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Die Zukunft gestalten | 1 Die Zukunft gestalten Ein Plädoyer für ein zukunftsgerichtetes und wettbewerbliches Gesundheitssystem

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Die Zukunft gestaltenEin Plädoyer für ein zukunftsgerichtetes

und wettbewerbliches Gesundheitssystem

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Krisenfest in die Zukunft

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat sich in den Jahren der internationalen Finanz- und Schuldenkrise als Fels in der Brandung erwiesen. In einer Phase tiefer politischer und wirtschaftlicher Verunsicherung ist ihre Legitimation als Grundpfeiler der sozialen Daseinsvorsorge für alle Bürgerinnen und Bürger eindrucksvoll gestärkt worden. Die zentralen Strukturprinzipien der GKV, das solidarische Füreinander zwi-schen Jungen und Alten, Kranken und Gesunden, Leistungsstarken und Hilfebedürfti-gen, gewährleisten nicht nur ein stabiles Versorgungssystem. Der gleichberechtigte Zugang zu medizinischer Hilfe ist ein nicht zu unterschätzender Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Durch den verantwortlichen Umgang mit knappen Ressourcen im Rahmen des Systems der gemeinsamen Selbstverwaltung entsteht so eine gute Basis für Deutschlands Wohlstand.

Wer in unserem Land erkrankt, findet einen schnellen und direkten Zugang zu einem qualitativ hochwertigen Versorgungsangebot. Das Vertrauen in die medizinische Kunst und in jene Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, ist weiterhin sehr groß. Auslandsreisende begeben sich für eine medizinische Behandlung vorzugsweise nach Hause. Der wachsende Medizintourismus nach Deutschland unterstreicht den guten Ruf unseres Gesundheitswesens. Nach Jahren konfliktträchtiger Reformdebatten ist die Wertschätzung der Bevölkerung zuletzt wieder gestiegen. Inzwischen erreichen Umfragen zur Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung Traumraten von 80 bis über 90 Prozent.

Diese hohe Akzeptanz ist auch auf den solidarisch geprägten Wettbewerbsgedanken im Gesundheitssystem zurückzuführen, dem zahlreiche Gesundheitsreformen in den vergangenen zwei Dekaden gegolten haben. Die Techniker Krankenkasse (TK) hat sich der Herausforderung sehr früh gestellt und ihre Organisationsstruktur nach unterneh-merischen Kriterien ausgerichtet. Auf der Basis effizienter Strukturen ist es möglich, der Kundenzufriedenheit höchste Priorität einzuräumen und für schnellen Zugang zu Innovationen und modernen Versorgungsformen zu sorgen. Der Erfolg dieser Arbeit zeigt sich in einem stetig hohen Zustrom von neuen Versicherten, der in der Kassen-landschaft seinesgleichen sucht.

Der Verwaltungsrat der TK hat diesen Modernisierungsprozess aktiv unterstützt und vorangetrieben. Er arbeitet partnerschaftlich mit den Entscheidungsträgern im Manage-ment und auf verbandspolitischer Ebene zusammen und begreift sich als Sachwalter einer maßvollen und doch ambitionierten Unternehmensentwicklung. Seit gut vier Jahren gehören dem Verwaltungsrat der TK auch Vertreter der Arbeitgeber an. Damit hat die TK ihre traditionelle Nähe zur Wirtschaft gestärkt und einen weiteren Grund-pfeiler für stabiles Wachstum ausgebaut.

