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InvaProtect – Nachhaltiger Pflanzenschutz gegen invasive Schaderreger im Obst- und Weinbau Diese Publikation wurde im Rahmen des Projekts InvaProtect „Nachhal- tiger Pflanzenschutz gegen invasive Schaderreger im Obst- und Weinbau“ veröffentlicht. 1 Einführung Der Klimawandel und der weltweit zunehmende Warenver- kehr begünstigen die Ausbreitung neuer invasiver Schaderreger auch im Oberrheingraben. Dazu gehört auch die Rote Austern- förmige Schildlaus (= Rote Austernschildlaus Epidiaspis leperii). 1.1 Bedeutung der Roten Austernförmigen Schildlaus Die Rote Austernschildlaus wird mittlerweile in Mittel- und Süddeutschland und vor allem am Oberrhein in vielen Zwetschen- und Mirabellenanlagen (Abb. 1 und 2) und zum Teil auch in verschiedenen Birnenanlagen festgestellt. Im Elsass gab es 2010 einen Nachweis in einer jungen Mirabellenanlage. Regelmäßige Beobachtungen in den Jahren 2016 und 2017 haben bisher mindestens einen weiteren positiven Fund im Elsass bei Colmar ergeben. Aus der Nordschweiz wurden bislang keine Funde gemeldet, jedoch besteht hier ausgehend aus der Süd-schweiz vor allem in Flußtälern bereits seit den 1960ern eine feste Population der Roten Austernschildlaus. Starker Befall der Bäume führt zum Absterben von Zweigen bzw. ganzen Bäumen, zu reduziertem Wachstum und zu Gum- Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein Leitfaden zur Bedeutung, Verbreitung, Biologie, Erfassung und Monitoring sowie Bekämpfung Abb. 1: Mit Austernschildläusen befallener Mirabellenbaum Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz Abb. 2: Männliche weiße stäbchenförmige Austernschildläuse Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

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InvaProtect – Nachhaltiger Pflanzenschutz gegen invasive Schaderreger im Obst- und Weinbau

Diese Publikation wurde im Rahmen des Projekts InvaProtect „Nachhal-

tiger Pflanzenschutz gegen invasive Schaderreger im Obst- und Weinbau“

veröffentlicht.

1 Einführung

Der Klimawandel und der weltweit zunehmende Warenver-

kehr begünstigen die Ausbreitung neuer invasiver Schaderreger

auch im Oberrheingraben. Dazu gehört auch die Rote Austern-

förmige Schildlaus (= Rote Austernschildlaus Epidiaspis leperii).

1.1 Bedeutung der Roten Austernförmigen Schildlaus

Die Rote Austernschildlaus wird mittlerweile in Mittel-

und Süddeutschland und vor allem am Oberrhein in vielen

Zwetschen- und Mirabellenanlagen (Abb. 1 und 2) und zum

Teil auch in verschiedenen Birnenanlagen festgestellt. Im Elsass

gab es 2010 einen Nachweis in einer jungen Mirabellenanlage.

Regelmäßige Beobachtungen in den Jahren 2016 und 2017

haben bisher mindestens einen weiteren positiven Fund im

Elsass bei Colmar ergeben.

Aus der Nordschweiz wurden bislang keine Funde gemeldet,

jedoch besteht hier ausgehend aus der Süd-schweiz vor allem

in Flußtälern bereits seit den 1960ern eine feste Population der

Roten Austernschildlaus.

Starker Befall der Bäume führt zum Absterben von Zweigen

bzw. ganzen Bäumen, zu reduziertem Wachstum und zu Gum-

Die Rote Austernförmige Schildlaus am OberrheinLeitfaden zur Bedeutung, Verbreitung, Biologie, Erfassung und

Monitoring sowie Bekämpfung

Abb. 1: Mit Austernschildläusen befallener Mirabellenbaum

Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

Abb. 2: Männliche weiße stäbchenförmige Austernschildläuse

Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

mifluss (Abb. 3 und 4). An Apfel, Kirsche und Strauchbeeren

wurde im Oberrheingebiet bislang noch kein Befall festgestellt.

1.2 Verbreitung

2008 wurde diese invasive Schildlausart erstmals an Mirabel-

len im Oberrheingraben (Pfalz und Rheinhessen) nachgewiesen,

später dann auch zunehmend in den badischen Anbaugebieten.

