VOL/Aden Kommunen lediglich empfohlen wird, auch ent-sprechend der dort genannten Grundsätze verfahrenwird. Viele Städte haben sich durch Ratsbeschluss fürdie unmittelbare Anwendung der VOL/A entschieden.

V. Berücksichtigung der sozialen Kriterien im Vergabeverfahren

Wie bereits oben dargestellt, können bei Oberschwel-lenvergaben soziale Kriterien aufgrund der Regelung in§ 97 Absatz 4 GWB im Vergabeverfahren berücksichtigtwerden. Für Vergaben unterhalb der Schwellenwertefinden sich in den jeweiligen haushaltsrechtlichen Vor-schriften sowie in den für Unterschwellenvergaben geltenden ersten Abschnitten der Vergabe- und Ver-tragsordnungen aber keine Regelungen zur Berücksich-tigung sozialer Kriterien. Das bedeutet nicht, dass so-ziale Ausführungsbedingungen im Unterschwellen-bereich unzulässig wären. Vielmehr ist das Gegenteilder Fall: Der öffentliche Auftraggeber hat im Unter-schwellenbereich generell weit mehr Handlungsspiel-räume als im Oberschwellenbereich. Die Möglichkeit,soziale Ausführungsbedingungen vorzugeben, ist Aus-fluss aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Es ist da-her davon auszugehen, dass unterhalb der Schwellen-werte für die Berücksichtigung sozialer Kriterien nichtsanderes, jedenfalls keine weitergehenden Einschrän-

kungen gelten als im Bereich oberhalb der Schwellen-werte.

Die Details zur Berücksichtigung sozialer Aspekte inden einzelnen Verfahrensstufen werden im nachfolgen-den Kapitel C dargestellt.

Die oft geäußerte Kritik, dass die Berücksichtigung so-zialer Aspekte die Beschaffung verteuern könnte, lenktden weiteren Blick auf die Beachtung des Grundsatzesder Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Grundsätzlicherlaubt der Wirtschaftlichkeitsbegriff des Haushalts-rechts eine makroökonomische Betrachtung, nach derauch gesamtgesellschaftliche Folgekosten berücksich-tigt werden können. Darüber hinaus lässt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht die Rechtfertigung der Inkaufnahme von Mehrpreisen aus dem allgemeinenGrundrecht der Unantastbarkeit der Menschenwürde in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes herleiten, wennes um eine Einkaufsbeschränkung zum Zweck der Bekämpfung von Sklaverei und Kinderarbeit geht.

Außerdem wird durch die Forderung nach Einhaltungder sozialen Mindeststandards erst ein fairer Wettbe-werb im Vergabeverfahren hergestellt. Denn durch Pro-dukte z.B. aus ausbeuterischer Kinderarbeit wird derWettbewerb zum Nachteil von Unternehmen, die sozialverträglich hergestellte Produkte anbieten, verfälscht.

Auch der europäische Gesetzgeber verweist ausdrück-lich auf die – zum Teil zuvor in der Rechtsprechung desEuGH entwickelten – Möglich keiten zur Berücksichtungsozialer Aspekte bei der öffentlichen Auftragsvergabe(s. Erwägungsgrund 44 der Richtlinie 2004/17/EG; Er-wägungsgrund 33 der Richt linie 2004/18/EG).

Im Übrigen handelt es sich oft nur um einen pauscha-len Vorwurf der Verteuerung der Beschaffung durch so-ziale Aspekte. Erste Erfahrungen aus der Praxis zeigen,dass soziale Beschaffung durchaus preiswert sein kann.

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B. Rechtliche Grundlagen

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

Wie bereits erwähnt, ist es öffentlichen Auftraggebernmit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechtserstmals möglich, soziale Vergabeaspekte bei der Auf-tragsvergabe grundsätzlich in allen Phasen des Ver -gabeverfahrens zu berücksichtigen.

Bisher konnten soziale Aspekte lediglich bei der Defini-tion des Leistungsgegenstandes in der Leistungsbe-schreibung, bei der Forderung entsprechender die Leis-tungsausführung sicherstellender Eignungskriterienoder bei der Anwendung von mit den Anforderungenan den Leistungsgegenstand korrespondierenden Zu-schlagskriterien Niederschlag finden.

Zum Beispiel gehen Anforderungen an den bar-rierefreien Umbau eines öffentlichen Gebäudesoder an die behindertengerechte Gestaltung einesInternet-Portals nicht nur in die Leistungsbe-schreibung ein, sondern können auch bei denEignungskriterien im Rahmen der beruflichenund technischen Fachkunde eine Rolle spielenoder auch – falls die behindertengerechten Krite-rien nicht als k.o.-Kriterien definiert sind – alsKriterium bei der Wertung der Angebote.

Dennoch spielten soziale Aspekte im weiteren Sinn bis-lang nur eine untergeordnete Rolle bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Meist handelt es sich dabei umFragen der Arbeits- und Herstellungsbedingungen,die sich nicht in der Definition des Leistungsgegenstan-des und damit im Produkt selbst niederschlagen. Dennes verändert einen Pflasterstein hinsichtlich Art, Eigen-schaft und Güte nicht, ob er aus Kinder- oder Erwach-senenhand geschlagen wird, wie das wohl bekannteBeispiel von Kinderarbeit zeigt. Hinsichtlich dieser Arbeits- und Herstellungsbedingungen hat die Verga-berechtsreform mit der Neuregelung von zusätzlichenBedingungen für die Ausführung von Aufträgen nun ein wichtiges Instrument zur Berücksichtigung sozialer Aspekte geschaffen.

Zusammenfassend kann zunächst festgehalten werden:Nach der Vergaberechtsreform 2009 ist es möglich, so-ziale Belange sowohl in den Vertragsunterlagen - bei derDefinition der Leistung und als zusätzliche Bedingungenfür die Ausführung des Auftrags - als auch bei der Eig-nungsprüfung und beim Zuschlag zu berücksichtigen.

Welche verschiedenen Möglichkeiten damit insgesamtzur Berücksichtigung von sozialen Aspekten bestehen,wird im Folgenden geordnet nach dem Ablauf des Ver-gabeverfahrens (siehe Schaubild Seite 14) dargestellt.

Die Frage, ob und wie soziale Belange bei einer Auf-tragsvergabe berücksichtigt werden sollten, stellt sichhäufig schon bei der Bedarfsfeststellung und den ers-ten Planungen der Beschaffung. Spätestens bei derVorbereitung der Vergabeunterlagen muss allerdingsklar sein, in welcher Weise die Auftragsvergabe nachsozialen Maßstäben gestaltet werden soll. Soll bei-spielsweise der Leistungsgegenstand selbst soziale Anforderungen erfüllen (z.B. Barrierefreiheit)? Soll Einfluss genommen werden auf die Auswahl der ge -eigneten Bieter bzw. Bewerber (z.B. Werkstätten fürbehinderte Menschen) oder auf die gesamte Vertrags-ausführung (z.B. IAO-Kernarbeitsnormen)? Denn vonden erwarteten Wirkungen sozialer Aspekte ergebensich wichtige Weichenstellungen: Im Rahmen der Vor-bereitung der Vergabeunterlagen müssen die Vertrags-unterlagen (Leistungsbeschreibung und Vertragsbe -dingungen) erstellt und die Bewerbungsbedingungen(insbesondere die Eignungs- und Zuschlagskriterien) fürdas Vergabeverfahren festgelegt werden.

I. Vorbereitung derVertragsunterlagen

Eine bisher schon bestehende Variante der Berück -sichtigung sozialer Kriterien stellt die Definition desLeistungsgegenstandes im Rahmen der Leistungs -beschreibung dar. Hier bedarf es in Abgrenzung zu der Berücksichtigung in den zusätzlichen Bedingungenfür die Ausführung des Auftrags einer sorgfältigen Prüfung.

I.1. Leistungsbeschreibung

Ob ein bestimmter Aspekt als Teil der Leistungsbe-schreibung aufgenommen oder als zusätzliche Bedin-gung für die Ausführung des Auftrags Teil der Vertrags-bedingungen werden kann, hängt von seinem Ver hält- nis zum Leistungsgegenstand ab.

Handelt es sich um einen integralen Teil des Leis-tungsgegenstandes selbst, beispielsweise in Form vonAnforderungen, denen der Leistungsgegenstand hin-sichtlich Art, Eigenschaft und Güte entsprechen muss,so geht er als Haupt- oder Nebenaspekt des Leistungs-gegenstandes in die Leistungsbeschreibung ein.

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

Leistungsbeschreibung(Definition des Leistungsgegenstandes hinsichtlich Art, Eigenschaft und Güte)

Vertragsbedingungen(als zusätzliche Bedingung für die Ausfüh-rung des Auftrags)

Anschreiben(Aufforderung zur Angebotsabgabe mit den Bewerbungsbedingungen)

Bekanntmachung

Angebotsfrist - Anforderung der Vergabeunterlagen - Versand der Vergabeunterlagen - Angebotseingang

Öffnung der Angebote

Prüfung und Wertung der Angeboteu.a. - Eignungsprüfung- Wertung i.e.S. (Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots)

Information über Nichtberücksichtigung (§ 101a GWB)

Zuschlagerteilung(auf wirtschaftlichstes Angebot)

Abbildung: Übersicht über die Berücksichtigung sozialer Aspekte im Vergabeverfahren (dargestellt am Regelfall des Offenen Verfahrens)

Eignungskriterien

(bieterbezogen)

- Fachkunde- Leistungsfähigkeit- Zuverlässigkeit (u.a. auch Einhaltung arbeits- rechtlicher Bestimmungen und Entrichtung von Steuern und Sozialabgaben)

Wertung i.e.S.(angebotsbezogener Preis) Leistungs-Vergleich auf der Basis von Zuschlagskriterien wie z.B. Preis, Qualität, Zweckmäßigkeit etc.)

soziale Anforderungen an den Leistungsgegenstand

(s.o.) können als Wertungskriterien (Zuschlagskriterien) berücksichtigt werden

Soziale Anforderungenan den Leistungsgegenstand

(z.B. Barrierefreiheit eines Gebäudes oder eines Internetportals)

entweder als k.o.-Kriterium formuliert oder mit der Möglichkeit, die Erfüllung i.R. der Zuschlags-kriterien zu bewerten.

Vertragsunterlagen(vormals als Verdingungs-unterlagen“ bezeichnet; = Gegenstand des späteren Vertragsschlusses)

neu: Zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags

(§ 97 Absatz 4 Satz 2 GWB)

Ermöglicht, z.B. Einfluss auf soziale Bedingungen derHerstellung des Leistungsgegen-standes zu nehmen (z.B. Beachtung IAO-Kernarbeitsnormen)

gemäß Vertragsunterlagen (Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen) und Angebot

Feststellung des Beschaffungsbedarfs

1. Vorbereitung der Vergabeunterlagen

2. Vergabeverfahren

3. Auftragsausführung

C. Die Umsetzung des neuen Rechts in der Praxis

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

Teil des Leistungsgegenstandes sind soziale As-pekte z. B., wenn eine Stadt den Bau und Betriebeines öffentlichen Veranstaltungshauses aus-schreibt und in der Leistungsbeschreibung fest-legt, dass die sozialen, kulturellen und sport -lichen Aktivitäten der Vereine vom Betreibersicherzustellen sind. Bei der Bemessung der Benutzungsentgelte kann der Auftraggeber ver-langen, dass durch Sozialabschläge benach -teiligten oder ausgegrenzten Gruppen, wie z. B.Selbsthilfegruppen, alleinerziehenden Müttern,Behinderten und Sozialhilfeempfängern, tat-sächlich der Zugang zur Nutzung des Gebäudeserhalten bleibt.

Als weiteres Beispiel ist Barrierefreiheit als behindertengerechte Anforderungen an denUmbau eines öffentlichen Gebäudes oder andie Gestaltung eines Internet-Portals Teil desLeistungsgegenstandes, wenn es auch hier ein Nebenaspekt darstellt. Zum Hauptaspekt der Beschaffung wird Barrierefreiheit, wenn aus-schließlich der Anbau einer rollstuhlgerechtenRampe mit automatischem Türöffner für einenGebäudezugang Leistungsgegenstand ist.

Teil des Leistungsgegenstandes ist es auch, wenneine Baumaßnahme primär mit dem Ziel der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen oder derAusbildung von arbeitslosen Jugendlichen (alssoziales Projekt) vergeben werden soll und dieBaumaßnahme selbst in den Hintergrund rücktoder wenn ein Sommercamp für Kinder aus be-nachteiligten Stadtteilen ausgerichtet werden soll.

Auch die Beachtung von Gender-Aspekten beiForschungsarbeiten ist unmittelbar eine Anfor-derung an den Leistungsgegenstand selbst (vgl.Arbeitshilfe „Gender Mainstreaming in Forschungsvorhaben (Ressortforschung)“ desBundesministeriums für Familie, Senioren,Frauen und Jugend).

