Differentialgeometrie I, II & III · 2012. 4. 27. · Vorlesungsmitschrieb Differentialgeometrie I,...

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Vorlesungsmitschrieb Differentialgeometrie I, II & III Prof .Dr.Frank Loose im Wintersemester 2010/2011, Sommersemester 2011, und Wintersemester 2011/2012 an der Eberhard-Karls-Univerität Tübingen gesetzt von Christian Power mit L A T E X Letzte Änderung: 26. April 2012

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Vorlesungsmitschrieb

Differentialgeometrie I, II & III

Prof. Dr. Frank Loose

im Wintersemester 2010/2011,Sommersemester 2011,

und Wintersemester 2011/2012

an der Eberhard-Karls-Univerität Tübingen

gesetzt von Christian Power mit LATEX

Letzte Änderung: 26. April 2012

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Vorwort

Dieses Scriptum ist ein Mitschrieb der Vorlesungen Differentialgeometrie I - IV aus demWS 2010/2011 (4 SWS), SS 2011 (4 SWS), WS 2011/2012 (2 SWS) und SS 2012 in Tübingen.Der Appendix A und B wurden in Differentialgeometrie II gemacht. Der Appendix C inDifferentialgemetrie III.Wer Fehler findet, schickt mir bitte ein E-mail an: [email protected].

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort iii

I. Differentialgeometrie I 1

1. Mengentheoretische Topologie 3

2. Differenzierbare Mannigfaltigkeiten 17

3. Dynamische Systeme 45

II. Differentialgeometrie II 73

4. Vektorraumbündel 75

5. Liegruppen 107

III. Differentialgeometrie III 115

IV. Differentialgeometrie IV 141

A. Der Igelsatz 149

B. Der Satz von Stokes 159

C. Überlagerungstheorie 183

Index 197

Literaturverzeichnis 201

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Teil I.

Differentialgeometrie I

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1 Kapitel 1.

Mengentheoretische Topologie

(1.1) Definition. Sei M eine Menge. Eine Abbildung d : M × M → [0, ∞) heißt eineMetrik auf M, wenn gilt:

(a) d(p, q) = 0⇐⇒ p = q;

(b) d(q, p) = d(p, q), ∀p, q ∈ M;

(c) d(p, r) ≤ d(p, q) + d(q, r), ∀p, q, r ∈ M (Dreiecksungleichung).

Das Paar (M, d) heißt dann ein metrischer Raum.

(1.2) Beispiel.

(a) Sei ‖ . ‖ : Rn → [0, ∞), ‖x‖ :=√

x21 + . . . + x2

n. Dann ist

d : Rn ×Rn → [0, ∞), d(x, y) := ‖y− x‖

eine Metrik auf Rn (Übung). Es heißt d = deukl die euklidische Metrik und (Rn, deukl)

der euklidische Raum.

(b) Sei M eine beliebige Menge. Dann ist d : M×M→ [0, ∞),

d(p, q) :=

0 für p = q,

1 für p 6= q.

eine Metrik auf M (Übung). Sie heißt die diskrete Metrik auf M.

(c) Sei V = C([0, 1]

):= f : [0, 1] → R : f ist stetig. Setze ‖ f ‖ := supx∈[0,1] | f (x)| < ∞,

und dann d( f , g) := ‖g− f ‖. Dann ist d eine Metrik auf V (Übung).

(1.3) Beispiel. Sei (M, d) metrischer Raum und A ⊆ M beliebige Teilmenge. Dann erbtA durch dA : A × A → [0, ∞), dA(p, q) := d(p, q) eine Metrik. Sie heißt die induzierteMetrik. Insbesondere: Ist M ⊆ Rn beliebige Teilmenge, so d := deukl|M×M die induzierteeuklidische Metrik.

(1.4) Definition. Sei (M, d) ein metrischer Raum, p ∈ M, r > 0.

(a) Es heißt dann B(p; r) := q ∈ M : d(q, p) < r der (offene) Ball um p mit Radius r.

(b) Es heißt eine Teilmenge U ⊆ M offen, wenn es zu jedem p ∈ U ein r > 0 gibt mitB(p; r) ⊆ U.

(c) Es heißt S ⊆ M eine Umgebung von p, wenn es ein offenes U ⊆ M gibt mit p ∈ U ⊆ S.

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KAPITEL 1. MENGENTHEORETISCHE TOPOLOGIE

(1.5) Definition. Seien (M1, d1) und (M2, d2) metrische Räume.

(a) Eine Abbildung Φ : M1 → M2 heißt stetig in p1 ∈ M1, wenn für alle ε > 0 ein δ > 0existiert, so dass aus d1(x, p1) < δ folgt: d2

(Φ(x), Φ(p1)

)< ε.

(b) Φ heißt stetig, wenn Φ stetig ist in p ∈ M1, für alle p ∈ M1.

(1.6) Bemerkung. Sei Φ : M1 → M2 eine Abbildung zwischen metrischen Räumen,p1 ∈ M1. Dann gilt:

(a) Es ist Φ stetig in p1 genau, wenn für jede Umgebung S2 ⊆ M2 von p2 := Φ(p1) gilt:Φ−1(S2) ist Umgebung von p1.

(b) Es ist Φ stetig, genau wenn das Urbild jeder offenen Menge offen ist.

Beweis. (a) „=⇒“: Sei S2 Umgebung von p2 und U2 ⊆ M2 offen mit p2 ∈ U2 ⊆ S2. Da U2

offen ist, existiert ε > 0, so dass B(p2; ε) ⊆ U2. Da Φ stetig in p1 ist, existiert nun ein δ > 0so klein, dass Φ

(B(p1; δ)

)⊆ B(p2; ε) ist. Also ist

B(p1; δ) ⊆ Φ−1(

Φ(

B(p1; δ)))⊆ Φ−1(B(p2; ε)

)⊆ Φ−1(S2),

und da B(p1; δ) offen ist (Übungsaufgabe, Blatt 1), folgt: Φ−1(S2) ist Umgebung von p1.„⇐=“: Sei ε > 0 und S2 := B(p2; ε) =⇒ S2 ist Umgebung von p2, also ist auch Φ−1(S2)

Umgebung von p1 =⇒ ∃δ > 0 : B(p1; δ) ⊆ Φ−1(S2) =⇒

Φ(

B(p; δ))⊆ Φ

(Φ−1(S2)

)⊆ S2 = B(p2; ε).

=⇒ Φ ist stetig in p1.(b) Übung (Blatt 1).

(1.7) Bemerkung. Sei M ein metrischer Raum. Dann gilt:

(a) Ist (Ui)i∈I beliebige Familie offener Mengen in M, so ist auch⋃

i∈I Ui offen;

(b) Ist n ∈N, U1, . . . , Un ⊆ M offen so ist auch⋂n

i=1 Ui offen.

Beweis. (a) Sei p ∈ U :=⋃

i∈I Ui. =⇒ ∃i0 ∈ I : p ∈ Ui0 . =⇒ ∃r > 0 : B(p; r) ⊆ Ui0 ⊆ U.(b) Sei p ∈ U :=

⋂ni=1 Ui =⇒ ∀i, ∃ri > 0 : B(p; ri) ⊆ Ui. Setze r := mini=1,...,n(ri) > 0.

=⇒ B(p; r) ⊆ B(p; ri) ⊆ Ui, ∀i = 1, . . . , n. =⇒ B(p; r) ⊆ U.

(1.8) Kommentar. Stetige Abbildungen Φ : M1 → M2 zwischen metrischen Räumensind viel flexibler als abstandstreue Abbildungen

(d.h.: ∀p1, q1 ∈ M1 : d2

(Φ(p1), Φ(q1)

)=

d1(p1, q1))

z.B. ist für S2 := x ∈ R3 : x21 + x2

2 + x23 = 1 und E := x ∈ R3 : ( x1

a1)2 + ( x2

a2)2 +

( x3a3)2 = 1 (a1, a2, a3 > 0) die Abbildung Φ : S2 → E, Φ(x) = (a1x1, a2x2, a3x3) bijektiv,

stetig und auch Φ−1 ist stetig, aber Φ ist im allgemeinen nicht abstandstreu. Man sagt, S2

und E haben die gleiche Gestalt, S2 ' E. Um Räume zunächst auf ihre bloße Gestalt zuuntersuchen, führt man das Konzept der topologische Räume ein.

(1.9) Definition. Sei M ein Menge. Ein System τ von Teilmengen von M, τ ⊆ P(M)(P(M) := Potenzmenge von M

)heißt eine Topologie auf M, wenn gilt:

(a) Ist I eine beliebige (Index-) Menge und Ui ∈ τ, so ist auch⋃

i∈I Ui ∈ τ, die leere Menge∅ ∈ τ.

(b) Ist n ∈N und sind U1, . . . , Un ∈ τ, so ist auch⋂n

i=1 Ui ∈ τ, die volle Teilmenge M ∈ τ.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Man nennt U ⊆ M dann offen, wenn U ∈ τ. Das Paar (M, τ) heißt dann ein topologischerRaum.

(1.10) Beispiel.

(a) Sei (M, d) ein metrischer Raum. Dann ist das System τ ⊆ P(M) aller offenen Teilmengenvon M eine Topologie auf M

(siehe (1.7)

). Man nennt dies die von der Metrik induzierte

Topologie auf M.

(b) Sei M eine beliebige Menge und τ die volle Potenzmenge, τ = P(M). Dann ist τ eineTopologie auf M. Sie heißt die diskrete Topologie auf M.

(c) Sei M eine beliebige Menge und τ = ∅, M. Es heißt dann τ die indiskrete Topologieauf M.

(1.11) Definition. Sei (M, τ) ein topologischer Raum.

(a) Eine Teilmenge A ⊆ M heißt abgeschlossen, wenn das Komplement A = M \ A offenist;

(b) Sei p ∈ M. Eine Teilmenge S ⊆ M heißt Umgebung von p, wenn es ein offenes U ⊆ Mgibt mit

p ∈ U ⊆ S.

(1.12) Definition. Seien M und N topologische Räume und Φ : M→ N eine Abbildung.

(a) Es heißt Φ stetig in p, wenn das Urbild jeder Umgebung von Φ(p) eine Umgebung vonp ist;

(b) es heißt Φ stetig, wenn das Urbild jeder offenen Menge offen ist;

(c) es heißt Φ ein Homöomorphismus, wenn Φ stetig ist und es ein stetiges Ψ : N → Mgibt mit

Ψ Φ = 1M, Φ Ψ = 1N

(1M bezeichnet die Identität auf M, 1M(p) = p, ∀p ∈ M). M und N heißen homöo-morph, M ' N, wenn es einen Homöomorphismus zwischen ihnen gibt.

(1.13) Kommentar. Es ist Φ : M→ N stetig, genau wenn Φ stetig in jedem Punkt p ∈ Mist (Übung).

(1.14) Kommentar.

(a) Ist (M, d) ein metrischer Raum und τ ⊆ P(M) die induzierte Topologie, so gibt es vieleandere Metriken d, die die gleiche Topologie induzieren, z.B. d = α · d (α > 0).

(b) Ist umgekehrt (M, τ) ein topologischer Raum, so heißt (M, τ) metrisierbar, wenn eseine Metrik d auf M gibt, so dass τ von d induziert ist.

(1.15) Definition. Man nennt einen topologischen Raum M hausdorffsch, wenn er folgen-des Trennungsaxiom erfüllt: zu je zwei verschiedenen Punkten p, q ∈ M, p 6= q, existierenoffene Mengen U, V ⊆ M mit p ∈ U, q ∈ V und U ∩V = ∅.

(1.16) Bemerkung. Ist (M, d) ein metrischer Raum, so ist ihre induzierte Topologie haus-dorffsch.

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KAPITEL 1. MENGENTHEORETISCHE TOPOLOGIE

Beweis. Seien p, q ∈ M, p 6= q und d := d(p, q) > 0. Wähle dann U := B(p; d2 ), V := B(q; d

2 ).Dann ist U und V offen, p ∈ U, q ∈ V und auch U ∩V = ∅, denn wäre x ∈ U ∩V, so wäre

d = d(p, q) ≤ d(p, x) + d(x, q) = d(x, p) + d(x, q) <d2+

d2= d

(1.17) Definition.

(a) Sei (M, τ) ein topologischer Raum. Eine Teilmenge B ⊆ τ heißt eien Basis der Topologie,wenn jede offene Menge U Vereinigung von Elementen aus B ist,

U =⋃

B∈BB⊆U

B.

(b) Es heißt (M, τ) von abzählbarer Topologie, wenn M eine abzählbare Basis besitzt.

(1.18) Beispiel. Der euklidische Raum En := (Rn, deukl) hat abzählbare Topologie, denn

B =

B(q;

1n) : q ∈ Qn, m ∈N

ist eine abzählbare Basis (Übung).

(1.19) Definition. Ist (M, τ) ein topologischer Raum und N ⊆ M eine Teilmenge. Wirdefinieren die Relativtopologie (oder auch induzierte Topologie oder Teilraumtopologie)auf N wie folgt: V ⊆ N ist offen genau dann, wenn es ein U ⊆ M, U ∈ τ gibt mitU ∩ N = V.

(1.20) Kommentar.

(a) Sei (M, τ) topologischer Raum und N ⊆ M mit der Relativtopologie versehen. Dannist die Inklusion i : N → M, i(p) = p stetig. Die Relativtopologie ist die gröbsteTopologie auf N, so dass i stetig ist.

(b) Eine Topologie τ1 auf N heißt gröber als ein Topologie τ2 auf N, wenn τ1 ⊆ τ2 (und τ2

heißt dann feiner als τ1). Man beachte: Ist τ1 echt gröber als τ2, d.h.: τ1 $ τ2, so ist dieIdentität 1 : (N, τ2)→ (N, τ1) stetig und bijektiv, ihre Umkerung 1−1 = 1 : (N, τ1)→(N, τ2) aber nicht stetig.

(c) Die Relativtopologie hat folgende universelle Eigenschaft: Ist P ein topol-ogischer Raum und Φ : P → N eine Abbildung, so ist Φ genau dannstetig, wenn i Φ : P→ M stetig ist (Übung).

P

Φ

iΦ AAAAAAAA

N i// M

(d) Ist M ein Hausdorffraum und N ⊆ M eine Teilmenge, so ist die Teilraumtopologie aufN auch hausdorfsch.

(e) Ist M von abzählbarer Topologie, so auch N. Insbesondere ist also jede Teilmenge Mdes euklidischen Raumes En (n ∈N) mit ihrer induzierten Topologie hausdorffsch undvon abzählbarer Topologie.

(1.21) Beispiel. Sei Rn mit der Standard-Topologie versehen. Wir nennen

Bn := x ∈ Rn : ‖x‖ ≤ 1

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

zusammen mit der Teilraumtopologie den n-dimensionalen Ball und

Sn := x ∈ Rn+1 : ‖x‖ = 1

die n-dimensionale Sphäre.

(1.22) Beobachtung. Sei (τi)i∈I eine Familie von Topologien auf einer Menge M. Dann istauch

τ :=⋂i∈I

τi

eine Topologie auf M.

(1.23) Kommentar.

(a) Ist A ⊆ P(M) eine beliebige Teilmenge (M Menge), so gibt es deshalb eine kleinsteTopologie τ auf M, die A enthält, nämlich

τ =⋂σ ⊆ P(M) : σ ist Topologie, σ ⊇ A

τ heißt die von A erzeugte Topologie und A ein Erzeugendensystem oder eine Subbasisvon τ.

(b) Expliziter kann man τ so beschreiben: zunächst bilde man das System B aller endlicherDurschnitte von A, dann das System aller (beliebigen) Vereinigungen von Elementenaus B.

(c) Es reicht also z.B. die Stetigkeit einer Abbildung Φ : M→ N auf einer Subbasis A derTopologie auf N zu prüfen: f stetig⇐⇒ f−1(V) offen, ∀V ∈ A.

(1.24) Definition. Seien M1 und M2 topologische Räume, M = M1 ×M2 ihr cartesischesProdukt und πi : M→ Mi (i = 1, 2) die kanonische Projektionen, πi(p1, p2) = pi. Sei

A := π−1i (Ui) ⊆ M : Ui ⊆ M offen, i = 1, 2.

Die von A erzeugte Topologie heißt die Produkttopologie auf M.

(1.25) Kommentar.

(a) Es ist also die Produkttopologie auf M die gröbste Topologie, bzgl. der π1 und π2 stetigsind.

(b) BezeichnetB := U1 ×U2 ⊆ M : Ui ⊆ Mi offen (i = 1, 2),

so ist also B eine Basis der Produkttopologie auf M.

(c) Ist P ein weiterer topologischer Raum, so ist eine Abbildung Φ :P → M = M1 ×M2 genau dann stetig, wenn πi Φ : P → Mistetig ist (i = 1, 2) (universelle Eigenschaft der Produkttopologie)(Übung)

Mπ2

!!BBBBBBBBπ1

||||||||

M1 M2

Pπ1Φ

aaCCCCCCCC π2Φ

==

Φ

OO

(d) Sind M1 und M2 hausdorffsch, so ist auch M1 ×M2 hausdorffsch. Sind M1 und M2 vonabzählbarer Topologie, so auch M1 ×M2.

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KAPITEL 1. MENGENTHEORETISCHE TOPOLOGIE

(1.26) Beispiel.

(a) Die Produkttopologie auf Rn = R × . . . × Rn (wo R die Standard-Topologie trage)stimmt mit der Standard-Topologie überein (Übung).

(b) Für n ∈N bezeichnet man mit

Tn := S1 × . . .× S1

(zusammen mit der Produkttopologie) als den n-dimensionalen Torus.

(1.27) Definition. Sei M ein topologischer Raum, R ⊆ M×M eine Äquivalenz-Relation((p, q) ∈ R⇐⇒ p ∼R q

), [p] := q ∈ M : p ∼ q eine Äquivalenz-Klasse und

M/R = [p] ⊆ P(M) : p ∈ M

die Quotientenmenge. Bezeichne π : M→ M/R, p 7→ [p], die kanonische Projektion. EineTeilmenge U ⊆ M/R heißt offen, wenn π−1(U) ⊆ M offen ist.

(1.28) Kommentar.

(a) Die so definierten offenen Mengen bilden eine Topologie auf M/R.

(b) Sie ist die feinste Topologie auf M, so dass π stetig ist.

(c) Für einen topolgischen Raum P ist eine Abbildung Φ : M/R→ P genaudann stetig, wenn Φ π : M → P es ist (universelle Eigenschaft derQuotienten-Topologie). (Übung)

M Φπ //

π

P

M/RΦ

<<zzzzzzzzz

(1.29) Beispiel.

(a) Sei I = [0, 1] (mit der induzierten Topologie) und R ⊆ I × I die von (0, 1) erzeugteÄquivalenz-Relation

(d.h.: die kleinste, die (0, 1) enthält

), also

R =(0, 1), (1, 0), (p, p) : p ∈ I

.

Dann ist I/R ' S1 vermöge

I/R→ S1, Φ([t])=(

cos(2πt), sin(2πt))

ein Homöomorphismus (Übung).

IΦ(t)=e2πit

//

π

S1

I/RΦ

77ppppppp

(b) Sei R auf M = I × I die von (0, t) ∼ (1, t) und (s, 0) ∼ (s, 1) erzeugte Äquivalenz-Relation. Dann ist

Φ : M/∼ → T2 ⊆ C×C, Φ([s, t]

)= (e2πis, e2πit)

ein Homöomorphismus.

(c) Sei R die Äquivalenz-Relation auf M = I × I, die von (0, t) ∼ (1, t) erzeugt wird. Dannnennt man Z := M/∼ den Zylinder.

(d) Sei nun R auf M = I × I von (0, t) ∼ (1, 1− t) erzeugt. Dann nennt man M = X/∼das Möbiusband.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

-1

0

1 -10

1

-0.50

0.5

Abbildung 1.1.: Möbiusband

Abbildung 1.2.: kleinsche Flasche

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KAPITEL 1. MENGENTHEORETISCHE TOPOLOGIE

(e) Sei schließlich R auf M = I × I von (0, t) ∼ (1, t) und (s, 0) ∼ (1− s, 1) erzeugt. Dannheißt K = M/∼ die Kleinsche Flasche.

(1.30) Definition. Seien p, q ∈ Rn+1 \ 0 äquivalent, wenn wenn es ein λ ∈ R∗ := R \ 0gibt mit q = λp. Der Quotientenraum

Pn(R) :=(Rn+1 \ 0

)/ ∼

heißt der n-dimensionale (reell-) projektive Raum.

(1.31) Kommentar.

(a) Für einen Punkt [p] ∈ Pn schreibt man häufig

[p] = (p0 : p1 : . . . : pn),

weil der Repräsentant (p0, . . . , pn) ∈ Rn+1 \ 0 bis auf ein multiplikatives Inverseseindeutig ist. Die Abbildung j : Rn → Pn,

x = (x1, . . . , xn) 7→ (1 : x1 : . . . : xn)

ist eine Einbettung (d.h.: Rn → j(Rn) ⊆ Pn ist ein Homöomorphismus). Die Teilmenge

H :=(x0 : . . . : xn) ∈ Pn : x0 = 0,

also H = Pn \ j(Rn) wird als unendlich ferne Hyperebene bezeichnet.

(b) Identifiziert man auf Sn Antipoden, x ∼ ±x, so ist Pn ' Sn/∼ vermöge

[x] 7→[

x‖x‖

](Übung).

(1.32) Vorbereitung. Seien M1 und M2 Mengen. Dann gibt es (bis auf Isomorphie) genaueine Menge M zusammen mit injektiven Abbildungen i1 : M1 → M, i2 : M2 → M, sodass M = i1(M1)t i2(M2) (d.h.: i1(M1)∩ i2(M2) = ∅). Diese Menge wird im folgenden mitM1 + M2 bezeichnet.

(1.33) Definition. Seien M1 und M2 topologische Räume und M = M1 + M2 ihre mengen-theoretische Summe mit ihren natürlichen Inklusionen ij : Mj → M (j = 1, 2). Wir nennendann U ⊆ M offen, wenn i−1

j (U) ⊆ Mj offen ist.

(1.34) Kommentar.

(a) Die so definierten offenen Mengen bilden eine Topologie auf M. Sie heißt die Sum-mentopologie und ist die feinste Topologie auf M, so dass ij : Mj → M stetig ist(j = 1, 2).

(b) Ist N ein weiterer topologischer Raum und Φ : M1 + M2 → Neine Abbildung, so ist Φ stetig genau dann wenn Φ ij : Mj → Nstetig ist (j = 1, 2). (Übung)

M1i1

!!BBBBBBBB

Φi1

M Φ // N

M2

i2

==||||||||

Φi2

JJ

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(1.35) Beispiel. Seien M und N topologische Räume, p ∈ M und q ∈ N. Identifiziertman p mit q in M + N, so nennt man M + N/ ∼ die Einpunktvereinigung von M und N(entlang p und q) und schreibt

M ∨ N := M + N/ ∼ .

Zum Beispiel ist S1 ∨ S1 die Figur “Acht”.

(1.36) Definition. Ein topologischer Raum M heißt zusammenhängend, wenn folgendesgilt: Sind U, V ⊆ M offen mit U ∪ V = M und U ∩ V = ∅, so muss U = ∅ oder V = ∅gelten.

(1.37) Kommentar.

(a) Ein Raum M ist also genau dann zusammenhängend, wenn die einzigen Teilmengenvon M, die zugleich offen und abgeschlossen sind, nur die leere Menge ∅ und die volleMenge sind.

(b) Ein topologischer Raum ist zusammenhängend, wenn er nicht homöomorph zu dertopologischen Summe U + V zweier nicht-leerer Teilräume U, V ⊆ M ist (Übung).

(1.38) Beispiel. Das abgeschlossene Intervall I = [0, 1] ist zusammenhängend.

Beweis. Sei I = U tV mit U 6= ∅ 6= V und setze a := sup(U), b := sup(V) (Vollständigkeitvon R!). Da U ⊆ I abgeschlossen, I ⊆ R abgeschlossen =⇒ U ⊆ R abgeschlossen =⇒ a ∈ U.Weil U offen ist =⇒ a = 1; genau so b = 1 =⇒ U ∩V 6= ∅ =⇒ I ist zusammenhängend.

(1.39) Proposition. Seien M und N topologischer Raum, Φ : M→ N stetig. Ist M zusammen-hängend, so auch Φ(M) ⊆ N.

Beweis. O.E.: Φ surjektiv(sonst betrachte Φ′ : M→ Φ(M) mit Φ′(p) := Φ(p)

). Seien nun

V1, V2 ⊆ N offen mit N = V1 t V2. =⇒ M = Φ−1(V1) t Φ−1(V2) =⇒ Φ−1(V1) = ∅ oderΦ−1(V2) = ∅. Da Φ surjektiv ist, muss also V1 = ∅ oder V2 = ∅, also: N zusammenhängend.

(1.40) Definition. Sei M ein topologischer Raum.

(a) Ein Weg in M ist eine stetige Abbildung α : I → M, I = [0, 1]. Es heißt α(0) derAnfangspunkt von α und α(1) der Endpunkt von α.

(b) M heißt wegzusammenhängend, wenn es zu beliebigen p, q ∈ M einen Weg α in Mgibt mit α(0) = p und α(1) = q.

(1.41) Beispiel. M = R∗ = R \ 0 ist nicht wegzusammenhängend (Zwischenwertsatz).

(1.42) Bemerkung. Ist M wegzusammenhängend, so auch zusammenhängend.

Beweis. Sei M = U tV mit U, V ⊆ M offen, U 6= ∅ 6= V. Wähle p ∈ U, q ∈ V und einenWeg α : I → M von p nach q. =⇒ I = α−1(U) t α−1(V) =⇒ da I zusammenhängend istmuss α−1(U) = ∅ oder α−1(V) = ∅:, da 0 ∈ α−1(U), 1 ∈ α−1(V).

(1.43) Beispiel. Der Teilraum

M =(t, sin

1t) ∈ R2 : t > 0

t(0, y) : y ∈ [−1, 1]

ist zusammenhängend, aber nicht wegzusammenhängend (Übung).

11

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KAPITEL 1. MENGENTHEORETISCHE TOPOLOGIE

-1

0

1

Abbildung 1.3.: Sinuskurve der Topologen

(1.44) Definition. Sei M ein topologischer Raum und p ∈ M. Das System aller Umgebun-gen wird mit A(p) ⊆ P(M) bezeichnet. Man nennt nun ein Teilsystem B(p) ⊆ A(p) eineUmgebungsbasis von p, wenn es zu jedem S ∈ A(p) ein B ∈ B(p) gibt mit B ⊆ S.

(1.45) Definition. Ein topologischer Raum heißt lokal wegzusammenhängend, wennjeder Punkt p ∈ M eine Umgebungsbasis aus wegzusammenhängenden Mengen besitzt.

(1.46) Kommentar.

(a) Ein lokal wegzusammenhängender Raum braucht nicht wegzusammenhängend sein.Beispiel: M = R∗.

(b) Ein wegzusammenhängender Raum braucht auch nicht lokal wegzusammenhängendzu sein. Beispiel: (Übung)

M =∞⋃

i=1

(1/n

0

)(01

)t(

00

)(01

)(pq = Strecke von p nach q)

0 18

13

12

1

1

(1.47) Proposition. Sei M lokal wegzusammenhängend. Dann gilt: M zusammenhängend⇐⇒M wegzusammenhängend.

Beweis. „⇐=“: Siehe (1.45).„=⇒“: Sei p ∈ M und U := U(p) die Wegkomponente von p, d.h.:

U(p) := x ∈ M : ∃ Weg von p nach x

(also die größte wegzusammenhängende Teilmenge von M, die p enthält). Es ist U offen,denn sei x ∈ U. Sei V ∈ U(x), V wegzusammenhängend =⇒ V ⊆ U. Klar ist weiter: Fürq ∈ M ist entweder U(p) = U(q) oder U(p) ∩U(q) = ∅.

=⇒ M = U(p)︸ ︷︷ ︸offen

t⋃

q/∈U(p)

U(q)

︸ ︷︷ ︸offen

.

=⇒ M = U(p) =⇒ M ist wegzusammenhängend.

12

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(1.48) Beispiel. Rn 6' R für n ≥ 2.

Beweis. Angenommen Φ : R → Rn ist Homöomorphismus =⇒ Ψ := Φ|R∗ : R∗ →R∗ \

Φ(0)

ist auch Homöomorphismus. Aber R∗ ist nicht (weg-) zusammenhängend,

Rn \ p(

p = Φ(0))

für n ≥ 2 aber wohl:.

(1.49) Definition. Sei M ein topologischer Raum.

(a) Eine Familie (Ui)i∈I von Teilmengen von M heißt eine offene Überdeckung von M,wenn alle Ui offen sind (i ∈ I) und M =

⋃i∈I Ui ist.

(b) Es heißt M kompakt, wenn M hausdorffsch und jede offene Überdeckung eine endlicheTeilüberdeckung hat.

(1.50) Kommentar.

(a) Ist M ein topologischer Raum, N ⊆ M und (Ui)i∈I Familie offener Mengen von M mitN ⊆ ⋃i∈I Ui, so spricht man auch von einer offenen Überdeckung von N. Es ist ja dannVi := Ui ∩ N offen in N und (Vi)i∈I eine offene Überdeckung von N im Sinne von (1.49).

(b) Durch Komplementbildung kann man eien äquivalente Beschreibung der kompaktenRäumen so bekommen: M ist hausdorffsch und ist (Ai)i∈I Familie abgeschlossenerTeilmengen mit

⋂i∈I Ai = ∅, so gibt es i1, . . . , in ∈ I, so dass Ai1 ∩ . . . ∩ Ain = ∅ ist.

(1.51) Proposition. Seien M und N Hausdorff-Räume und Φ : M→ N stetig. Ist M kompakt,so auch Φ(M).

Beweis. O.E.: Φ ist surjektiv, Φ(M) = N. Sei N =⋃

i∈I Vi, Vi ⊆ N offen. =⇒ M =⋃i∈I Φ−1(Vi) =⇒ ∃i1, . . . , in ∈ I:

M =n⋃

j=1

Φ−1(Vij) =⇒ N =n⋃

j=1

Vij .

(1.52) Lemma.

(a) Sei M ein kompakter topologischer Raum und A ⊆ M abgeschlossen. Dann ist auch A kompakt.

(b) Sei M ein Hausdorff-Raum und K ⊆ M kompakt. Dann ist K abgeschlossen.

Beweis. Zu (a): Sei Ai ⊆ A abgeschlossen, i ∈ I und⋂

i∈I Ai = ∅. Da A abgeschlossen=⇒ Ai ⊆ M abgeschlossen in M =⇒ ∃i1, . . . , in ∈ I :

⋂nj=1 Aij = ∅, also A kompakt.

Zu (b): Sei p ∈ K = M \ K. Zu x ∈ K wähle offene Mengen Ux ∈ A(x), Vx ∈ A(p) mitUx ∩ Vx = ∅. Weil K =

⋃x∈K Ux =⇒ ∃x1, . . . , xn ∈ K : K ⊆ Ux1 ∪ . . . ∪Uxn . Setze V :=

Vx1 ∩ . . . ∩Vxn =⇒ V ∈ A(p) und V ∩ K = ∅ =⇒ K ist offen, also K abgeschlossen.

(1.53) Kommentar. In einem kompakten Raum ist eine Teilmenge also genau dann kom-pakt, wenn sie abgeschlossen ist.

(1.54) Proposition. Sei M ein kompakter Raum und N hausdorffsch. Ist dann Φ : M → Nstetig und bijektiv, so ist Φ bereits ein Homöomorphismus.

Beweis. Zeige: A ⊆ M abgeschlossen impliziert Φ(A) abgeschlossen (=⇒ ∀U ⊆ M offen:Φ(U) ⊆ N offen =⇒ Φ−1 ist stetig, also Φ Homöomorphismus). Sei A ⊆ M abgeschlossen.Mit (1.51,a) ist A kompakt und mit (1.50) folgt, dass auch Φ(A) kompakt. Mit (1.51,b) gilt,dass auch Φ(A) ⊆ N abgeschlossen ist.

13

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KAPITEL 1. MENGENTHEORETISCHE TOPOLOGIE

(1.55) Definition. Sei M ein topologischer Raum und (xn)n∈N eine Folge in M. Ein Punktp ∈ M heißt Häufungspunkt von (xn), wenn in jeder Umgebung von p unendlich vieleFolgenglieder liegen.

(1.56) Lemma. Ein Punkt p ∈ M ist Häufungspunkt von (xn) genau dann, wenn er im Abschlussaller Endstücke der Folge liegt.

Beweis. Sei En = xn, xn+1, . . . ⊆ M (n ∈N) Endstück.„=⇒“: Sei p Häufungspunkt und S ∈ A(p) beliebig. =⇒ S ∩ En 6= ∅. =⇒ p ∈ En, ∀n ∈

N =⇒ p ∈ ⋂ En.„⇐=“: Sei p ∈ ⋂∞

n=1 En und S ∈ A(p) =⇒ S ∩ En 6= ∅ =⇒ S ∩ E1 hat unendlich vieleFolgenglieder, d.h.: p ist Häufungspunkt.

(1.57) Proposition. Sei M ein Hausdorff-Raum mit abzählbarer Topologie. Dann gilt: M istgenau dann kompakt, wenn jede Folge in M einen Häufungspunkt hat.

Beweis. „=⇒“: (xn) sei Folge, En = xn, xn+1, . . . Endstück. Für endlich viele n1, . . . , nk ∈N ist stets

⋂kj=1 Enj 6= ∅, erst recht

⋂kj=1 Enj 6= ∅ =⇒ (Kompaktheit)

⋂n∈N En 6= ∅ =⇒ ∃

Häufungspunkt von (xn).„⇐=“: Sei (Ui)i∈I offene Überdeckung von M. Sei (Bn)∞

n=1 Basis der Topologie von M. Sei

J := k ∈N : ∃ik ∈ I : Bk ⊆ Uik, J = n1, n2, n3, . . ..

=⇒ M =⋃

i∈I Ui =⋃

k∈J Bk, erst recht: M =⋃

k∈J Uik =⋃∞

j=1 Uinj. Also: Es existiert eine

abzählbare Teilüberdeckung. O.B.d.A. sei daher: M =⋃∞

n=1 Un, Un ⊆ M offen. Setze

Vn := U1 ∪ . . . ∪Un.

Angenommen: Es gibt keine endliche Teilüberdeckung =⇒ Vn 6= ∅; wähle xn ∈ Vn.Sei p Häufungspunkt von (xn) =⇒ ∃m ∈ N : p ∈ Um ⊆ Vm =⇒ Vm ∈ A(p), aberxn /∈ Vm, ∀n ≥ m, also p kein Häufungspunkt von (xn) . Es muss also doch eine endlicheTeilüberdeckung existieren, also: M kompakt.

(1.58) Proposition (Tychonoff). Sei I abzählbar (oder endlich) und (Xi)i∈I Familie vonHausdorff-Räumen mit abzählbarer Topologie. Das Produkt M = ∏i∈I Mi ist kompakt genaudann, wenn Mi kompakt ist, ∀i ∈ I.

Beweis. Mk Hausdorffsch und hat abzählbare Topologie. Also ist auch ∏ Mk Hausdorff-Raum mit abzählbarer Topologie.

„=⇒“: M kompakt. Die kanonische Projektion πk : M → Mk ist stetig und surjektiv.Damit ist auch π(M) = Mk kompakt.

„⇐=“: Sei(

x(0,n))n∈N

Folge in M =⇒(x(0,n)

1

)Folge in M1 =⇒ ∃ Teilfolge

(x(1,n))

n∈N

von(x(0,n))

n∈N:(

x(1,n)1

)in M1 gegen p1 konvergent. =⇒ ∃ Teilfolge

(x(2,n))

n∈Nvon(

x(1,n))n∈N

:(

x(2,n)2

)konvergent in M2, sagen wir p2 usw. Ist I endlich, I = 1, . . . , N, so

konvergiert(x(N,n))

n∈Nin M (gegen p = (p1, p2, . . . , pN). Ist I = N, so konvergiert die

Folge(X(n,n))

n∈Nin M gegen (p1, p2, . . .). Also ist M kompakt.

(1.59) Beispiel.

(a) Sei M = [a, b] ⊆ R. Nach Bolzano-Weierstraß hat jede Folge in M einen Häufungspunktist also kompakt.

(b) Sei Q = [−R, R]n ⊆ Rn. Wegen Tychonoff ist Q kompakt.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(1.60) Proposition (Heine-Borel). Eine Teilmenge K ⊆ Rn (n ∈N) ist kompakt, genau wennsie abgeschlossen und beschränkt ist.

Beweis. „=⇒“: Rn hausdorffsch, K ⊆ Rn kompakt. Mit (1.51,b) ist K abgeschlossen.K ⊆ Rn =

⋃n∈N B(0; n) =⇒ ∃n1, . . . , nk : K ⊆ K ⊆ B(0; n1) ∪ . . . ∪ B(0; nk). Setzte

R := maxn1, . . . , nk =⇒ K ⊆ B(0; R) =⇒ K ist beschränkt.„⇐=“: Sei K beschränkt. Also gibt es ein R > 0 : K ⊆ [−R, R]n = Q und Q kompakt;

K ⊆ Q abgeschlossen, also folgt mit (1.52,a), dass K kompakt ist.

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2 Kapitel 2.

Differenzierbare Mannigfaltigkeiten

(2.1) Definition. Sei n ∈ N. Ein Hausdorff-Raum mit abzählbarer Topologie M heißteine n-dimensionale topologische Mannigfaltigkeit , wenn jeder Punkt p ∈ M eine offeneUmgebung besitzt, die homöomorph zu einer offenen Teilmenge des Rn ist.

(2.2) Kommentar.

(a) Man kann also eine topologische Mannigfaltigkeit der Dimension n (manchmal auch mitMn notiert) mit einer Familie (Ui)i∈I offener Teilmengen überdecken, die homöomorphzu offenen Teilmengen Vi ⊆ Rn sind, Ui ' Vi,

M =⋃i∈I

Ui.

Man nennt dann eine Familie von Homöomorphismen

A =(

ϕi : Ui'−→ Vi

)i∈I

einen (topologischen) Atlas für M. Die Mitglieder ϕi : Ui → Vi heißen Karten und ihreUmkehrungen ϕ−1

i : Vi → Ui heißen lokale Koordinatensysteme auf M.

(b) Ist Mn ein topologische Mannigfaltigkeit und A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I ein topologischerAtlas, so nennt man für jedes Paar (i, j) ∈ I × I (mit Ui ∩Uj 6= ∅) die Abbildung

ϕij : ϕj(Ui ∩Uj)→ ϕi(Ui ∩Uj), ϕij(x) := ϕi ϕ−1j (x),

eine Übergangsfunktion des Atlas A.

(c) Lokal ist also eine topologische Mannigfaltigkeit etwas Wohlbekanntes, global kann Mn

sehr kompliziert sein. Ist A = (ϕi : Ui → Vi) ein topologischer Atlas mit Übergangs-funktionen (ϕij), so kann man sich Mn als (zunächst disjunkte) Vereinigung der offenenMengen Vi ⊆ Rn vorstellen, bei denen man die Teilmengen Vij := ϕi(Ui ∩Uj) ⊆ Vivermöge ϕij : Vji → Vij „zusammenklebt“:

(2.3) Bemerkung. Sei Mn eine topologische Mannigfaltigkeit, A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I eintopologischer Atlas mit Übergängen (ϕij : Vji → Vij). Auf der topologische Summe Q := ∑i∈I Videfiniere man eine Äquivalenzrelation durch

ιi(xi) ∼ ιj(xj) :⇐⇒ xi = ϕij(xj)

(für ιk : Vk → Q die kanonische Inklusionen, xk ∈ Vk, k ∈ I). Dann gilt, dass der QuotientenraumQ := Q/ ∼ homöomorph zu M ist.

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

Beweis. Sei jk : Uk → M die Inklusion k ∈ I. Dann induzieren die Abbildungen jk ϕ−1k :

Vk → M eine (eindeutig bestimmte) Abbildung Φ : Q → M mitΦ ιk = jk ϕ−1

k , welche nach der universellen Eigenschaft der Sum-mentopologie stetig ist. Ist nun ιi(xi) ∼ ιj(xj), so ist

Φ(ιi(xi)

)= ji ϕ−1

i (xi) = ϕ−1i (xi) =

ϕ−1i

(ϕi ϕ−1

j (xj))= ϕ−1

j (xj) = (jj ϕ−1j ) (xj) = Φ

(ιj(xj)

).

M

Vi

ιi >>>>>>>>

jiϕ−1i

??~~~~~~~~Vj

ιj

jjϕ−1j

__@@@@@@@@

Q

Φ

OO

Ist daher Q = Q/ ∼ und π : Q → Q die kanonische Projektion, so gibt eseine eindeutig bestimmte Abbildung Ψ : Q→ M mit Ψ π = Φ, welche nachder universellen Eigenschaft der Quotiententopologie stetig ist. Man prüftnun leicht nach, dass Ψ surjektiv, injektiv und auch Ψ−1 stetig ist (Übung).

QΦ //

π

M

@@

Also ist Ψ ein Homöomorphismus.

(2.4) Beobachtung. Ist Mn eine topologische Mannigfaltigkeit, f : M→ R und p ∈ M, soist offenbar f genau dann stetig in p, wenn f |U ϕ−1 : V → R stetig in x0 = ϕ(p) ∈ V ⊆ Rn

für eine Karte ϕ : U → V um p ist, denn:

f stetig in p⇐⇒ f |U stetig in p

⇐⇒ f |U ϕ−1 stetig in x0 (denn ϕ ist ja Homöomorphismus).

Ist nun A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I ein topologischer Atlas, p ∈ Ui ∩Uj und ϕij der Übergangbzgl. (i, j), so ist für x ∈ Vji := ϕj(Ui ∩Uj):

f ϕ−1j (x) = f ϕ−1

i ϕi ϕ−1j (x) = ( f ϕ−1

i ) ϕij(x),

und deshalb (natürlich) f |Uj ϕ−1j : Vj → R stetig in xj = ϕj(p) genau dann wenn

f |Ui ϕ−1i : Vi → R stetig in xi = ϕi(p) ist, denn ϕij : Vji → Vij ist ja Homöomorphismus.

Beachte nun: Für f |Ui ϕ−1i : Vi → R macht es auch Sinn darüber zu sprechen, dass

diese Abbildung differenzierbar in xi ist und diese Beobachtung wäre bei Vorgabe von A

unabhängig von der Wahl der Karte, in der p liegt, wenn alle Übergänge (ϕij : Vji → Vij)

nicht nur Homöomorphismen wären, sondern sogar Diffeomorphismen sind! Deshalb:

(2.5) Definition. Sei Mn eine topologische Mannigfaltigkeit.

(a) Man nennt einen (topologischen) Atlas A = (ϕi) von M differenzierbar, wenn alle seineÜbergänge ϕij differenzierbar sind.

(b) Zwei differenzierbare Atlanten A = (ϕi)i∈I und B = (ψj)j∈J auf M heißen äquivalent,wenn auch A+B := (ϕi, ψj)i∈I, j∈J ein differenzierbarer Atlas ist.

(c) Eine Äquivalenzklasse c = [A] differenzierbarer Atlanten auf M heißt eine differenzier-bare Struktur auf M. Ein Paar (M, c) heißt eine differenzierbare Mannigfaltigkeit.

(2.6) Kommentar.

(a) Auf einer topologischen Mannigfaltigkeit kann es sehr viele verschiedene differenzier-bare Strukturen geben. Z.B. ist M = R sicher eine topologische Mannigfaltigkeit (derDimension 1) und folgende beiden Atlanten sind sicher differenzierbar:

A = (ϕ : R→ R, ϕ(x) = x), B = (ψ : R→ R, ψ(x) = x3).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Denn: A ist differenzierbar, denn der einzige Übergang ist ϕ ϕ−1 = 1 : R→ R und 1ist sicher differenzierbar. Ebenso ist B differenzierbar, weil auch B aus nur einer Kartebesteht. Es ist aber A+B = (ϕ, ψ) nicht mehr differenzierbar, denn ϕ ψ−1 : R→ R,

ϕ ψ−1(x) = 3√

x,

ist nicht mehr differenzierbar (im Nullpunkt). Für die differenzierbare Strukturenc1 = [A] und c2 = [B] gilt also: c1 6= c2.

(b) Wir werden aber bald sehen, dass (R, c1) ∼= (R, c2) „diffeomorph“ ist, nämlich vermögex 7→ 3

√x. (siehe 2.12)

(2.7) Beispiel.

(a) M = Rn trägt die Struktur einer n-dimensionaler Mannigfaltigkeit. Man nehme denAtlas A = (ϕ) mit ϕ : Rn → Rn, ϕ = 1

(und setze c = [A]

). Das ist die Standard-

Struktur auf Rn.

(b) Ebenso wird jede offene Menge U ⊆ Rn mit V := U und ϕ = 1 : U → V(und A = (ϕ)

sowie c = [A])

zu einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit der Dimension n.

(c) Ist Mn eine Mannigfaltigkeit und N ⊆ M offen, so trägt N in natürlicher Weise dieStruktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit der Dimension n: Ist nämlich A =

(ϕi : Ui → Vi)i∈I ein Repräsentant der differenzierbare Struktur c auf M, so betrachteman einfach B := (ϕi : Ui → Vi)i∈I mit Ui := Ui ∩ N, Vi := Im(ϕi) ⊆ Vi ⊆ Rn

und ϕi := ϕi|Ui. Dann wird N zusammen mit c := [B] zu einer differenzierbaren

Mannigfaltigkeit der Dimension n (und diese Struktur hängt nicht von der Wahl A ∈ cab).