Seit 2010 tritt sie in den genannten Anbauregionen zunehmend

auch an Zwetschen (z. B. Sorten Cacaks und Presenta) auf.

Seit 2015 findet man zudem Befall an Birnen (z. B Sorten

Williams und Concorde).

Mittlerweile hat der Schädling sich mit Ausnahme des fran-

zösischen Teils (mit Ausnahme einzelner Nachweise) sowie der

Nordschweiz im gesamten Rheingraben mit seinem warmen

Weinbauklima ausgebreitet.

In Abb. 5 sind die bisherigen Nachweise der Roten Austern-

schildlaus im Oberrheingraben dargestellt. Diese Verbreitungs-

Abb. 4: Rotfärbung des Holzes durch starken Befall auf der Rinde

Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

Abb. 3: Abgestorbener Mirabellenbaum

Foto: Uwe Harzer/DLR Rheinpfalz

Abb. 5: Nachweise der Roten Austernschildlaus und ihrer natürli-

chen Gegenspieler im Oberrheingraben (Stand Sept. 2018 )

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

karte wird permanent bei Auftreten neuer Funde aktualisiert

(siehe auch Hinweis zu weiteren Informationen auf S. 10) und

ist online unter https://www.isip.de/isip/servlet/isip-de/info/

karten/epidiaspis-leperii und http://www.ltz-bw.de/pb/,Lde/

Startseite/Ueber+uns/Publikationen+und+Ergebnisse zu finden .

2 Biologie der Roten Austern­förmigen Schildlaus

2.1 Wirtspflanzen der Roten Austernförmigen Schildlaus

Die Schildlaus ist mit vielen verschiedenen Wirtspflanzen

sehr polyphag. Sie befällt vor allem Gehölze aus der Familie

der Rosengewächse (Rosaceaen), aber auch viele andere Ge-

hölzpflanzen in Wäldern oder an Waldrändern sowie in Hecken,

z. B. Walnuss (Juglans) oder Weißdorn (Crataegus). Betroffen

sind am Oberrheingraben im Obstbau Mirabelle, Zwetsche,

Birne und Pfirsich. Bisher wurde noch kein Befall an Kirsche

sowie nur vereinzelter Befall an Apfel beobachtet.

2.2 Lebensweise und Biologie

Die Rote Austernförmige Schildlaus durchläuft nur eine

Generation/Jahr. Sie überwintert als erwachsenes (adultes)

Weibchen. Das ergaben die im Rahmen des Projekts ‚Inva-

Protect‘ durchgeführten Untersuchungen im Oberrheingraben

(DLR Rheinpfalz in Neustadt und Oppenheim). Ab Ende April/

Anfang Mai legen die Weibchen unter ihren Schilden die Eier

ab. Ab Mitte/Ende Mai schlüpfen die Larven und besiedeln vor

allem den Stammbereich der Bäume und Gehölze, aber auch

neue Triebe und Astpartien. Ab Mitte/Ende Juni setzen sich

diese sogenannten Wanderlarven (Crawler) fest, verursachen

krustenartige Beläge auf den Trieben und beginnen mit der

Schildbildung. Ungeflügelte adulte Männchen findet man ab

Anfang Juli, ab Ende Juli treten zunehmend die überwinternden

Weibchen auf (Abb. 6).

Es ist davon auszugehen, dass auch bei der Roten Aus-

ternschildlaus die Verbreitung in Obstanlagen und größeren

Arealen hauptsächlich über die Windverfrachtung der Wan-

derlarven (Abb. 7) erfolgt. Nach den bisherigen Erfahrungen

an Birnen verbreitet sie sich nicht so schnell wie die Maul-

beerschildlaus.

