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16 Moschee. Verzweifelt versuchte der Imam, die Angreifer aufzu- halten. «Du bist ein Gottesläste- rer», beschimpften ihn die sala- fistischen Extremisten, dann setzte es Prügel ab. Erst als meh- rere Dutzend aufgebrachte Bür- ger herbeieilten, schritten die Ordnungskräfte ein. Doch da war die zierliche Sidi-Shaab-Mo- schee bereits eine Ruine und die beiden mit Kupfer gedeckten Dachkuppen krachend zu Boden gegangen. Zwei Tage später knöpften sich die Zeloten bereits das nächste Gotteshaus vor. Um zwei Uhr früh drang eine Horde schwer Bewaffneter in den Hof der 350 Jahre alten Othman-Pasha-Me- drese in der Altstadt ein. Alle dreissig Gräber im Inneren wur- den mit Presslufthämmern zer- trümmert, die Bibliothek mit ihrem wertvollen Bestand aus os- manischer Zeit verwüstet. Ein Dutzend Sufi-Heiligtü- mer, Friedhöfe und römische Statuen sind mittlerweile demo- liert, darunter die Sahaba-Mo- schee in Derna, das Sidi-Ahmed- Zaroug-Heiligtum in Misrata, sowie die Moschee in Zintan, wo der Sufi-Gelehrte Abdel Sa- lam al-Asmar aus dem 15. Jahr- hundert verehrt wird. Unter den gestürzten arabi- schen Autokraten Ben Ali, Muam- mar Ghadhafi und Hosni Muba- rak spielten Salafisten kaum eine Rolle. Tunesiens ehemaliger Prä- sident Ben Ali liess alle religiösen Schulen schliessen, jeder Mo- schee-Imam musste sich vom Staat akkreditieren lassen. Unter Muammar Ghadhafi konnte be- reits ein längerer Bart seinen Träger ins Gefängnis bringen. In Hosni Mubaraks ägyptischem Polizeistaat waren Salafisten im Strassenbild zwar geduldet, im Gegenzug aber gaben sie sich apolitisch und hyperfromm, ver- kauften lediglich moralische Predigtkassetten oder Schriften gegen das «sündige Verhalten von Frauen», auf denen Lippenstifte, Spielkarten und Parfüm abgebil- det waren. Den Westen haben sie zum globalen Feindbild erklärt Längst jedoch rücken die salafis- tischen Hardliner nicht nur an- geblich unislamischen Glaubens- brüdern zu Leibe. Ganzen Gesell- schaften zwingen sie ihre Kultur- kämpfe auf, um sie von «unzüch- tigen Umtrieben» zu reinigen. Den Westen und seine sozialen Gepflogenheiten haben sie zu ihrem globalen Feindbild er- klärt. Auf Ägyptens Strassen und auch in Tunesien und Libyen sind immer mehr Frauen zu sehen, die den Nikab tragen, einen Voll- schleier, der das Gesicht bis auf einen Augenschlitz verhüllt. Hochzeiten minderjähriger Mäd- chen gehen in der gesamten Re- gion in die Zehntausende, in Ägypten genauso wie im relativ reformoffenen Marokko, dem erzkonservativen Saudiarabien oder jüngst auch wieder im ehe- mals säkularen Irak. Ägyptens Salafisten nehmen bei ihren Kampagnen Christen, moderate Muslime und säkulare Mitbürger gleichermassen ins Vi- sier. Mal belagerten sie ein kop- tisches Pfarrhaus, um eine an- geblich dort gefangen gehaltene Islam-Konvertitin «zu befreien». In der Kanalstadt Suez erstach ein selbst ernannter Moralpoli- zist einen jungen Muslim, den er an einer Bushaltestelle mit seiner Freundin beobachtet hatte. Einem Kopten, der seine Woh- nung angeblich an eine muslimi- sche Prostituierte vermietet hat- te, schnitten sie ein Ohr ab. Und meist wenn irgendwo im Land eine Kirche in Flammen aufgeht oder ein Sufi-Heiligtum demo- liert wird, haben radikale Bärti- ge ihre Finger mit im Spiel. Politisch scheint sich diese Ag- gressivität bisher auszuzahlen. Im ersten postrevolutionären Parla- ment Ägyptens errangen die Sa- lafisten ein Viertel der Mandate und wurden überraschend zweit- stärkste Fraktion hinter den Mus- limbrüdern, obwohl sie Demokra- tie als «Anmassung der göttlichen Ordnung» eigentlich ablehnen. Unermüdlich traktierten sie die Volksvertretung, die inzwischen von Verfassungsgericht aufgelöst wurde, mit Diskussionen über ihre Gesetzeswünsche. Das Hei- ratsalter für Mädchen wollten sie auf zwölf Jahre absenken, das Verbot weiblicher Genitalver- stümmelung annullieren, das unter Mubarak eingeführte Schei- dungsrecht für Frauen sowie alle Reformen beim Sorgerecht für Kinder wieder rückgängig ma- chen. Tunesiens Salafisten dagegen terrorisieren die Bevölkerung seit Monaten mit moralischen Prügelkampagnen, die