Die enthemmteMitte 2016-06-Mitte Studie Uni Leipzig
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7/26/2019 Die enthemmteMitte 2016-06-Mitte Studie Uni Leipzig
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In Kooperation mit:
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brhler (Hg.)Die enthemmte Mitte
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Forschung Psychosozial
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brhler (Hg.)
Die enthemmteMitte
Autoritre und rechtsextreme Einstellung
in Deutschland
Die Leipziger Mitte-Studie 2016
Mit Beitrgen von Elmar Brhler, Anna Brausam,
Oliver Decker, Eva Eggers, Jrg M. Fegert, Alexander Husler,
Johannes Kiess, Kati Lang, Thomas Mense, Paul L. Plener,
Timo Reinfrank, Jan Schedler, Frank Schubert,
Gregor Wiedemann und Alexander Yendell
Psychosozial-Verlag
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Die Verffentlichung der Leipziger Mitte-Studie 2016 erfolgt in Kooperation mit derRosa-Luxemburg-Stiftung, der Heinrich-Bll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Originalausgabe 2016 Psychosozial-Verlag
Walltorstr. 10, D-35390 GieenFon: 06 41 - 96 99 78 - 18; Fax: 06 41 - 96 99 78 - 19
E-Mail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigungdes Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,
vervielfltigt oder verbreitet werden.Umschlagabbildung: Kasimir Malewitsch: Suprematistische Komposition, 1915
Umschlaggestaltung nach Entwrfen von Hanspeter Ludwig, Wetzlarwww.imaginary-world.de
Lektorat: Barbara Handke, Leipzig, www.centralbuero.deSatz: Barbara Brendel, Leipzig
ISBN 978-3-8379-2630-9
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INHALT
VORWORT 7
DIEENTHEMMTEMITTE RECHTSEXTREMEUNDAUTORITREEINSTELLUNG2016
1. AUTORITREDYNAMIKEN: ERGEBNISSEDERBISHERIGENMITTE-STUDIENUNDFRAGESTELLUNG 11
Oliver Decker & Elmar Brhler
2. DIEMITTE-STUDIE2016: METHODE, ERGEBNISSEUNDLANGZEITVERLAUF 23
Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
3. POLITISCHEEINSTELLUNGENUNDPARTEIPRFERENZ:DIEWHLER/INNEN, UNENTSCHIEDENEUNDNICHTWHLER2016 67
Elmar Brhler, Johannes Kiess & Oliver Decker
4. EINJAHRZEHNTDERPOLITISIERUNG: GESELLSCHAFTLICHEPOLARISIERUNGUNDGEWALTVOLLERADIKALISIERUNGINDEUTSCHLANDZWISCHEN2006UND2016 95
Oliver Decker & Elmar Brhler
5. WERUNTERSTTZTPEGIDAUNDWASERKLRTDIE
ZUSTIMMUNGZUDENZIELENDERBEWEGUNG? 137 Alexander Yendell, Oliver Decker & Elmar Brhler
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Inhalt
6. UNBEGLEITETEMINDERJHRIGEFLCHTLINGEINDEUTSCHLAND:EINEVULNERABLEGRUPPETRIFFTAUFDIEWILLKOMMENSKULTUR 153
Paul L. Plener & Jrg M. Fegert
ZUMSTANDDERZIVILGESELLSCHAFT
7. DIEAFD ALSRECHTSPOPULISTISCHERPROFITEURDERFLCHTLINGSDEBATTE 167Alexander Husler
8. VON
BESORGTEN
BRGERN
ZU
WIDERSTANDSKMPFERN
? PEGIDAUNDDIENEUERECHTE 179Thorsten Mense, Frank Schubert & Gregor Wiedemann
9. DIEHRTE DESRECHTSSTAATS 201Kati Lang
10. EINTAGINMNCHEN DERNSU-PROZESSIMSPANNUNGSFELDVONJURISTISCHERAUFARBEITUNGUNDGESELLSCHAFTLICHEMAUFKLRUNGSBEDRFNIS 223Jan Schedler
11. RECHTERTERRORGEGENFLCHTLINGE DIERCKKEHRDERRECHTENGEWALTDER1990ER-JAHRE 235Timo Reinfrank & Anna Brausam
LISTEALLERBISHERERSCHIENENENMITTE-STUDIEN20022016 245
AUTORINNENUNDAUTOREN 247
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VORWORT
Seit 2002 fhrt unsere Arbeitsgruppe die Mitte-Studien der UniversittLeipzig durch. Seither finden in unserem Auftrag alle zwei Jahre reprsen-tative Befragungen im gesamten Bundesgebiet statt. Mit den Mitte-Stu-dien steht damit eine Langzeitbeobachtung fr die politische Diskussionund Bildungsarbeit zur Verfgung.
In jedem Jahr werden hierfr deutsche Staatsbrger in ihren Wohnun-gen von Interviewern mit standardisierten Fragebgen zu ihren politi-
schen Einstellungen befragt. Kernelement ist seit 2002 ein Fragebogenzur rechtsextremen Einstellung, der immer wieder mit anderen Frageb-gen ergnzt wurde und wird. So haben wir im Verlauf der letzten 14 Jah-re die Entwicklung der politischen Einstellung, von Rechtsextremismus,Vorurteilen und autoritrer Orientierung dokumentiert und ihre Einfluss-faktoren bestimmt.
Mit dem vorliegenden Buch legen wir die Ergebnisse der Mitte-Stu-die 2016 vor. Nicht allein die neu aufflammenden Vorurteile gegen ein-
zelne Gruppen machten das Interesse an der neuen Erhebung dringend.Die diesjhrige Erhebung fand auch in einer Zeit statt, in der sich neuerechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien entwickeln und Erfolgefeiern. Daneben erstarkten autoritre-islamfeindliche Bewegungen, unddie von uns ber die Jahre festgestellten Ressentiments und Vorurteileschlugen 2015 in offenen Hass um. Mehr als 1.000 Attentate wurdenim gesamten Bundesgebiet auf Flchtlingsunterknfte verbt, mehr als100 Unterknfte wurden in Brand gesteckt.
Die aktuelle Studie frdert angesichts dessen einen berraschendenBefund zutage: Hinsichtlich der Verbreitung der klassischen Einstellun-
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Vorwort
gen, die Rechtsextremismus charakterisieren, fllt die Steigerung von Vor-urteilen nur geringfgig aus. Whrend die generalisierten Vorurteile gegenMigranten/innen leicht zurckgingen, nahm die Fokussierung des Res-
sentiments auf Asylbewerber/innen, Muslime/innen sowie auf Sinti undRoma zu. Die jngsten Vernderungen im Parteiensystem zeigen wenigereinen neuerlichen Anstieg fremdenfeindlicher und autoritrer Einstellun-gen in der Gesellschaft an, vielmehr findet das seit Jahren vorhandene,von den Mitte-Studien dokumentierte Potenzial jetzt eine politisch-ideo-logische Heimat. Die rechtsextrem Eingestellten werden zum politischenSubjekt, das nicht nur mit Macht die Ideologie der Ungleichwertigkeit ent-tabuisiert, sondern auch die gewaltvolle Durchsetzung ihrer Interessen fr
legitim hlt. Darauf spielt der Titel der aktuellen Studie an.Whrend die demokratischen Milieus in Deutschland strker und grer
werden, entwickeln sich andere Milieus in die entgegengesetzte Richtung:Offensiv vertretene vlkisch-nationale Positionen werden dort als genausoakzeptabel angesehen wie Gewalt als Mittel der politischen Auseinanderset-zung. Diese politische Polarisierung stellt uns vor die Herausforderung, dierepublikanischen Krfte zu strken, um eine demokratischen Gesellschaftund die soziale Teilhabe aller zu gewhrleisten.
Die aktuelle Mitte-Studie wurde in Kooperation mit der Rosa-Luxem-burg-Stiftung, der Heinrich-Bll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftungdurchgefhrt. Die Mitte-Studien waren und sind wichtiges analytischesMaterial fr die berprfung und Weiterentwicklung der politischen Bil-dungsarbeit. Die Studienleiter danken den Stiftungen fr ihr Engagement.Ebenso danken wir den Autorinnen und Autoren, die mit ihren Beitrgendie Ergebnisse der Mitte-Studie 2016 theoretisch rahmen und wesentlich
ergnzen. Die hilfreiche Mitarbeit von Julia Schuler und Clara Helming hatvieles erleichtert. Nur durch die kontinuierliche und konzentrierte Unter-sttzung von Gabriele Schmutzer bei den statistischen Berechnungen, vonBarbara Handke als Lektorin, von Barbara Brendel als Setzerin und vonCornelia Heinrich und Almut Philipp als Korrektorinnen ist dieses Buchmglich geworden.
Wir hoffen, dass die Studie eine breite Diskussion anregt und zur Be-lebung der gesellschaftspolitischen Debatte beitrgt.
Leipzig im Mai 2016 Oliver Decker und Elmar Brhler
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DIEENTHEMMTEMITTERECHTSEXTREME
UNDANTIAUTORITRE
EINSTELLUNG2016
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1. AUTORITREDYNAMIKEN: ERGEBNISSEDERBISHERIGENMITTE-STUDIENUND
FRAGESTELLUNG
Oliver Decker & Elmar Brhler
Eine wesentliche Aufgabe der Gesellschaftswissenschaften ist die Unter-suchung von rechtsextremen Einstellungen und autoritren Orientierun-gen. Schon 1906 beschrieb der US-amerikanische Soziologe William G.Sumner mit dem Begriff Ethnozentrismus die Aufwertung des Eigenenbei gleichzeitiger Abwertung des Anderen (Sumner, 1906). Damit etab-liert der Ethnozentrismus eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, die mitder Abwertung des scheinbar Fremden dessen Diskriminierung und Ver-
folgung zu legitimieren sucht. Solche Ideologien werden von Individuengeuert, doch kommt durch sie mehr als nur individuelle Meinung zumAusdruck.
Als individuelle Meinung sind sie eine Provokation, aber vor allem eineHerausforderung fr demokratische Gesellschaften. Denn dem rechtsex-tremen Vorurteil beispielsweise Juden oder Muslimen gegenber soll de-ren Diskriminierung auf dem Schritt folgen; diese Meinung der Einzelnenist keine Privatangelegenheit vielmehr soll sie Konsequenzen haben.
Und weil sich Ideologien der Ungleichwertigkeit nicht nur mit Aggressiongegen Individuen richten, sondern weil sie immer auch mit dem Ziel derDurchsetzung von autoritren, antidemokratischen Gesellschaftsstruktu-ren einhergehen, bedrohen sie das demokratische Miteinander und denformalen Bestand der Demokratie selbst. Das ist der Grund fr die gro-e Relevanz, die die Gesellschaftswissenschaften der Auseinandersetzungmit individuellen Vorurteilen beimessen.
Die rechtsextreme Ideologie ist aber noch in einem anderen Sinne
mehr als eine individuelle Meinung. Denn auch wenn zunchst die Indivi-duen mit ihren Einstellungen im Mittelpunkt der sozialwissenschaftlichen
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1. Autoritre Dynamiken: Ergebnisse der bisherigen Mitte-Studien
ist kein Verstehen, sondern ein Erleiden, fr das der sozialisierte MenschEntschdigung sucht. Der Preis, mit der fr die Unterwerfung unter eineAutoritt bezahlt wird, ist die Identifikation mit dieser Autoritt; die Psy-
choanalyse bezeichnet das als Identifikation mit dem Aggressor. Weil erstark ist, kann er Unterwerfung fordern, whrend die Identifikation mitseiner Strke dem Unterlegenen zur Teilhabe an dieser Gewalt verhilft.
