Die Klingende Brücke - AK Projekte Lied des...

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Die Klingende Brücke - AK Projekte Lied des Monats Neblung * November 2012 * Neblung Editorial Kanon: Tod ist ein langer Schlaf Betrachtungen zum Thema Lieder- begleitbogen Erinnerungen an Roswitha Klemisch, André Chademony, Helga Lange Impressum

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Die Klingende Brücke - AK Projekte

Lied des Monats

Neblung * November 2012 * Neblung

Editorial

Kanon: Tod ist ein

langer Schlaf

Betrachtungen zum

Thema

Lieder-

begleitbogen

Erinnerungen an Roswitha Klemisch,

André Chademony,

Helga Lange

Impressum

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Lied des Monats – Heft Nr. 11

Herausgeber:

Arbeitskreis Projekte in der Klingenden Brücke, [email protected]

Redaktion:

Ernst Bockhoff (EBo)– Kalksbecker Weg 145, 48653 Coesfeld; eubotoene@t-

online.de

Gudrun Demski (GD) – Vor der Gemeinde 14, 51580 Reichshof; Gudrun.Raab-

[email protected] – Versand, Bestellungen, Zuschriften; Layout

Sigrid Stadler (SSt)– Dauvemühle 190; 48159 Münster; [email protected]

Illustrationen des vorliegenden Heftes Nr. 11: Gudrun Demski

Satz des Liedblattes und computertechnischer Berater: Franz Fechtelhoff,

Bergisch-Gladbach

Preis: Ein Einzelheft des LieMos kostet € 1,--. Bei Versand kommt das aktuelle

Porto für Büchersendungen dazu. Für 10 Ausgaben bitte € 20,-- überweisen auf

das Konto: Gudrun Demski, Commerzbank, BLZ 30080000, Konto Nr.

0642363200

Alle Beiträge stellen die Meinung des jeweiligen Verfassers bzw. der jeweiligen

Verfasserin dar und sind keine vereinsoffiziellen Äußerungen.

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Liebe Freunde in der Klingenden Brücke!

Auf das allererste Lied des Monats im November 2011 hatten wir eine Menge

lobender und anspornender Zuschriften erhalten, darunter ein besonderes

Glanzlicht: die Anfrage, ob daran gedacht sei, vielleicht auch einmal ein LieMo

zum Thema Tod und Sterben herauszubringen. Dort oben, fast im äußersten

Norden der Klingenden-Brücke-Landkarte, im Liedstudio Lübeck, werde in der

Tradition von Allerheiligen, Volkstrauertag und Totensonntag des Lebensendes

alljährlich im November gedacht.

Angesichts des vielfach tabuisierten Themas wird sicher nicht jedem

einleuchten, dass ich sofort begeistert war. Es gibt ja nur eine Handvoll wirklich

großer – das heißt, die Menschheit seit ewig und überall bewegender – Themen,

und ob es uns gefällt oder nicht, der Tod gehört dazu. Diesen einschneidenden

Bereich des menschlichen Lebens in den Liedern darüber ins Bewusstsein der

Singenden zu rücken, liegt zwar nahe, unterbleibt jedoch sehr oft aus Scheu.

Deshalb bin ich Wolfram Eckloff, dem langjährigen Leiter des Liedstudios

Lübeck, doppelt dankbar: einmal für sein damaliges Angebot an eine Redaktion,

die er noch gar nicht kannte, zum anderen für seinen hier abgedruckten

ausgezeichneten Essay, der in dieser Art, in der Kombination von konkreter

Darstellung und philosophischer Reflexion, wahrscheinlich nur von einem dem

Ethikaspekt des Faches verbundenen Naturwissenschaftler wie ihm geschrieben

werden konnte. Durch die Einteilung der Lieder in verschiedene Kategorien

wird der große Themenkomplex sinnvoll gegliedert und verliert dadurch auch

einen Gutteil seiner Sprödigkeit. Und welche Fülle an Liedern es zum Thema

gibt! – Vielleicht entschließen sich, mit dieser so guten wie gut zu nutzenden

Handhabung im Hintergrund, jetzt auch einmal andere Liedstudios zur

klingenden Behandlung dieses Novemberthemas?

Freiwillig hergegeben hätten wir die drei Freunde, die uns in den vergangenen

Monaten verlassen mussten, gewiss nicht. Aber wir wurden nicht gefragt und

müssen mit dem Trost leben, den wir anderen Trauernden, deren Schmerz uns

nicht so nahe ist, mitempfindend spenden. Passend zum Thema finden sich in

diesem LieMo Erinnerungen an Roswitha Klemisch, André Chademony und

Helga Lange.

Im LieMo Nr. 10 hieß es, die Post erhöhe das Porto im Bereich

„Büchersendung“ nicht. Leider hatte sich die Post da hinterhältig ausgedrückt.

Zwar wird tatsächlich nichts erhöht, jedoch fallen die beiden unteren

Preiskategorien weg. Künftig gehört auf den LieMo-Umschlag € 1,-- Porto.