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Der Gesetzgeber hat in der vergangenen Legislaturperiode weitere wichtige Schritte in die richtige Richtung getan. Mit der neuen Nutzenbewertung und Preisverhandlungen über Arzneimittel zwischen Pharmafirmen und Krankenkassen wird der Marktzutritt für Arzneimittel im GKV-Markt geordnet und ein Zustand beendet, der es den Arzneimittel-firmen ermöglicht hat, einseitig hohe Arzneimittelpreise zu diktieren. Durch die Einführung von pauschalen Zusatzbeiträgen und Prämien ist versucht worden, den Krankenkassen einen kleinen Teil ihrer Finanzautonomie zurückzugeben. Neue Ansätze zur regionalen Versorgungssteuerung nehmen absehbare Versorgungsprobleme in Angriff. Die gute Finanzausstattung der GKV am Ende dieser Legislaturperiode ist im Wesentlichen der guten konjunkturellen Lage und der Höhe des gesetzlich festge-schriebenen Beitragssatzes geschuldet. Die großen Reserven der GKV haben aber auch Begehrlichkeiten geweckt. Das Widerstehen der Politik gegen überbordende Ausgabenwünsche der Vertragspartner verdient deshalb Respekt.

Gesundheitspolitik ist und bleibt Reformpolitik. Die stetig wachsenden Anforderungen durch den medizinisch-technischen Fortschritt, demografische und versorgungsstruktu-relle Entwicklungen, aber auch die gestiegenen Erwartungen der Versicherten an eine patientenorientierte und nachhaltige Versorgung bleiben Ansporn für weitere Refor-men. Neben der finanziellen Stabilität des Systems müssen wir uns zukünftig ver-stärkt um eine Verbesserung der Transparenz und der Qualitätssicherung bemühen sowie um bessere Anreize für eine leistungsgerechte Mittelallokation.

Dieter F. Märtens Alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrats

Dominik KruchenAlternierender Vorsitzenderdes Verwaltungsrats

Dr. Jens Baas Vorsitzender des Vorstands

Thomas Ballast stellvertretender Vorsitzender des Vorstands

Frank Storsberg Mitglied des Vorstands

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Gesundheitspolitische Positionen der TK

1. Die Zukunft gestalten – Der Mensch im Mittelpunkt der Versorgung 6 Die TK fordert eine konsequente Nutzenbewertung von Therapien und Behandlungsmethoden. Die Patientensouveränität ist nachhaltig zu stärken. Unnötige Bürokratie muss abgebaut werden.

Die TK bekennt sich zum Kollektivvertragssystem. Ergänzend sind kassen- individuelle Vertragsoptionen auszubauen. Auch unter ökonomischen Zwängen muss genügend Raum für Humanität und Empathie bei der Versorgung von Kranken bleiben.

2. Die Selbstverwaltung ist der Garant für das richtige Maß 8 Die Selbstverwaltung steuert die bedarfsgerechte und wirtschaftliche Versorgung durch Ausgleich der verschiedenen Interessen. Der Staat sollte sie als wichtiges Element der Partizipation stärken.

3. Die Zukunft sichern – Mehr Finanzautonomie wagen 9 Krankenkassen müssen in einem an ökonomischen Prinzipien aus- gerichteten Ordnungsmodell in die Lage versetzt werden, Verantwortung für die Aufbringung der Finanzmittel zu tragen, die zur Sicherstellung der Versorgung erforderlich sind. Die TK fordert deshalb Finanzautonomie.

Steuerzuschüsse dürfen keine politische Verfügungsmasse sein.

4. Keine interessengeleiteten Einzeleingriffe in den RSA 11 Die TK plädiert für eine wettbewerbsneutrale Ausgestaltung des Risiko- strukturausgleichs. Isolierte, interessengeleitete Eingriffe sollten unter- bleiben. Anreize sollten auf effizientes Handeln der Krankenkassen gerichtet sein.

5. Mehr Fairness im Wettbewerb 12 Wettbewerb wird nur dann als legitim akzeptiert, wenn er unter fairen Bedingungen organisiert wird. Für keine Krankenkasse dürfen Sonderregelungen bestehen.

6. Keine einseitigen politischen Eingriffe zugunsten der PKV 14 Die TK fordert: Rettungsmaßnahmen für die PKV dürfen nicht zu- lasten der GKV gehen.

