DIE ÄRA DER PRIMAVERAmotomobil.biz/images/berichtebilder/2018/mm_031/VESPA_PRIMAV… · die erste...

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39 www.motomobil.at 39 www.motomobil.at TEXT GUIDO SCHWARZ FOTOS BARBARA HARTL, LEO LUCARELLI, PIAGGIO, MOTOMOBIL VINTAGE JUBILÄUM: 50 JAHRE VESPA 125 PRIMAVERA 38 www.motomobil.at 38 www.motomobil.at DIE ÄRA DER PRIMAVERA gefragt und erzielt entsprechende Preise: Unter 2000 Euro bekommt man maximal einen Schrotthaufen, und 4000 Euro für ein ordentliches Exemplar wandern sofort über den Tisch. Wenden wir uns ihrer Geschichte zu: 1965 bringt Vespa die damals noch sehr neue, kleine 50er auch als 125er heraus und gibt ihr den Na- men „Nuova“. Sie hat 3,5 kW (4,8 PS) Motorleistung und eine Höchst- geschwindigkeit von 75 km/h. Das ist fast das doppelte der zeitgenös- A ls im Dezember 2012 der alte Albert Kudlicka, so etwas wie der Vespavater für die Wiener Vespafahrer, ver- stirbt (sein Leben und Wirken in „motomobil“-Folge 011 und auf www.motomobil.at), entsteht die- ser kleine Reim auf einem kleinen Zettel. Dass die Primavera – und nicht irgendein anderes Modell – genannt wird, das ist alles andere als Zufall. Der Name „Primavera“ entlockt Vespa-Freunden stets einen erfreu- ten Gesichtsausdruck. Diese Vespa ist gefühlsmäßig äußerst positiv besetzt – und das strahlt auf ihre Besitzerinnen und Besitzer aus. Gemeint ist die klassische Prima- vera, also die Smallframe-Vespa mit 125er-Motor. Sie ist derzeit am Markt für Gebrauchtroller enorm sischen 50er, und es stellt sich heraus, dass das Fahrwerk die Kraft locker wegstecken kann. Von dieser Vespa werden 17.000 Exemplare gebaut, übrigens alle mit derselben Farbe (ein helles Blaugrau-metallic). Sie ist heute ein begehrtes Sammlermodell. 1967 wird auf dem Mailänder Zweiradsalon als Nachfolgerin die erste Primavera vorgestellt. Sie kommt 1968 in den Verkauf und wird 15 Jahre lang in insge- samt 240.000 Exemplaren gebaut. Die Primavera hat 4,1 kW (5,6 PS) Die Ur-Primavera aus 1968 wurde auf Anhieb ein Erfolgsmodell in der schillernden Vespa-Geschichte. 50 Jahre später hat sie nicht das mindeste ihrer Attraktivität verloren Jahrgang 1968 und noch immer „ewige Jugend“ (1) Ein halbes Jahrhundert nach dem Start der Baureihe ist hier „motomobil“- Reiseautor Leo Lucarelli mit seiner Primavera auf der Fahrt von Italien nach Sarajevo (2) Originalprospekt aus dem Jahr 1971 im zeitgenössischen Werbestil ZUM AUTOR DR. GUIDO SCHWARZ (das Foto zeigt ihn mit seiner neu aufgebau- ten Vespa Sprint Elektro, Seiten 30-33 in dieser „motomobil“- Folge) ist Vespafahrer seit seiner Jugend und hat seither zahlreiche klassische Vespas fachgerecht restauriert. Auch an der 125 Primavera kennt er jede Schraube; wie die meisten Vespa-Liebhaber ist er ein Fan dieses Modells 1 2 Ein strahlender Roller schafft strahlende Fans

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TEXT GUIDO SCHWARZFOTOS BARBARA HARTL, LEO LUCARELLI, PIAGGIO, MOTOMOBIL