Nun wünsche ich Euch im Namen des Arbeitskreises Projekte ein rundum gutes,

erfreuliches Jahr 2013!

Gudrun Demski

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Tod ist ein langer Schlaf – (977) II/Deutsch

Tod ist ein langer Schlaf,

Schlaf ist ein kurzer Tod,

der lindert dir, und jener tilgt des Lebens Not!

Tod ist ein langer Schlaf.

In diesem Spruchgedicht des Barockdichters Friedrich von Logau (1605-

1655) begegnen sich Hypnos und Thanatos aus der griechischen

Mythologie auf wundervolle Weise: der Schlaf (Hypnos) ist der Bruder

des Todes (Thanatos) – dieser auf Dauer dem Leben folgend und jener

sich im Leben mit dem Wachsein ablösend. Der Schlaf entbindet uns von

der Herrschaft unseres Wollens und Denkens und steht insofern dem

Tode nahe, welcher seinerseits ja auch volkstümlich mit dem Schlaf

assoziiert wird, so auf Grabsteinen und in Traueranzeigen (der

„Entschlafene“, „eingeschlafen“ sein, im „ewigen Schlaf“…). Kenn-

zeichnend für diesen Spruch ist die schlichte positive Behandlung des

Themas, in dem sowohl der Tod als auch der Schlaf dem Menschen

dienende Mächte sind. Zu seinem Wohl lindert der Schlaf die tägliche

Not des Menschen, und der Tod tilgt sie für immer. Dass hier nur die

Nöte und nicht die Freuden des menschlichen Lebens angesprochen

werden, liegt in der Entstehungszeit des Gedichts um 1638, mitten im

Dreißigjährigen Krieg, begründet – die unsäglichen Leiden der Menschen

durch Krieg und Pestilenzen haben ihren Niederschlag in vielen

Barockgedichten gefunden.

Josef Haydn (1732-1809) vertonte den Spruch zu jenem feierlichen

Kanon, der uns in seiner Ausdruckskraft in der Klingenden Brücke

immer wieder Freude macht.

Wir singen das Lied gern am Totensonntag oder am Volkstrauertag im

Zusammenhang mit vielen anderen Liedern, die sich mit dem Tod

befassen. Deshalb sei hier im größeren Zusammenhang einmal auf die

verschiedenen Facetten eingegangen, die sich in unseren Liedern

widerspiegeln.

Seit Menschengedenken – seit wir Menschen über unser Leben

nachdenken können – ist menschliches Sterben ein Übel und der Tod der

mächtige, oftmals personifizierte Widerpart des Lebens. Wen wundert es

da, dass dieses Lebensfeld eine derart vielfältige Kulturgeschichte bietet,

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die sich natürlich auch und gerade in den Liedern und Gedichten der

Völker abgebildet hat. Es gibt dort den natürlichen wie den gewaltsamen

Tod, den ersehnten, den akzeptierten wie den bekämpften, und ebenso

vielfältig sind die damit verbundenen Einstellungen und Rituale zur

Trauer.

Als Biologe neige ich zu der Feststellung, die Goethe in einem Gespräch

über die Natur (ca. 1884) in die poetischen Worte fasste:

„…Sie spritzt ihre Geschöpfe aus dem Nichts hervor und sagt

ihnen nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen. … Leben ist

ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben

zu haben.“

Wir beobachten den Wandel von Leben und Sterben als selbst-

verständliches Geschehen bei Tieren und Pflanzen und nehmen zur

Kenntnis, dass der zeitlich programmierte Tod des Individuums immer

dem Überleben der Art dient. Wahrscheinlich ist nur uns Menschen der

Tod so bedeutsam, weil unser Denken über ihn hinausgreifen kann und

uns mit der Endgültigkeit dieses Geschehens auch die Einmaligkeit

unseres Lebens bewusst wird.

Dies zu fassen und zu akzeptieren fällt uns schwer. Zu gern hätten wir für

uns eine Ausnahme: Wir kämpfen um Lebensverlängerung um jeden

Preis und retten uns vor dem unausweichlichen Ende schließlich in die

Illusion des Ewigen Lebens, das uns die Religionen in vielfältigen

Variationen versprechen. – Andrerseits: Diese Vision hat sicherlich kein

anderes Lebewesen auf der Erde. Und wenn wir als ihre Ursache unser

vorausschauendes und moralisches Denken ausmachen, dann ist die

Erfindung eines göttlich regierten ewigen Trostreiches sicher eine große

Idee, vielleicht die größte, die der Mensch je gedacht hat.

Doch wie hat sich dieses Denken und die Erfahrung des Todes in den

Liedern niedergeschlagen? Ich möchte im Folgenden – ohne Anspruch

auf Vollständigkeit – einige Kategorien nennen und mit Beispielen

belegen.

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Dem unentrinnbaren Schicksal geweiht

Der Tod erscheint als wohl oder übel akzeptierter Schlusspunkt eines

meist unglücklichen zwingenden Schicksals:

Ach, Himmel es ist verspielt (Vintschgau/Tirol, 1809, Lied-Nr. 1479):

Der gefangene und zum Tode verurteilte Andreas Hofer beklagt in

tiefem Selbstmitleid sein Schicksal. Was ihm bleibt, ist Trost aus

seinem Glauben.