Dreh- und Angelpunkt für die Berücksichtigung sozialerAspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist damitnach wie vor die Definition der zu beschaffenden Leis-tung im Rahmen der Leistungsbeschreibung. Sie ist alsder „technische“ Teil der Vertragsunterlagen zu verste-

hen, auf den in der Regel die Vertragsbedingungen zurgenauen Beschreibung des Vertragsgegenstandes ver-weisen und damit eigentlich eine Anlage des Vertrags-entwurfs.

Die formale Gestaltung der Leistungsbeschreibung istfrei. Allerdings sollten leistungsbeschreibende Angabenauch nur in der Leistungsbeschreibung ihren Nieder-schlag finden, um ggf. Auslegungsschwierigkeiten aufgrund von ähnlichen Angaben an verschiedenenStellen zu vermeiden. Inhaltlich ist die Leistung so eindeutig und erschöpfend zu beschreiben und allepreisbe einflussenden Umstände zu erläutern, dass der Beschaffungswille transparent wird und hinreichendvergleichbare Angebote zu erwarten sind. Zur Leis-tungsbeschreibung können ggf. auch sog. „technischeAnforderungen“ wie Normen oder Spezifikationen ver-wendet werden, sofern diese frei zugänglich sind.

Technische Anforderungen sind Normen undSpezifikationen, die beispielsweise zur Bestim-mung der Produktsicherheit, des Gesundheits-schutzes oder der Zugänglichkeit bestimmterGebäude oder Verkehrsmittel (etwa Normen fürdie Breite von Türen oder Fluren, für Toilettenoder Zugangsrampen) oder bestimmter Produkteund Dienstleistungen (z. B. entsprechend BITV – Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung)für Menschen mit Behinderungen herangezogenwerden. Wo diese bereits entwickelt sind, kön-nen auch im Dienstleistungsbereich Leistungs-anforderungen mit Bezug auf anerkannte Quali-tätsstandards (quality management standards /QM-Standards) formuliert werden (z. B. im Pfle-gebereich oder in der Krankenversorgung), sodass man hierbei von sozialen Spezifikationensprechen kann.

Alternativ zu dieser sog. konstruktiven Leistungsbe-schreibung besteht die Möglichkeit der funktionalenBeschreibung der Leistung. Dies ist insbesondere beinichtstandardisierten und/oder innovativen Leistungensinnvoll, bei denen der öffentliche Auftraggeber eineklare Zielvorstellung hat (z. B. bestimmte Lernziele einer Bildungsmaßnahme), jedoch zur Entwicklung derEinzelheiten der Leistungserbringung nicht über das erforderliche Fachwissen verfügt, oder wenn er den Lösungsweg für die Einbringung innovativer Ansätzeausdrücklich offen lassen will.

C. Die Umsetzung des neuen Rechts in der Praxis

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

Der öffentliche Auftraggeber kann auch selbst einenbestimmten Lösungsweg in Form der konstruktivenLeistungsbeschreibung vorgeben und dennoch ihmnicht bekannte alternative Lösungswege über Neben-angebote zulassen, die allerdings bestimmten Mindest-anforderungen genügen sollten (bei Oberschwellenver-gaben sind Mindestanforderungen sogar verpflichtendanzugeben).

Durch die Festlegung von Mindestanforderun-gen kann auch im Falle der funktionalen Leis-tungsbeschreibung oder bei der Zulassung vonNebenangeboten sichergestellt werden, dass dieangebotene Leistung bestimmten sozialen Er -fordernissen genügt. So können beispielsweise Aspekte wie Barrierefreiheit oder besondere Ernährungsanforderungen von Pflegebedürfti-gen bei der Ausschreibung des Betriebs einerKantine als Mindestanforderungen vorgegebenwerden.

Die vergaberechtlichen Grundsätze von Gleichbehand-lung, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit derAnforderungen sind auch bei der Leistungsbeschrei-bung zu beachten.

Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten: Geeignetesoziale Aspekte, die den Leistungsgegenstand nach Art,Eigenschaft und Güte beeinflussen, können bereits inder Leistungsbeschreibung berücksichtigt werden.

I.2. Zusätzliche Bedingungen für dieAusführung des Auftrags

Für andere soziale Aspekte, die für die Ausführung derLeistung maßgebend sind, kommt eher eine Berück-sichtigung als „zusätzliche Bedingung für die Ausfüh-rung des Auftrags“ in Betracht. Inwiefern der Bieterverpflichtet werden kann, diese einzuhalten und der öffentliche Auftraggeber dieses kontrollieren kann, wirdim nachfolgenden Kapitel dargestellt.

Handelt es sich bei einem sozialen Aspekt um keinenleistungs- und wertbildenden Teil, der den Leistungs-gegenstand selbst nach Art, Eigenschaft und Güte beeinflusst und damit in die Leistungsbeschreibungeingeht, sondern um eine Anforderung, die lediglich fürdie Ausführung der Leistung, d. h. die Leistungserbrin-gung maßgebend ist oder sein soll, so kann er als einezusätzliche Bedingung für die Ausführung des Auf-trags nach § 97 Absatz 4 Satz 2 GWB Berücksichtigung

finden. Als Beispiel sei die Forderung nach Produktenohne ausbeuterische Kinderarbeit genannt.

Das Beispiel von Kinderarbeit bei der Herstellung vonPflastersteinen zeigt, dass soziale Herstellungsbedin-gungen nicht als leistungsbildende Faktoren in denLeistungsgegenstand selbst eingehen, da es den Pflas-terstein hinsichtlich Art, Eigenschaft und Güte nichtverändert, ob er aus Kinder- oder aus Erwachsenen-hand geschlagen wird. Die Beachtung bestimmter IAO-Arbeitsbedingungen und darüber hinausgehenderArbeits- und Sozialstandards kann daher nur als zu-sätzliche Ausführungsbedingung eingefordert werden.Vor allem über die Ausführungsbedingungen kann dieöffentliche Auftragsvergabe zur Förderung sozialerZielsetzungen eingesetzt werden. Üblicherweise wirdhierbei von einem Sekundärziel neben dem eigent -lichen Beschaffungsziel gesprochen.

Zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auf-trags werden zu den Vertragsbedingungen gerechnet,die die allgemeinen vertragsrechtlichen Fragen wie z.B.Fälligkeit der Leistungen, Regelung der Vergütung, Nut-zungs- und Kündigungsrechte oder Vertragsstrafen re-geln. Da ihr Wirkungskreis wie bei allen Vertragsbedin-gungen auf die Zeit der Vertragsausführung bezogenist, haben diese zusätzlichen Bedingungen keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des Ver-gabeverfahrens. Lediglich für den Zugang zum Ver -fahren spielen sie eine gewisse Rolle: Denn als Teil der Vertragsunterlagen sind sie bei der Angebotsabgabebindend und dürfen vom Bieter nicht verändert werden.Streicht ein Bieter eine solche Klausel, führt diese Änderung der Vertragsunterlagen unweigerlich zumAusschluss. Insofern haben zusätzliche Bedingungenfür die Ausführung des Auftrags in ihrer unbedingtenGeltung eine ähnliche Bedeutung für einen Bieter wiedie Anforderungen an den Leistungsgegenstand: DerBieter hat lediglich die Möglichkeit, sie zu akzeptierenoder kein Angebot abzugeben und damit nicht amWettbewerb um den öffentlichen Auftrag teilzuneh-men.

Der öffentliche Auftraggeber verfügt über eine breitePalette von Möglichkeiten, um zusätzliche Bedingun-gen für die Ausführung des Auftrags im sozialen Be-reich festzulegen. Sie betreffen beispielsweise Maß-nahmen zugunsten bestimmter Personengruppen,Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung oder zurChancengleichheit.

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

Beispiele für beschäftigungsorientierte Bedingungen zugunsten besonderer Personengruppen:

Über zusätzliche Bedingungen kann verlangt werden, dass der Auftraggeber für die Auftragsausführungzu einem bestimmten Teil Arbeitssuchende, insbesondere Langzeitarbeitslose oder ältere Arbeitneh-mer, einstellt.

Bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Rahmen einer Auftragsvergabe war es schon vor der Änderungdes § 97 Absatz 4 GWB möglich, den Auftragnehmer beispielsweise einer Infrastrukturmaßnahme zur Beschäftigung von zugewiesenen Arbeitslosen zu verpflichten. Regelungsgrundlage ist § 262 SGB III (Vergabe-ABM).

Über zusätzliche Bedingungen kann auch die Beschäftigung einer bestimmten Zahl von Menschen mitBehinderungen, insbesondere schwerbehinderte Menschen, bei der Auftragsausführung verlangt werden.Die Festlegung der Zahl der schwerbehinderten Menschen, die bei der Auftragsausführung eingesetztwerden sollen, kann sich je nach Auftragsgegenstand an der gesetzlichen Beschäftigungsquote (§ 71 SGB IX) orientieren. Für bestimmte Fälle von Leistungen, bei denen die Erfüllung der Klausel nachweislichnicht möglich ist, empfiehlt sich, alternativ Ausgleichsmaß nahmen zur Förderung von Menschen mit Behinderungen bzw. schwerbehinderte Menschen im vergleichbaren finanziellen Umfang im Rahmen derAuftragsausführung zu fordern.

Es kann auch verlangt werden, dass Auszubildende im Rahmen der Auftragsausführung eingesetzt wer-den oder dass mit der Auftragsdurchführung Ausbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen zugunstenvon Langzeitarbeitslosen oder Jugendlichen oder andere ausbildungsfördernde Maßnahmen verbundenwerden (wenn derartige Maßnahmen zu einem zweiten Hauptaspekt des Leistungsgegenstandes selbstwerden sollen, werden sie in die Leistungsbeschreibung aufgenommen, verbunden mit der Möglichkeit,die Ausgestaltung dieser Anforderung im Rahmen der Angebotsbewertung zur Ermittlung des wirtschaft-lichsten Angebotes durch ein eigenständiges Zuschlagskriterium zu berücksichtigen).

Beispiele für gleichstellungsfördernde Bedingungen:

Zur Förderung der Gleichstellung kann die Beschäftigung von Frauen und Männern zu gleichen Teilenbei der Auftragsausführung verlangt werden. Diese Bedingung kann auch differenziert nach den unter-schiedlichen Mitarbeitergruppen bei den Ausführungskräften (z.B. Assistenzkräfte und wissenschaftlicheKräfte bei Forschungsprojekten) formuliert und auf die Projektleitung ausgeweitet werden, falls diese ausmehreren Personen besteht.

Zur Verwirklichung von Entgeltgleichheit können bei der Auftragsausführung für vergleichbare Tätig -keiten gleiche Entgelttarife für Frauen und Männer verlangt werden.

Entlohnungsvorgaben ÖPNV-Bereich/übrige Dienstleistungen:

Nach der Entscheidung des EuGH zur Tariftreueregelung des Niedersächsischen Vergabegesetzes (Rechts-sache Rüffert) kann davon ausgegangen werden, dass Tariftreueregelungen und andere Entgeltvor-gaben für die Ausführung von öffentlichen Aufträgen nur dann mit der Entsenderichtlinie vereinbar sind,wenn sie auf der Grundlage eines im Sinne des AEntG oder des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes fürallgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages oder einer gesetzlichen Mindestlohnbestimmung gefordertwerden. Die Erfüllung derart allgemein geltender Rechtspflichten kann bereits über die „Zuverlässigkeit“eingefordert werden. Durch eine Vertragsbedingung kann allerdings in zusätzlicher Weise sichergestelltwerden, dass der in Bezug genommene verbindliche Tarifvertrag bei der Auftragsausführung eingehaltenwird.

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Für die Vergabe von Verkehrsleistungen ist nicht die Entsenderichtlinie sondern die speziellere EG-Verord-nung Nr. 1370/2007 anwendbar. Die Dienstleistungsfreiheit ist hier noch nicht voll hergestellt. Daher wirddie Auffassung vertreten, dass das Rüffert-Urteil nicht auf den ÖPNV-/SPNV-Bereich übertragbar sei, sodass Tariftreueklauseln auf der Basis örtlich geltender Tarifverträge oder andere vom Auftraggeber ge-forderte Entgeltvorgaben hier weiterhin für möglich gehalten werden.

Erfüllung von Rechtspflichten mit Bezug zur Auftragserledigung:

Für Rechtspflichten, deren Erfüllung im Rahmen der Eignungs- bzw. Zuverlässigkeitsprüfung Relevanz besitzt (beispielsweise aus einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag) aber auch bei der Vertragsaus-führung unerlässlich ist, können Vertragsklauseln vorgesehen werden, deren nachweisliche Verletzungden Auftraggeber zur Kündigung, zum Rücktritt oder zur Geltendmachung einer Vertragsstrafe in be-stimmter Höhe der vertraglich vereinbarten Vergütung berechtigt.

Bei Aufträgen im Weiterbildungsbereich kommen verstärkt freiberuflich auf Honorarbasis tätige Lehrerund Dozenten zum Einsatz. Um sicherzustellen, dass diese ihrer Rentenversicherungspflicht gem. § 2Satz 1 Nr. 1 SGB VI nachkommen, kann dem Auftragnehmer die Pflicht auferlegt werden, die Er füllungnachzuweisen.

