Die Produktion mitogener Stoffe im erwachsenen tierischen Organismus

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KURZE MITTEILUNGEN. (Aus dem histologischen Institut der Universit~it Moskau.) DIE PRODUKTION MITOGENER STOFFE IM ERWACHSENEN TIERISCHEN ORGANISMUS. (13. MITT. UBER MITOGENETISCHE STRAHLUNG UND INDUKTION.) Von ALEXANDER und LYDIA GURWITSCtL (Eingegangen am 27. April 1926.) Unsere bisherigen Erfahrungen fiber mitogenetische Strahlung aus dem tierischen Organismus beschri~nken sich auf eine Untersuchung des Verhaltens junger Kaulquappen (A. und L. GURWITSCH, dieses Archly, Bd. 104, Heft 1/2). Es wurde dort gezeigt, dai3 die Induktion nur yon der Scheitelplatte des Kopfes aus, nicht von einer beliebigen anderen Stelle der KSrperoberfl~che erzielt werden kann. Geeignet ffir diese Ver- suche waren nur g~nz junge Kaulquappen von etwa 10 mm Gesamtl~inge. ~ltere Exemplare ergaben unsichere oder negative Resultate. Zu posi- riven Ergebnissen fiihrten iibrigens auch Versuche mit frisehbereitetem KSrperbrei aus entsprechend kleinen, nicht aber gr5Beren Larven. Es wurde yon uns vermutungsweise der Satz aufgestellt, dab die Produktion mitogenetischer Strahlen in den ffir uns in Betracht kommenden Ent- wicklungsstadien auf das Gehirn, ev. das ganze 5Tervensystem beschrankt sein m~ige. Diese Vermutung hat inzwischen in unserem Laboratorium eine weitgehende experimentelle Best~tigung und Erweiterung durch Herrn A. ANIK~N erfahren, der demn~chst fiber seine Ergebnisse eben- falls berichten wird. DaB das Strahlungsmonopol des Gehirns nut vorfibergehender Natur sein und nur frfihen embryonalen Zust~inden entsprechen kann, war uns schon yon vornherein auf Grund naheliegender Erw~gungen klar. Es hat sich in der Tat durch die oben erw~hnten Untersuchungen ANIKINs ergeben, dai] das Gehirn erwaehsener Amphibien (Frosch und Axolotl) auch als Brei verrieben, vSllig versagt. "vVirstehen nun vor einer groi]en Frage: Wird fiberhaupt das mitogene- tisehe Strahlungsverm5gen dem erwachsenen Organismus als dauernde, rein physiologische Eigenschaft erhalten? Gewisse Zweifel in dieser Hinsieht sind gewiI] bereehtigt, da ja normalerweise Mitosen im erwachsenen Organismus nur bestimmten wenigen Gewebsarten eigen sind. Es w~tre erst zu beweisen bzw. plausibel zu maehen, daI~ auch diese Mitosen W. Roux ~ Archiv f. Entwicklungsmechanik Bd. 107. 54

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KURZE MITTEILUNGEN.

(Aus dem histologischen Institut der Universit~it Moskau.)

DIE PRODUKTION MITOGENER STOFFE IM ERWACHSENEN TIERISCHEN ORGANISMUS.

(13. MITT. UBER MITOGENETISCHE STRAHLUNG UND INDUKTION.)

Von ALEXANDER und LYDIA GURWITSCtL

(Eingegangen am 27. April 1926.)

Unsere bisherigen Erfahrungen fiber mitogenetische Strahlung aus dem tierischen Organismus beschri~nken sich auf eine Untersuchung des Verhaltens junger Kaulquappen (A. und L. GURWITSCH, dieses Archly, Bd. 104, Heft 1/2). Es wurde dort gezeigt, dai3 die Induktion nur yon der Scheitelplatte des Kopfes aus, nicht von einer beliebigen anderen Stelle der KSrperoberfl~che erzielt werden kann. Geeignet ffir diese Ver- suche waren nur g~nz junge Kaulquappen von etwa 10 mm Gesamtl~inge. ~ltere Exemplare ergaben unsichere oder negative Resultate. Zu posi- riven Ergebnissen fiihrten iibrigens auch Versuche mit frisehbereitetem KSrperbrei aus entsprechend kleinen, nicht aber gr5Beren Larven. Es wurde yon uns vermutungsweise der Satz aufgestellt, dab die Produktion mitogenetischer Strahlen in den ffir uns in Betracht kommenden Ent- wicklungsstadien auf das Gehirn, ev. das ganze 5Tervensystem beschrankt sein m~ige. Diese Vermutung hat inzwischen in unserem Laboratorium eine weitgehende experimentelle Best~tigung und Erweiterung durch Herrn A. ANIK~N erfahren, der demn~chst fiber seine Ergebnisse eben- falls berichten wird.