A Redder träd un a Daans mäd a Bai (Friesisch, Lied-Nr. 1336): Eine

schaurige Ballade, in der eine Frau aufgrund einer verleumderischen

Nachrede das Todesurteil ihres eigenen Bruders hinnimmt und das

Lied ihr himmlischen Ausgleich verspricht.

Ave Marie, du selige Frau (Österreich 1916, Lied-Nr. 1513): Junge

Soldaten stehen im Kampf, gebunden durch Gehorsam auf Leben und

Tod.

Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht (deutsch, Lied-Nr.1331): Ein

junges Paar zerbricht auf der Flucht vor der moralisch ablehnenden

Gesellschaft (s.a. LieMo April 2012).

Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus (18.Jh., Lied-Nr. 765): „Und der

uns scheidet, das ist der Tod, ade!“ – Doch zuvor freut man sich des

Lebens miteinander und weiß sich „machen viel Zeitvertreib“,

weshalb dann auch das Scheiden weh tut. In tändelnder Leichtigkeit

wird das Schicksal zwar beklagt aber auch hingenommen.

Oifn forel ligt a kelbl (Jiddisch): In diesem Lied, das 1942 von Jtschak

Katsenelson unter dem Eindruck der Ermordung seiner Familie

geschrieben wurde, wehrt sich das Kälbchen nicht, als es zur

Schlachtbank geführt wird, weil es keinen Einfluss auf die Vorsehung

hat. Bemerkenswert ist die kleine aber bezeichnende Änderung in der

englischen Nachdichtung „On a wagon“, in der Joan Beaz singt:

„…but whoever treasures freedom like the swallow has learned to fly“.

So lunka vi so smoningom (Schwedisch, Lied-Nr. 78): C. M. Belman hält

in launiger Stimmung einer vornehmen Tischgesellschaft bei Hofe den

Spiegel vor, indem er deren Ränkespielen und Angebereien den

unausweichlichen Tod gegenüberstellt.

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Wenn Liebessehnsucht und Liebesschmerz zur

Todesfalle werden

Im Gegensatz zum Tod aus äußerer Ursache wie Krieg, Unfall oder Alter,

steht das Sterben aus unerfüllter Liebe offenbar in der

Eigenverantwortung des Menschen. Doch allzuoft erweist sich „die

Macht der Liebe“ von einer Stärke, dass Vernunft, Vorsicht und

Nachsicht, ja sogar der Überlebenswille vor ihr scheitern. Nicht umsonst

gibt es eine ansehnliche Ratgeberliteratur über Liebeskummer. Und

natürlich ist dieses Sujet Gegenstand nicht nur von Opern und Schlagern,

sondern auch vieler Volkslieder und Balladen:

Es ritt ein Reiter sehr wohlgemut (Aus der Altmark): In vielen Balladen

drückt sich das Band der Liebe dadurch aus, dass der Partner mitstirbt,

wenn er vom Tod des/der Geliebten erfährt. – Ähnlich: In des Gartens

dunkler Laube (aus der Lausitz,19.Jh.).

Fui-te ver stavas lavando (Portugal, Lied-Nr. 1230): Krank vor

Sehnsucht, wird der Tod beschworen, um die Stärke des (lebens-

vollen!) Gefühls zu betonen. In jedem Fado steckt diese saudade =

Melancholie.

O Absalom, my son, my son (Englisch, Lied-Nr. 252): Hier ist es die

Liebe zum eigenen Sohn, welche die ganze Tragik des Geschehens

erzeugt, denn wie anders klänge es, wenn nur ein Feind zu bekämpfen

wäre.

Pobre corazón entristecido (Spanisch/Ecuador, Lied Nr. 1012): Die

Androhung, sich gleich vom Leben zu verabschieden, klingt hier

sprichwörtlich und ist sicher nicht ernstzunehmen; hier hat sie

vielmehr die Bedeutung, die Größe des erlittenen Liebeskummers zu

betonen. – Ähnlich: La rosa enflorece, oy, (Lied-Nr. 9338. Judeo-

Spanisch), Si le Roi m’avait donné Paris (Lied-Nr. 9227, aus Lüttich),

Tengo de subir al puerto (Lied-Nr. 884, Spanien).

She’s like the swallow (Kanada): Ein blumenreich inszeniertes Sterben

vor Liebeskummer.

´s ist alles dunkel, ´s ist alles trübe (Oberhessen): Der verlassene

Liebhaber will sich totsaufen und möchte wenigstens noch die

Liebeskräuter Rosmarin und Thymian auf seinem Grab, „damit ich

was zu riechen hab“ – wie bescheiden er in seinem selbstmitleidigen

Gedankenspiel tut!

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Tu mikrú vorjá parángila (Neugriechisch, Lied-Nr. 9782): Die Liebste

stirbt, und im Abschiedsschmerz werden alle Erinnerungen wach, die

das Leben kostbar machten. Indem der Hinterbliebene dies begreift,

sieht er sich selbst „im Winter angekommen“ und „die Welt wird

immer kleiner“.