(d) Sei V ein (abstrakter) reeller Vektorraum der Dimension n. Sei dann (v1, . . . , vn) eineBasis von V und ι : V → Rn der zugehörige Koordinatenisomorphismus, also

ι(v) = x = (x1, . . . , xn)⇐⇒ v =n

∑i=1

xivi.

(Beachte: Komponenten eines Vektors x ∈ Rn werden mit “Exponenten” bezeichnet:x1, . . . , xn.) Versehe nun V mit der Topologie, so dass ι ein Homöomorphismus wird,d.h.: U ⊆ V sei offen, genau wenn ι(U) ⊆ Rn offen ist. Damit ist V zunächst einetopologische Mannigfaltigkeit der Dimension n.

(Übung: Diese Topologie hängt nicht

von der Basiswahl ab, weil lineare Isomorphismen S : Rn → Rn (S ∈ GLn(R))

Homöo-morphismen sind.

)Definiere schließlich (wieder) A := (ι) und c = [A]. Dann hängt

auch c nicht von der Basiswahl ab, weil lineare Isomorphismen sogar Diffeomorphismensind.

(2.8) Beispiel. Betrachte die n-Sphäre (n ≥ 1)

Sn := x ∈ Rn+1 : ‖x‖ = 1

(mit ihrer von Rn+1 induzierten Teilraumtopologie). Da Rn+1 (mit der Standard-Topologie)hausdorffsch und von abzählbarer Topologie ist, ist Sn hausdorffsch und von abzählbarerTopologie.

Übrigens ist Sn auch zusammenhängend (Übung) und kompakt (nach Heine-Borel). Daherkann man Sn sicher nicht mit einer einzigen Karte ϕ : Sn → V ⊆ Rn überdecken, denn einenicht-leere offene Teilmenge V ⊆ Rn ist niemals kompakt.

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

Betrachte nun N := (0, . . . , 0, 1) ∈ Sn und S := (0, . . . , 0,−1) ∈ Sn und die stereographi-schen Projektionen

Sn \ N → Rn, p 7→ 11− pn+1 (p1, . . . , pn),

Sn \ S → Rn, p 7→ 11 + pn+1 (p1, . . . , pn).

Es sind ϕ und ψ stetig (weil Einschränkungen stetiger Abbildungen stetig sind) und auch

Abbildung 2.1.: stereographische Projektion der S2

bijektiv, denn

(x1, . . . , xn) 7→ 11 + ‖x‖2 (2x1, . . . , 2xn,−1 + ‖x‖2), Rn → Sn \ N

bzw.(x1, . . . , xn) 7→ 1

1 + ‖x‖2 (2x1, . . . , 2xn, 1− ‖x‖2), Rn → Sn \ S

sind Inverse für ϕ und ψ (Übung). Sie sind offenbar auch stetig und schließlich ist

Sn =(Sn \ N

)∪(Sn \ S

).

Damit ist Sn eine topologische Mannigfaltigkeit der Dimension n.Es ist aber A = (ϕ, ψ) auch differenzierbar, denn für die Übergänge ϕ ψ−1 bzw. ψ ϕ−1

von Rn \ 0 nach Rn \ 0 gilt (Übung)

ϕ ψ−1(x) = ψ ϕ−1(x) =x‖x‖2 .

Also ist(Sn, [(ϕ, ψ)]

)eine differenzierbare Mannigfaltigkeit der Dimension n.

(2.9) Definition. Sei (M, c) eine differenzierbare Mannigfaltigkeit, p ∈ M. Eine stetigeFunktion f : M → R heißt differenzierbar in p, wenn für ein A ∈ c und eine Karteϕ : U → V ⊆ Rn aus A mit p ∈ U gilt: f ϕ−1 : V → R ist differenzierbar in x0 = ϕ(p). Esheißt f differenzierbar, wenn f differenzierbar in allen Punkten p ∈ M ist.

(2.10) Kommentar. Wie in der Definition für den Begriff der differenzierbaren Mannig-faltigkeit bereits vermerkt, ist diese Definition nun unabhängig von der gewählten Karteum p, denn für zwei Karten ϕ1 : U1 → V1 und ϕ2 : U2 → V2 in p ∈ U1 ∩U2 ist ja nun

f ϕ−12 = ( f ϕ−1

1 ) (ϕ1 ϕ−12 ) auf ϕ2(U1 ∩U2),

also differenzierbar in x2 = ϕ2(p), genau dann wenn f ϕ−11 differenzierbar in x1 = ϕ1(p)

ist (mit ϕ1 Karte aus A1, ϕ2 Karte aus A2 und A1,A2 ∈ c).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(2.11) Definition.

(a) Seien(

Mn, [A])

und(

Nr, [B])

differenzierbare Mannigfaltigkeiten und p ∈ M. Einestetige Abbildung Φ : M → N heißt differenzierbar in p, wenn für eine (und dannjede) Wahl von Karten ϕ : U → V ⊆ Rn um p und ψ : U → V ⊆ Rr um Φ(p) = q gilt,dass

ψ Φ ϕ−1 : Rn ⊇ ϕ(U ∩Φ−1(U)

)→ V ⊆ Rr

differenzierbar in x0 = ϕ(p) ist.

(b) Es heißt Φ differenzierbar, wenn Φ differenzierbar in allen Punkten ist.

(c) Ist Φ : M→ N differenzierbar und bijektiv, so dass auch Φ−1 : N → M differenzierbarist, so nennt man Φ einen Diffeomorphismus. Es heißt M diffeomorph zu N, M ∼= N,wenn es einen Diffeomorphismus zwischen M und N gibt.

(2.12) Beispiel. Wir wissen bereits, dass c1 =[(ϕ)]

und c2 =[(ψ)]

mit ϕ = 1 : R → R

und ψ : R→ R, x 7→ x3, zwei verschiedene differenzierbare Strukturen auf R liefert. Es istaber (R, c1) ∼= (R, c2) vermöge Φ : (R, c1) → (R, c2), p 7→ 3

√p, denn in den Karten lautet

diese Abbildung ja ψ Φ ϕ−1 : R→ R,

ψ Φ ϕ−1(x) = ψ Φ(x) = ψ(

3√

x)=(

3√

x)3

= x

und das ist sicher differenzierbar und auch ϕ Φ−1 ψ−1 = 1. Also ist Φ Diffeomorphismus.

(2.13) Kommentar.

(a) Ist f : M → R eine differenzierbare Funktion im Sinne von Definition (2.9), so ist foffenbar differenzierbar im Sinne von (2.10), wenn man R mit seiner Standard-Struktur(c = [(1)]

)versieht und umgekehrt, denn für eine Karte ϕ auf M ist

f ϕ−1 = 1 f ϕ−1.

(b) Jede Karte ϕ auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit ist selbst ein Diffeomorphismus(Übung).

(c) Es ist übrigens durchaus möglich, dass eine topologische Mannigfaltigkeit keine dif-ferenzierbare Struktur trägt und auch, dass sie paarweise nicht diffeomorphe Strukturenträgt. Ein spektakuläres Ergebnis von J. Milnor (1956) ist, dass auf der S7 neben derStandard-Struktur weitere (sogenannte exotische) Strukturen existieren

(genau 27 Stück

(Kervaire/Milnor 1963)).

(d) Ist Mn eine Mannigfaltigkeit und N ⊆ M offen, so gilt offenbar für die induzierteStruktur von (2.7,c), dass die Inklusion i : N → M differenzierbar ist.

(2.14) Konstruktion. Seien (Mn11 , c1) und (Mn2

2 , c2) differenzierbare Mannigfaltigkeitenund M := M1 ×M2 ihr cartesisches Produkt versehen mit der Produkttopologie.

(i) Es ist dann M eine topologische Mannigfaltigkeit der Dimension n1 +n2, denn zunächstist M hausdorffsch und von abzählbarer Topologie, weil M1 und M2 es sind. Ist nunp = (p1, p2) ∈ M, so gibt es offene Umgebungen U1 ⊆ M1 von p1, U2 ⊆ M2 von p2

und offene Mengen V1 ⊆ Rn1 , V2 ⊆ Rn2 sowie Homöomorphismen ϕ1 : U1 → V1

und ϕ2 : U2 → V2. Es ist dann U := U1 ×U2 ⊆ M offene Umgebung von p, es istV := V1×V2 ⊆ Rn1 ×Rn2 = Rn1+n2 offen und es ist ϕ := ϕ1× ϕ2 : U → V ⊆ Rn, n :=n1 + n2 ein Homöomorphismus.

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

(ii) Ist nun A1 ∈ c1, A1 = (ϕi1 : Ui

1 → Vi1 ⊆ Rn1)i∈I ein Repräsentant für die differenzier-

bare Struktur c1 auf M1 und A2 = (ϕj2 : U j

2 → V j2)j∈J , so betrachten wir

A := (ϕi1 × ϕ

j2 : Ui

1 ×U j2 → Vi

1 ×V j2 ⊆ Rn)(i,j)∈I×J

und stellen fest, dass A ein differenzierbarer Atlas auf M ist und c = [A] nur von c1

und c2 abhängt (nicht von Repräsentantenwahl A1 ∈ c1 und A2 ∈ c2). Damit ist dann(M, c) eine differenzierbare Mannigfaltigkeit der Dimension n = n1 + n2.

(iii) Sind π1 : M→ M1 und π2 : M→ M2 die kanonischen Projektionen, so gilt für eineKarte ϕ1 : U1 → V1 von M1, ϕ2 : U2 → V2 von M2 und ϕ1 × ϕ2 : U1 ×U2 → V1 ×V2

von M, dass z.B.

ϕ1 π1 (ϕ1 × ϕ2)−1 : Rn ⊇ V1 ×V2 → V1 ⊆ Rn1 , (x1, x2) 7→ x1,

welches differenzierbar ist. Also sind π1 und π2 differenzierbar.

(2.15) Beispiel.

(a) Betrachte für M = Sn den folgenden 2 · (n + 1)-seitigen Atlas(der dem 2-seitigen Atlas

der stereographischen Projektion aus Nord- und Südpol heraus äquivalent ist (Übung)).

SeiU±i := p ∈ Sn : ±pi > 0

und V±i = Rn. Betrachte nun die Zentralprojektion aus dem Nullpunkt heraus von U±iauf

H±i = p ∈ Rn+1 : pi = ±1 ∼= Rn = V±i :

ϕi : U±i → V±i = Rn, (p1, . . . , pn+1) 7→ ± 1pi (p1, . . . , pi−1, pi+1, . . . , pn+1)

pi

Sn

1−1

H±i∼= Rn

U±i

ϕ±i (p)p

p1, . . . , pi−1, pi+1, . . . , pn+1

ϕ±i ist bijektiv und für die Umkehrung (ϕ±i )−1 : V±i → U±i gilt:

(ϕ±i )−1 (x) =

1√1 + ‖x‖2

(x1, . . . , xi−1, 1, xi, . . . , xn)

(i = 1, . . . , n + 1).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Setze nun für den projektiven Raum Pn = Sn/±:

Ui :=(p1 : . . . : pn+1) ∈ Pn : pi 6= 0

.

Weil U±i kein Antipodenpaar enthält, gilt für die kanonische Projektion π : Sn →Pn, p 7→ [p], dass π|U±i : U±i → Ui ein Homöomorphismus ist. Man setzt nun als Karteϕi : Ui → Vi = Rn:

ϕi := ϕ+i (π|U+

i)−1,

also

ϕi(p1 : . . . : pn+1) =1pi (p1, . . . , pi−1, pi+1, . . . , pn+1).

Für die Übergänge ϕij erhält man dann bei i < j, dass

ϕij(x) =1xi (x1, . . . , xi−1, xi+1, . . . , xj−1, 1, xj, . . . , xn)

(Übung, u. ä. bei i > j), also differenzierbar. Mit A = (ϕ1, . . . , ϕn+1) wird daher Pn zueiner n-dimensionalen differenzierbaren Mannigfaltigkeit (Übung: Pn ist hausdorffschund von abzählbarer Topologie). Die kanonische Projektion π : Sn → Pn wird mit dieserStruktur zu einer differenzierbaren Abbildung, sogar zu einem lokalen Diffeomorphis-mus, d.h.: zu jedem Punkt p ∈ Sn gibt es offene Umgebungen U ⊆ Sn von p und V ⊆ Pn

von [p] = π(p), so dass π(U) = V ist und π|U : U → V ein Diffeomorphismus ist. Fürp ∈ U±i ist nämlich mit den Karten ϕ±i von Sn um p und ϕi von Pn um [p]

ϕi π (ϕ±i )−1 (x) = ϕ+

i (π|U+i)−1 π (ϕ±i )

−1 (x) = ±x,

also π|U±i : U±i → Ui ein Diffeomorphismus.

(2.16) Definition. Sei M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und Γ eine Gruppe. EineOperation von Γ durch Diffeomorphismen ist gegeben durch eine Abbildung Φ : Γ×M→M,

Φ(γ, p) =: γ.p,

so dass gilt:

(a) Für jedes γ ∈ Γ ist die Abbildung Φγ : M→ M, p 7→ γ.p, differenzierbar;

(b) für alle p ∈ M gilt: 1.p = p;

(c) für alle γ1, γ2 ∈ Γ und p ∈ M gilt: (γ1γ2).p = γ1.(γ2.p).

(2.17) Kommentar.

(a) Jedes Φγ : M→ M ist tatsächlich ein Diffeomorphismus, denn für Φγ−1 : M→ M gilt:

Φγ−1 Φγ(p) = γ−1.(γ.p) = (γ−1γ).p = 1.p = p = 1(p)

und ebensoΦγ Φγ−1 = 1.

Also ist Φγ bijektiv und (Φγ)−1 = Φγ−1 .

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

(b) Bezeichnet man mit

Diff(M) := Φ : M→ M : Φ ist Diffeomorphismus,

so wird Diff(M) mit der Verkettung von Abbildungen zu einer Gruppe. Ist Φ : Γ×M→M eine Operation durch Diffeomorphismen, so ist die Abbildung

Γ→ Diff(M), γ 7→ Φγ,

ein Gruppenhomomorphismus. Man spricht daher auch von einer Darstellung von Γ

als einer Transformationsgruppe von M. (Man beachte aber, dass Γ → Diff(M) nichtnotwendig injektiv sein muss.)

(2.18) Beispiel.

(a) Sei V ein reeller Vektorraum der Dimension n. Sei nun

Γ = Aut(V) := T : V → V : T ist linearer Automorphismus.

Dann operiert Γ durch Diffeomorphismen auf V durch

T.v := Tv.

(b) SeiΓ = O(n + 1) = A ∈ Matn+1(R) : At · A = 1

die orthogonale Gruppe. Dann operiert Γ auf Sn durch Diffeomorphismen vermöge

A.p := Ap,

denn für A ∈ O(n + 1) ist 〈Ax, Ay〉 = 〈x, y〉, für alle x, y ∈ Rn+1 und dem kanonischenSkalarprodukt 〈x, y〉 = ∑n

i=1 xiyi, also ist mit 〈p, p〉 = 1 auch 〈Ap, Ap〉 = 1.

(2.19) Definition. Sei Γ eine Gruppe und M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Esoperiere Γ auf M durch Diffeomorphismen.

(a) Für p ∈ M heißt dannΓp := γ.p ∈ M : γ ∈ Γ ⊆ M

die Bahn (oder der Orbit) von p unter Γ.

(b) Für p ∈ M heißtΓp := γ ∈ Γ : γ.p = p ⊆ Γ

die Standgruppe in p.

(2.20) Kommentar.

(a) Operiert Γ auf M, Γ y M, so ist M disjunkte Vereinigung seiner Bahnen, denn

p ∼ q :⇐⇒ q ∈ Γp

ist eine Äquivalenzrelation(

p = 1.p; q = γ.p =⇒ γ−1.q = p; q = γ1.p, r = γ2.q =⇒r = (γ1γ2).p

). Besteht M aus nur einer Bahn, d.h.: Γp = M, für ein (und dann für jedes)

p ∈ M, so sagt man, dass Γ transitiv auf M operiert.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Zunächst prüft man ohne Mühe nach, dass Γp ⊆ Γ eine Untergruppe ist (Übung). Fürjede Bahn Γp ⊆ M erhält man dann eine bijektive Abbildung durch

$p : Γ/ Γp → Γp, $p([γ])= γ.p,

Γγ 7→γ.p //

π

Γp

Γ/Γp

$p

77ppppppppppppp

denn für zwei Repräsentanten γ1, γ2 der gleichen Linksnebenklasse gibt es offenbar einδ ∈ Γ, so dass γ2 = γ1δ ist und daher ist

γ2.p = (γ1δ).p = γ1. (δ.p)︸ ︷︷ ︸=p

= γ1.p,

also ist $p wohldefiniert. Es ist $p nach Konstruktion surjektiv und auch injektiv. IstΓp = 1 für alle p ∈ M, so sagt man, dass Γ frei (oder fixpunktfrei) operiert. AlleBahnen sind dann (vermöge $p) Kopien von Γ.

(2.21) Beispiel.

(a) Die Operation von Aut(V) auf V für einen (endlich-dimensionalen) reellen VektorraumV hat offenbar genau zwei Bahnen, nämlich 0 und V \ 0 (Übung).

(b) Es operiert O(n + 1) offenbar transitiv auf Sn, denn sind p, q ∈ Sn beliebig, so ergänzeman p =: e1 zu einer Orthonormal-Basis (e1, . . . , en+1) von

(Rn+1, 〈−,−〉

)und q =: f1

zu einer Orthonormal-Basis ( f1, . . . , fn+1) und betrachte gerade das A ∈ O(n + 1),welches durch A ei = fi (i = 1, . . . , n + 1) gegeben ist. Insbesondere ist

A p = A e1 = f1 = q.

(c) Die Standgruppe von O(n+ 1) auf Sn im Nordpol N = (0, . . . , 0, 1) ist (offenbar) gegebendurch

0

A...0

0 · · · 0 1

∈ O(n + 1) : A ∈ O(n)

∼= O(n).

Es ist also (zunächst als Menge):

Sn ∼= O(n + 1)/ O(n).

(2.22) Definition. Sei Φ : Γ × M → M eine Operation einer Gruppe Γ auf einer dif-ferenzierbaren Mannigfaltigkeit M durch Diffeomorphismen. Man sagt, dass Γ eigentlichdiskontinuierlich auf M operiert, wenn es zu jedem Punkt p ∈ M eine offene UmgebungU ⊆ M von p gibt, so dass für alle γ, γ′ ∈ Γ mit γ 6= γ′ gilt:

Φγ(U) ∩Φγ′(U) = ∅.(schreibe: γ(U) := Φγ(U) = γ.x : x ∈ U.

)(2.23) Bemerkung. Ist Γ endlich und operiert Γ frei auf M, so operiert Γ eigentlich diskon-tinuierlich.

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

Beweis. Sei p ∈ M. Dann ist γ.p 6= γ′.p für γ 6= γ′(γ.p = γ′.p =⇒ (γ′−1γ).p =

γ′−1.(γ.p) = γ′−1.(γ′.p) = (γ′−1γ′).p = 1.p = p =⇒ γ′−1γ = 1 =⇒ γ = γ′). Da M

hausdorffsch ist, existieren offene Umgebungen Uγ ⊆ M von γ.p, die paarweise disjunktsind, Uγ ∩Uγ′ = ∅ für γ 6= γ′ (da Γ endlich ist). Sei nun

U :=⋂

γ∈Γ

γ−1(Uγ).

Dann ist p ∈ U, U ist offen (da Γ endlich) und

γ(U) ⊆ γγ−1(Uγ) ⊆ Uγ,

alsoγ(U) ∩ γ′(U) ⊆ Uγ ∩Uγ′ = ∅ für γ 6= γ′.

Also operiert Γ eigentlich diskontinuierlich.

(2.24) Beispiel.

(a) Γ = Z2 (= Z/2Z) ∼= ±1 operiert auf Sn durch Punktspiegelung im Zentrum,

±1.p := ±p,

also eigentlich diskontinuierlich.

(b) Γ = Zn operiert auf M = Rn durch Translationen eigentlich diskontinuierlich vermöge

γ.p := p + γ.

Ist nämlich U := B(p; 12 ), so ist

γ(U) ∩ γ′(U) = ∅

für γ 6= γ′ (Übung).

(2.25) Definition. Sei Γ y M eine Operation einer Gruppe Γ auf eine differenzierbarenMannigfaltigkeit M. Für p, q ∈ M sei p ∼ q, wenn es ein γ ∈ Γ mit q = γ.p gibt. Man nenntdann den Quotientenraum M/∼ den Bahnenraum von M (unter Γ) und schreibt auch M/Γ.

(2.26) Satz. Es operiere Γ auf einer Mannigfaltigkeit M eigentlich diskontinuierlich. Sei π : M→M/Γ die kanonische Projektion und sei M := M/Γ hausdorffsch. Dann gibt es aufM die Struktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit, so dass folgende universelleEigenschaft erfüllt ist: Ist N differenzierbare Mannigfaltigkeit, so ist eine stetige Abbil-dung Φ : M→ N genau dann differenzierbar, wenn Φ π : M→ N differenzierbarist.

MΦπ

@@@@@@@

π

M Φ

// N

(2.27) Kommentar. Da Φ = 1 : M → M differenzierbar ist, ist insbesondere π differen-zierbar.

Beweis. (i) M ist topologische Mannigfaltigkeit: M ist nach Voraussetzung hausdorffsch.Weiter ist π : M→ M eine offene Abbildung, denn für ein offenes U ⊆ M gilt

π−1(π(U))=⋃

γ∈Γ

γ(U)︸ ︷︷ ︸offen, weil

Φγ : M→M Homöo.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Sei (Bn) eine abzählbare Basis von M. Setze dann Bn := π(Bn). Dann gilt (Übung)(Bn)n∈N ist eine Basis der Topologie auf M. Also hat auch M abzählbare Topologie.Sei weiter p ∈ M und p ∈ π−1(p) also p = [ p], p = p(p). Dann gibt es eine offeneUmgebung Up, so dass gilt

γ(Up) ∩ γ′(Up) = ∅ für γ 6= γ′. (2.1)

Nach eventueller Verkleinerung von Up existiert nun eine Karte ϕ p : Up → Vp ⊆ Rn

von p. Setze nun Up := π(Up) ⊆ M. Da π offen ist, ist Up ⊆ M offen und wegen (2.1)ist π|Up

: Up → Up zunächst injektiv. Aber surjektiv ist es sowieso, stetig auch undwegen der Offenheit damit sogar ein Homöomorphismus. Setze schließlich

ϕp : Up → Vp := Vp ⊆ Rn, ϕp := ϕ p (π|Up)−1.

Damit ist also M eine topologische Mannigfaltigkeit(der Dimension n = dim(M)

)und A = (ϕp : Up → Vp)p∈M ein topologischer Atlas.

(ii) Behauptung: A ist sogar differenzierbarer Atlas. Seien nun p1, p2 ∈ M, so dassU0 := Up1 ∩ Up2 6= ∅ und p0 ∈ Up1 ∩ Up2 . Sei U1 := Up1 ∩ π−1(U0), U2 := Up2 ∩π−1(U0), p0 := (π|U1)

−1(p0), ˜p0 := (π|U2)−1(p0). Da π( p0) = p0 = π(˜p0) ist, existiert

ein γ ∈ Γ mit ˜p0 = γ.p0. Es ist nun π|U2 γ = π|U1

(in einer Umgebung von p0) undmit ϕ1 := ϕp1 , ϕ2 := ϕp2 , ϕ1 := ϕ p1 und ϕ2 := ϕ p2 gilt dann

ϕ2 ϕ−11 (x) =

(ϕ2 (π|U2

)−1) (

ϕ1 (π|U1)−1)−1

(x)

=ϕ2 (π|U2)−1 (π|U1

)︸ ︷︷ ︸=γ

ϕ−11 (x),

für alle x aus einer Umgebung von p0. Also ist ϕ2 ϕ−11 differenzierbar in x0 = ϕ1(p0),

weil ϕ1, ϕ2 und γ Diffeomorphismen sind. Also ist A ein differenzierbarer Atlas.

(iii) Noch zu zeigen: Φ : M→ N differenzierbar⇐⇒ Φ π : M→ N differenzierbar.

“=⇒” Mit der eben definierten Struktur c = [A] wird π : M→ M differenzierbar, dennfür ˜p ∈ M und p := π(˜p) ∈ M existiert ein γ ∈ Γ, so dass ˜p = γ.p

(wo p = p(p)

). In

den Karten ϕ um p, ϕ um p und ϕ γ−1 =: ˜ϕ um ˜p wird die Abbildung π bzgl. ˜ϕund ϕ:

ϕ π ˜ϕ−1= ϕ π (ϕ γ−1)−1

=(

ϕ (π|U)−1) π γ︸ ︷︷ ︸

ϕ−1 = 1,

also differenzierbar. Da Kompositionen von differenzierbaren Abbildungen wiederdifferenzierbar sind (Übung), folgt, dass mit einem differenzierbaren Φ auch Φ π

differenzierbar ist.

“⇐=” Ist Φ : M → N stetig, so dass Φ π differenzierbar ist und p ∈ M, so ist Φin p differenzierbar, weil für die Karte ϕ := ϕp um p, eine beliebige Karte ψ umq := Φ(p) ∈ N und der Karte ϕ p um p = p(p) ∈ M gilt:

ψ Φ ϕ−1 =ψ Φ (π (π|U)

−1)︸ ︷︷ ︸=1

ϕ−1

=ψ (Φ π) (

ϕ (π|U)︸ ︷︷ ︸=ϕ

)−1= ψ (Φ π) ϕ−1

denn Φ π ist in p differenzierbar.

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

(2.28) Beispiel.

(a) Für M = Sn und Γ = Z2, sowie der natürlichen Wirkung von Γ auf M, erhält manfür M/Γ gerade den projektiven Raum Pn (vergleiche die Konstruktion in (2.15) und(2.26)

).

(b) Sei M = Rn und Γ = Zn operiere durch Translation. Dann ist also Rn/Zn eine differen-zierbare Mannigfaltigkeit und vermöge

Φ : Rn/Zn → Tn = S1 × . . .× S1 ⊆ Cn,[(t1, . . . , tn)

]7→ (e2πit1 , . . . , e2πitn),

ist Tn ∼= Rn/Zn (Übung).

(2.29) Motivation. Eine Untermannigfaltigkeit Mn ⊆ Rn+k der Dimension n ist eineabgeschlossene Teilmenge M ⊆ Rn+k, so dass jeder Punkt p ∈ M eine offene UmgebungU ⊆ Rn+k besitzt mit einer differenzierbaren Abbildung F : U → Rk, so dass gilt

(i) F−1(0) = M ∩U,

(ii) DFp : Rn+k → Rk hat den Rang k.

Es heißt dann TMp := ker(DFp) ⊆ Rn+k der Tangentialraum von M in p und es war

TMp =

α(0) ∈ Rn+k : α : (−ε, ε)→ Mn glatt (C∞), α(0) = p⊆ Rn+k

der Raum der Tangentenvektoren an Kurven auf M durch p.Problem: Wie soll man “TMp” an eine abstrakte Mannigfaltigkeit definieren?Idee: Fasse jeden Tangentialvektor ξ = α(0) ∈ TMp ⊆ Rn+k als eine Richtungsableitung

von Funktionen f : W → R auf, die auf einer offenen Umgebung W ⊆ M von p definiertsind,

ξ( f ) :=ddt

∣∣∣∣t=0

( f α)(t)

Beachte: ξ ist R-linear und eine Derivation, d.h.

ξ( f g) = ξ( f ) · g(p) + f (p) · ξ(g),

denn mit Leibniz ist

ddt

∣∣∣∣t=0

(( f g) α

)(t) =

ddt

∣∣∣∣t=0

(( f α) · (g α)

)(t)

= ˙( f α)(0) · (g α)(0) + ( f α)(0) · ˙(g α)(0)

= ξ( f )g(p) + f (p)ξ(g).

(2.30) Definition. Sei Mn eine topologische Mannigfaltigkeit der Dimension n. Ein dif-ferenzierbarer Atlas A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I heißt C∞-Atlas, wenn alle Übergänge ϕij C∞-Abbildungen sind. Zwei C∞-Atlanten A und B heißen äquivalent, wenn A+B auch nochC∞-Atlas ist. Eine Äquivalenzklasse c = [A] ist eine C∞-Struktur auf M. Ein Paar (M, c)heißt dann eine glatte Mannigfaltigkeit der Dimension n.

(2.31) Kommentar.

(a) In offensichtlicher Weise definiert man nun glatte Funktionen f : M → R und glatteAbbildung Φ : M→ N für glatte Mannigfaltigkeiten M und N.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Für jede offene Teilmenge U ⊆ M, M eine glatte Mannigfaltigkeit, schreiben wir:

E(U) := f : U → R : f ist glatt(auch C∞(U) = E(U)

).

Es ist E(U) eine R-Algebra vermöge:

( f + g)(p) := f (p) + g(p),

(λ f )(p) :=λ f (p),

( f · g)(p) := f (p) · g(p),

f , g ∈ E(U), λ ∈ R.

(2.32) Definition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und p ∈ M. Auf der mengentheo-retischen Summe ∑U∈A(p)

U offenE(U) definieren wir folgende Äquivalenzrelation: Für f ∈ E(U)

und g ∈ E(U) sei f ∼ g, wenn es ein offenes W ∈ A(p) mit W ⊆ U ∩ U gibt, so dassf |W = g|W ist. Die Quotientenmenge Ep(M) :=

(∑ E(U)

)/∼ heißt der Raum der glatten

Funktionskeime von M in p.

(2.33) Kommentar.

(a) Für einen Funktionskeim s ∈ Ep(M), der von f ∈ E(U) repräsentiert wird, schreiben wirs = fp := [ f ] ∈ Ep(M). Ep(M) erbt von E(U), U ∈ A(p), die Struktur einer R-Algebra,in dem man diese repräsentantenweise definiert:

fp + gp := ( f + g)p, λ fp := (λ f )p, fp · gp := ( f · g)p für f ∈ E(U), g ∈ E(U)(und f + g, f g ∈ E(U ∩ U)

), λ ∈ R und prüft (leicht) nach, dass dies wohldefiniert ist

und Ep(M) zu einer R-Algebra macht.

(b) Die R-Algebra A := Ep(M), p ∈ M, kommt zudem mit einem Auswertungshomomor-phismus $ : A→ R, nämlich fp 7→ f (p) =: fp(p) was offensichtlich auch wohldefiniertund ein Homomorphismus ist. Man beachte, dass man einen Keim s ∈ Ep(M) nicht inPunkten q 6= p auswerten kann.

(2.34) Definition. Sei Mn eine glatte Mannigfaltigkeit, p ∈ M und Ep(M) die R-Algebrader glatten Funktionskeime in p.

(a) Ein R-Vektorraumhomomorphismus ξ : Ep(M)→ R heißt eine Derivation auf Ep(M),wenn für alle fp, gp ∈ Ep(M) gilt:

ξ( fpgp) = ξ( fp)gp(p) + fp(p)ξ(gp)(oder: ξ(st) = ξ(s)$(t) + $(s)ξ(t), ∀s, t ∈ Ep(M)

).

(b) Ein Tangentialvektor an M in p ist eine Derivation auf Ep(M). Die Menge aller Tangen-tialvektoren

TMp := DerR

(Ep(M), R

):= ξ : Ep(M)→ R : ξ ist Derivation

heißt der Tangentialraum von M in p.

(2.35) Kommentar. Für jede R-Algebra A mit einem Algebra-Homomorphismus $ : A→R ist

DerR(A, R) = ξ : A→ R, ξ ist R-linear und derivativ,

d.h.: ξ(ab) = ξ(a)$(b) + $(a)ξ(b), ∀a, b ∈ A

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

ein R-Vektorraum vermöge

(ξ1 + ξ2)(a) := ξ1(a) + ξ2(a)

(λ · ξ)(a) := λ · ξ(a)

Es ist also TMp = DerR(Ep(M), R

)ein R-Vektorraum.

(2.36) Beispiel. Ist ε > 0 und α : (−ε, ε) → M eine glatte Kurve auf M durch p, d.h.α(0) = p, so wird durch ξ : Ep(M)→ R,

ξ( fp) :=ddt

∣∣∣∣t=0

( f α)(t)

ein Tangentialvektor definiert, denn ξ ist offenbar linear und auch derivativ(siehe (2.29)

)und auch wohldefiniert. Wir schreiben α(0) := ξ ∈ TMp und nennen dies den Tangen-tialvektor der Kurve α an p.

(2.37) Beispiel. Sei Mn glatte Mannigfaltigkeit, p ∈ M und ϕ : U → V ⊆ Rn eine Karteum p mit ϕ(p) =: x0 ∈ V. Für jedes j ∈ 1, . . . , n definiert man:

∂xj

∣∣∣∣p

: Ep(M)→ R, fp 7→∂

∂xj

∣∣∣∣x=x0

( f ϕ−1)(x)

Es ist ∂∂xj

∣∣p offenbar R-linear

(denn ( f + g) ϕ−1 = f ϕ−1 + g ϕ−1 und (λ f ) ϕ−1 =

λ( f ϕ−1))

und auch derivativ, denn mit Leibniz ist

∂xj

∣∣∣∣p( fp · gp) =

∂xj

∣∣∣∣x=x0

( f g ϕ−1) =∂

∂xj

∣∣∣∣x0

( f ϕ−1 · g ϕ−1)(x)

=∂

∂xj

∣∣∣∣x0

( f ϕ−1)(x) · g ϕ−1(x0) + ( f ϕ−1)(x0) ·∂

∂xj

∣∣∣∣x0

(g ϕ−1)(x)

=∂

∂xj

∣∣∣∣p( fp) · gp(p) + fp(p) · ∂

∂xj

∣∣∣∣p(gp),

und wohldefiniert sowieso, weil man bei solchen Ableitungsoperatoren, ähnlich wie inBeispiel (2.36), die Funktion f nur in einer „infinitesimalen“ Umgebung von p zu kennenbraucht, d.h. nur den Keim fp.

Wir nennen ∂∂xj |p ∈ TM den j-ten Koordinatenvektor bzgl. der Karte ϕ. Beachte: Ist

α : (−ε, ε) → M die Kurve α(t) = ϕ−1(x0 + tej) (ε > 0 klein genug), so ist gerade ∂∂xj

∣∣p =

α(0), denn∂

∂xj

∣∣∣∣x0

( f ϕ−1)(x) =ddt

∣∣∣∣0( f ϕ−1)(x0 + tej).(

wo (e1, . . . , en) die kanonische Basis von Rn ist).

(2.38) Bemerkung. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit, p ∈ M und ϕ : U → V ⊆ Rn eineKarte um p. Dann ist die Familie der Tangentialvektoren

(∂

∂x1 |p, . . . , ∂∂xn |p

)linear unabhängig.

Beweis. Sei xj : V → R die j-te Koordinatenfunktion x 7→ xj und π j : U → R, π j := xj ϕ.Dann gilt für ∂

∂xi |p : Ep(M)→ R:

∂xi

∣∣∣∣p(π

jp) =

∂xi

∣∣∣∣x0

(π j ϕ−1)(x) =∂xi

∂xj

∣∣∣∣x0

= δij

(=

1 für i = j

0 für i 6= j

).

30

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Ist also

λ1 ∂

∂x1

∣∣∣∣p+ . . . + λn ∂

∂xn

∣∣∣∣p= 0

so insbesondere

0 = 0(π jp) =

n

∑i=1

λi ∂

∂xi

∣∣∣∣p(π

jp) =

n

∑i=1

λiδji = λj,

also ist ( ∂∂x1 |p, . . . , ∂

∂xn |p) linear unabhängig.

(2.39) Vereinbarung. Wir vereinbaren ab hier die Einsteinsche Summenkonvention, diebesagt, dass falls in einer Formel ein Index doppelt auftaucht, und einmal oben und untensteht, so wird über diesen (von 1 bis n = dim M) summiert.

(2.40) Problem. Wenn TMp = Der(Ep(M), R

)wirklich ein adequates Konzept für den

Tangentialraum von M an p sein soll, muss ( ∂∂x1 |p, . . . , ∂

∂xn |p) auch Erzeugendensystem sein,also dimR TMp = n. Auf den ersten Blick wirkt dies vermessen. Man beachte aber, dass dieDerivations-Eigenschaft folgendes liefert:

(a) Ist λ ∈ R und λp ∈ Ep(M) der von der konstanten Funktion M→ R, p 7→ λ, induzierteFunktionskeim, so ist für jede Derivation ξ : TMp → R

ξ(λp) = ξ(λ · 1p) = λ ξ(1p)

wegen der R-Linearität und

ξ(1p) = ξ(1p · 1p) = ξ(1p) · 1p(p)︸ ︷︷ ︸=1

+ 1p(p)︸ ︷︷ ︸=1

·ξ(1p) = 2 · ξ(1p)

folgt, alsoξ(λp) = 0, ∀λ ∈ R.

(b) Sind fp, gp ∈ Ep(M) mit fp(p) = 0 = gp(p), so ist

ξ( fpgp) = ξ( f ) · gp(p)︸ ︷︷ ︸=0

+ fp(p)︸ ︷︷ ︸=0

·ξ(gp) = 0.

Eine Derivation ξ ermittelt also gewissermaßen nur, was ein Keim „in 1.Ordnung“ (beip) macht.

(2.41) Lemma. Sei V ⊆ Rn ein sternförmiges Gebiet bzgl. p = 0, d.h.: mit jedem x ∈ V ist auchdie Strecke

tx ∈ Rn : t ∈ [0, 1]

in V. Sei g : V → R eine glatte Funktion. Dann gibt es glatte

Funktionen h1, . . . , hn : V → R, so dass für alle x ∈ V folgendes gilt:

g(x) = g(0) + hj(x)xj.

(2.42) Kommentar. Man beachte, dass nach der Produktregel

∂g∂xj (0) = hj(0)

ist.

31

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

Beweis von (2.41). Man setze hj : V → R,

hj(x) :=∫ 1

0

∂g∂xj (tx)dt.

Dann ist hj auch glatt und nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung ist:

g(x)− g(0) =∫ 1

0

(ddt

g(tx))

dt =Kettenregel

∫ 1

0

∂g∂xj (tx) · x

jdt

=

(∫ 1

0

∂g∂xj (tx)dt

)· xj = hj(x)xj.

(2.43) Satz. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit der Dimension n. Dann ist für jedes p ∈ M derTangentialraum TMp an M in p ein reeller Vektorraum der Dimension n. Ist ϕ : U → V ⊆ Rn eineKarte in p und ∂

∂xj |p der induzierte j-te Koordinatenvektor, so ist ( ∂∂x1 |p, . . . , ∂

∂xn |p) eine Basis.

Beweis. (i) Lineare Unabhängigkeit: (2.38)

(ii) Erzeugendensystem: Sei ξ ∈ TMp beliebig, ϕ : U → V ⊆ Rn eine Karte um p, ϕ(p) = 0und V sternförmig bzgl. 0 ∈ Rn. Das kann man nach einer eventuellen Translation mitder Karte und einer eventuellen Verkleinerung der Karte

(z.B. auf einen Ball V = Bε(0)

(mit ε > 0))

immer annehmen (Übung). Seien π j ∈ Ep(U) die j-te Koordinatenfunktion

bzgl. ϕ, also π j = xj ϕ. Wir setzen λj := ξ(πjp) und behaupten:

ξ = λj ∂

∂xj

∣∣∣∣p

.

Sei dazu s ∈ Ep(M) beliebig, f ∈ E(U) ein Repräsentant und ohne Einschränkung nacheventueller Verkleinerung von U bzw. U sei U = U, also s = fp. Sei g := f ϕ−1 ∈E(V). Mit (2.41) gibt es glatte Funktionen h1, . . . , hn ∈ E(V) mit

g(x) = g(0) + hj(x)xj, ∀x ∈ V.

Also ist:f = g ϕ = g ϕ(p) + (hj ϕ)(xj ϕ) = f (p) + Hjπ

j

mit Hj := hj ϕ ∈ E(U). Wegen π j(p) = xj(0) = 0 folgt nun:

ξ( fp) = ξ((

f (p))

p + (Hj)p · π jp

)= ξ

(fp(p)

)︸ ︷︷ ︸=0

+ξ((Hj)p

)· π j

p(p)︸ ︷︷ ︸=0

+(Hj)p(p) · ξ(π jp)︸ ︷︷ ︸

=λj

und andererseits:

Hj(p) = hj(

ϕ(p))= hj(0)

(2.42)=

∂g∂xj (0) =

∂xj

∣∣∣∣p( fp)

Für alle fp ∈ Ep(M) gilt also:

ξ( fp) = λj ∂

∂xj

∣∣∣∣p( fp)

alsoξ = λj ∂

∂xj .

32

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(2.44) Kommentar.

(a) Die Dimension einer Mannigfaltigkeit M 6= ∅ ist also eindeutig bestimmt:

dim M = n = dimR TMp, ∀p ∈ M.

(Es ist auch richtig, dass die Dimension einer topologischen Mannigfaltigkeit eindeutigdefiniert ist, weil für zwei offene Mengen V ⊆ Rn und V ′ ⊆ Rn′ gilt: Sind V und V ′

homöomorph so ist n = n′. Das ist ein Resultat der „Algebraischen Topologie“, siehez.B. [SZ])

(b) Jeder Tangentialvektor taucht als Tangentenvektor einer geeigneten Kurve auf. Istnämlich ξ ∈ TMp beliebig, ϕ : U → V ⊆ Rn eine Karte und λ1, . . . , λn ∈ R so, dass

ξ = λj ∂∂xj

∣∣∣p

ist, so betrachte die Kurve α : (−ε, ε)→ M,

α(t) = ϕ−1(tλ)(λ := (λ1, . . . , λn) ∈ Rn). Es ist dann für alle fp ∈ Ep(M):

α(0)( fp) =ddt

∣∣∣∣t=0

( f α)(t) =ddt

∣∣∣∣t=0

(f ϕ−1(tλ)

) K.R.=

∂xj

∣∣∣∣0( f ϕ−1) · d

dt

∣∣∣∣t=0

(tλj)

= λj · ∂

∂xj

∣∣∣∣p( fp),

also

α(0) = λj ∂

∂xj

∣∣∣∣p= ξ.

Also:

TMp = α(0) ∈ DerR

(Ep(M), R

): α : (−ε, ε)→ M glatte Kurve mit α(0) = p (ε > 0)

(2.45) Vereinbarung.

(a) Ist ϕ : U → V ⊆ Rn eine Karte auf einer glatten Mannigfaltigkeit, so schreiben wir abjetzt oft nur noch x : U → V, wo “x” auch die Koordinate für V bezeichnet.

(b) Sind x : U → V ⊆ Rn und y : U → V ⊆ Rn zwei Karten und U ∩ U 6= ∅, so schreibenwir für den Übergang y x−1 : x(U ∩ U) → y(U ∩ U) ebenfalls nur kurz y

(oder

y = y(x)).

(c) Ist z.B. f : M → R eine glatte Funktion und x : U → V eine Karte von M, so schreibtman für die lokale Beschreibung f x−1 : V → R oft ebenfalls nur f

(oder f (x)

)und

benutzt keinen neuen Buchstaben.

(2.46) Bemerkung. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit, p ∈ M und seien x und y zweiKarten um p, x0 = x(p), y0 = y(p). Dann gilt für alle i, j = 1, . . . , n:

∂yj

∣∣∣∣p=

∂xi

∂yj

∣∣∣∣y0

· ∂

∂xi

∣∣∣∣p

,∂

∂xi

∣∣∣∣p=

∂yj

∂xi

∣∣∣∣x0

· ∂

∂yj

∣∣∣∣p

.

33

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

Beweis. Nenne (nochmal einmal) ϕ = x : U → V, ψ = y : U → V und ohne Einschränkung:

U = U, und τ = ψ ϕ−1 : V → V. Sei s ∈ Ep(M), f ∈ E( ˜U) mit fp = s und ohne

Einschränkung: ˜U = U. Dann ist(ohne Einschränkung ϕ(p) = 0 = ψ(p), also τ(0) = 0

):

∂xi

∣∣∣∣p( fp) =

∂xi

∣∣∣∣p( f ϕ−1) =

∂xi

∣∣∣∣0( f ψ−1 τ),

weil τ ϕ = ψ ist =⇒ (Kettenregel)

∂xi

∣∣∣∣p( fp) =

∂yj

∣∣∣∣0( f ψ−1) · ∂τ j

∂xi

∣∣∣∣0=

∂τ j

∂xi (0) ·∂

∂yj

∣∣∣∣p( fp),

also∂

∂xi

∣∣∣∣p=

∂τ j

∂xi

∣∣∣∣0· ∂

∂yj

∣∣∣∣p

.

(2.47) Kommentar. Ist M glatte Mannigfaltigkeit, p ∈ M und hat ξ ∈ TMp bzgl. einerKarte x die Darstellung (λ1, . . . , λn) ∈ Rn, d.h.: ξ = λi · ∂

∂xi |p, und bzgl. einer Karte y dieDarstellung ξ = µj · ∂

∂yj |p, so transformieren sich die Koordinaten λ, µ ∈ Rn so:

λi =∂xi

∂yj (y0)µj,

denn:

λj ∂

∂xi

∣∣∣∣p= ξ = µj ∂

∂yj

∣∣∣∣p= µj ∂xi

∂yj (y0) ·∂

∂xi ,

also nach Koeffizientenvergleich

λi =∂xi

∂yj (y0)µj.

(2.48) Definition. Sei Mn eine glatte Mannigfaltigkeit und p ∈ M.

(a) Der Dualraum des Tangentialraums ist der Cotangentialraum von M in p:

TM∗p := η : TM→ R : η linear.

(b) Ist x : U → V ⊆ Rn um p und ist ( ∂∂x1 |p, . . . , ∂

∂xn |p) die zugeordnete Basis von TMp

aus Koordinatenvektoren, so wird mit (dx1|p, . . . , dxn|p) die dazu duale Basis von TM∗pbezeichnet, also:

dxi|p

(∂

∂xj

∣∣∣∣p

)= δi

j (1 ≤ i, j ≤ n).