Frher wurde diese Unterwerfung durch krperliche Zchtigung er-zwungen, heute durch sublimere Techniken. Alles, was vermittelt, wiewenig es um das Wnschen des Einzelnen und wie stark es stattdessenum das Funktionieren des Ganzen geht, kann die autoritre Identifika-tion herbeifhren (Decker et al., 2012). Je strker sich die Gesellschaft
mit Macht gegen die Interessen der Individuen durchsetzt, desto strkerwird die Ambivalenz der Individuen gegenber der Gesellschaft sein. Dieautoritre Aggression speist sich aus der tief sitzenden Quelle der eige-nen Anpassung unter Zwang. Wer sein eigenes Leben nicht leben konnte,hasst auch das Leben der anderen.
Die Wendung vom Veralten des autoritren Charakters besagt dem-entsprechend auch nicht, dass der autoritre Charakter nicht mehr existie-ren wrde (Decker, 2010). Zwar ist unstrittig, dass in der bundesdeutschen
Gesellschaft seit den 1960er- und 1970er-Jahren ein ungeheurer Emanzi-pationsschub stattgefunden hat, mit dem die Individuen aus vielfachenautoritren Strukturen freigesetzt wurden. Seither steht zum Beispiel Ho-mosexualitt nicht mehr unter Strafe, und der Ehemann kann den Ar-beitsvertrag seiner Frau nicht mehr ohne ihre Einwilligung kndigen. Seitim Jahr 2000 das elterliche Zchtigungsrecht abgeschafft wurde, gilt auchfr Kinder das Menschenrecht auf krperliche Unversehrtheit. Mit dernderung des Staatsbrgerrechts im selben Jahr wurde auch die Idee ei-
ner durch Abstammung bestimmten Zugehrigkeit zur bundesdeutschenGesellschaft aufgegeben.
Diese Liste liee sich noch lange fortsetzen. Aber bereits jetzt ist klargeworden, dass vieles besser geworden ist und dass heute mit deutlichmehr Recht von einer offenen Gesellschaft gesprochen werden kann, alszu der Zeit, als dieser Begriff geprgt wurde (Popper, 1958). Und dochweist die Identifikation mit Gre und Macht auf die autoritre Dyna-mik hin, die die Gesellschaft weiterhin durchzieht. Ist die Autoritt zurzeit
auch keine Person, kein Fhrer, der als autoritres Ideal vieler die autori-tre Masse konstituiert ganz ohne sie funktioniert auch die Gegenwarts-
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1. Autoritre Dynamiken: Ergebnisse der bisherigen Mitte-Studien
einer trkischen Familie in Solingen mit fnf Todesopfern. 1996 starbenbei einem Brandanschlag auf eine Unterkunft von Asylbewerbern in L-beck zehn Menschen, darunter sieben Kinder. Lange Zeit blieb die offen-
sive Auseinandersetzung mit den Ursachen dieses grassierenden Hassesund der Gewalt aus. Die oftmals den Protagonisten autoritrer Gewaltzugeschriebene Sorge um den eigenen Wohlstand oder die Angst vordem Fremden waren jedenfalls nicht Ursache der Pogrome, denn sie wa-ren sichtlich nicht von Verunsicherung, sondern von Aggression getra-gen. Ihre Quelle konnte jedem aufmerksamen Zeitzeugen auffallen undkommt angesichts einer anderen Wanderungsbewegung schlagartig zuBewusstsein: Von 1989 bis 1993 wanderten fast drei Millionen sogenann-
te Russlanddeutsche aus dem Gebiet der damaligen Sowjetunion nachDeutschland ein. Dass die eine Wanderungsbewegung absorbiert wurdewie von einem Schwamm, die andere aber massiven Hass auslste, dashtte schon damals alarmieren mssen. Hier zeigten sich erste Hinweiseauf die weite Verbreitung des ethnozentrisch-vlkischen Denkens.
Blieb auch die Auseinandersetzung mit den Ursachen aus, zwangendennoch die fortgesetzten Brandanschlge zum Handeln. Im Jahr 2000wurde nach dem Brandanschlag auf die Dsseldorfer Synagoge vom da-
maligen Bundeskanzler Gerhard Schrder der Aufstand der Anstndi-gen ausgerufen. Der richtete sich nicht nur gegen die rechtsextremenAttentate, sondern sollte diejenigen untersttzen, die fr eine demokrati-sche Gesellschaft stritten. Diese Reaktion tat not. Die Mitte-Studien ha-ben frh die rechtsextreme, autoritre und antidemokratische Einstellungweiter Teile der Bevlkerung dokumentiert. Zwar konnten rechtsextremeParteien dieses Whler/innenpotenzial lange Jahre nicht fr sich gewin-nen, aber das Problem war nicht mehr zu verleugnen. Die Mitte, so
der titelgebende Befund, war nicht der Schutzraum der Demokratie, son-dern aus ihr kann ein groes antidemokratisches Potenzial erwachsen. DieStrkung der Zivilgesellschaft war das Ziel der von der Bundesregierungim Jahr 2000 ausgerufenen Programme. Wenn man diejenigen strkt, diefr ein demokratisches Miteinander eintreten, wenn man ihren ProjektenSichtbarkeit verschafft, so die berlegung, dann grbt man der extremenRechten das Wasser ab. Seitdem ist eine Normverschiebung in der Bun-desrepublik auszumachen. So verzeichneten wir zwischen 2012 und 2014
erstmals eine rapide Abnahme der Auslnderfeindlichkeit, die sicherlichdurch andere Faktoren verstrkt wurde. Das Argument der Ntzlichkeit
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1. Autoritre Dynamiken: Ergebnisse der bisherigen Mitte-Studien
sichtbar. Normative Rollen und die Sanktion ihrer Verletzung erscheinenmanchem rckblickend nicht mehr als enges Korsett, sondern als Verspre-chen eines Exoskeletts. Das ist eine klare Rckprojektion und hat mit der
Realitt etwa der 1950er-Jahre wenig gemeinsam. Aber so wird pltzlichwieder aufgewhlt, was schon lange abgesunken schien. Rassistische Po-grome setzen sich ber die Jahre fort, wie etwa in Mgeln (Schellenberg,2015). Dass dabei immer fter vom Volk die Rede ist, legt eine spezifischdeutsche Frbung frei. Dieser Volksbegriff hat viel mehr mit den rassis-tischen Wurzeln des vlkischen Denkens gemein, als das neue Staatsbr-gerrecht erkennen lsst. Wenn ein Autor wie Thilo Sarrazin Deutschlandschafft sich ab titelt, ist diese Behauptung rassisch-eugenisch grundiert.
Wenn sich eine Bewegung Patriotische Europer gegen die Islamisierungdes Abendlandes nennt, ruft sie einen vlkisch-rassischen Hintergrundauf, namentlich den von Oswald Spengler und Richard Darr. Sie mssendiese Hintergrnde nicht einmal im Detail kennen, um doch entsprechendzu handeln.
Es ist somit kein Wunder mehr, dass die Zahl der Brandanschlge aufFlchtlingsheime seit 2014 rasant angestiegen ist. Auf mehr als 100 Hu-ser wurden Brandanschlge verbt, mehr als 1.000 wurden Ziel von At-
tentaten. Der sachsen-anhaltinische Ort Trglitz kann als Przedenzfalldienen. Hier brannte im Jahr 2015 ein Haus vllig aus, das fr die Unter-bringung von Flchtlingen vorbereitet worden war, nachdem unter Be-teiligung von NPD-Kadern wochenlang Demonstrationen auch gegendie Zivilgesellschaft organisiert worden waren. Weil aber der ganze OrtTrglitz berhaupt erst im Nationalsozialismus als Mustersiedlung gebautwurde, tritt in seiner Topografie die enge Verbindung von Idyll und Ras-senwahn offen wie selten zutage (Decker et al., 2016). Doch sind heute die
politische Einstellung und das Handeln vieler von denselben alten vlki-schen Motiven getragen.
Man darf sich nicht vom Gestus derer irritieren lassen, die sich im-mer lauter Gehr zu verschaffen suchen. Ob der NPD-Kader vor derFernsehkamera oder der Pegida-Demonstrant in der Innenstadt, beideimponieren sich im ersten Moment wahrscheinlich selbst als Rebell gegendie Autoritt. Auch von auen scheint auf sie zunchst die Beschreibungdes autoritren Charakters nicht zu passen, richtet sich ihr Hass doch ge-
gen die Reprsentanten der Demokratie, jene von ihnen so benanntenVolksverrter. Was dabei in Vergessenheit gert, ist, dass der autoritre
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hohe Anteil von rechtsextrem Eingestellten, die unsere Studienreihe seitJahren dokumentiert, formiert sich verstrkt als politischer Akteur undradikalisiert sich gleichzeitig. Damit geht die Abwendung der rechtsextrem
Eingestellten von den demokratischen Parteien einher. Was der NPDin der Vergangenheit nicht gelang, zeichnet sich nun ab: Die AfD kanndieses Whler/innenpotenzial fr sich mobilisieren. Ausgehend von derFrage nach den politischen Motiven der Pegida-Bewegung werden derenAnhnger in Kapitel 5 untersucht. Das Resultat: Der wichtigste Einfluss-faktor fr die Befrwortung von Pegida oder hnlichen Gruppierungenist die rechtsextreme Einstellung. Alle anderen Faktoren, die wir in dieUntersuchung einflieen lieen, hatten kaum oder keinen Einfluss auf die
Sympathie mit den Zielen dieser Bewegungen. Der erste Teil des Buches,der die empirische Analyse vorstellt, wird durch die Beschreibung der Ein-stellung gegenber unbegleiteten Flchtlingen abgeschlossen, welche PaulL. PlenerundJrg M. Fegertvornehmen.
Wie schon in der Mitte-Studie 2014 umfasst der zweite Teil Beitrgezum Zustand der Zivilgesellschaft. Die empirischen Befunde unserer dies-jhrigen Mitte-Studie werden vertieft mit dem Aufsatz von Alexander
Huslerzur Position der AfD in der Flchtlingsdebatte und der von Thor-sten Mense,Frank Schubertund Gregor Wiedemannvorgenommen Analyse desVerhltnisses von Pegida und Neuer Rechter. Obwohl der im Aufsatz vonTimo Reinfrank und Anna Brausam dokumentierte Anstieg der Attentateauf Flchtlingsheime das gewaltvolle Potenzial der Neuen Rechten sehrdeutlich vor Augen fhrt, bleiben die Reaktionen des Rechtsstaats verhal-ten. Die Beitrge von Kati Langund Jan Schedlerzeigen, welch geringemVerfolgungsdruck politisch motivierte Gewalt von rechts ausgesetzt ist.
Sowohl die Erfassung von rechten Straftaten als auch ihre Strafverfolgung,so wird deutlich, ist im Alltag dringend zu verbessern. Auch wird sichtbar,wie ambivalent das Gericht in einem der wichtigsten Verfahren gegen derRechtsterrorismus dem NSU-Prozess agiert.
Insgesamt ist eine deutliche Vernderung der politischen Kultur zu regis-trieren. Die Strkung der Zivilgesellschaft hat auch die demokratischenMilieus in den letzten Jahren strker gemacht. Gleichzeig haben sich aber
die antidemokratischen Milieus als politische Akteure gefunden. Im Rck-blick, so erscheint es heute, werden vergangene Autoritt sowie die Nor-
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2. DIEMITTE-STUDIE2016: METHODE,ERGEBNISSEUNDLANGZEITVERLAUF
Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
In diesem Kapitel wird zuerst das methodische Vorgehen der Mitte-Stu-die 2016 erlutert, danach werden die Ergebnisse dargestellt. Auf Grund-lage der bisherigen Mitte-Studien der Universitt Leipzig wird auerdemder Verlauf der rechtsextremen und antidemokratischen Einstellung inDeutschland seit 2002 untersucht.