Wach auf, wach auf, mein Schatz allein (Westfalen): Nach Absicherung

mit einem Goldringlein zieht der Knabe „in ein fremdes Land“, kehrt

jedoch heim, als er von ihrem Sterben hört. Und sie stirbt tugendhaft,

denn sie ist „eine reine Jungfrau bliebn“. Er verschafft ihr ein

aufwändiges Grab.

Heimatliebe oder Gehorsam, die zum Tode führen

Auch Liebe zur Heimat oder zur Nation kann dem Leben teurer sein als

alles andere. Viele „vaterländische“ Kriegslieder gehören hierhin, aber

auch solche, in denen der Gehorsam stärker wiegt als die Liebe zum

eigenen Leben:

Chubava si, moja goro (Bulgarien, Lied-Nr. 1845): Noch heute sind viele

Bulgaren stolz auf ihre Befreiung von der 500-jährigen osmanischen

Vorherrschaft, die 1877 mit russischer Hilfe gelang. Die Revolution

wurde von den „Scharen“ heimlich in den Wäldern des

Balkangebirges vorbereitet – weshalb der Wald in diesem Gedicht von

Ljuben Karawelov diese schicksalstiefe Bedeutung erhalten hat.

Heimliche Nationalhymne!

Quita la mula rucia (Südspanien, Lied-Nr. 521): Die Trauer gilt dem

Verlassen der Heimat.

Yo quiero que a mi me entierren (Ecuador, Lied-Nr. 9418): „Lehm und

Blut meiner Leute, Sonne meiner Vorfahren“ heißt es da, „zu dir kehre

ich zurück… mit meinem Tod ruhe ich in dir, in deinem geliebten

Staub“.

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Memento mori –

wie wir uns auf das Lebensende vorbereiten

Angesichts der Gewissheit, dass wir sterben müssen (memento mori),

lassen sich sehr unterschiedliche Einstellungen in den Liedern finden:

As I walk‘d out in the streets of Laredo (Engl.-Amerika, Lied-Nr. 55):

Die Anweisungen des jungen Cowboys, der sich seiner Hinrichtung

beugt, wirken wie die Inszenierung einer großen Show, in der er reuig

aber selbstbewusst aus dem Leben scheiden will. – Ähnlich I’ve

travelled the wide world all over (Rosin the beau, Lied Nr. 1066 aus

Schottland).

Da streiten sich die Leut herum (Österreich, Lied-Nr. 1494): Das

„Hobellied“ von Ferdinand Raimund ist wohl das bekannteste Beispiel

für die totale Gelassenheit dem Tod gegenüber. Die Akzeptanz

erfordert nicht einmal irgendeinen Trost.

Elle est à toi, cette chanson (Lied-Nr. 9219): In diesem französischen

Lied von G. Brassens finden wir einen indirekten Zugang zum Tod:

der Arme, Gejagte, Hungernde, der noch dem Spott und der

Verachtung ausgesetzt ist, wirkt reich, wenn er aus dankbarem Herzen

seinen wenigen Wohltätern einen Segen für deren Tod zuspricht.

Es ist ein Schnitter, heißt der Tod (Deutsch 1683, Lied-Nr. 1521): Wie

der Tod als Gottes Diener die schönen Blumen abmäht, so trifft er

auch den Menschen. Doch diesen erwartet ein „himmlischer Garten“,

so dass er sich darauf freuen kann: „Trutz Tod! Ich fürcht dich nicht!“

Gone are the days (Nordamerika, Lied-Nr. 187): Oft finden wir bei alten

Menschen, denen das Leben zu mühsam wurde, dieses Motiv der

Freude auf die kommende Entlastung – hier verbunden mit der Vision

eines freudigen Wiedersehens mit den bereits verstorbenen Freunden,

wie es auch für viele Spirituals typisch ist.

How fondly I gaze on that fast falling leaves (California, Amelia

Alderson Opie, 1803): Herbstlich fallende Blätter weisen auf das

ersehnte Ende hin, das neben dem Schönen vor allem auch die

erlittenen Enttäuschungen und Seelenschmerzen tilgen wird. –

Ähnlich finden wir die Todessehnsucht in dem moderneren Lied Take

me back to my boat on the river von Tommy Shaw (Styx) angedeutet.

Judziet berus, judziet raudus (Lettisch): Der Sterbende verabschiedet sich

von den Eltern und begrüßt die Erdenmutter, die nun den Körper

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behüten soll – schlichter und positiver lässt sich das Sterben kaum

begreifen.

Tzen brider seinen mir gevesen (Jiddisch, Lied-Nr. 579): Hier steht zwar

ein trauriges Ende des Lebens immer wieder bevor, aber es wird

geradezu beschwörend bezwungen durch eine umso intensiver gelebte

– und getanzte – Lebensfreude. Ähnlich aufs Ende gerichtet, obgleich

nur ein Mantel „stirbt“, ist das jiddische Lied: Hob ikh mir a mantl.