(2.49) Kommentar.

(a) Sind x und y zwei Karten um p, x0 = x(p), y0 = y(p) mit Übergängen y = y(x) bzw.x = x(y), so gilt für alle i, j = 1, . . . , n:

dyj|p =∂yj

∂xi (x0) · dxi|p, dxi|p =∂xi

∂yj (y0) · dyj|p,

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

denn

dyj|p

(∂

∂xi

∣∣∣∣p

)= dyj|p

(∂yk

∂xi (x0) ·∂

∂yk

∣∣∣∣p

)=

∂yk

∂xi (x0)dyj|p

(∂

∂yk

∣∣∣∣p

)︸ ︷︷ ︸

=δjk

=∂yj

∂xi (x0)

(und ähnlich für dxi|p

).

(b) Ist η ∈ TM∗p ein Cotangentialvektor mit Komponenten (λ1, . . . , λn) bzgl. einer Kartenx und Komponenten (µ1, . . . , µn) bzgl. einer Karten y, so transformieren sich diese(vergleiche (2.47)

):

λi =∂yj

∂xi (x0)µj,

denn aus

λidxi|p = η = µjdyj|p = µj∂yj

∂xi (x0) · dxi|p

folgt:

λi = µj∂yj

∂xi (x0) (i = 1, . . . , n).

(c) Man beachte die Feinheit mit der Schreibweise der Indizes oben und unten: In Matrix-Schreibweise transformieren sich die Koordinatenvektoren λ, µ ∈ Rn von Tangentialvek-toren (kurz: Vektoren) ξ ∈ TMp bzw. Cotangentialvektoren (kurz: Covektoren) η ∈ TM∗pso:

Sei A =

(∂yi

∂xj (x0)

)i,j

und B =

(∂xi

∂yj (y0)

)i,j

.

Dann ist B = A−1, denn für den Koordinaten-Wechsel y = τ(x) ist

Jac(τ)(x0) =

(∂yi

∂xj (x0)

)und

Jac(τ−1)(y0) =

(∂xi

∂yj (y0)

)und

Jac(τ−1)(y0) =(

Jac(τ)(x0))−1

wegen τ τ−1 = 1 und der Kettenregel. In Index-Schreibweise liest sich das so:

∂yi

∂xk (x0) ·∂xk

∂yj (y0) = δij.

Also ist:

λi =∂xi

∂yj

∣∣∣∣y0

µj =⇒ λ = Bµ = A−1µ (2.47)

λi =∂yj

∂xi (x0)µj =⇒ tλ = tµ A =⇒ λ = t Aµ = tB−1 µ (2.49)

Die Tatsache, dass man die Transformationsmatrix A (bzw. B) nicht nur invertieren,sondern auch noch transponieren muss, ist in der Indexschreibweise „versteckt“.

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

(2.50) Motivation. Also nächstes sollen “Felder” von Tangentialvektoren und Covektoreneingeführt werde: Setze dazu

TM := ∑p∈M

TMp, TM∗ := ∑p∈M

TM∗p,

sowieπ : TM → M, π(ξ) = p :⇐⇒ ξ ∈ TMp

bzw.π : TM∗ → M, π(η) = p :⇐⇒ η ∈ TM∗p.

Es heißt π : TM → M das Tangentialbündel von M und π : TM∗ → M das Cotangential-bündel von M. (TM und TM∗ sind hier zunächst nur Mengen.)

(2.51) Definition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und U ⊆ M offen.

(a) Eine Abbildung X : U → TM heißt Vektorfeld auf U, wenn für alle p ∈ U gilt, dassX(p) ∈ TMp ist, also π X = 1U ist.

(b) Eine Abbildung ω : U → TM∗ heißt Differentialformen auf U, wenn für alle p ∈ Ugilt, dass ω(p) ∈ TM∗p ist, also:

π ω = 1U .

(2.52) Beispiel. Sei M glatte Mannigfaltigkeit, U ⊆ M offen und x : U → V ⊆ Rn eineKarte. Man definiert dann die Koordinatenvektorfelder ∂

∂xi : U → TM (i = 1, . . . , n) durch

∂xi (p) :=∂

∂xi

∣∣∣∣p

und die Koordinaten-Differentialformen dxi : U → TM∗,

dxi(p) := dxi|p.

(2.53) Kommentar.

(a) Ist x : U → V ⊆ Rn eine Karte auf M und X ein Vektorfeld auf U, so gibt es wegenSatz (2.43) eindeutig bestimmte Funktionen ξ1, . . . , ξn : V → R, so dass gilt:

X = ξ i(x)∂

∂xi .

(Genau genommen bedeutet das mit der Kartenbezeichnung ϕ:

X = ξ i ϕ∂

∂xi , also: X(p) = ξ i ϕ(p)∂

∂xi

∣∣∣∣p

.)

(b) Entsprechend gibt es für eine Differentialform ω auf U, wenn x : U → V ⊆ Rn eineKarte ist, eindeutig bestimmte Funktionen η1, . . . , ηn : V → R, so das

ω = ηi(x)dxi

ist.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(c) Seien X : U → TM bzw. ω : U → TM∗ ein Vektorfeld bzw. eine Differentialform auf Uund x und y Karten auf U, x : U → V, y : U → V ⊆ Rn, sowie

X = ξ i ∂

∂xi , X = η j ∂

∂yj ,

mit ξ i : V → R und η j : V → R. Dann ist wegen (2.47)

ξ i =∂xi

∂yj · ηj

(streng genommen: ξ i τ(y) = ∂τi

∂yj (y) · η j(y), wenn x = τ(y) der Kartenwechsel ist).

Ähnlich ist fürω = ξi(x)dxi = ηj(y)dyj

nach (2.49):

ξi =∂yj

∂xi ηj.

(2.54) Definition. Sei M glatte Mannigfaltigkeit und U ⊆ M offen.

(a) Ein Vektorfeld X : U → TM auf U heißt glatt, wenn für alle Karten x : U → V ⊆ Rn

(mit U ∩ U = ∅) gilt: ist X|U∩U = ξ i ∂∂xi mit ξ i : x(U ∩U)→ R, so muss ξ i glatt sein für

i = 1, . . . , n.

(b) Eine Differentialform ω : U → TM∗ auf U heißt glatt, wenn für alle Karten x : U → V ⊆Rn (mit U ∩ U = ∅) gilt: ist ω|U∩U = ηidxi mit ηi : x(U ∩U)→ R, so muss ηi glatt seinfür i = 1, . . . , n.

(2.55) Kommentar.

(a) Sei U ⊆ M offen. Wir bezeichnen

X(U) := X : U → TM : X glattes Vektorfeld auf U

und

Ω(U) := ω : U → TM∗ : ω glatte Differentialform auf U.

(b) Man beachte, dass X(U) bzw. Ω(U) vermöge

(X1 + X2)(p) := X1(p) + X2(p), (λX)(p) := λ · X(p),

(ω1 + ω2)(p) := ω1(p) + ω2(p), (λω)(p) := λ ·ω(p)

nicht nur zu einem R-Vektorraum wird, sondern mit

( f · X)(p) := f (p) · X(p) bzw. ( f ·ω)(p) := f (p) ·ω(p),

mit f ∈ E(U), sogar zu einem E(U)-Modul.

(c) Ist x : U → V ⊆ Rn eine Karte, so gilt X(U) ∼= E(U)n bzw. Ω(U) ∼= E(U)n als E(U)-Moduln, in dem man X ∈ X(U) gerade seine Komponentenfunktionen ξ1, . . . , ξn ∈ E(U)

(genauer ξ1 x, . . . , ξn x) zuordnet,

X = ξ i ∂

∂xi

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

(ähnlich für Ω(U)

). Ist U ⊆ M kein Kartengebiet (z.B. wenn M kompakt und U = M

ist), so kann die (Modul-)Struktur von X(U) bzw. Ω(U) sehr viel komplizierter seinals E(U)n. Zum Beispiel kann für die 2-Sphäre S2 der E(S2)-Modul X(S2) nicht freivom Rang 2 sein, d.h.: X(S2) 6∼= E(S2)2, denn sonst gäbe es eine Basis (X1, X2), d.h.(

X1(p), X2(p))

müsste in jedem Punkt p eine Basis von TMp sein (Übung). Nach demIgelsatz (vgl. Anhang A) hat aber jedes glatte Vektorfeld auf S2 eine Nullstelle.

(2.56) Definition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit, U ⊆ M offen und f : U → R eineglatte Funktion. Für jedes p ∈ U definieren wir das Differential von f in p durch

d fp : TMp → R, d fp(ξ) := ξ( fp),

und das (totale) Differential durch

d f : U → TM∗, d f (p) := d fp.

(2.57) Bemerkung. Sei M glatte Mannigfaltigkeit, U ⊆ M offen und f ∈ E(U).

(a) Es ist d f eine glatte Differentialform, d f ∈ Ω(U);

(b) Ist x : U → V ⊆ Rn eine Karte auf M und bezeichnet f ∈ E(V) mit V := x(U ∩ U) ⊆V ⊆ Rn auch die lokale Beschreibung von f (genauer f x−1), so gilt für d f dieKoordinatenbeschreibung:

d f |U∩U =∂ f∂xi dxi.

Beweis. Offenbar ist d fp : TMp → R, ξ → ξ( fp), linear, also d fp ein Covektor in p, also d feine Differentialform auf U. Ist x : U → V eine Karte, p ∈ U ∩ U, so ist mit x0 = x(p) ∈V = x(U ∩ U) ⊆ V.

d fp

(∂

∂xi

∣∣∣∣p

)=

∂xi

∣∣∣∣x0

( f x−1) =∂ f∂xi (x0),

also d fp = ∂ f∂xi (x0)dxi|p, also: d f |U∩U = ∂ f

∂xi dxi. Insbesondere ist d f glatt, d f ∈ Ω(U).

(2.58) Kommentar.

(a) Für eine offene Menge U ⊆ Rn und eine glatte Funktion f : U → R betrachtet manhäufig den Gradienten von f ,

grad( f ) =(

∂ f∂x1 , . . . ,

∂ f∂xn

): U → Rn

als ein Vektorfeld auf U. Bemerkung (2.57) (oder die Kettenregel) zeigt aber, dassbei einem Koordinatenwechsel x = τ(y) sich die Komponenten des Gradienten derFunktion g = f τ wie die Komponenten einer Differentialform (und nicht wie dieeines Vektorfeldes) transformieren:

∂g∂yj =

∂ f∂xi τ · ∂xi

∂yj ,

also mit

ηj =∂ f∂yi , ξi =

∂ f∂xi : ηj =

∂xi

∂yi ξi.

Auf einer glatten Mannigfaltigkeit hat man daher keinen Gradienten im Sinne einerAbbildung „grad : E(U)→ X(U)“, sondern nur ein totales Differential

d : E(U)→ Ω(U), f 7→ d f .

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Ist x : U → V ⊆ Rn eine Karte auf M, so hat man insbesondere die Koordinatenfunktio-nen f = xi (früher mit πi ∈ E(U) bezeichnet

)und daher nun zwei Definitionen für die

Ausdrücke dxi ∈ Ω(U)(einmal ist (dx1|p, . . . , dxn|p) duale Basis zu ( ∂

∂xi |p, . . . , ∂∂xn |p),

ein anderes Mal ist nach (2.56) dxip(ξ) = ξ(xi

p)), die aber übereinstimmen wegen(

x0 = x(p)):

dxip

(∂

∂xj

∣∣∣∣p

)=

∂xj

∣∣∣∣p(xi

p) =∂xi

∂xj (x0) = δij = dxi|p

(∂

∂xj

∣∣∣∣p

), ∀1 ≤ i, j ≤ n.

(2.59) Definition. Seien M und N glatte Mannigfaltigkeiten, Φ : M → N eine glatteAbbildung, p ∈ M und q := Φ(p). Wir definieren das Differential von Φ in p durch

DΦp : TMp → TNq, DΦp(ξ)(gq) := ξ((g Φ)p

),

ξ ∈ TMq, gq ∈ Ep(N)(und g ∈ E(U), U ⊆ N offene Umgebung von q, g ein Repräsentant

von s = gq ∈ E(N)).

(2.60) Kommentar.

(a) DΦp(ξ) ist wohldefiniert, denn repräsentiert g ∈ E(U) und g ∈ E(U) den gleichenKeim in q, gq = gq, so repräsentieren auch g Φ ∈ E

(Φ−1(U)

)und g Φ ∈ E

(Φ−1(U)

)den gleichen Funktionskeim in p, (g Φ)p = (g Φ)p.

(b) Es ist DΦp : TMp → TNq eine lineare Abbildung:

DΦp(ξ1 + ξ2) =DΦp(ξ1) + DΦp(ξ2), ξ1, ξ2 ∈ TMp

DΦp(λξ) =λ ·DΦp(ξ), λ ∈ R, ξ ∈ TMp.

(2.61) Bemerkung. Seien Mn, Nr glatt, Φ : M → N glatt, p ∈ M und q = Φ(p) ∈ N.Seien x : U → V ⊆ Rn und y : U → V ⊆ Rr Karten um p bzw. q, x0 = x(p), y0 = y(q)und Φ(U) ⊆ U. Sei schließlich Φ : V → V die Koordinatenbeschreibung von Φ bzgl. xund y (also genauer y Φ x−1). Die Matrix der linearen Abbildung DΦp bzgl. der Basen( ∂

∂x1 |p, . . . , ∂∂xn |p) von TMp und ( ∂

∂y1 |q, . . . , ∂∂yr |q) von TNq ist dann die Jacobi-Matrix von Φ

in x0, also:

DΦp

(∂

∂xi

∣∣∣∣p

)=

∂Φj

∂xi (x0)∂

∂yj

∣∣∣∣q

.

Beweis. Zwei Tangentenvektoren η, η ∈ TNq sind bereits dann gleich, wenn sie auf denKeimen der Koordinatenfunktionen übereinstimmen, η(yj

q) = η(yjq) (j = 1, . . . , r)

(vgl. Satz

(2.43)),

η = η(yjq)

∂yj

∣∣∣∣q

.

Es ist aber für k = 1, . . . , r:

DΦp

(∂

∂xi

∣∣∣∣p

)(yk

q) =∂

∂xi

∣∣∣∣p

((yk Φ)p

)=

∂xi

∣∣∣∣x0

yk Φ x−1︸ ︷︷ ︸=Φk

=∂Φk

∂xi (x0)

=∂Φj

∂xi (x0) · δkj =

∂Φj

∂xi (x0) ·∂yk

∂yj =

(∂Φj

∂xi (x0)∂

∂yj

∣∣∣∣q

)(yk

q)

=⇒ DΦp

(∂

∂xi

∣∣∣∣p

)=

∂Φj

∂xi (x0)∂

∂yj

∣∣∣∣q

.

39

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

(2.62) Beispiel.

(a) Sei V ein endlich-dimensionaler, reeller Vektorraum mit seiner natürlichen Mannigfaltigkeit-Struktur. Dann ist für jedes v ∈ V der Tangentialraum TVv kanonisch isomorph zu Vvermöge

λv : V → TVv, λv(w) :=ddt

∣∣∣∣t=0

(v + tw)

(d.h.: λv(w) = α(0) für α(t) = v + tw, t ∈ R

).

(b) Identifiziert man insbesondere R mit TRt vermöge λt : R→ TRt, für jedes t ∈ R, so giltfür eine glatte Funktion f : M→ R (M glatte Mannigfaltigkeit), dass

D fp = λ f (p) d fp

(kurz: D fp = d fp), Übung.

(2.63) Bemerkung. Seien M und N glatte Mannigfaltigkeiten, Φ : M → N glatt, p ∈ Mund DΦp : TMp → TNq ihr Differential in p, q := Φ(p). Ist ξ = α(0) ∈ TMp, für eine glatteKurve α : (−ε, ε)→ M durch p, so ist:

DΦp(α(0)

)= ˙(Φ α)(0).

Beweis. Sei s = gq ∈ Eq(N) beliebig, g ∈ E(V) ein Vertreter, V ∈ A(q) offen. Dann ist mitβ := Φ α:

DΦp(α(0)

)(gq) = α(0)

((g Φ)p

)=

ddt

∣∣∣∣t=0

((g Φ) α

)(t)

=ddt

∣∣∣∣0(g β)(t) = β(0)(gq),

also DΦp(α(0)

)= β(0).

(2.64) Definition. Sei Mn+k eine glatte Mannigfaltigkeit und Nn ⊆ M abgeschlossen. Esheißt Nn eine Untermannigfaltigkeit der Codimension k von M, wenn gilt: Für jedesp ∈ N gibt es eine offene Umgebung U ⊆ M von p und eine glatte Abbildung F : U → Rk,so dass gilt:

(a) N ∩U = x ∈ U : F(x) = 0

(b) rg(DFq : TMp → TRkF(p)∼= Rk) = k.

Ist k = 1, so spricht man von einer Hyperfläche.

(2.65) Satz. Sei Nn ⊆ Mn+k eine Untermannigfaltigkeit der Codimension k in Mn+k undi : N → M die Inklusion. Dann ist N (zusammen mit seiner Teilraumtopologie) eine topologischeMannigfaltigkeit der Dimension n und es gibt genau eine glatte Struktur auf N, so dass für einebeliebige stetige Abbildung Φ : P → N (P glatte Mannigfaltigkeit) gilt: Φ ist glatt genau dann,wenn i Φ : P→ M glatt ist (universelle Eigenschaft).

(2.66) Kommentar.

(a) Insbesondere zeigt das Beispiel Φ = 1 : N → N, dass die Inklusion i : N → M selbstglatt ist.

40

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Für den Beweis erinnern wir an den impliziten Funktionensatz: Ist U ⊆ Rn+k =

Rn ×Rk offen, F : U → Rk glatt, (x0, y0) ∈ U, x0 ∈ Rn, y0 ∈ Rk, mit F(x0, y0) = 0 und

det(

∂Fi

∂yj

)1≤i,j≤k

(x0, y0) 6= 0,

so gibt es offene Umgebungen V ⊆ Rn von x0, W ⊆ Rk von y0, so dass V ×W ⊆ U istund eine glatte Funktion h : V →W, so dass für alle (x, y) ∈ V ×W gilt:

F(x, y) = 0⇐⇒ y = h(x).

Beweis von (2.65). (a) Sei N ⊆ M versehen mit der Teilraumtopologie, p ∈ N und U ⊆ Moffene Umgebung von p, sowie F : U → Rk mit U ∩ N = F−1(0) und rg(DFp) = k.

Sei (nach eventueller Verkleinerung von U) ϕ : U → U ⊆ Rn+k eine Karte um p. Danngilt für G := F ϕ−1 : U → Rk: G(x0, y0) = 0, wo (x0, y0) = ϕ(p) sei, und

det(

∂Gi

∂yj (x0, y0)

)1≤i,j≤k

6= 0,

wenn die Anzahl der Koordinaten y1, . . . , yk (aus x1, . . . , xn+k) geeignet ist, denn dievolle Funktionalmatrix(

∂Gi

∂xj

)1≤j≤k1≤j≤n+k

(x0, y0) hat vollen Rang k.

Wir nehmen o.E. an, dass y1, . . . , yk die letzten k Koordinaten von x1, . . . , xn+k ist, yi =

xn+i (i = 1, . . . , k). Nach dem impliziten Funktionensatz gibt es also offene UmgebungenV ⊆ Rn von x0, W ⊆ Rk von y0 mit V ×W ⊆ U und ein glattes h : V →W mit

G(x, y) = 0⇐⇒ y = h(x), ∀(x, y) ∈ V ×W.

Setze nun

V := N ∩ ϕ−1(V ×W)

und

ψ : V → V ⊆ Rn, ψ := π ϕ

wo π : Rn+k → Rn die Projektion auf die ersten n Koordinaten x1, . . . , xn ist. Es istV ⊆ N offene Umgebung von p, V ⊆ Rn offene Umgebung von x0 und ψ : V → V einHomöomorphismus, denn

V → V, x 7→ ϕ−1(x, h(x))

ist sein stetiges Inverses. Als Teilraum von M ist N hausdorffsch und von abzählbarerTopologie. Also ist N topologische Mannigfaltigkeit der Dimension n.

(b) Man versehe nun N mit dem Atlas

(ψp : Vp → Vp)p∈N

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KAPITEL 2. DIFFERENZIERBARE MANNIGFALTIGKEITEN

wie oben beschrieben. Dann sind die Übergänge ψq ψ−1p : ψp(Vp ∩ Vq)→ ψq(Vp ∩ Vq)

alle glatt, denn: Sei o.E. Vp = Vq =: V ⊆ N und V = N∩ U. Es ist dann ψq ψp : Vp → Vq

gegeben durch

ψq ψ−1p (x) = ψq ϕ−1

p(x, hp(x)

)= πq ϕq ϕ−1

p(x, hp(x)

),

wo πq : Rn+k → Rn die Projektion auf die Koordinaten ist, mit der die Karte ψq gebautist. Da hp glatt ist, ϕq ϕ−1

q glatt ist und πq glatt ist, ist ψq ψ−1p glatt. (Man setze dann

c = [A].)

(c) Die universelle Eigenschaft folgt aus der Tatsache, dass eine stetige Abbildung Φ : U →V ⊆ Rn, U ⊆ Rm offen, genau dann glatt ist, wenn mit einer glatten Funktion h : V →W ⊆ Rk die Funktion Ψ : U → V ×W ⊆ Rn+k, z 7→

(Φ(z), h Φ(z)

)glatt ist

(denn

Φ = π Ψ).

(2.67) Kommentar.

(a) Man beachte, dass i : N → M nach Definition der Teilraumtopologie ein Homöomorphis-mus auf sein Bild ist (klar), dass i injektiv ist (ist auch klar) und dass i eine Immersionist (Übung), d.h.: Dip : TNp → TMP injektiv ist, denn bzgl. der obigen Karten ψ von Num p und ϕ von M um p ist

ϕ i ψ−1(x) =(x, h(x)

),

also

Jac(ϕ i ψ−1)(x) =(

1n

Jac(h)(x)

)und damit

dim(ker Dip) = n− rg(Dip)

= n− rg(Jac(ϕ i ψ−1)

)(x0)

= n− n = 0.

(b) Allgemein nennt man eine glatte Abbildung Φ : N → M eine Einbettung, wenn Φ

• injektiv,

• immersiv,

• Homöomorphismus auf das Bild ist.

Es gilt dann, dass Φ(N) ⊆ M eine (nicht notwendig abgeschlossene) Untermannig-faltigkeit von M ist

(siehe (3.40)

).

(2.68) Definition. Eine glatte Abbildung Φ : M→ N heißt eine

(a) Immersion, wenn DΦp : TMp → TNΦ(p) injektiv ist, für alle p ∈ M;

(b) Submersion, wenn DΦp : TMp → TNΦ(p) surjektiv ist, für alle p ∈ M.

(2.69) Vorbereitung.

(a) Sind M, N und P glatte Mannigfaltigkeiten, Φ : M → N und Ψ : N → P glatte Abbil-dungen, so ist auch Ψ Φ : M→ P auch glatt und für alle p ∈ M gilt

(mit q = Φ(p)

):

D(Ψ Φ)p = DΨq DΦp

(Kettenregel, Übung).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Es folgt insbesondere für jeden Diffeomorphismus Φ : M → M, dass für jedes p ∈ Mdas Differential DΦp : TMp → TMΦ(p) ein Isomorphismus ist, denn D(1M)p = 1TMp

und aus Φ−1 Φ = 1M folgt:

1TMp = D(1M)p = D(Φ−1)Φ(p) DΦp,

also DΦp Isomorphismus mit:

(DΦp)−1 = D(Φ−1)Φ(p).

(2.70) Satz. Seien Mn+k und Pk glatte Mannigfaltigkeiten und Φ : M→ P eine glatte Abbildung.Sei q ∈ P, so dass N := Φ−1(q) 6= ∅ ist und DΦp : TMp → TPq surjektiv ist, für alle p ∈ N (qheißt dann ein regulärer Wert von Φ). Dann ist N ⊆ M eine Untermannigfaltigkeit der Codimensionk.

Beweis. N = Φ−1(q) ⊆ M ist abgeschlossen, da Φ stetig. Sei p ∈ N und ϕ : U → V ⊆ Rk

eine Karte um q ∈ P mit ϕ(q) = 0 ∈ V. Dann gilt für die Abbildung F : Φ−1(U)→ Rk,

F := ϕ Φ|Φ−1(U).

F ist glatt, F−1(0) = N ∩Φ−1(U) und

DFp = D(ϕ Φ)p = Dϕq DΦp.

Da ϕ : U → V ein Diffeomorphismus ist, ist Dϕq : TPq → TRk0∼= Rk ein Isomorphismus. Da

DΦp surjektiv ist, ist daher auch DFp : TMp → Rk surjektiv. Also ist N ⊆ M Untermannig-faltigkeit der Codimension k.

(2.71) Beispiel.

(a) Ist f : Rn+1 → R glatt, M = f−1(0) 6= ∅ und grad( f )(x) 6= 0, für alle x ∈ M, so istM ⊆ Rn+1 also eine Hyperfläche. Z.B. gilt das für M = Sn, denn für

f (x) = ‖x‖2 − 1

ist grad( f )(x) = 2x 6= 0, ∀x ∈ Sn.(Dies gibt dann eine glatte Struktur auf Sn, die mit

der bekannten übereinstimmt (Übung).)

(b) Betrachte Φ : Matn R ∼= Rn2 → Symn R ∼= R12 n(n+1), Φ(A) = t A · A, wo Matn R der

Vektorraum aller (n× n)-Matrizen (mit reellen Einträgen) und Symn R den Unterraumder symmetrischen Matrizen bezeichnet. Wir behaupten, das 1 ∈ Symn R ein regulärerWert von Φ ist.

(Übung: Berechne DΦ1 : Matn(R)→ Symn(R), B→ tB + B, DΦ1(B) =

ddt |t=0Φ(1+ tB).

)Es folgt:

O(n) = Φ−1(1),

die orthogonale Gruppe, ist eine Untermannigfaltigkeit der Codimension 12 n(n + 1)

und daher nach (2.67) eine Mannigfaltigkeit der Dimension

n2 − 12

n(n + 1) = n2 − 12

n2 − 12

n =12

n(n− 1).

43

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3 Kapitel 3.

Dynamische Systeme

(3.1) Motivation. Ein dynamisches System auf einer glatten Mannigfaltigkeit M ordnetjedem Punkt p ∈ M „seine Dynamik“ ϕ(p) : I(p)→ M zu, dass ist eine glatte Kurve

t 7→ ϕ(p)(t) =: ϕt(p),

wo I(p) =(t−(p), t+(p)

)ein offenes Intervall in R ist mit 0 ∈ I(p), also

t−(p) ∈ [−∞, 0), t+ ∈ (0, ∞]

und ϕ0(p) = p ist. Dabei verlangt man die Verträglichkeitsbedingung: Für alle p ∈ M undt ∈ I(p) gilt:

s ∈ I(

ϕt(p))⇐⇒ s + t ∈ I(p)

undϕs(ϕt(p)

)= ϕs+t(p).

Außerdem soll die Zuordnung p 7→ ϕ(p) „glatt“ sein.

(3.2) Definition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit. Ein dynamisches System auf M istgegeben durch eine glatte Abbildung ϕ : Ω→ M, so dass gilt:

(a) Ω ⊆ M×R ist offen, M× 0 ⊆ Ω und für jedes p ∈ M ist I(p) := π2(Ω∩ (p ×R)

)zusammenhängend (wo π2 : Ω→ R die Projektion auf den zweiten Faktor ist);

(b) Für alle p ∈ M und t ∈ I(p) ist s ∈ I(

ϕt(p)), genau wenn s + t ∈ I(p) ist und dann gilt:

ϕs(ϕt(p))= ϕs+t(p).

(3.3) Kommentar.

(a) Da die Projektion π2 : Ω → R eine offene Abbildung ist, ist also I(p) ⊆ R offen undzusammenhängend mit 0 ∈ I(p), also I(p) ein offenes Intervall

I(p) =(t−(p), t+(p)

)mit

t−(p) = [−∞, 0), t+(p) ∈ (0, ∞].

t−(p) heißt der Anfang von p, t+(p) das Ende von p.

45

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

(b) Beachte, dass für p, q ∈ M die Kurven

Cp = Im(

ϕ(p × I(p)

))⊆ M

und Cq entweder gleich sind (falls es ein t ∈ I(p) gibt mit ϕt(p) = q) oder disjunkt,Cp ∩ Cq = ∅, denn ist r ∈ Cp ∩ Cq also r = ϕt(p) = ϕs(q), so ist

q = ϕ0(q) = ϕ−s+s(q) = ϕ−s(ϕs(q))= ϕ−s(r)

= ϕ−s(ϕt(p))= ϕt−s(p),

also q ∈ Cp und damit Cq = Cp.

(c) Da Ω ⊆ M×R offen ist, ist auch für jedes t ∈ R

Dt := p ∈ M : t ∈ I(p)

offen, denn ist (p, t) ∈ Ω, so gibt es offene Umgebungen U ⊆ M von p und J ⊆ R vont, so dass U × J ⊆ Ω und damit (q, t) ∈ Ω, für alle q ∈ U das ist: q ∈ Dt =⇒ U ⊆ Dt.Definiert man dann

ϕt : Dt → M, p 7→ ϕt(p),

so ist das Bild gerade D−t ⊆ M, denn 0 ∈ I(p) und damit −t ∈ I(

ϕt(p)), also Im(ϕt) ⊆

D−t, und ist q ∈ D−t, so ist p := ϕ−t(q) ein Urbild von q unter ϕt.

(3.4) Bemerkung. Es ist D0 = M und für jedes t ∈ R ist ϕt : Dt → D−t ein Diffeomorphis-mus.

Beweis. Da 0 ∈ I(p), für alle p ∈ M, folgt: D0 = M. Da ϕ glatt ist und die Inklusionit : Dt → M, p 7→ (p, t), auch, ist auch ϕt = ϕ it glatt. Schließlich ist wegen ϕ0 = 1M und

ϕ−t ϕt(p) = ϕ−t(ϕt(p)) Verträg.Bed.

= ϕ−t+t(p) = ϕ0(p) = p

und

ϕt ϕ−t(p) = p

ϕ−t invers zu ϕt.

(3.5) Kommentar.

(a) Ist I(p) = R, für alle p ∈ M, also Ω = M×R, so nennen wir das dynamische Systemglobal. In diesem Fall ist also Dt = M, für alle t ∈ R, und

$ : R→ Diff(M), t 7→ ϕt

ein Homomorphismus, d.h. die Gruppe (R,+) operiert auf M durch Diffeomorphismenvermöge

Φ : R×M→ M, (t, p) 7→ t.p = ϕt(p).

Beachte aber, dass hier nicht nur für jedes feste t ∈ R die Abbildung ϕt : M→ N glattist, sondern sogar „das ganze Φ“. (R ist eben nicht nur eine Gruppe, sondern zudemeine Mannigfaltigkeit.) Man nennt dann die Familie (ϕt)t∈R eine 1-Parametergruppe inDiff(M).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Im Allgemeinen (auch wenn das System nicht global ist), nennt man die Familie

(ϕt : Dt → D−t)t∈R

von Diffeomorphismen den zugeordneten Fluss von ϕ.

(3.6) Definition. Sei ϕ ein dynamisches System auf einer glatten Mannigfaltigkeit M. Dannnennen wir X : M→ TM,

X(p) :=ddt

∣∣∣∣t=0

ϕt(p) ∈ TMp

das zugehörige Vektorfeld auf M.

(3.7) Bemerkung. X ist glatt, X ∈ X(M).

Beweis. Sei p ∈ M und x : U → V ⊆ Rn eine Karte um p. Da ϕ stetig ist und ϕ0(p) = p,existiert ein ε > 0 und eine Umgebung U ⊆ M von p mit ϕt(q) ∈ U, für t ∈ (−ε, ε) undq ∈ U. Ohne Einschränkung: U ⊆ U. In der Karte (x, t) von Ω ⊆ M×R um p von M sei ϕ

dann beschrieben durch

ϕ(x, t) =(

ϕ1(x, t), . . . , ϕn(x, t))∈ V, V := x(U) ⊆ V, ϕj ∈ E

(V × (−ε, ε)

).

Für die Kurven t 7→ ϕt(q), q ∈ U, t ∈ (−ε, ε), folgt dann in Koordinaten, dass

Xq =∂ϕ1

∂t(q, 0)

∂x1

∣∣∣∣q+ · · ·+ ∂ϕn

∂t(q, 0)

∂xn

∣∣∣∣q

ist (Übung). Da ∂ϕj

∂t (−, 0) ∈ E(V) ist, ist also X glatt auf U, insbesondere um p. Da p beliebigwar, folgt: X ∈ X(M).

(3.8) Bemerkung. Sei ϕ ein dynamisches System auf M und X ∈ X(M) sein zugeordnetesVektorfeld. Dann gilt für alle p ∈ M und sogar für alle t ∈ I(p):

Xϕt(p) =ddt

ϕt(p)(=

dds

∣∣∣∣s=t

ϕs(p))

Beweis. Sei p ∈ M und t ∈ I(p). Dann gilt wegen der Flusseigenschaft ϕs+t = ϕs ϕt:

Xϕt(p) =dds

∣∣∣∣s=0

ϕs(ϕt(p))=

dds

∣∣∣∣s=0

ϕt+s(p) =dds

∣∣∣∣s=t

ϕs(p) =ddt

ϕt(p).

(3.9) Kommentar.

(a) Ist x : U → V ⊆ Rn eine Karte auf M und X|U bzgl. dieser Karte durch

X|U = ξ j ∂

∂xj mit ξ j ∈ E(V), j = 1, . . . , n

gegeben, und ϕ|U×(−ε,ε) (mit eventuell verkleinerten U und ε > 0 klein genug) durch

ϕ(x, t) =(

ϕ1(x, t), . . . , ϕn(x, t))

und ϕj ∈ E(V × (−ε, ε)

), j = 1, . . . , n

gegeben, so lösen also die Kurven

(−ε, ε)→ V ⊆ Rn, t 7→(

ϕ1(x, t), . . . , ϕn(x, t))

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

die gewöhnliche Differentialgleichung auf V, die durch

x1 = ξ1(x)...

xn = ξn(x), kurz: x = ξ(x)

gegeben ist, zum Anfangswert x, denn

dϕj

dt(x, t)

(3.8)= ξ j(ϕ(x, t)

), j = 1, . . . , n

und

ϕ(x, 0) = x.

(b) Man hat deshalb gute Chancen das dynamische System ϕ auf M durch Integration dergewöhnlichen Differentialgleichungen.

p = X(p)

auf M, d.h.: durch Lösen der gewöhnlichen Differentialgleichung in den Karten x vonM,

x = ξ(x)(wo ξ = (ξ1, . . . , ξn) und X = ξ j ∂

∂xj ist)

zurück zu gewinnen.

(3.10) Definition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und X ∈ X(M).

(a) Man nennt eine glatte Kurve α : I → M, I ⊆ R ein offenes Intervall, eine Integralkurve(oder auch eine Lösungskurve) für X, wenn für alle t ∈ I gilt:

α(t) = Xα(t).

(b) Sie heißt maximal, wenn für jede Integralkurve β : J → M von X mit I ⊆ J, J ⊆ R

offenes Intervall in R, und β|I = α gilt: J = I.

(3.11) Satz. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit, X ∈ X(M) und p ∈ M. Dann gibt es genau einemaximale Integralkurve α : I → M von X mit 0 ∈ I und α(0) = p.

(3.12) Vorbereitung. Ist x : U → V ⊆ Rn, X|U = ξ j ∂∂xj und α|α−1(U) : α−1(U) → U dort

gegeben durch x(t) =(x1(t), . . . , xn(t)

), so ist α Integralkurve, wenn t 7→ x(t) die gewöhn-

liche Differentialgleichungx = ξ(x) auf V

(für alle Karten x von M) löst. Nach dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz von Picard-Lindelöf existiert eine solche Lösung zunächst auf dem Definitionsgebiet U einer Kartex : U → V um p (und dort auch maximal). Es ist aber nicht so klar, wie man diese Lösungdann (sozusagen über etliche andere Karten hinweg) zu einer maximalen Lösung auf Mfortsetzt.

Beweis von (3.11). Wir notieren eine Lösung α : I → M von

q = Xq

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

auf M mit Anfang α(0) = p mit (I, α). Es ist dabei I ⊆ R ein offenes Intervall mit 0 ∈ I.Nach dem Existenzsatz von Picard-Lindelöf existiert wenigstens eine solche Lösung (I0, α0),in dem man auf einer Karte x : U → V ⊆ Rn um p das System

x = ξ(x), x(0) = x0

mit x0 = x(p) und X|U = ξ i ∂∂xi , löst. Seien nun (I, α) und (J, β) zwei Lösungen. Dann

ist I ∩ J wiederum offen und zusammenhängend mit 0 ∈ I ∩ J, also ein Intervall um 0.Betrachte die Teilmenge

K := t ∈ I ∩ J : α(t) = β(t).

Dann ist zunächst K 6= ∅, denn 0 ∈ K, da α(0) = β(0) = p ist. Es ist weiter K ⊆ I ∩ Jabgeschlossen, denn die Diagonale

∆ :=(p, q) ∈ M×M : p = q

⊆ M×M

in M×M ist für einen Hausdorff-Raum abgeschlossen (Übung) und die Abbildung

(α, β) : I ∩ J → M×M, t 7→(α(t), β(t)

)ist stetig. Deshalb ist auch

K = (α, β)−1(∆) ⊆ I ∩ J

abgeschlossen.Es ist K ⊆ I ∩ J aber auch offen, denn ist t0 ∈ K, so wähle eine Karte x : U → V

(diesmal) um q = α(t0) = β(t0). Dann gibt es eine Umgebung I0 ⊆ I ∩ J von t0, sodass α(I0) ⊆ U, β(I0) ⊆ U ist, und, wenn α|I0 durch x(t) =

(x1(t), . . . , xn(t)

)und β|I0

durch(y1(t), . . . , yn(t)

)beschrieben werden, x, y : I0 → V die gewöhnliche Differential-

gleichung x = ξ(x) auf V zum Anfangswert x(t0) = x0(mit x0 = x(q)

)lösen

(wo

ξ = (ξ1, . . . , ξn) : V → Rn mit X|U = ξ ∂∂xi ist

). Nach dem Eindeutigkeitsteil im Satz von

Picard-Lindelöf ist damit x(t) = y(t), für alle t ∈ I0, d.h.: I0 ⊆ K.Da I ∩ J zusammenhängend ist, folgt: K = I ∩ J (also α|I∩J = β|I∩J).

Sei nun (Ij, αj)j∈J die Familie aller Lösungen von X zum Anfang p (J eine Indexmenge). Mansetze

Imax :=⋃j∈J

Ij, αmax : Imax → M, αmax(t) := αj(t)

für ein j ∈ J mit t ∈ Ij. Dann ist Imax tatsächlich offen, 0 ∈ Imax, und αmax wohldefiniertin dem Sinne, dass die Definition nicht von der Auswahl von j ∈ J abhängt, denn je zweiLösungen αj1 : Ij1 → M und αj2 : Ij2 → M mit t ∈ Ij1 ∩ Ij2 stimmen in t überein. Ist dahert0 ∈ Imax und j0 ∈ J mit t0 ∈ Ij0 , so stimmt αmax auf ganz Ij0 mit αj0 : Ij0 → M überein undist deshalb dort Lösung von q = Xq. Also ist αmax (überall) Lösung.

Nach Konstruktion von (Imax, αmax) ist klar, dass (Imax, αmax) maximale Lösung ist undauch, dass sie die einzige maximale Lösung ist.

(3.13) Kommentar.

(a) Wir nennen ein dynamisches System ϕ : Ω → M auf einer glatten Mannigfaltigkeitmaximal, wenn gilt: Ist ψ : Ω → M ein weiteres dynamisches System auf M, Ω ⊇ Ωund ψ|Ω = ϕ, so ist Ω = Ω.

(b) Ist nun X ∈ X(M), so fassen wir alle maximalen Integralkurven(

Imax(p), αmax(p))

nunwie folgt zusammen: Setze zunächst

Ω :=(p, t) ∈ M×R : t ∈ Imax(p)

⊆ M×R

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

und dann ϕ : Ω→ M,ϕ(p, t) = ϕt(p) := αmax(p)(t).

(3.14) Bemerkung. Sei X ∈ X(M) und ϕ : Ω→ M wie unter (3.13, b) definiert. Dann ist ϕ

ein maximales dynamisches System auf M.

(3.15) Vorbereitung.

(a) Ist V ⊆ Rn offen und ξ : V → Rn ein glattes Vektorfeld, so gilt, dass die maximalenLösungen von

x = ξ(x) auf V (3.1)

auch glatt von den Anfangswerten abhängen (vgl. Analysis III), genauer: Ist x0 ∈ V,so gibt es ein ε > 0 und eine offene Umgebung W ⊆ V von x0, so dass für alle x ∈ Wdie maximale Lösungskurve von (3.1) zum Anfangswert x ∈W, t 7→ ϕt(x), mindestensauf dem Intervall (−ε, ε) existiert, und die Abbildung W × (−ε, ε)→ V, (x, t) 7→ ϕt(x),glatt ist.

Beweis von (3.14). Wir prüfen zunächst die Flusseigenschaft (3.2, b): Sei also p ∈ Mund t ∈ I(p) := Imax(p). Betrachte dann die Kurven

α : I(

ϕt(p))→ M, s 7→ ϕs(ϕt(p)

)und

β :(t−(p)− t, t+(p)− t

)→ M, s 7→ ϕs+t(p),

wobei nun I(p) =(t−(p), t+(p)

)mit t−(p) ∈ [−∞, 0) und t+(p) ∈ (0, ∞] und wir

−∞− t := −∞ und +∞− t := +∞ für alle t ∈ R verstehen wollen. Es sind nun beideKurven Integralkurven zu X zum gleichen Anfangswert q = ϕt(p), denn

α′(s) =dds

ϕs(q) =dds

αmax(q)(s) = Xαmax(q)(s) = Xϕs(q) = Xα(s)

und

β′(s) =dds

ϕs+t(p) =dds

∣∣∣∣σ=s+t

ϕσ(p) = Xϕs+t(p) = Xβ(s).

Es sind auch beide Kurven maximal: α nach Definition, weil es die maximale Inte-gralkurve zum Anfang q = ϕt(p) ist, und β, weil es die in der Parametrisierung um tverschobene Integralkurve zum Anfang p ist. Nach (3.11) folgt: α = β, also:

I(

ϕt(p))=(t−(p)− t, t+(p)− t

)und für alle s aus diesem Intervall gilt:

ϕs ϕt(p) = ϕs+t(p).

(b) Wegen der glatten Abhängigkeit der Lösung der Differentialgleichung x = ξ(x) aufeiner offenen Menge V ⊆ Rn (und einem glatten Vektorfeld ξ auf V) ist nun Ω zunächstoffen, dann ist (p0, t0) so wähle man eine Karte x : U → V ⊆ Rn um q0 := ϕt0(p0) ∈ M.Wählt man dann ε > 0 und eine offene Umgebung W ⊆ V von x0 := x(q), so dass

x = ξ(x) auf V

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

für alle x ∈ W Lösungen zum Anfangswert x mindestens auf dem Intervall (−ε, ε)

hat, so zeigt die Konstruktion der maximalen Lösungskurven αmax(q), dass mit U :=x−1(W) ⊆ U die offene Umgebungen ϕ−t0(U)× (−ε, ε) noch ganz in Ω liegt, denn

ϕt0+s(p)(a)= ϕs( ϕt0(p)︸ ︷︷ ︸

∈U für p∈ϕ−t0 (U)

).

Schließlich ist nach Konstruktion I(p) = Imax(p), also zusammenhängend mit 0 ∈ I(p).

(c) Da sich ϕ in lokalen Koordinaten durch die Lösung einer gewöhnlichen Differential-gleichung x = ξ(x) beschreibt, t 7→ ϕt(x), W × (−ε, ε)→ V

(vgl. (3.15)

), ist ϕ : Ω→ M

eine glatte Abbildung.

(d) Ist nun ψ : Ω→ M ein weiteres dynamische System mit Ω ⊇ Ω und ψ|Ω = ϕ, so hat ψ

das gleiche zugehörige Vektorfeld X wie ϕ, denn für Xp braucht man ϕ nur auf einerUmgebung U × (−ε, ε) von (p, 0) ∈ Ω zu kennen und dort stimmen ϕ und ψ überein.Ist nun p ∈ M und I(p) das Definitionsintervall von t 7→ ψ(t, p), so ist auch diese KurveIntegralkurve von X

(siehe (3.8)

)zum Anfangswert p, also ist I(p) ⊆ I(p). Das gilt für

alle p ∈ M und damit Ω ⊆ Ω, also Ω = Ω. Also ist ϕ auch maximal.

(3.16) Satz. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit. Dann gibt es eine bijektive Zuordnung zwischenallen maximalen dynamisches Systems und allen glatten Vektorfeldern auf M, die wie folgt gegebenist:

maximales dynamisches System 1:1←→ X(M)

ϕDifferentiation7−→ Xϕ mit (Xϕ)p =

ddt

∣∣∣∣t=0

ϕt(p)

ϕxIntegration7−→ X

mit ϕtx(p) = αmax(p)(t)

Beweis.

(i) ϕXϕ = ϕ, da mit (3.8) für festes p ∈ M die Kurven t 7→ ϕt(p) Integralkurven vonq = Xϕ(q) sind und maximal müssen sie auch sein, da ϕ maximal ist (sonst wäreψ := ϕXϕ eine Erweiterung von ϕ).