mit dem Angriff auf die US-Botschaft bis- her ihren Höhepunkt fanden. In Sidi Bouzid, Geburtsstadt des arabischen Frühlings, drangen fünfzig Fanatiker in das Hotel Horchani ein, zertrümmerten die Bar, durchsuchten Zimmer und zerschlugen Flaschen. «Gott ist gross» skandierten sie und «Al- kohol ist Sünde». Drei Monate zuvor hatten Ultrakonservative, die mittlerweile ein Fünftel der 2500 Moscheen Tunesiens kont- rollieren, eine Kunstgalerie im Nobelvorort La Marsa von Tunis gestürmt und in ganz Tunesien drei Tage lang schwere Unruhen ausgelöst. Provoziert fühlten sich die Eindringlinge von einem Ölbild, das eine nackte Frau vor dämonisch-bärtigen Gestalten zeigte. Ein Toter, über hundert Verletzte, nächtliche Ausgangs- sperren und eine Regierungs- krise waren die Folgen. Auf ihren Facebook-Seiten ru- fen die Zeloten im Namen Allahs inzwischen völlig ungeniert zum Mord an Künstlern, Schauspie- lern und Journalisten auf, die sie online mit Foto und voller Adres- se an den Pranger stellen. «Wir er- halten ständig Drohanrufe und beleidigende SMS», klagt die Fotografin Héla Ammar, die an der attackierten Ausstellung in La Marsa beteiligt war. Der von den Ennahda-Muslimbrüdern geführ- ten tunesischen Regierung wirft sie vor, feige vor den Radikalen zu kneifen. So konnte sich der Hasspredi- ger Seif Allah Ben Hassine, der den Mob zum Sturm auf die US- Botschaft in Tunis aufgehetzt hat- te, tagelang in seiner Al-Fatah- Moschee verbarrikadieren und am Ende ungehindert durch den Polizeikordon um das Gottes- haus herum entwischen. Man ha- be auf die Verhaftung von Has- sine verzichtet, erklärte kleinlaut der Sprecher des Innenministe- riums. «Wir wollen weitere Kon- frontationen mit den Salafisten vermeiden.» Einen Tag später allerdings platzte Ennahda-Chef Rahed Ghannouchi dann endlich der Kragen. «Die Polizei wird Has- sine jagen und festnehmen», er- klärte er und nannte die Salafis- ten eine Bedrohung für die Si- cherheit und Freiheit des ganzen Landes. «Wenn Gruppen in so schamloser Weise auf unserer Freiheit herumtrampeln, müssen wir entschlossen reagieren und hart durchgreifen.» SonntagsZeitung Huwi; Quelle: Sonntagszeitung INDISCHER OZEAN MITTEL� MEER ATLANTISCHER OZEAN J4ltCasL LMn9eC @it staC>en salaKstis8<en %ewegungen! GoCwiegen9 @usli@is8<es )e7iet SUDAN ÄGYPTEN TUNESIEN SAUDI� ARABIEN JEMEN LIBYEN ALGERIEN MALI NIGER WESTSAHARA MAURETANIEN SENEGAL GUINEA MAROKKO BANGLADESCH INDONESIEN MALAYSIA BRUNEI SOMALIA OMAN ALBANIEN KOSOVO JORDANIEN ASERBEIDSCHAN IRAK SYRIEN TÜRKEI KASACHSTAN PAKISTAN AFGHANISTAN KIRGISIEN USBEKISTAN TADSCHIKISTAN TURKMENISTAN IRAN AFRIKA EUROPA ASIEN Die islamische Welt – und wo salafistische Extremisten auf dem Vormarsch sind Gewalt im Namen Allahs FORTSETZUNG VON SEITE 15 3 Die Proteste gegen ein anti- islamisches Hetzvideo haben die Schweiz erreicht. Gestern rief der Islamische Zentralrat der Schweiz (IZRS) zu einer Demonstration in Bern auf. Rund 200 Personen nahmen an der Kundgebung «Für den Schutz religiöser Gefühle» teil. Andere Muslimverbände haben sich von der Kundgebung distanziert. Der umstrittene IZRS hat in gut zwei Jahren in der Schweiz ein System geschaffen, dass zuneh- mend einer Parallelgesellschaft gleicht. Zu den Projekten des Is- lam-Verbandes gehört ein eigener Internetfernsehkanal mit «Serien- predigten», bereits in Planung ist zudem eine Moschee, eine Koran- schule und ein islamisches Frau- enhaus. In bestehenden Häusern, kritisiert der IZRS, würden Frau- en von ihrem «religiösen und kul- turellen Hintergrund» getrennt. Radikal-religiöse Bewegungen haben in der Schweiz Fuss ge- fasst. Dazu gehört die türkische Hizbollah, die in der Basler Mo- schee Said-i-Nursi einen Treff- punkt eingerichtet hat (Sonntags- Zeitung vom 2. 9. 