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Die Zukunft gestalten –Der Mensch im Mittelpunkt der Versorgung

Das Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen. Das Verhältnis von Arzt und Patient hat sich in der Wissens- und Erlebnisgesellschaft von heute stark verändert. Kranke Menschen fordern heute häufig nicht nur ein Mitspracherecht bei ihrer Therapie ein. Sie setzen auch komplexere Maßstäbe an die Nachhaltigkeit und Humanität einer Behandlung. Die stetig steigende Lebenserwartung lässt die Bevölkerungsgruppe der relativ gesunden, betagten Ruheständler wachsen. Gleichzeitig zieht es immer mehr junge Familien in die Städte. Diese Entwicklungen erfordern einen Umbau der traditionellen Versorgungsstrukturen in ländlichen Bereichen. In prosperierenden Regionen wächst das medizinische Angebot überdurchschnittlich und schafft sich seine Nachfrage zum Teil selbst. Zunehmende Anforderungen und Stress der ständigen Verfügbarkeit im gesamten gesellschaftlichen Bereich haben die Häufigkeit psychischer Erkrankungen deutlich erhöht. Medizinischer und technischer Fortschritt erweitern fortwährend die Grenzen ärztlicher Heilkunst, setzen aber auch bei der Kostenbelastung neue Maßstäbe.

Die bestehenden Versorgungsstrukturen sind nicht zukunftsfest. Eine ganzheitliche, am Patienten orientierte und abgestimmte Versorgung findet zu selten statt. Die Nachteile dieser Fehlversorgung gehen insbesondere zulasten der Patienten. Mangelnde Transparenz über Therapieoptionen und die Qualität der Versorgung schränken die Patientenautonomie zudem unnötig ein. Da eine generelle Nutzen-bewertung von Therapien und Behandlungsmethoden bisher nicht vorgenommen wird, werden finanzielle Mittel gebunden, die für eine innovative Versorgung nicht zur Verfügung stehen. Trotz aller Bemühungen erschweren bürokratische Hemmnisse und Genehmigungsverfahren weiterhin eine schnelle und sachgerechte Patientenversorgung.

Das Ziel, den Wettbewerbsgedanken auch beim Leistungsangebot und der Qualität zu implementieren, ist bisher nicht erreicht worden. Ein bedarfsgerechtes, sich stetig weiterentwickelndes Versorgungssystem braucht wettbewerbliche Such- und Ausleseprozesse. Die TK fordert den konsequenten Ausbau der Nutzenbewertung in der medizinischen Behandlung, um die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung voranzutreiben und finanzielle Spielräume für Innovationen freizulegen. Die moderne Informationstechnologie bietet vielfache Gestaltungsmöglichkeiten und Rationalisierungspotenziale, die effektiv genutzt werden sollten.

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Aus Sicht der TK sollte das deutsche Gesundheitswesen stärker als bisher auf der infor-mierten Entscheidung des Patienten beruhen. Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Vertragspartner sind laufend zu überprüfen und transparent zu machen. Die Aufga-be, Patienten umfassend zu beraten und so bei ihren Entscheidungen zu unterstützen, möchten wir als eigenständigen Auftrag im Leistungskatalog der Krankenkassen veran-kert wissen. Krankenkassen brauchen außerdem die Möglichkeit, ihren Versicherten Entscheidungshilfen passend zur Versorgungssituation aktiv anzubieten sowie Risiko-aufklärung zu betreiben. Vertragspartner müssen die volle Verantwortung für das Einhal-ten medizinischer, hygienischer und organisatorischer Standards übernehmen.

Der Abbau unnötiger Bürokratie bleibt eine Daueraufgabe, die noch entschiedener angegangen werden muss. Wir möchten die Verantwortung des Arztes stärken und die Zahl der Leistungen reduzieren, bei denen vor der Leistungsbewilligung eine Prüfung der medizinischen Notwendigkeit erforderlich ist. Das Formularwesen muss ent-schlackt werden. Kassenindividuelle Routineanfragen können stärker standardisiert und digitalisiert werden, um die Vertragspartner zu entlasten. Systembrüche bei der Weiter-gabe von Informationen sind zu vermeiden. Das Schutzerfordernis bei den Sozialdaten darf nicht zur Rechtfertigung für intransparentes Leistungsgeschehen herangezogen werden.