Abb. 6: Entwicklungszyklus Rote Austernschildlaus (Epidiaspis leperii) (Quelle: Douglass R. Miller et. al.; modifiziert nach den Erhebungen

im Oberrheingebiet, Dahlbender, DLR Oppenheim)

Abb. 7: Wanderlarven (Crawler) der Roten Austernschildlaus

Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

Abb. 8: Ungeflügelte Weibchen

Foto: Klaus Schrameyer

Abb. 11: Versteckt sitzende Weibchen unter Mirabellenrinde

Foto: Uwe Harzer/DLR Rheinpfalz

Abb. 10: Dunkelrot bis violett gefärbte ungeflügelte Weibchen

Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

Abb. 12: Stäbchenförmige weiße Schilde der männlichen Roten

Austernschildlaus Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

Abb. 9: Ungeflügelte Weibchen

Foto: Dahlbender, Hensel/DLR Rheinpfalz

Abb. 13: Massenanhäufungen auf dem Holz der männlichen Roten

Austernschildlaus Foto: Uwe Harzer/DLR Rheinpfalz

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

Abb. 14: Eigelege der Roten Austernschildlaus

Foto: Olaf Zimmermann/LTZ Augustenberg

2.3 Die verschiedenen Stadien der Roten Austernschildlaus

Die ungeflügelten Weibchen sitzen sehr versteckt unter einer

Art Kruste im Rindenbereich und sind an der typisch roten

Farbe von anderen Austernschildlausarten zu unterscheiden.

Sie sind 1,4–1,8 mm groß und haben eine ovale bis rundliche

Form (Abb. 8 bis 10). Die versteckt sitzenden Weibchen sind

das ganze Jahr über zu finden (Abb. 11).

Die männlichen Schildläuse sind flügellos, haben ein stäb-

chenförmiges weißes Schild und sitzen auf der Rinde. Bei

starkem Besatz fallen sie als weißlicher Überzug auf der Rinde

ins Auge (Abb. 12). Die jungen männlichen Schildläuse sind

oft in Massenanhäufungen auf dem Holz anzutreffen (Abb. 13).

Sie sind vor allem im Juli/August zu beobachten!

Die unter den Schilden abgelegten Eier (Abb. 14) sind

rötlich durchscheinend gefärbt und von ovaler bis länglicher

Form. Pro Weibchen werden bis zu 40 Eier abgelegt.

Die Wanderlarven (Crawler) der Roten Austernschildlaus

sind flach, oval, blass-gelblich gefärbt und sehr mobil (Abb. 7).

Sie sind von Mai bis Juli auf dem Holz zu finden.

3 Überwachungs­ und Monitoringmaßnahmen

Durch eine regelmäßige Kontrolle der Obstanlage sollte

sichergestellt werden, ob Befall vorliegt oder nicht. Alter Befall

mit leeren Schilden sollte von Befall an den neuen Austrieben

unterschieden werden. Dazu sollten Astproben geschnitten

und an den Pflanzenschutzdienst weitergeleitet werden, wenn

selbst keine visuelle Kontrolle erfolgen kann. Dieses präven-

tive Monitoring ist für eine Ausbreitungsüberwachung sowie

Bekämpfung der Schildläuse von größter Bedeutung. Über

die aktuelle Verbreitungskarte kann festgestellt werden, ob

die Rote Austernförmige Schildlaus in der Region vorkommt.

Diese liegen bei der regionalen Pflanzenschutzberatung vor

und werden von den Pflanzenschutzdiensten aktualisiert und

publiziert. Für die überregionale Erfassung des Auftretens von

invasiven Schildläusen steht der Pflanzenschutzberatung die

Monitoring-APP von ISIP zur Verfügung.

Das Auftreten von Männchen, Weibchen und Wanderlarven

der Roten Austernschidllaus kann am Baum und im Bestand nur

sehr schwer visuell überwacht werden. Hilfreich ist eine min-

destens 15-fach vergrößernde Lupe. Während die männlichen

Schildläuse auf dem Holz insbesondere bei Massenauftreten

noch sehr gut zu erkennnen sind, muss man die verkrustete

Rinde aufkratzen oder mit einem scharfen Messer abschälen,

um die weiblichen Tiere zu finden. Bei geringerer Anzahl

männlicher Tiere sind auch diese schwer zu erkennen, da sie

oft unter einem filzartigen Moos- oder Flechtenüberzug sitzen.

3.1 Befallssymptome

Nachfolgende Fotos und Hinweise dienen als Hilfestellung

zum Erkennen des Schadbildes (Abb. 15 bis 23). Im Verdachts-

fall kann die zuständige Pflanzenschutzberatung hinzugezogen

werden.