2012). Das Bas- ler Gebetslokal steht unter Beob- achtung des Schweizer Staats- schutzes. Die Anhänger der tür- kischen Hizbollah, der wichtigs- ten radikal-religiösen Bewegung der Türkei, reisen aus der ganzen Schweiz, Frankreich und Deutsch- land an. Die Organisation beab- sichtigt laut Nachrichtendienst, in der Türkei einen islamischen Staat nach iranischem Vorbild zu errichten, «nötigenfalls mit ge- waltsamen Mitteln». Wie der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in seinem Lagebe- richt «Sicherheit Schweiz 2012» festhält, ist europaweit eine Zu- nahme von jihadistisch motivier- ten Reisebewegungen festzustel- len. Die Anzahl aufgedeckter Fäl- le steige auch in der Schweiz. Dem NDB sind aktuell mehrere Personen mit früherem Wohnsitz in der Schweiz bekannt, die sich zum Zweck der Teilnahme an Kampfhandlungen in einem Ji- hadgebiet wie Somalia oder Af- ghanistan aufhalten. Für antiwestliche Propaganda wird das Internet genutzt Wohl in keinem anderen Bereich der extremistischen Ideologien wird das Internet so intensiv be- nützt wie im Jihadismus. Das zeigt das Internetmonitoring des NDB und des Bundesamts für Polizei (Fedpol). Radikal-islamische Be- wegungen nutzen das Internet, um antiwestliche Propaganda zu ver- breiten und Muslime im Westen aufzufordern, für den Jihad im Land ihres Wohnsitzes Anschläge zu verüben. Auch in der Schweiz fallen in virtuellen sozialen Netz- werken wie zum Beispiel Facebook Personen auf, die deutlich eine islamistische Weltanschauung ha- ben, ohne dass direkte Bezüge zu realen jihadistischen Netzwerken ersichtlich wären. Da die Schweiz mehrere Jihad- reisende, bisher aber keine er- kannten Rückkehrer zu verzeich- nen habe, sei es durchaus möglich, dass auch sie in Zukunft von sol- chen Fällen betroffen sein werde, schreibt der NDB in seinem Lage- bericht. Deshalb seien die Behör- den gefordert, sich mit der Proble- matik allfälliger Rückkehrer aus- einanderzusetzen. Darüber hinaus könnten ungehindert fortlaufende oder gar zunehmende Reisebewe- gungen von der Schweiz aus in Jihadgebiete dem Ansehen der Schweiz schaden, warnt der NDB. NADJA PASTEGA «Nötigenfalls mit gewaltsamen Mitteln» Radikale Islamisten sind auch in der Schweiz tätig: Der Nachrichtendienst verzeichnet eine Zunahme von jihadistisch motivierten Reisebewegungen «Islam 10»: Spendenaufruf an der Demo in Bern FOTO: ESTHER MICHEL Die Wut der Muslime über das Mohammed- Video ist gross. Auch im Westjordanland haben Muslime kein Verständnis für den islamfeindlichen Film. Abdel Majid Abus Ruhr, Rentner: «Den Film kann man nicht akzeptieren. Die Leute, die so etwas machen, sind von Mächten wie Ameri- ka gesteuert. Dage- gen ist die Mehrheit der Menschen zum Glück friedlich.» Abu Iyad, Gemüse- händler: «Es ist falsch, was passiert ist mit dem islam- feindlichen Video. Wir müssen alle Religionen respek- tieren. Viele aber, die jetzt gegen den Film demonstrieren, sind Radikale.» Amal Shahin, Haus- frau: «Der Film hat mich sehr geärgert. Christen und Musli- me leben hier in Harmonie. Der Mann oder die Grup- pe, die diesen Film gemacht hat, ist rassistisch.» Hannan Deheishe, Hausfrau: «Dieser Film wurde mit Absicht gedreht, um uns Muslime zu beleidigen. Das tut mir sehr weh.» Der Grossmufti von Ägypten, Ali Gomaa, verurteilt die gewalttäti- gen Ausschreitungen bei den Pro- testen gegen einen Mohammed- Schmähfilm. «Jede Art von Gewalt muss klar verurteilt werden», sagt der höchste islamische Geistliche Ägyptens gegenüber der SonntagsZeitung. Es sei aber «naiv», die Gründe für die Eskala- tion einzig in Filmen und Karika- turen zu sehen. Der Konflikt zwi- schen Muslimen und dem Westen gehe tiefer. «Man muss nur an der Oberfläche kratzen, um auf gra- vierende Verletzungen wie den Irak-Krieg, Drohnenattacken in Afghanistan und Pakistan oder die Inhaftierung von oft unschuldigen Muslimen in Guantánamo zu stos- sen», sagt Ali Gomaa. «In jünge- rer Zeit gab es konzertierte Versu- che, Muslime in Europa zu margi- nalisieren, indem Kopftücher, Mi- narette und andere muslimische Symbole verboten wurden.» Rechtspopulistische Parteien würden versuchen, Muslime zu «dämonisieren». Die Spannungen mit einem Mohammed-Hetzfilm weiter anzufachen, grenze an «Anstiftung». «Von allen muslimi- schen Symbolen ist der Prophet Mohammed das wohl heiligste Symbol», sagt Ägyptens Gross- mufti: «Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass Muslime ihren Propheten mehr lieben als sich selber.» NADJA PASTEGA Grossmufti: «Muslime lieben den Propheten Mohammed mehr als sich selbst»