Weitere Beispiele:

Beim Bezug von Waren kann – auch für die Lieferkette – gefordert werden, dass die Waren unter Beach-tung der IAO-Kernarbeitsnormen wie z.B. des Verbots ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt wurden(siehe hierzu die nachfolgende Ziffer 3).

Scientology-Schutzklausel: In Fällen von Beratungs- und Schulungsleistungen, bei denen sich nach Ein-schätzung der Vergabestelle die von der Scientology-Organisation und deren Unternehmen angewandte„Technologie von L. Ron Hubbard“ im Rahmen der Leistungserbringung entfalten kann, soll eine Vertrags-bedingung zusammen mit einer Eigenerklärung vorgesehen werden. Hierdurch sollen Einflussnahmendurch dieses Gedankengut oder dessen Verbreitung bei der Auftragsausführung verhindert werden. Beieinem Verstoß wird die fristlose Kündigung ermöglicht. Wie diese Schutzklausel anzuwenden ist, wurdefür Bundesdienststellen durch Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologievom 26. Juli 2001 (bekanntgemacht im Bundesanzeiger Nr. 155 vom 21.08.2001, S. 18 174) verbindlichgeregelt. Die Wirtschaftsministerkonferenz hat diese Schutzklausel den Ländern einvernehmlich zur An-wendung empfohlen.

Ebenso kann bei Lieferleistungen verlangt werden, dass die Herstellung von zu liefernden Waren ein-schließlich der im Herstellungsprozess erforderlichen wesentlichen Vorleistungen nicht in Scientology-Werkstätten erfolgt.

Kontroll- und Sanktionsklauseln zur Sicherung der zusätzlichen Vertragsbedingungen:

Sofern einschlägig können ergänzende Kontroll- und Sanktionsklauseln unter Beachtung des Verhält-nismäßigkeitsgrundsatzes geschaffen werden, um die Wirksamkeit der zusätzlichen Bedingungen für dieAusführung des Auftrags zu sichern.

C. Die Umsetzung des neuen Rechts in der Praxis

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

Wie bereits erläutert, ist bei allen Arten von zusätz -lichen Bedingungen für die Ausführung des Auftrags zubeachten, dass sie im sachlichen Zusammenhang mitder Auftragsausführung stehen müssen und sich ausder Leistungsbeschreibung ergeben (§ 97 Absatz 4 Satz2 GWB). Im Gegensatz zur Regelung im GWB sehen dieEG-Vergaberichtlinien eine Nennung in der Bekanntma-chung oder den Vergabeunterlagen vor. Systematischgesehen wären sicherlich die Vertrags bedingungen der richtige Ort. Angesichts des Wortlauts von § 97 Absatz 4 Satz 2 GWB sollte die Vergabestelle derartigeAnforderungen zur Vermeidung von rechtlichen Aus -einandersetzungen oberhalb der Schwellenwerte (zusätzlich) in die Leistungsbeschreibung aufnehmen.

Durch den erforderlichen Bezug zur Auftragsausfüh-rung sind zusätzliche Vertragsbedingungen, die überden konkreten Auftrag hinaus den Betrieb des Auf-tragnehmers und seine Organisation betreffen, un -zulässig. Vorgaben beispielsweise nach Einhaltung dergesetzlichen Beschäftigungspflicht für schwerbehin-derte Menschen, nach Einhaltung der Entgeltgleichheitfür Frauen und Männer, nach einer Frauenbeauftragtenoder nach einer Ausbildungspflicht im Betrieb desAuftragnehmers scheiden daher als zusätzliche Bedin-gungen für die Ausführung des Auftrags aus.

Als Zwischenergebnis bleibt damit festzuhalten: SozialeAspekte, die nicht in den Leistungsgegenstand einge-hen, sondern nur für die Auftragsausführung maßgeb-lich sind, können nach der Neuregelung des § 97 Ab-satz 4 Satz 2 GWB als zusätzliche Bedingungen für dieAus führung des Auftrags Berücksichtigung finden. ZumNachweis und zur Sanktionierung bei Verletzungen beispielsweise von Vorgaben zur Entgeltgleichheit vonFrauen und Männern, können entsprechende zusätz -liche Vertragsklauseln vorgegeben werden.

I.3. Durchsetzung der Grundprinzipienund Kernarbeitsnormen der IAO im Rahmen der Vorbereitung derVertragsunterlagen

I.3.1 Zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags

Auch für die Grundprinzipien und Kernarbeitsnormender IAO sind die zusätzlichen Bedingungen für die Aus-führung des Auftrags der richtige Ort, um in ein Verga-beverfahren eingebracht zu werden.2

Sowohl die Gesetzgebungsmaterialien der EG-Vergabe-richtlinien wie auch der deutschen Vergaberechts -novelle weisen im Zusammenhang mit den zusätzlichenBedingungen für die Ausführung des Auftrags aus-drücklich auf die Kernarbeitsnormen der IAO hin. Daherist nun zweifelsfrei, dass die Einhaltung der Kern -arbeitsnormen als zusätzliche Anforderung an die Auf-tragsausführung verlangt werden darf.

Dies kann durch eine entsprechende Ergänzung der allgemein vom Auftraggeber verwendeten Vertrags -bedingungen (z.B. Allgemeine Einkaufsbedingungen)geschehen. Wie bereits erwähnt, sollten öffentlicheAuftraggeber die Klausel bei Vergaben oberhalb derSchwellenwerte außerdem vorsorglich in der Leistungs-beschreibung wiedergeben, da der deutsche Gesetzge-ber dies in § 97 Absatz 4 Satz 2 GWB verlangt.

Eine derartige allgemeine Vertragsklausel kann der öffentliche Auftraggeber standardmäßig für seinesämtlichen Sach beschaffungen verwenden. Darüber hinaus kann er im Einzelfall, insbesondere bei Produk-ten mit erhöhtem Risiko von Verletzungen der IAO-Grundsätze und –Kernarbeitsnormen noch weitereSchritte unternehmen, die im Anschluss an die nun folgende Beispiel-Klausel dargestellt werden:

§ X Beachtung der Grundprinzipien und Kernarbeitsnormen der IAO

(1) Der Auftragnehmer und seine Unterauftrag-nehmer sind verpflichtet, bei der Ausführungdes Auftrages die grundlegenden Prinzipien undRechte bei der Arbeit gemäß der Erklärung derInternationalen Arbeitsorganisation (IAO) vom18.06.19983 einzuhalten. Es sind dies:

Die Vereinigungsfreiheit und das Recht zuKollektivverhandlungen,

die Beseitigung aller Formen von Zwangs -arbeit,

die Abschaffung der Kinderarbeit und

die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.

C. Die Umsetzung des neuen Rechts in der Praxis

2 Auch das Hamburgische Vergabegesetz schreibt seit dem 01.01.2009für gefährdete Warengruppen eine Ergänzende Vertragsbedingungvor, die den Auftragnehmer verpflichtet, den Auftrag nur mit Warenauszuführen, die „unter bestmöglicher Beachtung“ der IAO-Kernar-beitsnormen produziert werden (HmbGVBl. 2008 S. 436ff.).

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(2) Auftragnehmer und Unterauftragnehmer sindinsbesondere verpflichtet, bei der Ausführungdes Auftrages die Vorschriften einzuhalten, mitdenen die entsprechenden Kernarbeitsnormender IAO in nationales Recht umgesetzt wordensind; bei den Kernarbeitsnormen handelt es sichum die Übereinkommen Nr. 29, Nr. 87, Nr. 98,Nr. 100, Nr. 105, Nr. 111, Nr. 138 und Nr. 1824.Maßgeblich sind dabei die Vorschriften des Landes, in dem der Auftragnehmer oder seineUnterauftragnehmer bei der Ausführung desAuftrages jeweils tätig werden. Handelt es sichdabei um ein Land, das eine oder mehrere Kern-arbeitsnormen nicht ratifiziert oder nicht in nationales Recht umgesetzt hat, so sind Auftrag-nehmer und Unterauftragnehmer verpflichtet,die innerstaatlichen Vorschriften mit gleicherZielsetzung wie die betreffende Kernarbeitsnormeinzuhalten.

(3) Bei Sachlieferungen ist der Auftragnehmerverpflichtet, nur solche Waren zu liefern, bei deren Herstellung die in Absatz 1 erwähntenRechte und Prinzipien sowie die in Absatz 2 erwähnten Vorschriften eingehalten wurden.Herstellung in diesem Sinne umfasst die letztewesentliche Be- oder Verarbeitung und alle folgenden Be- und Verarbeitungen. Wesentlichist eine Be- oder Verarbeitung dann, wenn sienach dem Zollrecht der EU den Ursprung derWare in dem betreffenden Land begründet.

(4) Verstößt der Auftragnehmer oder einer seinerUnterauftragnehmer gegen eine Regelung derAbsätze 1 bis 3, so kann der Auftraggeber eineVertragsstrafe in Höhe von 10 % des vertraglichvorgesehenen Entgelts (ohne Umsatzsteuer) ver-langen. Betrifft der Verstoß nur einen Teil derLeistung, so fällt die Vertragsstrafe anteilig an.

(5) Bei einem Verstoß gegen eine Regelung derAbsatz 1 bis 3 handelt es sich um eine erheb-liche Pflichtverletzung des Auftragnehmers, sodass der Auftraggeber vom Vertrag zurücktretenund Schadensersatz verlangen kann. Weitere

gesetzliche Ansprüche bleiben unberührt.

3 http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/download/ILO-erklaerung.pdf

4 http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/kernarbeitsnormen/index.htm

Hinweise zur Vertragsklausel

Verbindliche Regelung

Dadurch, dass der Bieter sein Angebot gemäß den Aus-schreibungsbedingungen einschließlich dieser Vertrags-klausel abgibt, erklärt er sich mit ihr einverstanden. Erhält er den Zuschlag, so ist der Inhalt dieser Klauselverbindlicher Vertragsbestandteil.

Die vorgeschlagene Klausel mag auf den ersten Blickrecht lang und auch nicht leicht verständlich erschei-nen. Dies hat seinen Grund darin, dass mit dem vor -liegenden Text erreicht werden soll, dass alle Bieter inrechtlich wirksamer Weise zur Einhaltung der IAO- Prinzipien und Kernarbeitsnormen verpflichtet werdenund sich bei Verstößen auch der Gefahr von Sanktionenausgesetzt sehen. Dies lässt sich nur mit einem juris-tisch formulierten, möglichst alle denkbaren Konstella-tionen berücksichtigenden Text erreichen. Es wird emp-fohlen, die Bieter darüber hinaus im Anschreiben oderin einem gesonderten Merkblatt in allgemein verständ-licher Weise über diese Klausel aufzuklären.

Die einzelnen Absätze

Absatz 1 der Klausel verpflichtet die Auftragnehmerund deren Unterauftragnehmer, die grundlegendenPrinzipien und Rechte bei der Arbeit gemäß der Erklä-rung der IAO aus dem Jahre 1998 einzuhalten. Die IAOhat diese Erklärung ohne Gegenstimmen verabschiedet.Damit wird den dort genannten grundlegenden Prinzi-pien und Rechten bei der Arbeit universelle Geltungbeigemessen.

Demgegenüber gelten die eigentlichen Kernarbeitsnor-men, die in Absatz 2 der Klausel aufgezählt sind, nurfür diejenigen Staaten, die diese ratifiziert haben. Ge-genwärtig sind es zwar bereits mehr als 120 Staaten,die alle Kernarbeitsnormen ratifiziert haben: Das be-deutet jedoch auch, dass es zahlreiche Staaten gibt, die sich an eine oder mehrere Kernarbeitsnormen nichtgebunden haben. Daher ist es wichtig, die Auftragneh-mer auch zur Einhaltung der Grundprinzipien der Kern-arbeitsübereinkommen zu verpflichten, auch wenn klarist, dass dies eine verhältnismäßig weiche Regelung ist,da die Grundprinzipien naturgemäß nicht sehr präzisesein können.

Durch Absatz 2 werden die Auftragnehmer außerdemverpflichtet, die staatlichen Vorschriften einzuhalten,mit denen die acht Kernarbeitsübereinkommen in na-

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tionales Recht umgesetzt wurden. Dieser Umweg überdas nationale Recht ist leider aus mehreren Gründenunvermeidlich. Die prinzipielle Ursache liegt darin, dassAdressaten der IAO-Übereinkommen nicht die Arbeit-geber, sondern die Mitgliedstaaten der IAO sind, die diebetreffenden Übereinkommen ratifiziert haben. Daherkönnen die Pflichten, die sich hieraus für Arbeitgeberergeben, nur mittelbar entnommen werden. Hinzukommt, dass manche Übereinkommen auch den Staa-ten, die diese ratifiziert haben, Spielräume gewähren,innerhalb derer die Umsetzung zu erfolgen hat. So legtArtikel 2 Absatz 3 des IAO-Übereinkommens Nr. 138fest, dass das Mindestalter, ab dem Arbeit zugelassenwerden soll, nicht niedriger sein darf als das Alter beiAbschluss der Schulpflicht, auf keinen Fall aber niedri-ger als 15 Jahre. Absatz 4 des gleichen Artikels sieht jedoch vor, dass ein Mitgliedsstaat, dessen Wirtschafts-und Bildungssystem nicht ausreichend entwickelt ist,das Mindestalter zunächst auf 14 Jahre festsetzen darf.Weiter dürfen Mitgliedstaaten in ihrem nationalenRecht vorsehen, dass Kinder im Alter von 13 bis 15 Jah-ren leichte Arbeiten ausführen dürfen. Für weniger entwickelte Staaten besteht auch hier die Möglichkeit,das Alter um ein Jahr, also auf 12 Jahre, herabzusetzen.

