Die zwölf Gebote des Idiotentums in TV-Nachrichten
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http://www.focus.de/politik/gastkolumnen/wolffsohn/tid-31528/wenn-informationen-
verdummen-die-zwoelf-gebote-des-idiotentums-in-tv-nachrichten_aid_1001204.html
Wenn Informationen verdummen
Die zwölf Gebote des Idiotentums in TV-
Nachrichten
Freitag, 07.06.2013, 07:32 · von FOCUS-Online-Gastautor Michael Wolffsohn
ARD Linda Zervakis hat eine neue Aufgabe: Sie ist Nachfolgerin von Marc Bator in der
Tagesschau um 20 Uhr. Das altehrwürdige Flaggschiff der TV-Nachrichten glänzt aber auch
längst nicht mehr wie früher.
Die TV-Nachrichten informieren – aber nur in einer Mischung aus Kindernahrung und
Gummibärchen. Das gilt auch für die altehrwürdige „Tagesschau“. Zwölf Regeln zeigen, wie
uns die Nachrichtensendungen verdummen.
TV-Nachrichten verdummen mehr, als sie informieren. Nun ja, sagen wir es so: Sie
informieren häppchenweise. Die Häppchen entsprechen Babynahrung. Die TV-
Nachrichtenmacher halten uns für Kinder oder dumme Erwachsene. Weltweit. Nicht nur in
Deutschland. Wohlgemerkt nicht nur TV-Nachrichten der Privatsender, auch der öffentlich-
rechtlichen. Selbst die Alte Tante Tagesschau bildet keine Ausnahme mehr. Das sind die
Gebote beim Erstellen der TV-Kinderhäppchen:
Gebot 1: Je gefühlsbetonter, desto besser. Deshalb die immer gleiche Frage an alle
Korrespondenten „vor Ort“: „Wie fühlen Sie sich?“ Verdammt, das interessiert mich nicht.
Ich will informiert werden. Die Gefühle der mir Lieben interessieren mich, nicht jedoch das
Innenleben der Reporter(in).
Gebot 2: Befrage unbedingt den „einfachen Menschen auf der Straße“. Kein
Nachrichtenbeitrag ohne „Vox Populi“. Inzwischen ist auch die Fäkalsprache auf deutsch und
fremdsprachig stubenrein. TV-Zuschauer können und kennen inzwischen das Wort „Sch…“
in mindestens 55 ½ Sprachen. Ist die Sch… oder auch das „Geile“ und „Coole“ von Klein-
Moritz oder Klein-Erna „Information“?
Gebot 3: Benutze außer der wohnzimmergetrimmten Fäkal- unbedingt Kindersprache und -
denke. Das Wort „Streit“ kennzeichne inhaltlich politische Diskussionen. Kindliche, noch
nicht ans Denken gewöhnte Gemüter empfinden Streit als negativ. Er stört das durchaus
sympathische Wohlgefühl unserer meist harmoniesüchtigen, denkfaulen Landsleute. Dass
zum Denken und daraus abgeleiteten klugen Handeln der Widerspruch gehört und dieser kein
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Streit ist, sei vergessen. Deshalb müssen widersprechend Denkende als Streithanseln
vorgestellt und vorgeführt werden.
Gebot 4: Was bei der Zahnpasta-Reklame der weißbekittelte Zahnarzt-Darsteller, sind beim
politischen TV-Bericht Experten-„Statements“ – am liebsten am Schreibtisch, am PC oder vor
dem Bücherregal. Dafür bauen mindestens drei TV-Mitarbeiter die Wohnung oder das Büro
des Befragten um. Fünf Minuten lang wird die Fachanalyse in Wort und Bild festgehalten.
Rund viereinhalb Minuten werden weggeschnitten, 30 Sekunden gesendet, meistens ohne
Rückfragen beim Befragten. Ich mache da längst nicht mehr mit, denn wenigstens über meine
30 Sekunden möchte ich selbst bestimmen. „Trauen Sie uns das nicht zu?“ fragte mich
kürzlich eine Redakteurin. „Nein, aus Erfahrung, denn meistens erkenne ich mich nicht
wieder.“
Gebot 5: Der Bericht sei ausgewogen. Man ist ja „pluralistisch“. Versteht sich. Das sieht
dann so aus: RegierungspolitikerIn A sagt X, OppositionspolitikerIn B widerspricht mit Y.
1:1 = ausgewogen. Egal, ob X Unsinn und Y Tiefsinn ist. Es sei denn, der/die TV-ReporterIN
fällt das Urteil. Das Es-sei-Denn ist inzwischen längst die Regel, denn merke: Keiner ist so
klug wie die jeweils TV-Berichtenden.