(ii) XϕX = X, da ϕX aus den (maximalen) Lösungskurven von p = Xp bestehen, insbeson-dere

XϕX (p) =ddt

∣∣∣∣t=0

ϕtX(p) = Xϕ0

X(p) = Xp ∀p ∈ M.

(3.17) Kommentar. „Differentiation ist einfach, Integration ist schwer.“ Während derÜbergang von ϕ zu X in der Regel eine einfache Rechnung ist, ist der Übergang von Xzu ϕ häufig sehr schwer, ja in gewisser Weise gar nicht explizit möglich, sondern nur vontheoretischer Natur. In der Theorie der Dynamischen Systeme befasst man sich daher nur mitqualitativen Fragen, z.B.:

(i) Für welche Punkte p ∈ M ist I(p) = R?

(ii) Gibt es periodische Bahnen, d.h. gibt es ein p ∈ M mit I(p) = R und T > 0, so dass füralle t ∈ R gilt: ϕt+T(p) = ϕt(p)?

(iii) Welche Gleichgewichtslagen (das ist ein p ∈ M mit I(p) = R und ϕt(p) = p ∀t ∈ R)sind stabil, d.h. für jede Umgebung U ⊆ M von p, gibt es eine Umgebung V ⊆ U vonp mit t+(p) = ∞, für alle q ∈ V und ϕt(q) ∈ U ∀t ≥ 0

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

(3.18) Beispiel.

(a) Sei M = R2 und ξ ∈ X(R2) gegeben durch ξ(x, y) = (−y, x). Das zugehörige maximaledynamische System ϕ ist dann global und ist gegeben durch ϕ : R2 ×R→ R2,

ϕ(x, y; t) =(

x · cos(t)− y · sin(t), x · sin(t) + y · cos(t)).

(b) Nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz bewegen sich N punktförmige Teilchen(N ∈N) mit Massen m1, . . . , mN > 0 auf den Bahnen xj : I → R3 (j = 1, . . . , N), die derDifferentialgleichung

mj xj = −∑i 6=j

mimjxi − xj

‖xi − xj‖3 (j = 1, . . . , N)

genügen. Die zugehörige Mannigfaltigkeit ist also hier M = (R3N \ ∆)×R3N mit

∆ :=(x1, . . . , xN) ∈ (R3)N : xi = xj für ein Paar (i, j) mit i 6= j

und das „Gravitations-Vektorfeld“ wäre

X(x, y) =(

y1, . . . , yN , . . . ,−∑i 6=j

mixi − xj

‖xi − xj‖︸ ︷︷ ︸j-te Stelle

, . . .)

(mit xi = yi). Schon das dynamische System des 3-Körper-Problems ist nicht bekannt.Man weiß nicht einmal, für welche Anfangslagen p = (x1, x2, x3, y1, y2, y3), p ∈ M, kein„Zusammenstoß“, t+(p) < ∞, stattfindet.

(3.19) Vorbereitung. Sei V ⊆ Rn offen und ξ : V → Rn ein glattes Vektorfeld. Ist x0 ∈ Vund r, M > 0, so dass Br(x0) ⊆ V und ‖ξ(x)‖ ≤ M, ist für alle x ∈ Br(x0), so zeigt derBeweis des Satzes von Picard-Lindelöf, dass die maximale Lösung α : (t−, t+) → V vonx = ξ(x) mit α(0) = x0 mindestens auf den Intervall (−δ, δ) mit δ := r

2M , existiert, also:t+ ≥ r

2M .

(3.20) Satz. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und ϕ ein maximales dynamisches System aufM. Sei weiter p ∈ M mit t+(p) < ∞ und K ⊆ M ein beliebiges Kompaktum. Dann existiert einτ ∈ (0, t+), so dass für alle t ∈ (τ, t+) gilt:

ϕt(p) /∈ K.

Beweis. Angenommen es gäbe ein Kompaktum K ⊆ M, wo das nicht der Fall ist. Dann gibtes eine Folge (tn) in I =

(t−(p), t+(p)

)mit

(tn) t+ := t+(p)

undqn := ϕtn(p) ∈ K.

Nach Übergang zu einer Teilfolge von (tn), die wir wieder mit (tn) bezeichnen, können wirannehmen, dass (qn) gegen einen Punkt q ∈ K konvergiert.

Nun wählen wir eine Karte x : U → V ⊆ Rn um q, setzen x0 = x(q) und xn := x(qn) fürn ≥ n0 (mit n0 groß genug). Ist X|U = ξ i ∂

∂xi mit ξ i ∈ E(V), so wählen wir r > 0 und M > 0,so dass Br(x0) ⊆ V und ‖ξ(x)‖≤ M ist, für x ∈ Br(x0)

(und ξ = (ξ1, . . . , ξn) : V → Rn). Sei

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

n1 ∈ N so groß, dass einerseits xn ∈ Br/2(x0) für n ≥ n1(das geht, weil (xn) → x0

)und

andererseits, dasst+ − tn < δ :=

r4M

.

Ist nun n2 ≥ n1 beliebig und q2 := ϕtn2 (p), so müsste die Lösungskurve t 7→ ϕt(q2)

mindestens für 0 < t < δ existieren, denn für x2 := x(q2) ist x2 ∈ Br/2(x0) und damit

Br/2(x2) ⊆ Br(x0) ⊆ V

Da ‖ξ(x)‖ ≤ M für x ∈ Br/2 ist, lebt nach (3.19) die Kurve t 7→ ϕt(q2) mindestens auf (0, δ)

mitδ :=

r/2

2M=

r4M

(=⇒ t+(q2) ≥ δ) .

Andererseits lebt sie aber nur bis

t+(q2) = t+ − tn2 < δ,

und das ist ein Widerspruch.

(3.21) Korollar. Ist M ein kompakte glatte Mannigfaltigkeiten, so ist daher jedes VektorfeldX ∈ X(M) vollständig, d.h.: das zugehörige dynamische System ist global, also I(p) = R, für allep ∈ M.

Beweis. Nach (3.20) verlässt t 7→ ϕt(p) das Kompaktum K = M sicher nie, also ist t+(p) =+∞. Ähnlich sieht man (z.B. durch Übergang von X zu −X), dass auch t−(p) = −∞ seinmuss, für alle p ∈ M.

(3.22) Definition. Sei L ein reeller Vektorraum. Eine bilineare Abbildung [ · , · ] : L× L→ Lheißt eine Lie-Klammer auf L, wenn gilt:

(i) [a, b] = −[b, a], ∀a, b ∈ L (Schiefsymmetrie)

(ii)[a, [b, c]

]+[b, [c, a]

]+[c, [a, b]

]= 0, ∀a, b, c ∈ L (Jacobi-Identität)

Das Paar(

L, [ · , · ])

heißt dann eine (reelle) Lie-Algebra.

(3.23) Beispiel.

(a) [ · , · ] = 0 ist stets eine Lie-Klammer auf einen reellen Vektorraum. Man nennt L dannabelsch.

(b) Auf L = R3 setzt man für x, y ∈ L:

[x, y] := x× y = (x2y3 − x3y2, x3y1 − x1y3, x1y2 − x2y1)

Dann ist(

L, [ · , · ])= (R3,×) eine Lie-Algebra (Übung).

(c) Sei n ∈N und L = Matn R. Setzt man

[A, B] = AB− BA, ∀A, B ∈ L,

so erhält man eine Lie-Klammer auf L (Übung).

(d) Sei A eine R-Algebra. Setzt man für a, b ∈ A

[a, b] = ab− ba,

so wird dadurch eine Lie-Klammer auf A definiert.

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

(e) Sei V ein R-Vektorraum und A = End(V). Dann ist also L = End(V) mit

[α, β] = α β− β α

eine Lie-Algebra.

(3.24) Kommentar.

(a) Ist(

L, [ · , · ])

eine Lie-Algebra, so heißt ein Unterraum L′ ⊆ L eine Lie-Unteralgebravon L, wenn für alle a, b ∈ L′ auch [a, b] ∈ L′ ist. L′ wird dann mit [ · , · ]|L′×L′ selbst zueiner Lie-Algebra.

(b) Ist z.B. L = Matn R mit [ · , · ] wie unter (3.20, b), so betrachte

L′ := A ∈ L : At + A = 0,

die schiefsymmetrischen Matrizen. Dann ist L′ ⊆ L eine Lie-Unteralgebra (Übung).

(3.25) Bemerkung. Sei A eine R-Algebra und

DerR(A) := ϕ ∈ End(A) : ϕ(ab) = ϕ(a)b + aϕ(b), ∀a, b ∈ A.

Dann ist DerR(A) ⊆ End(A) eine Lie-Unteralgebra. (Sie heißt die Lie-Unteralgebra derDerivationen auf A.)

Beweis. Für ϕ, ψ ∈ Der(A) und allen a, b ∈ A gilt:

[ϕ, ψ](a, b) = ϕ ψ(ab)− ψ ϕ(ab) = ϕ(ψ(a)b + aψ(b)

)− ψ

(ϕ(a)b + aϕ(b)

)= ϕ ψ(a) · b + ψ(a)ϕ(b) + ϕ(a)ψ(b) + a · ϕ ψ(b)

− ψ ϕ(a) · b− ϕ(a)ψ(b)− ψ(a)ϕ(b)− a · ψ ϕ(b)

= [ϕ, ψ](a) · b + a · [ϕ, ψ](b),

also auch [ϕ, ψ] ∈ Der(A).

(3.26) Definition. Sei n ∈N und r > 0. Dann sei B(r) = x ∈ Rn : ‖x‖ < r. Wir nenneneine glatte Funktion $ : Rn → [0, 1] eine Abschneidefunktion, wenn gilt:

(i) $|B(1) = 1,

(ii) $|Rn\B(2) = 0.

(3.27) Kommentar. Es gibt Abschneidefunktionen. Man setze etwa f : R → R, f (t) :=e−1/t für t > 0 und f (t) = 0 für t ≤ 0, und zunächst dann g : R→ R,

g(t) =f (t)

f (t) + f (1− t).

Setzt man dann $ : Rn → R, $(x) := g(2− ‖x‖

), so ist $ eine Abschneidefunktion (Übung).

(3.28) Lemma. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit, p ∈ M und s ∈ Ep(M). Dann gibt es einf ∈ E(M) mit fp = s.

Beweis. Sei x : U → V ⊆ Rn zunächst irgendeine Karte um p und x0 = x(p) ∈ V. Indemman x mit der Translation t : V → V ′ := V − x0, x 7→ x− x0, verknüpft, erhält man eineKarte x′ = t x : U → V ′ ⊆ Rn mit x′(p) = 0. (Solche Karten heißen zentriert.)

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Als nächstes wählt man ein ε > 0, so dass B(ε) ⊆ V ′ ist, setzt U′′ := x′−1(B(ε)) und erhältmit x′′ : U′′ → B(ε) = V ′′ eine zentrierte Karte, so dass V ′′ = B(ε) ist.

Nun verknüpft man diese Karte noch mit der Dilatation d : B(ε) → B(3), x 7→ 3ε x,

und erhält mit x′′′ : U′′ → B(3), x′′′ = d x′′, schließlich eine zentrierte Karte um p mitWertebereich B(3). (Das kann man also stets machen.)

Sei nun s ∈ Ep(M) und s von einem g ∈ E(U), U ∈ A(p) offen, repräsentiert, s = gp.Nach eventueller Verkleinerung von U (und Einschränkung von g) dürfen wir annehmen,dass es eine Karte ϕ : U → V ⊆ Rn auf U gibt. Nach eventueller Verkleinerung darf mannun nach obiger Manipulation annehmen, dass ϕ zentriert und V = B(3) ⊆ Rn ist.

Sei nun $ : Rn → [0, 1] eine Abschneidefunktion. Wir setzen dann g : U → R,

g(q) := $(

ϕ(q))· g(q) (also kurz: g = $ ϕ · g).

Auf U1 := ϕ−1(B(1)) ∈ A(p) stimmt dann g mit g überein, also ist gp = s. Auf U \U2 mitU2 := ϕ−1(B(2)), gilt dagegen

g|U\U2= 0

und deshalb kann g mit f : M→ R,

f (q) :=

g(q) für q ∈ U,

0 sonst

trivial in glatter Weise auf ganz M fortgesetzt werden. Es folgt:

fp = gp = s.

(3.29) Kommentar.

(a) Da dimR Ep(M) = ∞ ist, ist insbesondere

dimR E(M) = ∞,

denn E(M) → Ep(M), f 7→ fp, ist linear und nach (3.28) surjektiv. Ähnlich sieht manauch, dass

dimR X(M) = ∞, dimR Ω(M) = ∞

ist (Übung).

(b) Die glatten Vektorfelder X(M) „operieren“ nun auf E(M) wie folgt: Betrachte

∇ : X(M)× E(M)→ E(M), (X, f ) 7→ X f

mit(X f )(p) := Xp( fp).

Wir nennen X f ∈ E(M) die Ableitung von f in Richtung X. X f ist tatsächlich glatt,denn wird bzgl. einer Karte x : U → V die Einschränkung f |U durch die glatte Funktionf : V → R und X|U durch die glatten Funktionen ξ1, . . . , ξn : V → R beschrieben,X|U = ξ i ∂

∂xi , so wird X f |U durch die glatte Funktion

ξ i ∂ f∂xi ∈ E(V)

beschrieben.

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

(c) Wir können nun jedes glatte Vektorfeld X ∈ X(M) als eine Derivation der R- AlgebraE(M) auf sich selbst auffassen:

(3.30) Proposition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und ι : X(M) → Der(E(M), E(M)

)wie folgt gegeben:

ι(X)( f ) = X f .

Dann ist ι ein R-Vektorraum-Isomorphismus, sogar ein E(M)-Modul-Isomorphismus.

Beweis. (a) Zunächst ist für X ∈ X(M), ι(X) : E(M)→ E(M) tatsächlich eine Derivation,denn ι(X) ist linear, d.h.

X( f1 + f2) = X f1 + X f2

X(λ f ) = λX f ,

f ∈ E(M), λ ∈ R, unmittelbar aus der Definition und auch

X( f g) = X f · g + f · Xg, ∀ f , g ∈ E(M),

denn Xp ist ja für jedes p ∈ M eine Derivation, Xp ∈ Der(E(M), R

).

Ebenso leicht sieht man, dass ι(sogar E(M)-

)linear ist,

ι(X1 + X2) = ι(X1) + ι(X2), also (X1 + X2) f = X1 f + X2 f , ∀ f .

ι( f X) = f ι(X), also ( f X)g = f (Xg), ∀g.

(b) Injektivität. Ist ι(X) = 0, so ist X f = 0, ∀ f ∈ E(M). Sei p ∈ M beliebig und s ∈ Ep(M).Nach Lemma 3.28 gibt es f ∈ E(M) mit fp = s. Es folgt:

Xp(s) = Xp( fp) = (X f )(p) = 0,

also Xp = 0, also X = 0.

(c) Surjektivtät. Sei δ : E(M) → E(M) eine beliebige Derivation. Nach dem folgendenLemma hängt dann für f ∈ E(M) und p ∈ M die Zahl δ( f )(p) ∈ R nur von fp ∈ Ep(M)

ab. Wir setzen dann X : M→ TM fest durch

Xp(s) := δ( f )(p), für s ∈ Ep(M),

wenn s = fp ist. Dann ist X wohldefiniert, hängt glatt von p ab, denn ein VektorfeldX : M→ TM ist genau dann glatt, wenn X f glatt ist, für alle f ∈ E(M) (Übung), und esgilt:

ι(X) f (p) = X f (p) = Xp( fp) = δ( f )(p), ∀p ∈ M, ∀ f ∈ E(M),

also istι(X) = δ.

(3.31) Lemma. Sei δ : E(M) → E(M) eine Derivation, f ∈ E(M) und p ∈ M. Dann hängtδ( f )(p) ∈ R nur von fp ∈ Ep(M) ab.

Beweis. (a) Sei g ∈ E(M) mit g|U = 0 auf einer offenen Umgebung U von p. Behauptung:δ(g)(p) = 0. Dazu: Ähnlich wie in (3.28) kann man nach evtl. Verkleinerung von Uannehmen, dass es offene Umgebungen

p ∈ U1 ⊆ U2 ⊆ U

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

gibt und eine glatte Funktion h : M → R mit h|U1 = 1 und h|M\U2= 0. Es ist dann

h · g = 0 auf ganz M. Weil δ Derivation ist, folgt:

0 = δ(0) = δ(hg) = (δh) · g + h · (δg)

also in p:0 = (δh)(p) · g(p)︸︷︷︸

=0

+ h(p)︸︷︷︸=1

(δg)(p).

(b) Ist nun f1, f2 ∈ E(M) mit ( f1)p = ( f2)p, so gilt für g := f2 − f1 ∈ E(M):

0p = 0 = ( f2)p − ( f1)p = gp,

also ist g = 0 auf einer Umgebung U ⊆ M von p. Es folgt:

0 = δ(g)(p) = δ( f2)(p)− δ( f1)(p) =⇒ δ( f1)(p) = δ( f2)(p).

(3.32) Definition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und ι : X(M)→ Der(E(M)

), ιX( f ) =

X f . Man setzt dann [ · , · ] : X(M)×X(M)→ X(M),

[X, Y] := ι−1([ιX, ιY]).

(3.33) Kommentar.

(a) Wegen (3.30) kann man den E(M)-Modul X(M) mit dem E(M)-Modul DerR

(E(M)

)(vermöge ι) identifizieren. Nun ist aber A := E(M) eine R-Algebra und daher trägtDer

(E(M)

)-neben seiner E(M)-Modul-Struktur- auch eine Lie-Algebra-Struktur nach

(3.23). Deshalb trägt auch X(M) in natürlicher Weise eine Lie-Algebra-Struktur gemäß(3.32).

(b) Ist dim M ≥ 1, so ist X(M)(außer ein E(M)-Modul

)zusammen mit [ · , · ] eine un-

endlich dimensionale Lie-Algebra. Unterdrückt man den Isomorphismus ι (und das tutman nach einer Weile), so ist die Lie-Klammer auf X(M) also gegeben durch

[X, Y] = X Y−Y X.

Präziser bedeutet dies für jedes p ∈ M, s ∈ Ep(M) und einem f ∈ E(M) von s, s = fp:

[X, Y]p(s) = Xp((Y f )p

)−Yp

((X f )p

),

denn

[X, Y]p(s) =(

ι−1([ι(X), ι(Y)]))

p( fp)

= [ιX, ιY]( f )(p)

=(ι(X) ι(Y)− ι(Y) ι(X)

)( f )(p)

=(X(Y f )−Y(X f )

)(p)

= Xp((Y f )p

)−Yp

((X f )p

).

(c) Man beachte, dass [ · , · ] : X(M)× X(M) → X(M) in keinem der beiden ArgumenteE(M)-linear ist. Vielmehr gilt:

(3.34) Bemerkung. Sei M glatte Mannigfaltigkeit, X, Y ∈ X(M) und f , g ∈ E(M). Danngilt:

[ f X, gY] = f g[X, Y] + f (Xg) ·Y− g(Y f ) · X.

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

Beweis. Es reicht zu zeigen, dass das Bild beider Seiten unter ι : X(M) → DerR

(E(M)

)übereinstimmt. (Übung)

(3.35) Bemerkung. Sei M glatte Mannigfaltigkeit, X, Y ∈ X(M) und sei x : U → V ⊆ Rn

eine Karte. Ist nun ∂i := ∂∂xi ,

X|U = ξ i∂i, Y|U = η j∂j mit ξ i, η j ∈ E(V),

so gilt

[X, Y]∣∣U =

(ξ i ∂ηk

∂xi − η j ∂ξk

∂xj

)∂k.

Beweis. Ist f ∈ E(U) (und die Darstellung von f bzgl. x sei wie üblich ebenfalls mit fbezeichnet), so gilt mit (3.29, b) und (3.33, b):

[X, Y]|U( f ) = X|U(

η j ∂ f∂xj

)−Y|U

(ξ i ∂ f

∂xi

)= ξ i ∂

∂xi

(η j ∂ f

∂xj

)− η j ∂

∂xj

(ξ i ∂ f

∂xi

)= ξ i ∂η j

∂xi∂ f∂xj + ξ iη j ∂2 f

∂xi∂xj − η j ∂ξ i

∂xj∂ f∂xi − η jξ i ∂2 f

∂xj∂xi

H.A. Schwarz=

(ξ i ∂ηk

∂xi∂

∂xk − η j ∂ξk

∂xj∂

∂xk

)( f )

=⇒ [X, Y]|U =(

ξ∂ηk

∂xi − η j ∂ξk

∂xj

)∂k

(3.36) Definition. Seien M und N glatte Mannigfaltigkeiten und Φ : M → N eine glatteAbbildung. Man nennt zwei Vektorfelder X ∈ X(M) und Y ∈ X(N) Φ-bezogen aufeinan-der, wenn für alle p ∈ M gilt:

DΦp(Xp) = YΦ(p), kurz: DΦ X = Y Φ,

wenn man DΦ als eine Abbildung zwischen TM und TN auffasst,DΦ(ξ) := DΦp(ξ), wenn ξ ∈ TMp ist.

M Φ //

X

N

Y

TM DΦ // TN

(3.37) Bemerkung. Ist Φ : M → N eine glatte Abbildung zwischen glatten Mannig-faltigkeiten M und N und sind X1, X2 ∈ X(M) und Y1, Y2 ∈ X(N), so dass X1 und Y1

bzw. X2 und Y2 Φ-bezogen sind, so sind auch [X1, X2] ∈ X(M) und [Y1, Y2] ∈ X(N) Φ-bezogen.

Beweis. Sei p ∈ M, q := Φ(p), s ∈ Eq(N) mit s = gq und g ∈ E(N). Dann ist:

DΦp([X1, X2]p

)(s) = [X1, X2]p

((g Φ)p

)(Def. von DΦp)

= (X1)p

((X2(g Φ)

)p

)− (X2)p

((X1(g Φ)

)p

)(Def. von [ · , · ])

= (X1)p

((DΦ(X2)(g)

)p

)− (X2)p

((DΦ(X1)(g)

)p

)(Def. von DΦ)

= (X1)p

(((Y2 Φ)(g)︸ ︷︷ ︸

=Y2gΦ

)p

)− (X2)p

(((Y1 Φ)(g)︸ ︷︷ ︸

=Y1gΦ

)p

)= DΦp

((X1)p

)((Y2g)q

)−DΦp

((X2)p

)((Y1g)q

)= (Y1)q

((Y2g)q

)− (Y2)q

((Y1g)q

)= [Y1, Y2]q(gq) = [Y1, Y2]Φ(p)(s).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(3.38) Lemma. Sei Φ : M → N glatt, p ∈ M und DΦp : TMp → TNΦ(p) injektiv. Dannexistieren offene Umgebungen U ⊆ M von p und V ⊆ N von q = Φ(p), so dass Φ(U) ⊆V, Φ|U : U → V injektiv ist und Φ(U) ⊆ V eine Untermannigfaltigkeit der Codimension dim N−dim M ist.

Beweis. Sei zunächst n = dim M, n + k := dim N (also k ≥ 0, da aus DΦp injektiv folgt:dim M ≤ dim N). Seien x = (x1, . . . , xn) : U → U′ ⊆ Rn und y = (y1, . . . , yn+k) : V → V ′ ⊆Rn+k Karten um p bzw. q, so dass Φ(U) ⊆ V ist. Sei ϕ : U′ → V ′ die Beschreibung von Φbzgl. x und y, ϕ = (ϕ1, . . . , ϕn+k). Ist x0 = x(p) ∈ U′, so folgt:

Jac(ϕ)(x0) =

(∂ϕi

∂xj

)1≤j≤n+k1≤j≤n

(x0)

hat den vollen Rang n. Es gibt also

1 ≤ i1 < i2 < · · · < in ≤ n + k,

so dass(

∂ϕiν

∂xj

)1≤ν,j≤n

invertierbar ist. Nach evtl. Koordinaten-Vertauschung τ : Rn+k →

Rn+k, ϕ′ = τ ϕ, dürfen wir iν = ν annehmen. Bezeichnet π : Rn+k → Rn die Projektionauf die ersten n Koordinaten,

y = (w, z) 7→ w, w ∈ Rn, z ∈ Rk,

so ist nach dem Umkehrsatz die Abbildung π ϕ : U′ → π(V ′) ⊆ Rn lokal um x0 bzw.w0 := π ϕ(x0) = y(q) umkehrbar. Nach Verkleinerung von U und V dürfen wir dieExistenz eines glatten ψ : π(V ′)→ U′ annehmen mit

ψ π ϕ = 1U′ , π ϕ ψ = 1π(V′).

Insbesondere ist nun ϕ injektiv und damit auch Φ|U = y−1 ϕ x.Es ist Φ(U) ⊆ V auch eine Untermannigfaltigkeit der Codimension k, denn auf V setzen

wir nun F : V → Rk, F = G y, mit G : V ′ → Rk,

G(w, z) =(

z1 − ϕn+1(ψ(w)), . . . , zk − ϕn+k(ψ(w)

)).

Wegen π ϕ ψ(w) = w, also

ϕj(ψ(w))= wj, für j = 1, . . . , n,

ist:

G(w, z) = 0⇐⇒ zi = ϕn+i ψ(w) (i = 1, . . . , k)

⇐⇒ (w, z) = ϕ ψ(w)

⇐⇒ (w, z) = ϕ(x) für ein x ∈ U′

⇐⇒ (w, z) ∈ Im(ϕ),

also: F(q) = 0⇐⇒ q ∈ Im(Φ|U), und wegen

Jac(G)(w0, z0) =(∗ 1k

)(mit (w0, z0) = y(q0)

)ist auch rg(DFq) = k. Φ(U) ⊆ V ist also eine (abgeschlossene)

Untermannigfaltigkeit der Codimension k.

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

(3.39) Erinnerung. Ist M ⊆ N eine (nicht notwendig abgeschlossene) Untermannig-faltigkeit der Codimension k, so ist die Inklusion i : M → N (mit der induzierten Mannigfal-tigkeits-Struktur) eine Einbettung, d.h.:

(a) i injektiv,

(b) i immersiv,

(c) i : M→ i(M) ist ein Homöomorphismus.

Umgekehrt gilt nun:

(3.40) Satz. Sei Φ : M→ N eine Einbettung (also injektiv, immersiv und Homöomorphismus aufsein Bild). Dann ist Φ(M) ⊆ N eine (nicht notwendig abgeschlossene) Untermannigfaltigkeit derCodimension dim N − dim M.

Beweis. Sei q ∈ Φ(M) und Φ(p) = q. Nach dem Lemma gibt es offene Umgebungen U ⊆ Mvon p von V ⊆ N von q, so dass Φ(U) ⊆ V und Φ(U) ⊆ V eine Untermannigfaltigkeit derCodimension k ist. Andererseits ist Φ : M → Φ(M) ein Homöomorphismus, also Φ offenund damit Φ(U) offen in Φ(M). Deshalb gibt es ein offenes V ′ ⊆ N mit

Φ(M) ∩V ′ = Φ(U).

Verkleinert man die obigen U ⊆ M bzw. V ⊆ N gegebenenfalls so, dass V ⊆ V ′ ist(Übergang zu V ∩V ′ und U′ = Φ−1(V ∩V ′)

), so zeigt dies, dass

Φ(M) ∩V = F−1(0)

mit einem glatten F : V → Rk und DFq : TNq → Rk (k = dim N − dim M) von vollem Rangist, d.i.: Φ(M) ⊆ N ist Untermannigfaltigkeit der Codimension k.

(3.41) Kommentar.

(a) Sind M und N glatte Mannigfaltigkeiten und Φ : M → N nur injektiv, so ist Φ i.a.nicht immersiv (geschweige denn eine Einbettung). Z.B. ist mit M = R, N = R2 undΦ : M→ N,

Φ(t) = (t2, t3)

injektiv, aber nicht immersiv (bei t0 = 0), denn

Φ(0) = (2t, 3t2)|t=0 = (0, 0)

also DΦ0 : TM0 → TN(0,0) nicht injektiv. Das BildC = Φ(R) ⊆ R2 ist

C = (x, y) ∈ R2 : y2 = x3

und heißt die Neillsche Parabel (Übung).

-2

-1

0

1

2

-2 -1 0 1 2

y2 = x3

(b) Ist Φ : M → N immersiv, so braucht Φ nicht (global) injektiv zu sein (geschweigedenn eine Einbettung). Betrachte z.B. wieder M = R und N = R2 und dieses Mal dasCartesisches Blatt

C = (x, y) ∈ R2 : y2 = x2(x + 1).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Es ist dann Φ : R→ R2,

Φ(t) = (t2 − 1, t3 − t)

immersiv, denn

Φ(t) = (2t, 3t2 − 1) 6= 0, ∀t ∈ R,

aber nicht injektiv, denn

Φ(1) = (0, 0) = Φ(−1)(und Φ(R) = C, Übung

).

-2

-1

0

1

2

-2 -1 0 1 2

y2 = x2(x + 1)

(c) Eine injektive Immersion Φ muss i.a. auch keine Einbettung sein. Die von der Teilraum-topologie auf Φ(M) induzierte Topologie auf M induzierte Topologie auf M

(via des

bijektiven Φ : M → Φ(M))

ist dann echt gröber, denn φ ist ja stetig. Sei z.B. wiederM = R und N = R2 und Φ : M→ N (ohne explizite Vorschrift) durch folgende Skizzegegeben:

x

y

U0 R

Φ−1(U)

Dann ist Φ injektiv, immersiv, aber keine Einbettung! Ist nämlich τ die von Φ(R) ⊆R2 induzierte Topologie auf R, so ist die Menge (−ε, ε) ⊆ R (für irgendein ε > 0)nicht offen

(d.h. Φ(−ε, ε) ist in Φ(R) nicht offen und damit Φ : R → Φ(R) kein

Homöomorphismus), weil jede offene Umgebung U ∈ τ von (0, 0) ein Endstück (α, ∞)

mit α > 0 enthalten muss.

(d) Teilmengen C einer Mannigfaltigkeit N können also die Struktur einer differenzierbarenMannigfaltigkeit M via einer injektiven Immersion Φ : M→ N mit C = Φ(M) tragen,obwohl sie keine Untermannigfaltigkeit sind und damit „sehr wild“ aussehen können.Ihre Topologie ist dann nicht mehr die Teilraumtopologie, sondern (echt) feiner (Übung).Eine gegebene Teilmenge kann auch mit verschiedenen Topologien Mannigfaltigkeiten-Strukturen tragen, wie das folgende Beispiel der Figur „Acht“ C ⊆ R2 zeigt:

x

y

0 R

Φ2Φ1

x

y

61

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

Die Abbildung Φ−12 Φ1 : R → R ist dabei nicht stetig (in 0), weil das Urbild von

(−ε, ε) ⊆ R vom Typ (−∞,−α) ∪ 0 ∪ (α, ∞) mit einem α > 0 ist und damit nichtoffen.

(3.42) Definition. Zwei injektive Immersionen Φ1 : M1 → N und Φ2 : M2 → N heißenäquivalent, wenn Φ1(M1) = Φ2(M2) und die Abbildung ψ : M1 → M2 mit Φ2 ψ = Φ1 einDiffeomorphismus ist

(sei C := Φ(M1) = Φ(M2) ⊆ N

).

M1Φ1

AAAAAAAA

ψ ∼=

M2 Φ2

// C

(3.43) Lemma. Sei Φ : M → N eine injektive Immersion. Sei weiter Ψ : P → N glatt mitΨ(P) ⊆ Φ(M) und ψ : P→ M gegeben durch Φ ψ = Ψ. Dann gilt: Ist ψ stetig, so ist ψ bereitsglatt.

P Ψ //

ψ @@

@@ N

M

Φ

OO

Beweis. Sei p ∈ P, q := ψ(p) ∈ M, r := Φ(q) ∈ N. Wir wählen Karten x um p, y um q undz um r der Mannigfaltigkeiten P, M und N, x : U → U′, y : V → V ′, z : W → W ′. Es reichtzu zeigen, dass

ψ|ψ−1(V) : ψ−1(V)→ M

glatt um p ist, denn ψ−1(V) ⊆ P ist offen, da ψ stetig ist.Da Φ(V) ⊆ W eine Untermannigfaltigkeit nach Lemma (3.38) ist (für V und W klein

genug), ist Φ|V : V → Φ(V) ⊆W ein Diffeomorphismus und man kann als Karte um q dieKomposition π z Φ|V verwenden, wo π : Rn+k → Rn (n = dim M, n + k = dim N) einegeeignete Koordinaten-Projektion ist. Bzgl. dieser Karte um q und der Karte x um p wirddann ψ beschrieben durch

(π z Φ|V) ψ x−1 = π (z Φ|V ψ︸ ︷︷ ︸Ψ|

ψ−1(V)

) x−1 = π (z Ψ|ψ−1(V) x−1︸ ︷︷ ︸glatt, weil Ψ glatt ist

)

und damit glatt.

(3.44) Satz. Sei N glatte Mannigfaltigkeit, C ⊆ N eine Teilmenge und τ eine Topologie auf C.Dann kann es bis auf Äquivalenz höchstens eine Mannigfaltigkeit-Struktur auf C geben, die voneiner injektiven Immersion Φ : M→ C ⊆ N kommt.

Beweis. Seien also Φ1 : M1 → C ⊆ N und Φ2 : M2 → C ⊆ N injektive Immersionenmit Φ1(M1) = C = Φ2(M2), so dass Φ1 und Φ2 Homöomorphismen sind, falls man Cmit τ topologisiert. Ist dann ψ : M1 → M2 durch Φ2 ψ = Φ1 gegeben, so ist sowohlψ = Φ−1

2 Φ1 stetig als auch ψ−1 = Φ−11 Φ2 und damit nach Lemma (3.43) glatt. Also ist

ψ Diffeomorphismus.

(3.45) Motivation.

(a) Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und X ∈ X(M) ohne Nullstellen, Xp 6= 0, ∀p ∈ M.Wir betrachten dann das Linienfeld L = (Lp)p∈M mit

Lp = 〈Xp〉 = R · Xp ⊆ TMp.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Ist dann p fixiert und ϕ = α(p) : I = I(p)→ M die maximale Integralkurve von X zumAnfangswert p, also

ϕ(t) = Xϕ(t), ∀t ∈ I

ϕ(0) = p,

so ist also ϕ : I → M eine injektive Immersion(denn ϕ(t) 6= 0, ∀t ∈ I

)mit

Dϕt(TIt) = Lϕ(t),

denn TIt wird von ∂∂t

∣∣t und Lϕ(t) von Xϕ(t) erzeugt und

Dϕt

(∂

∂t

∣∣∣∣t

)= ϕ(t) = Xϕ(t).

Beachte auch, dass ϕ i.a. keine Einbettung zu sein braucht.(Beispiel: M = T2 = R2/Z2 und X(p) = (1, α) mit α ∈ R \ Q, wenn man TMp

kanonisch mit R2 identifizieren (Übung), siehe auch (3.62))

(b) Wir wollen nun auch „höherdimensionale Felder“ D = (Dp)p∈M mit Dp ⊆ TMp einemUnterraum der Dimension k mit 1 ≤ k ≤ n = dim M, vorgeben und fragen, ob es auchdann „Integralmannigfaltigkeiten“ gibt, d.h. die überall tangential an D sind.

(3.46) Definition.

(a) Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit der Dimension n und 1 ≤ k ≤ n. Eine Distributionvom Rang k auf M ist eine Familie D = (Dp)p∈M von Unterräumen Dp ⊆ TMp mitdim Dp = k, für alle p ∈ M.

(b) Eine Distribution D = (Dp) vom Rang k heißt glatt, wenn es zu jedem p0 ∈ M eineoffene Umgebung U ⊆ M von p0 gibt und glatte Vektorfelder X1, . . . , Xk ∈ X(U), die injedem Punkt p ∈ U eine Basis von Dp bilden,

Dp = 〈(X1)p, . . . , (Xk)p〉

(c) Eine glatte Distribution D = (Dp)p∈M vom Rang k auf einer glatten MannigfaltigkeitM heißt integrabel, wenn es zu jedem p0 ∈ M eine glatte Mannigfaltigkeit N derDimension k, ein q0 ∈ N und eine injektive Immersion ϕ : N → M mit ϕ(q0) = p0 gibt,so dass für alle q ∈ N gilt:

Dϕq(TN) = Dϕ(p).

(3.47) Kommentar.

(a) Ist D = (Dp) eine glatte Distribution auf M, so nennen wir eine injektive Immersionϕ : N → M mit Dϕq(TNq) = Dϕ(q) eine Integral-Mannigfaltigkeit für D.

(b) Für das Differential einer glatten Abbildung Φ : M → N (in einem Punkt p ∈ M)notieren wir auch kurz: Φ∗ := DΦp. Eine injektive Immersion ϕ : N → M ist also etwaintegral für D, genau wenn

ϕ∗(TN) = D|ϕ(N)

ist.

(c) Ist rg(D) = 1, so haben wir schon gesehen(vgl. (3.45)

), dass D integrabel ist. Für glatte

Distributionen von höheren Rang gibt es ein Hindernis:

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

(3.48) Proposition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und D eine glatte und integrable Dis-tribution auf M. Sind dann X, Y ∈ X(M), so dass Xp, Yp ∈ Dp ist, für alle p ∈ M, so giltauch:

[X, Y]p ∈ Dp, ∀p ∈ M.

(3.49) Kommentar.

(a) Ist D eine Distribution auf M, so notieren wir die glatten Vektorfelder mit Werten in Dmit

Γ(D) := X ∈ X(M) : Xp ∈ Dp, ∀p ∈ M

Dann ist Γ(D) ⊆ X(M) ein E(M)-Untermodul, insbesondere ein R-Unterraum, vonX(M). Eine notwendige Bedingung für die Integrabilität von D ist dann nach (3.48),dass Γ(D) eine Lie-Unteralgebra von X(M) ist,

[Γ(D), Γ(D)] ⊆ Γ(D).

(b) Beachte, dass auch Γ(D) stets ein unendlich-dimensionaler Unterraum von X(M) ist,falls dim M ≥ 1 ist (Übung).

(c) Ist rg(D) = 1, so ist die Bedingung, dass Γ(D) ⊆ X(M) eine Lie-Unteralgebra ist,offenbar stets erfüllt, denn lokal kann man D mit nur einen Vektorfeld Z ∈ X(U)

erzeugen, Dp = 〈Zp〉, ∀p ∈ U, so dass jedes Vektorfeld X ∈ Γ(D|U) ∈ X(U) von derForm X = f Z mit f ∈ E(U) ist. Für Y = gZ, g ∈ E(U), ist dann aber

[X, Y]∣∣U = [ f Z, gZ] = f · g [Z, Z]︸ ︷︷ ︸

=0

+( f · Zg) · Z− (g · Z f ) · Z

= ( f · Zg− g · Z f )Z ∈ Γ(D|U).

Für Distribution von höherem Rang ist diese Bedingung i.a. nicht erfüllt(Beispiel:

M = R3, D = 〈X, Y〉, X = ∂∂x , Y = ∂

∂y + x ∂∂z (Übung)

).

Beweis von (3.48). Seien also X, Y ∈ Γ(D) und p0 ∈ M beliebig. Sei weiter ϕ : N → M eineIntegralmannigfaltigkeit für D durch p0 und q0 ∈ N mit ϕ(q0) = p0. Da ϕ immersiv ist,können wir Vektorfelder X, Y auf N wie folgt definieren:

Xq := (Dϕq)−1(Xϕ(q))

und analog für Y, denn Dϕq : TNq → Dϕ(q) ⊆ TMϕ(q) ist ein Isomorphismus.

(a) Behauptung: X und Y sind glatt. Dazu: Sei x : V → V ′ ⊆ Rk eine Karte von N um q0

und y = (y1, . . . , yn) : U → U′ ⊆ Rn eine Karte um p0 von M. Notieren wir dann ϕ bzgl.dieser Karten mit τ, τ = y ϕ x−1, so ist mit einer geeigneten Projektion π : Rn → Rk

die Abbildung π y = y′ : U ⊇ ϕ(V) → π(U′) ⊆ Rk eine Karte für ϕ(V) ⊆ U, weilψ = π τ um q0 ein Diffeomorphismus ist

(siehe (3.38)

). Insbesondere ist

Dy′p : Dp = Dϕ(q)(TNq)→ T(π(U′)

)y′(p)∼= Rk

ein Isomorphismus.

Mit X|U ∈ X(U) ist nun auch X|ϕ(V) glatt(da ϕ(V) ⊆ U Untermannigfaltigkeit ist

),

X|ϕ(V) ∈ X(

ϕ(V)), und ist X|ϕ(V) bzgl. y′ durch glatte Funktionen η1, . . . , ηk ∈ E(U′′)

gegeben, U′′ := π(U′),

X|ϕ(V) = ηi ∂

∂y′i,

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

so ist wegen der Kommutativität des folgenden Diagramms X|V : V → TV durch dieFunktionen ξ1, . . . , ξk : V ′ → R gegeben,

X|V = ξ i ∂

∂xi ,

die mit ξ := (ξ1, . . . , ξk) durch

ξ(x) = Dψ(x)−1(

η(ψ(x)

)) (mit η = (η1, . . . , ηk)

)gegeben ist,

Vϕ //

x

ϕ(V) ⊆ U

y′

Rk ⊇ V ′

ψ // U′′ ⊆ Rk

.

denn:

ξ(x) = Dxq(Xq) = Dxq(Dϕ−1

q (Xϕ(q)))= Dxq Dϕ−1

q Dy′−1ϕ(p)

(η(y′ ϕ(q)

)︸ ︷︷ ︸=ψx(q)=ψ(x)

)K.R.= Dψ(x)−1

(η(ψ(x)

)),

nach der Kettenregel. Mit η (und ψ) ist deshalb auch ξ glatt (und damit X).

(b) Nach Definition sind nun X und X bzw. Y und Y ϕ-bezogen aufeinander,

Dϕ X = X ϕ, Dϕ Y = Y ϕ

und daher nach (3.37) auch ihre Lie-Klammern. Es folgt:

[X, Y]p0 = [X, Y]ϕ(q0) =([X, Y] ϕ

)(q0)

(3.37)= Dϕq0

([X, Y]q0

)∈ Im(Dϕq0) = Dϕ(q0) = Dp0 ,

also tatsächlich [X, Y] ∈ Γ(D).

(3.50) Definition. Wir nennen eine glatte Distribution D auf einer glatten Mannigfaltigkeitinvolutiv, wenn gilt:

[Γ(D), Γ(D)] ⊆ Γ(D).

(3.51) Kommentar. Integrable Distributionen sind also involutiv. Aber gibt es weitereHindernisse als die Involutivität gegen die Integrabilität?

(3.52) Theorem (Frobenius). Eine glatte Distribution D auf einer glatten Mannigfaltigkeit istgenau dann integrabel, wenn sie involutiv ist.

(3.53) Proposition. Sei Mn eine glatte Mannigfaltigkeit, X ∈ X(M) und p ∈ M mit Xp 6= 0.Dann gibt es mit W := x ∈ Rn, |xi| < 1 (i = 1, . . . , n), eine zentrierte Karte ϕ : U →W ⊆ Rn

um p, ϕ(p) = 0, so dass gilt:

X =∂

∂x1 .

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

Beweis. Da das Problem lokal ist, dürfen wir gleich U ⊆ Rn offen, p = 0 und X = ξ =

(ξ1, . . . , ξn) : U → Rn annehmen. (Nehme halt irgendeine zentriert Karte y um p, so dassX|U = ξ i ∂

∂yi ist.) Gesucht ist nun ein Diffeomorphismus τ : W → U′ mit τ(0) = 0 auf eineoffene Umgebung U′ ⊆ U von 0, so dass

τ∗

(∂

∂x1

)= ξ

ist, alsoDτx(e1) = ξ

(τ(x)

), ∀x ∈W.

Dazu können wir zunächst eine lineare Koordinaten-Transformation wählen, so dass nachdieser

ξ(0) = e1 = (1, 0, . . . , 0)

ist, also ohne Einschränkung:

ξ(0) =∂

∂x1

∣∣∣∣x=0

.

Sei nun ψ = (ψt) der lokale Fluss zu dem Vektorfeld ξ auf U, also

dψt

dt(x) = ξ

(ψt(x)

), ψ0(x) = x

Es gibt nun ein ε > 0, so dass für alle t mit |t| < ε und x ∈ U mit |xi| < ε (i = 1, . . . , n)definiert ist:

Φ : Wε → U, Wε := x ∈ Rn : |xi| < ε,

Φ(x1, x2, . . . , xn) := ψx1(0, x2, . . . , xn).

Dann gilt Φ(0) = ψ0(0) = 0 und mit (x1, x′) := x:

∂Φ∂x1 (x) =

ddt

ψt(0, x′)∣∣∣∣t=x1

= ξ(ψt(0, x′)

)∣∣t=x1 = ξ

(Φ(x)

),

also Φ∗(e1) = ξ. Andererseits ist Φ(0, x′) = ψ0(0, x′) = (0, x′), also

∂Φ∂xi (0) = ei für i = 2, . . . , n,

also DΦ(0) = 1n und damit invertierbar. Nach dem Umkehrsatz gibt es daher ein 0 < ε′ < ε,so dass Φ|Wε′

: W ′ε → Φ(Wε′) =: U′ ein Diffeomorphismus auf eine offene UmgebungU′ ⊆ U von 0 ist. Schaltet man noch die Dilatation l : x 7→ 1

ε′ x davor, τ := Φ|Wε′ l, so erhält

man den gesuchten Diffeomorphismus.

(3.54) Kommentar.

(a) Ist D eine glatte Distribution vom Rang k und p0 ∈ M, so wollen wir eine Karteψ : U → W ⊆ Rn um p0 ein Frobenius-Box um p0 nennen, wenn für alle p ∈ U derUnterraum Dp ⊆ TMp gerade von ∂

∂x1 |p, . . . , ∂∂xk |p aufgespannt wird,

Dp =

⟨∂

∂x1

∣∣∣∣p

, . . . ,∂

∂xk

∣∣∣∣p

⟩⊆ TMp, ∀p ∈ U.

