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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln (I) Lerntheoretische Grundlagen Martin Fischer Quelle: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118 Gliederung: Erfahrung und sinnliche Wahrnehmung Erfahrung und Erinnerung Erfahrung als Prozess der geistigen Rezeption und Produktion Erfahrung und persönliches Erleben Erfahrung und Ästhetik Eigene und fremde Erfahrungen Erfahrung und praktisches Tun Internet: http://www.itb.uni-bremen.de/ Downloads/ Studium/ Fischer/ Lerntheorie3

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln (I)

LerntheoretischeGrundlagen

Martin Fischer Quelle: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118

Gliederung:

Erfahrung und sinnliche Wahrnehmung

Erfahrung und Erinnerung

Erfahrung als Prozess der geistigen Rezeption und Produktion

Erfahrung und persönliches Erleben

Erfahrung und Ästhetik

Eigene und fremde Erfahrungen

Erfahrung und praktisches Tun

Internet: http://www.itb.uni-bremen.de/ Downloads/ Studium/ Fischer/ Lerntheorie3

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln (II)

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Martin Fischer Quelle: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118

Gliederung:

Die Weitergabe von Erfahrung

Erfahrung und Wissen

Erfahrung und Misslingen

Erfahrung und die Art ihrer Kodierung

Erfahrung und Lernen

Zusammenfassung: Erfahrung als integrierendes Moment ästhetischen, praktischen und vernünftigen Handelns

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Martin Fischer Quelle: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118

Erfahrung und persönliches Erleben

Erfahrung ist an das persönliche Erleben von Dingen, Personen und Situationen gebunden.

„Erfahrung ist ohne Zweifel das erste Produkt, das unser Verstand hervorbringt, indem es den rohen Stoff sinnlicher Empfindungen bearbeitet.“ (Immanuel Kant: Einleitung zur "Kritik der reinen Vernunft" von 1781)

Die Echtheit der Erfahrung gewährleistet, daß der Möglichkeit nach alle Facetten einer Situation in die persönliche Erfahrung einfließen können. Die gesamte Erscheinungsvielfalt aufzunehmen und zu verarbeiten, ist jedoch dort besonders wichtig, wo eine Situation oder ein Prozeß nicht nur theoretisch auf den Begriff gebracht, sondern auch praktisch beherrscht werden muß.

Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

LerntheoretischeGrundlagen

Martin Fischer Quelle: Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830). Die Wissenschaft der Logik. Theorie Werkausgabe Bd. 8. Frankfurt a. M., 1970.

„Das Prinzip der Erfahrung enthält die unendlich wichtige Bestimmung, daß für das Annehmen und Fürwahrhalten eines Inhalts der Mensch selbst dabei sein müsse, bestimmter, daß er solchen Inhalt mit der Gewißheit seiner selbst in Einigkeit und vereinigt finde. Er muß selbst dabei sein, sei es nur mit seinen äußerlichen Sinnen oder aber mit seinem tieferen Geiste, seinem wesentlichen Selbstbewußtsein.“ (Hegel 1970, Bd. 8, § 7, S. 49-50)

Erfahrung und persönliches Erleben

Lernen durch Beispiele basiert auf Erfahrung.

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

LerntheoretischeGrundlagen

Martin Fischer Quelle: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118

Erfahrung ist mehr als die unmittelbare Sinneswahrnehmung.

Erfahrung und sinnliche Wahrnehmung

Die Betätigung der Intelligenz, welche aus einzelnen Sinneseindrücken die Einheit des Erfahrungsgegenstandes reproduziert, besteht in der Entwicklung und Erinnerung von Vorstellungen über den Gegenstand.

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Martin Fischer Quelle: Aristoteles: Metaphysik. Hamburg, 1978.

„... viele Erinnerungen an denselben Gegenstand bewirken das Vermögen einer Erfahrung ...“ (Aristoteles 1978, S. 980b)

Erfahrung und Erinnerung

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Martin Fischer Quelle: Hegel, G. W. F.: Phänomenologie des Geistes (1807). Frankfurt a. M./ Berlin/ Wien, 1970.

„Diese dialektische Bewegung, welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an seinem Gegenstand ausübt, insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt, ist eigentlich dasjenige, was Erfahrung genannt wird.“(Hegel 1970 (Phänomenologie des Geistes von 1807), S. 62 f.)