METHODE
Die Mitte-Studien sind Reprsentativerhebungen, die im Zweijahres-rhythmus die rechtsextreme Einstellung in Deutschland erfassen. Eineausfhrliche Darstellung des methodischen Vorgehens ist in der Publika-tion Rechtsextremismus der Mitte(Decker et al., 2015) enthalten. Im Folgen-den soll das Vorgehen fr die Erhebungswelle 2016 beschrieben werden.
Die Fragebgen
Fr die Mitte-Studie 2016 wurden verschiedene Fragebgen zusammen-gestellt. Im Zentrum stand wieder der Leipziger Fragebogen zur rechts-extremen Einstellung (FR-LF), der seit Beginn der Untersuchungsreihe2002 eingesetzt wird. Er erfasst die rechtsextreme Einstellung auf sechsDimensionen: Befrwortung einer rechtsautoritren Diktatur, Chauvi-nismus, Auslnderfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und
Verharmlosung des Nationalsozialismus (Decker et al., 2013a). Zu jederDimension wurden den Befragten drei Aussagen vorgelegt, die sie jeweils
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einschtzen sollten (vgl. die Grafiken 1 bis 6). Dafr stand eine fnfstufigeSkala zur Verfgung, mit der die Aussage von lehne voll und ganz ab(Wert = 1) bis zu stimme voll und ganz zu (Wert = 5) bewertet werden
konnten. Auf dieser Likert-Skala bedeuten hhere Antwortwerte hhereZustimmung.
Neben diesem Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung wurden,wie schon in den frheren Erhebungswellen, verschiedene zustzliche In-strumente eingesetzt, um mehr ber Zusammenhnge zwischen rechts-extremen Einstellungen und anderen Konstrukten zu erfahren. So wur-den politische Einstellungen mit einem Fragebogen zum Autoritarismuserhoben (Beierlein et al., 2014). Die verwendeten Fragen zur Verschw-
rungsmentalitt (Imhof & Decker, 2013) bilden zustzlich die klassischeantidemokratische und autoritre Orientierung ab (Adorno et al., 1950).Darber hinaus wurden Fragen zur gruppenbezogenen Menschenfeind-lichkeit gestellt (Heitmeyer, 2012), konkret zur Bereitschaft, Muslime, Sintiund Roma, Flchtlinge und Homosexuelle abzuwerten. Ein Fragebogengalt der sexistischen Einstellung: sowohl dem klassischen als auch demmodernen Sexismus (Endrikat, 2003). Um die Sicht der Befragten aufdie Legitimation des politischen Systems der Bundesrepublik Deutsch-
land zu erfassen, wurden Fragen zur Akzeptanz der Demokratie gestellt.Zustzlich wurden Fragebgen zum Beispiel zur Einschtzung der politi-schen und sozialen Deprivation und der wirtschaftlichen Lage (individuellund national) eingesetzt. Auch das Vertrauen in Verfassungs- und gesell-schaftliche Institutionen, wie etwa in das Bundesverfassungsgericht unddie Parlamente, wurde erfasst.
Als Verhaltenskomponente wurde die Befrwortung von Gewalt alsMittel der Durchsetzung von Interessen erhoben. Mit sechs Items einer
Kurzskala wurde sowohl die Akzeptanz von Gewalt als auch die Verhal-tensbereitschaft zu Gewalt erfasst (Ulbrich-Herrmann, 1995). Ulbrich-Herrmann definiert gewaltbefrwortende Einstellungen wie folgt: phy-sische Gewalt (wird) gutgeheien oder als Normalitt im Umgang vonMenschen erachtet und ist messbar ber Items, in denen krperlicheGewalt direkt thematisiert und eine diesbezgliche Einstellung erfatwird (Ulbrich-Herrmann, 1998, S. 59).
Der fr die Studie final verwendete schriftliche Fragebogen bestand aus
zwei Teilen. Der erste Teil, der gemeinsam mit dem Interviewer ausgeflltwurde, bezog sich auf die soziodemografischen Angaben zur Zielperson
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
und zum Haushalt nach den demografischen Standards des statistischenBundesamtes. Hierzu gehrten auch die Links-rechts-Selbsteinschtzung,die Angabe der eigenen Religiositt, die Gewerkschaftsmitgliedschaft und
der Migrationshintergrund. Danach wurde den Befragten der zweite Teildes Fragebogens bergeben. Dieser sollte aus Diskretionsgrnden eigen-stndig beantwortet werden. Der Interviewer stand bei Schwierigkeitenallerdings beratend zur Verfgung.
Die Reprsentativerhebung
Die Mitte-Studien basieren auf reprsentativen Umfragen. Im zweijh-
rigen Rhythmus werden seit 2002 zwischen 2.000 und 5.000 Probandenbefragt1. Je grer die Stichprobe ist, desto geringer ist die Fehlerwahr-scheinlichkeit. Das wichtigste Merkmal einer reprsentativen Erhebung istallerdings, dass jedes relevante soziodemografische Merkmal in der Be-vlkerung die gleiche Chance hat, in die Stichprobe einzugehen. Daherist das wesentliche Kriterium die Ziehung einer Zufallsstichprobe (Preinet al., 1994). Wie in den vorherigen Mitte-Studien wurde auch 2016 dasMeinungsforschungsinstitut USUMA mit der Durchfhrung beauftragt.
Die Arbeitsgemeinschaft ADM-Stichproben F2F (Face-to-Face, mnd-lich-persnlich), deren Mitglied USUMA ist, stellt einen Auswahlrahmenzur Verfgung, um reprsentative Stichproben der Privathaushalte undder darin wohnenden Personen zu erstellen. Das ADM-Stichprobensys-tem F2F ist eine Flchenstichprobe, die das gesamte bewohnte Gebiet derBRD umfasst. Es basiert auf der Gemeindegliederung der Bundesrepub-lik, den intrakommunalen Gebietsgliederungen, die mit kommunalstatisti-schen Daten hinterlegt sind, und den fr die Navigationssysteme erstellten
elektronischen Regionaleinteilungen.Diese Flchen wurden in der ersten Auswahlstufe regional geschich-
tet nach Kreisen und BIK-Typen, sodass sie insgesamt auf rund 1.500Regionalschichten aufgeteilt wurden. Anschlieend wurden 128 Netzeproportional zur Verteilung der Privathaushalte gezogen bestehend aus210 Auswahlflchen in den alten und 48 in den neuen Bundeslndern.Um dabei die Schichtungseffekte voll nutzen zu knnen, ohne die Zufalls-auswahl zu durchbrechen, wurden diese Netze nach dem von L. H. Cox
1 Zwischen 2006 und 2012 bestand eine Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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entwickelten Verfahren der Zufallsallokation mit Proportion zur Greder Nachkommastellen realisiert. Da eine Flche jeweils nur fr ein Netzgezogen wird, sind die 128 Netze berschneidungsfrei; wegen der Cox-
Allokation knnen sie auerdem beliebig miteinander kombiniert werden.In der zweiten Auswahlstufe erfolgte innerhalb dieser regionalen Flchendie Auswahl der Zielhaushalte nach dem Random-Route-Verfahren. In-nerhalb jeder regionalen Flche wurde eine Startadresse ein Sample-Point und eine Schrittweite fr die Zufallsauswahl der Haushalte vor-gegeben. Der Interviewer musste dazu alle Klingelschilder bis zu einerbestimmten Anzahl nach festgelegter Schrittweite und einer vorgegebenenRandom-Route-Begehungsvorschrift auflisten.
Bei dieser Studie war die konkrete Vorgabe, ausgehend von der Start-adresse jeden dritten Haushalt aufzulisten, bis 19 gltige Adressen in Pri-vathaushalten pro Sample-Point identifiziert waren. In der dritten Aus-wahlstufe der Zufallsauswahl wurde schlielich eine Person im Haushaltausgewhlt. Bei 258 Sample-Points wurden also insgesamt 4.902 Haushal-te fr die Befragung ausgewhlt und in diesen jeweils eine Person. Die rea-lisierte Rcklaufquote betrug 49,4%: Am Ende konnten 2.420 Probandenbefragt werden. Ausflle beinhalten insbesondere das Nichtantreffen der
Zielperson, aber auch die Verweigerung des Interviews durch die Zielper-son. Im Vergleich zu Telefonbefragungen erreicht das von uns verwendeteFace-to-Face-Verfahren das persnliche Gesprch im Haushalt des Be-fragten sehr hohe Rcklaufquoten. Die Beschreibung der Stichprobe istTabelle 1 zu entnehmen.
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Tabelle 1: Soziodemograsche Beschreibung der Stichprobe(nur deutsche Staatsangehrige, 1493 Jahre)
Gesamtgruppe(N= 2.420)
Alter in Jahren Mittelwert 49,13
Standardabweichung 18,2
absolut in %
Altersgruppen bis 24 Jahre 266 11,0
25 34 Jahre 346 14,3
35 44 Jahre 347 14,3
45 54 Jahre 467 19,3
55 64 Jahre 450 18,6
65 74 Jahre 328 13,6
ab 75 Jahre 216 8,9
Geschlecht mnnlich 1.082 44,7
weiblich 1.338 55,3
Familienstand verheiratet/zusammenlebend 985 40,8
verheiratet/getrennt lebend 51 2,1
ledig 745 30,9
geschieden 378 15,7
verwitwet 255 10,6
Partnerschaft ja (leben in Partnerschaft) 1.255 52,6
nein (leben ohne Partnerschaft) 1.129 47,4
Schulabschluss ohne Schulabschluss 49 2,0Hauptschule /8. Klasse 733 30,3
Mittlere Reife/Realschule 783 32,4
POS/10. Klasse 188 7,8
Fachschule 82 3,4
Abitur/o. abgeschl. Studium 277 11,5
abgeschl. Hochschul-/FHS-Studium
233 9,6
Schler(in) einer allg. Schule 73 3,0
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
Fortsetzung Tabelle 1
absolut in %
Berufsttigkeit Vollzeit mit 35 h/Woche 977 40,7
Teilzeit mit 15 35 h/Woche 287 12,0
Teilzeit mit 15 h/Woche 60 2,5
Freiwilligendienst oderMutterschutz / Erziehungsurlaub
19 0,8
arbeitslos/0-Kurzarbeit 134 5,6
in Rente/Vorruhestand 639 26,6
nicht berufsttig/Hausmann/Hausfrau 80 3,3
in Berufsausbildung 56 2,3
in Schulausbildung 148 6,2
Haushaltsein-
kommen/Monat
weniger als 750 100 4,3
750 bis < 1.250 336 14,4
1.250 bis < 2.000 642 27,5
2.000 bis < 3.500 873 37,4
ab 3.500 386 16,5
Kirchen-
zugehrigkeit
nein 697 28,9
ja 1.712 71,1
Ostdeutsche 503 20,8
Westdeutsche 1.917 79,2
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
DIE ERGEBNISSEDE RMITTE-STUDIE2016 RECHTSEXTREMEEINSTELLUNG IN DEUTSCHLAND
Der Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung in der Leipziger Formist seit 2002 das Kernelement der Mitte-Studien. Er beruht auf einerDefinition, die 2001 auf der Konsensuskonferenz zur Entwicklung eineseinheitlichen Messinstruments gefunden wurde und die die rechtsextremeEinstellung als mehrdimensionales Weltbild beschreibt:
Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendesKennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese uernsich im politischen Bereich in der Affinitt zu diktatorischen Regierungs-
formen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw.Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie ge-kennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinisti-sche Einstellungen. (Decker & Brhler, 2006)
Insgesamt werden den Befragten 18 Fragen vorgelegt zu jeder der sechsDimensionen drei Fragen. Eine ausfhrliche Beschreibung und teststa-tistische Analyse des Fragebogens, auch bezglich des Zusammenhangszwischen den Dimensionen, findet sich in Decker et al. (2013).
