Die Erben der Inkas

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FÜR SIE 23/2010 67 Wolkenkratzer Machu Picchu, die alte Inkastadt, liegt auf über 2000 Metern und wurde im 15. Jahrhundert erbaut REPORTAGE Die Erben der Inkas Modemacherin In der Weberei Awana Kancha bei Pisac stellen Frauen neue Souvenirs her, mit Techniken, die Hunderte Jahre alt sind Touristen aus aller Welt strömen jedes Jahr nach Machu Picchu im Hochland von Peru. Für das Dorf Raqchi ebnen sie so den Weg in eine bessere Zukunft

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Page 1: Die Erben der Inkas

FÜR SIE 23/2010 67

Wolkenkratzer Machu Picchu, diealte Inkastadt, liegtauf über 2000 Meternund wurde im 15.Jahrhundert erbaut

REPORTAGE

Die Erben der Inkas

ModemacherinIn der Weberei Awana

Kancha bei Pisac stellenFrauen neue Souvenirsher, mit Techniken, die

Hunderte Jahre alt sind

Touristen aus aller Welt strömen jedes Jahr nachMachu Picchu im Hochland von Peru. Für das Dorf

Raqchi ebnen sie so den Weg in eine bessere Zukunft

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pels, in dem vor 400 Jahren Inka-GottWiracocha gehuldigt wurde. Die Ruinendienten Martina Mamani in ihrer Kind-heit als Abenteuerspielplatz. „Das da war mein Versteck“, sagt sie unddeutet auf eine Lücke in der Mauer. „Dadurfte niemand außer mir sitzen!“ Bisvor acht Jahren stand an dem Festungsortihr Elternhaus, das heute ein Freilicht-museum ist. „Als die Archäologen ka-men, mussten wir umziehen.“ Auf die Archäologen folgten die Touristen. Vonihnen profitiert Martina Mamanis Dorf.

Lehmhütten für Urlauber Dutzende von Bussen halten jeden Tagauf dem Marktplatz, und Hunderte vonBesuchern bestaunen das Kunsthand-werk, das die Frauen aus Raqchi verkau-fen. Martina Mamani trägt die traditio-nelle Kleidung: einen flachen Hut mitbreiter Krempe, eine bunt bestickte Wes-te zum schwarzen Faltenrock und Le-dersandalen. Ihr fotogenes Outfit ist

kein Zugeständnis an die Touristen. „Ichhabe sechs Jahre in der Stadt gewohntund als Putzfrau in Schnellrestaurantsgearbeitet. Damals trug ich Hosen undT-Shirts “, sagt sie. „Aber dieses Leben warnichts für mich. Ich fühle mich hier inunserer Kleidung und auf dem Land un-serer Vorfahren am wohlsten.“ In Raqchi besitzt Martina Mamani einenkleinen Hof, auf dem sie Mais anpflanzt.In der von einer Glühbirne beleuchtetenKüche hängt neben dem Holzofen ausLehm ein Kalender, darauf ein Bild vonMachu Picchu, der sagenumwobenenStadt der Inkas. „Wer durch Raqchi fährt,

Von Landwirtschaft allein können die Familien im Hochland nicht leben. Zusätzliche Einnahmen aus dem Verkauf von Handarbeiten,wie den Stoffpuppen aus Chinchero, ermöglichen Kindern, weiterführende Schulen zu besuchen und einen Beruf zu erlernen

Endstation Aguas Calientes, beliebter Startpunkt für Machu-Picchu-Ausflüge. Rechts: Marleny Callañaupas und eine Freundin bieten Besuchern heimische Köstlichkeiten an

kommt vom Titicacasee und will nachMachu Picchu oder umgekehrt“, sagtsie. Dass die Reisenden im Dorf Stationmachen, war ihre Idee: Als vor ein paarJahren das Geld für sie und ihre Töchterkaum zum Essen reichte und ihr Mannzum Goldschürfen im Urwald war,schlug sie dem Dorfrat vor, Urlauber inRaqchi aufzunehmen. Einfach so, ohneHotel, als wären Freunde zu Besuch. Dieanderen verstanden zwar nicht, warumreiche Europäer dafür bezahlen würden,in Lehmhäuschen zu übernachten, wa-ren aber einverstanden. Man beschloss,die Einnahmen teils für die Gemeinde