Erfahrung als Prozess der geistigen Rezeption und Produktion

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

LerntheoretischeGrundlagen

Martin Fischer Quelle: Rubinstein, S. L.: Sein und Bewußtsein. Die Stellung des Psychischen im allge-meinen Zusammenhang der Erscheinungen in der materiellen Welt. s' Gravenhage, 1973.

„Erfahrene Schleifer unterscheiden mit dem Auge Abstände von ein- bis zweitausendstel Millimeter, während der Mensch gewöhnlich nur Abstände bis zu ein - einhundertstel Millimeter unterscheiden kann. Stahlgießer erkennen feinste Nuancen des hellbraunen Farbtons, die Signale für die Schmelztemperaturen sind. Bei Arbeitern der Steingut- und Porzellanindustrie, welche die Qualität der Erzeugnisse nach dem Ton bestimmen, bildet sich ein feines ‚technisches Gehör‘ aus.“ (Rubinstein 1973, S. 92)

Erfahrung als Prozess der geistigen Rezeption und Produktion

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

LerntheoretischeGrundlagen

Martin Fischer

Quellen: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118. Negt, O.: Marxismus und Arbeiterbildung - Kritische Anmerkung zu meinen Kritikern. In: A. Brock/ H. D. Müller/ O. Negt (Hg.): Arbeiterbildung. Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen in Theorie, Kritik und Praxis. Reinbek, 1978, S. 43-86.

Erfahrung ist das sinnliche Erleben der gegenständlichen Realität, aber sie ist das durch geistige Leistung vermittelte Erleben.

Erfahrung als Prozess der geistigen Rezeption und Produktion

Erfahrungen sind „in gewisser Weise kollektive Momente einer durch Begriffe und durch Sprache vermittelten Auseinandersetzung mit der Realität, mit der Gesellschaft (...). Insofern steckt in dem Begriff der Erfahrung immer schon ein allgemeines Element, das die total individualisierte, zufällige, rein subjektive Empfindung überschreitet.“(Oskar Negt 1978, S. 44)

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Martin Fischer

Quellen: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118. Rauner, F. / Eicker, F.: Experimentierendes Lernen im Elektrotechnik-Unterricht. In: A. Lipsmeier / F. Rauner (Hg.): Beiträge zur Fachdidaktik Elektrotechnik. Stuttgart: Holland und Josenhans, 1996, S. 196-210.

„Installiert und geschaltet werden abstrakte Lichtquellen sowie abstrakte Leitungen. Die Tatsache, daß z. B. die Beleuchtung für die Gestaltung eines Wohnraumes in erster Linie eine ästhetische Gestaltungsaufgabe ist, bleibt in der Fachbildung für Elektroinstallateure unberücksichtigt.“ (Rauner & Eicker 1996, S. 208)

Erfahrung und Ästhetik

In der Erfahrung ist eine Reflexion der sinnlichen Wahrnehmung enthalten, jedoch nicht die vom Sinnlichen abstrahierende Form der Reflexion, die das begriffliche Denken kennzeichnet. Insofern ist das Erfahren der Subjekte entscheidend bestimmt von den historisch veränderlichen Formen der Reflexivität selbst.

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Kann man aus einem Medium Erfahrung schöpfen?Eigene und fremde Erfahrungen

In begrenztem Maße ja: Erstens muß in dem Medium, aus dem Erfahrung geschöpft werden soll, das in Frage stehende Ereignis zur Vorstellung gebracht sein. Zur Vorstellung bringen heißt hier, daß die gegenständliche Realität der Sache in der medialen Darstellung immer gegenwärtig ist - und daß nicht von der Erfahrung von vornherein abstrahiert wird (vgl. Adolph 1983, 1984). Zweitens muß über diese Vorstellung auch der Rezipient verfügen, so daß das tatsächliche Erlebnis von ihm reproduzierbar ist und nacherlebt werden kann.

Medien und Modelle in der beruflichen Bildung abstrahieren oft von der Erfahrung - es sollen naturwissenschaftliche oder technische Prinzipien veranschaulicht werden.

Erfahrungslernen mit Hilfe von Medien?

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Erfahrung und praktisches Tun

Erfahrungen beim praktischen Tun werden gesammelt, indem das Subjekt an den Bedingungen und Voraus-setzungen seines Handelns, an dem Handeln selbst und schließlich an den Handlungsfolgen interessiert ist, diesem seine Aufmerksamkeit schenkt, hierbei körperlich-sinnlich „mitgeht“, den Handlungskreis gedanklich nachvollzieht und sich merkt.