Diese Beispiele zeigen, dass es nicht möglich ist, vonden Unternehmen unmittelbar die Einhaltung der Kern-arbeitsnormen zu verlangen, da dann zum Beispiel dieAltersgrenzen nicht eindeutig wären. Daher ist es sinn-voller, die Einhaltung der Vorschriften zu fordern, mitdenen das Land, in dem der Auftraggeber oder seineUnterauftragnehmer tätig werden, die betreffendenIAO-Übereinkommen umgesetzt hat.

Manche Länder haben zwar einige oder alle Kernar-beitsübereinkommen nicht ratifiziert, aber dennoch nationale Vorschriften in den betreffenden Bereichen, z.B. über Kinderarbeit, erlassen. Hierzu zählen etwa fürdie eben angesprochene Konvention Nr. 138 über dasMindestalter Indien und die USA. Für diese Fälle ist esnotwendig, die Auftragnehmer und Unterauftragneh-mer zur Einhaltung der innerstaatlichen Vorschriften zuverpflichten, die die gleiche Zielsetzung wie die betref-fenden Kernarbeitsnormen verfolgen, also z.B. die Min-destaltersvorschriften der indischen Bundesstaaten.

Absatz 3 der Klausel betrifft Sachlieferungen. Da dieWaren in vielen Fällen nicht von den Auftragnehmernselbst hergestellt werden, sollen auch die Lieferantenund Vorlieferanten bis zu einem bestimmten Grad vonden Regelungen erfasst werden. Diese Einbeziehung dersogenannten Lieferkette dürfte von den vorgeschlage-

nen Regelungen in der Praxis am wichtigsten, zugleichaber auch am stärksten umstritten sein.

Satz 1 verpflichtet den Auftragnehmer, nur solche Waren zu liefern, bei deren Herstellung die in Absatz 1erwähnten grundlegenden Prinzipien und Rechte unddie in Absatz 2 erwähnten Vorschriften eingehaltenwurden. Damit steht der Auftragnehmer dafür ein, dassnicht nur er selbst, sondern auch seine Lieferanten undgegebenenfalls deren Lieferanten usw. die Regelungeneinhalten. Zwar wäre es an sich wünschenswert, diegesamte Lieferkette bis zur Produktion der verwendetenRohstoffe einzubeziehen. Angesichts der internatio -nalen Arbeitsteilung und der Komplexität von Waren,insbesondere von technischen Produkten, dürfte diesjedoch in der Praxis kaum umzusetzen sein.

Daher ist es nötig, die Lieferkette nur bis zu einemPunkt einzubeziehen, bis zu dem der Auftragnehmernoch eine zumutbare Möglichkeit hat, die Einhaltungder Grundprinzipien und Kernarbeitsnormen zu ge-währleisten. So wird man dem Kraftfahrzeughändlergegenwärtig nicht zumuten können, eine Garantie dafür abzugeben, dass z.B. die im Fahrzeug verwende-ten Textilien aus einer Baumwollproduktion ohne un -zulässige Kinderarbeit stammen. Bei Produkten mit einem weniger komplexen Herstellungsprozess, wieetwa T-Shirts, mag dies demgegenüber möglich sein.Dabei ist auch zu bedenken, dass die Marktteilnehmerin dieser Frage zunehmend sensibilisiert werden unddass daher in Zukunft, z.B. durch entsprechende Zerti-fizierungen und Label, in größerem Umfang als gegen-wärtig die Einhaltung der gesamten oder eines größe-ren Stücks der Lieferkette möglich sein wird.

Die vorliegende Klausel sieht als allgemeine Regelungvor, dass der Auftragnehmer die Einhaltung der Grund-prinzipien und der Kernarbeitsnormen ab der letztenwesentlichen Be- oder Verarbeitung gewährleistenmuss. Mit dem Begriff der wesentlichen Be- und Verar-beitung wird ein Ausdruck aus dem Zollrecht verwandt.Die letzte wesentliche Be- und Verarbeitung ist näm-lich entscheidend für den Ursprung der Ware. Liefertein Auftragnehmer also Ware mit Ursprung in Indien,so muss er gewährleisten, dass dort bei der letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung sowie auf allenfolgenden Produktionsstufen die Grundprinzipien undKernarbeitsnormen eingehalten wurden. Bei techni-schen Geräten wird die letzte wesentliche Verarbeitungdie Endmontage sein, so dass die Produktion der einzel-nen Bauteile nicht erfasst wird. Bei Textilien ist es inder Regel die sogenannte Konfektion, so dass die Vor-

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

stufen wie die Rohstoffgewinnung, die Spinnerei, dieWeberei und so weiter nicht erfasst werden.

Absatz 4 sieht eine Vertragsstrafe in Höhe von 10 %der vertraglich vereinbarten Vergütung für Auftragneh-mer vor, die gegen die Absätze 1 bis 3 verstoßen. Es istsinnvoll eine Vertragsstrafe zu vereinbaren, um einenVerstoß sanktionieren zu können. Andere Folgen wieein Rücktritt vom Vertrag oder Schadensersatzansprü-che können den Auftragnehmer zwar auch und mög -licherweise sogar empfindlicher treffen. Diese Mittelkommen aber dann nicht mehr in Betracht, wenn derVerstoß gegen die Grundprinzipien und Kernarbeits -normen zu dem Zeitpunkt bekannt wird, an dem dieLeistungen längst erbracht bzw. die beschafften Gegen-stände bereits nicht mehr vorhanden sind.

Durch Absatz 5 wird klargestellt, dass es sich bei derEinhaltung der Grundprinzipien und Kernarbeitsnormenum Vertragspflichten handelt, deren Verletzung be-stimmte rechtliche Konsequenzen zur Folge hat. DerHinweis in Satz 2 stellt klar, dass neben den vertrag -lichen Ansprüchen auch die Möglichkeiten aus § 323BGB in Anspruch genommen werden können.

I.3.2 Eignungsprüfung

Die Eignungsprüfung ist weniger geeignet, die Grund-prinzipien und Kernarbeitsnormen der IAO im Vergabe-verfahren zu berücksichtigen. Zwar könnte bei der Eig-nungsprüfung vordergründig betrachtet ein besondersgroßer Effekt erzielt werden. Denn dann könnten Bieterausgeschlossen werden, die in ihrem Unternehmen einen für sie gesetzlich geltenden Sozialstandard nichtbeachtet haben oder beachten, und zwar unabhängigdavon, ob der betreffende Unternehmensteil überhauptetwas mit der Ausführung des Auftrags, um den sichdas Unternehmen bewirbt, zu tun hat oder nicht. Aufder anderen Seite ist jedoch zu bedenken, dass durchein Eignungskriterium die Unterauftragnehmer und Zulieferer des Auftragnehmers sowie die weiteren Unternehmen in der Lieferkette nicht erfasst werdenkönnten. Man würde also nur die unmittelbaren Auf-tragnehmer, die ihren Sitz in den meisten Fällen inDeutschland oder im übrigen Europäischen Wirt-schaftsraum haben, erreichen, so dass ein derartigesEignungskriterium in aller Regel ins Leere liefe.

I.3.3 Erklärungen und Nachweise der Bieter imVergabeverfahren

Viele Städte sowie einige Bundesländer haben bishervon den Bietern – meistens beschränkt auf bestimmteProdukte – Erklärungen zu IAO-Kernarbeitsnormen, ins-besondere zum Verbot der ausbeuterischen Kinderar-beit, verlangt. So fordern Bayern und Baden-Württem-berg Eigenerklärungen5, in denen die Bieter versichern,dass die Herstellung der zu liefernden Produkte ohneausbeuterische Kinderarbeit im Sinne des IAO-Überein-kommens Nr. 182 erfolgen wird bzw. erfolgt ist. Fallsder Bieter dies nicht versichern „kann“, lassen Bayernund Baden-Württemberg ebenso wie viele Städte eineErklärung genügen, derzufolge der Bieter, seine Liefe-ranten und deren Nachunternehmer aktive und zielfüh-rende Maßnahmen ergriffen haben, um ausbeuterischeKinderarbeit bei der Herstellung bzw. Bearbeitung derzu liefernden Produkte auszuschließen.

Der zweite Teil der Erklärung, die alternative Darlegungüber aktive und zielführende Maßnahmen im Betriebdes Bieters, dürfte mit der neuen gesetzlichen Regelung(und den EG-Richtlinien) nicht zu vereinbaren sein, weilzielführende Maßnahmen zum Ausschluss der Kinder-arbeit in die Zukunft gerichtet sind und sich dahernicht nur auf die konkrete Warenlieferung beziehen.Ohnehin bestanden bereits bisher Bedenken unter demGesichtspunkt der Gleichbehandlung der Bieter, wennletztendlich Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit(mit Bemühens-Erklärung) im Wettbewerb mit Produk-ten, die nicht aus ausbeuterischer Kinderarbeit stam-men, zum Wettbewerb zugelassen wurden. Daher istsowohl für den Ober- wie auch für den Unterschwel-lenbereich von derartigen abgestuften Erklärungen ab-zuraten.

Demgegenüber spricht wenig dagegen, im Vergabe -verfahren von den Bietern eine ausdrückliche Bestäti-gung zu verlangen, dass sie die Bedingungen zu denIAO-Prinzipien und -Kernarbeitsnormen einhalten wer-den. Besonders bei gefährdeten Produkten könnte dasVerlangen nach einer derartigen Bestätigung sinnvollsein, um zu vermeiden, dass die Bieter die Klausel zuden IAO-Prinzipien und -Kernarbeitsnormen überlesenund es bei der Lieferung zu Verstößen kommt.

C. Die Umsetzung des neuen Rechts in der Praxis

5 Für Sportbekleidung, Sportartikel, Spielwaren, Teppiche, Textilien,Lederprodukte, Billigprodukte aus Holz, Natursteine und bestimmteAgrarprodukte (Bayer. Staatsanzeiger Nr. 20 vom 16.05.2008; Baden-Württ. GABl. Nr.8 vom 29.09.2008). Hamburg verlangt Nach-weise oder Erklärungen der Bieter (§ 3a Absatz 2 Satz 2 HmbVgG).

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

Sofern es für die Produkte geeignete und ausreichendverbreitete Label gibt, etwa zum Aspekt Kinderarbeit(z.B. das Rugmark-Label für Teppiche), kann der öffent-liche Auftraggeber mit dem Angebot außerdem eineBestätigung verlangen, dass ausschließlich Waren mitdem Label geliefert werden. In jedem Fall sollte die Ver-gabestelle im Vertrag eine Vertragsstrafe für den Fallvorsehen, dass der Auftragnehmer Waren ohne Labelliefert.

Nachweise zur Einhaltung der IAO-Prinzipien und -Kernarbeitsnormen dürften demgegenüber im Verga-beverfahren nur im Ausnahmefall in Betracht kommen, da die zu liefernde Waren noch nicht konkretisiert sind.Daher sind etwaige Zertifikate oder Bestätigungen vonProduzenten in diesem Stadium in der Regel wenigaussagekräftig.

Weigert sich ein Bieter, die geforderte Erklärung abzu-geben, muss sein Angebot ausgeschlossen werden.

I.3.4 Erklärungen und Nachweise des Auftragnehmers bei der Lieferung

Sofern es für die betreffenden Produkte Label gibt, diedie Vergabestelle verlangt hat, muss der Auftragnehmerdiese mit der Lieferung beibringen. Tut er dies nicht, sostehen dem öffentlichen Auftraggeber die üblichen zivilrechtlichen Sanktionen zur Verfügung und er kanndie Vertragsstrafe geltend machen, sofern diese verein-bart wurde.

Bei gefährdeten Produkten, für die kein Label existiert,kommt außerdem in Betracht, dass der öffentliche Auftraggeber im Vertrag vorsieht, dass der Auftragneh-mer mit der Lieferung bestimmte Unterlagen (z.B. eine Erklärung des Produzenten) beibringt oder (erneut) bestätigt, dass die Waren ohne Verstoß gegen die IAO-Prinzipien und -Kernarbeitsnormen produziertwurden.