Weitere Indizien für möglichen Befall durch die Rote Aus-

ternschildlaus können sein: verkrustete Stämme und Leitäste

sind wie mit „grau-weißem Filz“ überzogen (Abb. 15 bis 19).

Unter diesem filzartigen Überzug auf der Rinde sitzen die

männlichen Schildläuse, darunter unter der verkrusteten Rinde

die Weibchen (Abb. 20 und 21).

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

Abb. 17 und 18: „Grau-weißer Filz“ auf Ästen Fotos: Dahlbender, Hensel/DLR Rheinpfalz, Wahl/DLR Rheinpfalz

Abb. 19: „Grau-weißer Filz“ durch Hüllen geschlüpfter männlicher

Schildläuse mit dem Schädling Foto: Uwe Harzer/DLR Rheinpfalz

Stark befallene Bäume und Äste vergreisen und sterben ab

(Abb. 22). Die Rinde reißt auf (Abb. 23), das Holz darunter

zeigt massive rot-braune Verfärbungen (Abb. 2). Bei massivem

Befall tritt Gummifluss auf.

4 Regulierungs­ und Bekämpfungsmöglichkeiten

Die Bekämpfung der Roten Austernschildlaus ist wie bei der

Maulbeerschildlaus sehr schwierig, da die erwachsenen (adulten)

weiblichen Schildläuse versteckt unter der verkrusteten Rinde

leben (vgl. Abb. 11 und 21).

Abb. 15 und 16: Absterbende oder abgestorbene verkrustete Zweige und Astpartien können auf Befall durch die Rote Austernförmige

Schildlaus hinweisen. Fotos: Uwe Harzer/DLR Rheinpfalz

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

Abb. 20: Männliche erwachsene Schildläuse am Stamm (mit Lupe

gut erkennbar), bei Massenansammlungen auch mit dem bloßen

Auge zu sehen. Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

Abb. 21: Weibliche adulte Schildläuse unter stark verkrusteter

Rinde, Rinde mit scharfem Messer abschälen

Foto: Uwe Harzer/DLR Rheinpfalz

Abb. 22: Zwetschenanlage mit massiven Ausfallerscheinungen Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

Abb. 23: Rindenrisse durch Befall mit Roter Austernschildlaus

Foto: Werner Dahlbender/DLR Rheinpfalz

Bei der Bekämpfung stehen nicht-chemische Maßnahmen

im Vordergrund, die nachfolgend beschrieben werden. Voraus-

setzung für eine erfolgreiche Bekämpfung ist das rechtzeitige

Erkennen des Befalls durch den Schädling (vgl. Abschnitt 2

und 3). Je früher ein Befall erkannt wird, desto effektiver kön-

nen die Gegenmaßnahmen (z.B. geringerer Aufwand, besseres

Nützlings-Schädlings-Verhältnis) sein und desto geringer fällt

ein Verlust durch Schnittmaßnahmen aus.

4.1 Abstrahlen der Bäume

Die mechanische Beseitigung des Schildlausbefalls durch

das Abstrahlen der Bäume während der Vegetationsruhe vor

dem Austrieb (siehe Leitfaden zur Maulbeerschildlaus) wurde

für die Rote Austernschildlaus noch nicht getestet. Es ist jedoch

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

davon auszugehen, dass diese Maßnahme nicht so effektiv ist

wie bei der Maulbeerschildlaus. Während die Weibchen bei

der Maulbeerschildlaus größtenteils unter den männlichen

Schilden, aber auf der Rinde sitzen, leben die weiblichen Tiere

der Roten Austernschildlaus versteckt unter der Rinde. Daher

sind sie vermutlich durch einen Hochdruckwasserstrahl nicht

oder nur eingeschränkt erreichbar.

4.2 Abschneiden und Roden

Die wichtigste Gegenmaßnahme ist zweifelsfrei das Weg-

schneiden befallener Äste und Zweige (Abb. 24 und 25) ebenfalls

während der Vegetationsruhe vor dem Austrieb. Bei massivem

Befall ist oft das Roden der Bäume unumgänglich. Dieses

mechanische Beseitigen und Verbrennen von Befallsmaterial

wird nach wie vor vorrangig empfohlen, wenn keine Parasitie-

rung vorliegt.