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Moschee. Verzweifelt versuchte der Imam, die Angreifer aufzu-halten. «Du bist ein Gottesläste-rer», beschimpften ihn die sala-fistischen Extremisten, dann setzte es Prügel ab. Erst als meh-rere Dutzend aufgebrachte Bür-ger herbei eilten, schritten die Ordnungskräfte ein. Doch da war die zierliche Sidi-Shaab-Mo-schee bereits eine Ruine und die beiden mit Kupfer gedeckten Dachkuppen krachend zu Boden gegangen.

Zwei Tage später knöpften sich die Zeloten bereits das nächste Gotteshaus vor. Um zwei Uhr früh drang eine Horde schwer Bewaffneter in den Hof der 350 Jahre alten Othman-Pasha-Me-drese in der Altstadt ein. Alle dreissig Gräber im Inneren wur-den mit Presslufthämmern zer-trümmert, die Bibliothek mit ihrem wertvollen Bestand aus os-manischer Zeit verwüstet.

Ein Dutzend Sufi-Heiligtü-mer, Friedhöfe und römische Statuen sind mittlerweile demo-liert, darunter die Sahaba-Mo-schee in Derna, das Sidi-Ahmed-Zaroug-Heiligtum in Misrata, sowie die Moschee in Zintan, wo der Sufi-Gelehrte Abdel Sa-lam al-Asmar aus dem 15. Jahr-hundert verehrt wird.