Letzte Rose (Irland): Thomas Moore besingt die letzte todgeweihte Rose

in allegorischer Anspielung auf seinen Lebensabend. – Ähnlich:

Wenn’s Mailüfterl weht (Süddeutschland um 1850): Während der

Frühling in der Natur jedes Jahr alles erneut zur Lebensfreude erweckt,

erlebt der Mensch nur einen Frühling und geht auf immer, wenn er

fortgeht.

Formen des Schmerzes – Formen der Trauer

Viele Lieder gehören dem Verarbeiten des Verlustes an, den der Tod für

Hinterbliebene bedeutet. Die Lieder dieser Gruppe sind oft fester

Bestandteil von Trauerritualen und damit auch ein Beispiel, dass das

Singen durch seine entlastende, ablenkende oder solidarisierende

Wirkung zwingend zum menschlichen Leben gehört:

In de hemel is ene dans (Flandrisch, Lied-Nr. 9064): Nach der

Grablegung tanzen Mädchen leidenschaftlich mit dem Sargtuch auf

dem Weg zur Kirche und drücken ihre Verbundenheit und Trauer aus.

Kerá má mamička (Slowakisch, Lied-Nr. 848): Es gehörte zum Schicksal

vieler kleiner unterdrückter Völker, dass die jungen Männer oft auf

ungewisse Zeit zum Militärdienst der Zentralmacht verpflichtet

wurden. Wie in diesem Lied litten oft die Mütter unter der

Fremdbestimmung und der Ungewissheit des Schicksals ihres Kindes.

– Ähnlich: Jede mladik na svem koni (Nr. 1345, Tschechien).

La Petenera se ha muerto (Spanisch, Lied-Nr. 927): Die große

Trauergemeinde wirkt wie ein Fanal des Trostes. Dieser Flamenco ist

ein eindrucksvoller, die gemeinsame Trauer zum lustvollen Genuss

steigernder Gesang.

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The wind doth blow today, my love (England, Lied-Nr. 1049): Trauer

kann auch übertrieben werden, wenn kein Loslassen geschieht. Hier

appelliert der Tote selbst an die Vernunft des Hinterbliebenen und

erbittet sich Ruhe.

Wenn abends roth de Wulken treckt (plattdeutsch): „De Wetfru“ von

Klaus Groth bringt den ganzen Schmerz des Verlassenseins der Witwe

in ein ergreifendes Bild. – So auch die westfälisch-friesische

Totenklage in Ik hebbe fif leve söneken hat (Nr.1412) und das

süddeutsche Lied Den lieben langen Tag hab i nur Not und Plag.

Weitere Kategorien sind denkbar, etwa dazu, wie wir den Gedanken

an den Tod in unser Leben integrieren(Nr. 806: Mem, der komt us Jan

oan!), oder wie man durch theatralische Übertreibung (Nr. 1056, Belman:

Drick ur ditt glas) oder Ironisierung (Nr. 235: Ya se murió el burro) das

Miterleben des Sterbens erträglich macht. Darüber hinaus gibt es Lieder,

in denen nur gestorben wird, um die Wichtigkeit von etwas anderem zu

betonen (z. B. Nr. 1283: Ach, Mann, du sollst zu hause komm'n, Nr.

1546: Als ich ein Junggeselle war (Der Tod von Basel) und Nr. 1291

(bulgarisch): Elenke, elenke).

Wenn ich die Fülle der genannten und noch ungenannten Lieder sowie

die vielen Gedichte über den Tod überschaue, so fasziniert mich die

Vielfalt der Zugänge, die keineswegs einseitig nur das Bedauern und

Trauern über den Verlust des Lebens behandeln. Einige Texte sind

erstaunlich positiv oder gelassen dem Ende oder dem Wandel gewidmet

und bilden für mich die Verinnerlichung eines Standpunkts, der für viele

Menschen, die eine konfessionelle Religiosität hinter sich gelassen haben,

richtungsweisend und tröstend sein kann. Beispiele seien auch hier nur

angedeutet mit Henry Purcell, 1690, Under this stone lies Gabriel John

(Nr. 196), den bekannten Lebensstufen von Hermann Hesse und dem

schönen Gedicht Der römische Brunnen von Conrad F. Meyer, in dem

das von Schale zu Schale überfließende Wasser sich gut als Sinnbild des

Lebens begreifen lässt, das nur im Fließgleichgewicht vorübergehend

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Bestand hat. Abschließen möchte ich mit dem Gedicht Einst von Lulu

von Strauß und Torney, das den Tod aus einem ungewöhnlichen

Blickwinkel betrachtet:

Einst

Und wenn ich längst gestorben bin,

wird meine Erde wieder blühend stehen,

und Saat und Sichel, Schnee und Sommerpracht

und weißer Tag und blaue Mitternacht

wird über die geliebte Scholle gehen.

Und werden Tage ganz wie heute sein:

Die Gärten voll vom Dufte der Syringen,

und weiße Wolken, die im Blauen ziehn,

und junger Felder seidnes Ährengrün,

und drüberhin ein endlos Lerchensingen!