In Tabelle 2 wird zunchst das Antwortverhalten der Befragten fr dieeinzelnen Fragen der Dimensionen dargestellt. Die Abstufungen von 1(lehne voll und ganz ab) bis 5 (stimme voll und ganz zu) auf derLikert-Skala bedeuten je Schritt eine grere Zustimmung. Die Antwortteils/teils (3) ermglicht zwar den Befragten, sich nicht festzulegen, gibtaber dennoch einen Hinweis auf eine hhere Ausprgung des jeweiligenVorurteils als die Ablehnung (1/2). Wer beispielsweise eine antisemitischeAussage mit teils/teils einschtzt, ist nicht frei von Vorurteilen gegen-ber Juden/Jdinnen.
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
Tabelle 2: Der Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung Zustimmung auf Item-Ebene (in %)
Rechtsextremismus lehnevllig
ab
lehneber-
wiegendab
stimmeteilszu,
teilsnichtzu
stimmeber
-
wiegendzu
stimmevoll
undganzzu
01 Im nationalen Interesse ist unter bestimmtenUmstnden eine Diktatur die bessere Staats-form.
60,5 15,2 17,6 4,9 1,8
02 Ohne Judenvernichtung wrde man Hitlerheute als groen Staatsmann ansehen.
61,6 18,2 14,5 4,2 1,5
03 Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzigestarke Partei, die die Volksgemeinschaftinsgesamt verkrpert.
37,9 17,0 23,2 14,7 7,2
04 Wir sollten einen Fhrer haben, der Deutsch-land zum Wohle aller mit starker Hand regiert.
56,8 17,9 14,7 7,4 3,2
05 Wie in der Natur sollte sich in der Gesellschaftimmer der Strkere durchsetzen.
49,6 22,6 19,4 6,6 1,8
06 Die Auslnder kommen nur hierher, um
unseren Sozialstaat auszunutzen.
18,2 15,5 34,2 20,4 11,7
07 Auch heute noch ist der Einuss der Judenzu gro.
44,3 23,7 21,1 8,4 2,6
08 Wir sollten endlich wieder Mut zu einemstarken Nationalgefhl haben.
20,6 14,9 29,1 22,8 12,6
09 Eigentlich sind die Deutschen anderen Vlkernvon Natur aus berlegen.
47,9 19,5 20,7 9,6 2,4
10 Wenn Arbeitspltze knapp werden, sollteman die Auslnder wieder in ihre Heimat
zurckschicken.
26,8 19,7 27,4 15,1 11,0
11 Die Verbrechen des Nationalsozialismus sindin der Geschichtsschreibung weit bertriebenworden.
56,7 21,1 15,8 5,1 1,3
12 Was unser Land heute braucht, ist ein hartesund energisches Durchsetzen deutscherInteressen gegenber dem Ausland.
28,1 16,9 28,8 17,8 8,4
13 Die Juden arbeiten mehr als andere Menschenmit blen Tricks, um das zu erreichen, was siewollen.
51,0 20,6 18,9 8,1 1,4
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Fortsetzung Tabelle 2
lehnevllig
ab
lehneber-
wiegendab
stimmeteilszu,
teilsnichtz
u
stimmeber-
wiegendzu
stimmevoll
undganzzu
14 Das oberste Ziel der deutschen Politik solltees sein, Deutschland die Macht und Geltungzu verschaffen, die ihm zusteht.
32,3 18,9 26,9 15,5 6,4
15 Es gibt wertvolles und unwertes Leben. 65,2 11,6 13,7 6,7 2,8
16 Die Bundesrepublik ist durch die vielenAuslnder in einem gefhrlichen Maberfremdet.
22,4 16,1 27,7 20,6 13,3
17 Die Juden haben einfach etwas Besonderesund Eigentmliches an sich und passen nichtso recht zu uns.
50,6 21,7 18,1 7,8 1,9
18 Der Nationalsozialismus hatte auch seineguten Seiten.
52,2 18,9 20,5 6,5 1,9
Die folgenden sechs Grafiken zeigen die Zustimmungswerte fr alle dreiFragen der jeweiligen Dimension. Dazu wurden fr jede Frage die Ant-worten stimme berwiegend zu und stimme voll und ganz zu zusam-mengefasst. Die Prozentangaben beziehen sich nur auf diese Werte.
Grafik 1 stellt die Zustimmungswerte fr die Dimension Befrwor-tung einer rechtsautoritren Diktatur dar. 13,8% der Befragten in Ost-deutschland und 4,8% derer in Westdeutschland stimmten der Aussage zu,dass unter bestimmten Umstnden eine Diktatur die bessere Staatsform
wre. Dies ist ein bemerkenswerter Unterschied, der sich in den beidenfolgenden Fragen weit abgeschwchter zeigt. 12,8% im Osten und 10%im Westen wnschen sich einen Fhrer, der zum Wohle aller durchregiert;25,5% (Ost) und 21% (West) wollen eine einzige starke Partei, welche dieVolksgemeinschaft insgesamt verkrpert. Mit dieser Dimension wird einElement rechtsextremer Einstellung abgefragt, das deutlich antidemokra-tisch ist, denn alle Aussagen richten sich gegen die Aushandlung verschie-dener Interessen. Die Begriffe Diktatur, Fhrer und Volksgemein-
schaft sind zudem Signalwrter fr eine vlkische und antidemokratischeIdeologie.
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
Grak 1: Befrwortung einer rechtsautoritren Diktatur 2016
6,7
10,6
21,9
13,812,8
25,5
4,8
10
21
0
5
10
15
20
25
30
Im nationalen Interesse ist unter
bestimmten Umstnden eine
Diktatur die bessere Staatsform.
Wir sollten einen Fhrer haben,
der Deutschland zum Wohle
aller mit starker Hand regiert.
Was Deutschland jetzt braucht,
ist eine einzige starke Partei,
die die Volksgemeinschaft
insgesamt verkrpert.
Zustimmungin%
gesamt Ost West
In Grafik 2 sind die Zustimmungswerte zur Dimension Chauvinismus
abgebildet. Jeder dritte Befragte findet, dass die Deutschen endlich wie-der Mut zu einem starken Nationalgefhl haben sollten. Damit wird dasBedrfnis nach Identifikation mit der Nation ausgedrckt und das Fehleneiner solchen Identifikation postuliert. Etwas mehr als jeder Vierte denkt,deutsche Interessen sollten gegenber dem Ausland hart und energischdurchgesetzt werden. Weniger Zustimmung erhlt die dritte Aussage, dassdie deutsche Politik alles daransetzen msse, Deutschland die Macht undGeltung zu verschaffen, die ihm zusteht. Diese Dimension erfasst einen
nach auen gerichteten, aggressiven Nationalismus mit einer Aufwertungund berbewertung der eigenen Nation.
Steht mit der Dimension Chauvinismus die Aufwertung der Eigen-gruppe (z.B. der Deutschen oder der Nation) im Zentrum, beschreibt dieDimension Auslnderfeindlichkeit die Abwertung von Fremdgruppen,hier der Auslnder. Chauvinismus und Auslnderfeindlichkeit hngen inder Regel eng zusammen, d.h. wer die Eigengruppe berbewertet, tendiert
auch zur Abwertung von Fremden (Decker et al., 2013a).
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Grak 2: Chauvinismus 2016
35,4
26,2
22
31,9
27,3
21,6
36,4
25,9
22
0
5
10
15
20
25
30
35
40
Wir sollten endlich wieder
Mut zu einem starken
Nationalgefhl haben.
Was unser Land heute braucht,
ist ein hartes und energisches
Durchsetzen deutscher Interessen
gegenber dem Ausland.
Das oberste Ziel deutscher Politik
sollte es sein, Deutschland die
Macht und Geltung zu
verschaffen, die ihm zusteht.
Zustimmungin%
gesamt Ost West
Wie in den Vorjahren (zu den Vernderungen im Zeitverlauf siehe Kap. 2)
ist die Auslnderfeindlichkeit im Osten strker ausgeprgt als im Westen(Grafik 3). Fast 40% der Befragten in Ostdeutschland stimmen der Aus-sage zu, Auslnder kmen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszu-nutzen. In Westdeutschland liegt die Zustimmung mit 30,4% allerdingsebenfalls auf einem sehr hohen Niveau. Mehr als jeder vierte Befragte inGesamtdeutschland findet, man solle bei Arbeitsplatzmangel die Ausln-der wieder in ihre Heimat zurckschicken. Jeder Dritte ist der Ansicht,die Bundesrepublik sei durch die vielen Auslnder in einem gefhrlichen
Mae berfremdet. Wieder bilden die Fragen klassisch rechtsextremePositionen ab: den Topos der Ausnutzung des Sozialstaats oder die Idee,Arbeit msse zuerst fr Deutsche (wie immer diese abgegrenzt werdenwrden) da sein, aber auch der Begriff der berfremdung. Offenbar ver-fgen sie ber ein sehr hohes Zustimmungspotenzial.
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
Grak 3: Auslnderfeindlichkeit 2016
32,1
26,1
33,838,5
29
35,2
30,4
25,3
33,5
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
Die Auslnder kommen nur
hierher, um unseren
Sozialstaat auszunutzen.
Wenn Arbeitspltze knapp
werden, sollte man die Auslnder
wieder in ihre Heimat
zurckschicken.
Die Bundesrepublik ist durch die
vielen Auslnder in einem
gefhrlichen Ma berfremdet.
Zustimmungin%
gesamt Ost West
Auch der Antisemitismus ist eine Form der Konstruktion und Abwer-
tung einer als fremd wahrgenommenen Gruppe. Grafik 4 zeigt die rela-tiv gleichmige Zustimmung zu den drei Aussagen dieser Dimension.10,9% der Befragten denken, der Einfluss von Juden/Jdinnen sei heutenoch zu gro ein klassisch antisemitisches Stereotyp ber den angeblichprivilegierten Zugang von Juden zur Macht. 9,5% schreiben Juden/J-dinnen das Arbeiten mit blen Tricks zu; ein etwa ebenso groer Anteildenkt, jdische Menschen htten etwas Besonderes und Eigentmlichesan sich und grenzt sich so kategorisch von jdischen Mitbrgerinnen und
Mitbrgern ab.
Die Zustimmung zur Dimension Sozialdarwinismus wird in Grafik 5dargestellt. 12,2% der Ostdeutschen denken, dass sich in der Gesellschaftwie in der Natur der Strkere durchsetzen solle. In Westdeutschland liegtdie Zustimmung zu dieser Aussage bei 7,3%. Die Aussage, die Deutschenseien anderen Vlkern von Natur aus berlegen hingegen findet in ganzDeutschland 12% Zustimmung (durch die unterschiedliche Gruppen-
gre ergibt sich hier aufgerundet derselbe Wert fr West- und Gesamt-deutschland).
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Grak 4:Antisemitismus 2016
10,9
9,5 9,6
10,7
9,8
8,8
11
9,5 9,9
0
2
4
6
8
10
12
Auch heute noch ist der
Einfluss der Juden zu gro.
Die Juden arbeiten mehr als
andere Menschen mit blen
Tricks, um das zu erreichen,
was sie wollen.
Die Juden haben einfach
etwas Besonderes und
Eigentmliches an sich und
passen nicht so recht zu uns.
Zustimmungin%
gesamt Ost West
Beim Antwortverhalten zur dritten Frage ist die Differenz zwischen Ost
und West wieder auffllig: 12% der Ostdeutschen finden, es gebe wert-volles und unwertes Leben, bei den Westdeutschen sind es 8,9%. DieseAussage und die Postulierung einer natrlichen Ungleichwertigkeit zwi-schen Menschen und Vlkern formuliert die der rechtsextremen Einstel-lung insgesamt zugrunde liegende Ungleichwertigkeitsideologie (siehe dieDefinition der Konsensusgruppe in diesem Kapitel).