Unter den gestürzten arabi-schen Autokraten Ben Ali, Muam-mar Ghadhafi und Hosni Muba-rak spielten Salafisten kaum eine Rolle. Tunesiens ehemaliger Prä-sident Ben Ali liess alle religiösen Schulen schliessen, jeder Mo-schee-Imam musste sich vom Staat akkreditieren lassen. Unter Muammar Ghadhafi konnte be-reits ein längerer Bart seinen Träger ins Gefängnis bringen. In Hosni Mubaraks ägyptischem Polizeistaat waren Salafisten im Strassenbild zwar geduldet, im

Gegenzug aber gaben sie sich apolitisch und hyperfromm, ver-kauften lediglich moralische Predigtkassetten oder Schriften gegen das «sündige Verhalten von Frauen», auf denen Lippenstifte, Spielkarten und Parfüm abgebil-det waren.

Den Westen haben sie zum globalen Feindbild erklärt

Längst jedoch rücken die salafis-tischen Hardliner nicht nur an-geblich unislamischen Glaubens-brüdern zu Leibe. Ganzen Gesell-schaften zwingen sie ihre Kultur-kämpfe auf, um sie von «unzüch-tigen Umtrieben» zu reinigen. Den Westen und seine sozialen Gepflogenheiten haben sie zu ihrem globalen Feindbild er-klärt.

Auf Ägyptens Strassen und auch in Tunesien und Libyen sind immer mehr Frauen zu sehen, die den Nikab tragen, einen Voll-schleier, der das Gesicht bis auf einen Augenschlitz verhüllt. Hochzeiten minderjähriger Mäd-chen gehen in der gesamten Re-gion in die Zehntausende, in Ägypten genauso wie im relativ reformoffenen Marokko, dem erzkonservativen Saudiarabien oder jüngst auch wieder im ehe-mals säkularen Irak.

Ägyptens Salafisten nehmen bei ihren Kampagnen Christen, moderate Muslime und säkulare Mitbürger gleichermassen ins Vi-sier. Mal belagerten sie ein kop-tisches Pfarrhaus, um eine an-geblich dort gefangen gehaltene Islam-Konvertitin «zu befreien». In der Kanalstadt Suez erstach ein selbst ernannter Moralpoli-zist einen jungen Muslim, den er an einer Bushaltestelle mit seiner Freundin beobachtet hatte. Einem Kopten, der seine Woh-nung angeblich an eine muslimi-sche Prostituierte vermietet hat-te, schnitten sie ein Ohr ab. Und meist wenn irgendwo im Land eine Kirche in Flammen aufgeht oder ein Sufi-Heiligtum demo-liert wird, haben radikale Bärti-ge ihre Finger mit im Spiel.

Politisch scheint sich diese Ag-gressivität bisher auszuzahlen. Im ersten postrevolutionären Parla-ment Ägyptens errangen die Sa-lafisten ein Viertel der Mandate und wurden überraschend zweit-stärkste Fraktion hinter den Mus-limbrüdern, obwohl sie Demokra-tie als «Anmassung der göttlichen Ordnung» eigentlich ablehnen. Unermüdlich traktierten sie die Volksvertretung, die inzwischen von Verfassungsgericht aufgelöst

wurde, mit Diskussionen über ihre Gesetzeswünsche. Das Hei-ratsalter für Mädchen wollten sie auf zwölf Jahre absenken, das Verbot weiblicher Genitalver-stümmelung annullieren, das unter Mubarak eingeführte Schei-dungsrecht für Frauen sowie alle Reformen beim Sorgerecht für Kinder wieder rückgängig ma-chen.

Tunesiens Salafisten dagegen terrorisieren die Bevölkerung

seit Monaten mit moralischen Prügelkampagnen, die mit dem Angriff auf die US-Botschaft bis-her ihren Höhepunkt fanden. In Sidi Bouzid, Geburtsstadt des arabischen Frühlings, drangen fünfzig Fanatiker in das Hotel Horchani ein, zertrümmerten die Bar, durchsuchten Zimmer und zerschlugen Flaschen. «Gott ist gross» skandierten sie und «Al-kohol ist Sünde». Drei Monate zuvor hatten Ultrakonservative,

die mittlerweile ein Fünftel der 2500 Moscheen Tunesiens kont-rollieren, eine Kunstgalerie im Nobelvorort La Marsa von Tunis gestürmt und in ganz Tunesien drei Tage lang schwere Unruhen ausgelöst. Provoziert fühlten sich die Eindringlinge von einem Ölbild, das eine nackte Frau vor dämonisch-bärtigen Gestalten zeigte. Ein Toter, über hundert Verletzte, nächtliche Ausgangs-sperren und eine Regierungs-krise waren die Folgen.