DaB das Strahlungsmonopol des Gehirns nut vorfibergehender Natur sein und nur frfihen embryonalen Zust~inden entsprechen kann, war uns schon yon vornherein auf Grund naheliegender Erw~gungen klar. Es hat sich in der Tat durch die oben erw~hnten Untersuchungen ANIKINs ergeben, dai] das Gehirn erwaehsener Amphibien (Frosch und Axolotl) auch als Brei verrieben, vSllig versagt.

"vVir stehen nun vor einer groi]en Frage: Wird fiberhaupt das mitogene- tisehe Strahlungsverm5gen dem erwachsenen Organismus als dauernde, rein physiologische Eigenschaft erhalten? Gewisse Zweifel in dieser Hinsieht sind gewiI] bereehtigt, da ja normalerweise Mitosen im erwachsenen Organismus nur bestimmten wenigen Gewebsarten eigen sind. Es w~tre erst zu beweisen bzw. plausibel zu maehen, daI~ auch diese Mitosen

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mitogenetischer Strahlufigen bedtirfen. Was aber das Auftreten yon Mitosen unter abnormen bzw. pathologischen Verhi~ltnissen betrifft, so liel~e sich natfirlich sehr wohl denken, daB, sofern fiir diese Teilungen mitogenetische Strahlen in Betracht kommen, die mitogenen Stoffe erst durch den betreffenden Eingriff, etwa als H.CBE~LANDTS Wund- bzw. Necrohormone ins Leben gerufen werden. Eine stiindige, rein physio- logische Strahlungsquelle braucht natiirlich a priori dabei gar nicht ge- setzt zu werden.

Wollen wir abet aus einem oder anderen Grunde die erste Frage bejahen, bzw. eine st~ndige Quelle mitogenetischer Strahlen auch fiir den erwaehsenen Organismus setzen, so entsteht natiirlich die zweite Frage -- nach deren Lokalisation. Sollte die Sachlage eine derartige sein, daI3 sti~ndig da, wo Bedarf nach mitogenetischen Strahlen (z. B. bei ev. Regeneration) auftritt, solche bereits an Oft und Stelle vor- gefunden werden, so muB zweierlei auseinandergehalten werden: Die Frage naeh dem Produktionsort mitogener Stoffe und die zweite nach dem Obermittler derselben den Geweben, wo sie benStigt werden.

Wenn wir zuni~ehst letzterer Frage nachgehen, so kommt natfirlich als ?dbermittlungssubstrat fiir mitogene Stoffe nur das Blur (bzw. die Lymphe) in Betracht. Denn sollte auch das eine oder andere Organ speziell die eigentliche Quelle der mitogenen Stoffe sein, so ware das Zustandekommen der lokalen Strahlung (durch den von uns bereits be- schriebenen ,,Mitotin-Mitotase-Proze2") an der Entstehungsquelle selbst ganz zweck- und belanglos. Es wiire ja natfirlich nicht ernstlich daran zu denken, dal~ die in Betracht kommenden kurzen ultravioletten Strahlen einigermaflen bedeutende Gewebslagen durchdringen.

Diesem Gedankengange folgend, haben wir uns mit ein paar Orien- tierungsversuchen fiber das eventuelle Ursprungsorgan der mitogenen Stoffe begniigt, nachdem das Versagen des Gehirnes nachgewiesen wurde. Die Milz junger, etwa 3 cm langer FrSsche erwies sich in der Tat als ein solches Organ. Es konnte eine Induktion sowohl aus der in situ belassenen Milz, als aueh aus dem frisehbereiteten Brei aus derselben erzielt werden. Entsprechende Versuche mit der Milz yon erwachsenen Winterfr/isehen fielen indessen vSllig negativ aus. Indem wir uns vorli~ufig dem zweiten Problem zuwandten, ob nieht etwa das Blur, wenn nicht als Erzeuger, so doeh als (Ybertr~ger mitogenetischer Strahlen in Betracht ki~me, kamen wir sofort zu eindeutig positiven, iiberzeugenden Ergebnissen: Das Blur erwachsener WinterfrSsehe iibt die bereits vielfach geschilderte Induktionswirkung aus, strahlt mit anderen Worten mitogenetische (sc. kurze ultraviolette) Strahlen aus.