Michael Wolffsohn ist Historiker und Publizist. Er ist Professor für Neuere Geschichte
an der Universität der Bundeswehr München, seine Spezialgebiete umfassen deutsche
Geschichte, internationale Beziehungen und die Nahost-Region. Er schreibt als
Gastautor für FOCUS Online.
Scheinbar informativ – tatsächlich
abwertend
dapd Auch die TV-Granden Claus Kleber (l.) und Ulrich Wickert haben die „Tagesschau“
zuletzt kritisiert
Deshalb Gebot 6: Der/die TV-Reporter spreche als tägliche Vorwegnahme des „Wortes zum
Sonntag“ mit der Mimik Allwissender das quasi göttliche „Fach“urteil. Es ist, versteht sich
ebenfalls, über den Tag hinaus, in die Zukunft weisend, sozusagen prophetisch. „So wird es
sein, ich weiß es.“ Millionenfach sprechen die Zuschauenden und Zuhörenden dieses
„Wissen“ des TV-Reporters nach. Zeugung, Vervielfachung und Wiederkäuen der
„öffentlichen Meinung“. „Und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ Das sagte der gute
alte Goethe 1792 den unterlegenen Soldaten nach der Kanonade auf dem Schlachtfeld von
Valmy. Wir haben es besser: Dem Fernsehen und seinen Reportern sei Dank sind wir,
unblutig und ohne Schlachtfeld daheim bequem sitzend, virtuell auf dem Schlachtfeld. Wir
sehen und wissen alles. Was wir nicht sehen und wissen, vermitteln uns die Reporter.
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Pustekuchen.
Gebot 7: Der kommentierende Reporter-Text darf nur scheinbar informativ-analytisch, er
muss zumindest teilweise ideologisch bewertend, oft abwertend sein. Tröpfchenweise, kaum
merklich, scheinbar neutral wird die herrschende Ideologie dargeboten: Idiotie sei, was die
gegen den Strom Schwimmenden bieten, allen voran Marktwirtschaftler (verschrien als „Neo-
Liberale“ oder Anhänger des Manchester-Kapitalismus), Konservative, Religiöse, Militärs,
Unternehmer und natürlich Banker oder andere Finanzexperten.
Gebot 8: Bediene dich auch bei Auslandsberichten des innenpolitischen Ideologierasters. Es
gelte international ebenso wie national: Die Nicht-Mainstream-Praxis, -Theorie und -
Ideologie ist Idiotie.
Gebot 9: Befrage zu jedem Thema die immer gleichen Promis. Das sichert Quote, selten
Qualität. Doch auf die wird gern zugunsten der Quote verzichtet.
Gebot 10: Verweise für weiterführende Informationen auf die Website der jeweiligen
Nachrichtensendung. Das ist endlich eine, nein, die zuverlässigste, ehrlichste Information. Sie
besagt nämlich im Klartext: Unsere TV-Nachrichten sind für Idioten. Weil diese Idioten des
Lesens nur teilweise mächtig sind, blenden wir in die Sendung nur Wörterhäppchen ein. Wer
wirklich des Lesens (und Schreibens?) kundig ist, schaue und lese unsere Website.
Gebot 11: Bilder, Bilder, Bilder. Sie sind und bleiben unersetzlich. Bilder von Menschen,
Dingen, Situationen und Sensationen. Doch zu oft halten Zuschauer und auch Bildermacher
oder -erklärer das Bild, also den Schein, für das Sein, für die Sache selbst. Der Volksmund
weiß es besser: Er spricht vom Trugbild oder sagt „Mehr Schein als Sein“. Nicht jedes Bild ist
Wirklichkeit, ja nicht einmal echt, oft ist es gestellt, gar manipuliert. Das gilt besonders für
Kriegsbilder und -berichte. Aber Korrespondenten „vor Ort“ sehen alles und wissen alles.
Also auch wir. Wirklich?
Gebot 12: Weil wir TV-Nachrichtenmacher, wie unsere Zuschauer, sowieso nicht zwischen
Sein und Schein unterscheiden können, dürfen wir auch sprachlich diesen Unterschied
verwischen. Deshalb ist es wurscht, ob wir das Wort „scheinbar“ (für nur Scheinendes und
nicht Wirkliches) oder „anscheinend“ (für das Deckungsgleiche von Sein und Schein)
benutzen.
Fazit: TV-Bilder fördern meistens die Zuschauer-Einbildung, über Inhalte im Bilde, gar
gebildet worden zu sein. O Trugbild.
Homepage des Autors: www.wolffsohn.de