Ansonsten ist die Vergabestelle weitgehend darauf an-gewiesen, darauf zu vertrauen, dass der Auftragnehmerseinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt. Prü-fungen vor Ort durch die Vergabestelle oder ein von ihrbeauftragtes Unternehmen werden nur im Ausnahme-fall, insbesondere bei sehr großvolumigen Beschaffun-gen und bei Verdachtsfällen (Ermittlungsverfahren,Presseberichte, Berichte von Nichtregierungsorganisa-tionen), in Betracht kommen.

I.3.5 Weitergehende Anforderungen

Im Übrigen kann die Vergabestelle natürlich im Einzel-fall von der Vertragsklausel abweichen und beispiels-weise bei bestimmten Produkten die Einhaltung derGrundprinzipien und Kernarbeitsnormen der IAO in dergesamten Lieferkette bis zur Rohstoffgewinnung ver-langen.

Damit kann zusammenfassend festgestellt werden: Soziale Kriterien sollten immer in die Leistungsbe-schreibung aufgenommen werden. Dieses hat auch fürdiejenigen Kriterien zu gelten, die keinen leistungs-und wertbildenden Teil darstellen, wie z.B. IAO-Kernar-beitsnormen oder die Tariftreue. In diesen Fällen solltedieses Kriterium neben den zusätzlichen Bedingungenfür die Ausführung des Auftrags, zusätzlich auch in derLeistungsbeschreibung wiedergegeben werden.

Soziale Kriterien, die keine IAO-Kernarbeitsnormen darstellen, können nicht nur in den Vertragsunterlagen,sondern auch im Verlauf des Vergabeverfahrens berück-sichtigt werden.

II. Vergabeverfahren

II.1. Eignungskriterien

Die Möglichkeit zur Berücksichtigung von sozialen Aspekten – außer IAO-Kernarbeitsnormen – bei derEignung ist im Allgemeinen auf ein Minimum be-schränkt. Die Zahl der Eignungskriterien ist abschlie-ßend. Die EG-Vergaberichtlinien sehen als Eignungs -kriterien die „persönliche Lage des Bewerbers bzw.Bieters“, die „wirtschaftliche und finanzielle Leistungs-fähigkeit“ und die „technische und/oder beruflicheLeistungsfähigkeit“ vor. Übersetzt in die Sprache desdeutschen Vergaberechts handelt es sich um „Zuver -lässigkeit“, „Leistungsfähigkeit“ und „Fachkunde“. Der einzige soziale Aspekt, der im Rahmen der Eignungs-prüfung ausdrücklich erwähnt wird, ist die in Artikel 45Absatz 2 lit. e der Richtlinie 2004/17 EG und den ent-sprechenden Vorschriften der Vergabe- und Vertrags-ordnungen geforderte Zahlung der Sozialbeiträge. Siesteht im Zusammenhang mit den für die Zuverlässig-keit des Bewerbers bzw. Bieters relevanten gesetz -lichen Pflichten zur Rechtstreue und Zahlung von Ab-gaben.

Zu den Rechtsverstößen, die im Rahmen der Zuverläs-sigkeitsprüfung relevant sind, zählen vor allem auf denGeschäftsverkehr bezogene Verstöße gegen strafrecht-

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

liche Bestimmungen und Ordnungswidrigkeiten sowieschwerwiegende Rechtsverstöße gegen Normen, diegrundlegende Prinzipien des Vergaberechts wie Wett-bewerb und Gleichbehandlung schützen oder die Auf-tragsausführung unmittelbar oder mittelbar betreffen.Dazu gehören arbeitsrechtliche Vorschriften wie z.B.allgemeinverbindliche Tarifverträge, gesetzliche Min-destarbeitsbedingungen und Arbeitsschutzvorschriften.Der Gesetzgeber hat mit der Vergaberechtsnovelle im§ 97 Absatz 4 Satz 1 GWB den Begriff der „Gesetzes-treue“ im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung be -sonders hervorgehoben und verlangt, dass nur Unter-nehmen zum Wettbewerb um öffentliche Aufträgezugelassen werden, die die (deutschen) Gesetze ein -halten. Gemeint sind dabei Gesetze im materiellen Sinnunter ausdrücklichem Einschluss von Rechtsverordnun-gen, wie z.B. solche zur Allgemeinverbindlicherklärungvon Tarifverträgen. Aus dieser hervorgehobenen Pflichtzur Gesetzestreue kann abgeleitet werden, dass öffent-liche Auftraggeber bei Vorliegen hinreichender Anhalts-punkte für die Gefahr einer relevanten Rechtsverlet-zung zur entsprechenden Prüfung im Rahmen derZuverlässigkeit veranlasst sind. Dies kann bei Vorliegeneiner abstrakten Gefahr dadurch geschehen, dass Be-werber mit ihrem Teilnahmeantrag bzw. Bieter mit demAngebot eine entsprechende Eigenerklärung abzugebenhaben.

Darüber hinaus ist bei der Zuverlässigkeitsprüfung keinindividueller Gestaltungsspielraum für den öffentlichenAuftraggeber zur Berücksichtigung sozialer Aspekte er-öffnet. Es sei denn, er wäre hierzu gesondert gesetzlichermächtigt.

Anders zu beurteilen ist dies bei der Sicherstellung dererforderlichen Fachkunde zur Ausführung einer be-stimmten Leistung. Hier können nicht nur, hier müssensogar all diejenigen fachlichen Kompetenzen verlangtwerden, die im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Auf-tragserfüllung erforderlich und verhältnismäßig sind.Diese Eignungskriterien müssen also durch den Leis-tungsgegenstand und seine Besonderheiten sowie dieAnforderungen an ihn gerechtfertigt sein. Infrage kom-men beispielsweise entsprechende fachliche Ausbil -dungen, Qualifikationen, Erfahrungen, die Anwendung bestimmter Spezifikationen oder Qualitätsmanage-ment-Standards usw. Das Vorliegen dieser Vorausset-zungen ist den öffentlichen Auftraggebern zu belegen.Dieser fordert entsprechende Nachweise an.

Zum Beispiel können für den Betrieb eines Pfle-geheimes nicht nur Nachweise zur fachlichenQualifikation des ausführenden Personals gefor-dert werden, sondern auch entsprechende beruf-liche Erfahrung auf dem Gebiet, einschließlichder Anwendung einschlägiger Standards desQualitätsmanagements. Für die behinderten -gerechte Ausschilderung eines Ausstellungsge-bäudes sind besondere Fachkenntnisse auf demGebiet der Barrierefreiheit erforderlich, die auchdurch entsprechende Referenzen über Beispiel-objekte nachgewiesen werden können.

Über die Sicherstellung der erforderlichen fachlichenEignung kann möglicherweise noch ein positiver Nebeneffekt erreicht werden: Wo dem öffentlichenAuftraggeber der direkte Weg zu Entgeltvorgaben oderTariftreue über zusätzliche Bedingungen für die Aus-führung des Auftrags durch die Rechtsprechung desEuGH zur Entsenderichtlinie versagt ist, kann er überden Weg der Eignung entsprechend hohe, aber durchden Leistungsgegenstand gerechtfertigte und noch angemessene Anforderungen an die Qualifikation derAusführungskräfte stellen. Auf diese Weise ist es unterUmständen möglich, eine Entlohnung für die Ausfüh-rungskräfte zu erzielen, die im Bereich gewerkschaft -licher Mindestlohn-Forderungen liegt. Dies ist jedochnicht in jedem Bereich möglich (z. B. bei Bildungs-dienstleistungen).

II.2. Zuschlagskriterien

Auch bei der Wertung der Angebote im engeren Sinneist nur begrenzt Raum für die Verwirklichung von Sekundärzielen. Wie die Eignungskriterien stehen auchdie Zuschlagskriterien (einschließlich etwaiger Unter-kriterien) in einem engen, korrespondierenden Verhält-nis zu den in der Leistungsbeschreibung dokumentier-ten Anforderungen an den Leistungsgegenstand.Insofern ist die Liste der in den EG-Vergaberichtlinienund den Vergabe- und Vertragsordnungen genanntenZuschlagskriterien auch nicht abschließend. Im Rahmender Wertung können jedoch nur Anforderungen berück-sichtigt werden, die auch Raum zur Wertung geben,also in der Leistungsbeschreibung nicht bereits als k.o.-Kriterien definiert wurden.

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C. Die Umsetzung des neuenRechts in der Praxis

Wird beispielsweise bei der Ausschreibung desBetriebs einer Sozialeinrichtung mit Stadtteil-kantine die Berücksichtigung der Bedürfnissevon Alleinerziehenden, Ausländern und Schicht-arbeitern gefordert, so sind diese Bedürfnissewertungsfähig, sodass die unterschiedliche Ver-wirklichung je nach Angebot in der Bewer-tungsmatrix mit mehr oder weniger Punktenversehen werden kann.

Zuschlagskriterien (und Unterkriterien) sind bei Ober-schwellenvergaben spätestens mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe unter Angabe der entsprechenden Gewichtung (und falls dies noch nicht möglich ist, wenigstens der Rangfolge der Bedeutung nach) be-kannt zu machen. Für Unterschwellenvergaben wirdaus Transparenzgründen empfohlen, ebenso zu ver -fahren.

Zur Durchführung der Wertung eignet sich die Verwen-dung einer Bewertungsmatrix mit Gewichtung der Zu-schlagskriterien und Unterkriterien sowie Bepunktungder einzelnen Kriterien, wodurch eine weitgehend ge-

naue und objektive Ermittlung des wirtschaftlichstenAngebotes möglich ist. Bei der Bepunktung einzelnerKriterien ist zu empfehlen, nur so viele Punkte zu ver-teilen, wie die Genauigkeit des Angebotsvergleichesund die zugrundeliegende Begründung es auch recht-fertigen lassen. Somit kann letztlich eine Fehlerhaftig-keit des Wertungsvorganges vermieden werden.

III. Auftragsausführung

Inwiefern im Rahmen der Auftragsausführung sozialeAspekte verwirklicht werden können, entscheidet sichalso weit im Vorfeld. Dieses hängt von der Ausgestal-tung des Vergabeverfahrens und von der Qualität derAusarbeitung der Vergabeunterlagen ab. Im Rahmender Vertragsausführung verbleiben dem öffentlichenAuftraggeber aber nicht nur die allgemeinen vertrag -lichen Pflichten der Leistungsannahme und Vergütung,sondern auch das Recht, die auftragnehmerseitigen sozialen Pflichten im Zusammenhang mit dem Auftragzu kontrollieren und bei vertragswidrigem Verhalten zu sanktionieren. Für beides sind bereits im Vorfeld ent-sprechende Regelungen vorzusehen, um ein unange-nehmes Nachsehen zu vermeiden.

C. Die Umsetzung des neuen Rechts in der Praxis

Zuschlagskriterien/Unterkriterien,

A Gewichtung

(in %)

B Bewertung

(0 bis 4 Punkte)

C erreichte

Punktzahl (A x B)

max. erreichbarePunktzahl(A x 4)

1. Betriebskonzept 40

1.1 Inhaltliche Konzeption 20 80

1.2 Organisation 10 40

1.3 Personaleinsatz 10 40

2. Berücksichtigung sozialer Belange 30

2.1 Alleinerziehende 12 48

2.2 Ausländer 12 48

2.3 Schichtarbeiter 6 24

3. Preis (Gesamtzeitraum) 30 120

Gesamtpunktzahl 100 400

Abbildung: Beispiel einer Bewertungsmatrix zum oben genannten Fall der Ausschreibung des Betriebs einer Sozialeinrichtung mit Stadtteil-kantine unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Alleinerziehenden, Ausländern und Schichtarbeitern

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D. Fallbeispiele

D. Fallbeispiele für Vergaben unterEinbeziehung der IAO-Kernar-beitsnormen

In der kommunalen Praxis ist eine Vielzahl an Auftrags-vergaben, die mit einer besonderen Anforderung hin-sichtlich der Einhaltung von IAO-Kernarbeitsnormenverbunden sind, denkbar. Vom Orangensaft für denEmpfang des Bürgermeisters oder der Versorgung derstädtischen Senioreneinrichtungen mit Tee oder Kaffee,über die Ausstattung von Feuerwehr und Rettungs-dienst mit Dienst- und Schutzkleidung oder den Aus-bau des historischen Marktplatzes mit Natursteinen bishin zur IT-Beschaffung, reicht die Palette der Produkteund Leistungen, bei der die Frage gestellt werden muss,ob die Kernarbeitsnormen im Rahmen der Auftragsaus-führung eingehalten werden.

Wie in den vorherigen Kapiteln dargestellt, ist die For-derung nach der Einhaltung der Kernarbeitsnormen andie Auftragsausführung zu knüpfen. Im Fokus steht dieFragestellung, ist mein Auftragnehmer a) in der Lage,den Auftrag ausführen, und b) wird er es auch tatsäch-lich in der geforderten Weise tun. Dieser Ansatz ist imRahmen der verschiedenen Vergabeverfahren nach denVergabe- und Vertragsordnungen zu berücksichtigen.