Erfahrungen beim praktischen Tun werden gesucht, indem das Subjekt Voraussetzungen oder Folgen seines Handelns, die ihm nicht oder nicht gänzlich bekannt sind, kennenlernen will. Dieses Moment von Erfahrung wird besonders in den Untersuchungen von Fritz Böhle u. a. (1988, 1992; programmatisch formuliert 1995, S. 123) betont.

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Martin Fischer Quelle: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118

Erfahrungswissen ist Handlungswissen:Erfahrung und praktisches Tun

Inhalt der Erfahrung ist der (jeweilige) Zusammenhang, der für das eigene Handeln bedeutsam ist. Allgemein läßt sich dieser Zusammenhang so ausdrücken: „Wenn dieses oder jenes geschieht, dann folgt das und das“ und, so kann man bezogen auf das praktische Handeln hinzufügen, „... dann ist jenes zu tun.“

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Ist Erfahrung verbalisierbar?Erfahrung und die Art ihrer Kodierung

Erfahrungen werden in vielfältiger Form gespeichert - das Spektrum reicht von sinnlich erfaßbaren Merkmalen der gegenständlichen Realität bis zu sprachlich (teilweise auch schriftsprachlich) kodierten Arbeitsregeln.

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Martin Fischer

Quellen: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118. Volpert, W.: Zauberlehrlinge. Die gefährliche Liebe zum Computer. München: DTV, 1988 (Erstausgabe: Weinheim/ Basel, 1985).

Erfahrungswerte sind mindestens teilweise kollektives Wissen im Betrieb. Sie werden weitergegeben in der Anschauung der Dinge und mit Hinweisen auf deren sinnliche Qualität (z.B. „siehst du ..., merkst du ..., fühlst du ..., hörst du ..., dass ...).

Die Weitergabe von Erfahrung

Diese sinnlich gebundenen Erfahrungen können sich im Lauf der Zeit zu Begriffsgestalten verdichten (Volpert 1988, S. 180 f.).

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Martin Fischer Quelle: Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830). Die Philosophie des Geistes. Theorie Werkausgabe Bd. 10. Frankfurt a. M., 1970.

„Obgleich das Wahrnehmen von der Beobachtung des sinnlichen Stoffes ausgeht, so bleibt dasselbe doch nicht bei dieser stehen, so beschränkt es sich doch nicht auf das Riechen, Schmecken, Sehen, Hören und Fühlen, sondern schreitet notwendig dazu fort, das Sinnliche auf ein nicht unmittelbar zu beobachtendes Allgemeines zu beziehen, jedes Vereinzelte als ein in sich selber Zusammenhängendes zu erkennen - zum Beispiel in der Kraft alle Äußerungen derselben zusammenzufassen - und die zwischen den einzelnen Dingen stattfindenden Vermittlungen und Beziehungen aufzusuchen.

Erfahrung und Wissen

Während daher das bloß sinnliche Bewußtsein die Dinge nur weist, d. h. bloß in ihrer Unmittelbarkeit zeigt, erfaßt dagegen das Wahrnehmen den Zusammenhang der Dinge, tut dar, daß, wenn diese Umstände vorhanden sind, dieses daraus folgt, und beginnt so, die Dinge als wahr zu erweisen. Dieses Erweisen ist indes noch ein mangelhaftes, kein letztes. Denn dasjenige, durch welches hierbei etwas erwiesen werden soll, ist selber ein Vorausgesetztes, folglich des Erweises Bedürftiges, so daß man auf diesem Felde von Voraussetzungen zu Voraussetzungen kommt und in den Progreß ins Unendliche hineingerät. - Auf diesem Standpunkt steht die Erfahrung. Alles muß erfahren werden.“ (Hegel 1970, Bd. 10, Zusatz zu § 420, S. 209)

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

LerntheoretischeGrundlagen

Martin Fischer

Quelle: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118

Erfahrung und Misslingen

Handlungsfehler ergeben sich nicht völlig zufällig oder regellos. Auch im Misslingen zeigen sich zunächst Handlungsgewohn-heiten und –erfahrungen, nicht völlige Nonsens-Gebilde.

Das Misslingen kann jedoch zur Einsicht in die Begrenztheit und Relativität bisheriger Erfahrung führen. Der Handlungsfehler muss sogar als besonders aussagekräftiger Fall für Handlungsbedürfnisse, Gewohnheiten, soziale Konventionen und situative Gegebenheiten angesehen werden.