Die TK fordert eine konsequente Nutzenbewertung von Therapien und Behandlungsmethoden. Die Patientensouveränität ist nachhaltig zu stärken. Unnötige Bürokratie muss abgebaut werden.

Das System kollektiver Verträge hat sich bewährt und bietet die beste Gewähr für eine flächendeckend gleichwertige Versorgung. Gleichwohl sind kassenindividuelle Gestal-tungsoptionen als wettbewerbliches Instrument zu nutzen. Sie können das kollektive Angebot sinnvoll ergänzen, Patientenpräferenzen differenziert aufnehmen und als Inno-vationstreiber Sektorengrenzen überwinden. Dazu müssen die vertraglichen Gestal-tungsmöglichkeiten erweitert werden.

Der Trend zur Ökonomisierung des Gesundheitswesens hat seinen Ursprung in den vielfachen Anforderungen an eine hochwertige medizinische Versorgung bei gleichzeitig begrenzten Ressourcen. Er ist ein unvermeidlicher Motor zur Verbesserung der Effizienz des Systems. Für die TK kann dieser Prozess aber nur dann zu akzeptablen Ergebnis-sen führen, wenn Humanität und Ganzheitlichkeit immer wichtige Kriterien für die Ver-sorgung sind. Gerade unter Wettbewerbs-, Zeit- und Kostendruck ist es wichtig, dass der Mensch nicht an den Rand gedrängt wird, sondern im Mittelpunkt der Versorgung steht. Dies verlangt einen würdevollen, vertrauensbildenden und empathischen Umgang mit dem Patienten und seinen Angehörigen. Die Souveränität des Patienten ist zu jedem Zeitpunkt des Behandlungsprozesses sicherzustellen und zu stärken.

Die TK bekennt sich zum Kollektivvertragssystem. Ergänzend sind kassenindi-viduelle Vertragsoptionen auszubauen. Auch unter ökonomischen Zwängen muss genügend Raum für Humanität und Empathie bei der Versorgung von Kranken bleiben.

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Die Selbstverwaltung ist der Garant für das richtige Maß

Es ist eine hohe Anforderung, die Balance der Interessen von Versicherten und Beitragszahlern zu wahren. Mit der von Versicherten und Arbeitgebern getragenen Selbstverwaltung gibt es in Deutschland ein leistungsfähiges Steuerungsgremium, das beides ist: staatsfern und solidarisch. Durch die Sozialwahl demokratisch legiti-miert, obliegt es der paritätischen Selbstverwaltung auf Ebene der Krankenkassen und ihrer Verbände, den verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen zu über-wachen und die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft des Systems sicherzustellen. Die große Akzeptanz und Wertschätzung, die dem Gesundheitswesen entgegen- gebracht wird, ist deshalb insbesondere auch ein Erfolg des Maßhaltens durch die Selbstverwaltung.

Eine Tendenz zu immer größerer Staatsnähe des deutschen Gesundheitswesens ist gleichwohl unverkennbar. Gesundheitspolitische Reformen waren in den vergangenen Jahren von einer schleichenden Verlagerung der Kompetenzen von der Selbstverwaltung auf aggregierte Gremien gekennzeichnet. Die Verbesserung der Effizienz und gemein-same Wahrnehmung wettbewerbsferner Themen mögen dies stellenweise rechtferti-gen. Der Gesetzgeber sollte den Wesenskern der Selbstverwaltung jedoch vor weite-rer Aushöhlung schützen und sie als Scharnier zwischen Staat und Bürgern stärken.

Auch für die gemeinsame Selbstverwaltung der Krankenkassen und Vertragspartner ist es wichtig, dass der Staat seine Grenzen kennt, klare und transparente Kompetenz -regelungen trifft und diese respektiert. Umgekehrt müssen die Beteiligten in der Selbstverwaltung wieder stärker die gemeinsame Verantwortung im Auge haben. Entscheidungen sollten nur ausnahmsweise von Schiedsstellen getroffen werden.