Für die nachfolgenden Beispielsfälle gilt, dass jeweilsdie Mustererklärung "§ X Beachtung der Grundprinzi-pien und Kernarbeitsnormen der IAO" (S. 19) zum Ver-tragsgegenstand gemacht werden sollte. Auf dieseWeise wird u. a. ausdrücklich auch die Vertragsstrafen-regelung einbezogen.

Fall 1: Lieferung von Fußbällen (freihändige Vergabe VOL/A)

Für den Schulsport sollen alle städtischen Schulen mitFußbällen ausgestattet werden. Fußbälle werden mit-unter auch heute noch unter nicht hinnehmbaren Bedingungen unter Missachtung der IAO-Kernarbeits-normen durch Kinder hergestellt. Die Beschaffung vonfair gehandelten Spiel- und Sportartikeln ist daher inbesonderem Maße angezeigt. Die Nutzung von fair gehandelten Produkten bietet auch im Rahmen des Unterrichts die Möglichkeit, mit dem Thema praxisnahumzugehen.

Fair gehandelte Fußbälle sind im Preissegment zwischen15 und 40 Euro erhältlich. In diesem Bereich gibt es

durchaus einen Markt. Ein verbreitetes Siegel ist dasFairtrade-Siegel, das von mehreren Anbietern genutztwird.

Bei der Beschaffung von 250 Bällen ergeben sichSchätzkosten in Höhe von ca. 5.000 Euro.

Hier handelt es ich um eine Liefer- und Dienstleistungnach der VOL/A, die der freihändigen Vergabe nach § 3Nummer 1 Absatz 3 VOL/A 2006 (§ 3 Abs. 1 VOL/A2009) zugänglich ist.

Diese Verhandlungsfreiheit bietet die Möglichkeit, denMarkt dahingehend zu sondieren, ob ein Anbieter in derLage ist, den Auftrag unter Berücksichtigung der IAO-Kernarbeitsnormen auszuführen. Hierzu ist zu prüfen,ob der Lieferant fair gehandelte/gesiegelte Produkte imProgramm hat bzw. anbietet. Eine Vorabprüfung istdurch die Vorlage von Siegeln bzw. durch die Recherchebei angebotenen Referenzen möglich.

In jedem Fall sollte der Bieter die IAO-Erklärung (Seite18) mit seinem Angebot abgeben und ggf. produktbe-zogene Siegel/Zertifikate bzw. Erklärungen vorlegen.

In den Vergabe- und Vertragsunterlagen ist im Leis-tungsverzeichnis produktbezogen folgender Passus auf-zunehmen.

Dem Auftraggeber ist es wichtig, dass die zu liefernden Produkte unter Berücksichtigung derIAO-Kernarbeitsnormen hergestellt und ver -trieben werden. Da es sich hier um Sportartikelhandelt, die im Schulunterricht genutzt werden,ist dies auch aus pädagogischen Gründen ange-zeigt.

Der Auftragnehmer hat daher Fußbälle zu lie-fern, bei deren Herstellung die Grundprinzipienund Kernarbeitsnormen der IAO im Umfang derden Vergabe- und Vertragsunterlagen beigefüg-ten Erklärung beachtet werden. Die Erklärung ist Bestandteil des Angebots und wird bei Beauf-tragung Vertragsbestandteil.

Dem Angebot ist ein Nachweis in Form einesgeeigneten Siegels z.B. Fairtrade produktbezo-gen beizufügen. Der Nachweis kann auch durchdie Vorlage anderer vergleichbarer ZertifikateDritter erbracht werden, die die Einhaltung derIAO-Kernarbeitsnormen im Produktionsprozessim Rahmen der Anforderungen der beigefügtenErklärung belegen.

D. Best-Practice-Beispiele

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D. FallbeispieleD. Best-Practice-Beispiele

Die tatsächliche Einhaltung ist durch die Vor -lage eines geeigneten Labels bzw. einer Eigen-erklärung im Rahmen der Auftragsausführungnachzuweisen.

Fall 2: Beschaffung von Dienstkleidung für einen Löschzug der FreiwilligenFeuerwehr (beschränkte Ausschreibung)

Dienst- und Schutzkleidung wird im europäischen aberauch außereuropäischen Bereich gefertigt, deshalb istauch hier die Einhaltung der IAO-Kernarbeitsnormenvon besonderem Belang.

Gem. § 3 Nr. 3 a) bzw. b) i. V. m. Nr. 1 Absatz 4 VOL/A2006 (§ 3 Abs. 3a VOL/A 2009) kann eine beschränkteAusschreibung mit vor geschaltetem Teilnahmewettbe-werb durchgeführt werden. Die auftragsbezogene An-forderung, Bekleidung zu liefern, die unter Beachtungder IAO-Kernarbeits normen gefertigt wurde, kann imRahmen eines Teilnahmewettbewerbs als Kriterium derLeistungsfähigkeit abgefragt werden. Hier können eineErklärung und ergänzend die Vorlage von Labels/Zertifi-katen gefordert werden. Auch können entsprechendeReferenzen über die Lieferung von IAO-konform herge-stellten Artikeln gefordert werden.

Neben anderen Kriterien kann im Rahmen des Teilnah-mewettbewerbs folgende Formulierung zur Prüfung derLeistungsfähigkeit gewählt werden:

Beachtung der Grundprinzipien und Kernarbeitsnormen der IAO

Wichtiges Anliegen des öffentlichen Auftrag -gebers ist die Einhaltung sozialer Mindest -standards und fairer Produktionsbedingungen.

Im Teilnahmeantrag ist dies durch eine Eigen -erklärung mit folgendem Wortlaut zu dokumen-tieren.

Ich verpflichte mich, bei der Ausführung desAuftrags die grundlegenden Prinzipien undRechte bei der Arbeit gemäß der Erklärung derInternationalen Arbeitsorganisation (IAO) vom18.06.19986 einzuhalten. Es sind dies:

die Vereinigungsfreiheit und das Recht zuKollektivverhandlungen,

die Beseitigung aller Formen von Zwangs -arbeit,

die Abschaffung der Kinderarbeit und

die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.

Ich verpflichte mich und meine Unterauftrag-nehmer, bei der Ausführung des Auftrags dieVorschriften einzuhalten, mit denen die entspre-chenden Kernarbeitsnormen der IAO in nationales Recht umgesetzt worden sind; beiden Kernarbeitsnormen handelt es sich um dieÜbereinkommen Nr. 29, Nr. 87, Nr. 98, Nr. 100,Nr. 105, Nr. 111, Nr. 138 und Nr. 1827. Maß -geblich sind dabei die Vorschriften des Landes,in dem der Auftragnehmer oder seine Unterauf-tragnehmer bei der Ausführung des Auftrags je-weils tätig werden. Handelt es sich dabei um einLand, das eine oder mehrere Kernarbeitsnormennicht ratifiziert oder nicht in nationales Rechtumgesetzt hat, so bin ich und meine Unterauf-tragnehmer verpflichtet, die innerstaatlichenVorschriften mit gleicher Zielsetzung wie die betreffende Kernarbeitsnorm einzuhalten.

Bei Sachlieferungen verpflichte ich mich imAuftragsfall, nur solche Waren zu liefern, beideren Herstellung die in Absatz 1 erwähntenRechte und Prinzipien sowie die in Absatz 2 erwähnten Vorschriften eingehalten wurden.Herstellung in diesem Sinne umfasst die letztewesentliche Be- oder Verarbeitung und alle folgenden Be- und Verarbeitungen. Wesentlichist eine Be- oder Verarbeitung dann, wenn sienach dem Zollrecht der EU den Ursprung derWare in dem betreffenden Land begründet.

6 http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/download/ilo-erklaerung.pdf

7 http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/kernarbeitsnormen/index.htm

Sofern durch landesrechtliche bzw. kommunale Vor -gaben die beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahme-wettbewerb das Regelverfahren für diesen Auftrags-wert ist (§ 3 Absatz 3 VOL/A 2006 bzw. § 3 Abs. 4VOL/A 2009), sollte die ausschreibende Stelle bei derAuswahl der Firmen bereits auf die besondere Anforde-rung an die Leistungsaus führung im Sinne der o. a. An-forderung achten.

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D. Fallbeispiele D. Best-Practice-Beispiele

Im Leistungsverzeichnis ist eine Vorbemerkung mit folgendem Inhalt einzufügen:

Dem Auftraggeber ist es wichtig, dass die zu liefernden Produkte unter Berücksichtigung derIAO-Kernarbeitsnormen hergestellt und vertrie-ben werden.

Der Auftragnehmer hat daher Dienst- undSchutz kleidung zu liefern, bei deren Herstellungdie Grundprinzipien und Kernarbeitsnormen der IAO im Umfang der den Vergabe- und Ver-tragsunterlagen beigefügten Erklärung beachtetwerden. Die Erklärung ist Bestandteil des An -gebots und wird bei Beauftragung Vertragsbe-standteil.

Dem Angebot ist ein Nachweis in Form einesSiegels z.B. Fairtrade produktbezogen beizufü-gen. Der Nachweis kann auch durch die Vorlageanderer vergleichbarer Zertifikate Dritter er-bracht werden, die die Einhaltung der IAO-Kern-arbeitsnormen im Produktionsprozess im Rahmen der Anforderungen der beigefügten Erklärung belegen.

Die tatsächliche Einhaltung ist durch die Vorlageeines geeignete Labels bzw. einer Eigenerklärungim Rahmen der Auftragsausführung nachzuwei-sen.

Fall 3: Pflasterarbeiten: Neubau historischer Marktplatz

Im Rahmen der Neuanlage eines historischen Markt-platzes soll das vorhandene Pflaster durch Naturstein-pflaster ersetzt werden. Natursteinpflaster gehört zuden Produktbereichen, bei deren Fertigung in Asienausbeuterische Kinderarbeit angetroffen werden kann.Deshalb ist bezogen auf diese Leistung die Einbezie-hung der IAO-Kernarbeitsnormen von besonderer Be-deutung. Das Ausschreibungsverfahren (Schätzkosten300.000 €) wird im Rahmen einer öffentlichen Aus-schreibung nach VOB/A durchgeführt.

Deshalb soll ausdrücklich im Leistungsverzeichnis unterBezugnahme auf die betroffenen Positionen die Ferti-gung der Natursteinpflaster unter Beachtung der IAO-Kernarbeitsnormen gefordert werden. Mit dem Angebotist eine entsprechende Erklärung zu fordern.

Das Leistungsverzeichnis kann folgendermaßen ergänztwerden:

Der Auftragnehmer hat Pflastersteine einzu-bauen, die unter Beachtung der Grundprinzipienund Kernarbeitsnormen der IAO im Umfang derden Vergabe- und Vertragsunterlagen beigefüg-ten Erklärung hergestellt wurden. Die beigefügteErklärung ist Bestandteil des Angebots und wirdbei Beauftragung Vertragsbestandteil.

Dem Angebot ist ein Nachweis in Form einesSiegels z.B. Xertifix, win=win – fairstone8 pro-duktbezogen beizufügen. Der Nachweis kannauch durch die Vorlage anderer vergleichbarerZertifikate Dritter erbracht werden, die die Einhaltung der IAO-Kernarbeitsnormen im Produktionsprozess im Rahmen der Anforde -rungen der beigefügten Erklärung belegen.

8Die genannten Siegel stellen nur eine Auswahl dar, mit der Nen-nung oder Nicht-Nennung dieser ist keine Bewertung ver-knüpft. Die Berücksichtigung der Siegel liegt in der Verantwor-tung der jeweiligen Vergabestelle.

Die tatsächliche Einhaltung ist durch die Vorlage eines-geeigneten Labels bzw. einer Eigenerklärung im Rah-men der Auftragsausführung nachzuweisen.

Fall 4: Beschaffung von Arbeitsplatz-Computern in einem Rahmenvertrag

Die Beschaffungsstelle will einen Rahmenvertrag überdie Beschaffung von Arbeitsplatz-Computern aus-schreiben. Der Rahmenvertrag mit einem Unternehmenhat eine Laufzeit von zwei Jahren. Die Schätzkostenliegen bei ca. 250.000 €.

Im Bereich der Hardware ist neben der Berücksichti-gung ökologischer Aspekte (GreenIT) auch die Einhal-tung der IAO-Normen von Belang. Vor dem Hintergrunddes großen Preiskampfes ist nicht auszuschließen, dassComputer unter menschenunwürdigen Arbeitsbedin-gungen hergestellt werden.

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D. FallbeispieleD. Best-Practice-Beispiele

Im Hinblick auf die hohen Anforderungen an die Leis-tungsfähigkeit der Unternehmer (Support, GreenIT, Be-rücksichtigung sozialer Kriterien) wird ein NichtoffenesVerfahren nach § 3a Nr. 1 VOL/A 2006 (§ 3 Abs. 1VOL/A-EG 2009) gewählt. Im Rahmen der Bekanntma-chung zum Teilnahmewett bewerb kann der Mustertextaus dem Beispielfall 2 übernommen werden. Im Leis-tungsverzeichnis ist eine Vorbemerkung mit folgendemInhalt einzufügen:

Dem Auftraggeber ist es wichtig, dass die zu lie-fernden Produkte unter Berücksichtigung derIAO-Kernarbeitsnormen hergestellt und vertrie-ben werden.