Auf ihren Facebook-Seiten ru-fen die Zeloten im Namen Allahs inzwischen völlig ungeniert zum Mord an Künstlern, Schauspie-lern und Journalisten auf, die sie online mit Foto und voller Adres-se an den Pranger stellen. «Wir er-halten ständig Drohanrufe und beleidigende SMS», klagt die Fotografin Héla Ammar, die an der attackierten Ausstellung in La Marsa beteiligt war. Der von den Ennahda-Muslimbrüdern geführ-ten tunesischen Regierung wirft sie vor, feige vor den Radikalen zu kneifen.

So konnte sich der Hasspredi-ger Seif Allah Ben Hassine, der den Mob zum Sturm auf die US-Botschaft in Tunis aufgehetzt hat-te, tagelang in seiner Al-Fatah-Moschee verbarrikadieren und am Ende ungehindert durch den Polizeikordon um das Gottes-haus herum entwischen. Man ha-be auf die Verhaftung von Has-sine verzichtet, erklärte kleinlaut der Sprecher des Innenministe-riums. «Wir wollen weitere Kon-frontationen mit den Salafisten vermeiden.»

Einen Tag später allerdings platzte Ennahda-Chef Rahed Ghannouchi dann endlich der Kragen. «Die Polizei wird Has-sine jagen und festnehmen», er-klärte er und nannte die Salafis-ten eine Bedrohung für die Si-cherheit und Freiheit des ganzen Landes. «Wenn Gruppen in so schamloser Weise auf unserer Freiheit herumtrampeln, müssen wir entschlossen reagieren und hart durchgreifen.»

SonntagsZeitung Huwi; Quelle: Sonntagszeitung

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Die islamische Welt – und wo salafistische Extremisten auf dem Vormarsch sind

Gewalt im Namen Allahs

FORTSETZUNG VON SEITE 153

Die Proteste gegen ein anti-islamisches Hetzvideo haben die Schweiz erreicht. Gestern rief der Islamische Zentralrat der Schweiz (IZRS) zu einer Demonstration in Bern auf. Rund 200 Personen nahmen an der Kundgebung «Für den Schutz religiöser Gefühle» teil. Andere Muslimverbände haben sich von der Kundgebung distanziert.

Der umstrittene IZRS hat in gut zwei Jahren in der Schweiz ein System geschaffen, dass zuneh-mend einer Parallelgesellschaft gleicht. Zu den Projekten des Is-lam-Verbandes gehört ein eigener Internetfernsehkanal mit «Serien-predigten», bereits in Planung ist zudem eine Moschee, eine Koran-schule und ein islamisches Frau-enhaus. In bestehenden Häusern, kritisiert der IZRS, würden Frau-en von ihrem «religiösen und kul-turellen Hintergrund» getrennt.

Radikal-religiöse Bewegungen haben in der Schweiz Fuss ge-fasst. Dazu gehört die türkische Hizbollah, die in der Basler Mo-schee Said-i-Nursi einen Treff-punkt eingerichtet hat (Sonntags-Zeitung vom 2. 9. 2012). Das Bas-ler Gebetslokal steht unter Beob-achtung des Schweizer Staats-schutzes. Die Anhänger der tür-kischen Hizbollah, der wichtigs-ten radikal-religiösen Bewegung der Türkei, reisen aus der ganzen Schweiz, Frankreich und Deutsch-land an. Die Organisation beab-sichtigt laut Nachrichtendienst, in der Türkei einen islamischen Staat nach iranischem Vorbild zu errichten, «nötigenfalls mit ge-waltsamen Mitteln».

Wie der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in seinem Lagebe-richt «Sicherheit Schweiz 2012» festhält, ist europaweit eine Zu-nahme von jihadistisch motivier-

ten Reisebewegungen festzustel-len. Die Anzahl aufgedeckter Fäl-le steige auch in der Schweiz. Dem NDB sind aktuell mehrere Personen mit früherem Wohnsitz in der Schweiz bekannt, die sich zum Zweck der Teilnahme an Kampfhandlungen in einem Ji-hadgebiet wie Somalia oder Af-ghanistan aufhalten.