Sobald jedoch eine Parasitierung des Schädlings durch natür-

liche Gegenspieler vorliegt, ist dringend von einer Verbrennung

abzusehen (s. nachfolg. Abschn. zu natürlichen Gegenspielern).

Bei Parasitierung mit natürlichen Gegenspielern sollten die zwi-

schen Februar und März nach der Überwinterung der Nützlinge

geschnittenen Äste in den Anlagen verbleiben.

Da befallene Bäume und Sträucher bei Vorhandensein

geflügelter Stadien Infektionsquellen für andere Pflanzen sind

und sich die Schildlaus von diesen aus im Bestand ausbreiten

kann, sollten Sanierungsmaßnahmen sofort nach Erkennen des

Befalls durchgeführt werden. Insbesondere vor der Schlupf-

periode der Crawler sollte starker Befall ausgeräumt sein (ab

Mitte Mai, siehe Abb. 6 zum Entwicklungszyklus der Roten

Austernschildlaus). Bei dem o.g. rechtzeitigen Schnitt bis

März ist in den Anlagen nach bisherigen Erfahrungen mit der

Maulbeerschildlaus nicht von einem Aufwandern auf weitere

Wirtspflanzen auszugehen, da noch keine beweglichen Stadien

vorhanden sind.

4.3 Schädlingsregulation durch Ansiedlung, Schonung und Förderung natürlicher Gegenspieler

Im Rahmen des INTERREG V Oberrhein-Projektes „InvaP-

rotect – Nachhaltiger Pflanzenschutz gegen invasive Schaderreger

im Obst- und Weinbau“ wird seit 2016 am DLR Rheinpfalz in

Zusammenarbeit mit französischen und Schweizer Partnern

und dem Landwirtschaftlichen Technologiezentrum (LTZ)

Augustenberg nach natürlich vorkommenden Gegenspielern

der Roten Austernschildlaus am Oberrhein gesucht.

In Schildlausproben aus der Pfalz und aus Rheinhessen

(von Birne, Zwetsche, Mirabelle) konnten vor allem Aphytis-

Arten (Abb. 26) gefunden werden, die noch näher bestimmt

werden müssen. Ähnliche Funde gab es auch aus dem gesamten

badischen Anbaugebiet.

Abb. 24 und 25: Rodungsmaßnahmen in von Roter Austernschildlaus befallenen alten Mirabellenanlagen Fotos: Wahl/DLR Rheinpfalz

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

Weitere im Projekt nachgewiesene Gegenspieler der Roten

Austernschildlaus sind:

• Thomsonisca amathus (Encyrtidae)

• Lestodiplosis diaspidis (räuberische Gallmücke)

• Dentifibula viburni (räuberische Gallmücke)

Die ermittelten Parasitierungsraten lagen z.B. bei den Rhein-

land-Pfälzischen Proben zwischen 1,2 % und 8,7 % und sind

damit nicht so hoch wie bei der Maulbeerschildlaus. Eventuell

spielt hier ebenfalls die versteckte Lebensweise der Schildläuse

unter der verkrusteten Rinde eine Rolle.

Zur Förderung der natürlichen Gegenspieler und zum

Erhalt vorhandener Nützlingspopulationen wird empfohlen,

geschnittenes Befallsmaterial (Zweige, Äste, ggf. auch aus

anderen Befallsanlagen) unter den Bäumen zu belassen und

nicht zu mulchen. Damit ist gewährleistet, dass von diesem

Befallsmaterial ausgehend eine Wiederbesiedlung z.B. durch

parasitische Wespen und räuberische Gallmückenarten auf die

Bäume gesichert ist. Erfolgt der Schnitt in der Winterruhe und

vor dem Austrieb, besteht durch das Fehlen beweglicher Stadien

des Schädlings nach den bisherigen Erkenntnissen kein vom

Schnittgut ausgehendes Befallsrisiko weiterer Pflanzen oder

Pflanzenteile in der Kultur.

Gegenspieler von Schildläusen treten bereits natürlich auf.