66

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Hat jeder Punkt p0 ∈ M eine solche Frobenius-Box, so ist D offenbar integrabel, dennmit N = Wk := x ∈ Rk : |xi| < 1 (i = 1, . . . , k) ist dann für jedes c ∈Wn−k offenbar

ϕc : Wk → U ⊆ M, x 7→ ψ−1(x, c)

eine integrable Mannigfaltigkeit, insbesondere geht ϕ0 durch p0 = ψ−1(0). Theorem(3.52) folgt also aus folgendem Satz:

(3.55) Satz. D involutiv und p ∈ M, dann existiert eine Frobenius-Box um p.

Beweis. Induktion über k = rg(D).k = 1 Proposition (3.53).k− 1 7→ k: Sei p ∈ M und U ⊆ M Umgebungen von p mit X1, . . . , Xk ∈ X(U), so dass

Dq =⟨(X1)q, . . . , (Xk)q

⟩, ∀q ∈ U.

Nach (3.53) kann man nun eine zentrierte Karte (nach evtl. Verkleinerung von U) y : U → Rn

(n = dim M) wählen, so dass X1 = ∂∂y1 ist. Ist

Xi = ηji

∂yj (i = 2, . . . , k),

so dürfen wir nach Übergang von Xi zu Xi− η1i

∂∂y1 annehmen, dass η1

i = 0 ist, für i = 2, . . . , k.Betrachte nun die Scheibe

S := y ∈W : y1 = 0 ⊆W

und setze Yi := Xi|S für i = 2, . . . , k. Da Xi keine ∂∂y1 -Komponente hat, ist Yi ein Vektorfeld

auf S.

Yi = ηji (0, y′)

∂y′j(i = 2, . . . , k),

wo nun die Summation von j = 2, . . . , n läuft,(y′ = (y2, . . . , yn) ist Koordinatensystem für

S). Wiederum weil Xi keine ∂

∂y1 -Komponente hat, hat auch [Xi, Xj] keine ∂∂y1 -Komponente

für 2 ≤ i, j ≤ k. Wegen der Involutivität gibt es daher clij ∈ E(W) (2 ≤ i, j, l ≤ k) mit

[Xi, Xj] = clijXl .

Ist ι : S → W die Inklusion, so sind Yi und Xi ι-bezogen, ι∗(Yi) = Xi ι, also auch [Yi, Yj]

und [Xi, Xj] und daher istD′ = 〈Y2, . . . , Yk〉

auf S eine involutive Distribution vom Rang k− 1,

ι∗([Yi, Yj]

)= [Xi, Xj] ι = cl

ij ι(Xl ι) = clij ι · ι∗(Yl),

also[Yi, Yj] = cl

ij ι ·Yl

(da ι∗ injektiv ist). Nach Induktionsvoraussetzung gibt es deshalb eine Koordinatentransfor-mation w 7→ y′(w), W ′ → S ⊆ Rn−1 (mit W ′ := Wn−1), so dass

〈Y2, . . . , Yk〉 =⟨

∂w2 , . . . ,∂

∂wk

⟩, ∀w ∈W ′

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

ist. Sei nun π : W →W ′, (y1, y′) = y 7→ y′, die Projektion auf die letzten n− 1 Koordinatenund y 7→ x(y) der Koordinaten-Wechsel

x1(y) = y1,

xi(y) = wi(y′) (i = 2, . . . , n),

und x 7→ y(x) seine Umkehrung, denn y 7→ x(y) ist umkehrbar, da

∂x∂y

(0) =

1 0 · · · 00... ∂w

∂y′ (0)0

∈ Gln(R)

ist. (Die Würfel W und W ′ müssen jeweils evtl. verkleinert werden.) Dann gilt für X1, . . . , Xkin den neuen Koordinaten

X1 =∂

∂y1 =∂xj

∂y1︸︷︷︸=δ

j1

· ∂

∂xj =∂

∂x1

und

Xi = ηji

∂yj = ηji · y(x)︸ ︷︷ ︸

=0 für j=1

∂xl

∂yj ·∂

∂xl︸ ︷︷ ︸=0 für l=1 und j 6=1

∈⟨

∂x2 , . . . ,∂

∂xn

⟩,

alsoXi = ξ

ji(x)

∂xj

mitξ1

i (x) = 0 für i = 2, . . . , k

und

ξji(0, x′) = 0 für i = 2, . . . , k und j = k + 1, . . . , n, (3.2)

da entlang S die Felder X2, . . . , Xk gerade von ∂∂w2 , . . . , ∂

∂wk aufgespannt sind.

Behauptung: ξji(x1, x′) = 0 für i = 2, . . . , k und j = k + 1, . . . , n sogar für alle x1 ∈ (−1, 1)!

Dazu: Wegen der Involutivität von D gibt es nämlich dli ∈ E(W) (i = 2, . . . , k, l = 1, . . . , k)

mit[X1, Xi] = dl

i Xl

und deshalb gilt für alle j = k + 1, . . . , n, i = 2, . . . , k:

∂x1 ( ξji︸︷︷︸

=Xi(xj)

) = X1(Xi(xj)

)− Xi X1(xj)︸ ︷︷ ︸

=0

= [X1, Xi](xj) = dli Xl(xj) =

k

∑l=2

dli Xl(xj) (3.3)

=k

∑l=2

dli(x)ξ j

l

da

X1(xj) =∂xj

∂x1 = 0

68

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

ist.Nun fixiere x′ ∈W ′ und erkenne, dass (3.3) für festes j = k+ 1, . . . , n ein System linearer

gewöhnlicher Differentialgleichungen auf I ×Rk−1 (I = (−1, 1))

ist:

ξ = A(t)ξ,(ξ = (ξ

j2, . . . , ξ

jk))

(mit A(t) =

(dl

i(t, x′))

2≤i,l≤k

)und deshalb auf ganz I eine eindeutig bestimmte Lösung zu

gegebenen Anfangswert ξ(0) = ξ0 (Übung) hat, aber ξ(0) = 0 wegen (3.2) und damit istξ(t) = 0, für alle t ∈ I, da ξ = 0 offensichtlich eine Lösung ist. Es ist damit

ξji(x1, x′) = 0, ∀x1 ∈ I, ∀x′ ∈W ′, ∀i = 2, . . . , k, ∀j = k + 1, . . . , n

und damit (3.55)(und also (3.52)

)bewiesen.

(3.56) Kommentar. Bisher haben wir, ähnlich wie beim lokalen Existenz- und Eindeutig-keitssatz von Picard-Lindelöf, nur die Existenz von lokalen Integralmannigfaltigkeiten beiinvolutiven Distributionen bewiesen. Nun wollen wir auch noch

(vgl. (3.11)

)die Existenz

einer maximalen Integralmannigfaltigkeit und deren Eindeutigkeit.

(3.57) Definition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und D eine involutive Distributionauf M. Wir nennen eine Integralmannigfaltigkeit ϕ : N → M maximal, wenn N zusammen-hängend ist und folgendes gilt: Ist ϕ : N → M eine weitere Integralmannigfaltigkeit, Nzusammenhängend und ist ϕ(N) ⊇ ϕ(N), so ist bereits

ϕ(N) = ϕ(N).

(3.58) Lemma. Sei D eine involutive Distribution vom Rang k auf einer glatten MannigfaltigkeitM und x : U →W ⊆ Rn eine Frobenius-Box für D. Sei weiter ϕ : N → U ⊆ M eine Integralman-nigfaltigkeit für D und N zusammenhängend. Dann gibt es genau ein c ∈Wn−k, so dass ϕ(N) inder Scheibe

Nc := p ∈ U : xj(p) = cj, j = k + 1, . . . , n

liegt.

Beweis. Für jedes q ∈ N liegt Dϕq(TNq) = Dϕ(q) im Aufspann von ∂∂x1 |ϕ(q), . . . , ∂

∂xk |ϕ(q), alsoim Kern von dxj|ϕ(q) ∈ TM∗ϕ(q) (j = k + 1, . . . , n). Es ist also

d(xj ϕ)q = dxj|ϕ(q) Dϕ|q = 0

und damit, weil N zusammenhängend ist, ist xj ϕ konstant (Übung), sagen wir cj ∈ I(j = k + 1, . . . , n). Es folgt: xj(ϕ(N)

)= cj, also: ϕ(N) ⊆ Nc.

(3.59) Satz. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit, D eine involutive Distribution auf M und p0 ∈ M.Dann existiert eine maximale Integralmannigfaltigkeit ϕ : N → M durch p0 und für jede andereIntegralmannigfaltigkeit ψ : N → M durch p0 mit zusammenhängendem N, gilt:

ψ(N) ⊆ ϕ(N).

Beweis. Wir definieren die Teilmenge

C :=

p ∈ M :∃ (stückweise) glattes γ : [0, 1] → M mit γ(0) = p0 und γ(1) =p und γ(t) ∈ Dγ(t), ∀t ∈ [0, 1]

und wollen nun C mit einer Topologie und Mannigfaltigkeit-Struktur versehen, die dieInklusion i : C → M zu einer Integralmannigfaltigkeit von D macht.

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

(a) Dazu überdecken wir gemäß (3.55) M mit Frobenius-Boxen xα : Uα →W ⊆ Rn und dür-fen wegen der abzählbaren Topologie von M annehmen, dass wir davon nur abzählbarviele brauchen, α ∈N

(vgl. Beweis von (1.56)

). Für jedes p ∈ C wählen wir nun, ein für

allemal fest, ein α(p) ∈ N mit p ∈ Uα(p) und nennen die Scheibe von Uα(p), auf der pliegt, Sp:

Sp := q ∈ Uα(p) : xjα(q) = xj

α(p), j = k + 1, . . . , n(wo k = rg(D) ist

). Da jede glatte Kurve in Sp integral ist (die ganze Scheibe Sp ist ja

integral) und Sp (weg-)zusammenhängend ist (denn Sp ∼= Wk ⊆ Rk), ist mit p ∈ C auchSp in C, Sp ⊆ C. Es ist also

C =⋃p∈C

Sp.

Wir betrachten nun jede Scheibe Sp vermöge xα(p)|Sp : Sp → Wk ⊆ Rn als bijektiv zum(offenen) Einheitswürfel Wk und versehen Sp mit der Topologie τp, die xα(p)|Sp zu einemHomöomorphismus macht (d.i. die Relativtopologie von S in M). Dann setzen wir

B :=⋃p∈C

τp ⊆ P(C)

und behaupten, dass B eine Basis der von ihr erzeugten Topologie τ auf C ist.

Ist nämlich Vp ⊆ Sp von Vp′ ⊆ Sp′ offen (p, p′ ∈ C), so muss dazu Vp ∩Vp′ Vereinigungvon Elementen aus B sein. Ist q ∈ Vp ∩Vp′ , so gibt es wegen der Offenheit von Uα(p′)zunächst einen offenen k-Ball B ⊆ Vp um q (via xα(p)|Sp ), so dass B ⊆ Uα(p′) ist. Weilaber q ∈ B ist, B integral (und zusammenhängend) ist damit nach (3.58) auch B ⊆ Sp′

und damit, nach evtl. Verkleinerung, auch in Vp′ . Jedes q ∈ Vp ∩Vp′ liegt also in einemB ∈ B und damit ist Vp ∩Vp′ Vereinigung von Elementen aus B. Insbesondere: Die vonτ auf jedem Sp induzierte Topologie ist damit τp (und nicht feiner).

(b) Diese Topologie ist hausdorffsch, denn sind p, q ∈ C mit p 6= q, so wähle man zunächstoffene Umgebungen Up ∈ A(p), Uq ∈ A(q) in M, die disjunkt sind, Up ∩Uq = ∅. Dannschneide man diese mit den zugehörigen Scheiben,

Vp := Up ∩ Sp, Vq := Uq ∩ Sq.

Dann sind Vp, Vq ⊆ C offene Umgebungen von p bzw. q und disjunkt.

C ist mit τ auch lokal euklidisch ist (von der Dimension k), denn zu p ∈ C ist offenbarSp ⊆ C eine offene Umgebung, die via xα(p)|Sp homöomorph zu Wk ⊆ Rk ist.

Behauptung: (C, τ) hat abzählbare Topologie.p In jeder Box Uα können sehr viele Scheiben Nc

α ⊆ Uα, c ∈Wn−k, zu C gehören. Es istgewissermaßen das Hauptproblem etwa auszuschließen, dass nicht alle dazu gehörenkönnen und damit etwa C = M unmöglich wird. y

Da jedes Sp ⊆ Uα(p) eine abzählbare Basis hat und es nur abzählbar viele Boxen Uα gibt,reicht es zu zeigen, dass aus jeder Box Uα nur abzählbar viele Scheiben Nc

α zu C gehörenkönnen.

Sei also Uα fest und p ∈ Uα ∩ C. Dann gibt es also eine Integralkurve γ : [0, 1] → Mvon p0 nach p. Wegen der Kompaktheit von [0, 1] gibt es dann α0, α1, . . . , αr ∈ N und0 = t0 < t1 < · · · < tr = 1, so dass γ|[ti−1,ti ] ⊆ Uαi ist. Da [ti−1, ti] zusammenhängendist, muss γ

([ti−1, ti]

)in nur einer Scheibe von Uαi enthalten sein. Da es nur abzählbar

viele Folgen Uα0 ⊆ Uα1 ⊆ · · · ⊆ Uαr = Uα gibt, reicht es zu zeigen, dass es für jede

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

solche Folge nur abzählbar viele Scheiben in Uα gibt, die man beim Durchgang durchUαi (i = 0, . . . , r) erreichen kann. Dazu reicht es, dass beim Übergang von Uα zu Uβ

(mit α = αi−1, β = αi) jede Scheibe S ⊆ Uα an nur abzählbar viele Scheiben von Uβ

ankoppeln kann. Aber S∩Uβ ist selbst eine Mannigfaltigkeit und daher von abzählbarerTopologie. Sie hat damit nur abzählbar viele (Weg-)Zusammenhangskomponenten(Übung). Jede Komponente von S ∩Uβ ist also zusammenhängend und integral in Uβ

und muss deshalb nach (3.58) in nur einer Scheibe von Uβ liegen. Damit koppelt S annur abzählbar viele Scheiben von Uβ an und damit ist C von abzählbarer Topologieund somit eine k-dimensionale topologische Mannigfaltigkeit, die nach Definition auch(weg-)zusammenhängend ist.

(c) Als glatten Atlas für C wählt man nun die Karten xα(p)|Sp : Sp → Wk ⊆ Rk (derenÜbergange glatt sind, weil sie Einschränkungen von den Übergängen von (xα : Uα →W)

sind). Die Inklusion i : C → M ist nun offenbar eine injektive Immersion

(weil Wk →

Wn, x 7→ (x, 0) immersiv ist). Schließlich ist wegen

TCp = T(Sp)p = Dp

auch Dip(TCp) = Dp, i also auch integrale Mannigfaltigkeit.

(d) Ist ϕ : N → M irgendeine andere integrale Mannigfaltigkeit durch p0 mit zusammen-hängenden N, so sei p = ϕ(q) ∈ ϕ(N) beliebig und ϕ(q0) = p0. Dann gibt es einen(stückweise) glatten Weg β : [0, 1]→ N von q0 nach q

(denn N ist auch wegzusammen-

hängend und wenn es einen stetigen Weg von q0 nach q gibt, so auch einen stückweiseglatten (Übung)

). Die Kurve γ := ϕ β ist dann stückweise glatt und auch integral, weil

γ(t) = Dϕβ(t)(

β(t))∈ im(Dϕβ(t)) = Dγ(t)

ist und damit liegt p auch in C. Das zeigt, dass i : C → M maximale Integralmannig-faltigkeit ist und das Bild jeder anderen zusammenhängenden Integralmannigfaltigkeitin C enthalten ist.

(3.60) Kommentar. Was jetzt noch fehlt, ist die Eindeutigkeit (bis auf Isomorphie), denn:ist eben i : C → M auch ϕ : N → M eine maximale Integral-Mannigfaltigkeit durch einenPunkt p0 ∈ M, so ist zwar ϕ(N) = C nach (3.59), weil zunächst ϕ(N) ⊆ C ist, aber wegender Maximalität von ϕ dann gleich C sein muss. Es könnte aber sein, dass C vermöge ϕ miteiner anderen Topologie versehen ist als vermöge i : C → M, so dass die Mannigfaltigkeit-Strukturen auf C vermöge i und ϕ verschieden sind. Dass das nicht passiert besagt nun:

(3.61) Satz. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit, D = (Dp)p∈M eine involutive Distribution aufM und p0 ∈ M. Dann gibt es eine (bis auf Isomorphie) eindeutig bestimmte maximale Integral-Mannigfaltigkeit durch p0.

Beweis. Sei i : C → M die maximale Integral-Mannigfaltigkeit durch p0 nach (3.59) undϕ : N → M eine beliebige andere. Wir wissen schon

(vgl. (3.58)

), dass ϕ(N) = C ist, also

gibt es ein eindeutig bestimmtes ψ : N → C mit i ψ = ϕ (nämlich ψ = i−1 ϕ, wenn i alsBijektion von C auf C ⊆ M betrachten).

Nϕ //

ψ AA

AA M

C

i

OO

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KAPITEL 3. DYNAMISCHE SYSTEME

(a) Behauptung: ψ ist stetig.

Sei p ∈ N beliebig, q := ψ(p) ∈ C und sei V ⊆ C eine offene Umgebung. Zu zeigen:ψ−1(V) ist Umgebung von p (=⇒ ψ ist stetig in p).

Sei dazu x : U → U′ ⊆ Rn eine Frobenius-Box um q und S ⊆ U die Scheibe inU, die q enthält. Dann sei o.E. V ⊆ S. Da ϕ stetig ist, ist ϕ−1(U) ⊆ N offen. SeiW ⊆ ϕ−1(U) die Wegkomponente, die p enthält. Dann ist auch W offen (da N lokalwegzusammenhängend ist). Da nun ϕ|W : W → U ⊆ M Integral-Mannigfaltigkeit istmit q ∈ im(ϕ|W), gilt nach (3.58), dass ϕ(W) ⊆ S sein muss. Aber

ϕ|W : W → S

ist stetig und damit (ϕ|W)−1(V) ⊆W offen. Also ist

ψ−1(V) ∩W = (ϕ|W)−1(V)

eine Umgebung von p.

(b) Behauptung: ψ ist sogar Diffeomorphismus.

Dazu: Nach (3.43) ist ψ nicht nur stetig, sondern sogar glatt. Es ist aber auch

Dψp = Di−1q Dϕp

(wo man Diq als Isomorphismus von TCq nach Dp ⊆ TMq betrachtet) ein Isomorphismus,für alle p ∈ N. Nach dem Umkehrsatz ist damit ψ ein lokaler Diffeomorphismus. Aberψ ist bijektiv und damit ein (globaler) Diffeomorphismus.

Also sind ϕ und i äquivalent und damit die maximale Integral-Mannigfaltigkeit i : C →M eindeutig bestimmt.

(3.62) Beispiel. Sei M = T2 = R2/Z2. Identifiziere nun zunächst T(T)p kanonisch mitR2 vermöge

Dπp : R2 ∼= T(R2) p → T(T2)p

(unabhängig von der Wahl des Urbildes p ∈ R2 unter der kanonischen Projektion π : R2 →T2) und betrachte dann Xα ∈ X(T2), α ∈ R \Q,

Xα(p) = (1, α) ∈ R2 ∼= T(T2)p.

(0, 0) (1, 0)

(1, 1)(0, 1) 1

1

22

3

3

∼=

Setze D = (Dp),Dp = RXα(p) ⊆ T(T2)p

Dann ist ϕ : R→ T2,ϕ(t) =

[(t, αt)

],

die maximale Integral-Mannigfaltigkeit durch p0 =[(0, 0)

]und C = ϕ(R) ⊆ T2 trägt nicht

die Relativtopologie von T2 (wenn man C die Mannigfaltigkeit-Struktur von R gibt). C liegtnämlich dicht und die von der Teilraumtopologie von C induzierte Topologie auf R ist nichtmal lokal wegzusammenhängend.

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Teil II.

Differentialgeometrie II

73

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4 Kapitel 4.

Vektorraumbündel

(4.1) Definition. Sei A eine Menge. Auf der Menge der formalen, endlichen Linearkom-binationen ∑a∈A raa, ra ∈ R und ra = 0 für fast alle a ∈ A (d.h.: alle, bis auf endlich viele)definieren wir (

∑a∈A

raa)+(

∑a∈A

saa)

:= ∑a∈A

(ra + sa)a,

λ ·(

∑a∈A

raa)

:= ∑a∈A

(λra)a.

Es heißt dannF(A) :=

∑a∈A

raa : ra ∈ R, ra = 0 für fast alle a ∈ A

(zusammen mit diesen Operationen) der Vektorraum über R, der frei von A erzeugt wird.

(4.2) Kommentar.

(a) Es ist F(A) mit diesen Operationen tatsächlich ein R-Vektorraum.

(b) Die Elemente 1 · a ∈ F(A) (d.h.: rb = 0 für b 6= a und ra = 1) bilden eine Basis von F(A),denn nach Definition sind sie erzeugend und

λ1(1a1) + · · ·+ λn(1an) = 0 =⇒n

∑i=1

λiai = 0 =⇒ λi = 0 (i = 1, . . . , n).

(c) Bezeichnet i : A → F(A) die Abbildung i(a) = 1 · a = a, so erfülltdas Paar

(F(A), i

)folgende universelle Eigenschaft: Ist V ein reeller

Vektorraum und j : A → V eine Abbildung, so gibt es genau einelineare Abbildung T : F(A)→ V mit T i = j (Übung).

Aj

""EEEEEEEEE

i

F(A)T//___ V.

(4.3) Definition. Seien V und W reelle Vektorräume. Sei K ⊆ F(V ×W) der Untervektor-raum von F(V ×W) der von allen Elementen

1 · (v1 + v2, w) + (−1) · (v1, w) + (−1) · (v2, w)

(v, w1 + w2)− (v, w1)− (v, w2)

(λv, w)− λ(v, w)

(v, λw)− λ(v, w)

v, v1, v2 ∈ V, w, w1, w2 ∈W, λ ∈ R erzeugt wird. Dann nennen wir

V ⊗W := F(V ×W)/K

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

das Tensorprodukt von V und W. Ist π : F(V ×W) → V ⊗W die kanonische Projektion,so bezeichnen wir

v⊗ w := π((v, w)

).

(4.4) Kommentar.

(a) Für alle v, v1, v2 ∈ V, w, w1, w2 ∈W und λ ∈ R ist also richtig:

(v1 + v2)⊗ w = v1 ⊗ w + v2 ⊗ w,

v⊗ (w1 + w2) = v⊗ w1 + v⊗ w2,

(λv)⊗ w = λ(v⊗ w) = v⊗ (λw).

(b) Definiert man daher s : V ×W → V ⊗W durch

s(v, w) = v⊗ w,

so ist s offenbar bilinear.

(4.5) Bemerkung. Seien V, W reelle Vektorräume. Dann erfüllt (V⊗W, s) die folgende uni-verselle Eigenschaft: Ist σ : V ×W → U eine bilineare Abbildung, U ein reeller Vektorraum,so gibt es genau eine lineare Abbildung T : V ⊗W → U mit T s = σ.

V ×Wσ

##GGGGGGGGG

s

V ⊗WT//___ U.

Beweis. Eindeutigkeit. Da F(V×W) von (v, w)v∈V, w∈W erzeugt wird und π : F(V×W)→V ⊗W surjektiv ist, gibt es nur einen Kandidaten für T, nämlich

T(

∑v∈Vw∈W

rv,wv⊗ w)= ∑

v∈Vw∈W

rv,wσ(v, w),

dennT(v⊗ w) = T s(v, w) = σ(v, w).

Existenz. Nach der universellen Eigenschaft von(F(V ×W), i

)gibt es genau eine lineare

Abbildung T : F(V ×W)→ U mit T i = σ, also

T(1 · (v, w)

)= σ(v, w),

V ×W

i

σ

((QQQQQQQQQQQQQQQ

s

%%

F(V ×W)T

//______

π

U.

V ⊗W = F(V ×W)/KT

66mmmmmmm

Erinnere: Universelle Eigenschaft des Quotienten: V Vektorraum, U ⊆ VUnterraum, π : V → V/U die kanonische Projektion. Dann hat (V/U, π)folgende universelle Eigenschaft: Ist (W, f ) derart, dass f : V → W mitU ⊆ ker( f ), so gibt es genau eine lineare Abbildung T : V/U → W mitT π = f (siehe rechts).

V

π

f

""EEEEEEEEE

V/UT//___ W

76

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Da

T((v1 + v2, w)− (v1, w)− (v2, w)

)= σ(v1 + v2, w)− σ(v1, w)− σ(v2, w) = 0

und ähnlich für die anderen Erzeuger von K, ist K ⊆ ker(T), und daher existiert nach deruniversellen Eigenschaft des Quotienten genau ein T : V ⊗W → U mit T π = T.

=⇒ T s = T π i (weil s = π i)

= T i = σ.

(4.6) Bemerkung. Hat V die Dimension n ∈ N0 und W die Dimension m ∈ N0, so hatV ⊗W die Dimension n ·m. Ist (e1, . . . , en) eine Basis von V und ( f1, . . . , fm) eine Basis vonW, so ist (ei ⊗ f j)1≤i≤n

1≤j≤meine Basis von V ⊗W.

Beweis. Weil 1 · (v, w)v∈V, w∈W erzeugend für F(V ×W) und π : F(V ×W) → V ⊗Wsurjektiv ist, ist (v⊗ w)v∈V, w∈W erzeugend für v⊗ w. Ist v = λiei, w = µj f j, so ist v⊗ w =

(λiei)⊗ (µj f j) = λiµjei ⊗ f j, also ist (ei ⊗ f j) i=1,...,nj=1,...,m

erzeugend für V ×W.

Lineare Unabhängigkeit.pZu ukl ∈ U (k = 1, . . . , n, l = 1, . . . , m) gibt es genau eine bilineare Abbildung σ : V ×W →U mit σ(ek, fl) = ukl . y

Sei λij ∈ R undλijei ⊗ f j = 0.

Sei σij : V ×W → R die bilineare Abbildung die durch

σij(ek, fl) = δik · δ

jl

bestimmt ist. Nach der universellen Eigenschaft des Tensorprodukts existiert genau einelineare Abbildung Tij : V ⊗W → R mit Tij s = σij, wo s : V ×W → V ⊗W die kanonischebilineare Abbildung ist. Es ist dann:

0 = Tij(0) = Tij(λklek ⊗ fl)

= λklTij(ek ⊗ fl)

= λklTij s(ek, fl) = λklσij(ek, fl)

= λkl · δikδ

jl

= λij.

Also ist (ei ⊗ f j) Basis.

(4.7) Kommentar.

(a) Beachte, dass s i.A. weder injektiv noch surjektiv ist. Z.B. ist für alle v ∈ V und w ∈Wstets

v⊗ 0 = 0 = 0⊗ w,

weil eine bilineare Abbildung (v, 0) bzw. (0, w) stets auf 0 abbildet. Auch ist etwa derTensor e1 ⊗ e1 + e2 ⊗ e2 ∈ R2 ⊗R2 nicht im Bild von

s : R2 ×R2 → R2 ⊗R2

(Übung).

77

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(b) Lineare Abbildungen T aus V ⊗W heraus, T : V ⊗W → U, werden oft durch Angabe

T(v⊗ w) = rechte Seite

definiert, wobei die rechte Seite des Ausdruckes bilinear in v und w ist. Gemeint ist dannstets, dass man zunächst die bilineare Abbildung σ : V ×W → U mit

σ(v, w) = rechte Seite

betrachtet, dann die universelle Eigenschaft benutzt und T = Φσ setzt. (Keineswegsmeint man, dass jedes Element in V ⊗W die Form v ⊗ w hat und womöglich dieDarstellung auch noch eindeutig ist oder dass man Wohldefiniertheit zu prüfen hätte.)

(4.8) Beispiel.

(a) Für endlich dimensionale R-Vektorräume V und W ist kanonisch isomorph:

V∗ ⊗W ∼= Hom(V, W).

„Kanonisch isomorph“ bedeutet hier, dass es einen kanonischen Isomorphismus, zwis-chen den Vektorräumen, der nicht von einer Basiswahl abhängt, gibt. (Dass V∗ ⊗W„isomorph“ zu Hom(V, W) ist, folgt schon daraus, dass beide die gleiche Dimensiondim V dim W haben.)

Der kanonische Isomorphismus wird in der Regel angegeben (oder nach einer Zeitauch nicht mehr, weil er so kanonisch ist, dass jeder ihn selbst findet). Er ist hier fürλ ∈ V∗, w ∈W, v ∈ V gegeben durch

T(λ⊗ w)(v) = λ(v)w.

Weil die rechte Seite trilinear in (λ, w, v) ist, ist nämlich zunächst die Abbildung σ : V∗×W → Hom(V, W),

σ(λ, w)(v) = λ(v)w

wohldefiniert(d.h.: σ(λ, w) liegt wirklich in Hom(V, W)

)und dann benutzt man die universelle Eigenschaft und dieExistenz von T = Φσ zu bekommen

(vgl. (4.7,b)

):

V∗ ×W σ //

s

Hom(V, W)

V∗ ⊗WT

77ooooooooooo

pBeweis, dass T injektiv ist: Sei t = ∑ri=1 λi ⊗ wi ∈ V∗ ⊗W. Wir dürfen annehmen, dass

(w1, . . . , wr) linear unabhängig ist (sonst gibt es eine kürzere Darstellung t = µj ⊗ wj):wir sagen, dass die Darstellung reduziert ist.

Ist T(t) = 0 =⇒λi(v)wi = 0

=⇒ λi(v) = 0(wegen linearer Unabhängigkeit von (w1, . . . , wr)

), ∀v ∈ V. Also sind alle

λi = 0 und damit t = 0. Damit ist T injektiv.(Surjektivität folgt dann aus dim V∗⊗W =

dim Hom(V, W).)

y

(b) Für endlich-dimensionale R-Vektorräume V und W sind kanonisch isomorph:

V∗ ⊗W∗ ∼= Bil(V, W; R) ∼= (V ⊗W)∗.

Die zweite Isomorphie wird hier einfach durch σ 7→ Φσ gegeben(vgl. (4.5)

)und die

erste Isomorphie(ähnlich wie unter (a)

)durch

T(λ⊗ µ)(v, w) = λ(v)µ(w)

für λ ∈ V∗, µ ∈W∗, v ∈ V, w ∈W (Übung).

78

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(4.9) Erinnerung.

(a) Man erinnere sich an die Konstruktion der direkten Summe zweier Vektorräume: FürV und W setze man als Menge V ⊕W := V ×W, versehen diese mit der komponenten-weisen Addition und Skalarmultiplikation

λ · (v, w) := (λv, λw)

für v ∈ V, w ∈W und λ ∈ R. Man hat dann die natürlichenInklusionen i : V → V ⊕W, v 7→ (v, 0) und j : W → V ⊕W, w 7→ (0, w) und das Tripel (V ⊕W, i, j) erfüllt folgendeuniverselle Eigenschaft: Ist (U, α, β) ein (weiteres) solchesTripel, so gibt es genau einen Homomorphismus T : V ⊕W → U mit T i = α und T j = β,

U

V

α

;;wwwwwwwww

i ##GGGGGGGGG W

βccHHHHHHHHH

jwwwwwwwww

V ⊕W

∃! T

OO

pMan setze nämlich T(v, w) = α(v)+ β(w). Das ist wegen T(v, w) = T((v, 0)+ (0, w)

)=

T(v, 0) + T(0, w) = T i(v) + T j(w) = α(v) + β(w) der einzige Kandidat und er istauch tatsächlich linear. y

(b) Man beachte, dass zwar V ⊕W als Vektorraum kanonischisomorph zu V ×W ist. Es erfüllt aber (V ×W, πV , πW) dieuniverselle Eigenschaft eines Produktes: Ist (U, $V , $W) einVergleichstripel, so existiert genau ein HomomorphismusT : U → V ×W mit πV T = $V und πW T = $W ,pNämlich T(u) :=

($V(u), $W(u)

).y (Übung).

V ×WπW

##GGGGGGGGGπV

wwwwwwwww

V W

U$W

;;vvvvvvvvv$V

ccGGGGGGGGG

∃! T

OO

Beachte aber auch, dass für unendlich viele Summanden bzw. Faktoren Vi (i ∈ I) dieSumme und das Produkt auseinanderfallen. Es ist nämlich

∏i∈V

Vi = (vi) : vi ∈ Vi und πj : ∏i∈I

Vi → Vj, (vi)i∈I 7→ vj,

allerdings ⊕i∈I

Vi = (vi)i∈I ∈∏i∈I

Vi : vi = 0, für fast alle i ∈ I

undıj : Vj →

⊕i∈I

Vi, vj 7→ (δijvi)i∈I

(Übung).

(c) Man prüft nun (ohne Mühe) nach, dass z.B. kanonisch isomorph ist:

V ⊗ (W1 ⊕W2) ∼= (V ⊗W1)⊕ (V ⊗W2) (Übung).

(4.10) Kommentar.

(a) Sei nun r ≥ 2. In ganz ähnlicher Weise, wie wir das Studium von bilinearen Abbildungenauf V ×W (für zwei R-Vektorräumen V und W) auf das Studium von linearen Abbil-dung auf V ⊗W zurückgeführt haben, gehen wir auch beim Studium von r-linearenAbbildungen auf V1 × · · · ×Vr (bei Vektorräumen V1, . . . , Vr) vor. Man bildet zunächstwieder den freien Vektorraum F(V1 × · · · ×Vr) über der Menge V1 × · · · ×Vr und teiltdann einen Unterraum U (von Relationen) heraus,

V1 ⊗ · · · ⊗Vr := F(V1 × · · · ×Vr)/U,

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

so dass die kanonische Abbildung s = π i : V1× · · · ×Vr → V1⊗ · · · ⊗Vr(i : V1× · · · ×

Vr → F(V1 × · · · ×Vr) die kanonische Inklusion, π : F(V1 × · · · ×Vr) → V1 ⊗ · · · ⊗Vr

die kanonische Projektion)

(gerade eben) r-linear wird uns setzen natürlich

v1 ⊗ · · · ⊗ vr := s(v1, . . . , vr)

(für v1 ∈ V1, . . . , vr ∈ Vr).

(b) Es erfüllt dann das Paar (V1 ⊗ · · · ⊗Vr, s) die folgende universelle Eigenschaft: Ist (U, σ)

ein Paar, wo U ein Vektorraum und σ : V1 × · · · ×Vr → U r-linear ist, so gibt es genaueinen Homomorphismus T : V1 ⊗ · · · ⊗Vr → S mit T s = σ,

V1 × · · · ×Vrσ

))RRRRRRRRRRRRRRR

s

V1 ⊗ · · · ⊗Vr T=Φσ

∃! //______ U.

Die Abbildung

Φ : Multr(V1, . . . , Vr; U)→ Hom(V1 ⊗ · · · ⊗Vr, U), σ 7→ Φσ

wird dann zu einem kanonischen Isomorphismus.

(c) Es ist auch klar: Ist (ek1, . . . , ek

nk) eine Basis von Vk (k = 1, . . . , r), dann ist

(e1i1 ⊗ · · · ⊗ er

ir)ik=1,...,nkk=1,...,r

Basis von V1 ⊗ · · · ⊗Vr. =⇒ dim(V1 ⊗ · · · ⊗Vr) = dim V1 · · ·dim Vr.

(d) Man setzt⊗r

k=1 Vk := V1 ⊗ · · · ⊗Vr.

(e) Sei r = p + q. Betrachte

σ :p+q

∏j=1

Vj →( p⊗

k=1

Vk

)⊗( p+q⊗

l=p+1

Vl

),

(v1, · · · , vp+q) 7→ (v1 ⊗ · · · ⊗ vp)⊗ (vp+1 ⊗ · · · ⊗ vp+q).

Es ist dann σ (p + q)-linear.

=⇒ ∃T = Φσ :p+q⊗j=1

Vj →( p⊗

k=1

Vk

)⊗( p+q⊗

l=p+1

Vl

)mit T s = σ, also

T(v1 ⊗ · · · ⊗ vp+q) = (v1 ⊗ · · · ⊗ vp)⊗ (vp+1 ⊗ · · · ⊗ vp+q)

=⇒ T ist (kanonischer) Isomorphismus (weil für Basen (ej1, . . . , ej

nj) (j = 1, . . . , p + q)von Vj die induzierte Basis von

⊗p+qj=1 Vj in die induzierte Basis von

⊗pk Vk ⊗

⊗p+ql Vl

übergeht). Insbesondere gilt z.B.:

V1 ⊗ (V2 ⊗V3) ∼= V1 ⊗V2 ⊗V3 ∼= (V1 ⊗V2)⊗V3.

(4.11) Erinnerung.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(a) Ein Tripel (A,+, ·, ∗) heißt eine R-Algebra, wenn (A,+, ∗) ein Ring und (A,+, ·) einR-Vektorraum und für alle λ, µ ∈ R und a, b ∈ A gilt:

λ · (a ∗ b) = (λ · a) ∗ b = a ∗ (λ · b).

(b) Sind A und B R-Algebren, so heißt eine Abbildung Φ : A→ B ein Algebra-Homomor-phismus, wenn Φ sowohl Ring-Homomorphismus als auch Vektorraum-Homomorphis-mus ist.

(4.12) Vorbereitung. Sei V ein Vektorraum, p ∈ N0 und setzen V⊗0 := R und V⊗p =⊗pi=1 V. Sei nun für p, q ∈N0 und Ψ : V⊗p⊗V⊗q → V⊗(p+q) der kanonische Isomorphismus(

d.h. das Inverse zu T aus (4.11,d)). Beachte auch, dass R⊗W →W unter λ⊗ w 7→ λ · w

kanonisch isomorph ist (mit Inversen v 7→ 1⊗ v). Sei s : V⊗p×V⊗q → V⊗p⊗V⊗q kanonisch.Setze nun

⊗ := Ψ s : V⊗p ×V⊗q → V⊗(p+q).

Dann ist ⊗ bilinear und es gilt:

(v1 ⊗ · · · ⊗ vp)⊗ (vp+1 ⊗ · · · ⊗ vp+q) = v1 ⊗ · · · ⊗ vp+q.

(4.13) Definition. Sei V ein R-Vektorraum. Wir versehen

T(V) :=⊕k≥0

V⊗k

mit der Struktur einer R-Algebra, indem wir die Bilinearformen aus (4.12) bilinear auf ganzT(V) ausdehnen:

T =p

∑k=0

Tk mit Tk ∈ V⊗k, S =q

∑l=0

Sl mit Sl ∈ V⊗l

T ⊗ S :=p+q

∑j=0

(∑

k+l=jTk ⊗ Sl︸ ︷︷ ︸∈V⊗j

), T(V)× T(V)→ T(V).

(4.14) Kommentar.

(a) T(V) wird damit tatsächlich zu einer R-Algebra, die i.A. nicht kommutativ ist:

• dim V = 0 =⇒ T(V) ∼= R,

• dim V = 1 =⇒ T(V) ∼= R[X],

• ist dim V ≥ 2, so gilt für (v, w) linear unabhängig:

v⊗ w 6= w⊗ v (Übung).

(b) Betrachte die natürliche Inklusion

i : V → T(V) = R⊕V ⊕ (V ⊗V)⊕ · · · , i(v) = v,

die V mit V⊗1 ⊆ T(V) identifiziert.

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(4.15) Bemerkung. Das Paar(T(V), i

)erfüllt folgende universelle Eigenschaft: Ist (A, j)

ein weiteres Paar, so gibt es genau einen Algebra-Homomorphismus Φ : T(V) → A mitΦ i = j,

V

i

j

""EEEEEEEEE

T(V)Φ∃! //___ A.

Beweis. Eindeutigkeit. T(V) wird von V = i(V) ⊆ T(V) als Algebra erzeugt. Daher gibt esnur einen Kandidaten für Φ, nämlich

Φ(v1 ⊗ · · · ⊗ vp) = j(v1) · · · j(vp).

Existenz. Für jedes p ∈ N0 ist Φp : V⊗p → A nach der universellen Eigenschaft von V⊗p

durchΦp(v1 ⊗ · · · ⊗ vp) = j(v1) · · · j(vp)

wohldefiniert (und linear). Nach der universellen Eigenschaft der Summe existiert eineindeutiges Φ :

⊕p≥0 V⊗p → A mit Φ ip = Φp, wo ip : V⊗p → T(V) die natürliche

Inklusion auf den Summanden vom Grad p ist.Definition der Ringstruktur auf T(V) =⇒ Φ(V) Ringhomomorphismus =⇒ Φ ist Algebra-

Homomorphismus.

(4.16) Definition.

(a) Sei A eine R-Algebra. Eine Familie von Unterräumen Ap ⊆ A, p ∈ Z, heißt eineZ-Graduierung auf A, wenn

A =⊕p∈Z

Ap

ist und für alle p, q ∈ Z gilt:Ap · Aq ⊆ Ap+q.

Eine Algebra mit Z-Graduierung(

A, (Ap)p∈Z

)heißt eine graduierte Algebra.

(b) Ein Algebra-Homomorphismus Φ : A → B zwischen graduierten Algebren A und Bheißt graduiert, wenn Φ(Ap) ⊆ Bp ist, für alle p ∈ Z.

(4.17) Kommentar.

(a) Ist V ein R-Vektorraum, so ist T(V) offenbar eine graduierte (assoziative) R-Algebramit Eins mit

Tp(V) := T(V)p = V⊗p

für p ≥ 0 und Tp(V) = (0) für p < 0.

(b) Ist I ⊆ A (A eine R-Algebra) ein zweiseitiges Ideal, d.h. ein Unterraum mit A · I ⊆ Iund I · A ⊆ I, so trägt der Quotientenraum Q := A/I wieder eine Algebra-Strukturvermöge

(a + I)(b + I) := ab + I.

Die kanonische Projektion π : A→ Q = A/I hat dann eine naheliegendeuniverselle Eigenschaft (mit ker f ⊇ I).

Af

!!CCCCCCCC

π

A/IΦ∃! //___ B

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(c) Ist I ⊆ A zweiseitiges Ideal und A durch (Ap)p∈Z graduiert, so nennen wir I homogen,wenn für jedes a ∈ I, a = ∑p∈Z ap die homogene Zerlegung, gilt: ap ∈ I, ∀p ∈ Z. MitIp := I ∩ Ap gilt dann:

I =⊕p∈Z

Ip.

Behauptung. Betrachte

Apip //

πp

A

π

Qp := Ap/Ipjp

∃! //______ A/I = Q

Da π ip|Ip = 0 (da Ip ⊆ I) existiert eindeutig jp : Qp → Q mit jp πp = π ip.

Behauptung.

(i) jp ist injektiv;

(ii) Q =⊕

jp(Qp);

(iii)(

jp(Qp))

p∈Zist ein Graduierung von Q

(Übung). =⇒ π ist graduiert.

(4.18) Vorbereitung. Sei V ein Vektorraum, T(V) seine Tensoralgebra und I das 2-seitigeIdeal in T(V), dass von allen Elementen v⊗ v ∈ V⊗2 = T2(V), mit v ∈ V, erzeugt wird,

I = r

∑k=1

sk ⊗ vk ⊗ vk ⊗ tk : r ∈N0, sk, tk ∈ T(V), vk ∈ V, k = 1, . . . , r

=⇒ I ist homogen.

(4.19) Definition. Sei V ein R-Vektorraum, T(V) seine Tensoralgebra und I ⊆ T(V) dasin (4.18) definierte, zweiseitige, homogene Ideal. Man nennt dann

Λ(V) := T(V)/I

die Grassmann-Algebra über V (oder auch die äußere Algebra über V). Für jedes p ∈N0

heißtΛp(V) := Tp(V)/Ip

das p-fache äußere Produkt. Es gilt

Λ(V) =⊕p≥0

Λp(V),

und man notiert die Restklasse mit (sei π : T(V)→ Λ(V) die kanonische Projektion)

v1 ∧ · · · ∧ vp := π(v1 ⊗ · · · ⊗ vp).

(4.20) Kommentar.

(a) Für die Multiplikation in Λ(V) benutzen wir das Symbol ∧ („Dach“). Es ist also (vgl. ⊗bei der Tensoralgebra):

(v1 ∧ · · · ∧ vp) ∧ (vp+1 ∧ · · · ∧ vp+q) = π(v1 ⊗ · · · ⊗ vp) ∧ π(vp+1 ⊗ · · · ⊗ vp+q)

=π Ringhom.

π((v1 ⊗ · · · ⊗ vp)⊗ (vp+1 ⊗ · · · vp+q)

)= π(v1 ⊗ · · · ⊗ vp+q) = v1 ∧ · · · ∧ vp+q

(lasse also Klammern häufig weg).

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(b) Seien nun sp : Vp → Tp(V) und πp : Tp(V)→ Λp(V) die kanonischen Abbildung. Dannsetzen wir ωp : = πp sp : Vp → Λp(V), also

ωp(v1, . . . , vp) = v1 ∧ · · · ∧ vp.

=⇒ ωp ist p-linear.

(4.21) Bemerkung. ωp : Vp → Λp(V) ist alternierend.

Beweis.

0 = . . . ∧ (v + w) ∧ (v + w) ∧ . . .

= . . . ∧ v ∧ v ∧ . . .︸ ︷︷ ︸=0

+ . . . ∧ v ∧ w ∧ . . . + . . . ∧ w ∧ v ∧ . . . + . . . ∧ w ∧ w ∧ . . .︸ ︷︷ ︸=0

=⇒ ω(. . . , v, w, . . . ) = −ω(. . . , w, v, . . . ).