Für antiwestliche Propaganda wird das Internet genutzt

Wohl in keinem anderen Bereich der extremistischen Ideologien wird das Internet so intensiv be-nützt wie im Jihadismus. Das zeigt das Internetmonitoring des NDB und des Bundesamts für Polizei (Fedpol). Radikal-islamische Be-wegungen nutzen das Internet, um antiwestliche Propaganda zu ver-breiten und Muslime im Westen aufzufordern, für den Jihad im Land ihres Wohnsitzes Anschläge

zu verüben. Auch in der Schweiz fallen in virtuellen sozialen Netz-werken wie zum Beispiel Facebook Personen auf, die deutlich eine islamistische Weltanschauung ha-ben, ohne dass direkte Bezüge zu realen jihadistischen Netzwerken ersichtlich wären.

Da die Schweiz mehrere Jihad-reisende, bisher aber keine er-kannten Rückkehrer zu verzeich-nen habe, sei es durchaus möglich, dass auch sie in Zukunft von sol-chen Fällen betroffen sein werde, schreibt der NDB in seinem Lage-bericht. Deshalb seien die Behör-den gefordert, sich mit der Proble-matik allfälliger Rückkehrer aus-einanderzusetzen. Darüber hinaus könnten ungehindert fortlaufende oder gar zunehmende Reisebewe-gungen von der Schweiz aus in Jihadgebiete dem Ansehen der Schweiz schaden, warnt der NDB. NADJA PASTEGA

«Nötigenfalls mit gewaltsamen Mitteln»Radikale Islamisten sind auch in der Schweiz tätig: Der Nachrichtendienst verzeichnet eine Zunahme von jihadistisch motivierten Reisebewegungen

«Islam 10»: Spendenaufruf an der Demo in Bern FOTO: ESTHER MICHEL

Die Wut der Muslime über das Mohammed-Video ist gross. Auch im Westjordanland haben Muslime kein Verständnis für den islamfeindlichen Film.

Abdel Majid Abus Ruhr, Rentner: «Den Film kann man nicht akzeptieren. Die Leute, die so etwas machen, sind von Mächten wie Ameri-ka gesteuert. Dage-gen ist die Mehrheit der Menschen zum Glück friedlich.»

Abu Iyad, Gemüse-händler: «Es ist falsch, was passiert ist mit dem islam-feindlichen Video. Wir müssen alle Religionen respek-tieren. Viele aber, die jetzt gegen den Film demonstrieren, sind Radikale.»

Amal Shahin, Haus-frau: «Der Film hat mich sehr geärgert. Christen und Musli-me leben hier in Harmonie. Der Mann oder die Grup-pe, die diesen Film gemacht hat, ist rassistisch.»

Hannan Deheishe, Hausfrau: «Dieser Film wurde mit Absicht gedreht, um uns Muslime zu beleidigen. Das tut mir sehr weh.»

Der Grossmufti von Ägypten, Ali Gomaa, verurteilt die gewalttäti-gen Ausschreitungen bei den Pro-testen gegen einen Mohammed-Schmähfilm. «Jede Art von Gewalt muss klar verurteilt werden», sagt der höchste islamische Geistliche Ägyptens gegenüber der SonntagsZeitung. Es sei aber «naiv», die Gründe für die Eskala-tion einzig in Filmen und Karika-turen zu sehen. Der Konflikt zwi-schen Muslimen und dem Westen

gehe tiefer. «Man muss nur an der Oberfläche kratzen, um auf gra-vierende Verletzungen wie den Irak-Krieg, Drohnenattacken in Afghanistan und Pakistan oder die Inhaftierung von oft unschuldigen Muslimen in Guantánamo zu stos-sen», sagt Ali Gomaa. «In jünge-rer Zeit gab es konzertierte Versu-che, Muslime in Europa zu margi-nalisieren, indem Kopftücher, Mi-narette und andere muslimische Symbole verboten wurden.»

Rechtspopulistische Parteien würden versuchen, Muslime zu «dämonisieren». Die Spannungen mit einem Mohammed-Hetzfilm weiter anzufachen, grenze an «Anstiftung». «Von allen muslimi-schen Symbolen ist der Prophet Mohammed das wohl heiligste Symbol», sagt Ägyptens Gross-mufti: «Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass Muslime ihren Propheten mehr lieben als sich selber.» NADJA PASTEGA

Grossmufti: «Muslime lieben den Propheten Mohammed mehr als sich selbst»