Der Auftragnehmer hat daher Produkte zu liefern,bei deren Herstellung die Grundprinzipien undKernarbeitsnormen der IAO im Umfang der denVergabe- und Vertragsunterlagen beigefügtenErklärung beachtet werden. Die Erklärung istBestandteil des Angebots und wird bei Beauftra-gung Vertragsbestandteil.

Dem Angebot ist ein Nachweis in Form einesSiegels produktbezogen beizufügen. Der Nach-weis kann auch durch die Vorlage anderer ver-gleichbarer Zertifikate Dritter erbracht werden,die die Einhaltung der IAO-Kernarbeitsnormenim Produktionsprozess im Rahmen der Anforde-rungen der beigefügten Erklärung belegen.

Die tatsächliche Einhaltung ist durch die Vorlageeines geeigneten Labels bzw. einer Eigenerklä-rung im Rahmen der Auftragsausführung nach-zuweisen.

Fall 5: Ausschreibung von Wäscherei-dienstleistungen

Ein städtisches Krankenhaus will bei der Neuausschrei-bung der Wäschereidienstleistungen (Leasing von Wä-sche und Bekleidung sowie Reinigung getrennt nachverschiedenen Losen, u. a. Bettwäsche, Sterilwäsche OP,Arbeitskleidung) die Beachtung der geltenden Verord-nung über zwingende Arbeitsbedingungen für Wäsche-reidienstleistungen im Objektkundengeschäft sicher-stellen.

Zur Umsetzung einer entsprechenden Bedingung fürdie Ausführung des Auftrags kann in der Leistungsbe

schreibung der jeweiligen Lose folgender Hinweis auf-genommen werden:

„Es wird darauf hingewiesen, dass Betriebe, die unterdie Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungenfür Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäftvom 21. Oktober 2009 (Bundesanzeiger Nr. 160 vom23. Oktober 2009, S. 3634) fallen, die in der Anlage zudieser Verordnung aufgeführten Rechtsnormen desMindestlohn-Tarifvertrages für Wäschereidienstleistun-gen im Objektkundengeschäft vom 18. Mai 2009 an-zuwenden haben. Auf § X der Vertragsbedingungen zudieser Ausschreibung (Werkvertragsentwurf) wird ver-wiesen. [Falls eine solche Erklärung verlangt werdensoll: Ebenso wird darauf hingewiesen, dass im Rahmender Eignungsnachweise eine Eigenerklärung zur Beach-tung dieser Rechtsverordnung abzugeben ist (sieheAufforderung zur Angebotsabgabe / Bewerbungsbedin-gungen).]“

Im Werkvertragsentwurf kann dieser Hinweis wieder-holt werden verbunden mit Sanktionsnormen bei nach-weislicher Nichtbeachtung der Mindestlohnverordnung:

„§ X – Mindestentlohnung bei der Auftragsausführung

(1) Sofern der Auftragnehmer unter die Verordnungüber zwingende Arbeitsbedingungen für Wäscherei-dienstleistungen im Objektkundengeschäft vom 21. Ok-tober 2009 (veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 160vom 23. Oktober 2009, S. 3634) fällt, sind die in derAnlage zu dieser Verordnung aufgeführten Rechtsnor-men des Mindestlohn-Tarifvertrages für Wäscherei-dienstleistungen im Objektkundengeschäft vom 18. Mai2009 anzuwenden.

(2) Verstößt der Auftragnehmer oder seine Unterauf-tragnehmer schuldhaft gegen Pflichten aus der Verord-nung nach Absatz 1, so kann der Auftraggeber eineVertragsstrafe in Höhe von 5 Prozent des vertraglichvorgesehenen Jahresentgelts (ohne Umsatzsteuer) ver-langen. Betrifft der Verstoß nur einen Teil der Leistung,so fällt die Vertragsstrafe anteilig aus.

(3) Bei einem Verstoß gegen eine Verpflichtung aus derVerordnung nach Absatz 1 handelt es sich um eine erhebliche Pflichtverletzung des Auftragnehmers, sodass der Auftraggeber vom Vertrag zurücktreten undden Ersatz des durch die Vertragsstrafe nach Absatz 2noch nicht abgegoltenen Schadens verlangen kann.Weitere gesetzliche Ansprüche bleiben unberührt.

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D. Fallbeispiele E. Exkurs: Standardinitiativen,Zertifizierngen und Labels

Folgende Eigenerklärung kann zur Prüfung der Zuver-lässigkeit und Gesetzestreue verlangt werden:

„Eigenerklärung des Bieters zur Mindestentlohnung:

Ich falle mit meinem Betrieb unter den Anwendungs-bereich der Verordnung über zwingende Mindestbedin-gungen für Wäschereidienstleistungen im Objektkun-dengeschäft vom 21. Oktober 2009 (veröffentlicht imBundesanzeiger Nr. 160 vom 23. Oktober 2009, S.3634):

ja / nein (Nichtzutreffendes bitte streichen).

Sofern ich verpflichtet bin, die Verordnung über zwin-gende Mindestbedingungen für Wäschereidienstleis-tungen im Objektkundengeschäft vom 21. Oktober2009 anzuwenden, erkläre ich:

Ich werde die in der Anlage zu dieser Verordnung auf -geführten Rechtsnormen des Mindestlohn-Tarifver -trages für Wäschereidienstleistungen im Objektkunden-geschäft vom 18. Mai 2009 auch bei derAuftragsausführung anwenden: ja / nein (Nichtzutref-fendes streichen).

Ergänzende Angaben / Erläuterungen:

Ort, Datum, rechtsverbindliche Unterschrift des Bieters / der Bieter“

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E. Exkurs: Standardinitiativen,Zertifizierungen und Labels

E. Exkurs: Standardinitiativen,Zertifizierngen und Labels

E. Exkurs: Standardinitiativen, Zertifizierungen und Labels

Eine Möglichkeit die soziale Beschaffung umzusetzen,ist der Rückgriff auf Nachhaltigkeitsstandards, auf diesich Unternehmen, Produzenten oder Organisationenfreiwillig verpflichten. Diese haben zum Ziel, die sozia-len, ökologischen und ökonomischen Bedingungen beider Rohstoff produktion und/oder entlang der interna-tionalen Wertschöpfungsketten zu verbessern.

Der folgende Exkurs führt kurz in die Begrifflichkeit der Standardwelt, ihre Regelsysteme und international anerkannten Kodizes ein, die die Bezugspunkte fürglaubwürdige Standardsysteme bilden. Damit soll öffentlichen Auftraggebern - ohne Anspruch auf Voll-ständigkeit - ein erster Anhaltspunkt vor dem Hinter-grund einer zunehmend wachsenden und unübersicht-lichen Anzahl an Standardinitiativen und Labelsgeliefert werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Was ist ein Zertifizierungssystem?

Ein Standard ist grundsätzlich in ein Verifizierungs-bzw. Zertifizierungssystem eingebunden. Ein Zertifizie-rungssystem besteht aus den Elementen Standard, Kon-formitätsprüfung und Governancesystem.

I. Standard

Der Standard umfasst die Prinzipien, Kriterien undmessbare Indikatoren, die eingehalten werden müssen.Dies geschieht auf drei Ebenen.

1) Anforderungen an Betriebe/Produzenten, die sichzertifizieren lassen wollen, inklusive Anforderun-gen an die Rückverfolgbarkeit von Produkten

2) Anforderungen an die Kontrollstellen, die dieEinhaltung der betrieblichen Anforderungenüberprüfen (betriebliche Konformitätsprüfung)

3) Anforderungen an die Überprüfung der Kontroll-stellen (Akkreditierung)

II. Konformitätsprüfung

Damit sichergestellt werden kann, dass die Standard -anforderungen erfüllt sind, muss eine Konformitäts-prüfung durchgeführt werden. Die Konformitätsprü

fung besteht wiederum aus vier Teilen: Verifizierung,Zertifizierung, Rückverfolgbarkeit und Akkreditierung.

1) Verifizierung ist die Überprüfung, dass die An-forderungen von den Betrieben erfüllt werden.Diese werden von einem Inspektor kontrolliert,verifiziert und auditiert. Das Ergebnis dieserÜberprüfung ist die Basis für die Entscheidung,ob die Anforderungen erfüllt sind und eine Zerti-fizierung erfolgen kann. Die Verifizierung wirdvon Kontrollstellen/Zertifizierungsinstitutionendurchgeführt.

2) Rückverfolgbarkeit ist ein Teil der Anforderun-gen, die bei den Betrieben überprüft wird. Umein Produkt über die Handelskette zurückzuver-folgen, gibt es in einem Standardsystem ent-sprechende Anforderungen. Die Kriterien zurRückverfolgbarkeit werden von den Kontroll-stellen während der Inspektion der Akteure derHandelskette mit überprüft.

3) Zertifizierung ist eine durch eine unabhängige(weil von Betrieb und Standardhalter unabhän-gig) dritte Partei ausgestellte Bescheinigung,dass Produkte, Prozesse, Systeme oder Personendie Anforderungen eines Standards erfüllen. Die Zertifizierung wird auf Grundlage einer voran-gegangenen Verifizierung der Einhaltung be-trieb licher Standardanforderungen durch eineKontrollstelle durchgeführt. Sie kann, muss abernicht mit einem Zertifikat/ Label (z. B. Fairtrade-Label) verbunden sein. Die internationale Stan-dard Organisation ISO hat eine Reihe von gene-rellen Anforderungen fest gelegt, die eineKontrollstelle erfüllen sollte, um eine qualitativhochwertige Inspektion durch führen zu können.Zu nennen sind hier der ISO Guide 65, ISO 17021:2006, ISO Guide 66 und ISO 19011: 2002.

4) Akkreditierung ist eine durch eine unabhängigedritte Partei ausgestellte Bescheinigung, dasseine Kontrollstelle die nötigen Kompetenzen hat,um eine Konformitätsprüfung (Verifizierung undZertifizierung) durchzuführen. Auch diese Stellensollten gewisse Standards erfüllen. Hier solltesich der Standardhalter auf den ISO 17011 –(enthält die Allgemeinen Anforderungen an Akkreditierungsstellen, die Konformitätsbewer-tungsstellen akkreditieren) beziehen.

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E. Exkurs: Standardinitiativen,Zertifizierungen und Labels

E. Exkurs: Standardinitiativen,Zertifizierngen und Labels

III. Governancesystem (Steuerungssystem)

Das Governancesystem regelt, wer wann wie Entschei-dungen innerhalb des Standardsystems trifft. Hier werden die Standards z. B. überarbeitet und ggf. aktua-lisiert. Es gibt ganz verschiedene Steuerungsmodelle,die je nach Ausrichtung des Standardsystems andersangelegt werden.

Wann ist ein Standard nachhaltig?

Damit ein Standard als nachhaltig anerkannt wird, musser die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung zumZiel haben und sich auf die betreffenden internationa-len Normen und Regelwerke im Bereich Menschen-rechte, Kernarbeitsnormen und Umwelt beziehen.

Ein weiteres Kriterium ist, dass der Standardentwick-lungs- und Umsetzungsprozess transparent und partizi-pativ ist. Denn der Standard wird nur dann als glaub-würdig anerkannt und breitenwirksam umgesetzt,wenn alle relevanten Interessensgruppen (Gewerk-schaften, Nichtregierungsorganisationen, Unterneh-men, Kleinproduzenten, Arbeiter etc.) einbezogen wer-den und Informationen über den Standard öffentlichzugänglich sind. Ein wichtiger Bezugspunkt ist hier ne-ben den oben genannten ISO Normen der „Code ofGood Practice“ von ISEAL (International Social andEnvironmental Accreditation and Labelling Alliance).

Standardinitiativen können beispielsweise sein:

freiwillige Zertifizierungssysteme, die Labels aus-stellen, wie etwa die forstliche Zertifizierung nach dem Forest Stewardship Council mit dem FSC-Label, der Zertifizierung nach der FairtradeLabelling Organization International (FLO) mitdem Fairtrade-Label oder die Zertifizierung nachdem SA8000 Standard von Social AccountabilityInter national (SAI) für Sozialstandards,

freiwillige Verifizierungssysteme, die Zertifizierungs-initiativen ähneln, jedoch auf eine weniger strikteKontrolle bauen und selten mit einem vermarkt -baren Zertifikat bzw. Label arbeiten wie der Common Code for the Coffee Community (4C),

Standards, die von Unternehmen oder Unterneh-mensverbänden selbst aufgestellt und kontrolliertwerden, wie etwa der Verhaltenskodex der BusinessSocial Compliance Initiative (BSCI), einem Unter-nehmensverband mit ca. 300 europäischen Mit-

gliedsfirmen vorwiegend aus dem Textilsektor, derseine Lieferanten nach einem einheitlichen Stan-dard überprüfen lässt. Ein weiteres Beispiel aus demAgrarsektor ist die Initiative mit dem gleichnamigenQualitätsstandard Global Partnership for Good Agri-cultural Practice (GLOBALGAP) im Bereich der agra-rischen Nahrungsmittelproduktion.