Grafik 6 gibt die Zustimmungswerte zur letzten Dimension, der Ver-
harmlosung des Nationalsozialismus, wieder. Fast 6% der Deutschenstimmen der Aussage zu, Hitler wrde ohne Judenvernichtung als gro-er Staatsmann gelten. Etwas mehr Westdeutsche (6,7%) als Ostdeutsche(5,5%) finden, dass die Verbrechen der Nazis in der Geschichtsschrei-bung weit bertrieben worden seien. Auch glauben 8,4% der Deutschen,dass der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten hatte. Insgesamt istdie geschichtsrevisionistische Dimension der Verharmlosung des Natio-nalsozialismus in Westdeutschland etwas deutlicher ausgeprgt.
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
Grak 5: Sozialdarwinismus 2016
8,4
12
9,5
12,2 11,6 12
7,3
12
8,9
0
2
4
6
8
10
12
14
Wie in der Natur sollte sich
in der Gesellschaft immer der
Strkere durchsetzen.
Eigentlich sind die Deutschen
anderen Vlkern von
Natur aus berlegen.
Es gibt wertvolles und
unwertes Leben.
Zustimmungin%
gesamt Ost West
Grak 6: Verharmlosung des Nationalsozialismus 2016
5,76,4
8,4
65,5
7,3
5,7
6,7
8,7
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Ohne Judenvernichtung wrde
man Hitler heute als groen
Staatsmann ansehen.
Die Verbrechen des
Nationalsozialismus sind
in der Geschichtsschreibung
weit bertrieben worden.
Der Nationalsozialismus hatte
auch seine guten Seiten.
Zustimmungin%
gesamt Ost West
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Fr die folgenden Tabellen und Gruppenvergleiche nach soziodemogra-fischen Merkmalen wurden die Antworten je Dimension zusammenge-fasst. Dazu wurde die durchschnittliche Zustimmung zu allen drei Fragen
herangezogen. Die Werte je Dimension sind damit niedriger als bei densoeben vorgestellten einzelnen Aussagen, allerdings kann bei einer Zu-stimmung zu allen drei Aussagen einer Dimension von einer manifestenEinstellung ausgegangen werden.
In Tabelle 3 sind die Dimensionen getrennt nach Ost und West dar-gestellt. Wie in den Grafiken 1 bis 6 gezeigt, gibt es noch immer einigeUnterschiede zwischen den alten und den neuen Bundeslndern. In Ost-deutschland finden die Befrwortung einer rechtsautoritren Diktatur, die
Auslnderfeindlichkeit sowie der Sozialdarwinismus im Vergleich zu West-deutschland hufiger Zustimmung. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen,dass diese drei Dimensionen der rechtsextremen Einstellung auch von vie-len in Westdeutschland als zustimmungsfhig angesehen werden. Beson-ders die Auslnderfeindlichkeit ist in allen Landesteilen stark verbreitet:in manifester Ausprgung (also Zustimmung ber alle drei Fragen) findetsie sich bei 19,8% der Befragten im Westen, bei 22,7% im Osten. DieDimensionen Chauvinismus, Antisemitismus und Verharmlosung des Na-
tionalsozialismus finden in Westdeutschland etwas hhere Zustimmung.Allerdings sind die Unterschiede auch hier nicht bermig gro. Zusam-menfassend lsst sich die Ausprgung rechtsextremer Einstellung in Ostund West als hnlich hoch beschreiben, wobei die Vorurteile in beidenTeilen Deutschlands thematisch unterschiedliche Schwerpunkte haben.
Tabelle 3: Rechtsextreme Einstellung in West- und Ostdeutschland (in %)
gesamt Ost(N= 503)
West(N= 1.917)
Befrwortung Diktatur ** 5,0 7,6 4,3
Chauvinismus 16,7 14,2 17,4
Auslnderfeindlichkeit 20,4 22,7 19,8
Antisemitismus 4,8 4,1 5,0
Sozialdarwinismus * 3,4 5,0 3,0
Verharmlosung Nationalsozialismus 2,1 1,4 2,2
Signikante Unterschiede nach Pearson: *p < .05; **p < .01
-
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
In Tabelle 6 werden die Ergebnisse fr die Altersgruppen getrennt nachWohnort in Ost- bzw. Westdeutschland aufgeschlsselt. Whrend dieGruppe der ostdeutschen 31- bis 60-Jhrigen bei der Auslnderfeindlich-
keit hhere Werte als die Gleichaltrigen in Westdeutschland aufweisen,ist es beim Chauvinismus und der Verharmlosung des Nationalsozia-lismus umgekehrt. Bei den jngeren und lteren Altersgruppen werdendagegen deutlichere Ost-West-Unterschiede sichtbar. In der Gruppe derber 60-Jhrigen erreichen die Westdeutschen in den Dimensionen Chau-vinismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus, Antisemitismus sowieberraschenderweise auch Auslnderfeindlichkeit hhere Werte, die Ost-deutschen in den beiden anderen Dimensionen. In der jngsten Gruppe
(1430 Jahre) sind die Ostdeutschen durchgngig rechtsextremer einge-stellt als die Westdeutschen (vgl. hierzu Decker et al., 2013b).
Tabelle 6: Rechtsextreme Einstellung in Ost- und Westdeutschland inAbhngigkeit vom Alter (in %)
14 30 Jahre1 31 60 Jahre2 ab 61 Jahre3
Befrwortung Diktatur * Ost 8,3 4,4 11,2##
West 3,4 4,9 3,9##
Chauvinismus ** Ost 17,7 12,4 14,6
West 13,1 16,9 21,2
Auslnderfeindlichkeit ** Ost 23,7# 23,8 20,8
West 13,7# 19,2 25,1
Antisemitismus * Ost 4,4 4,0 4,0
West 3,1 4,6 6,9
Sozialdarwinismus Ost 5,2 2,7 7,9#
West 2,6 2,7 3,7#
Verharmlosung
Nationalsozialismus
Ost 3,2 0,4# 1,7
West 2,0 2,3# 2,3
1 Ost: N= 98; West: N= 355 2 Ost: N= 227; West: N= 1.038 3 Ost: N= 178; West: N= 524
Signikante Unterschiede nach Pearson zwischen den Altersgruppen innerhalb von Ost und West:
*p < .05; **p < .01
Signikante Unterschiede nach Pearson zwischen Ost und West innerhalb der jeweiligen Alters-
gruppen: # p < .05; ## p < .01
-
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
Tabelle 7 schlsselt die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen in densechs Dimensionen und nach Erwerbsstatus auf. Fr die Gruppen derer,die sich im Ruhestand oder in Ausbildung befinden, muss zustzlich von
Alterseffekten ausgegangen werden. Es zeigt sich, dass die rechtsextremeEinstellung durchaus in allen Gruppen anzutreffen ist, mit Schwerpunk-ten bei den Erwerbslosen und den Ruhestndlern. Allerdings ist auch diegrte Gruppe, die der Erwerbsttigen, gegen Vorurteile und antidemo-kratische Einstellungen nicht resistent: 5,1% befrworten eine Diktatur,18,4% sind auslnderfeindlich und 3,5% sozialdarwinistisch eingestellt. Indenselben Dimensionen erreichen Arbeitslose, mit 134 Befragten eine nursehr kleine Gruppe, Werte von 8,2%, 25,4% und 1,5%.
Tabelle 7: Rechtsextreme Einstellung in Abhngigkeit vom Erwerbsstatus (in %)
Schul-/Berufsaus-
bildung(N= 223)
Erwerbs-ttige
(N= 1.324)
Arbeits-lose
(N= 134)
Hausfrau/Hausmann
(N= 80)
Ruhe-stand
(N= 639)
Befrwortung Diktatur 1,8 5,1 8,2 5,0 5,4
Chauvinismus 14,2 15,1 18,7 10,0 21,5
Auslnderfeindlichkeit 14,6 18,4 25,4 17,5 25,2
Antisemitismus 1,9 4,6 4,5 5,1 5,8
Sozialdarwinismus 1,8 3,5 1,5 2,5 3,9
Verharmlosung
Nationalsozialismus1,4 2,1 3,7 1,3 2,1
Keine signikanten Unterschiede
In Tabelle 8 ist die Zustimmung zu den Dimensionen rechtsextremer Ein-stellung im Zusammenhang mit der sogenannten Sonntagsfrage darge-stellt. Die Befragten sollten dazu angeben, welche Partei sie whlen wr-den, wenn am nchsten Sonntag Wahlen wren. Nach wie vor binden diebeiden Volksparteien CDU und SPD einige derjenigen, die rechtsextremeEinstellungsmerkmale aufweisen, und auch die eher links der Mitte po-sitionierten Parteien Bndnis 90/Die Grnen und die Linke werden
wenn auch seltener von rechts Eingestellten gewhlt. Die von Personenmit rechtsextremen Einstellungen eindeutig prferierte Partei ist die AfD.
-
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Diese erhlt ber alle Dimensionen hinweg eine weit berdurchschnittlichhohe Zustimmung.
Tabelle 8:Anteil von Personen mit rechtsextremem Einstellungspotenzial unterden Parteiwhlern (in %)
CD
U/CSU(N
=4
27)
SP
D(N
=4
25)
FD
P(N
=5
1)
Grne(N
=1
67)
DieLinke(N
=1
31)
Nichtwhler(N
=3
55)
AfD(N
=1
61)
Pa
rteiwahlunsicher
(N
=1
58)
W
ahlteilnahmeunklar
(N
=5
2)
Befrwortung Diktatur ** 1,7 2,3 2,0 1,8 3,8 8,9 18,1 1,9 2,3
Chauvinismus ** 15,0 14,3 7,9 6,6 8,4 19,9 46,5 9,5 13,9
Auslnderfeindlichkeit ** 14,6 16,6 13,7 7,2 8,4 28,2 52,6 17,1 17,7
Antisemitismus ** 3,3 4,5 3,6 0,8 6,4 16,9 1,9 2,3
Sozialdarwinismus * 3,3 2,6 3,0 3,1 5,2 8,2 1,3 0,6
VerharmlosungNationalsozialismus ** 1,4 1,4 0,8 3,2 8,1 1,3 0,6
Signikante Unterschiede nach Pearson: *p < .05; **p < .01
Wertet man den Zusammenhang zwischen Konfessionszugehrigkeit undrechtsextremer Einstellung aus (Tab. 9), erreichen die Konfessionslosendie niedrigsten und die Katholiken die hchsten Werte. Grundstzlichtrifft aber auf die evangelische und katholische Kirchenzugehrigkeit
die Spiegelthese zu, nmlich dass die Einstellungen dieser Gruppen dieEinstellungen reflektieren, die auch in der Gesamtgesellschaft anzutreffensind (vgl. Tab. 3).
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Tabelle 9:Rechtsextreme Einstellung in Abhngigkeit von derKirchenzugehrigkeit (in %)
evangelisch(N= 832) katholisch
(N= 774) keine Konfession(N= 697)
Befrwortung Diktatur 4,1 6,0 4,2
Chauvinismus 17,5 18,7 14,4
Auslnderfeindlichkeit * 21,0 22,7 18,7
Antisemitismus 4,4 5,5 3,8
Sozialdarwinismus 3,3 3,4 3,1
Verharmlosung Nationalsozialismus** 0,9 3,7 1,5
Signikante Unterschiede nach Pearson: *p < .05; **p < .01; Differenz: andere
Stellt man die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft mit rechtsextremerEinstellung in Zusammenhang, so ergeben sich signifikante Unterschiedefr Auslnderfeindlichkeit und die Befrwortung einer rechtsautoritrenDiktatur. Wie in Tabelle 10 erkennbar scheint die Mitgliedschaft in einerGewerkschaft allerdings ebenso wie die Konfessionszugehrigkeit keinMerkmal zu sein, in dem sich Rechtsextreme grundstzlich unterscheiden.