Die ersten Versuche werden mit frisch in paraffinierte Kanfilen dem Herzen entnommenen Blute, sowohl unverdfinnt, als auch mit physiologiseher LSsung verdiinnt, ausgefiihrt. Sie fielen samtlich positiv

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aus, der Induktionseffekt erreichte indes in der Regel nicht den Grad, der uns yon unseren so mannigfaltigen vorangehenden Versuchen bekannt war. Abgesehen yon diesem Umstande wgren abet diese Versuche fiir unsere Hauptfrage - - fiber st~ndige rein physiologische Anwesenheit des StrahlungsvermSgens im normalen Organismus - - natiirlich nichts weniger als beweisend. Es galt daher, die Versuehe mit str6mendem JBlut vorzunehmen, was auch in unverhofft leichter und schlagender Weise gelang. Einige orientierende Vorversuche ergaben n~mlich, da[3 Gewebslamellen, wie Pericard und Cornea des Frosches ffir mitogene- tisehe Strahlen hoehgradig durchsichtig sind, was uns zum Versuche ermutigte, mit entbl61]ten, sonst intakten Gefhl]en des Frosches zu induzieren. Besondors geeignet erwies sich die grol]e mediale Bauch- vene, die sich leicht herauspr~parieren lai]t. Wird der Frosch gehSrig fixiert, bzw. immobilisiert, so li~Bt sieh ein Abschnitt der Vene sehr genau parallel der zu induzierenden Wurzel einstellen, bzw. zen. trieren. Ein Auszug aus den Versuchsprotokollen m6ge hier angeffihrt werden.

Induktion einer Zwiebelwurzel mit der Bauchvene (nut Differer~zen zwischen induzierter und abgewendeter Seite angegehen):

5, 11, 25, 26, 15, 25, 25, 37, 12, 32, 15, 10, 19, - - 3 .

Durch Kontrollversuche an entb |uteter und unterbundener, aber in situ belassener Vene, haben wir uns natiirlich fiberzeug% dai~ der Induktionseffekt wohl aus dem Blute, nicht aus der Gefiif~wand selbst s tammt.

Es w~re noch der interessante Umstand zu erw~hnen, dab der positive Induktionseffekt nur von durchsichtigen, d. h. nicht pigmen- t ierten Venen aus erzielt werden kann. Die Blutgef~iBe der FrSsche pflegen ni~mlich, wie bekannt, vielfach yon einem fast kontinuierlichen Mantel miichtiger Pigmentzellen eingehiillt zu sein. Es scheint dieses namen~lich mi~ der V. femoralis der Fall zu sein. Induktionsversuche mit derartigen Gef~l]en schlugen fehl. Dieser Umstand dfirfte m6glicher- weise ein Streiflicht auf die biologische Bedeutung der Pigmentanwesen- heir in den inneren Organen bzw. Gefli.Sen werfen.

Die Tatsaehe, dab das strSmende Blur mitogenetische Strahlen aussendet, bzw. Mitosen zu induzieren vermag, und dab BlutgefhBe veto Kaliber der groBen Venen des Frosches ffir die Strahlen hoch- gradig durchsichtig sind, erscheint uns yon unfibersehbarer Bedeu- tung.

Wenn wir an unserem mehrmals entwickelten Schema der Dupli- zitat der Zellteilungsfaktoren - - als Verwirlclichungs- und M6glichkeitso /alctore~ unterschieden - - festhalten, und was ja n~turgemiti] die mito- genetischen $trahlen der ersten Kategorie beiordnen, so k~tmen wit

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zur kapitalen Feststellung, dab auch im erwachsenen Organismus in allen Geweben stets der adiiquate mitotische Reiz gegenwiirtig ist. Das- jenige, was den meisten Zellen des erwachsenen als Regel fehlt, ist die Rezeptivitdt fiir den Teilungsreiz, bzw. dasjenige, was wit als Ge- samtheit der M6glichkeitsfaktoren bezeichnen. Da~ diese Feststellung yon Bedeutung ffir das Geschwulstproblem werden kann, liegt auf der Hand.

Anmerkung: Die niihere Durchforschung des InduktionsvermSgens des Blutes hat Herr A. N. SORIN iibernommen, der fiber seine Ergeb- nisse berichten wird.