VINTAGE JUBILÄUM: 50 JAHRE VESPA 125 PRIMAVERA

38 www.motomobil.at38 www.motomobil.at

DIE ÄRA DER PRIMAVERA

gefragt und erzielt entsprechende Preise: Unter 2000 Euro bekommt man maximal einen Schrotthaufen, und 4000 Euro für ein ordentliches Exemplar wandern sofort über den Tisch.Wenden wir uns ihrer Geschichte zu: 1965 bringt Vespa die damals noch sehr neue, kleine 50er auch als 125er heraus und gibt ihr den Na-men „Nuova“. Sie hat 3,5 kW (4,8 PS) Motorleistung und eine Höchst-geschwindigkeit von 75 km/h. Das ist fast das doppelte der zeitgenös-

Als im Dezember 2012 der alte Albert Kudlicka, so etwas wie der Vespavater

für die Wiener Vespafahrer, ver-stirbt (sein Leben und Wirken in „motomobil“-Folge 011 und auf www.motomobil.at), entsteht die-ser kleine Reim auf einem kleinen Zettel. Dass die Primavera – und nicht irgendein anderes Modell – genannt wird, das ist alles andere als Zufall.Der Name „Primavera“ entlockt Vespa-Freunden stets einen erfreu-

ten Gesichtsausdruck. Diese Vespa ist gefühlsmäßig äußerst positiv besetzt – und das strahlt auf ihre Besitzerinnen und Besitzer aus.

Gemeint ist die klassische Prima-vera, also die Smallframe-Vespa mit 125er-Motor. Sie ist derzeit am Markt für Gebrauchtroller enorm

sischen 50er, und es stellt sich heraus, dass das Fahrwerk die Kraft locker wegstecken kann. Von dieser Vespa werden 17.000 Exemplare gebaut, übrigens alle mit derselben Farbe (ein helles Blaugrau-metallic). Sie ist heute

ein begehrtes Sammlermodell.1967 wird auf dem Mailänder Zweiradsalon als Nachfolgerin die erste Primavera vorgestellt. Sie kommt 1968 in den Verkauf und wird 15 Jahre lang in insge-samt 240.000 Exemplaren gebaut. Die Primavera hat 4,1 kW (5,6 PS)

Die Ur-Primavera aus 1968 wurde auf Anhieb ein Erfolgsmodell in der

schillernden Vespa-Geschichte. 50 Jahre später hat sie nicht das

mindeste ihrer Attraktivität verloren

Jahrgang 1968 und noch immer „ewige Jugend“

(1) Ein halbes Jahrhundert nach dem Start der Baureihe ist hier „motomobil“-Reiseautor Leo Lucarelli mit seiner Primavera auf der Fahrt von Italien nach Sarajevo(2) Originalprospekt aus dem Jahr 1971 im zeitgenössischen Werbestil

ZUM AUTORDR. GUIDO SCHWARZ (das Foto zeigt ihn mit seiner neu aufgebau-ten Vespa Sprint Elektro, Seiten 30-33 in dieser „motomobil“-Folge) ist Vespafahrer seit seiner Jugend und hat seither zahlreiche klassische Vespas fachgerecht restauriert. Auch an der 125 Primavera kennt er jede Schraube; wie die meisten Vespa-Liebhaber ist er ein Fan dieses Modells

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Ein strahlender Roller schafft strahlende Fans

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ronica Tre Travasi“ und bedeutet, dass diese neue Primavera einen Zylinder mit drei Überströmka-nälen (statt zwei) hat, sowie elek-tronische Zündung. Die Leistung steigt auf 5,1 kW (7 PS), und man kann damit 85 km/h schnell fah-ren. Insgesamt werden 144.000 Exemplare gebaut.

Oft bleibt es nicht beim Serien-tempo, denn das Modell eig-

net sich bis heute hervorragend für eine kleine oder auch größere Leistungssteigerung. Genauge-nommen kann man den blanken Wahnsinn einbauen, und das wird da und dort auch getan … >>>

es sich um einen Automatikroller, dessen Konzept das Gegenteil der ursprünglichen Primavera ist – nämlich mit einem sanfteren Mo-tor statt mit einem stärkeren (im reziproken Vergleich zur Karosse-riegröße). Geblieben ist und gefei-ert wird der Name.