Im Misslingen offenbart sich neben der alten auch eine neue Erfahrung. Kaum jemand begeht mit Absicht einen Handlungsfehler. Für ihn ist es daher eine neue Erfahrung, dass mit dem vorhandenen Handlungsrepertoire und mit den angestellten Vorüberlegungen die geplante Handlung misslingt. Die Erfahrung des Misslingens kann unter geeigneten Bedingungen ein starker (auch persönlich wirksamer) Impuls sein, der Sache auf den Grund zu gehen - d. h. Gründe für das Misslingen zu ermitteln und auf Basis der neuen Erkenntnis ein angemesseneres Handlungsrepertoire zu entwickeln.

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Martin Fischer Quelle: Buck, G.: Lernen und Erfahrung - Epagogik. Zum Begriff der didaktischen Induktion. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989.

„Die eigentlich belehrenden Erfahrungen sind diejenigen, bei denen man, wie man sagt, Lehrgeld bezahlt, d. h. die sogenannten negativen. Daran daß die ‚negativen‘ Erfahrungen dennoch belehrend, d. h. gerade ‚positive‘ sind, zeigt sich am besten, daß man die Erfahrung noch gar nicht eigentlich ‚gemacht‘ hat, ehe man aus ihr lernt.“(Günther Buck 1989, S. 15)

Erfahrung und Misslingen

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Erfahrung und Lernen Erfahrung ist der Ausgangspunkt begreifenden Erkennens. Erfahrung umfasst das persönliche Erleben der Zusammen-hänge, die für das eigene Handeln bedeutsam sind. Damit enthält Erfahrung zwei wesentliche Voraussetzungen für das Begreifen: das Kennen einer Sache und das Motiv, mit dieser Sache praktisch etwas anzufangen. Die Erfahrungen von Lernenden werden jedoch in schulischen Lernprozessen in der Regel nicht erkundet. Auf dem Weg zum begreifenden Erkennen wären daher die Erfahrungen, die in den Lernprozess eingehen und die in ihm gemacht werden, erstens vom Lehrenden zur Kenntnis zu nehmen und zweitens gemeinsam mit den Lernenden zu untersuchen.

Berufliches Wissen und Können ist nicht einfach bloß Anwen-dung des Gelernten. Sowohl das meist abstrakte Schulwissen (insofern es überhaupt praktische Relevanz besitzt), aber auch das in anderen Handlungsvollzügen erworbene Erfahrungswis-sen bedarf der Kontextualisierung. Die Arbeit wird daher auch als eine Art Erfahrungsraum genutzt, in dem Schulwissen in arbeitsrelevantes Wissen und Können transformiert wird.

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

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Quelle: Fischer, M.: Von der Arbeitserfahrung zum Arbeitsprozeßwissen. Rechnergestützte Facharbeit im Kontext beruflichen Lernens. Opladen: Leske + Budrich, 2000, S. 97 - 118

Erfahrung besitzt eine ästhetische Dimension; sie geht über das unmittelbare, unverbildete Empfinden hinaus, ist jedoch auch nicht mit künstlerischem Gestalten oder gar Kunstkennerschaft identisch.

Zusammenfassung: Erfahrung als integrierendes Moment ästhetischen, praktischen und vernünftigen Handelns

Erfahrung besitzt eine praktische Dimension; sie ist jedoch nicht mit praktischem Tun identisch oder als bloßes Abfallprodukt praktischen Handelns zu sehen. Es kann aber auch der Fall eintreten, daß Erfahrung weder als stattgehabte noch als zu findende für die Bewältigung einer Aufgabe hinreichend ist, so daß man von der Erfahrung abstrahieren muß, um zu praktischen Ergebnissen zu gelangen.

Erfahrung ist der Ausgangspunkt begreifenden Erkennens in dem Sinn, dass man die Sache kennt, um die es geht, und praktisch mit ihr etwas anfangen will. Erfahrung ist daher notwendig für den Erkenntnisgang und insbesondere den, der zu kompetentem praktischem Handeln hinführt. Man wird jedoch borniert, wenn man die Erfahrung als Beweis dafür nimmt, dass alles so sein muss, wie einem die Erfahrung sagt.

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Die Rolle von Erfahrung für das Verhältnis von Wissen und Handeln

LerntheoretischeGrundlagen

Martin Fischer

Erfahrung ist die Vermittlungsinstanz zwischen Wissen und (kompetentem) Handeln.

Fazit:

Ohne Erfahrungen zu machen, kann man Wissen nicht in Handeln umsetzen.

Und ohne Erfahrungen zu machen, kann Handeln nicht zu Wissen werden.