(j− i− 1)-maliges Anwenden davon =⇒ ∀1 ≤ i < j ≤ p, ∀v ∈ V:

ω(. . . , v︸︷︷︸i-te

, . . . , v︸︷︷︸j-te

, . . . ) = (−1)j−i−1ω(. . . , v︸︷︷︸j−1-te

, v︸︷︷︸j-te

, . . . ) = 0.

(4.22) Bemerkung. Das Paar (ΛpV, ωp) erfüllt folgende universelle Eigenschaft: Ist Uein Vektorraum und h : Vp → U p-linear und alternierend, so existiert genau ein linearesΦ : Λp(V)→ U mit Φ ωp = h,

Vp

h

""EEEEEEEE

ωp

ΛpV Φ

∃! //___ U.

Beweis. Eindeutigkeit. (v1 ∧ · · · ∧ vp)v1,...,vp∈V ist erzeugend für Λp(V) (da kanonische Pro-jektion πp : Tp(V)→ Λp(V) surjektiv ist). =⇒ Es gibt nur einen Kandidaten für Φ, nämlich

Φ(v1 ∧ · · · ∧ vp) = h(v1, . . . , vp).

Existenz. Da h p-linear ist ∃Φ : Tp(V)→ U mit Φ sp = h. Da

Φ(· · · ⊗ v⊗ v⊗ · · · ) = h(. . . , v, v, . . . ) = 0 (=⇒ Φ|Ip = 0).

ist, ∀v ∈ V =⇒ ∃Φ : Λp(V)→ U mit Φ πp = Φ.

Vp

h

""FFFFFFFFF

sp

ωp

!!

Tp(V)Φ //___

πp

U

Λp(V)

Φ

<<yy

yy

y

Mit ωp = πp sp folgt:Φ ωp = Φ πp sp = Φ sp = h.

(4.23) Kommentar.

(a) Beachte auch hier, dass ωp i.a. weder injektiv noch surjektiv ist, z.B. ω(. . . , v, v, . . . ) =0, ∀v ∈ V und für (v1, . . . , v4) linear unabhängig in V (also dim V ≥ 4) ist v1 ∧ v2 + v3 ∧v4 nicht im Bild von ωp (Übung).

(b) Ist I ⊆ 1, . . . , n eine p-elementige Teilmenge (0 ≤ p ≤ n) und I = i1, . . . , ip mit1 ≤ i1 < i2 < · · · < ip ≤ n, so schreiben wir:

vi1 ∧ · · · ∧ vip =: vI

(für p = 0: v∅ := 1 ∈ Λ0(V) = R).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(4.24) Lemma. Sei (e1, . . . , en) Basis von V, U ein Vektorraum und für jede Teilmenge I ⊆1, . . . , n mit p Elementen sei uI ∈ U beliebig. Dann gibt es genau ein p-lineares, alternierendesh : Vp → U mit

h(ei1 , . . . , eip) = uI(mit I = i1, . . . , ip und i1 < i2 < · · · < ip

).

Beweis. Sei (i1, . . . , ip) ein p-Tupel mit ik ∈ 1, . . . , n (k = 1, . . . , p) =⇒ ∃! h : Vp → Up-linear mit

h(ei1 , . . . , eip) =

0 falls ik = il für ein (k, l) mit k 6= l,

sgn(σ)uIfalls I = i1, . . . , ip p Elemente hat und σ ∈ Sp so ist,dass (iσ1, . . . , iσp) geordnet ist.

Nun prüfe nach, dass h tatsächlich alternierend ist. Z.B. für p = 2 und v = λiei ist

h(v, v) =n

∑i=1

(λi)2 h(ei, ei)︸ ︷︷ ︸=0

+ ∑1≤i<j≤n

λiλj(h(ei, ej) + h(ej, ei)︸ ︷︷ ︸=0

)= 0.

(Eindeutigkeit auch klar).

(4.25) Proposition.

(a) Sei (e1, . . . , en) eine Basis von V und p ∈ N0. Dann ist (eI)I eine Basis von ΛpV. Hierbeidurchläuft I die Menge aller p-elementigen Teilmengen von 1, . . . , n.

(b) Ist dim V = n, so gilt: Λp(V) = (0) für p > n und für 0 ≤ p ≤ n gilt:

dim Λp(V) =

(np

).

(4.26) Korollar. Ist V endlich dimensional, so auch Λ(V). Genauer: Ist dim V = n, so istdim Λ(V) = 2n.

Beweis. Mit dem Binomischen Lehrsatz ist wegen Λ(V) =⊕

p≥0 Λp(V) =⊕n

i=0 Λp(V):

dim Λ(V) =n

∑p=0

dim Λp(V)(b)=

n

∑p=0

(np

)1p · 1n−p = (1 + 1)n = 2n.

Beweis von (4.25). Da (ei1 ⊗ · · · ⊗ eip)1≤i1,...,ip≤n Tp(V) erzeugend ist, ist es auch (ei1 ∧ · · · ∧eip)1≤i1,...,ip≤n Λp(V). Ist aber ik = il für k 6= l, so ist ei1 ∧ · · · ∧ eik ∧ · · · ∧ eil ∧ · · · ∧ eip = 0und ist σ ∈ Sp, so ist

eiσ1 ∧ · · · ∧ eiσp = sgn(σ)ei1 ∧ · · · ∧ eip

=⇒ (eI) = (ei1 ∧ · · · ∧ eip)1≤i1<i2<···<ip≤n erzeugt ΛpV. Für I ⊆ 1, . . . , n p-elementig seihI : Vp → R die alternierende p-Form mit

hI(ej1 , . . . , ejp) = δIJ ,

wenn J = j1, . . . , jp und (j1, . . . , jp) geordnet ist(vgl. (4.24)

). Sei ΦI : Λp(V) → R linear

mit ΦI ωp = hI (universelle Eigenschaft von (ΛpV, ωp))=⇒ ΦI(eJ) = δI

J . Ist nun

∑J

λJeJ = 0 =⇒ 0 = ΦI(λJeJ) = λJ ΦI(eJ)︸ ︷︷ ︸=δI

J

= λI .

Also ist (eI) auch linear unabhängig =⇒ (a) und (b) ist dann klar.

85

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(4.27) Vorbereitung.

(a) Erinnere, dass Tp(V∗) ∼=(Tp(V)

)∗ kanonisch(nämlich zu Multp(V; R)

).

Frage: Ist auch Λp(V∗) ∼=(Λp(V)

)∗ kanonisch?

(b) Erinnere: Eine Bilinearform 〈 , 〉 : V ×V → R heißt nicht-entartet, wenn gilt:

(i) ist 〈v, w〉 = 0, ∀w ∈ V =⇒ v = 0,

(ii) ist 〈v, w〉 = 0, ∀v ∈ V =⇒ w = 0.

(4.28) Lemma. Für eine Bilinearform 〈 , 〉 : V ×W → R setzen wir Φ : V →W∗ und Ψ : W →V∗ fest durch

Φ(v)(w) = 〈v, w〉, Ψ(w)(v) = 〈v, w〉.

Dann gilt: Ist 〈 , 〉 nicht entartet und V, W endlich dimensional, so sind Φ und Ψ Isomorphismen.

Beweis. Nicht-Entartung von 〈 , 〉 bedeutet Injektivität von Φ und Ψ

=⇒ dim V∗ ≥ dim W = dim W∗ ≥ dim V = dim V∗,

also dim V = dim W. =⇒ Φ, Ψ Isomorphismen.

(4.29) Vorbereitung. Sei V ein Vektorraum und p ∈N0. Betrachte dann

s : Vp × (V∗)p → R, s((v1, . . . , vp), (α1, . . . , αp)

)= det

(〈vk, αl〉

)k,l

wo wir mit 〈 , 〉 : V ×V∗ → R die natürliche Paarung

〈v, α〉 := α(v)

bezeichnen.=⇒ s ist p-linear und alternierend in Vp und selbiges in (V∗)p. Sind ω

pV : Vp → Λp(V)

und ωpV∗ : (V∗)p → Λp(V∗) die kanonische Abbildungen, so existiert genau eine Paarung

〈 , 〉 : ΛpV ×Λp(V∗)→ R

mit 〈 , 〉 (ωpV ×ω

pV∗) = s, also

〈v1 ∧ · · · ∧ vp, α1 ∧ · · · ∧ αp〉 = det(〈vk, αl〉

)k,l .

(4.30) Bemerkung. Die obige natürliche Paarung zwischen ΛpV und Λp(V∗) ist nichtentartet.

(4.31) Kommentar. Es sind also Λp(V∗) und(Λp(V)

)∗ kanonisch isomorph.

Beweis. Klar, denn Ψ : Λp(V∗)→(Λp(V)

)∗ mit

Ψ(ω)(τ) = 〈τ, ω〉, τ ∈ Λp(V), ω ∈ Λp(V∗)

ist ein kanonischer Isomorphismus.

Beweis von (4.30). Sei (e1, . . . , en) Basis von V und (γ1, . . . , γn) duale Basis von V∗. FürI, J ⊆ 1, . . . , n p-elementig ist dann

〈eI , γJ〉 = δJI ,

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

denn für I 6= J gibt es eine Nullzeile (und auch Nullspalte) in der p× p-Matrix(〈eik , γjl 〉

)(mit 1 ≤ k, l ≤ p). Für I = J ist dagegen dies die Einheitsmatrix.

Ist nun τ ∈ ΛpV beliebig =⇒ ∃λI ∈ R : τ = λIeI . Sei 〈τ, ω〉 = 0, ∀ω ∈ Λp(V∗),insbesondere für ω = γJ .

=⇒ 0 = 〈τ, γJ〉 = λI 〈eI , γJ〉︸ ︷︷ ︸δJ

I

= λJ , ∀J =⇒ τ = 0.

Ähnlich im zweiten Argument.

(4.32) Kommentar. Bezeichnen wir mit

Altp(V) := ω : Vp → R : ω ist p-linear und alternierend ⊆ Multp(V),

so haben wir nun die kanonische Isomorphismen:

Altp(V) ∼=U.E.

(ΛpV)∗ ∼=(4.31)

Λp(V∗).

Jede p-Form ω ∈ Λp(V∗) kann man also als alternierende p-Linearform auf V auffassenund umgekehrt:

α1 ∧ · · · ∧ αp(v1, . . . , vp) = det(〈vi, αj〉

)ij.

(4.33) Definition. Sei V ein R-Vektorraum mit dim V < ∞. Für p, q ∈N0 setzt man

T(p,q)(V) := Tp(V)⊗ Tq(V∗)

und nennt die Elemente von T(p,q)(V) Tensoren der Stufe (p, q). (auch: p-fach kontravariantund q-fach covariant).

T(V)⊗ T(V∗) :=⊕

p,q∈N

T(p,q)(V)

heißt die erweiterte Tensoralgebra von V.

(Übung: Definiere eine Algebra-Struktur auf dem Tensorprodukt von zwei AlgebrenA⊗ B und beweise eine universelle Eigenschaft.)

(4.34) Kommentar. Wegen der kanonischen Isomorphie von V und V∗∗, v 7→(α 7→ 〈v, α〉

)ist nun kanonisch Isomorph (vgl. Übung)

T(p,q)(V) = Tp(V)⊗ Tq(V∗) ∼= Tq(V∗)⊗ Tp(V) ∼= Tq(V∗)⊗ Tp(V∗∗)∼= Tq(V)∗ ⊗ Tp(V∗)∗ ∼=

(Tq(V)⊗ Tp(V∗)

)∗ ∼= Multp+q(Vq × (V∗)p),

d.h.: Jedes T ∈ T(p,q) kann als (p + q)-lineare Abbildung von Vq × (V∗)p nach R aufgefasstwerden.

(4.35) Vorbereitung.

(a) Ist 〈 , 〉 : V ×V∗ → R die kanonische Paarung

V ×V∗〈 , 〉 //

R V ×V∗(v,α) 7→(w 7→α(w)v) //

End(V)

V ⊗V∗∃! tr

;;xx

xx

xV ⊗V∗

T

44iiiiiiiii

so sei tr : V ⊗ V∗ → R die induzierte linear Abbildung. Ist S : End(V) → V ⊗ V∗

der kanonische Isomorphismus(vgl. (4.8,a)

), so ist tr S : End(V) → R, tr S = spur

(Übung).

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(b) Sei nun p, q ∈N0 und 1 ≤ k ≤ p, 1 ≤ l ≤ q. Betrachte

slk : Vp × (V∗)q → T(p−1,q−1)(V)

mit

slk(v1, . . . , vp, α1, . . . , αq) = 〈vk, αl〉 v1 ⊗ · · · ⊗ vk ⊗ · · · ⊗ vp ⊗ α1 ⊗ · · · ⊗ αl ⊗ · · · ⊗ αq

(wo „ ˆ. . .“ meint, dass dieser Eintrag fehlt).

(4.36) Definition. Für 1 ≤ k ≤ p und 1 ≤ l ≤ q wie eben, nennen wir die von slk induzierte

Abbildungtrl

k : T(p,q)(V)→ T(p−1,q−1)(V)

die Verjüngung der (p, q)-Tensoren im k Faktor V und l Faktor V∗.

(4.37) Vorbereitung.

(a) Sei V ein R-Vektorraum und (e1, . . . , en) eine Basis. Sei (γ1, . . . , γn) die dazu duale Basisvon V∗ und p, q ∈ N0. Ist T ∈ T(p,q)(V), so existieren eindeutig bestimmte Elementeξ

i1,...,ipj1,...,jp

∈ R, so dass gilt:

T = ξi1,...,ipj1,...,jq ei1 ⊗ · · · ⊗ eip ⊗ γj1 ⊗ · · · ⊗ γjq .

ξ ij = ξ

i1,...,ipj1,...,jq mit i = (i1, . . . , ip), j = (j1, . . . , jq) heißen die Koordinaten von T bzgl.

(e1, . . . , en).

(b) Sei nun ( f1, . . . , fn) eine weitere Basis und A, B ∈ Gln(R) die Basiswechselmatrizen:A = (ai

j), B = (bij)

f j = aijei, ej = bi

j fi,

also B = A−1, bzw. bija

jk = δi

k, aijb

jk = δi

k.

Es ist dann für die duale Basis (δ1, . . . , δn) von ( f1, . . . , fn). δi = bijγ

j, γi = aijδ

j. Dann:

bijγ

j( fk) = bijγ

j(alkel) = bi

jalk γj(el)︸ ︷︷ ︸

=δjl

= bija

jk = δi

k = δi( fk), ∀k

=⇒ bijγ

j = δi (∀i) (=⇒ γi = δijγ

j = aikbk

j γj = aikδk).

Beachte: Ist v ∈ V mit ξ iei = v = η j f j

=⇒ η j = δj(v) = bjkγk(v) = bj

kξk =⇒ η = Bξ.

Ist α ∈ V∗ mit ξiγi = α = ηjδ

j

=⇒ η j = α( f j) = aijα(ej) = ai

jξi = ξiaij =⇒ ηt = ξt A =⇒ η = Atξ.

(4.38) Bemerkung. Sei V, (e1, . . . , en), ( f1, . . . , fn) wie oben und (γ1, . . . , γn), (δ1, . . . , δn)

dual dazu. Sei p, q ∈N0, T ∈ Tp,q(V) und

T = ξi1,...,ipj1,...,jq ei1 ⊗ · · · eip ⊗ γj1 ⊗ · · · ⊗ γjq = η

k1,...,kpl1,...,lq

fk1 ⊗ · · · ⊗ fkp ⊗ δl1 ⊗ · · · ⊗ δlq .

Ist dann A = (aij) mit f j = ai

jei und B = A−1 = (bij), so gilt:

ηk1,...,kpl1,...,lq

= bk1i1· · · bkp

ipξ

i1,...,ipj1,...,jq aj1

l1· · · ajq

lq.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Beweis. Kürze für i = (i1, . . . , ip) usw. ab

ei := ei1 ⊗ · · · ⊗ eip , fk := fk1 ⊗ · · · ⊗ fkp

γj := γj1 ⊗ · · · ⊗ γjq , δl := δl1 ⊗ · · · ⊗ δlq

bki := bk1

i1· · · bkp

ip, ηk

l := aj1l1· · · ajq

lq

ξ ij := ξ

i1,...,ipj1,...,jq , ηk

l := ηk1,...,kpl1,...,lq

=⇒ ei = bki fk, γj = aj

lδl

=⇒ ηkl fk ⊗ δl = T = ξ i

jei ⊗ γj = ξ ijb

ki aj

l fk ⊗ δl

=⇒ (Koeff.-Vergleich) γkl = bk

i ξ ija

jl .

(4.39) Kommentar.

(a) Für p = q = 1 ergibt sich für T ∈ V ⊗V∗ ∼= End(V) das bekannte Verhalten:

η = A−1ξ A,

für p = 0 und q = 2 für T ∈ V∗ ⊗V∗ ∼= Bil(V)

η = Atξ A (Übung).

(4.40) Vorbereitung. Sei dim V = n, 0 ≤ p ≤ n, (e1, . . . , en), ( f1, . . . , fn) Basen von V mitTransformationsmatrix A = (ai

j), also f j = aijei. Für die dualen Basen (γ1, . . . , γn), (δ1, . . . , δn)

ist dann γi = aijδ

j. Sei nun ω ∈ Λp(V∗) und

ω = ξ IγI = ηJδ

J ,

wo I bzw. J alle p-elementige Teilmengen von 1, . . . , n durchläuft.Frage. Wie transformieren sich (ξ I) und (ηJ)? Dazu:

γI = γi1 ∧ · · · ∧ γip = ai1j1· · · aip

jpδj1 ∧ · · · ∧ δjp

= ∑1≤j1<···<jp≤n

(∑

σ∈Sp

ai1jσ(1)· · · aip

jσ(p)δjσ(1) ∧ · · · ∧ δjσ(p)

)= ∑

1≤j1<···<jp≤n

(∑

σ∈Sp

sgn(σ)ai1jσ1· · · aip

jσp

)δj1 ∧ · · · ∧ δjp = det(AI

J)δJ ,

wo AIJ die (p× p)-Teilmatrix von A mit den Zeilen i1, . . . , ip und den Spalten j1, . . . , jp ist.

det(AIJ) heißt dann der IJ-Minor von A.

(4.41) Bemerkung. Sei V, (e1, . . . , en), ( f1, . . . , fn) wie oben und (γ1, . . . , γn), (δ1, . . . , δn)

dual dazu. Ist ω ∈ Λp(V∗) (0 ≤ p ≤ n) und

ω = ξ IγI = ηJδ

J ,

so gilt für alle J:ηJ = det(AI

J)ξ I .

Beweis. Es istηJδ

J = ω = ξ IγI = det(AI

J)δJ .

=⇒ Koeffizienten Vergleich: ηJ = det(AIJ)ξ I .

89

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(4.42) Definition. Seien n, k ∈N0, Mn und En+k glatte Mannigfaltigkeiten und π : E→ Mglatt. Eine (Vektor-) Bündelkarte von πππ ist ein Diffeomorphismus ϕ : π−1(U) → U ×Rk,wo U ⊆ M offen ist, so dass für die Projektion pr1 : U ×Rk → U gilt: pr1 ϕ = π|π−1(U),

π−1(U)ϕ //

π|π−1(U)

U ×Rk.

pr1xxrrrrrrrrrrr

U

(4.43) Kommentar.

(a) Jedes p ∈ U ist damit ein regulärer Wert von π, denn für alle ξ = π−1(p) ist

Dπξ = D(pr1)ϕ(ξ) Dϕξ

Dϕξ ist ein Isomorphismus und D(pr1)ϕ(ξ) ist surjektiv, und damit π−1(p) ⊆ E eineUntermannigfaltigkeit der Codimension n, also der Dimension k.

(b) Es ist dannϕp : π−1(p)→ Rk, ϕp := pr2 ϕ|π−1(p)

ein Diffeomorphismus, insbesondere also π−1(p) 6= ∅ und damit π|π−1(U) : π−1(U)→U surjektiv, denn

Rk → π−1(p), y 7→ ϕ−1(p, y)

ist offenbar invers zu ϕp (und glatt), weil:

ϕp ϕ−1(p, y) = pr2 ϕ ϕ−1(p, y) = y = 1(y)

und

ϕ−1(p, ϕp(ξ))= ϕ−1(p, pr2 ϕ(ξ)

)= ϕ−1(π(ξ), pr2

(ϕ(ξ)

))= ϕ−1(pr1(ϕ(ξ)), pr2(ϕ(ξ))

)= ϕ−1(ϕ(ξ)

)= ξ = 1(ξ)

ist.

(4.44) Definition. Seien Mn, En+k und π : E→ M wie oben. Eine Familie von Bündelka-rten A =

(ϕi : π−1(Ui)→ Ui ×Rk)

i∈I heißt ein (Vektor-) Bündelatlas für π, wenn (Ui) eineoffene Überdeckung von M ist und für jedes Paar (i, j) ∈ I × I (mit Ui ∩Uj 6= ∅) gilt: Istp ∈ Ui ∩Uj, so ist der Diffeomorphismus

(ϕi)p (ϕj)−1p : Rk → Rk

sogar linear.

(4.45) Kommentar.

(a) Identifizieren wir die Automorphismen von Rk,

Aut(Rk) = T : Rk → Rk : T ist linear Diffeomorphismus ⊆ Diff(Rk)

vermöge der kanonischen Basis (e1, . . . , ek) von Rk mit Glk(R), so ist also

ϕij(p) := (ϕi)p (ϕj)−1p ∈ Aut(Rk) ∼= Glk(R)

für jedes p ∈ Ui ∩Uj eine invertierbare k× k-Matrix.

90

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Es ist dann der Übergang

(Ui ∩Uj)×Rk = ϕj(π−1(Ui ∩Uj)

)→ ϕi

(π−1(Ui ∩Uj)

)= (Ui ∩Uj)×Rk

(p, y) 7→ ϕi ϕ−1j (p, y)

gegeben durch(p, y) 7→

(p, ϕij(p) · y

),

dennpr1 ϕi ϕ−1

j (p, y) = π ϕ−1j (p, y) = pr1(p, y) = p

und

pr2 ϕi ϕ−1j (p, y) = (ϕi)p ϕ−1

j (p, y) = (ϕi)p (ϕj)−1p (y) = ϕij(p) · y.

Damit ist die Abbildung

ϕij : Ui ∩Uj → Glk(R)(⊆ Matk(R) ∼= Rk2)

, p 7→ ϕij(p)

sicher glatt, weil sich jeder (r, s)-Eintrag von ϕij (1 ≤ r, s ≤ k) schreiben lässt als(ϕij(p)

)rs =

⟨er, pr2 ϕi ϕ−1

j (p, es)⟩

(wo 〈 , 〉 das kanonische Skalarprodukt auf Rk sei

).

(c) Die Mitglieder der Familie (ϕij : Ui ∩Uj → Glk(R)

)i,j∈I

heißen dann die Übergangsfunktionen des Atlas A.

(4.46) Definition. Sei π : E→ M wie oben.

(a) Zwei Bündelatlanten A = (ϕi)i∈I und B = (ψj)j∈J heißen äquivalent, wenn auchC := (ϕi, ψj)i∈I, j∈J noch ein Bündelatlas ist.

(b) Eine Äquivalenzklasse c = [A] von Bündelatlanten nennen wir eine (Vektor-) Bündel-struktur auf πππ.

(c) Ein Paar (π, c), bestehend aus einer glatten Abbildung π : E → M und einer Bündel-struktur c = [A] heißt ein (glattes) Vektor-(raum)-Bündel vom Rang k über M.

(4.47) Kommentar.

(a) Ist π : E→ M ein (glattes) Vektorbündel über M (und die Struktur c wird nicht mehreigens notiert), so ist π insbesondere surjektiv und eine Submersion

(vgl. (4.43)

)und

jede Faser Ep := π−1(p) ist diffeomorph zu Rk.

(b) Man kann nun aber auf jeder Faser Ep ⊆ E (p ∈ M) die Struktur eines k-dimensionalen(reellen) Vektorraums wie folgt einführen: Man wähle einen Repräsentanten A derBündelstruktur c, darin ein Mitglied ϕ : π−1(U)→ U ×Rk mit p ∈ U und definiere mitHilfe des induzierten Diffeomorphismus ϕp : Ep → Rk:

ξ +ϕ η := ϕ−1p(

ϕp(ξ) + ϕp(η)), λ ·ϕ ξ := ϕ−1

p(λ · ϕp(ξ)

)91

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

Abbildung 4.1.: Möbiusband mit Seele (dunkel)

für ξ, η ∈ Ep und λ ∈ R. Weil für eine weitere Bündelkarte ψ : π−1(U) → U ×Rk mitp ∈ U (aus einem weiteren Atlas) der Übergang ψp ϕ−1

p : Rk → Rk linear ist, ist dieseDefinition unabhängig von der gewählten Karte:

ξ +ψ η = ψ−1p(ψp(ξ) + ψp(η)

)= ψ−1

p(ψp ϕ−1

p ϕp(ξ) + ψp ϕ−1p ϕp(η)

)=

ψpϕ−1p linear

ψ−1p

(ψp ϕ−1

p(

ϕp(ξ) + ϕp(η)))

= ϕ−1p(

ϕp(ξ) + ψp(η))= ξ +ϕ η

(und ähnlich für λ · ξ).

(c) Es ist also E =⊔

p∈M Ep1 ein „Bündel von Vektorräumen über M“, zusammen mit

einer Mannigfaltigkeit-Struktur derart, dass dieses Bündel lokal trivial ist in dem Sinne,dass jeder Punkt p ∈ M eine offene Umgebung U besitzt, so dass EU := π−1(U)

diffeomorph zu U ×Rk ist (mit einem Diffeomorphismus ϕ : EU → U ×Rk, der zudempr1 ϕ = π|EU erfüllt und ϕp = pr2 ϕ|Ep : Ep → Rk ein Isomorphismus ist).

(d) Erwähnt sei aber bereits hier, dass E i.a. nicht global trivial sein muss, in dem Sinne, dasses einen Diffeomorphismus Φ : E→ M×Rk (mit pr1 Φ = π und Φp = pr2 Φ|Ep : Ep →Rk Isomorphismus) gibt. Z.B. ist das Möbiusband (genaue Definition später) E mit derProjektion π : E→ S1 auf seine „Seele“, ein Geradenbündel (d.h.: ein Vektorraumbün-del vom Rang 1) über S1, welches nicht bündel-isomorph

(vgl. (4.48)

)(und auch nicht

diffeomorph) zum Zylinder S1 ×R (mit π = pr1) ist.

(4.48) Definition. Sei Mn eine glatte Mannigfaltigkeit und π1 : E1 → M und π2 : E2 → MVektorbündel über M.

(a) Eine glatte Abbildung Φ : E1 → E2 mit π2 Φ = π1 heißt ein (Bündel-) Homomorphis-mus, wenn für jedes p ∈ M die induzierte Abbildung

Φp : (E1)p → (E2)p

linear bzgl. der Vektorraumstrukturen von (E1)p und (E2)p ist.

(b) Ein Homomorphismus Φ : E1 → E2 heißt ein (Bündel-) Isomorphismus, wenn es einenHomomorphismus Ψ : E2 → E1 mit

Ψ Φ = 1E1 , Φ Ψ = 1E2 .

E1 und E2 heißen isomorph, E1∼= E2, wenn es einen Isomorphismus Φ : E1 → E2 gibt.

1⊔

bezeichnet die disjunkte Vereinigung.

92

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(4.49) Beispiel. Sei Mn glatte Mannigfaltigkeit und k ∈N. Beachte die Produkt-MannigfaltigkeitE := M×Rk, π = pr1 : E → M. Dann ist π glatt und ϕ : E → M×Rk, ϕ = 1, eine Bün-delkarte

(auf ganz E = π−1(M)

)mit pr1 ϕ = π. Der Atlas A = (ϕ), der nur aus der Karte

ϕ besteht, macht dann π : E→ M zu einem Vektorbündel vom Rang k über M. Wir notierendieses Vektorbündel mit Rk (wenn die Basis-Mannigfaltigkeit M klar ist).

Ein Vektorbündel π : E→ M vom Rang k heißt trivial, wenn E ∼= Rk ist.

(4.50) Beispiel (wichtig). Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit der Dimension n und

TM = ∑p∈M

TMp mit π : TM→ TM, π(ξ) = p⇐⇒ ξ ∈ TMp

ihr Tangentialbündel. Wir versehen nun π : TM→ M nach und nach mit einer Vektorbündel-Struktur.

(a) Sei ϕ : U → V ⊆ Rn eine Karte (aus einem differenzierbaren Atlas A) von M. Für jedesξ ∈ π−1(U) ⊆ TM gibt es genau einen Vektor y = (y1, . . . , yn) ∈ Rk, so dass

(mit

ϕ = (x1, . . . , xn))

gilt: ξ = yj ∂∂xj |p

(mit p := π(ξ)

), nämlich

yj = dxj|p(ξ).

Es ist

ϕ : π−1(U)→ U ×Rn, ϕ(ξ) :=(π(ξ), dx1|π(ξ)(ξ), . . . , dxn|π(ξ)(ξ)

)eine Bijektion und damit auch

ϕ : = (ϕ× 1) ϕ : π−1(U)→ V ×Rn ⊆ R2n

(und V ×Rn ⊆ R2n ist offen).

(i) Man definiere nun eine Teilmenge U ⊆ M := TM als offen, wenn für alle Kartenϕ : U → V ⊆ Rn (aus einem Atlas A von M) gilt, dass

ϕ(U ∩ π−1(U)

)⊆ U ×Rn

offen ist. Das macht M zu einem topologischen Raum, der Hausdorffsch und vonabzählbarer Topologie ist (und diese Topologie ist unabhängig von der Wahl vonA). Die Bijektionen ϕ (ϕ Mitglied in A) werden damit zu Homöomorphismenund damit M

(vermöge der Homöomorphismen ϕ : π−1(U)→ V ×Rn) zu einer

topologischen Mannigfaltigkeit der Dimension 2n.

(ii) Sei A = (ϕα : Uα → Vα)α∈I nun ein differenzierbarer Atlas von M. Dann ist auch

A =(

ϕα : π−1(Uα)→ Vα ×Rn)α∈I

ein differenzierbarer Atlas von M, denn ist p ∈ Uα ∩Uβ (mit α, β ∈ I), so ist fürein ξ ∈ π−1(p) ⊆ π−1(Uα ∩Uβ) = π−1(Uα) ∩ π−1(Uβ).

ξ = ykα

∂xkα

= ylβ

∂xlβ

und

ykα =

∂xkα

∂xlβ︸︷︷︸

=(Jac(ϕαβ)(xβ))kl

·ylβ

(mit xβ = ϕβ(p)

).

93

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

Ist also xα = ϕα(p), xβ = ϕβ(p) und damit xα = ϕαβ(xβ) für die glatten Übergängeϕαβ = ϕα ϕ−1

β von A, so ist

ϕα ϕβ(xβ, yβ) =(

ϕαβ(xβ),(Jac(ϕαβ)(xβ)

)yβ

)und damit glatt. Mit A wird damit M zu einer glatten Mannigfaltigkeit der Di-mension 2n (und die Struktur c = [A] hängt nur von der Struktur c = [A] auf Mab).

(iii) Schließlich ist nun π : TM→ M eine glatte Abbildung, denn ist ξ ∈ TM, p = π(ξ)

und ϕ : U → V eine Karte auf M um p, d.h. p ∈ U, so gilt bzgl. der Karteϕ : π−1(U)→ V ×Rn auf TM und ϕ auf M:

ϕ π ϕ−1 = ϕ π ϕ−1 (ϕ−1 × 1)= ϕ pr1 (ϕ−1 × 1) (da pr1 ϕ = π)

= ϕ ϕ−1 pr1 = pr1,(da pr1 ( f × g) = f pr1

)also

ϕ π ϕ−1(x, y) = x

und damit glatt (um ξ, und damit überall).

(b) Für jede Karte ϕ : U → V (aus einem differenzierbaren Atlas A) von M wird damitϕ : π−1(U)→ U×Rn zu einem Diffeomorphismus, weil bzgl. der Karten ϕ : π−1(U)→V ×Rn und ϕ× 1 : U ×Rn → V ×Rn gerade

(ϕ× 1) ϕ ϕ−1 = (ϕ× 1) ϕ ϕ−1 (ϕ× 1)−1 = 1

ist. Schließlich ist auch pr1 ϕ = π nach Konstruktion, also ϕ eine Bündelkarte.

Hat man nun zwei Karten ϕα : Uα → Vα und ϕβ : Uβ → Vβ (aus einem Atlas A) von M,so gilt für die zugehörigen Bündelkarten ϕα : π−1(Uα)→ Uα ×Rn bzw. ϕβ : π−1(Uβ)→Uβ ×Rn:

ϕα ϕ−1β (p, yβ) =

[(ϕα × 1)−1 ϕα

][ϕ−1

β (ϕβ × 1)](p, yβ)

= (ϕ−1α × 1) (ϕα ϕ−1

β )(ϕβ × 1)(p, yβ)

= (ϕ−1α × 1)

(ϕαβ︸︷︷︸

=ϕαϕ−1β

(ϕβ(p)

), Jac(ϕαβ)

(ϕβ(p)

)yβ

)

=(

p,[Jac(ϕαβ) ϕβ(p)

]yβ

).

Damit ist ϕαβ(p) : Rn → Rn gerade durch

yβ 7→(Jac(ϕαβ) ϕβ(p)

)yβ

gegeben und damit linear. Der Atlas

A :=(

ϕα : π−1(Uα)→ Uα ×Rn)α∈I(

wenn A = (ϕα : Uα → Vα)α∈I ist)

macht also π : TM → M zu einen Vektorbündelvom Rang n

(und [A] =: c hängt nur von c = [A] ab: A ∼ B =⇒ A ∼ B

). Die

Übergangsfunktionen (ϕαβ) sind gegeben durch:

ϕαβ : Uα ∩Uβ → GLn(R), ϕαβ = Jac(ϕαβ) ϕβ.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(4.51) Definition. Sei π : E → M ein Vektorbündel über einer Mannigfaltigkeit M undU ⊆ M offen. Ein (glatter) Schnitt in E über U ist eine glatte Abbildung

s : U → E mit π s = 1U .

Ist U = M und s : M→ E ein Schnitt, so spricht man von einem globalen Schnitt in E.

(4.52) Kommentar.

(a) Ist ϕ : π−1(U) → U ×Rk eine Bündelkarte eines Vektorraumbündels π : E → M undist s : U → E ein Schnitt in E über U, so gibt es eindeutig bestimmte glatte Funktionenf 1, . . . , f k : U → R mit

ϕ s(p) =(

p, f 1(p), . . . , f k(p))∈ U ×Rk, ∀p ∈ U,

nämlichf i = pri pr2 ϕ s (i = 1, . . . , k).

Umgekehrt definieren glatte Funktionen f 1, . . . , f k ∈ E(U) durch

s(p) := ϕ−1(p, f 1(p), . . . , f k(p))

einen glatten Schnitt in E über U. Bzgl. einer Bündelkarte ϕ : π−1(U) → U ×Rk istalso ein globaler Schnitt über U das Gleiche, wie eine glatte vektorwertige Funktionf : U → Rk.

(b) Global gesehen ist aber ein Schnitt in einem Vektorraumbündel π : E→ M über eineroffenen Menge U ⊆ M (z.B. U = M) eine echte Verallgemeinerung von vektorwer-tigen Funktionen auf U in folgendem Sinn: Ist etwa U = U1 ∩ U2 und s : U → Eein Schnitt in E über U, so gilt für zwei Bündelkarten ϕ1 : π−1(U1) → U1 × Rk

und ϕ2 : π−1(U2) → U2 ×Rk, dass sich die zugehörigen vektorwertigen Funktionenf1 : U1 → Rk bzw. f2 : U2 → Rk (nach (a)

)auf ihrem gemeinsamen Definitionsbereich

wie folgt transformieren (und nicht etwa gleich sind):

f1(p) = ϕ12(p) f2(p), ∀p ∈ U1 ∩U2,

wobei ϕ12 : U1 ∩U2 → GLk(R) der Übergang von E bzgl. der Bündelkarten ϕ1 und ϕ2

ist, denn:

f1(p) = pr2 ϕ1 s(p) = (ϕ1)p (ϕ2)−1p (ϕ2)p s(p)

= ϕ12(p) pr2 ϕ2 s︸ ︷︷ ︸= f2

(p) = ϕ12(p) · f2(p).

(c) Ist π : E→ M ein Vektorraumbündel über M, so notieren wir den Raum der globalen(glatten) Schnitte mit

Γ(E) := Γ(M; E) := s : M→ E glatter Schnitt.

Er ist im offensichtlicher Weise ein R-Vektorraum (unendlicher Dimension bei dim M ≥1 und rg(E) ≥ 1, Übung), sogar ein E(M)-Modul:

(s1 + s2)(p) := s1(p) + s2(p) (Addition in Ep)

( f · s)(p) := f (p) · s(p) (skalare Multipliktion in Ep),

f ∈ E(M), s, s1, s2 ∈ Γ(E).

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(4.53) Beispiel.

(a) Ist M eine glatte Mannigfaltigkeit und L = R (= M×R) das triviale Geradenbündel,so kann man die globalen Schnitte in L offenbar mit den glatten Funktionen auf Midentifizieren

(s(p) =

(p, f (p)

)),

Γ(L) ∼= E(M)

(und genauso, wenn L ∼= R ist).

(b) Ist π : E→ M ein Vektorraumbündel, so hat π stets einen trivialen Schnitt, nämlich densogenannten Nullschnitt. Da nämlich jede Faser Ep ⊆ E ein R-Vektorraum ist, gibt esein Nullelement 0p ∈ Ep, für alle p ∈ M. Der Nullschnitt ist dann durch s : M→ E,

s(p) = 0p

gegeben. (Er ist glatt, weil für eine Bündelkarte ϕ : π−1(U) → U ×Rk s|U durch dieNullfunktion 0 : U → Rk beschrieben ist.) Er ist dann Nullelement in den E(M)-ModulΓ(E).

(c) Ist M eine glatte Mannigfaltigkeit und π : TM→ M ihr Tangentialbündel, so sind dieglatten Schnitte in TM über einer offenen Menge

(wegen (4.52,a)

)gerade die glatten

Vektorfelder auf U,Γ(TMU) = X(U).

(4.54) Kommentar.

(a) Man sagt, dass ein Schnitt s : M→ E in einem Vektorbündel π : E→ M nullstellenfreiist, wenn s(p) 6= 0p ist, für alle p ∈ M.

(b) Ist ein Vektorraumbündel π : E → M trivial, E ∼= Rk (mit k = rg(E) ≥ 1), so hat

π : E→ M offenbar stets nullstellenfreie schnitt, z.B. s : M→ E,

s(p) = (p, 1, 0, . . . , 0) ∈ M×Rk = Rk

(bzw. s(p) = ϕ−1(p, 1, 0, . . . , 0), wenn ϕ : E → Rk ein Bündelisomorphismus ist

). Hat

ein Bündel π : E→ M etwa keinen nullstellenfreien (glatten) Schnitt, so kann es nichttrivial sein, E 6∼= Rk. Z.B. hat nach dem Igelsatz (siehe Anhang A) Sn für n gerade keinnullstellenfreies (sogar nur stetiges) Vektorfeld, was demnach impliziert:

TSn 6∼= Rn,

für n gerade.

(4.55) Motivation. Konstruktionen mit Vektorräumen in der (multi-) linearen Algebra, diekanonisch sind in dem Sinne, dass sie nicht von der Wahl einer Basis abhängig sind

(z.B.

direkte Summe, Tensorprodukt oder p-fache Dachprodukt (p ∈N0)), übertragen sich auf

Vektorbündel, z.B.

(a) Direkte Summe. Sind π1 : E1 → M und π2 : E2 → M Vektorbündel über M, so gibt es(bis auf geeignete Isomorphie) genau ein Tripel (π : E → M, j1 : E1 → E, j2 : E2 → E),wo π : E→ M ein Vektorbündel und j1, j2 Bündelhomomorphismen sind, die folgendeuniverselle Eigenschaft erfüllen:

96

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Ist ($ : F → M, j1, j2) ein weiteres solches Tripel, so gibt es genaueinen Bündelhomomorphismus T : E→ F mit T i1 = j1, T i2 =

j2. Man nennt (E, i1, i2) die direkte Summe von E1 und E2.

F

E1

j1??~~~~~~~

i1 @@@@@@@ E2

j2__@@@@@@@

i2~~~~~~~

E

∃1T

OO

Konstruktion: Setze (als Menge)

E = ∑p∈M

Ep, Ep := (E1)p ⊕ (E2)p und π : E→ M, π(ξ) = p⇐⇒ ξ ∈ Ep.

Setze weiterik : Ek → E, ik = ∑

p(ik)p mit (ik)p : (Ek)p → Ep

die kanonischen Inklusionen (k = 1, 2). Wähle dann eine offene Überdeckung (Uj)j∈Jvon M, so dass Bündelatlanten

A1 =(

ϕ(1)j : π−1

1 (Uj)→ Uj ×Rk1)

j∈J und A2 =(

ϕ(2)j : π−1

2 (Uj)→ Uj ×Rk2)

j∈J

existieren(k1 = rg(E1), k2 = rg(E2)

)und definiere

A =(

ϕj : π−1(Uj)→ Uj ×Rk1+k2)

j∈J

durch

ϕj(ξ) =(π(ξ), (y1, y2)

):⇐⇒

ϕ(1)j (ξ1) =

(π(ξ), y1

)ϕ(2)j (ξ2) =

(π(ξ), y2

)und

ξ = (i1)p(ξ1) + (i2)p(ξ2) = (ξ1, ξ2)(mit p = π(ξ)

).

Sind nun(

ϕ(1)ij : Ui ∩Uj → GLk1(R)

)i,j∈J bzw. (ϕ

(2)ij ) die Übergänge von A1 bzw. A2, so

bekommt man für den Atlas A, dass

ϕi ϕ−1j

(p, (y1, y2)

)=(

p, ϕ(1)ij (p)y1, ϕ

(2)ij (p)y2

)=(

p, ϕij(p) ·(

y1

y2

))mit

ϕij : Ui ∩Uj → GLk1+k2(R), ϕij(p) =

(ϕ(1)ij (p) 0

0 ϕ(2)ij (p)

).

Damit wird π : E → M zu einem Vektorbündel vom Rang k1 + k2, die Abbildun-gen ik : Ek → E zu Bündelhomomorphismen, die auch die gewünschte universellenEigenschaft haben.

(Details sind Übungsaufgaben: z.B. Topologie und differenzierbare

Struktur auf E werden mittels (ϕj) ähnlich wie bei der Konstruktion der entsprechendenStrukturen auf dem Tangentialbündel gemacht.

)(b) Duales Bündel. Ist π : E → M ein Vektorbündel vom Rang k, so versieht man leicht

π : E∗ → M mitE∗ = ∑

p∈M(Ep)

∗ und π(α) = p :⇐⇒ α ∈ (Ep)∗

mit einer Vektorbündel-Struktur(so dass (E∗)p = (Ep)∗ ist

): Ist ϕ : π−1(U)→ U ×Rk,

U ⊆ M offen, Vektorbündelkarte von E und((e1)p, . . . , (ek)p

)die Basis von Ep, gegeben

durch(ej)p = ϕ−1(p, ej)

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(wo (e1, . . . , ek) die kanonische Basis von Rk sei

), so sei

((λ1)p, . . . , (λk)p

)dazu duale

Basis von E∗p. Wir setzen dann ϕ : π−1(U)→ U ×Rk, ϕ(α) =(π(α), z

)mit

α = zj(λj)p.

Es wird dann π : E∗ → M zu einem Vektorbündel, denn ist ϕ12 : U1 ∩U2 → GLk(R) derÜbergang zwischen zwei Bündelkarten ϕ1 : π−1(U1) → U1 ×Rk und ϕ2 : π−1(U2) →U2 × Rk von π : E → M, so gilt für die induzierten Bündelkarten ϕ1 : π−1(U1) →U1 × Rk und ϕ2 : π−1(U2) → U2 × Rk von π : E∗ → M, dass für p ∈ U1 ∩ U2 undz ∈ Rk

ϕ1 ϕ−12 (p, z) =

(p, ϕ12(p) · z

)ist mit ϕ12 : U1 ∩U2 → GLk(R).

ϕ12(p) = ϕt21(p) = ϕt

12(p)−1 (Übung).

(c) Homomorphismenbündel. Sind π1 : E1 → M und π2 : E2 → M Vektorbündel, soführt eine nun hoffentlich offensichtliche Konstruktion zum Homomorphismen-Bündelπ : Hom(E1, E2)→ M. Für das triviale Geradenbündel R erhält man speziell:

E∗ = Hom(E, R).

(d) Tensorbündel. Sind π1 : E1 → M und π2 : E2 → M Vektorbündel vom Rang k1 bzw. k2,so hat man mit einer ähnlichen Konstruktion das Tensorbündel π : E1 ⊗ E2 → M miteiner universellen Eigenschaft, wobei hier E1 ×π1,π2 E2 → M das Faserprodukt von E1

und E2 ist,

E1 ×π1π2 E2 :=(e1, e2) ∈ E1 × E2 : π1(e1) = π2(e2)

⊆ E1 × E2(

und π(e1, e2) = π1(e1) = π2(e2))

(F Vektorbündel über M, s faserweise bilinear E1 ×π1π2 E2 ist übri-gens natürlich auch die unterliegende Mannigfaltigkeit des Bün-dels E1 ⊕ E2.)

E1 ×π1π2 E2s //

F

E1 ⊗ E2

∃1T

::ttttttttttt

(e) Dachformenbündel. Ist π : E → M ein Vektorbündel vom Rang k und 0 ≤ p ≤ k,so führt eine ebenso naheliegende Konstruktion zum p-fachen Dachformenbündelπ : ΛpE → M und ähnliches gilt für die Algebrenbündel T(E) → M oder Λ(E) → M(Übung).