Und so wollen wir uns in der historischen Zurückschau

wieder der alten, der „echten“ Primavera zuwenden: Ihre Karos-serie ist etwas länger als die der 50er, einen Hauch schmäler und

hat in der linken Seitenbacke ein Gepäckfach. Ursprünglich gibt es sie in den Farben Weiß und Braun-metallic. 1976 kommt dann das Nachfolgemodell, die legendä-re ET3. Das Kürzel steht für „Elett-

Schluss der Primavera-Bauzeit un-sere Helmpflicht – es ist durchaus üblich, mit Short und den gerade wieder in Mode gekommenen Es-pandrillos zu fahren.Fast zeitgleich zum Revival der Es-pandrillos (eigentlich schon 2013) nennt Piaggio ein neues Modell wieder „Primavera“. Hier handelt

bei 5500 Umdrehungen, 121 Kubik Hubraum und ist über 80 km/h schnell. Sie wird zum Teenager-Traum der 1970er- und 1980er-Jah-re – mit ihrer Besonderheit, dass man eine schnelle kleine Vespa ganz legal (nämlich mit Motorrad-führerschein und „schwarzem Ta-ferl“) fahren kann.Die getunten Mopeds (50s und Spe-zial) mit bis zu 138 Kubik großen Motoren sind damals zwar etwas

schneller. Dafür lauert aber auch die Gefahr, von der Polizei erwischt zu werden, hinter jeder Ecke.

Für die Jugend ist diese kräfti-ge Smallframe-Vespa wie die

Erfüllung eines Wunsches. Beglei-tet von einem Gefühlsmix aus Be-griffen wie Freiheit, Italien, Dolce Vita, Coolness, Fesch-sein – plus ein wenig Abenteuer und Gefahr: Schließlich gibt es erst ganz zum

Der Schmäh: kleine Karosserie, starker Motor

(1) Im Jahr 1976 kommt das Nachfolgemodell ET3(2) Die Original-Werbekampagne im ersten Primavera-Verkaufsjahr (1968)(3) Auch FixItEasy-Erfinder Rainer Derx ist stolzer Primavera-Besitzer(4) Hier steht Primavera-Besitzerin Kerstin am Wiener Donaukanal Modell für ein frühlingshaftes Bild im Rollerkalender der Fotokünstlerin Barbara Hartl (5) 1981er-Prospekt für die ET3 mit elektronischer Zündung(6) In #MeToo-Zeiten würde so eine Reklame nach Strich und Faden geshitstormt

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Fachsimpeln in kleinen Hinterhof-werkstätten und gemeinsame Aus-fahrten, bei denen man die neues-ten Spielereien ausprobieren kann, werden zum Hobby, mit dem man

aus dem Alltag ausbrechen kann. Als die Produktion der klassischen Primavera zu Ende geht, kommt das Nachfolgemodell heraus, die PK 125. Sie ruft unter echten Pri-mavera-Fahrern bestenfalls mildes Lächeln hervor, schlimmstenfalls

einen Anfall von Verachtung. Wir nannten sie die „Postkutsche“, und sie war eckig, hässlich und irgend-wie uncool, wenngleich wir damals eher das Moped meinten.Mitte der 1990er Jahre bringt Piag-gio noch einmal eine kleine Serie der alten Primavera auf den Markt, ausschließlich in der Farbe dunkel-

blau und mit der klassischen „Ba-nane“ als Auspuff. Sie ist schnell ausverkauft und ist heute ebenso rar wie die ganz alten Modelle.