Die Selbstverwaltung steuert die bedarfsgerechte und wirtschaftliche Versorgung durch Ausgleich der verschiedenen Interessen. Der Staat sollte sie als wichtiges Element der Partizipation stärken.

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Die Zukunft sichern – Mehr Finanzautonomie wagen

Mit der großen Finanzreform der GKV im Jahr 2009 haben die Krankenkassen ihre Finanzautonomie weitgehend verloren. Der gesetzlich festgelegte, einheitliche Beitragssatz hat den Preiseffekt im Wettbewerb der Krankenkassen zunächst nahezu ausgeschaltet. Mit dem zaghaften Einstieg in einen Minimum-Zusatzbeitrag, den nur einige wenige Kassen erheben mussten, wurde lediglich eine unspezifische und unproduktive Fluchtbewegung aus diesen Kassen provoziert, die zudem recht schnell erlahmt ist. Der angestrebte Preis- und Versorgungswettbewerb ist zu einem Zusatzbeitragsvermeidungswettbewerb verkümmert.

Es zeichnet sich ab, dass die Reserven der GKV recht schnell verbraucht sein werden, sobald der konjunkturelle Rückenwind nachlässt und die historisch hohe Zahl der sozial-versicherungspflichtig Beschäftigten stagniert oder zu sinken beginnt. Das langfristige Dilemma der Schere zwischen der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung bleibt wei-terhin ungelöst und wird schon in naher Zukunft neue Defizite entstehen lassen. Nach dem Grundsatz vorsichtiger Haushaltsführung wäre deshalb die Bildung von Rücklagen für schlechtere Zeiten geboten. Die gesetzlichen Vorgaben sehen jedoch die Ausschüttung der Reserven vor, wenn ein Schwellenwert überschritten ist. Deshalb wird die TK allen Mitgliedern, die zwischen Mai und Dezember 2013 bei ihr versichert sind, eine Prämie ausschütten. Die TK betrachtet dies als Dividende für erfolgreiches Management und kostenbewusstes Verhalten der Versicherten.

Die Finanzierungssystematik der GKV weist dennoch gravierende Mängel auf. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Zusatzbeiträge und Prämien in der aktuellen Ausgestaltung nicht in der gewünschten Form funktionieren. Das zag-hafte Hineinw achsen in Zusatzbeiträge, bei dem nur manche Kassen betroffen sind, wirkt wie eine Stigmatisierung. Auf diese Weise wird der Preiseffekt nicht als norma-les Unterscheidungskriterium verstanden, sondern als Makel. Der Gesetzgeber sollte aus Sicht der TK den Weg in Richtung Finanzautonomie deshalb energisch beschreiten.

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Die gesetzliche Festschreibung des einheitlichen Beitragssatzes hat sich bereits nach kurzer Zeit als unflexibel erwiesen. Deshalb sollte über Anpassungsmechanismen nachgedacht werden. Wer die vom Mitglied zu tragende Beitragskomponente erhöht, sollte dabei die Auswirkungen auf die paritätische Finanzierung mit bedenken. Der Sozialausgleich würde außerdem unter den heutigen Rahmenbedingungen schon bei einer relativ geringen Unterfinanzierung der Krankenkassen an Finanzierungsgrenzen stoßen, sodass auch hier Folgeänderungen notwendig werden könnten.

Der Steuerzuschuss an die GKV ist bereits in der kurzen Zeit seiner gesetzlichen Fixierung zum Spielfeld politischer Willkür geworden. Von Beginn an war er eher als Symbol und nicht als Äquivalent zu den tatsächlichen Ausgaben der GKV für versiche-rungsfremde und sozial- und gesellschaftspolitische Leistungen angelegt. Aber auch das hat nicht verhindert, dass er schnell zum Sonder-Verschiebebahnhof der Haushalts-politik geworden ist. Nichtsdestoweniger wird seither nahezu jeder Gestaltungswunsch der Gesundheitspolitik mit einer haushälterischen Sperre belegt. Es stellt sich deshalb die Frage, ob diese Steuerfinanzierung der GKV mehr sein kann als ein politisches Feigenblatt.