(4.56) Beispiel. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und π : TM→ M ihr Tangentialbündel.Aus den natürlichen Bündeloperationen erhält man nun:

(a) Das Cotangentialbündel π : TM∗ → M (oder auch T∗M = TM∗). Ist U ⊆ M offen undω : U → T∗M ein glatter Schnitt, so ist ω offenbar gerade eine (glatte) Differentialformauf U,

Ω(U) = Γ(U, T∗U).

(b) Die Tensorbündel π : T(p,q)M→ M für p, q ∈N0. Hierbei ist

T(p,q)M := TM⊗ · · · ⊗ TM︸ ︷︷ ︸p-mal

⊗T∗M⊗ · · · ⊗ T∗M︸ ︷︷ ︸q-mal

.

98

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Ist U ⊆ M offen und T : U → T(p,q)M ein glatter Schnitt, so sprechen wir von einemTensorfeld

(der Stufe (p, q)

). Beachte also das Transformationverhalten von solchen

Tensorfelder(vgl. (4.38)

). Sind x : U → V1 und y : U → V2 Karten der Mannigfaltigkeit

mit Übergang y = y(x) : V1 → V2(bzw. x = x(y) : V2 → V1

), so gilt für ein Tensorfeld

T ∈ Γ(U; T(p,q)U), dass mit

T = ξip,...,ipj1,...,jq

∂xi1⊗ · · · ∂

∂xip⊗ dxj1 ⊗ · · · ⊗ dxjq

= ηk1,...,kpl1,...,lq

∂yk1⊗ · · · ∂

∂ykp⊗ dyl1 ⊗ · · · ⊗ dylq

gilt:

ξi1,...,ipj1,...,jq (x) =

∂xi1

∂yk1· · · ∂xip

∂ykp· ∂yl1

∂xj1· · · ∂ylq

∂xjq· ηk1,...,kp

l1,...,lq

(y(x)

).

(c) Das p-fache äußere Produkt des Cotangentialbündels π : ΛpT∗M→ M (0 ≤ p ≤ n =

dim M, für p = 0 versteht man Λ0T∗M = R: das triviale Geradenbündel), beachte:Λ1T∗M = T∗M. Ist U ⊆ M offen und ω : U → ΛpT∗M ein glatter Schnitt, so sprechenwir von einer Differentialform vom Grad p über U und setzen

E (p)(U) := Γ(U; ΛpT∗U)(so dass also E (0)(U) ∼= E(U) und E (1)(U) = Ω(U) ist

). Ist also ω ∈ E (p)(U) und

x : U → V eine Karte, so gibt es eindeutig bestimmte glatte Funktionen ηI ∈ E(V)(

Ieine p-elementige Teilmenge aus 1, . . . , n : I = i1, . . . , ip mit i1 < i2 < · · · < ip

), so

dass gilt:ω = ηI(x)dxI mit dxI = dxi1 ∧ · · · ∧ dxip .

Sind x : U → V1 und y : U → V2 zwei Karten und

ω = ξ IdxI = ηJdyJ ,

so erhält man das Transformationsverhalten(vgl. (4.41)

):

ξ I(x) = det( ∂yJ

∂xI

)(x)ηJ

(y(x)

)2

Insbesondere gilt für eine n-Form ω ∈ E (n)(U) (n = dim M):

ω = ξ(x)dx = η(y)dy :

(mit dx := dx1 ∧ · · · ∧ dxn, dy := dy1 ∧ . . . ∧ dyn)

ξ(x) = det( ∂y

∂x

)· η(y(x)

).

(4.57) Definition. Sei Φ : M→ N eine glatte Abbildung zwischen glatten Mannigfaltigkeit-en Mn und Nr und πF : F → N ein Vektorbündel vom Rang k ∈N über N. Wir setzen

E := M×Φ,πF F =(p, η) ∈ M× F : Φ(p) = πF(η)

, πE : E→ M, πE := pr1,

und nennen Φ∗F := E das Rückzugsbündel von F unter Φ (auch: Pullback-Bündel)

Φ∗Fpr2 //

pr1=πE

FπF

M Φ

// N.

2Wobei es sich bei det( ∂yJ

∂xI ) um den J I-Minor der Funktionalmatrix ∂y∂x = (

∂yj

∂xi )1≤j,i≤n handelt.

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(4.58) Kommentar.

(a) Man beachte, dass über p ∈ M gerade die Faser von πF : F → N über Φ(p) sitzt:

(Φ∗F)p = FΦ(p)(vermöge pr2|(Φ

∗F)p).

(b) Ist ϕ : π−1F (V)→ V ×Rk, V ⊆ N offen, eine Bündelkarte von πF : F → N, so induziert

ϕ eine Bijektionψ = ψϕ : π−1

E (U)→ U ×Rk

mit U := Φ−1(V) durchψ(p, η) =

(p, pr2 ϕ(η)

)denn U ×Rk → π−1

E (U),(p, y) 7→

(p, ϕ−1(Φ(p), y

))ist invers zu ψ:

ϕ−1(Φ(p), pr2 ϕ(η))= ϕ−1(πF(η), pr2 ϕ(η)

)= ϕ−1(pr1 ϕ(η), pr2 ϕ(η)︸ ︷︷ ︸

=ϕ(η)

)= ϕ−1 ϕ(η) = η

undpr2 ϕ

(ϕ−1(Φ(p), y

))= y.

Man versieht nun nacheinander E = Φ∗F mit der Topologie, so dass ψi := ψϕi einHomöomorphismus ist (für alle Bündelkarten ϕi : π−1

F (Vi)→ Vi ×Rk aus einem Bünde-latlas A = (ϕi)i∈I von F → N), dann mit einer differenzierbaren Struktur, so dass ψi einDiffeomorphismus ist (i ∈ I), und schließlich mit einer Bündelstruktur, so dass

B =(ψi : π−1

E (Ui)→ Ui ×Rk)i∈I

(mit Ui := Φ−1(Vi)

)ein Bündelatlas wird. Die Übergangsfunktionen dieses Atlas’ sind dann gegeben durch

ψij : Ui ∩Uj → GLk R, ψij = ϕij Φ(wo ϕij : Vi ∩Vj → GLk R die Übergänge von A = (ϕi) sind

), denn:

ψi ψ−1j (p, y) = ψi

(p, ϕ−1

j

(Φ(p), y

))=(

p, pr2 ϕi ϕ−1j︸ ︷︷ ︸

ϕij

(Φ(p), y

))=(

p, ϕij(Φ(p)

)y),

alsoψij(p) = ϕij

(Φ(p)

).

(4.59) Beispiel. Ist Φ : M→ N glatt, so ist das Differential DΦ ein Bündelhomomorphis-mus von TM nach Φ∗(TN) (über M),

DΦ ∈ Γ(

M; Hom(TM, Φ∗(TN)

))oder, da für zwei Bündel E → M und F → M das Homomorphismen-Bündel Hom(E, F)kanonisch isomorph zu E∗ ⊗ F ist, ist DΦ ein globaler Schnitt in TM∗ ⊗Φ∗(TN),

DΦ ∈ Γ(

M; T∗M⊗Φ∗(TN)),

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

denn:DΦp : TMp → TNΦ(p) =

(Φ∗(TN)

)p

ist ein Homomorphismus zwischen Fasern von TM und Φ∗(TN), und p 7→ DΦp hängtauch glatt von p ab, da bzgl. Karten x : U → U′ ⊆ Rn von M um p und y : V → V ′ ⊆ Rr

von N um Φ(p)(mit U = Φ−1(V)

)DΦ bzgl. der induzierten Bündelkarten gerade durch

U ×Rn → U ×Rr

(p, ξ) 7→(

p, Jac(y)(x)ξ)

beschrieben wird(wenn wir mit x 7→ y(x) auch die lokale Beschreibung von Φ bzgl. x und

y notieren),

U Φ //

x ∼=

Vy∼=

U′y(x)// V ′

.

(4.60) Definition. Seien M und N glatt und Φ : M→ N eine glatte Abbildung. Für jedesoffene V ⊆ N definiert man den Rückzug von Differentialformen

Φ∗ : E (k)(V)→ E (k)(Φ−1(V)

)(k ∈N0) wie folgt: Ist ω ∈ E (k)(V), also

ωq := ω(q) ∈ ΛkT∗Nq ∼= Altk(TNq), d.i. ωq : TNq × · · · × TNq → R

ist k-linear und alternierend, so setzt man Φ∗ω ∈ E (k)(Φ−1(V)

)fest durch (Φ∗ω)p :=

Φ∗ω(p) ∈ ΛkTM∗p ∼= Altk(TMp) mit

(Φ∗ω)p(ξ1, . . . , ξk) := ωΦ(p)(DΦp(ξ1), . . . , DΦp(ξk)

).

(4.61) Bemerkung. Sei Φ : Mn → Nr glatt, y : V → V ′ ⊆ Rr eine Karte auf N undx : Φ−1(V) → U′ ⊆ Rn eine Karte auf M. Hat nun eine k-Form ω ∈ E (k)(V) die lokaleDarstellung ω = ηI(y)dyI , so gilt für den Rückzug Φ∗ω ∈ E (k)

(Φ−1(V)

):

(a) Φ∗ω = det(

∂yI

∂x J

)ηI y(x)dx J ,

(b) Φ∗ω = ηI y(x)d(yi1 Φ) ∧ · · · ∧ d(yik Φ).

(4.62) Kommentar.

(a) Hierbei bezeichnet wieder ∂yI

∂x J die k × k-Untermatrix von Jac(y)(x)(x 7→ y(x) die

beschreibende Funktion von Φ bzgl. x und y), die aus den Zeilen i1, . . . , ik und den

Spalten j1, . . . , jk besteht(wenn I = i1, . . . , ik, i1 < · · · < ik und J = j1, . . . , jk, j1 <

· · · < jk ist).

(b) Das zeigt, dass Φ∗ω tatsächlich glatt ist, wenn ω es ist.

(c) Man beachte insbesondere für den Rückzug von n-Formen, wenn dim M = dim N = nist: ω = ηdy1 ∧ · · · ∧ dyn

=⇒ Φ∗ω =

(det( ∂y

∂x

)η y(x)

)dx1 ∧ · · · ∧ dxn

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

Beweis. (a) Sei Φ∗ω = ξ J(x)dx J , also

ξ J(x) = (Φ∗ω)p

( ∂

∂xj1

∣∣∣∣p

, . . . ,∂

∂xjk

∣∣∣∣p

)(bei x = x(p)

). Es folgt:

ξ J(x) = ωq

(DΦp

( ∂

∂xj1

∣∣∣∣p

), . . . , DΦp

( ∂

∂xjk

∣∣∣∣p

)) (bei q = Φ(p)

)= ωq

( ∂yi1

∂xj1

∂yi1

∣∣∣∣q

, . . . ,∂yik

∂xjk

∂yik

∣∣∣∣q

)= ∑

I∑

σ∈Sk

∂yσ(i1)

∂xj1· · · ∂yσ(ik)

∂xjkωq

( ∂

∂yσ(i1)

∣∣∣∣q

, . . . ,∂

∂yσ(ik)

∣∣∣∣q

)= ∑

I

(∑

σ∈Sk

∂yσ(i1)

∂xj1· · · ∂yσ(ik)

∂xjk· sgn(σ)

)︸ ︷︷ ︸

=det( ∂yI

∂xJ )(x)

ωq

( ∂

∂yi1

∣∣∣∣q

, . . . ,∂

∂yik

∣∣∣∣q

)︸ ︷︷ ︸

ηI(y)

=

(det( ∂yI

∂x J

)(x))

ηI y(x)(bei y = y(q)

).

(b) Es ist

d(ym Φ)( ∂

∂xl

∣∣∣∣p

)=

∂xl

∣∣∣∣p(ym Φ)p =

∂xl (ym Φ x−1)

∣∣∣∣x0

=∂ym

∂xl (x0),

also d(ym Φ) = ∂ym

∂xl dxl und damit

(d(yi1 Φ) ∧ · · · ∧ d(yik Φ)

)p

( ∂

∂xi1

∣∣∣∣p

, . . . ,∂

∂xik

∣∣∣∣p

)wie in (a)

= · · · = det( ∂yI

∂x J

)(x0).

(4.63) Erinnerung. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit. Wir hatten für jede offene MengeU ⊆ M die Ableitung d: E(U)→ E (1)(U) definiert durch

d f (p) = d fp : TMp → R, ξ 7→ ξ( fp)

und die lokale Beschreibung gefunden, dass, wenn x : U → V ⊆ Rn eine Karte ist, wir

d f |U =∂ f∂xi dxi

erhalten.

Eine der Hauptgründe für die Einführung von Differentialformen höherer Ordnung istnun der folgende Satz:

(4.64) Satz. Sei Mn eine glatte Mannigfaltigkeit und 0 ≤ k ≤ n. Es gibt nun einen eindeutigbestimmten Operator dk : E (k)(M)→ E (k+1)(M) mit folgenden Eigenschaften:

(a) Ist p ∈ M und U ⊆ M eine beliebige Umgebung von p, so hängt für ω ∈ E (k)(M) der Wertdkωp = dkω(p) ∈ Λk+1T∗Mp nur von ω|U ab (wir sagen: dk ist ein lokaler Operator).

102

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Ist x : U → V ⊆ Rn eine Karte und ω|U = ηIdxI mit ηI ∈ E(V) (für alle I), so gilt:

dkω|U = dηI ∧ dxI =∂ηI

∂xj dxj ∧ dxi1 ∧ · · · ∧ dxik

(bei I = i1, . . . , ik i1 < · · · < ik).

(4.65) Kommentar.

(a) So wie für eine Funktion f ∈ E(M) kein „Gradient“ grad( f ) ∈ X(M) = Γ(M; TM)

existiert, weil sich für Karten x und y um p ∈ M die Gradienten von f x−1 und f y−1

nicht wie die Koeffizienten eines Vektorfeldes transformieren (sondern wie die einer1-Form), gibt es auch keine „Hessesche“ Hess( f ) ∈ Γ(M; T∗M⊗ T∗M) auf M, weil sichdie Hesseschen von f x−1 und f y−1 nicht wie die Koeffizienten eines (0, 2)-Tensorstransformieren. (Nur in kritischen Punkten p ∈ M für f gilt das.) Was sich aber „richtig“transformiert (d.h. wie die Koeffizienten einer 2-Form) sind die Ausdrücke

αij(x) =∂ fi

∂xj (x)−∂ f j

∂xi (x),

wenn ω eine 1-Form mit lokaler Beschreibung ω = fidxi und ähnliches für Formenhöheren Grades. Das ist der Inhalt des Satzes.

(b) Ist ω ∈ E (k)(U), x : U → V ⊆ Rn eine Karte und ω = ηIdxI , so beachte man, dass fürden Koeffizienten αJ(x) von dω vor dx J , also dω = αJdx J mit nun (k + 1)-elementigenTeilmengen J = j1, . . . , jk+1 gilt:

αJ(x) =k+1

∑κ=1

(−1)κ+1 ∂ηJ\jκ

∂xjκ.

Eigentlich müsste man nun für den Beweis von (4.64) folgendes prüfen: Sind ξ = (ξ I)

auf V1 ⊆ Rn und η = (ηJ) auf V2 ⊆ Rn gegeben, so dass gilt:

ξ I(x) = det(

∂yJ

∂xI

)ηJ(y(x)

),

wenn y = y(x) : V1 → V2 ein Diffeomorphismus ist, denn dann beschreiben ξ und η

die gleichen Differentialformen ω auf U ⊂ M, wenn x : U → V1 und y : U → V2 Kartensind, so gilt für α = (αI) bzw. β = (β J) mit

αI(x) =k+1

∑κ=1

(−1)κ+1 ∂ξ I\iκ∂xκ

, β J(y) =k+1

∑κ=1

(−1)κ+1 ∂ηJ\jκ

∂yjκ

das Transformationsverhalten

αI(x) = det(

∂yJ

∂xI

)β J(y).

Das ist aber zu kompliziert. Wir gehen anders vor.

Beweis von (4.64). (a) Eindeutigkeit. Sei p ∈ M und x : U → V ⊆ Rn eine Karte um p.Dann ist für ω ∈ E (k)(M) gerade ω|U = ηI(x)dxI mit ηI ∈ E(V) und daher dkω =

dηI ∧ dxI , insbesondere

dkωp = (dηI)p ∧ dxIp ∈ Λk+1T∗Mp

und damit festgelegt.

103

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

(b) Existenz. Sei p ∈ M, k ∈ 0, 1, . . . , n und ϕ : U → V ⊆ Rn eine Karte um p. Wirdefinieren dann:

dϕk : E (k)(U)→ E (k+1)(U), dϕ

k ω := dηI ∧ dxI .

Außerdem setzen wir

E∗(U) :=n⊕

k=0

E (k)(U)

und

dϕ : E∗(U)→ E∗(U), dϕ|E (k)(U) := dϕk .

Wir stellen dann fest:

(i) Für k = 0 ist dϕ0 = d: E (0)(U)→ E (1)(U) und damit unabhängig von ϕ;

(ii) dϕ ist R-linear und eine Anti-Derivation, d.h. für ω1 ∈ E (k)(U) und ω2 ∈ E (k)(U)

ist

dϕk+l(ω1 ∧ω2) = dϕ

k ω1 ∧ω2 + (−1)kω1 ∧ dϕl ω2. (∗)

(iii) Es ist dϕk+1 dϕ

k = 0, ∀k ∈N0.

Dazu: (i) ist klar nach Definition.

Für (ii) sei ω1 = η(1)I dxI ∈ E (k)(U) und ω2 = η

(2)J dx J ∈ E (k)(U). (Für I ∩ J 6= ∅ ist

dxI ∧ dx J = 0.)

=⇒ ω1 ∧ω2 = η(1)I η

(2)J dxI ∧ dx J ,

also

dϕ(ω1 ∧ω2) = d(η(1)I η

(2)J ) ∧ dxI ∧ dx J =

∂(η(1)I η

(2)J )

∂xm dxm ∧ dxI ∧ dx J

=Leibniz-Regel

(∂η(1)I

∂xm η(2)J +

∂η(2)J

∂xm η(1)I

)dxm ∧ dxI ∧ dx J

=

[(∂η(1)I

∂xm dxm ∧ dxI)∧ (η

(2)J dx J)

]

+

[(−1)k(η

(1)I dxI) ∧

(∂η(2)J

∂xm dxm ∧ dx J)]

= dϕω1 ∧ω2 + (−1)kω1 ∧ dϕω2.

Für (iii) sei ω = ηIdxI . Dann ist

dϕ dϕ(ω) = dϕ(dηI ∧ dxI) = dϕ(∂ηI

∂xj dxj ∧ dxI)

=∂2ηI

∂xi∂xj dxi ∧ dxj ∧ dxI

= ∑i<j

( ∂2ηI

∂xi∂xj −∂2ηI

∂xj∂xi︸ ︷︷ ︸=0 nach Schwarz

)dxi ∧ dxj ∧ dxI .

104

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Ist nun ψ : U → V, y = ψ(p), eine weiter Karte um p, so erfüllt auch dψ : E∗(U)→ E∗(U)

die Eigenschaften (i) bis (iii), und daher gilt für ω = ηI(x)dxI :

dψω(ii)= dψ(ηI dxI︸︷︷︸

=dxi1∧···∧dxik

)

= dψηI︸︷︷︸(i)=dηI

∧dxI +k

∑j=1

(−1)jdxi1 ∧ · · · ∧ dxij−1 ∧ dψ(dxij) ∧ dxij+1 ∧ · · · ∧ dxik .︸ ︷︷ ︸=0 wegen (∗∗)

Denn wegen (iii) und (i) ist

dψ1 (dxij)

(i)= dψ

1 (dψ0 xij)

(iii)= 0. (∗∗)

Also ist dψω = dηI ∧ dxI = dϕω. Wir können daher für ω ∈ E (k)(M) und p ∈ M setzen:

dkω(p) := dϕk ω(p),

wo ϕ eine beliebige Karte um p ist. Dann ist dkω ∈ E (k+1)(M) mit den gewünschtenEigenschaften (a) und (b) aus dem Satz.

(4.66) Kommentar.

(a) Man beachte, dass wir gleich mit bewiesen haben d: E∗(M)→ E∗(M) ist

(i) linear und homogen vom Grad +1, d.h. d(E (k)(M)

)⊆ E (k+1)(M),

(ii) d ist eine Anti-Derivation, d.h. für homogene Elemente ω1 und ω2 gilt:

d(ω1 ∧ω2) = dω1 ∧ω2 + (−1)deg(ω1)ω1 ∧ dω2,

(iii) d ist ein Differential (im Sinne der algebraischen Topologie), d.h. d d = 0 (kurz:d2 = 0).

(b) Zusammen mit der Eigenschaft, dass d|E (0)(M) die schon bekannte Ableitung ist, istd : E∗(M) → E∗(M) durch die Eigenschaft (i) und (iii) aus Bemerkung (a) eindeutigbestimmt (koordinatenfreie Charakterisierung von d, Übung).

(c) Man nennt d : E∗(M)→ E∗(M) die äußere Ableitung auf M. A = E∗(M) wird mit allenStrukturen zu einer kommutativen graduierten Differentialalgebra, wobei kommutativim graduierten Sinn für homogene Elemente ω1 vom Grad k und ω2 vom Grad l bedeutet,dass

ω1 ∧ω2 = (−1)klω2 ∧ω1

ist. Sie enthält beträchtliche Informationen über die Topologie von M (vgl. Übung).

(4.67) Bemerkung. Die äußere Ableitung ist verträglich mit dem Rückzug von Differen-tialformen in folgenden Sinn: Ist Φ : M→ N glatt und ω ∈ E∗(N), so gilt

d(Φ∗ω) = Φ∗(dω).

Beweis. Sei p ∈ M beliebig und y : V → V ⊆ Rr eine Karte um q := Φ(p). Ist ω ∈ E (k)(N),so gibt es Funktionen ηI ∈ E(V) so, dass ω|V = ηIdyI ist. Es folgt

dω = dηI ∧ dyI =∂ηI

∂ym dym ∧ dyI

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KAPITEL 4. VEKTORRAUMBÜNDEL

und daher

Φ∗(dω)(4.61,b)=

∂ηI

∂ym Φ · d(ym Φ) ∧ d(yi1 Φ) ∧ · · · ∧ d(yik Φ)

auf V, insbesondere in p (bei I = i1, . . . , ik geordnet). Andererseits ist wieder nach (4.61,b)

Φ∗ω = ηI Φ · d(yi1 Φ) ∧ · · · ∧ d(yik Φ)

und daher (weil d eine Anti-Derivation und ein Differential ist)

d(Φ∗ω) = d(ηI Φ) ∧ d(yi1 Φ) ∧ · · · ∧ d(yik Φ)

+k

∑j=1

(−1)jd(yi1 Φ) ∧ · · · ∧ d2(yij Φ)︸ ︷︷ ︸=0

∧ · · · ∧ d(yik Φ)

=∂(ηI Φ)

∂xl dxl ∧ d(yi1 Φ) ∧ · · · ∧ d(xik Φ),

wo nun x : U → U ⊆ Rn eine Karte um p sei und (nach evtl. Verkleinerung) Φ(U) ⊆ V.Nach der Kettenregel ist jetzt

∂(ηI Φ)

∂xl =∂ηI

∂ym Φ · ∂ym

∂xl und d(ym Φ) =∂ym

∂xl dxl ,

also ist auch

d(Φ∗ω) =∂ηI

∂ym Φ · d(ym Φ) ∧ d(yi1 Φ) ∧ · · · ∧ d(yik Φ)

in p richtig also tatsächlich überall Φ∗(dω) = d(Φ∗ω).

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5 Kapitel 5.

Liegruppen

(5.1) Definition. Ein Paar (G, ·) heißt eine Liegruppe (der Dimension n ∈ N0), wenn Geine Mannigfaltigkeit (der Dimension n) ist und · : G× G → G eine Gruppenstruktur, sodass · := mult : G× G → G und auch inv : G → G, g 7→ g−1 glatte Abbildungen sind.

(5.2) Kommentar.

(a) Dass die Gruppenverknüpfung mult = · : G× G → G glatt ist meint natürlich bzgl. derinduzierten glatten Struktur auf der Produkt-Mannigfaltigkeit G× G.

(b) Das neutrale Element von G wird meist mit e (oder 1) bezeichnet. Ist die Gruppenstrukturabelsch, so wird die Verknüpfung auch mit + bezeichnet, und das neutrale Element mit0.

(c) Tatsächlich kann man mit Hilfe des impliziten Funktionensatzes zeigen, dass mit derGlattheit von mult : G× G → G die Inversenbildung inv : G → G automatisch glatt ist(Übung). (Ich danke Meru Alagalingam für diesen Hinweis.)

(5.3) Beispiel.

(a) Für jedes n ∈ N0 ist G = Rn mit der Addition + eine Liegruppe der Dimension n.Ebenso jeder endlich-dimensionale R-Vektorraum V mit seiner additiven Struktur undseiner natürlichen Mannigfaltigkeit-Struktur.

(b) C∗ = C \ 0 ist als offene Menge in C = R2 eine 2-dimensionale Mannigfaltigkeitund (z, w) 7→ zw bzw. z 7→ z−1 differenzierbar. Also ist (C∗, ·) eine 2-dimensionaleLiegruppe.

(c)S1 = z ∈ C∗ : |z| = 1

ist eine Untermannigfaltigkeit von C∗ und eine Untergruppe von C∗. Damit ist (S1, ·)eine Liegruppe (der Dimension 1).

Beachte, dass damit die bis auf Diffeomorphie einzigen, zusammenhängenden 1-dimensionalen Mannigfaltigkeiten (ohne Rand), nämlich M = R oder M = S1 einenatürliche Lie-Struktur tragen. Beide sind abelsch.

(d) DaGLn(R) = A ∈ Matn(R) ∼= Rn2

: det A 6= 0

ist, ist GLn R ⊆ Matn R offen und damit eine Mannigfaltigkeit der Dimension n2. DieMatrizenmultiplikation (A, B) 7→ A · B ist glatt, sogar polynomial, denn

(AB)ij = ai

kbkj für 1 ≤ i, j ≤ n

107

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

mit A = (aij), B = (bi

j) und auch die Inversenbildung ist nach der Formel

A−1 =1

det AA]

mit der Adjunkten A],(A])i

j = (−1)i+j det(Aji)

(wo Aji aus A durch Streichen der j Zeile und der i Spalte entsteht), glatt (sogar rational).Es ist also (GLn R, ·) eine Liegruppe (der Dimension n2).

(e) Ebenso ist GLn C ⊆ Matn(C) = Cn2= R2n2

eine Liegruppe der Dimension 2n2.

(f) Es istO(n) = A ∈ GLn R : tAA = 1

einerseits eine (abgeschlossene) Untergruppe von GLn R und andererseits eine Unter-mannigfaltigkeit von GLn R, denn 1 ∈ Symn R ist ein regulärer Wert der AbbildungΦ : GLn R→ Symn R ∼= R

12 n(n+1),

A 7→ tAA(siehe (2.71,b)

). Die orthogonale Gruppe O(n) wird damit zu einer Liegruppe der

Dimension

n2 − 12

n(n + 1) =12

n(n− 1).

(g) Es ist auchGL+

n (R) := A ∈ GLn R : det A > 0

eine offene Teilmenge von GLn R und eine Untergruppe. Auch GL+n R ist damit eine

Liegruppe der Dimension n2. Sie ist zusammenhängend (Übung) und damit dieZusammenhangs-Komponente des neutralen Elementes von GLn R.

(5.4) Bemerkung. Sei G eine Liegruppe der Dimension n ∈ N0. Dann ist auch dieZusammenhangs-Komponente von e ∈ G, Notation: G0, offen und eine Untergruppe von Gund ist damit auch eine Liegruppe der Dimension n.

Beweis. Als Zusammenhangs-Komponente eines lokal wegzusammenhängenden RaumesG ist G0 ⊆ G offen und damit selbst eine Mannigfaltigkeit der Dimension n. G0 ist zusam-menhängend und damit wegzusammenhängend

(siehe (1.47)

).

Sind nun g, h ∈ G0 beliebig und α, β : I → G Wege von e nach g bzw. h, so ist γ : I → G,

γ(t) = α(t)β(t)

ein Weg von γ(0) = e · e = e nach γ(1) = α(1)β(1) = g · h. Es ist also auch g · h ∈ G0. Ebensosieht man, dass mit g ∈ G0 auch g−1 ∈ G0 sein muss, indem man für α : I → G, α(0) = eund α(1) = g den Weg α−1 : I → G, α−1(t) := α(t)−1 betrachtet. G0 ⊆ G ist also eineUntergruppe und damit eine Liegruppe der Dimension n.

(5.5) Definition. Sei G eine Liegruppe und g ∈ G. Dann nennen wir lg : G → G, lg(h) =g · h die Linkstranslation mit g auf G und rg : G → G, h 7→ h · g, die Rechtstranslationmit g auf G.

108

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(5.6) Kommentar. (a) Links und Rechtstranslation auf G sind glatt, denn sie sind Kompo-sitionen von glatten Abbildungen. Z.B. ist

lg = mult ig,

wenn mult : G× G → G die Gruppenverknüpfung ist und ig : G → G× G, h 7→ (g, h)die Inklusion.

(Für jede Mannigfaltigkeit M und jedes p ∈ M ist ip : M→ M×M, q 7→

(p, q), glatt, denn lokal ist das y 7→ (x0, y), V → V0 ×V, V0, V ⊆ Rn offen).

(b) lg und rg sind sogar Diffeomorphismen, denn lg−1 bzw. rg−1 sind offenbar invers zu lg

bzw. rg:lg−1 = (lg)

−1, rg−1 = (rg)−1,

denn:lg−1 lg = 1 = lg lg−1 ,

weilg−1(gh) = (g−1g)h = eh = h, ∀h ∈ G.

(5.7) Definition.

(a) Seien G und H Liegruppen. Eine Abbildung ϕ : G → H heißt ein Lie-Homomorphismus,wenn sie glatt und ein Gruppenhomomorphismus ist,

ϕ(g1g2) = ϕ(g1)ϕ(g2), ∀g1, g2 ∈ G.

(b) Eine Abbildung ϕ : G → H heißt ein Lie-Isomorphismus, wenn ϕ ein Lie-Homomorphismusist und es einen weitere Lie-Homomorphismus ψ : H → G mit

ψ ϕ = 1G, ϕ ψ = 1H

gibt.

(5.8) Kommentar.

(a) Ein Lie-Isomorphismus ϕ : G → H ist also insbesondere ein Diffeomorphismus.

(b) Ist umgekehrt ϕ : G → H ein Lie-Homomorphismus, der ein Diffeomorphismus ist, soist ϕ bereits Lie-isomorph, denn das Inverse ψ : H → G von ϕ ist dann automatischhomomorph:

ψ(h1h2) = ψ(

ϕ ψ(h1) · ϕ ψ(h2))

=ϕ Hom.

ψ(

ϕ(ψ(h1)ψ(h2)

))= ψ(h1)ψ(h2), ∀h1, h2 ∈ H.

(5.9) Beispiel.

(a) Die spezielle orthogonale Gruppe

SO(n) := A ∈ O(n) : det(A) = 1

ist eine offene Untergruppe O(n), denn det nimmt auf O(n) nur die Werte ±1 an.Da SO(n) zusammenhängend ist (Übung), ist SO(n) damit die Zusammenhangs-Komponente der 1 von O(n),

SO(n) = O(n)0.

109

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(b) Für n = 1 ist SO(1) ≡ e, d.i. isomorph zur 0-dimensionalen trivialen Gruppe.

Für n = 2 gilt: SO(2) ∼= S1 (als Liegruppe), denn S1 → SO(2)

z 7→(

cos(α) − sin(α)sin(α) cos(α)

)=

(Re(z) − Im(z)Im(z) Re(z)

)(z = ei α)

ist ein Isomorphismus, weil jedes Element in SO(2) von der Form(

cos(α) − sin(α)sin(α) cos(α)

), für

ein α ∈ [0, 2π), ist.

(c) Die unitäre GruppeU(n) := A ∈ GLn C : t AA = 1

ist, ähnlich wie O(n) ⊆ GLn R, eine Liegruppe, weil 1 ein regulärer Wert von Φ : GLn C→Herm(n),

Φ(A) = t AA,

ist,Herm(n) = A ∈ Matn C : t A = A

die hermiteschen Matrizen sind. Da

dimR Herm(n) = 2(1 + 2 + · · ·+ n− 1) + n = n2 − n + n = n2

ist, hat U(n) die Dimension 2n2 − n2 = n2. Sie ist zusammenhängend und, genau sowie O(n), kompakt (da abgeschlossen und beschränkt in Matn C ∼= R2n2

ist). Es istU(1) ∼= S1 vermöge S1 → U(1), z 7→ (z).

(d) Die spezielle unitäre Gruppe

SU(n) := A ∈ U(n) : det A = 1 ⊆ U(n)

ist eine 1-codimensionale Untermannigfaltigkeit und damit eine Liegruppe der Dimen-sion n2 − 1, weil 1 ∈ S1 regulärer Wert der Abbildung det : U(n) → S1 ist (Übung).Auch sie ist zusammenhängend und kompakt.

(e) Die speziellen linearen Gruppen

SLnR := A ∈ GLn R : det A = 1

undSLnC := A ∈ GLn C : det A = 1

sind Liegruppen, weil einerseits Untergruppen und andererseits der Codimension 1bzw. 2, da det : GLn R→ R∗ bzw. det : GLn C→ C∗ glatt sind und 1 als regulären Werthaben. Es folgt also:

dim(SLnR) = n2 − 1, dim(SLnC) = 2n2 − 2.

(f) Sei Γ eine abzählbare Gruppe. Versieht man Γ mit der diskreten Topologie, so wirdΓ ein Hausdorffraum mit abzählbarer Topologie, der offenbar auch eine topologischeMannigfaltigkeit der Dimension 0 wird. Die offensichtlichen Abbildungen von deneinpunktigen Teilmengen nach R0 machen dann Γ zu einer 0-dimensionalen glattenMannigfaltigkeit. Zusammen mit seiner Gruppenstruktur wird Γ damit zu einer 0-dimensionalen Liegruppe.

110

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(g) Es ist auchR+∼= GL+

1 (R)

eine Liegruppe, die aber vermöge

exp : (R,+)→ (R+, ·), t 7→ et

isomorph zu (R,+) ist.

Dagegen können (C,+) ∼= (R2,+) und (C∗, ·) nicht isomorph sein, da bereits C =

R2 und C∗ = R2 \ 0 als Mannigfaltigkeiten (sogar als topologische Räume) nichtdiffeomorph (sogar homöomorph) sind

(weil z.B. C einfach zusammenhängend ist,

π1(C) = (1), aber C∗ nicht, π1(C∗) ∼= Z, vgl. (nächstes Semester)1

).

(h) Ist V ein reeller Vektorraum der Dimension n, so ist V als Liegruppe isomorph zu(Rn,+), denn ist (e1, . . . , en) eine Basis von V, so liefert der induzierte Koordinaten-Isomorphismus ι : Rn → V einen Lie-Isomorphismus.

(i) AuchAut(V) = f ∈ End(V) : f ist Isomorphismus

ist eine Liegruppe. Ihre Mannigfaltigkeit-Struktur bekommt sie als offene Teilmengevon End(V) ∼= V∗ ⊗V. Vermöge einer Basiswahl ist aber Aut(V) isomorph zu GLn R,

Aut(V) ∼= GLn R.

(j) GLn R hat sehr viele abgeschlossene Untergruppen, die damit (siehe Diffgeo III) allesamtzu Liegruppen werden. Z.B. bilden die trigonalen Matrizen

Hei(n) :=(

1 ∗. . .0 1

)∈ GLn R

∼= R

12 (n−1)n

eine Untergruppe (prüfen!) und damit eine Liegruppe. Für n = 2 ist sie isomorph zu R,für n = 3 erhält man:1 x1 x3

0 1 x2

0 0 1

·1 y1 y3

0 1 y2

0 0 1

=

1 x1 + y1 x3 + y3 + x1y2

0 1 x2 + y2

0 0 1

,

damit nicht-abelsch, weil z.B.

(1, 0, 0) · (0, 1, 0) = (1, 1, 1), (0, 1, 0) · (1, 0, 0) = (1, 1, 0)

ist. Es ist also Hei(3) 6∼= A(3)(mit A(n) := (Rn,+)

).

(k) Viele Liegruppen lassen sich als abgeschlossene Untergruppen von GLn R (mit n ∈N

groß genug) realisieren. Z.B. ist die abelsche Liegruppe A(n) = (Rn,+) isomorph zu

1 x1

. . . 0...

0. . . xn

1

∈ GLn+1 R : x1, . . . , xn ∈ R

(Übung).

1π1(X) bezeichnet hier die Fundamentalgruppe eines zusammenhängenden topologischen Raumes X.

111

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(l) Sind G1 und G2 Liegruppe, so trägt G1 × G2 eine natürliche Mannigfaltigkeit-Strukturund mit

(g1, g2) · (h1, h2) = (g1h1, g2h2)

für g1, h1 ∈ G1, g2, h2 ∈ G2, auch eine natürliche Gruppenstruktur, die sich mit derMannigfaltigkeit-Struktur verträgt. Es ist also in natürlicher Weise G1 × G2 wiedereine Liegruppe (mit der universellen Eigenschaft eines Produktes in der Kategorie derLiegruppen). Z.B. ist der Torus

Tn = S1 × · · · × S1

also in natürlicher Weise eine Liegruppe.

(5.10) Bemerkung. Sei G eine Liegruppe und G0 ⊆ G die Zusammenhangs-Komponenteder Eins. Ist dann G =

⊔α∈A Gα die Zerlegung von G in seine Zusammenhangs-Komponenten

und gα ∈ Gα, so bildet die Linkstranslation lgα G0 diffeomorph auf Gα ab,

Gα∼= G0.

Beweis. Da G0 zusammenhängend ist, liegt lgα(G0) ganz in einer Zusammenhangs-Komponentevon G (da lgα stetig ist) und gα = lgα(e). Also ist lgα(G0) ⊆ Gα. Aus dem gleichen Grund istauch lg−1

α(Gα) ⊆ G0. Es folgt:

Gα = 1(Gα) = lgα lg−1α(Gα) ⊆ lgα(G

0),

alsolgα(G

0) = Gα.

Da lgα Diffeomorphismus ist, ist es auch die Einschränkung lgα |G0 : G0 → Gα.

(5.11) Vorbereitung.

(a) Sei G eine Liegruppe und Γ ⊆ G eine diskrete Untergruppe, d.h.: die induzierteTeilraumtopologie auf Γ ist diskret. Die Wirkung von Γ auf G durch Rechts-Translation,

Γ : Γ× G → G, γ.g := gγ−1

ist dann frei, eigentlich diskontinuierlich und der Quotient

G/Γ = gΓ : g ∈ G

der Linksnebenklassen ist hausdorffsch (Übung). Es trägt deshalb G/Γ nach (2.26) einenatürliche Mannigfaltigkeit-Struktur, so dass die kanonische Projektion π : G → G/Γglatt ist.

(b) Sei nun Γ ⊆ G diskret und zusätzlich ein Normalteiler, also gΓ = Γg, ∀g ∈ G. Dannträgt G/Γ eine natürliche Gruppenstruktur, so dass π ein Gruppenhomomorphismusist.

(5.12) Satz. Sei G eine Liegruppe und Γ ⊆ G diskreter Normalteiler. Dann trägt der Raumder Γ-Linksnebenklassen genau eine Liestruktur, so dass gilt (universelle Eigen-schaft): Ist H eine Liegruppe und ϕ : G → H ein Lie-Homomorphismus mitΓ ⊆ ker(G), so gibt es genau einen Lie-Homomorphismus ϕ : G/Γ → H mitϕ π = ϕ,

Gϕ //

π

H

G/Γϕ

==z

zz

z

112

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Beweis. (a) Die Eindeutigkeit folgt aus der universellen Eigenschaft (Übung).

(b) Auch Γ × Γ ⊆ G × G operiert frei, eigentlich diskontinuierlich und mit hausdorff-schen Bahnenraum. Es ist also G× G/Γ× Γ eine Mannigfaltigkeit und die natürlicheAbbildung

G× G/Γ× Γ→ G/Γ× G/Γ, (g, h)Γ× Γ→ (gΓ, hΓ)

ist ein Diffeomorphismus. (Benutze die universellen Eigenschaften

G× GπG×πG //

πG×G

G/Γ× G/Γ

G× G/Γ× ΓΦ

66mmmmmmm

und dass πG : G → G/Γ lokaler Diffeomorphismus ist.) Weil nun das folgende Dia-gramm kommutiert,

G× GmultG //

πG×G

GπG

G× G/Γ× ΓmultG //___

Φ−1

G/Γ

G/Γ× G/ΓmultG/Γ

88ppppppppppp

(Ebenso zeigt das Diagramm

GinvG //

π

G

π

G/ΓinvG/Γ// G/Γ,

dass invG/Γ glatt ist.) Es ist also (G/Γ, multG/Γ) eine Liegruppe.

(c) Ist H eine Liegruppe und ϕ : G → H Lie-Homomorphismus mit Γ ⊆ ker(ϕ), so gibt eszunächst einmal einen eindeutig bestimmten Gruppen-Homomorphismus ϕ : G/Γ→ Hmit ϕ π = ϕ. Es gibt auch eine eindeutig bestimmte glatte Abbildung Φ : G/Γ →H mit Φ π = ϕ. Da π surjektiv ist, muss gelten: ϕ = Φ. Es ist damit ϕ ein Lie-Homomorphismus.

(5.13) Kommentar.

(a) Das produziert weitere Beispiele aus bekannten Beispielen. Z.B. ist Zn ⊆ Rn einediskrete Untergruppen (manchmal auch Gitter gennant). Deshalb trägt Tn = Rn/Zn

in natürlicher Weise eine Lie-Struktur, die aber isomorph zu der Produkt-Struktur aus(5.9,l) ist, weil

Rn/Zn → (S1)n, (t1, . . . , tn) + Zn 7→ (e2π i t1 , . . . , e2π i tn)

ein Lie-Isomorphismus ist.

(b) Die Zusammenhangs-Komponente G0 der Eins einer Liegruppe G ist ein Normalteiler,denn ist h ∈ G0 und α : [0, 1]→ G0 ein Weg von e = α(0) nach h = α(1), so ist auch fürjedes g ∈ G ghg−1 ∈ G0, denn β : I → G mit

β(t) = ga(t)g−1

113

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

ist ein Weg von β(0) = geg−1 = e nach β(1) = ghg−1. Also ist gG0g−1 ⊆ G0 und damitG0 ⊆ G normal.

Der Quotient Γ := G/G0 trägt die diskrete Topologie (als Quotiententopologie) und istdamit eine 0-dimensionale Liegruppe (manchmal auch als diskrete Gruppe bezeichnet).Sie heißt die Gruppe der Zusammenhangs-Komponenten von G.

Man hat dann eine exakte Sequenz von Liegruppen

1→ G0 i→ G π→ Γ→ 1, (∗)

wo i die Inklusion und π die Projektion ist.(Eine Sequenz · · · → Gi−1

αi−1→ Giαi→ Gi+1 →

· · · heißt exakt, wenn an jeder Stelle gilt: im(αi−1) = ker(αi))

Das Studium von G wirdso in gewisser Weise auf das Studium der zusammenhängenden Liegruppe G0 undder diskreten Liegruppe Γ aufgeteilt.

(Beachte aber, dass (∗) i.a. nicht impliziert, dass

G ∼= G0 × Γ ist.)

114

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Teil III.

Differentialgeometrie III

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(5.14) Erinnerung. Eine Gruppe (G, ·) heißt eine Liegruppe der Dimension n, wenn Geine glatte Mannigfaltigkeit ist und die Abbildungen mult : G× G → G, (g, h) 7→ gh undinv : G → G, g 7→ g−1 glatt sind.

(5.15) Kommentar (Meru). Es reicht zu fordern, dass mult glatt ist. Die Inversenabbil-dung inv ist es dann automatisch. Betrachte dazu

M =(g, g−1) ∈ G× G : g ∈ G

= mult−1(e) ⊆ G× G

(e ∈ G das neutrale Element). Bezeichnen

i1g : G → G× G, h 7→ (h, g), i2

g : G → G× G, h 7→ (g, h)

die (glatten) Inklusionen, so ist wegen

mult i1g−1 = rg−1 ,

wo rg : G → G die Rechtsmultiplikation mit g ist, h→ hg, auch:

(D mult)(g,g−1) (Di1g1)g = (Drg−1)g,

für g ∈ G. Da aber rg−1 ein Diffeomorphismus ist(vgl. (5.6,b)

), ist (Drg−1)g : TGg → TGe

surjektiv und damit auch (D mult)(g,g−1) : T(G × G)(g,g−1) → TGe. Es ist damit e ∈ G einregulärer Wert von mult und daher M ⊆ G×G eine Untermannigfaltigkeit der Codimension(und damit auch der Dimension) n in G× G. Weiter ist wegen

mult i2g = lg

wo lg : G → G die Linksmultiplikation h 7→ gh ist, auch

D(mult i2g)g−1 = (Dlg)g−1 : TGg−1 → TGe

invertierbar, also auch mit der Kettenregel

(D mult)(g,g−1)|Di2g(TGg−1) : Di2

g(TG)g−1 → TGe.

Nach dem impliziten Funktionensatz ist daher M lokal um (g, g−1) ∈ M Graph einer glattenAbbildung f : U → V mit U, V ⊆ G offen, g ∈ U, g−1 ∈ V:

M ∩ (U ×V) =(

h, f (h))

: h ∈ U

.