Tabelle 10:Rechtsextreme Einstellung in Abhngigkeit von der Mitgliedschaft ineiner Gewerkschaft (in %)
Gewerkschaftsmitglied(N= 264)
keinGewerkschaftsmitglied
(N= 2.136)
Befrwortung Diktatur * 7,6 4,7
Chauvinismus 19,4 16,4
Auslnderfeindlichkeit * 25,0 19,8
Antisemitismus 4,2 4,8
Sozialdarwinismus 3,4 3,4
Verharmlosung Nationalsozialismus 3,0 1,9
Signikante Unterschiede nach Pearson: *p < .05; Differenz: fehlende Angaben
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
DIERECHTSEXTREME EINSTELLUNGIMZEITVERLAUFVON2002BIS2016
Im Folgenden werden die Vernderungen der Zustimmung im Zeitver-
lauf von 2002 bis 2016 fr die einzelnen Dimensionen rechtsextremerEinstellung beschrieben. Die Zustimmung in der Dimension Befrwor-tung einer rechtsautoritren Diktatur ist fr Gesamtdeutschland nacheinem tendenziellen Rckgang (Tiefstwert 3,5% im Jahr 2012) ber denUntersuchungszeitraum in diesem Jahr wieder leicht angestiegen auf nun5% (Grafik 7). Auch wenn die Zustimmung in Ostdeutschland fast durch-gngig hher ist, verluft die Entwicklung in Ost und West parallel.
Grak 7:Befrwortung einer rechtsautoritren Diktatur 20022016 (in %)
7,7
6,4
4,8
3,7
5,1
3,5 3,6
5
8,9
6,3 6,5
5,6
6,8
5,4 5,6
7,6
6,5 6,3
4,43,2
4,6
3 3,1
4,3
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
Anders verluft die Kurve beim Chauvinismus: Nachdem er in den Jah-ren 2008 bis 2014 in Ostdeutschland hhere Zustimmung erfuhr, ist ernun wieder in Westdeutschland strker zustimmungsfhig (Grafik 8). Liesich die Entwicklung 2008 bis 2012 als Krisenfolge deuten (Decker et al.,2013c, 2015), so ist nun eine gewisse Normalisierung, aber kein allgemei-ner Rckgang eingetreten: Eher schwankt der Wert fr Gesamtdeutsch-land im langjhrigen Vergleich mit Tiefpunkten 2008 und 2014, dem aber
in diesem Jahr wieder ein Anstieg folgt.
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Grak 8: Chauvinismus 20022016 (in %)
18,319 19,3
14,9
19,3 19,4
13,6
16,7
15,7 15,9 16,1
17,1
19,8
23,5
15,8
14,2
20,819,9 20,1
14,3
19,218,4
13
17,4
0
5
10
15
20
25
2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
Fr die Auslnderfeindlichkeit (Grafik 9) wurde bis 2012 ein massiver
Anstieg in Ostdeutschland verzeichnet. In der Erhebungswelle 2014 gingdie Zustimmung zu auslnderfeindlichen Aussagen stark zurck und bliebauch 2016 auf einem nur geringfgig hheren Niveau als in Westdeutsch-land. Die allgemeine, generalisierte Abwertung von Auslndern liegtdamit etwas unter dem Niveau der Anfangsjahre dieser Zeitreihe, wobeidie Werte in Westdeutschland offensichtlich stabiler als in Ostdeutschlandsind.
Die Zustimmung zum Antisemitismus ist in der Tendenz insgesamt rck-lufig (Grafik 10). In Westdeutschland ist der entsprechende Wert seit2002 kontinuierlich gesunken, in Ostdeutschland nach einem Anstieg imZeitraum von 2008 bis 2012 etwa auf dem Ausgangsniveau. Antisemiti-sche Vorurteile wurden phasenweise strker mobilisiert als im Jahr 2016,ein Teil der Bevlkerung ist aber konstant bereit, diese zu uern.
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Grak 9: Auslnderfeindlichkeit 20022016 (in %)
26,925,5
26,7
21,224,7 25,1
18,1 20,4
30,2
24,4
30,632,6
35
38,7
22,4
22,723,7
25,5
25,7
18,221,9 21,7
1719,8
0
5
10
15
20
25
30
35
40
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2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
Grak 10: Antisemitismus 20022016 (in %)
9,310
8,49 8,7
8,6
5,14,8
4,8
7
4,2
7,9 7,7
10,4
4,5 4,1
13,8
10,9
9,5 9,38,9
8,2 5,25
0
2
4
6
8
10
12
14
16
2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
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Die Zustimmung zur Dimension Sozialdarwinismus ist im Jahr 2016 inOstdeutschland etwa auf demselben Niveau wie zu Beginn der Zeitrei-he, in Westdeutschland lsst sich ein leichter Rckgang verzeichnen (Gra-
fik 11). Allerdings stieg die Zustimmung von 2014 bis 2016 insgesamtwieder etwas an. Abermals ist der starke Anstieg 2010 und nochmals 2012in Ostdeutschland bemerkenswert und zeigt, dass die rechtsextreme Ein-stellung und ihre Einzeldimensionen oftmals latent vorhanden sind undunter bestimmten Bedingungen mobilisiert werden knnen.
Grak 11: Sozialdarwinismus 20022016 (in %)
5,2
6,4
4,5
3,1
3,94,3
2,9 3,4
5,1
9,3
6,2
1,6
6,2
7,8
4,65
5,3
5,5
43,5
3,4 3,4
2,5
3
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
Schlielich stellt Grafik 12 den Zeitverlauf fr die Dimension Verharm-losung des Nationalsozialismus dar. In Westdeutschland zeigt sich, voneinem im Vergleich hheren Niveau kommend, ein kontinuierlicher Rck-gang. In Ostdeutschland ist die Zustimmung im Verlauf unregelmig mitSpitzen in den Jahren 2004 und 2012.
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Grak 12: Verharmlosung des Nationalsozialismus 20022016 (in %)
4,1 4,1 4,1
3,2 3,33,1
2,2 2,1
2,8
3,8
2
1
1,8
3,5
1,2
1,4
5,3
4,6 4,6
3,8 3,7
3 2,5
2,2
0
1
2
3
4
5
6
2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
Die Entwicklung der geschlossenen rechtsextremen Einstellung wird in
Grafik 13 gezeigt. Die hier aufgefhrten Befragten stimmten im Durch-schnitt allen sechs Dimensionen der rechtsextremen Einstellung zu. DerAnteil an Menschen mit einem solchen geschlossen rechtsextremen Welt-bild ist in Ostdeutschland in den letzten zwei Jahren leicht angestiegen,whrend in Westdeutschland ein leichter Rckgang zu verzeichnen ist. FrGesamtdeutschland ist seit 2004 eine abnehmende Tendenz geschlossenrechtsextremer Einstellungen mit einer Spitze in 2012 erkennbar.
Zusammenfassend lsst sich festhalten, dass sowohl die rechtsextremeEinstellung als auch die Zustimmungsrate zu ihren einzelnen Dimensio-nen einem Wandel unterliegen, ohne dass sich jedoch eine eindeutigeTendenz ausmachen lsst. In Ostdeutschland sind insbesondere die Aus-lnderfeindlichkeit und der Chauvinismus relativ stabil ausgeprgt. Vorur-teile und Einstellungen knnen latent sein, sind aber etwa in Krisenzeiten(20082010) dort mobilisierbar, wo Deprivationserfahrungen und ideolo-gische Dispositionen vorhanden sind.
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Grak 13: Das geschlossene rechtsextreme Weltbild 20022016 (in %)
9,7 9,88,6 7,6
8,29
5,75,4
8,1 8,3
6,6
7,9
10,5
15,8
7,47,6
11,3
10,19,1
7,5 7,6 7,3
5,2 4,8
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
Anteilin%
gesamt Ost West
In der Mitte-Studie von 2014 wurde der Rckgang der rechtsextremen
Einstellung in der Nachkrisenzeit einerseits mit der Stabilisierung derwirtschaftlichen Lage erklrt (so auch der Titel Die stabilisierte Mitte),andererseits zeigte sich eine Verschiebung der politischen, insbesondereder antidemokratischen und rassistischen Einstellungen. Zwar war dieZustimmung zu rechtsextremen Aussagen zurckgegangen, gleichzei-tig stieg aber die Abwertung von bestimmten Gruppen, namentlich vonMuslimen/Muslimas, von Sinti und Roma sowie von Geflchteten. DieZustimmungsraten zu rechtsextremen Aussagen sind 2016 im Vergleich
zu den Werten von 2014 weitgehend gleichbleibend. Der 2014 erkennbareAnstieg in der Abwertung bestimmter Gruppen lsst sich fr 2016 eben-falls dokumentieren, wie im folgenden Kapitel nher beschrieben wird.
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
GRUPPENBEZOGENEMENSCHENFEINDLICHKEIT, AKZEPTANZDE RDEMOKRATIE, DEPRIVATION, AUTORITARISMUS, GEWALTBEREITSCHAFTUN DSEXISMUS
In allen Erhebungswellen der Leipziger Mitte-Studien wurden weitereFragebgen eingesetzt, um verwandte Konstrukte zu erfassen und An-haltspunkte fr Vernderungen rechtsextremer Einstellungen zu erhalten.In den Jahren 2014 und 2016 war ein Fragebogen darunter, der die Vorur-teile gegenber bestimmten Gruppen misst (vgl. Heitmeyer, 2012). Damitmchten wir das Bild von der sozialen Ebene rechtsextremer Einstellungergnzen, also mehr ber die Ungleichwertigkeitsideologie erfahren, die
sich in der Abwertung bestimmter als fremd konstruierter Gruppen aus-drckt. Neben Fragen zu Muslimen/Muslimas, Sinti und Roma sowieAsylbewerbern/Asylbewerberinnen wurde 2016 auch ein Fragebogen zurAbwertung von Homosexuellen eingesetzt. Diese Fragen konnten aufeiner vierstufigen Skala beantwortet werden, d.h. die Antwortkategorieteils/teils war hier nicht vorgesehen. Die folgenden Prozentangabenbeziehen sich auf die beiden als Zustimmung zu wertenden Antwortmg-lichkeiten. Die Ergebnisse sind in Tabelle 11 zusammengefasst.
Die Islamfeindschaft hat im Vergleich zu 2014 stark zugenommen.Ziehen wir Vergleichswerte der Studien von Wilhelm Heitmeyer (2012)heran, wird ein deutlicher Trend in Richtung zunehmender Islamfeind-schaft sichtbar. Jeder und jede Zweite gab 2016 an, sich wie ein Fremderim eigenen Land zu fhlen, ber 40% wollen Muslimen/Muslimas dieZuwanderung nach Deutschland untersagen.
Die Abwertung von Sinti und Roma hat im Vergleich zu 2014 leichtzugenommen. 57,8% der Befragten gaben an, dass sie ein Problem damit
htten, wenn Sinti und Roma in ihrer Nhe wohnen wrden. Rund dieHlfte der Befragten stimmen der Aussage zu, Sinti und Roma sollten ausden Innenstdten verbannt werden und 58,5% glauben, Sinti und Romawrden zu Kriminalitt neigen.
Die Ablehnung von Asylbewerbern/Asylbewerberinnen hat von 2014bis 2016 ebenfalls zugenommen. Grozgigkeit bei der Prfung von Asyl-antrgen fordern nur 20% der Befragten, 80% lehnen diese Aussage ab,2014 lag dieser Wert bei 76%. Auerdem sind fast 60% der Meinung, dass
die Mehrzahl der Asylbewerber nicht wirklich verfolgt werden wrdenund demnach unrechtmig um Asyl ersuchen.