Was bringt die Zukunft? In-zwischen werden auch

stark rostige Primaveras um viel Geld restauriert, und es gibt immer wieder neue Tuningteile, womit die Szene lebendig bleibt. Es gibt sogar bereits die ersten Umbauten auf Elektroantrieb, wenngleich das für einen echten Primavera-Fahrer einem Sündenfall gleichkommt. Somit wird die Legende noch lange auf den Straßen und in den Werk-stätten sichtbar sein. Bis dahin er-freuen wir uns am kernigen Klang der Zweitakter und atmen einen Hauch von Italien ein – nicht ge-sund, aber irgendwie cool.

damals sind die finanziellen Mittel da, und eine alte Vespa zu frisieren macht genauso viel Spaß wie ein al-tes Auto, ist aber immer noch deut-lich billiger und einfacher.Zweitens kann man damit Teil einer sehr lebendigen Commu-nity werden, wo man (eigentlich „mann“ – denn es handelt sich fast ausschließlich um ein männliches Phänomen) jede Menge Gleichge-sinnte treffen kann. Ausgiebiges

Der blanke Wahnsinn steht der-zeit bei CNC-gefrästen Motorblö-cken mit Alu-Rennzylindern mit 200 Kubik, zum Beispiel von der Tuningfirma Quattrini. Die dafür passenden Auspuffanlagen passen gerade einmal noch irgendwie in die Seitenbacke, bei den Model-len mit Gepäckfach muss dieses manchmal entfernt werden. Auf Leistungsprüfständen kommen solche Maschinen inzwischen auf gut 45 kW (über 60 PS) – was in der Praxis unfahrbar ist und sich maxi-mal für spektakuläre Suizidversu-che eignet.

Aber auch weniger arg frisierte Primaveras kommen inzwi-

schen locker auf 22 kW (30 PS). Was bedeutet, dass man die Vespa in jedem Gang aufs Hinterrad brin-gen kann. Obwohl das Fahrwerk durch gute und entsprechend teu-re Komponenten (Stoßdämpfer, Scheibenbremsen) stark verbessert

werden kann, gleicht das Fahren dem Ritt auf der Kanonenkugel. Wenn solche Vespas sauber auf-gebaut sind, kann man da-mit auch entspannt fahren – aber ein falsches Zupfen am Gasgriff ist nur anzura-ten, wenn direkt dahinter die Rettung fährt.Trotzdem erfreut sich heut-zutage das Tuning der Pri-

mavera ganz hoher Beliebtheit. Das dürfte mehrere Gründe haben: Einer davon ist sicher eine nostal-gische Erinnerung an die Jugend in den 1980er-Jahren, den Kick des Unerlaubten kann man sich heute als älterer Herr auf höherem Niveau wieder holen. Anders als

Eine riesige Spielwiese für Motorentüftler

Eine Abnutzung der Legende ist nicht in Sicht

roller-datenMOTOR .................... 1-Zyl.-2-Takt, luftgekühlt, schlitzgesteuert HUBRAUM .............................................................. 121,16 ccmLEISTUNG ................................... 4,1 kW (5,6) PS) bei 5500/minDREHMOMENT ..................................................................k. A.GETRIEBE ........................................Viergang-HandschaltungFAHRWERK .................. selbsttragende StahlblechkarosserieAUFHÄNGUNG vo/hi ....gez. Einarmschwinge/TriebsatzschwingeRADSTAND ................................................................ 1180 mmBEREIFUNG vo/hi.........................................3.00-10“/3.00-10“BREMSEN vo/hi .............................Trommel 125 mm/150 mm TANKINHALT ......................................................................5,6 lTROCKENGEWICHT .........................................................78 kgSPITZE ....................................................................ca. 85 km/hVERBRAUCH ...................................................ca. 2,5 l/100 km

VESPA125 PRIMAVERA (VMA2T)

(1) Kräftigung auf der Sarajevo-Reise (2) Fototermin unter der

berühmten Brücke in Mostar (3) 2018 wurde im Piaggio Museum

in Pontedera ein „Andachtsraum“ für die Primavera eingerichtet

(4) Piaggio-Werbelinie der 1980er (5) Österreich-Importeur

Josef Faber 2013 in Mailand mit dem neuen Automatik-Modell

(6) „Mit Vespa kannst du!“

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