Und werden Kinder lachen vor dem Tor

Und an den Hecken grüne Zweige brechen,

und werden Mädchen wandern Arm in Arm

und durch den Sommerabend still und warm

mit leisen Lippen von der Liebe sprechen!

Und wird wie heut der junge Erdentag

Von keinem Gestern wissen mehr noch sagen,

und wird wie heut doch jeder Sommerwind

aus tausend Tagen, die vergessen sind,

geheime Süße auf den Flügeln tragen!

Wolfram Eckloff

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Liederbegleitbogen

Titel des Liedes: Tod ist ein langer Schlaf

Kli-Brü-Signatur: 977 II/Deutsch

Liedanfang: Tod ist ein langer Schlaf

Anfang des Kehrreims (falls):--

Sprachfamilie: Germanische Sprachen

Sprache: Deutsch Dialekt (falls): --

Land: Deutschland

Region: -- Ort: --

Übergeordnete Themengruppe: Tod, Sterben

Thema des Liedes: Das Wesen des Todes

Unterthema: --

Hauptmotiv(e): Ende des Lebens

Nebenmotiv(e): --

Schlüsselwörter (Deutsch + Originalsprache): Tod, langer Schlaf,

Schlaf, kurzer Tod

Symbole, Metaphern: --

Quelle(n)/KB-Vorlage: ?

Varianten des Liedes (falls): nicht bekannt

in der Melodie: nicht bekannt

im Text: nicht bekannt

Quelle(n) der Varianten: --

Themengleiche/-ähnliche Lieder: Ach, Himmel es ist verspielt (1479

II/Deu); A Redder träd un a Daans mäd a Bai (1336 II/Frie); Ave Marie,

du selige Frau (1513 II/Deu); Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht

(1331 II/Deu); Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus (765 II/Deu); So

lunka vi so smoningom (78 II/Sch); Fui-te ver stavas lavando (1230

I/Port); O Absalom, my son, my son (252 II/Eng); Pobre corazón

entristecido (1012 I/Spa); La rosa enflorece, oy, (9338 I/Judeo-

Spanisch); Si le Roi m’avait donné Paris (9227 I/Fra); Tengo de subir al

puerto (884 I/Spa); Tu mikrú vorjá parángila (9782 VI/Grie); Chubava

si, moja goro (1845 IV/Bul); Quita la mula rucia (521 I/Spa); Yo quiero

que a mi me entierren (9418 I/Spa); As I walk‘d out in the streets of

Laredo (55 II/EnA); I’ve travelled the wide world all over (Rosin the

beau) (1066 II/Eng); Da streiten sich die Leut herum (1494 II/Deu); Elle

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est à toi, cette chanson (9219 I/Fra); Es ist ein Schnitter, heißt der Tod

(1521 II/Deu); Gone are the days (187 II/EnA); Lien, pelīte, pa zemīti

(1752 III/Lett); Tzen brider seinen mir gevesen (579 II/Jid); In de hemel

is ene dans (9064 II/Nie); Kerá má mamička (848 IV/Slowa); La

Petenera se ha muerto (927 I/Spa); The wind doth blow today, my love

(1049 II/Eng); Ik hebbe fif leve söneken hat (1412 II/Plattdeutsch);

Mem, der komt us Jan oan! (806 II/Deu); Drick ur ditt glas (1056

II/Sch; Ya se murió el burro(235 I/Spa); Ach, Mann, du sollst zu hause

komm'n (1283 II/Deu); Als ich ein Junggeselle war (Der Tod von Basel)

(1546 II/Deu); Elenke, elenke (1291 IV/Bul); Maza bīju, neredzēju

(1338) III/Lett; Slušam kai šumat šumite (9728) IV/Mak; Idzie Maciek

(581 IV/Pol)

Entstehungszeit/ältester schriftlicher Nachweis:

Melodie: zwischen 1732-1809

Text: um 1638

Dichter/Texter: Friedrich von Logau (1605-1655)

Komponist: Josef Haydn, 1732-1809

Liedblatt einstimmig, mehrstimmig, Satz?

einstimmig – zweistimmig – drei- und mehrstimmig – Satz

Liedblatt mit

gesonderter Instrumentalstimme - nein

Begleitakkorden/Instrumentalbegleitung nein

Tonumfang der Melodie: 11 Töne, b0-f

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Tonträger vorhanden? Signatur?:

Bearbeiter des Liederbegleitbogens/Datum: November 2012

Gudrun Demski

Kürzest-Inhaltsangabe: Tod und Schlaf sind verwandt und tilgen bzw.

lindern des Lebens Not.

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Erinnerungen an liebe Freunde, die uns

kürzlich verlassen haben

Für Roswitha Klemisch, 8.10.1945-21.5.2012

Es war während der berufsbegleitenden Ausbildung zur Waldorflehrerin. An der

Hiberniaschule, Biographiearbeit; jeder der etwa 25 Teilnehmer sollte im Laufe

des Semesters sein Leben erzählen. Eine junge, zierliche Frau berichtete von

ihrer Kindheit, von Krankheit und Schmerzen, von Behinderung, von

jahrelangen, zermürbenden Klinikaufenthalten. Dann brachte eine Art

Singegemeinschaft – nein, ausdrücklich kein Chor! – Freude und Glanz in ihr

Leben. Lieder in allen Sprachen Europas sängen sie, und über ganz Deutschland

verstreut existierten Liedstudios.