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
Schlielich wurde auch die Haltung zu Homosexuellen erhoben. 40%der Befragten stimmten der Aussage zu, es sei ekelhaft, wenn sich Ho-mosexuelle in der ffentlichkeit kssen und fast 25% finden Homosexu-
alitt unmoralisch, also jeder bzw. jede Vierte. Schlielich denken 36,2%der Befragten, dass Ehen zwischen Frauen bzw. zwischen Mnnern nichterlaubt sein sollten. Im Vergleich zu den Werten von Heitmeyer (Heit-meyer, 2012) sind die Werte von 2016 deutlich hher. Hingewiesen sei hierallerdings auf eine Einschrnkung in der Vergleichbarkeit dieser Studien:Die Bielefelder Studiengruppe um Wilhelm Heitmeyer hatte Telefoninter-views durchgefhrt, whrend die Mitte-Studien auf Face-to-Face-Befra-gungen beruht (siehe Kap. 2).
Tabelle 11: Abwertung von Muslimen, Sinti, Roma, Asylbewerbern undHomosexuellen; Prozentsatz derjenigen, die den Aussagen eher oder voll undganz zugestimmt haben
Islamfeindschaft 2009* 2010* 2011* 2014 2016
Muslimen sollte die Zuwanderungnach Deutschland untersagt werden.
21,4 26,1 22,6 36,6 41,4
Durch die vielen Muslime hier fhleich mich manchmal wie ein Fremderim eigenen Land.
32,2 38,9 30,2 43,0 50,0
Antiziganismus
Ich htte Probleme damit, wenn sichSinti und Roma in meiner Gegendaufhalten.
40,1 55,4 57,8
Sinti und Roma sollten aus denInnenstdten verbannt werden.
27,7 47,1 49,6
Sinti und Roma neigen zurKriminalitt.
44,2 55,9 58,5
Abwertung von Asylbewerbern
Bei der Prfung von Asylantrgensollte der Staat nicht grozgig sein.
25,8 76,0 80,9
Die meisten Asylbewerber befrchtennicht wirklich, in ihrem Heimatlandverfolgt zu werden.
46,7 55,3 59,9
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Fortsetzung Tabelle 11
Abwertung von Homosexuellen 2009* 2010* 2011* 2014 2016
Es ist ekelhaft, wenn Homosexuellesich in der ffentlichkeit kssen.
27,8 26,1 25,3 20,3** 40,1
Homosexualitt ist unmoralisch. 15,7 16,3 15,8 11,6** 24,8
Ehen zwischen zwei Frauen bzw.zwischen zwei Mnnern sollten nichterlaubt sein.
29,4 25,3 21,1 36,2
* Daten fr die Jahre 20092011 aus Heitmeyer (2012, S. 3840);
** Daten fr 2014 aus Zick & Klein (2014, S. 68)
Wie in den Vorjahren wurden auch 2016 Fragebgen eingesetzt, die dieAkzeptanz der Demokratie, die politische, soziale und wirtschaftliche De-privation, den Autoritarismus, die Gewaltbereitschaft und den Sexismusmessen. Die Akzeptanz der Demokratie wurde wie bisher mit den folgen-den drei Items in die Untersuchung aufgenommen: Stimmt der oder dieBefragte der Demokratie als Idee, der Demokratie, wie in der Verfas-sung festgelegt und der Demokratie wie sie in der BRD funktioniert zu?Die Demokratie als Idee die ohnehin mit ber 90% Zustimmung inder Bevlkerung einen starken Rckhalt hat wird 2016 von den Befrag-ten noch besser bewertet als 2014 (Grafik 14). Auerdem hat die Zustim-mung in Ostdeutschland mit der in Westdeutschland ber die Jahre gleich-gezogen. Unter Demokratie werden allerdings in der politischen Theorieund in der Bevlkerung sehr unterschiedliche Konzepte subsumiert.
Die Zufriedenheit mit der Demokratie wie in der Verfassung festgelegtist ber den Zeitraum der Erhebung fr Gesamtdeutschland relativ stabilgeblieben (Grafik 15). Der leichte Aufwrtstrend wird von der steigen-den Zustimmung in Ostdeutschland getragen: Von 57,2% im Jahr 2006zeigt sich ein deutlicher Zugewinn auf 72,5% im Jahr 2016. Damit lie-gen die Ostdeutschen nur noch knapp unter dem westdeutschen Niveauvon 76,7%. Die Demokratie in Form der bundesrepublikanischen Ver-fassungsnorm erfhrt insgesamt allerdings weniger Zustimmung als dieabstrakte Idee der Demokratie.
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Grak 14: Zustimmung zur Demokratie als Idee 20062016 (in %)
94,5
93,2
94,9
91,3
94,2
92
88,4
92,192,9
95,194,5
95,5
90,9
84
86
88
90
92
94
96
98
2006 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
Grak 15: Zustimmung zur Demokratie wie sie in der Verfassung festgelegt ist
20062016 (in %)
71,2 73,678,5
75,5 75,8
57,2 55,370,3 70,8
72,5
74,878,4
80,576,7 76,7
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
2006 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Die Zustimmung zur Demokratie wie sie in der Bundesrepublik funktio-niert liegt im Jahr 2016 bei 52% (Grafik 16). Zwar ist dieser Wert weitausgeringer als die beiden vorherigen Items, aber ber die Jahre lsst sich, ins-
besondere fr Ostdeutschland, zumindest ein positiver Trend beobachten.Nach wie vor ist in Ostdeutschland die Zustimmung um 10% niedriger alsin Westdeutschland. Je konkreter es um das demokratische System geht,desto zurckhaltender und ablehnender uern sich die Befragten also.Einerseits kann dies als fehlende Identifikation mit der Demokratie ge-lesen werden, andererseits aber auch als Chance, da die offenbar positivbesetzte Norm der Demokratie als gemeinsamer Fixpunkt dienen kann.
Grak 16: Zustimmung zur Demokratie wie sie in der BundesrepublikDeutschland funktioniert 20062016 (in %)
46 46,150,6
54,9 52
27,3
32,134
46,844,3
50,8 49,8
54,857
54,1
0
10
20
30
40
50
60
2006 2010 2012 2014 2016
gesamt Ost West
Ebenfalls gemessen wurden die politische und die soziale Deprivation.Tabelle 12 gibt Auskunft ber die politische (Leute wie ich haben sowiesokeinen Einfluss darauf, was die Regierung tut, Ich halte es fr sinnlos,mich politisch zu engagieren) und soziale (In meiner unmittelbaren Um-gebung gibt es nicht gengend Menschen, die mich so nehmen, wie ichbin, In meiner unmittelbaren Umgebung fhle ich mich nicht wohl und
sicher.) Deprivation. Beide Dimensionen wurden als Einflussfaktoren frrechtsextreme Einstellungen identifiziert (Decker & Brhler, 2006), das
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Oliver Decker, Johannes Kiess, Eva Eggers & Elmar Brhler
heit, dass sich hinter einer antidemokratischen Einstellung hufig (an-haltende) Frustration mit dem politischen System verbirgt und dass einerechtsextreme Einstellung oftmals mit sozialer Isolation einhergeht. In
beiden Dimensionen wurden im Jahr 2016 hnlich hohe Werte wie 2012gemessen (vgl. Decker et al., 2013b), 2014 wurden diese Fragen nicht miterhoben. Nur 27,2% der Befragten verneinen die Aussage, selbst keinenEinfluss auf das Regierungshandeln zu haben nur dieses Viertel empfin-det sich also als einflussreich. Weiterhin sehen nur 40% politisches Enga-gement als sinnvoll an, whrend die Mehrheit von 60% keinen Sinn darinsieht. Diese hohe Frustration weist auf ein massives Teilhabedefizit hin.Bei der sozialen Deprivation fallen die Ergebnisse weniger offensichtlich
aus, dennoch fhlen sich 16,6% von ihrer Umgebung nicht angenommen,14,4% nicht sicher und wohl.
Tabelle 12: Soziale und politische Deprivation Zustimmung auf Item-Ebene (in %)
Deprivation trifftberhaupt
nichtzu
tr
iffteher
nichtzu
tr
iffteherzu
tr
ifftvoll
undganzzu
Leute wie ich haben sowieso keinen Einuss darauf, was
die Regierung tut.7,2 20,1 38,6 34,1
Ich halte es fr sinnlos, mich politisch zu engagieren. 13,0 27,0 33,6 26,4
In meiner unmittelbaren Umgebung gibt es nicht
gengend Menschen, die mich so nehmen, wie ich bin.50,4 33,0 13,4 3,2
In meiner unmittelbaren Umgebung fhle ich mich nicht
wohl und sicher.59,6 26,0 10,1 4,3
Die wirtschaftliche Deprivation in ihren unterschiedlichen Varianten (sub-jektiv und objektiv, individuell und kollektiv) gilt als einer der grundlegendenErklrungsfaktoren fr antidemokratische und rassistische Einstellungen(Pettigrew, 2001; Rippl & Baier, 2005; Decker et al., 2013c, 2015). Tabelle 13gibt die Werte fr die vier Items zur Messung der wirtschaftlichen Depriva-tion wieder. Mit 51,6% beurteilt ber die Hlfte der Befragten die heutige
wirtschaftliche Lage in Deutschland als sehr gut oder gut, weitere 35,5%antworten mit teils/teils und nur 10% beurteilen die Lage als schlecht oder
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
sehr schlecht. Ein hnliches Bild zeigt sich bei der Einschtzung der eigenenwirtschaftlichen Lage. Was die konomischen Zukunftsprognosen betrifft,verschiebt sich das Bild: Nur noch etwa jeder Zehnte sieht seine eigene
Situation und die Deutschlands in einem Jahr optimistisch.
Tabelle 13: Einschtzungen zur wirtschaftlichen Lage Zustimmung auf Item-Ebene (in %)
wirtschaftliche Lage sehrgut
gut
teilsgut/
teilsschlecht
schlecht
sehrschlecht
Wie beurteilen Sie ganz allgemein die heutige
wirtschaftliche Lage in Deutschland?8,8 42,8 35,5 7,6 2,4
Und Ihre eigene wirtschaftliche Lage heute? 5,5 47,8 32,2 8,6 4,1
Was glauben Sie, wie wird die wirtschaftliche
Lage in Deutschland in einem Jahr sein?0,3 7,4 47,6 28,7 8,5
Und wie wird Ihre eigene wirtschaftliche Lage in
einem Jahr sein?1,7 11,4 62,4 11,3 3,8
Die Zustimmung zur Antwort wei nicht ist hier nicht mit aufgefhrt.
In der diesjhrigen Erhebung wurde auch wieder ein Fragebogen einge-setzt, der die drei Dimensionen des Autoritarismus abbildet: die autoritreAggression, die autoritre Unterwrfigkeit und den Konventionalismus(Beierlein et al., 2014). Eine groe Mehrheit ist der Ansicht, man sollegegen Unruhestifter durchgreifen und ihnen zeigen, dass sie unerwnschtseien. 40,9% stimmen dieser Aussage voll und ganz zu, 26,6% ziemlich
(Tab. 14). Weniger Zustimmung erfhrt die Dimension der autoritrenUnterwrfigkeit, die mit der Aussage gemessen wurde, dass wichtige Ent-scheidungen Fhrungspersonen vorbehalten sein sollten. 6,8% stimmtenihr voll und ganz, 16,3% ziemlich zu; immerhin 31,4% stimmen nochetwas zu. In der letzten Dimension, dem Konventionalismus, bezog sichdie vorgelegte Aussage darauf, ob Bewhrtes vor Infragestellung geschtztwerden solle. 38,6% bejahten das voll und ganz oder ziemlich, 34,3%etwas. Insgesamt zeigt sich damit eine starke Orientierung fr Sicherheit
und gegen Unruhestifter, womit Gefahren fr die gesellschaftliche Sta-bilitt gleichzeitig personifiziert und externalisiert werden.
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Tabelle 14: Autoritarismus Zustimmung auf Item-Ebene (in %)
Autoritarismus stimmega
nz
undgarnichtzu
stimmewe
nig
zu
stimmeetwas
zu
stimme
ziemlichzu
stimmevo
llund
ganzzu
Unruhestifter sollten deutlich zu spren
bekommen, dass sie in der Gesellschaft
unerwnscht sind.