M artina Mamani ist stolz aufihr Heimatdorf: „Nirgendwosonst im Hochland von Perugibt es so feine Webarbeiten,

stabile Töpferware und anständige Män-ner zum Heiraten wie bei uns in Raqchi“,sagt die 38-Jährige. Señora Martina, wiesie in dem 120-Seelen-Dorf genannt wird,verkauft auf dem staubigen Marktplatzihre handbemalten Zuckerdöschen ausTon, ihre Seifenschalen, ihre selbst ge-webten Ponchos. „Und wir haben das bes-te Wetter. Im Winter nicht zu kalt, imSommer nicht zu heiß.“Das fühlbar angenehme Klima auf 3460Meter Höhe wussten schon die Inkas zuschätzen. Sie bauten in Raqchi eine Fes-tung und lagerten in 156 runden Stein-gebäuden, den Qolqas, ihre Vorräte: klei-ne Andenkartoffeln, Mais und Trocken-fleisch. Bereits von der Landstraße aussind beachtliche Mauerreste zu sehen –schwere, ordentlich gereihte Steinqua-der. Sie sind das Fundament eines Tem-

Die Kopfsteingassen von Cusco sind Verkehrsweg und Verkaufsfläche. Rechts:Für Mar ti na Mamani ist Webkunst nicht Folklore, sondern Teil ihrer Identität

Kunsthandwerk, ein Schatz der AndenREPORTAGE

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zeigte sie, wie sie Wolle mit Blättern undgetrockneten Insekten färbt. Bei den Ver-einten Nationen in New York berichtetesie vom Klimawandel in den Anden. „DieWinter werden härter, Wasser fehlt, unddie Sonne brennt stärker“, sagt sie. Auch Martina Mamani spürt die Folgendes Ozonlochs. „Wir brauchen neuer-dings Sonnencreme.“ Sie hat sich eineSchürze umgebunden und rührt in ei-nem gusseisernen Topf über offenemFeuer. Ihre Milchsuppe mit Erbsen, Reisund Quinoa, einem Getreide, das nur imHochland wächst, duftet würzig. Wäh-rend sie für ihre Familie kocht, verkaufteine Freundin auf dem Marktplatz für siemit. Später löst Martina Mamani sie ab.Auch bei der Feldarbeit hilf man einan-der und beim Bewirten der Touristen. „Ayni“, die gegenseitige Hilfe, war bereitsbei den Inkas üblich. „Wir sind ihre Nach-fahren“, sagt Martina Mamani stolz. „DieSpanier konnten uns mit Waffen besie-gen, aber unsere Kultur ist stark.“

KAREN NAUNDORF

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zu verwenden. „Als der erste Gast kam,ein Student aus Italien, standen wir zuzehnt um ihn herum und schauten, obihm das Essen schmeckte“, erinnert sichMartina Mamani. „Inzwischen habenwir mehr Erfahrung.“ Mit dem zusätzlichen Einkommen willsie ihren Töchtern eine bessere Zukunftbieten. Vanesa, 15, möchte Physiothera-peutin werden, die zwei jüngerenSchwestern sind gerade aufs Gymnasi-um in Cusco gekommen. Die Mädchensprechen Quechua, die Sprache der An-denvölker, und Spanisch. Sie wissen, wieman sät, Kühe melkt, Ponchos webt.

„Aber sie sollen die Wahl haben“, sagtMartina Mamani. „Stadt oder Land,Handwerk oder Ausbildung.“

Lamaknochen teilen FädenEine der bekanntesten Weberinnen derRegion Cusco ist Marleny Callañaupa,36. „Ich war zehn und hütete Schafe, dakamen Touristen und wollten mir unbe-dingt einen gewebten Gürtel abkaufen“,sagt sie. „Ich war überrascht, begannaber, mehr herzustellen und auf Besu-cher zuzugehen. Und sie kauften.“ Mitfünfzehn war sie Unternehmerin. Heute arbeiten 35 Frauen bei „Awana-wasi Tokapu“, so heißt Marleny Calla-ñaupas „Webhaus“ auf Quechua. „Wirpflegen Traditionen“, sagt sie. „So hatjede Weberin ihren eigenen Lama -knochen, mit dem sie Fäden teilt. Undwer schwanger ist, darf nicht arbeiten.Schon die Inkas wussten, dass sich dabeidie Nabelschnur verheddern kann.“ Marleny Callañaupa ist über Peru hi-naus bekannt. In Dokumentarfilmen

REPORTAGE

„Wir pflegen Tradition“

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Knuddeltiere Alpakas liefern Wolle. Rechts: Weberin MartinaMamani baut Mais und anderes Getreide an, ihr zweites Standbein

Leuchtstoffe Gefärbt wird mitBlättern und getrockneten Insekten

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