Wichtige Bezugspunkte:

Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeits -organisation (IAO)

Die OECD-Leitsätze für multinationale Unterneh-men sind ein umfassender, auf multilateraler Ebeneangenommener Verhaltenskodex, zu dessen Förde-rung sich die Regierungen verpflichtet haben. DieLeitsätze enthalten in zehn Kapiteln Empfehlungenzu den Bereichen Transparenz, Arbeitsbeziehungen,Umwelt, Korruption, Verbraucherschutz, Technolo-gietransfer, Wettbewerb und Steuern, die die Regie-rungen der Teilnehmerstaaten an die von ihren Ländern aus operierenden multinationalen Unter-nehmen richten. Sie nehmen Bezug auf internatio-nale Vereinbarungen wie die Allgemeine Erklärungder Menschenrechte oder die IAO-Kernarbeitsnor-men. Die Verbreitung und Einhaltung der Leitsätzewird durch Schiedsstellen für Streitfälle, die soge-nannten „Nationalen Kontaktstellen“, unterstützt.Diese sind in Deutschland im Bundeswirtschafts -ministerium angesiedelt.

ISO 26000 ist ein Leitfaden zur gesellschaftlichenVerantwortung von Organisationen, der 2010 veröffentlicht werden soll. Er wird definieren, wasgesellschaftlich verantwortliches Handeln für Orga-nisationen und Unternehmen bedeutet und Empfeh-lungen für deren Umsetzung nennen. Kernelementsind sieben Grundprinzipien (Menschenrechte, Ar-beitsrechte, Umweltschutz, Konsumentenschutz,Einbeziehung von Interessensgruppen und Entwick-lung, faire Unternehmenspraxis, Organisations-Steuerungssystem bzw. -Governance), auf die sichalle Organisationen und Unternehmen festlegenmüssen, wenn sie sich auf den ISO 26000 beziehen.Dieser Leitfaden soll nach derzeitigem Diskussions-stand kein zertifizierbarer Standard werden. Er be-zieht ausdrücklich die gesamte Liefer- und Wert-schöpfungskette ein. Es ist zu erwarten, dass erebenfalls zu einem wichtigen Referenzsystem fürStandardinitiativen werden wird.

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F. Einfuhrung und Sensibilisierungder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

F. Einführung und Sensibilisierungder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in bzw. für dasThema „SozialverantwortlicheBeschaffung“

Im Unterschied zu den üblichen Produkteigenschaftensind die sozialen Kriterien nicht messbar bzw. „fühlbar“.Der Produktionsprozess unter Beachtung sozialer Be-lange führt nicht zu einem Produkt, das sich in irgend-einer Weise von einem anderen Produkt unterscheidet,das nicht auf diese Weise hergestellt worden ist. Darü-ber hinaus ist das Thema „Berücksichtigung von sozia-len Kriterien“ im Bereich der öffentlichen Verwaltungnoch relativ neu. In Gesprächen mit Kolleginnen undKollegen löst man mit der Aussage, dass auch in der öffentlichen Beschaffung die Einhaltung von Kernar-beitsnormen wie z.B. die Verhinderung ausbeuterischerKinderarbeit von Belang ist, mitunter Erstaunen aus.

Wie führt man in das Thema ein?

Im Vordergrund der Überlegungen zur Einführung in dieThematik „soziale Beschaffung“ sollte der konkrete Be-zug zum eigenen Aufgabenbereich bzw. zu den konkretzu beschaffenden Produkten bestehen. Von daher ist eswichtig, in einer ersten Einführungsphase durch fach-bezogene Informationsveranstaltungen in das Themaeinzuführen und die notwendigen Bezüge herzustellen.In diesen Prozess sollte auch das lokale Agenda-Büromit eingebunden werden. Dort ist in der Regel die not-wendige Fachkompetenz verfügbar.

Das Thema „fairer Einkauf“ bzw. „sozialverantwortlicheBeschaffung“ ist einer stetigen Entwicklung unterwor-fen. In relativ kurzen Abständen werden immer wiederneue Aspekte und neue Produktbereiche identifiziert,die von der Thematik betroffen sind. Daher sollte, neben einführenden Informationsveranstaltungen, eineregelmäßige Information der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter sichergestellt werden. Hierfür bieten sichinsbesondere das Verwaltungsintranet sowie regel -mäßige Newsletter an.

F. Einführung uns Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

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F. Einfuhrung und Sensibilisierungder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

I. Identifizierung der von der Thematik betroffenen Bau- und Lieferleistungen

Nach einer grundlegenden Einführung in die Thematikwird empfohlen, durch eine verwaltungsinterne Um-frage die konkrete Betroffenheit in den einzelnen Fach-bereichen zu ermitteln. Hierzu bietet es sich an, schonbeispielhaft bekannte Produktbereiche zu benennen.Informationen hierzu finden sich unter anderem aufder Seite www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de. Hierzukönnte folgender Text als Muster dienen:

„An alle Vergabedienststellen

Berücksichtigung von Sozialstandards beim öffentlichen Einkauf

Gerade Städte und Gemeinden, die im Rahmender Daseinsvorsorge für ihre Bürgerinnen undBürger tätig sind, müssen darauf achten, dassdie eingekauften Produkte neben Umweltschutz-ansprüchen auch sozialen Standards – in Bezugauf Ihre Herstellung – genügen. So kann esnicht akzeptiert werden, Schülerinnen undSchüler z.B. mit Lederbällen spielen zu lassen,die von Kindern genäht wurden.

Kleidung, die städtische Mitarbeiterinnen undMitarbeiter bei Ihrer täglichen Arbeit schützt,sollte gleichzeitig auch unter Beachtung wesent-licher Umwelt- und Sozialauflagen, die die Ar-beiter und Arbeiterinnen bei der Herstellung derProdukte schützen sollen, hergestellt werden.Diese Aufzählung lässt sich beliebig fortführen.

Neben der Einhaltung der IAO-Kernarbeitsnorm182 (ausbeuterische Kinderarbeit) werden auch weitere IAO-Normen (Zwangsarbeit, Vereini-gungsfreiheit, Mindestalter etc.) hinsichtlich ei-ner eventuellen Berücksichtigung im Beschaf-fungsprozess genannt. Mittlerweile haben sicheine Reihe von Zertifizierer und damit auch Sie-gel (Label) etabliert. Leider zeigt sich auf der an-deren Seite aber auch, dass die Vielfalt der Pro-dukte, die unter Missachtung grundlegenderArbeitsmindestbedingungen hergestellt werden,steigt.

In einem ersten Schritt werden die Fachämter,Institute und sonstige Vergabedienststellen ge-beten, für ihren Bereich Produkte zu identifi-

zieren, die dafür bekannt sind, dass sie auch mitHilfe von ausbeuterischer Kinderarbeit herge-stellt werden. Anhaltspunkt kann hier die beige-fügte – nicht abschließende – Produktauflistungsein.

Wie möchten Sie bitten, sich an einer aktuellen Erfassung (Mengenangaben und Beschaffungs-volumen p/a) zu beteiligen. Sicherlich achtenbereits viele Kolleginnen und Kollegen beimEinkauf darauf, umweltorientiert und nach so-zialen/ethischen Gesichtspunkten auszuwählen.Dennoch könnte es sein, dass es Produkte gibt,bei denen wir zusätz liche Empfehlungen aus-sprechen können.

Diesem Schreiben haben wir eine allgemeine In-formation zur Thematik beigefügt. Sie könnensich auch über verschiedene Internetseiten z. B.www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de informieren.

Für Ihre Mitarbeit bedanken wir uns schon jetztrecht herzlich.

Mit freundlichen Grüßen“

II. Feststellung der konkreten Betroffenheit der einzelnen Produkte hinsichtlich sozialer Defizite

Nach einer Bestandsaufnahme sollten in einem nächs-ten Schritt Hintergrundinformationen zusammengetra-gen werden. Mit Blick auf entsprechende Formulierun-gen im Leistungsverzeichnis sollten die entsprechendenAnforderungen an das Produkt herausgearbeitet wer-den. Sofern vorhanden sollten Label bzw. Zertifikate er-mittelt werden, die für die betroffenen Produktbereicheeinschlägig sind.

III. Bieterinformation

Für die Akzeptanz der veränderten Einkaufspolitik ist eszielführend, dass der Bieterkreis frühzeitig über die mitder Berücksichtigung der sozialen Beschaffung verän-derte Einkaufspolitik vertraut gemacht wird. Es wirdempfohlen, produktbezogen den Bieterkreis zu infor-mieren. Der Text könnte wie folgt lauten:

F. Einführung uns Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

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F. Einfuhrung und Sensibilisierungder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

„Die Stadt engagiert sich für eine Beschaffungs-politik, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.Sie will damit einen Beitrag zur weltweit nach-haltigen und sozialgerechten Entwicklung leis-ten: Die Vergabepraxis wird dahingehend geän-dert, dass der Einkauf von Produkten, in derenProduktions- und Lieferkette gegen IAO-Kernar-beitsnormen verstoßen wird, unterbunden wird.

Dieses Schreiben soll Ihnen im Vorfeld einer Angebotsaufforderung Gelegenheit geben, IhreLieferketten zu überprüfen und sich ggf. um entsprechende Informationen, günstigstenfallsum Zertifikate bzw. Label, zu bemühen.

Beim Einkauf von Produkten, wird die Vergabe-stelle künftig eine Erklärung fordern, aus derhervorgeht, dass im Produktions- und Liefer -prozess nicht gegen die IAO-Kernarbeitsnormenverstoßen wird. Sie tut dies im Einklang mit § 97 Absatz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbs-beschränkungen (GWB), das die Berücksichti-gung sozialer Kriterien im Rahmen der Auftrags-vergabe ausdrücklich vorsieht.

Die Vorlage der genannten Erklärung ist künftigVoraussetzung für die Berücksichtigung IhresAngebots im Vergabeverfahren. Es ist beabsich-tigt, die Einhaltung der Selbstverpflichtungstichpunktartig zu überprüfen.

Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Ver fügung.“

IV. Information der Öffentlichkeitund der Wirtschaft

Parallel zur Information der betroffenen Bieter bietetsich auch eine Information der Öffentlichkeit sowie derörtlichen Industrie- und Handelskammer sowie Hand-werkskammer an. Die öffentliche Beschaffung sollteauch hier eine Vorbildfunktion einnehmen. Insofern istes sinnvoll, durch eine geeignete Medienarbeit die Öffentlichkeit, aber auch die Vertreter der Wirtschaft,über das veränderte Beschaffungsverhalten zu infor-mieren und auf dieses Weise auch eine Sensibilisierungfür das Thema zu erzeugen.

Weitere Informationen:

www.kompass-nachhaltigkeit.de

Das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung unterstützte Internet-Informationssystem www.kompass-nachhaltigkeit.dewird Kommunen ab dem Jahr 2010 bei der Spezifizie-rung und Analyse von Sozial- und Umweltstandards inder öffentlichen Beschaffung praktisch mit Rat und Tatzur Seite stehen.

Dabei werden die Bedürfnisse der politische Entschei-der in Gemeinderäten ebenso adressiert, wie die Not-wendigkeiten der für die Ausschreibung, für die Bewer-tung eingegangener Angebote und für die Abwicklungder Projekte Verantwortlichen in der öffentlichen Be-schaffung.

"www.kompass-nachhaltigkeit.de" greift die spezifi-schen Bedürfnisse der verschiedenen Beteiligten auf,informiert über die Hintergründe und Notwendigkeitvon Umwelt- und Sozialstandards, navigiert politischeTräger ebenso wie verantwortliche Verwaltungen durchdie Vielfalt sozialer und ökologischer Standards undbietet konkrete Lösungen.

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Herausgeber:

Deutscher Städtetag

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Referat Information, Publikation, Redaktion

53107 Bonn

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Stand: Januar 2010

Wenn Sie Bestellungen aufgeben möchten:

Best.-Nr: A 393

Telefon: 01805 77 80 90*Fax: 01805 77 80 94*Schriftlich: Publikationsversand der Bundesregierung

Postfach 48 10 09 18132 Rostock

E-Mail: [email protected] Internet: http://www.bmas.de

Gehörlosen/Hörgeschädigten-Service:E-Mail: [email protected]: 01805 676716*Fax: 01805 676717*Gebärdentelefon: [email protected]

* Festpreis 14 Cent/Min. – abweichende/andere Preise aus den Mobilfunknetzen möglich.

Gestaltung/Satz/Druck: Grafischer Bereich und Hausdruckerei des BMAS, Bonn

Wenn Sie aus dieser Publikation zitieren wollen, dann bitte mit genauer Angabe des Herausgebers, des Titels und des Standsder Veröffentlichung. Bitte senden Sie zusätzlich ein Belegexemplar an den Herausgeber.

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