Ich war elektrisiert. Das klang wie die Klingende Brücke, deren Lied-

studioabende und Wochenendtreffen ich einige Jahre lang mit Begeisterung

besucht, berufshalber aber inzwischen aus den Augen verloren hatte.

So lernten Roswitha und ich uns kennen und hatten fortan, über die

ausbildungsbedingt substantiellen Fragen der Menschheitsentwicklung hinaus,

ein weiteres unerschöpfliches Gesprächsthema. Die vielen unterschiedlichen

Lieder – wunderbar! Die Musik – herzbewegend! Aber alles wurde erst zum

Leuchten gebracht und mit Seele gefüllt durch Sepp Gregor, den genialen

Erfinder, unersetzlichen Leiter und begnadeten Musiker der Klingenden Brücke!

Diese schrankenlose Verehrung für Sepp zog sich durch Roswithas ganzes

Leben.

Andersherum funktionierte es mit gleicher Nachhaltigkeit. Einmal ging es um

die Theorie der wiederholten Erdenleben. Unser Dozent referierte die Ansicht,

dass sich jeder Mensch vor seiner jeweiligen Geburt mit seinem Engel darüber

berate, wie er sein zukünftiges Erdenleben gestalten wolle. Um in vergangenen

Leben angehäufte Schuld auszugleichen, entschließe man sich dann vielleicht

dazu, schwierige wirtschaftliche Verhältnisse auf sich zu nehmen oder eine

schwere Krankheit oder Behinderung.

Da ging Roswitha an die Decke. Was, sie sei selbst schuld an ihrer Behinderung,

weil sie früher ein so schlechter Mensch gewesen sein soll? Sie habe sich ihre

Schmerzen, ihre freudlosen Krankenhausjahre, die unaufhörlich fortschreitende

Beeinträchtigung ihrer körperlichen Beweglichkeit wegen ihrer Untaten in

früheren Leben selbst zuzuschreiben, habe sie verdient, zu Recht verdient???

Das ganze Plenum versuchte Roswitha zu beruhigen, so sei das doch gar nicht

gemeint. Vergeblich. Noch 30 Jahre später war Dr. Bütow bei Roswitha unten

durch. Vielleicht hat sie ihm aber inzwischen doch verziehen. Das Gedicht von

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Hermann Hesse „Das Leben, das ich selbst gewählt“, von ihr selbst für ihre

Beerdigungsfeier ausgesucht, sagt nämlich das Gleiche wie seinerzeit unser

vielleicht etwas zu streng formulierender Dozent. Bei Hesse heißt es:

Ehe ich in dieses Erdenleben kam,

ward mir gezeigt, wie ich es leben würde. …..

Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute,

Mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel.

Mir ward gezeigt die Wunde draus ich blute,

Mir ward gezeigt die Helfertat der Engel. ……

Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme;

„Dies ist das Leben, das ich leben will!“

Gab ich zur Antwort mit entschlossner Stimme.

So wars, als ich ins neue Leben trat

Und nahm auf mich mein neues Schicksal still.

Schwarz oder Weiß, Hell oder Dunkel, Gut oder Böse, ganz oder gar nicht –

diese unausgesprochenen Maximen lagen Roswithas Urteilen über Menschen

und Geschehnisse zugrunde. Damit machte sie sich nicht nur Freunde. Manch

einem war es einfach zu mühsam, sich mit Roswitha auseinanderzusetzen. Und

das musste man, wenn man solch kategorischen Urteilen widersprechen wollte.

Differenziert, dezidiert, alle, wirklich alle Details berücksichtigend, beleuchtete

sie den Sachverhalt von vorn und von hinten, von rechts und von links, von

oben und von unten und dann noch einmal mittendurch. Unterwegs

schlappmachen galt nicht. Für ein Gespräch mit Roswitha musste man viel Zeit

mitbringen. In der Verfolgung eines bestimmten Gedankens ging es nie nur stur

geradeaus. Nein, da waren auch immer alle Nebenstraßen, die sich zufällig

auftaten, alle krummen Gassen und Gässchen und selbst die fast zugewachsenen

Fußpfade rechts und links der Hauptstrecke in voller Länge abzuschreiten.

Menschen, die jeden sachlichen Austausch von einander widersprechenden

Argumenten für lebensbedrohlichen Streit halten, entzogen sich solchen

Gesprächsansätzen künftig verschreckt. Das war Roswitha sehr wohl bewusst,

veranlasste sie jedoch keineswegs, sich zu verbiegen und etwa gefälliger

daherzukommen. Wahr hatte zu sein, was man sagte, genau, ausführlich,

durchdacht und begründet. Wunderbar bereichernd waren solche Gespräche mit

Roswitha, Training fürs Gehirn und Übungen zur Präzision des Ausdrucks.