Sie sind flugfähig und wandern mit den Schildläusen von Befall

zu Befall. Neben heimischen Arten treten inzwischen nördlich

der Alpen Nützlinge auf, die zur biologischen Bekämpfung z.B.

in Italien freigesetzt wurden („klassischer biologischer Pflanzen-

schutz“). Durch diese zusätzliche Etablierung von natürlichen

Gegenspielern werden flächendeckender Effekte erzielt, die zur

Reduktion von Befall beitragen und die Bekämpfungskosten

langfristig senken könnten. Neben den Schlupfwespen spielen

auch räuberische Gallmücken und Marienkäfer (Nierenfleckiger

und Strichfleckiger Kugelmarienkäfer und Deckelschildlaus-

Kugelkäfer) eine Rolle bei der natürlichen Regulation des

Schädlings.

Erste Tastversuche am LTZ Augustenberg mit der Maulbeer-

schildlaus haben gezeigt, dass es sinnvoll ist, Nützlingspopula-

tionen aktiv zu fördern. Dazu wird Schnittgut aus Anlagen mit

höherem Anteil an Schildlaus-Nützlingen in befallene Anlagen

übertragen. Dadurch können ggf. die Gegenspieler langfristig

etabliert und die Parasitierungs- und Prädationsrate gesteigert

und somit der Befall reduziert werden. Der Rückschnitt sollte

am besten im Frühjahr Mitte Februar bis März nach der Über-

winterung der Nützlinge erfolgen.

Die Astbündel können lose in der Anlage verteilt oder

z.B. in Eimer mit Löchern als Schlupfkäfige verbracht werden

(Abb. 27). Durch diese Maßnahme als Routineeingriff kann in

der Obstanlage das Gleichgewicht zwischen den Schädlingen

und Nützlingen mittelfristig zu Gunsten der natürlichen Ge-

Abb. 26: Aphytis sp.

Foto: Zimmermann, Rauleder/LTZ Augustenberg

Abb. 27: Schlupfeimer für Gegenspieler der Maulbeerschildlaus

Foto: Rauleder/LTZ Augustenberg

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

genspieler verschoben werden. Diese Maßnahme ist ggf. auch

auf die Rote Austernschildlaus übertragbar.

Die Entfernung/das Häckseln des Schnittgutes sollte Anfang

Juni erfolgen, nachdem die Nützlinge das Altholz verlassen

haben, um die Ausbreitung von ggf. auftretenden Holzkrank-

heiten zu vermeiden.

Durch die Ausnutzung natürlicher Gegenspieler kann bei

ausreichendem Nützlingsbesatz der Massenvermehrung der

Schildläuse entgegengewirkt werden. Durch die Vermeidung

oder die Reduktion des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflan-

zenschutzmittel werden neben der Förderung der Nützlinge in

den Obstanlagen auch Nebenwirkungen auf weitere Nichtziel-

organismen in- und außerhalb der Kulturen verhindert. Der

verringerte Eintrag von Pflanzenschutzmitteln trägt zudem zur

Schonung von Boden und Wasser und der entsprechenden

Ökosysteme bei.

4.4 Einsatz von Insektiziden

Die Zulassung chemisch-synthetischer Insektizide ist

für jedes Land separat zu prüfen. Chemisch-synthetische

Insektizide sollten bei entsprechender Zulassungssituation

nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, wenn ande-

re Maßnahmen nicht ausreichend wirken. Dabei ist darauf

zu achten, dass eine Bekämpfung gezielt nur auf die emp-

findlichsten Stadien, d.h. auf die Wanderlarven (siehe u.s.

Versuchsbeschreibungen) ausgerichtet ist. Dies bedarf einer

genauen und regelmäßigen Überwachung der Anlagen und

der phänologischen Entwicklung der Schildlaus. Insektizide

aus dem ökologischen Anbau sind nicht wirksam und zulässig

gegen die Rote Austernschildlaus.

Nachfolgend werden Versuche zur Wirksamkeit verschie-

dener Insektizide vorgestellt. Der Einsatz ist nur möglich,

wenn ein Mittel zugelassen ist. Nur bei gezieltem Einsatz

weitgehend nützlingsschonender Insektizide, wie z.B. Moven-

to (Spirotetramat), sind nachhaltige negative Auswirkungen

auf die Naturräume auszuschließen. Dies sollte unbedingt

beachtet werden. Die Zulässigkeit des Einsatzes und des

genauen Einsatzzeitpunktes ist für jedes Partnerland des

Oberrheingebietes über die nationale Zulassungssituation

in jedem Fall abzuklären.