Für die Zukunftsfestigkeit der GKV ist eine stabile und verlässliche Finanzarchitektur von entscheidender Bedeutung. Die TK bekennt sich zu unternehmerischem Denken und Handeln. Der Wettbewerb auf dem Krankenkassenmarkt ist zwanzig Jahre nach der Reform von Lahnstein etabliert und hat positive Energien freigesetzt. Innovations-freudigkeit und Wettstreit der Anbieter können jedoch nur dann funktionieren, wenn die Einheitlichkeit von Entscheidungskompetenz und Finanzverantwortung gegeben ist. Die Krankenkassen werden ohne echte Finanzverantwortung die ihnen zugedachte Rolle als Reformtreiber nicht übernehmen können. Stabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung kann nur dann bestehen, wenn der Gesetzgeber auf ständige, oftmals widersprüchliche Eingriffe verzichtet.

Krankenkassen müssen in einem an ökonomischen Prinzipien ausgerichte-ten Ordnungsmodell in die Lage versetzt werden, Verantwortung für die Aufbringung der Finanzmittel zu tragen, die zur Sicherstellung der Versorgung erforderlich sind. Die TK fordert deshalb Finanzautonomie. Steuerzuschüsse dürfen keine politische Verfügungsmasse sein.

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Keine interessengeleiteten Einzeleingriffe in den RSA

Mit der Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (RSA) im Jahr 2009 hat der Gesetzgeber die Komplexität des Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen in neue Höhen getrieben. Die Umstellung auf einen direkten Morbi-ditäts bezug sollte der Vermeidung von Strategien zur Risikoselektion dienen. Die Erfahrungen der ersten Jahre haben jedoch gezeigt, dass es weiterhin Ansätze gibt, die Zuweisungen für sich vorteilhaft zu gestalten. Durch die Komplexität des Systems sind diese heute jedoch weniger transparent und umso schwerer nachweisbar.

Es gibt immer wieder Forderungen aus dem Krankenkassenlager, Details des Risikostrukturausgleichs zu verändern. Bei näherer Betrachtung der einzelnen Vorschläge zeigt sich jedoch, dass sie zwar zu anderen, aber nicht zu besseren Ergebnissen führen würden. Deshalb spricht sich die TK dafür aus, auf einzelne, oft interessengeleitete Eingriffe in das noch junge Ausgleichssystem zu verzichten. Eine weitere Reform kommt auch aus Gründen eines über die Tagespolitik hinausgehen-den Politikansatzes nur dann infrage, wenn eine schlüssige Gesamtkonzeption ange-strebt wird, die tatsächlich alle fragwürdigen Elemente der Umverteilung in Angriff nimmt.

Eine Reform des RSA müsste aus Sicht der TK den schwerwiegenden und kostenin-tensiven Krankheiten stärkeres Gewicht beimessen und den heutigen Fokus auf die Volkskrankheiten mit hohen Fallzahlen, aber eher niedrigen Fallkosten verändern. Mit einer geringeren Prävalenzgewichtung, die sich an den ursprünglichen Intentionen bei der Einführung des morbiditätsorientierten RSA orientiert, würde das Gewicht für die Krankenkassen stärker auf den Ausgleich hoher Fallkosten gelegt. Bei Krankheiten, die durch Verhaltensänderungen beeinflussbar oder gar vermeidbar sind, entstünde dann ein größeres Interesse an steuerndem Eingreifen. Diese Veränderung könnte auch dazu beitragen, Manipulationen durch die Ausnutzung von Grauzonen bei der Diagnosekodierung einzudämmen.