Ob eine solche, kompromisslos unverstellte und furchtlose Stimme jetzt fehlt,

hier, in unserem Kreis? Und ob! Und wie!

Gudrun Demski

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Für André Chademony, der in seinem früheren Leben

Arthur Feldmann hieß

14.7.1926-23.10.2012

Als ich zum ersten Mal Dich sah,

ich weiß genau noch, wo das war:

am Straßenrand hast du gesessen

zum Annaberg, ganz selbstvergessen

dem Flötenspiele hingegeben.

Und ich kam näher und stand neben

Dir schließlich und im Staunen

schienst Du mir eher zu den Faunen

gehörig an dem Sommertag.

Ein Faun, den nach dem Weg ich frag?

Ich mochte nicht vorüberschleichen.

Du schautest auf und gabst ein Zeichen,

ich setzte mich, und dann begann

unser Gespräch, und es hielt an,

hielt lange an und stieg empor,

bis es sich irgendwann verlor.

Du bist für mich jetzt nicht verschwunden,

Du bleibst mit der Natur verbunden,

ein Faun viel eher als ein Weltmann,

ein Flötenspieler, Faun- und Feldmann.

Gerhard Kokott

Für Helga Lange, 2.10.1944-2.11.2012

Hallo, liebe Helga,

lieber möchte ich „hallo, liebe Rübe“ sagen, denn so nannten wir dich früher

liebevoll. Früher, das war vor fast 50 Jahren, als wir uns kennenlernten. Wann

und wo genau, das weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich über unsere damaligen

Freunde, die später unsere Ehemänner wurden, und die sich aus der Pfadfinderei

kannten. Möglich, dass wir uns auch beim Singen in der Klingenden Brücke das

erste Mal sahen.

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Die erste Flandernfahrt der Klingenden Brücke war 1963; ich weiß nicht mehr,

ob du dabei warst. Aber in meinem alten Fotoalbum finde ich Bilder von 1965,

als wir während nasser Osterfeiertage in der Eifel im Alftal die Kothe aufbauten.

Wir alle zünftig in Kniebundhosen beim Ostereiersuchen – Sigrid war auch

dabei. Und wie elegant wir auf einem Baumstamm über den Hochwasser

führenden Alf balancierten!

Zum Jahresende desselben Jahres wanderten wir durch den tief verschneiten

Oberharz und – jung und verrückt, wie wir damals waren – bauten wir natürlich

im Tiefschnee die Kothe auf. Weißt du noch, dass wir mit unseren schweren

Rucksäcke bis zum Bauch im Schnee versanken? Leider begann es in der

Sylvesternacht ganz schrecklich zu tauen.

Natürlich waren die Gitarren immer dabei. „Arum dem fajer mir singen

lider“ damals und heute. Du hattest eine so schöne sichere Altstimme. Diese

Zeit war aus meiner Sicht die unbeschwerteste, die wir miteinander erlebten.

Die Reisen nach Griechenland und in die alte Tschechoslowakei haben bis

heute ihre Spuren hinterlassen.

Dann kam die Zeit der Kinder. Gemeinsam mit Rathes, Kerkers und Molitors

hatten wir beinahe eine Kindergartengruppe in die Welt gesetzt: elf quirlige

phantasievolle Kinder waren jetzt Mittelpunkt unseres Lebens. Radtouren,

Gartenfeste, Urlaub in Sälen und auf Ikaria – wir machten weiterhin vieles

gemeinsam. Und ein Tag im Jahr führte uns immer zusammen: Manfreds

Geburtstag. Der Frühling, der Mai musste begrüßt werden. Die Jurte wurde

aufgebaut, die Kothe reichte platzmäßig nicht mehr aus. Unsere Kinder

schleppten Holz heran, denn Kokeln ist ja so schön! Und am Abend hieß es

beim Tschai: Arum dem fajer mir singen lider. 2012, glaube ich, wart ihr nicht

dabei. Deine Krankheit setzte dir Grenzen. Schade, eure Enkel wären mit

unseren auf dem riesigen Gelände der JH Groß Reken herumgetollt. Die dritte

Generation

Sabine ist es zu verdanken, dass wir uns am 1. Advent des vorletzten Jahres im

modernisierten Pfadfinderheim in Wiblingwerde trafen. Eine Rückkehr in

vielerlei Hinsicht in die Vergangenheit, hatten doch viele, die kamen, sich vor

Jahrzehnten im alten Wiblingwerder Haus so manche Nacht um die Ohren

geschlagen. Jetzt waren wir alle um die 70: Uschi, Ernst, Astrid, Celia, Adolf,

Andreas, Ulrich, Magdi, Gert, Sabine, Armin und und und … Und du hast sogar

noch die Wanderung durch die herbstlichen Sauerlandwälder mitgemacht.

Nun bist du vor uns fortgegangen. Alle, die dich gern hatten, macht es traurig.

Weiterleben wirst du in unseren Herzen und in unseren Gedanken. Auf

Wiedersehen, liebe Rübe.

Ulla (Nitschke)

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