Versuche am DLR Rheinpfalz in Oppenheim mit verschiede-

nen chemisch-syntehtischen Insektiziden, mit Applikationen auf

die adulten Tiere haben gezeigt, dass die männlichen Schildläuse

zwar zum größten Teil absterben, die weiblichen Tiere allerdings

die Insektizidbehandlungen weitestgehend überleben, so dass

eine dauerhafte Regulierung des Befalls nicht möglich ist.

Am empfindlichsten gegenüber chemisch-synthetischen

Insektiziden sind die Wanderlarven (Crawler). Allerdings kön-

nen diese je nach Witterung über mehrere Wochen schlüpfen

und umherwandern. Zudem liegt der Bekämpfungszeitraum

von Mitte Mai bis Ende Juli in der Regel im rückstands-

relevanten Bereich (siehe Abb. 6 Lebenszyklus der Roten

Austernschildlaus).

Nach den Versuchen am DLR Rheinpfalz in Oppenheim

gegen die Wanderlarven der Roten Austernschildlaus hatte

Spirotetramat eine gute Wirkung auf die Larven dieser schwer

bekämpfbaren invasiven Art.

Andere sowohl in der Schweiz, Frankreich und in Deutsch-

land gegen andere Schaderreger zugelassene Insektizide mit

einer Nebenwirkung auf Napfschildläuse, zu denen die Rote

Austernschildlaus gehört, (z.B. Confidor (Imidacloprid), Ca-

lypso (Thiacloprid) oder Envidor (Spirodiclofen) haben in den

beschriebenen Versuchen nicht ausreichend gewirkt.

Zur Kontrolle der Schildläuse sollten nur Maßnahmen er-

griffen werden, die eine natürliche Regulierung des Schädlings

nicht beeinträchtigen.

Pflanzenschutzmaßnahmen mit chemisch-synthetischen

Pflanzenschutzmitteln sind entweder nicht zulässig oder haben

durch die Biologie und das zeitliche Auftreten des Schädlings

keine ausreichende Wirkung. Außerdem können sich bei dem

vermehrten Einsatz der Mittel erhebliche Nebenwirkungen

auf die natürlichen Gegenspieler der Schildläuse ergeben,

wodurch sie in der Entwicklung gestört werden oder sogar

absterben. Dadurch wird unbeabsichtigt der Schildlausbefall

oft erst gefördert. Nicht fachgerechte Bekämpfungsmaßnahmen

können durch die Reduktion der Gegenspieler nicht nur der

Schildläuse, sondern auch der natürlichen Gegenspieler von

anderen Obstschädlingen zusätzlich negative Folgekosten

verursachen.

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

Weitere Informationen

• www.ltz-bw.de (> ueber uns > invaprotect),

• www.dlr.rlp.de (> aktuelles > invaprotect) sowie unter

• www.fredon-alsace.fr (> actualites > projet-invaprotect-

protection-durable-des-vegetaux-contre-les-bioagresseurs-

invasifs-dans-les-vergers-et-les-vignes)

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Die Rote Austernförmige Schildlaus am Oberrhein

IMPRESSUM

Herausgeber:

• Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg (LTZ), Neßlerstr. 25, 76227 Karlsruhe,

Tel.: 0721/9468-0, Fax: 0721/9468-209, E-Mail: [email protected], www.ltz-augustenberg.de

• Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz, Breitenweg 71, 67435 Neustadt a. d. Weinstraße,

Tel: 06321/671-0, Fax: 06321/671-390, E-Mail: [email protected], www.dlr-rheinpfalz.rlp.de

• FREDON Alsace (Fédération Régionale de Défense contre les Organismes Nuisibles), 12 rue Galliéni, 67600 Selestat,

Tel.: 0388821807, E-Mail: [email protected]

Redaktion: U. Harzer, W. Dahlbender, J. Sauter (DLR); K. Köppler, H. Rauleder, O. Zimmermann (LTZ); S. Frey (FREDON Alsace)

Layout: Jörg Jenrich November 2018