Die TK lehnt deshalb auch weiterhin den pauschalen Ausgleich von Kosten für mas-senhafte Disease-Management-Programme ab. Auch nach Jahren ihrer Existenz sind die Ergebnisse der DM-Programme fragwürdig. Über den RSA findet dabei für einige Krankheiten ein Doppelausgleich statt, der bestimmte Krankenkassen einseitig bevor-teilt. Auch bei den Verwaltungskosten setzt der Bezug zur Morbidität aus Sicht der TK falsche Anreize und belohnt effizientes Wirtschaften nicht in ausreichendem Maße.

Die TK plädiert für eine wettbewerbsneutrale Ausgestaltung des RSA. Isolierte, interessengeleitete Eingriffe sollten unterbleiben. Anreize sollten auf effizientes Handeln der Krankenkassen gerichtet sein.

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Mehr Fairness im Wettbewerb

Nach einer dynamischen Phase verläuft der Konsolidierungsprozess in der Kranken-kassenlandschaft seit einiger Zeit in deutlich langsameren Bahnen. Dementsprechend hat sich das Handlungsmuster bei Fusionen zwischen einzelnen Krankenkassen mitt-lerweile geändert. Waren sie zunächst darauf ausgerichtet, strategische Partner zu finden oder die föderalen Rahmenbedingungen optimal auszunutzen, sind heute öfter Motive der Existenzsicherung vorherrschend. Dieser Veränderungsprozess hat sich unter gleichbleibenden föderalen Strukturen vollzogen. Im Ergebnis ist dadurch eine Disharmonie der Aufsichtskompetenzen und ihrer Handhabung entstanden.

In der Realität bedeutet dies, dass sich für eine Kassenart eine eigene, regionale Aufsichtsstruktur herausgebildet hat, die größere Handlungsfreiheiten bietet, als sie für die anderen Krankenkassen gelten. In Zahlen ausgedrückt unterstehen heute zwar vierzig Prozent der Krankenkassen der Aufsicht eines Bundeslandes. In Relation zur Zahl der Mitglieder handelt es sich dabei aber zu über neunzig Prozent um Allgemeine Ortskrankenkassen. Das Aufsichtshandeln der Bundesländer gilt also zum ganz überwiegenden Teil den Ortskrankenkassen. Es liegt in der Natur der Sache, dass regionale Aufsichten „ihren“ Landeskassen besondere Aufmerksamkeit zollen und Bundesgesetze deshalb eher im Sinne regionaler Interessen auslegen.

Das Bundesversicherungsamt kennt solche regionalen Prioritäten naturgemäß nicht und richtet sein Aufsichtshandeln an anderen Kriterien aus. Für bundesweit tätige Krankenkassen, die der Aufsicht des Bundesversicherungsamtes unterstehen, gelten infolge unterschiedlicher Aufsichtspraxen zum Teil andere, enger gefasste Wettbe-werbsbedingungen als für die landesunmittelbaren Krankenkassen. Es gab demzufolge immer wieder Beschwerden über Wettbewerbsnachteile durch disgruentes Aufsichts-handeln. In einem Wettbewerbsrahmen mit Preisparität kann dies für einzelne Kassen zum entscheidenden Nachteil werden, zum Beispiel wenn Wahltarife nicht genehmigt werden, die der Wettbewerber anbieten darf. Auch der Bundesrechnungshof sah sich zuletzt mehrfach veranlasst, eine Ungleichbehandlung von bundes- und landesunmit-telbaren Krankenkassen zu bemängeln.

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Es kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, die Position von Krankenkassen am Markt wissentlich dadurch zu schwächen, dass föderalistische Disparitäten nicht ausge-räumt werden können. Die TK fordert deshalb ein Anrufungsrecht bei der Arbeitsge-meinschaft der Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder, wenn sie abweichen-des Aufsichtshandeln dokumentieren kann.

Um in solchen Fällen zudem schnellen und effektiven Rechtsschutz vor ungerechtfertig-ten Benachteiligungen zu finden, sollte auch ein gerichtlich durchsetzbarer wettbe-werbsrechtlicher Unterlassungsanspruch der Krankenkasse gegen andere Krankenkas-sen geschaffen werden. Dadurch hätten die Krankenkassen die Möglichkeit, Rechtssi-cherheit über eine unterschiedliche Aufsichtspraxis zu erhalten und nicht auf langwierige Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern angewiesen zu sein. Wettbewerb zwischen den Krankenkassen kann nur dann als legitimes Ordnungsprin-zip im Bereich der Sozialversicherung verankert werden, wenn er von allen Beteiligten als pflegebedürftige Errungenschaft und nicht als notwendiges Übel begriffen wird.