5,8 7,5 19,3 26,6 40,9
Menschen sollten wichtige Entscheidungen in
der Gesellschaft Fhrungspersonen berlassen.18,0 27,5 31,4 16,3 6,8
Bewhrte Verhaltensweisen sollten nicht inFrage gestellt werden.
9,3 17,8 34,3 25,1 13,5
Im Zeitverlauf erweist sich die autoritre Einstellung als uerst bestndig(Tab. 15). Das ist nicht berraschend, handelt es sich beim Autoritaris-mus doch in der Tradition der Autoritarismusforschung von Horkheimer,Fromm und Marcuse (1936; Adorno et al., 1950) ber Altemeyer (1988)bis heute um ein Konstrukt, das Persnlichkeitsmerkmale misst, die auf
frhe Sozialisationsphasen zurckgehen und deshalb als relativ stabilgelten. In den bisherigen Erhebungen (2006, 2012 und 2014) wurde einFragebogen eingesetzt, der nur die zwei Dimensionen erfasste: autoritreAggression und autoritre Unterwrfigkeit (Schmidt et al., 1995). In deraktuellen Erhebung kam nun ein Fragebogen zum Einsatz, der drei Di-mensionen des Autoritarismus-Syndroms abbildet: autoritre Aggression,autoritre Unterwrfigkeit und Konventionalismus, jeweils mit einem aus-gewhlten Item (Beierlein et al., 2014). Der Vergleich im Zeitverlauf ist
deshalb nur mit Einschrnkung mglich.
Tabelle 15: Autoritarismus im Zeitverlauf (Zustimmung in % Antwortkategorienstimme voll und ganz zu und stimme ziemlich zu zusammengefasst)
2006 2012 2014 2016
autoritre Aggression 58,8 65,1 52,1 67,5
autoritre Unterwrgkeit 23,5 24,1 19,7 23,1
Konventionalismus - 38,6
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
Tabelle 16 stellt das Antwortverhalten zur Gewaltbereitschaft (Ulbrich-Herrmann, 1995) vor. Fast 20% der Befragten wrden selbst Gewalt ein-setzen, um sich durchzusetzen. Ein noch hherer Prozentsatz von 28,3%
wrde zwar selbst nicht handgreiflich werden, delegiert Gewaltausbungaber gern an andere, die fr Ordnung sorgen sollen. 15,4% haben dieNorm, dass das menschliche Miteinander ohne krperliche Gewalt ab-laufen sollte, nicht verinnerlicht, sondern halten dieses Mittel fr ganznormal.
Tabelle 16:Gewaltbereitschaft Zustimmung auf Item-Ebene (in %)
Gewaltstimmtber-
hauptnicht
stimmtnicht
stimmt
stimmtvoll
undganz
Ich bin bereit, mich mit krperlicher Gewalt gegen
Fremde durchzusetzen.54,7 25,7 15,5 4,1
Ich wrde selbst nie krperliche Gewalt anwenden.
Aber ich nde es gut, wenn es Leute gibt, die auf
diese Weise fr Ordnung sorgen.
41,8 29,9 21,7 6,6
Krperliche Gewalt gegen andere gehrt ganz
normal zum menschlichen Verhalten, um sich
durchzusetzen.
52,4 32,2 13,5 1,9
Ich bin in bestimmten Situationen durchaus bereit,
auch krperliche Gewalt anzuwenden, um meine
Interessen durchzusetzen.
54,3 26,5 16,7 2,6
Man muss leider zu Gewalt greifen, weil man nur
so beachtet wird.64,6 25,4 8,6 1,4
Selber wrde ich nie Gewalt anwenden. Aber esist schon gut, dass es Leute gibt, die mal ihre
Fuste sprechen lassen, wenns anders nicht mehr
weitergeht.
47,4 29,0 19,7 3,9
Sexismus, der auch in modernen Gesellschaften noch weitverbreitet ist,ist eine Form des Vorurteils und somit auch Bestandteil einer Ungleich-wertigkeitsideologie. Der klassische Sexismus beschrnkt Frauen auf die
Rolle der Ehefrau, Hausfrau, Mutter und Karrierehelferin (Endrikat,2003, S. 122). Dabei werden hufig biologistisch begrndete Passivitt
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und bersteigerte Emotionalitt unterstellt. Klassischer oder offenerSexismus (Benokraitis & Feagin, 1995) beinhaltet darber hinaus denGlauben an die Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts gegenber
dem mnnlichen sowie schlielich die Untersttzung herkmmlicher Ge-schlechterrollen bzw. die Ausgrenzung von Frauen, die nichttraditionelleRollen bernehmen (Eckes & Six-Materna, 1998, S. 225). Moderner Se-xismus ist dagegen durch die Leugnung der Diskriminierung von Frauencharakterisiert (Endrikat, 2003, S. 123). Politische Anstrengungen zu mehrGleichberechtigung werden mithin als Angriff auf Etabliertenrechte undals Begnstigung von Frauen verurteilt.
Der 2016 verwendete Fragebogen mit zwei Items pro Dimension baut
auf Endrikat (2003) auf, welche insgesamt sechs Items verwendet. Diebeiden ersten Items (Tab. 17) zeigen, dass etwa die Hlfte der Befragtendie Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft und im Beruf leug-net oder nicht zur Kenntnis nimmt. Der moderne Sexismus ist demnachweitaus hufiger als der traditionelle Sexismus, den nur etwa jeder Fnftevertritt.
Tabelle 17: Sexismus Zustimmung auf Item-Ebene (in %)
Sexismusstimmtber-
hauptnicht
stimmteher
nicht
stimmt
stimmtvoll
undganz
Die Diskriminierung von Frauen ist in Deutschland
immer noch ein Problem.14,0 37,4 36,9 11,7
Die jetzige Beschftigungspolitik benachteiligt die
Frauen.10,3 34,8 42,0 12,9
Die Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle der
Ehefrau und Mutter besinnen.41,2 37,0 18,2 3,7
Fr eine Frau sollte es wichtiger sein, ihrem Mann
bei seiner Karriere zu helfen, als selbst Karriere zu
machen.
50,3 32,6 14,5 2,6
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
DAS VERTRAUEN IN DI EINSTITUTIONEN, DI EVERSCHWRUNGS-MENTALITT, DI EE INSTELLUNG ZU DE NMEDIENUN DZU RPEGIDA-BEWEGUNG
Das Erstarken von rechtsextremen Organisationen, Parteien und Bewe-gungen wird ber Deutschland hinaus mit Effekten der Globalisierung,der Durchsetzung neoliberaler Ideologie in immer mehr Gesellschaftsbe-reichen und einem Rckgang politischer Legitimation in Zusammenhanggebracht (Kriesi et al., 2006; Della Porta, 2015). Das klassische Argumentvon Jrgen Habermas (1973) lautet, dass das politische System unter derVorstellung stndig steigender Renditeerwartungen (also Kostendruck)
immer weniger in der Lage sei, politische Legitimation in Form von Teil-habe und Teilnahme an der Gesellschaft zu produzieren (Decker & Kiess,2013). Dies uert sich unter anderem in zunehmender Distanz der Men-schen zu politischen Parteien (Neugebauer, 2007) und schwindendemVertrauen in politische und gesellschaftliche Institutionen, denen unterden Bedingungen der Globalisierung nicht mehr zugetraut wird, die eige-nen Sicherheitsbedrfnisse zu befriedigen.
Tabelle 18 zeigt das geuerte Vertrauen gegenber einer Reihe von
Organisationen und Einrichtungen. Die Polizei geniet demnach nochvor dem Bundesverfassungsgericht das hchste Vertrauen. Nur 14%misstrauen der Polizei, 65,5% schenken ihr Vertrauen. Sind es beim Bun-desverfassungsgericht noch immerhin 63,5%, so vertrauen der Justiz nurmehr 54% der Befragten. Dem ffentlich-rechtlichen Rundfunk, den Ta-ges- und Wochenzeitungen sowie der Fernsehberichterstattung vertrauenjeweils um die 50% der Befragten, whrend die sozialen Medien und derprivate Rundfunk nur auf 36% und 35% kommen. Dem Bundestag als In-
stitution vertrauen zwar noch 44,2%, die Parteien aber erhalten mit 23,1%das schlechteste Ergebnis. Die Gewerkschaften kommen auf 41,5%, dieBundesregierung auf 38% und die Kirchen auf 31%. Zwar gibt es durch-aus Vertrauen in einige Institutionen, vor allem in die berparteilichenAkteure Polizei, Bundesverfassungsgericht und Justiz. Aber das wichtigsteElement der Meinungsbildung im parlamentarischen System, die Parteien,wird uerst skeptisch gesehen.
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Tabelle 18: Vertrauen in Einrichtungen und Organisationen (Angaben aufeiner 7-stugen Skala, 13 zusammengefasst zu kein Vertrauen und 57
zusammengefasst zu Vertrauen; Angaben in % auf Item-Ebene)
keinVertrauen teils/teils Vertrauen
Polizei 14,0 20,5 65,5
Bundesverfassungsgericht 15,4 21,1 63,5
Justiz 22,3 23,7 54,0
ffentlich-rechtlicher Rundfunk 21,1 26,7 52,3
Fernsehberichterstattung 23,8 26,3 49,9
Tages-/Wochenzeitungen 24,4 29,3 46,3
Bundestag 28,6 27,2 44,2
Gewerkschaften 29,8 28,8 41,5
Bundesregierung 36,0 26,0 38,0
soziale Medien 34,4 29,6 36,0
privater Rundfunk 31,5 33,6 35,0
Kirchen 42,6 26,3 31,1
politische Parteien 47,7 29,2 23,1
Das Misstrauen in gesellschaftliche Institutionen geht oft mit der Vor-stellung einher, ganz andere Mchte wrden die Geschicke des Landesoder der Welt lenken. Tabelle 19 gibt die Ergebnisse wieder, die mit einem
Fragebogen zur Messung der Akzeptanz von Verschwrungstheorien er-hoben wurden (Imhof & Decker, 2013). Zunchst fllt auf, dass keinesder eingesetzten Items von einer Mehrheit zurckgewiesen wird (bei denItems 3 und 4 ist die umgekehrte Polung zu beachten, d.h. Zustimmungdrckt hier die Ablehnung der Verschwrungstheorie aus). 34% der Be-fragten geben an, die meisten Menschen wren verblendet und wrdendas Ausma der Verschwrungen nicht erkennen, weitere 22,6% whlenhier die Antwortmglichkeit teils/teils. Geheimen Organisationen spre-
chen 38,6% der Befragten groen Einfluss zu und 34,8% halten die Elitenfr Marionetten der dahinterstehenden Mchte. 40,7% betrachten dage-
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2. Die Mitte-Studie in Deutschland 2016
gen die zirkulierenden Verschwrungstheorien als Bldsinn und 23,5%der Befragten sehen auch keinen Grund, Geheimdiensten, Regierungenoder Medien zu misstrauen.
Tabelle 19: Zustimmung zu Verschwrungstheorien (Angaben auf einer 7-stugenSkala, 13 zusammengefasst zu stimme nicht zu und 57 zusammengefasst zu
stimme zu; Angaben in % fr auf Item-Ebene)
stimmenicht zu teils/teils stimme zu
Die meisten Menschen erkennen
nicht, in welchem Ausma unser Leben
durch Verschwrungen bestimmt wird,
die im Geheimen ausgeheckt werden.
43,4 22,6 34,0
Es gibt geheime Organisationen,
die groen Einuss auf politische
Entscheidungen haben.
39,2 22,2 38,6
Die verschiedenen in den Medien
zirkulierenden Verschwrungstheorien
halte ich fr ausgemachten Bldsinn.
37,3 22,0 4