Wettbewerb wird nur dann als legitim akzeptiert, wenn er unter fairen Bedingungen organisiert wird. Für keine Krankenkasse dürfen Sonderregelungen bestehen.

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Keine einseitigen politischen Eingriffe zugunsten der PKV

Die Dualität von gesetzlicher und privater Krankenversicherung ist ein historisch gewachsenes Spezifikum des deutschen Gesundheitswesens. Das leitende Prinzip der Trennung der Systeme wurde durch den Verlauf der Systemgrenze jedoch mehr und mehr infrage gestellt. Im solidarischen System der GKV sind knapp neunzig Prozent der Bevölkerung versichert. Viele tragen mit ihren Beiträgen überproportional zur Stabilität des Systems bei. Die verbleibenden gut zehn Prozent haben die Solidargemeinschaft verlassen oder waren trotz hoher Leistungsfähigkeit allein wegen ihres Berufstandes nie daran beteiligt. Unter den privat Versicherten wächst jedoch auch die Gruppe derer, die durch hohe Prämien überfordert sind.

Der Gesetzgeber hat mit den vergangenen Reformen einen Konvergenzprozess in Gang gesetzt, der zu einer leichten Annäherung der Systeme geführt hat. Wahltarife auf der einen und ein Basistarif auf der anderen Seite sind die deutlichsten Erscheinungsformen des Trends. Diese Entwicklung scheint nun aber an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Kooperationen zwischen GKV und PKV haben oftmals nicht die ihnen zugedachten Synergien freigesetzt.

In letzter Zeit ist auch deutlich geworden, dass die private Krankenversicherung immer stärker unter Wirtschaftlichkeitsdruck gerät. Ihre Risikostruktur verschlechtert sich in dem Maße, wie ihre Versicherten älter werden. Der zur Gewährleistung von wettbewerbsfähigen Prämien erforderliche, stetige Zugang von jungen und gesunden Versicherten steht im Widerspruch zum globalen demografischen Trend. Fehlende Möglichkeiten der Leistungssteuerung und der medizinisch-technische Fortschritt stel-len die PKV vor ein kaum zu lösendes Dilemma. Hinzu kommt ein Zinsszenario am Kapitalmarkt, das das kalkulatorische Fundament weiter erschüttern wird.

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In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber der privaten Krankenversicherung immer wieder unter die Arme gegriffen, wenn dies opportun erschien. Die wachsenden sozial-politischen Probleme der PKV erzeugen einen politischen Handlungsdruck, der bei manchen die Versuchung wecken könnte, erneut Lasten in Richtung GKV zu verschie-ben. Die TK verwahrt sich schon heute gegen alle Versuche, systematische Probleme der PKV durch Manipulationen an der Systemgrenze zu lösen. Die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten wird bereits heute überproportional beansprucht. Weitere Lasten würden die Legitimation der doppelten Krankenversicherungsstruktur in Deutschland gänzlich untergraben.

Der von Seiten der PKV reklamierte finanzielle Beitrag zur Sicherstellung der Ver-sorgungsstrukturen muss zumindest hinsichtlich seiner Verteilungswirkungen infrage gestellt werden. Dort, wo wirkliche Versorgungsprobleme zu lösen sind, gibt es meis-tens kaum Privatversicherte, die das Versorgungssystem stützen könnten. Umgekehrt ist Überversorgung eine Erscheinungsform unserer Versorgungslandschaft, die vorwie-gend mit einem relativ hohen Anteil an Privatversicherten einhergeht.

Die TK fordert: Rettungsmaßnahmen für die PKV dürfen nicht zulasten der GKV gehen.

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