Das zeigt, dass die glatte und bijektive Abbildung pr1|M : M → G, (g, h) 7→ g, ein glattesInverses hat, nämlich lokal um g ist

(pr1|M)−1(h) =(h, f (h)

)(und global natürlich (pr1|M)−1(h) = (h, h−1)

). Es folgt, dass

inv = pr2 (pr1|M)−1

glatt ist.

(5.16) Definition. Sei G eine Liegruppe. Ein Vektorfeld X auf G heißt links-invariant(resp. rechts-invariant), wenn für g, h ∈ G gilt:

Xgh = (Dlg)hXh(resp.Xhg = (Drg)h(Xh)

). (∗)

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(5.17) Kommentar.

(a) Man beachte, dass (∗) gerade bedeutet, dass X lg-bezogen zu sich selbst im Sinne vonDefinition (3.36) ist:

X lg = Dlg X

(b) Man beachte auch, dass es reichen würde (∗) nur für h = e zu fordern,

Xg = (Dlg)e(Xe), ∀g ∈ G. (∗∗)

Wegen der Kettenregel würde sie dann auch für alle h ∈ G gelten:

Xgh(∗∗)= (Dlgh)e(Xe) =

(D(lg lh)

)e(Xe)

KR= (Dlg)h

((Dlh)e(Xe)

) (∗∗)= (Dlg)h(Xh)

(c) Links- (und rechts-) invariante Vektorfelder sind automatisch glatt, weil für eine glatteFunktion f ∈ E (0)(G) mit beliebigen glatten Fortsetzung Y ∈ X(G) von Xe, d.h. Ye = Xe,gilt (Übung):

X f = (0, Y)( f mult) i1e .

(5.18) Satz. Sei G eine Liegruppe und

g := X ∈ X(G) : X ist links-invariant(=: Lie(G)

)die Menge der links-invarianten Vektorfelder. Dann gilt:

(a) g ist eine Lie-Unteralgebra von X(G), d.h.: g ist ein R-Unterraum und für X, Y ∈ g gilt:[X, Y] ∈ g.

(b) Die Auswertung im neutralen Element e ∈ G ist ein Vektorraum-Isomorphismus, α : g→ TGe,

α(X) = Xe.

(5.19) Kommentar.

(a) Während die Lie-Algebra aller glatten Vektorfelder X(M) auf einer glatten Mannig-faltigkeit der Dimension n ≥ 1 stets unendlich-dimensional ist, ist bei einer LiegruppeG die Unteralgebra ihrer linksinvarianten Vektorfelder g stets endlich-dimensional. Siehat

(wegen (b)

)die Dimension der Gruppe

dimR g = dim G.

(b) Beachte, dass ein einzelner Tangentialraum einer Mannigfaltigkeit im allgemeinen keineLie-Algebra-Struktur trägt. Beim Tangentialraum TGe einer Liegruppe G am neutralenElement e ∈ G dagegen könnte man definieren: [ · , · ] : TGe × TGe → TGe

[ξ, ν] := [X, Y]e,

wo X, Y ∈ X(G) die eindeutig bestimmten links-invarianten Fortsetzungen (d.i.: dieUrbilder von ξ, ν unter α) sind. Das macht

(TGe, [ · , · ]

)zu einer (endlich-dimensionalen)

Liealgebra, die (nach Definition) vermöge α Lie-Isomorph zu g ist.

(c) Wir nennen g die Liealgebra von G und betrachten wie in (b) manchmal als TGe mit dervon α induzierten Lie-Struktur. Wir werden sehen, dass sie beträchtliche Informationenüber G enthält. Sie ist eine Art „Linearisierung“ von G. (Beachte, dass Lie-Algebrenstrukturell einfach sind als Liegruppen.) Die Lie-Algebra einer Lie-Gruppe wird häufigmit dem zugehörigen (alt-) deutschen Buchstaben bezeichnet, z.B.: Lie(G) = g, Lie(H) =

h, Lie(K) = k, . . .

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Beweis von (5.18). (a) Dass g ein linearer Unterraum ist, folgt aus

(λX + Y) lg = λ · X lg + Y lg, λ ∈ R, X, Y ∈ X(G)

und der Linearität Dlg in jedem Punkt,

Dlg(λX + Y) = λDlg(X) + Dlg(Y)

Damit ist g ein linearer Unterraum von X. Erinnere aus (3.37), dass, wenn Φ : M→ Nglatt ist, X und X Φ-bezogen Y und Y Φ-bezogen =⇒ [X, Y] und [X, Y] ist auch Φ-bezogen. Da X lg-bezogen auf X, Y lg-bezogen auf Y =⇒ [X, Y] ist lg-bezogen auf [X, Y],also [X, Y] auch links-invariant, wenn X und Y es waren. =⇒ g ∈ X(G) ist Unteralgebra.

(b) α ist ein Vektorraum-Homomorphismus, der injektiv ist, denn ein links-invariantesVektorfeld X ∈ g liegt ja wegen (∗∗) bereits durch seinen Wert in der Einheit e ∈ G fest,

Xg = (Dlg)e(Xe).

Andererseits ist α auch surjektiv, denn ist ξ ∈ TGe beliebig, so setze gerade

Xg := (Dlg)e(ξ), ∀g ∈ G.

Dann ist X wegen (5.17,b) links-invariant(da Xe = (Dle)e(ξ) = ξ

)und nach (c) glatt,

X ∈ g. Nach Konstruktion istα(X) = Xe = ξ.

(5.20) Beispiel.

(a) Sei G = A(n) = (Rn,+). Wir identifizieren kanonisch TGe = TRn0 mit Rn und wollen

die Lie-Klammer auf a = Rn berechnen. Wie lautet die links-invariante FortsetzungX ∈ X(Rn) von ξ ∈ Rn ∼= TRn

0? Sei α : (−ε, ε)→ Rn, α(t) = tξ

=⇒ Dlg(ξ) =ddt

∣∣∣∣t=0

(lg α(t)

)=

ddt

∣∣∣∣t=0

(g + α(t)

)=

ddt

∣∣∣∣t=0

(g + tξ) = ξ ∈ Rn ∼= TRng

Es ist alsoX(g) = ξ (= konstant)

Erinnere (3.35): Ist X = ai ∂∂xi , Y = bj ∂

∂xj ,

=⇒ [X, Y] =(

ai ∂bj

∂xi − bi ∂aj

∂xi

) ∂

∂xj .

Da die links-invarianten Fortsetzungen X, Y ∈ X(G) von ξ, η ∈ TGe konstant sind,

X = ξ i ∂

∂xi , Y = η j ∂

∂xj ,

folgt:[ξ, η] = [X, Y]e = 0.

Man sagt für eine Lie-Algebra(

L, [ · , · ]), dass sie abelsch ist, wenn [a, b] = 0 ist, für

alle a, b ∈ L. Die Lie Algebraa(n) = Lie

(A(n)

)ist also abelsch. (Wir sehen später: G abelsch⇐⇒ g abelsch.)

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(b) Sei G = GLnR. Dann istTGe ∼= Matn R

da GLn R ⊆ Matn R offen ist und

α : (−ε, ε)→ GLn R, α(t) = 1+ tξ

ist definiert für |t| < ε und ε klein genug (bei vorgegebenem ξ ∈ Matn R). WelcheLie-Struktur wird auf dem Vektorraum Matn R = TGe von GLn R induziert? Sei ξ =

(ξ ij) ∈ Matn R und X ∈ X(GLn R) seine links-invariante Fortsetzung. Dann ist

Xg = Dlg(ξ) =ddt

∣∣∣∣t=0

(g · (1+ tξ)

)=

ddt

∣∣∣∣t=0

(∑m

gim(δmj + tξmj))

ij=(∑m

gimξmj)

ij

also(mit der Koordinate xij(g) = gij)

X =(∑m

xim · ξmj) ∂

∂xij (also linear).

Ist Y ∈ X(G) links-invariant mit Y1 = η = (ηij), so ist also:

[ξ, η] = [X, Y]e =[(

∑m

ximξmj) ∂

∂xij ,(∑n

xknηnl) ∂

∂xkl

]=

(∑m,n

xim︸︷︷︸=δim

ξmj ∂

∂xij (xknηnl)︸ ︷︷ ︸=δk

i δnj ηnl

−∑m,n

ximηmj ∂

∂xij (xknξnl)

)∣∣∣∣xkl=δkl

∂xkl

=(∑

jξ ijδk

i η jl − ηijδki ξ jl) ∂

∂xkl

=(∑

jξkjη jl − ηkjξ jl

) ∂

∂xkl = ξη − ηξ.

Betrachtet man Matn R mit der von seiner Algebra-Struktur (A, B) 7→ AB induziertenLie-Struktur

[A, B] = AB− BA(vgl. (3.23)

), so bezeichnet man deshalb

(Matn R, [ · , · ]

)häufig als glnR (weil sie Lie-

Algebra von GLn R ist).

(c) Ist G eine Liegruppe und G0 ⊆ G ihre Einheitskomponente(vgl. (5.4)

), so ist die

links-invariante Fortsetzung X ∈ X(G0) eines Vektors ξ ∈ TG0e = TGe natürlich die

Einschränkung der links-invarianten Fortsetzung X ∈ X(G) von ξ nach G auf G0:X = X|G0. Da die Lie-Klammer [ · , · ] : X(M)×X(M)→ X(M) ein lokaler Operator ist,hängt [X, Y]e nur von X|U und Y|U ab, für eine beliebige offene Umgebung U von e,z.B. U = G0. Deshalb stimmen die Lie-Algebra-Strukturen auf TG0

e = TGe, die von G0

bzw. G induziert werden überein und damit, vermöge α aus (5.18,b), auch g und g0.D.h.: Die Lie-Algebren von G und G0 sind isomorph.

Die Lie-Algebra g einer Liegruppe G kann also nicht die Anzahl der Zusammen-hangskomponenten von G erkennen. Sie trägt nur die Gruppenstruktur von G in einer„infinitesimalen Umgebung“ von e ∈ G in sich (den „Keim der Liegruppe“).

g = Lie(G) = Lie(G0) = g0.

Deshalb ist z.B.:glnR = Lie(GLn R) = Lie(GL+

n R) = gl+n R.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(d) Ist G eine Liegruppe und H ⊆ G eine Untergruppe, die zudem eine Untermannig-faltigkeit ist (wir sagen manchmal: Lie-Untermannigfaltigkeit), so gilt für einen Vektorξ ∈ THe, dass seine links-invariante Fortsetzung X ∈ X(H) die Einschränkung derlinks-invarianten Fortsetzung X ∈ X(G) von ξ auf H ist,

X = X|H.

Es folgt für ξ, η ∈ THe:

[ξ, η]H = [X, Y]He =(3.37)

[X, Y]Ge = [ξ, η].

Kennt man die Lie-Algebra-Struktur von TGe, so kennt man sie deshalb auch vonTHe : f ⊆ g ist eine Lie-Unteralgebra.

(e) Sei etwaH := O(n) = A ∈ GLn R : At A = 1.

Wir wissen bereits, dass dim H = 12 (n− 1)n ist

(vgl. (2.71)

). Sei nun α : (−ε, ε) → H

eine glatte Kurve durch e = 1: α(0) = 1 und

α(s)tα(s) = 1, ∀s ∈ (−ε, ε)

=⇒ 0 =dds

∣∣∣∣s=0

(1) =dds

∣∣∣∣s=0

α(s)t · α(s) = α′(0)t · α(0)︸︷︷︸=1

+ α(0)t︸ ︷︷ ︸=1

·α′(0)

= ξt + ξ.

Es ist also:TH1 ⊆ L := ξ ∈ glnR : ξt + ξ = 0.

Nun ist aber

dim L = 1 + 2 + · · ·+ (n− 1) =12(n− 1)n.

Es ist also:o(n) = Lie

(O(n)

)= ξ ∈ glnR : ξt + ξ = 0

und da SO(n) = O(n)0 ist(siehe (5.9,a)

)auch

so(n) = L = o(n)(natürlich mit der induzierten Struktur (ξ, η) 7→ ξη − ηξ

)Man berechne zur Übung:

slnR = Lie(SLnR) = ξ ∈ glnR : tr(ξ) = 0

u(n) = Lie(Un) = ξ ∈ glnC : ξt+ ξ = 0,

die schief-Hermiteschen Matrizen und also

su(n) = Lie(SUn) = ξ ∈ glnC : ξt+ ξ = 0, tr(ξ) = 0.

Weiter

hei(n) = (

0 xij. . .

0 0

): xij ∈ R

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(5.21) Satz. Sei M eine Mannigfaltigkeit der Dimension n. Gibt es eine glatte Abbildung mult : M×M→ M, die M zu einer Liegruppe macht, so muss das Tangentialbündel von M trivial sein. (Mansagt: M ist parallelisierbar.)

(5.22) Kommentar. Wegen des Igelsatzes gibt es also z.B. auf M = S2 keine Liestrukturund ebenso auf S2n für alle n ∈ N.

(Tatsächlich gibt es neben S1 nur noch auf der S3

eine Liestruktur (nämlich die von SU(2)), auf allen Sphären den anderen Dimensionennicht mehr. Nur S7 ist noch parallelisierbar (Milnor), hat aber aus anderen Gründen keineLiestruktur.

)Beweis von (5.21). Sei G eine Liegruppe und g ihre Liealgebra. Man hat dann einen Bün-delisomorphismus zwischen dem trivialen Bündel G× g = Rn (vermöge einer Basis von g)und TG gegen durch

G× gΦ //

pr1 ##GGGGGGGGG TG

π

G

, (g, ξ) 7→ Xg,

wo X ∈ g die links-invariante Fortsetzung von ξ ∈ TGe ist; wir schreiben manchmal:X = ξ.

(5.23) Kommentar. Beachte, dass es auf einer glatten Mannigfaltigkeit aber durchausverschiedene Liestrukturen geben kann, z.B. auf M = R3 mit A(3) und Hei(3)

(vgl. (5.9,j)

).

(5.24) Erinnerung.

(a) Sind L1 und L2 (reelle) Lie-Algebren, so heißt eine lineare Abbildung f : L1 → L2 einLie-Homomorphismus, wenn für alle ξ, η ∈ L1 gilt:[

f (ξ), f (η)]= f

([ξ, η]

).

(b) Ein Lie-Homomorphismus f : L1 → L2 heißt ein Lie-Isomorphismus, wenn es einenLie-Homomorphismus g : L2 → L1 gibt mit g f = 1, f g = 1. Ist f : L1 → L2

ein Lie-Homomorphismus und ein Vektorraumisomorphismus, so ist f schon Lie-Isomorphismus, da seine Umkehrung f−1 : L2 → L1 dann automatisch Lie-Homomorphismusist:

f−1([ξ, η])= f−1

([f(

f−1(ξ)), f(

f−1(η))])

=f Lie-H.

f−1 f([

f−1(ξ), f−1(η)])

=[

f−1(ξ), f−1(η)].

(5.25) Definition. Seien G und H Liegruppen und ϕ : G → H ein Lie-Homomorphismus.Wir definieren dann den induzierten Lie-Homomorphismus ϕ∗ : g→ h zwischen den Lie-Algebren g von G und h von H so: Für X ∈ g, sei ϕ∗(X) ∈ X(H) das links-invarianteVektorfeld auf H, welches in e ∈ H den Wert Dϕe(Xe) annimmt,

ϕ∗(X) = Dϕe(Xe).

(5.26) Kommentar.

(a) Identifiziert man g mit TGe vermöge (5.18,b) (und versieht TGe mit der induziertenLie-Struktur), so ist ϕ∗ gerade das Differential von ϕ im neutralen Element, d.h.: das

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

folgende Diagramm kommutiert:

g

αG

ϕ∗ // h

αH

TGe Dϕe

// THe

(b) Beachte, dass für jedes h ∈ im(ϕ) gilt: Ist g ∈ ϕ−1(h), so

ϕ∗(X)(h) = (Dϕ)g(Xg),

d.h.: X ∈ X(G) und ϕ∗(X) ∈ X(H) sind ϕ-bezogen aufeinander,

ϕ∗(X) ϕ = Dϕ X.

Wegen lh ϕ = ϕ lg für h = ϕ(g)(weil ϕ(g) · ϕ(g′) = ϕ(g · g′) ist

)ist nämlich

ϕ∗(X)(h) = Dlh(Dϕe(Xe)

)= D(lh ϕ)e(Xe)

= D(ϕ lg)e(Xe) = Dϕg (Dlg)e(Xe)︸ ︷︷ ︸=Xg

= Dϕg(Xg).

Beachte aber, dass ϕ∗X ∈ X(H) auch in Punkten definiert ist, die nicht im Bild von ϕ

liegen.

(5.27) Proposition. Seien G und H Liegruppen mit Liealgebren g und h. Ist ϕ : G → H einLie-Homomorphismus (zwischen Liegruppen), so ist ϕ∗ : g→ h ein Lie-Homomorphismus (zwischenLie-Algebren).

Beweis. Da das Diagramm in (5.26) kommutiert (und αG, Dϕe und α−1H linear sind), ist

ϕ∗ = α−1H Dϕe αG

linear. Seien X, Y ∈ g beliebig, sowie X = ϕ∗X, Y = ϕ∗Y. Da X und X bzw. Y und Yϕ-bezogen sind, sind es auch [X, Y] und [X, Y]

(siehe auch (3.37)

), insbesondere gilt:

Dϕe([X, Y]e

)= [X, Y]ϕ(e) = [X, Y]e.

Da [X, Y] auch links-invariant ist, muss also

[ϕ∗X, ϕ∗Y] = [X, Y] = α−1H(Dϕe( [X, Y]e︸ ︷︷ ︸

αG([X,Y])

))

sein, also ϕ∗ ein Lie-Homomorphismus.

(5.28) Kommentar.

(a) Man bekommt so einen (covarianten) Funktor von der Kategorie der LiegruppenLie-Grp in die Kategorie der Lie-Algebren Lie-Alg, die jedem Objekt G aus Lie-Grpgerade ihre Lie-Algebra g = Lie(G) und jedem Morphismus ϕ ∈ Mor(G, H) (d.i. einLie-Homomorphismus ϕ : G → H) einen ϕ∗ ∈ Mor(g, h) (d.i. ein Lie-Homomorphismus)zuordnet, denn es ist für ϕ : G → H und ψ : H → K:

(ψ ϕ)∗ = ψ∗ ϕ∗,

123

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

da:

(ψ ϕ)∗ = α−1K D(ψ ϕ) αG = α−1

K DψeDϕeαG

= (α−1K DψeαH)(α

−1H DϕeαG) = ψ∗ ϕ∗

und auch1∗ = 1,

da1∗ = α−1

G D(1)e︸ ︷︷ ︸=1

αG = 1.

(b) Insbesondere überführt Lie : Lie-Grp → Lie-Alg Isomorphismen in Isomorphismen,denn ist ϕ ψ = 1 und ψ ϕ = 1 (für ϕ : G → H und ψ : H → G), so ist auch

ψ∗ ψ∗ = (ϕ ψ)∗ = 1∗ = 1, ψ∗ ϕ∗ = 1.

Sind also für zwei Liegruppen G und H ihre Liealgebren g und h nicht isomorph, sokönnen auch G und H nicht isomorph gewesen sein.

(5.29) Beispiel.

(a) Betrachte G = Hei(3) und H = SL2(R). Es ist dann

g = hei(3) =

0 ξ1 ξ3

0 0 ξ2

0 0 0

⊆ gl3(R)

und

h = sl2(R) = (

x1 x2

x3 −x1

) ⊆ gl2R.

Betrachte nun die Basis (e1, e2, e3) von g mit

e1 =(

0 1 00 0 00 0 0

), e2

( 0 0 00 0 10 0 0

), e3

(0 0 10 0 00 0 0

).

Dann gilt:[e1, e2] = e3, [e2, e3] = 0, [e3, e1] = 0.

Betrachte andererseits die Basis ( f1, f2, f3) von h mit:

[e1, e2] = 2e2, [e1, e3] = −2e3, [e2, e3] = e1.

(b) Für jede Lie-Algebra definiert man ihre abgeleitete Lie-Algebra L′ ⊆ L als das Erzeug-nis aller Kommutatoren [a, b] ∈ L (a, b ∈ L),

L′ = r

∑i=1

[ai, bi] ∈ L : r ∈N0, ai, bi ∈ L (i = 1, . . . , r)

.

Es ist dann L′ ⊆ L eine Lie-Unteralgebra (sogar ein Lie-Ideal, d.h. mit α ∈ L′, b ∈ L istauch [a, b] ∈ L′) und ist ϕ : L1 → L2 ein Lie-Homomorphismus, so bildet L′1 nach L′2ab. Ist ϕ ein Isomorphismus, so ist ϕ′ := ϕ|L′1 : L′1 → L′2 offenbar auch Isomorphismus(mit Inverses (ϕ−1)′

). Nun gilt offenbar für g = hei(3): g′ = 〈e3〉, also dim g′ = 1,

während für h = sl2R gilt: h′ = 〈e1, . . . , e3〉 = h, also dim h′ = 3. Also können g′ undh′ nicht isomorph sein, damit auch nicht g und h und damit auch nicht G und H.(Beachte: G und H sind bereits als Mannigfaltigkeiten nicht diffeomorph, da G ' R3

und H = S1 ×R2 (Übung) und damit z.B.: π1(G) = (1), π1(H) = Z.)

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(5.30) Kommentar.

(a) Ist L eine Lie-Algebra und B = (e1, . . . , en) eine Basis von L, so gibt es eindeutigbestimmte Ck

ij ∈ R (1 ≤ i, j, k ≤ n) mit

[ei, ej] = Ckijek.

Das Tupel (Ckij)1≤i,j,k≤n heißt das Tupel der Strukturkonstanten von L bzgl. B.

(b) Beachte, das wegen [a, b] = −[b, a], ∀a, b ∈ L, gilt:

Ckij = −Ck

ji, ∀i, j, k.

Es reicht also die Strukturkonstanten Ckij für 1 ≤ i < j ≤ n und k ∈ 1, . . . , n zu kennen.

Beachte auch, dass wegen der Jacobi-Identität gilt:

Cmil Cl

jk + Cmjl Cl

ki + Cmkl C

lij = 0 ∀1 ≤ i < j < k ≤ n, ∀1 ≤ m ≤ n (∗∗)

Gibt man umgekehrt auf einem R-Vektorraum V und einer Basis B = (e1, . . . , en) einTupel (Ck

ij) (von (n2) · n reellen Zahlen) und den n · (n

3) Relationen (∗∗) vor, so wird durch

[ei, ej] := Ckijek

(und deren bilineare Fortsetzung) eine Lie-Algebra-Struktur auf V erklärt. Es ist abernicht so einfach festzustellen, wann zwei Sätze C = (Ck

ij) und D = (Dkij) isomorphe

Strukturen auf V definieren.(Übung: Auf V = R2 gibt es bis auf Isomorphie genau

zwei Lie-Algebra-Strukturen, nämlich L1 = a(2), die abelsche, d.h.: [ · , · ] = 0, und dieauflösbare Struktur, gegeben auf der kanonische Basis (e1, e2) durch: [e1, e2] = e1. Mannennt eine Lie-Algebra L auflösbar, wenn mit

L(0) := L, L(1) = L′ = [L, L], L(2) = L(1)′, . . . , L(k+1) = L(k)′

(so genannte abgeleitete Reihe) gilt: Es gibt ein n ∈N mit L(n) = 0.)

(c) Man setzt für eine Lie-Algebra L außerdem:

L0 := L, L1 := [L, L] = L′, L2 := [L, L′], . . . , Lk+1 := [L, Lk]

und nennt sie nilpotent, wenn es ein n ∈ N gibt mit Ln = 0. Man hat also folgendeImplikationen:

abelsch =⇒ nilpotent =⇒ auflösbar

Beachte, dass hei(3) offenbar nilpotent, nicht aber abelsch ist. Die nicht-abelsche 2-dimensionale Lie-Algebra aus (b) ist auflösbar, nicht aber nilpotent.

(d) Auf R3 haben wir nun bereits vier verschiedene Lie-Strukturen kennen gelernt:

(i) a(3), (ii) hei(3), (iii) sl2R, (iv) so(3) ∼= (R3,×)(bzgl. kanonischer Basis: [e1, e2] := e3, [e2, e3] := e1, [e3, e1] := e2

)pbeachte: sl2R hat 2-dimensionale Unteralgebren, z.B. 〈e1, e2〉, da [e1, e2] = 2e2, (R3,×)nicht, weil für a, b ∈ R3 linear unabhängig auch (a, b, a× b) linear unabhängig ist. y

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(5.31) Definition. Sei G eine Liegruppe. Eine (glatte) Differentialform

ω ∈ E(G) :=n⊕

k=0

E (k)(G),

n = dim G, heißt links-invariant, wenn gilt:

l∗gω = ω, ∀g ∈ G.

(5.32) Kommentar.

(a) Eine 0-Form f ∈ E (0)(G), also eine glatte Funktion f : G → R, ist links-invariant genaudann, wenn sie konstant ist, denn l∗g( f ) = f lg und daher

l∗g f = f , ∀g⇐⇒ f lg = f , ∀g⇐⇒ f (g) = f lg(e) = f (e), ∀g ∈ G.

(b) Ähnlich wie bei Vektorfeldern sieht man, dass eine links-invariante Form auf G automa-tisch glatt ist.

(c) Die Auswertung beim neutralen Element e ∈ G bildet bei invarianten 1-Formen E (1)inv(G)

einen Vektorraum-Isomorphismus mit TG∗e ,

β : E (1)inv → TG∗e , ω 7→ ω(e),

denn ist α ∈ TG∗e beliebig so ist seine links-invariante Fortsetzung w ∈ E (1)inv(G) gegebendurch

ω(g) = (Dlg−1)∗g(α)

gerade das Urbild von α unter β. Identifiziert man TG∗e(vermöge α∗ aus (5.18,b)

)mit

g∗, so kann man also E (1)inv(G) mit g∗ identifizieren. Die natürliche Paarung

〈 · , · 〉 : E (1)inv(G)× g→ R(∼= E (0)inv(G)

), 〈ω, X〉 = ω(X)(

beachte, dass mit ω und X auch die Auswertung ω(X) ∈ E (0)(G) links-invariant alsokonstant

)geht in die natürliche Paarung zwischen g∗ × g→ R über.

E (1)inv(G)× g〈 · , · 〉 //

(α∗β)×1 ∼=

R

g∗ × g

nat.

::uuuuuuuuuuu

(d) Beachte auch, dass für eine R-Basis (ω1, . . . , ωn) = B von E (1)inv(G) B auch eine Modul-Basis des E (0)(G)-Moduls E (1)(G), weil T∗G trivial ist, T∗G ∼= G× g∗: Jede 1-Form ω

hat eine eindeutig bestimmte Darstellung

ω = aiωi, ai ∈ E (0)(G), i = 1, . . . , n.

(e) Das Gleiche gilt natürlich für den E (0)(G)-Modul X(G)(nämlich, dass eine R-Basis

(X1, . . . , Xn) von g)

auch eine E (0)(G)-Basis von X(G) ist und auch für beliebige k-Formen gilt:

ω = aIωI

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

mit I = i1, . . . , ik und 1 ≤ i1 < · · · ≤ ik ≤ n geordnet, ω I = ωi1 ∧ · · · ∧ ωik undaI ∈ E (0)(G). ω ist genau dann links-invariant, wenn aI konstant ist, denn l∗g ist einAlgebra-Isomorphismus und daher:

l∗g(ω) = l∗g(aI)l∗g(ωI) = l∗g(aI)ω

I != ω ⇐⇒ l∗g(aI) = aI ∀g⇐⇒ aI = const.

Auswertung bei e ergibt also einen Algebra-Isomorphismus zwischen kommutativengraduierten R-Algebren

Einv(G) =n⊕

k=0

E (k)inv(G)ev−→

n⊕k=0

Λk TG∗e︸︷︷︸∼=g∗

= Λg∗.

(5.33) Vorbereitung.

(a) Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit und ω eine glatte 1-Form auf M, ω ∈ E (1)(M). Danngilt für die äußere Ableitung dω ∈ E (2)(M) folgende koordinatenfrei Beschreibung vonE. Cartan:

dωp(ξ, η) = ξ(ω(Y)

)− η

(ω(X)

)−ωp

([X, Y]p

)für p ∈ M, ξ, η ∈ TMp und X, Y ∈ X(M) beliebigen Fortsetzungen von ξ bzw. η aufM, Xp = ξ, Yp = η. (Übung: Es reicht das für ω = f dxi, X = g ∂

∂xj , Y = h ∂∂xk zu prüfen.)

(b) Allgemeiner gilt sogar folgende Formel: Ist ω ∈ E (k)(M) und X0, . . . , Xk ∈ X(M), sogilt:

dω(X0, . . . , Xk) =k

∑i=0

(−1)iω(X0, . . . , Xi, . . . , Xk)

+ ∑i<j

(−1)i+jω([Xi, Xj], X0, . . . , Xi, . . . , Xj, . . . , Xk

).

(5.34) Bemerkung. Sei G eine Liegruppe und Einv(G) ⊆ E(G) die Unteralgebra der links-invarianten Differentialformen auf G.

(a) Dann gilt: Einv(G) ist auch abgeschlossen unter der äußeren Ableitung d : E(G)→ E(G):

d(Einv(G)

)⊆ Einv(G).

(b) Ist (X1, . . . , Xn) eine Basis der Lie-Algebra g von G mit Strukturkonstanten (Ckij)1≤i<j≤n

1≤k≤n

und (ω1, . . . , ωn) die dazu duale Basis von E (1)inv(G) ∼= g∗, so gelten die Gleichungenvon Maurer-Cartan:

dωk = −∑i<j

Ckijω

i ∧ω j

Beweis von (b). Da (ω1, . . . , ωn) eine E (0)(G)-Basis von E (1)(G) ist, ist auch (ωi ∧ ω j)i<j

eine E (0)(G)-Basis von E (2)(G), jede 2-Form α auf G also eindeutig darstellbar durch

α = ∑i<j

aijωi ∧ω j mit aij ∈ E (0)(G).

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

Hierbei ist

α(Xk, Xl) = ∑i<j

aij ωi ∧ω j(Xk, Xl)︸ ︷︷ ︸= ωi(Xk)ω

j(Xl)−ωi(Xl)ωj(Xk)

= δilδ

jl − δi

lδjk︸︷︷︸

=0 für k<l

= akl

Wegen Cartans Formel ist nun:

dωk(Xi, Xj) = Xi(ωk(Xj)︸ ︷︷ ︸

=δkj

)︸ ︷︷ ︸

=0

−Xj(ωk(Xi)

)︸ ︷︷ ︸=0

−ωk([Xi, Xj]︸ ︷︷ ︸Cl

ijXl

)

= −Clij ωk(Xl)︸ ︷︷ ︸

=δkl

= −Ckij.

(a) Ist α ∈ E (k)(G) und (ω1, . . . , ωn) eine Basis von E (1)inv(G), so gilt eindeutig bestimmteaI ∈ E (0)(G) mit

α = aIωI .

und α ist invariant, genau wenn aI konstant ist ∀I:

l∗gαl∗g Alg.-Hom.

= l∗g(aI) · l∗g(ω I)︸ ︷︷ ︸=ω I

= l∗g(aI)ωI

alsol∗gα = α, ∀g ∈ G ⇐⇒ lg(aI) = aI , ∀g ∈ G, ∀I ⇐⇒ aI = const., ∀I.

Es folgt, dass Einv(G) ⊆ E(G) schon mal (graduierte) Unteralgebra und aus der Leibniz-Regel für d folgt nun: α ∈ E (k)inv(G) =⇒ dα ∈ E (k+1)

inv (G) :

α = cIωI =⇒ dα

dcI=0= cIdω I I=i1,...,ik

= cId(ωi1 ∧ · · · ∧ωik)

= cI

k

∑κ=1

(−1)κ+1ωi1 ∧ · · · ∧ dωiκ ∧ · · · ∧ωik

Maurer-Cartan= cI

k

∑κ=1

(−1)κ+1ωi1 ∧ · · · ∧(−∑

j<lCiκ

jl ω j ∧ωl)∧ · · · ∧ωiκ ∈ E (k+1)

inv (G).

(5.35) Kommentar.

(a) Für eine Mannigfaltigkeit Mn hat

E(M) =n⊕

k=0

E (k)(M)

die algebraische Struktur einer kommutativen graduierten Differentialalgebra.(vgl.

(4.66,c))

(kurz: cdga, commutative differential graded algebra) (5.34) zeigt, dass Einv ⊆E(G) eine cdga-Unteralgebra bilden.

(5.36) Erinnerung. Sei Mn eine glatte Mannigfaltigkeit und E(M) ihre de Rham-Algebra.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(a) Eine Unteralgebra A ⊆ E(M) heißt graduiert, wenn mit jedem ω ∈ A auch seinehomogene Bestandteile in A sind,

ω = ω0 + · · ·+ ωn, ωk ∈ E (k), ω ∈ A =⇒ ωk ∈ A (k = 0, . . . , n).

IstA(k) := A ∩ E (k)(M),

so folgt:

A =n⊕

k=0

A(k)

(b) Eine graduierte Unteralgebra A ⊆ E(M) heißt eine (graduierte) Differential-Unteralgebra,wenn dA ⊆ A.

(Es ist dann (A, d) selbst eine cdga.

)(c) Eine Unteralgebra I ⊆ E(M) heißt ein Ideal, wenn E(M) · I ⊆ I ist. Eine cdga-

Unteralgebra, die zudem ein Ideal ist, heißt ein Differential-Ideal von E(M) (kurz:ein cdga-Ideal). (Es ist dann E(M)/I selbst wieder eine cdga.)

(5.37) Beispiel. Sei Mn glatt und D ⊆ TM eine Distribution von Rang k (0 ≤ k ≤ n). Mandefiniert dann das Ideal von D

I(D) := ω = ω0 + · · ·+ ωn ∈ E(M) : ∀p ∈ M ∀ξ1, . . . , ξk ∈ D : (ωk)p(ξ1, . . . , ξk) = 0

Es folgt, dass I(D) ⊆ E(M) ein graduiertees (homogenes) Ideal, denn ist z.B. α ∈ E (r)(M)

und ω ∈ I(s) := I ∩ E (s)(M), p ∈ M, ξ1, . . . , ξr+s ∈ Dp, so ist:

(α ∧ω)p(ξ1, . . . , ξr+s) = ∑I±α(ξi1 , . . . , ξir)ω(ξ j1 , . . . , ξ js)︸ ︷︷ ︸

=0

,

wo J = j1 < · · · < js = 1, . . . , n \ I, also

α ∧ω ∈ I(r+s).

Frage: Wann ist I differentiell?

(5.38) Bemerkung. Ist D involutiv, so ist I = I(D), differentiell.

Beweis. Sei ω ∈ I(D) beliebig, o.E. homogen vom Grad d (da I schon homogen ist). SeienX0, . . . , Xd ∈ Γ(D) = X ∈ X(M) : Xp ∈ Dp, ∀p ∈ M. Es reicht zu zeigen:

dω(X0, . . . , Xd) = 0,

denn ist p ∈ M, ξ0, . . . , ξp ∈ Dp beliebig, so gibt es X0, . . . , Xd ∈ Γ(D) mit (Xj)p = ξ j(j = 1, . . . , d) (siehe Diffgeo I). Nach Cartan ist aber

dω(X0, . . . , Xd) = X0(ω(X1, . . . , Xd)

)− · · · ± Xd

(ω(X0, . . . , Xd−1)

)+ ∑

i<j(−1)i+j ω

([Xi, Xj]︸ ︷︷ ︸∈Γ(D)

, X0, . . . , Xi, . . . , Xj, . . . , Xd)

︸ ︷︷ ︸=0

(5.39) Definition. Sei Mn glatt und ω1, . . . , ωr ∈ E (1)(M).

(a) Wir sagen, dass (ω1, . . . , ωr) unabhängig ist, wenn(ω1(p), . . . , ωr(p)

)linear unab-

hängig in TM∗p ist, für alle p ∈ M.

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(b) Ein Ideal I ⊆ E(M) heißt von unabhängigen 1-Formen ω1, . . . , ωr ∈ E (1)(M) erzeugt,wenn (ω1, . . . , ωr) unabhängig ist und

I = 〈ω1, . . . , ωr〉.

(5.40) Kommentar.

(a) Definiert man die zugehörige Distribution D = D(I) durch

Dp := ξ ∈ TMp : ωp(ξ) = 0, ∀ ∈ I(1),

so ist, wenn I = 〈ω1, . . . , ωr〉 ist und (ω1, . . . , ωr) unabhängig,

Dp = ker(αp)

fürαp : TMp → Rr, ξ 7→

(ω1(ξ), . . . , ωr(ξ)

),

also rg(D) =: k = n− r. D ist eine glatte Distribution und es gilt: I(

D(I))= I (Übung).

(b) Beachte, dass nicht jede Distribution D ⊆ TM vom Rang k I = I(D) von r = n− kunabhängigen 1-Formen erzeugt wird. (Nur lokal gilt das.) Das ist genau dann der Fall,wenn das Normalenbündel TM/D trivial ist.

(5.41) Definition. Sei Mn glatt, I ⊆ E(M) homogenes Ideal.

(a) Eine injektive Immersion f : N → M heißt integral für I, wenn für alle ω ∈ I gilt:f ∗(ω) = 0.

(b) Eine Integralmannigfaltigkeit f : N → M für I heißt maximal, wenn für jede weitereIntegralmannigfaltigkeit g : N → M mit g(N) ⊇ f (N) gilt: g(N) = f (N).

(5.42) Kommentar. Ist I von unabhängigen ω1, . . . , ωd ∈ E (1)(M) erzeugt und D = D(I),so ist ein injektive Immersion f : N → M offenbar genau dann integral für I, wenn fIntegral-Mannigfaltigkeit für die Distribution D ist, denn: für alle X ∈ X(N) gilt:

f ∗ω(X) = ω( f∗X),

alsof ∗ω = 0, ∀ω ∈ I(1) ⇐⇒ ω| im( f∗) = 0, ∀ω ∈ I(1) ⇐⇒ im( f∗) ⊆ D.

(5.43) Satz (von Frobenius, differentielle Version). Sei Mn glatt, ω1, . . . , ωr ∈ E (1)(M)

unabhängig und I = 〈ω1, . . . , ωr〉 ⊆ E(M). Ist I ein Differentialideal, so gibt es zu jedem p ∈ Meine (bis auf Äquivalenz) eindeutig bestimmte maximale Integral-Mannigfaltigkeit f : N → M mitp ∈ f (N).

Beweis. Ist I differentiell, so ist D = D(I) involutiv, denn: sind X, Y ∈ Γ(D) beliebig,i ∈ 1, . . . , r, so gilt:

ωi([X, Y]

)= − dωi︸︷︷︸

∈I

(X, Y)

︸ ︷︷ ︸=0

+X(

ωi(Y)︸ ︷︷ ︸=0, weilY∈Γ(D)

)−Y

(ωi(X)︸ ︷︷ ︸

=0

)

also [X, Y] ∈ Γ(D). Nach Frobenius(siehe (3.59)

)existiert deshalb ein eindeutig bestimmte

Integral-Mannigfaltigkeit f : N → M durch p, welche maximal ist.

130

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(5.44) Kommentar. Für Ideale I ⊆ E(M) die von unabhängigen 1-Formen ω1, . . . , ωr ∈E (1)(M) erzeugt werden, gilt also:

I differentiell ⇐⇒ D = D(I) involutiv (also integrabel)

(5.45) Motivation. Gegeben seien Mannigfaltigkeiten Mn und Nr und 1-Formen ω1, . . . , ωr

1-Formen auf N, z.B. eine Basis von E (1)(N) über E (0)(N). Sei weiter gegeben α1, . . . , αr ∈E (1)(M).

Frage: Wann gibt es eine glatte Abbildung Φ : M→ N mit

Φ∗(ωi) = αi für i = 1, . . . , r? (∗)

Beachte. Lokal bedeutet (∗) für eine Φ beschreibende Abbildung ϕ : U → V, U ⊆ Rn

und V ⊆ Rr offen, dass ϕ1, . . . , ϕr : U → R Lösung eines Systems von r · n partielleDifferentialgleichungen 1.Ordnung ist (ähnlich, wie das in Frobenius’ Satz ist).

pωi = ηijdyj, αi = ξikdxk =⇒(∗) ηij ϕ∂ϕj

∂xk = ξik (1 ≤ i ≤ r, 1 ≤ k ≤ n)(⇐⇒ ∂ϕj

∂xk = (ηij ϕ) · ξik)y

(5.46) Vorbereitung. Betrachte in der Situation von (5.45) die 1-Formen µ1, . . . , µr ∈E (1)(M× N), gegeben durch:

µi := π∗1 αi − π∗2 ωi (i = 1, . . . , r)

und das von ihnen erzeugte Ideal I = 〈µ1, . . . , µr〉 ⊆ E(M× N). Der Graph von Φ, das istdie injektive Immersion g : M→ M× N,

g(p) =(

p, Φ(p))

ist dann eine Integral-Mannigfaltigkeit I, denn für jedes i = 1, . . . , r gilt:

g∗(µi) = g∗π∗1 αi − g∗π∗2 ωi = (π1g︸︷︷︸=1

)∗αi − (π2g︸︷︷︸=Φ

)∗ωi = αi −Φ∗ωi = 0. (∗)

weil π1 g = 1 und π2 g = Φ ist(und damit g∗(µ) = 0, ∀µ ∈ I

).

Hat man deshalb umgekehrt, dass I ein Differential-Ideal ist, dI ⊆ I, so kann man beiVorgabe von (p0, q0) ∈ M× N hoffen, dass man Φ : M→ N mit Φ(p0) = q0 und Φ∗ωi = αidadurch erhält, in dem man eine Integral-Mannigfaltigkeit g : M→ M× N durch (p0, q0)

(nach Frobenius) wählt und dann, falls π1 : g(M) → M ein Diffeomorphismus ist, dieAbbildung Φ : M→ N durch

Φ = π2 (π1|g(M))−1,

also g(M) also Graph von Φ, bekommt.

(5.47) Satz (Cartan). Seien Mn und Nr und (ω1, . . . , ωr) eine Basis von E (1)(N) über E (0)(N)

(also N parallelisierbar). Seien α1, . . . , αr ∈ E (1)(M) derart, dass das Ideal I = 〈µ1, . . . , µr〉 ⊆E(M× N) mit µi := π∗1 αi − π∗2 ωi differentiell ist. Dann gilt:

(a) Zu jeder Wahl (p0, q0) ∈ M× N gibt es eine offene Umgebung U ⊆ M von p0 und eine glatteAbbildung Φ : U → N mit Φ(p0) = q0 und Φ∗ωi = αi, für i = 1, . . . , r (lokale Existenz);

131

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(b) Ist U ⊆ M offen und zusammenhängend, p ∈ U und sind Φ1, Φ2 : U → N glatt mit Φ1(p) =Φ2(p) und Φ∗k = αi, für i = 1, . . . , r (k = 1, 2), so gilt bereits: Φ1 = Φ2 (Eindeutigkeitsatz).

Beweis. (a): (i) Seien X1, . . . , Xr ∈ X(N) die zu ω1, . . . , ωr ∈ E (1)(N) dualen Vektorfelder,also

ωi(X j) = δji (in jedem Punkt q ∈ N).

Behauptung: (µ1, . . . , µr) ist unabhängig. Denn ist (p, q) ∈ M× N beliebig und λ1, . . . , λr ∈R mit

λ1µ1 + · · ·+ λrµr = 0(in (p, q)

)so gilt für

ηi := (0, Xiq︸︷︷︸

=:ξ i

) ∈ TMp ⊕ TNq ∼= T(M× N)(p,q),

dass(π1)∗(η

i) = (Dπ1)(p,q)(0, ξ i) = 0, (π2)∗(ηi) = ξ i

ist und deshalb

0 = λjµj(ηi) = λj(π∗1 αj(η

i)− π∗2 ωj(ηi))

= λj(

αj((π1)∗η

i︸ ︷︷ ︸=0

)−ωj

((π2)∗(η

i)︸ ︷︷ ︸=ξ i=Xi

q

))= −λj ωj(Xi)︸ ︷︷ ︸

=δij

= −λi

Es ist also I = 〈µ1, . . . , µr〉 von r unabhängigen 1-Formen erzeugt und nach Voraussetzungdifferentiell. Deshalb gibt es nach (5.43) eine Integral-Mannigfaltigkeit g : M → M × Nder Dimension (n + r)− r = n durch (p0, q0), also ein p0 ∈ M mit g( p0) = (p0, q0) vonI, d.i.: g∗(µi) = 0, i = 1, . . . , r. Nach evtl. Verkleinerung von M kann man annehmen,dass g(M) ⊆ M × N eine Untermannigfaltigkeit von M × N und g : M → g(M) einDiffeomorphismus ist (Umkehrsatz).

(ii) D(π1|g(M)

)(p0,q0)

: T(

g(M))→ TMp0 ist ein Isomorphismus. Dazu: Da Dgp0 : TMp0 →

T(

g(M))(p0,q0)

ein Isomorphismus ist, ist

dim T(

g(M))(p0,q0)

= dim M = n = dim TMp0

und es reicht daher die Injektivität von D(π1|g(M)

)(p0,q0)

zu zeigen. Da g integral ist, alsog∗(µi) = 0, i = 1, . . . , r, gilt:

T(

g(M))(p0,q0)

= ker((µ1, . . . , µr) : T(M× N)(p0,q0) → Rr),

dennµi(

g∗(ξ)︸ ︷︷ ︸⊆T(g(M))(p0,q0)

)= g∗µi(ξ) = 0, ∀ξ ∈ TMp0 .

Ist nun v ∈ ker(µ1, . . . , µr) mit (Dπ1)(p0,q0)(v) = 0 gegeben, so folgt:

0 = µi(v) = π∗1 αi(v)− π∗2 ωi(v)

= αi((π1)∗(v)︸ ︷︷ ︸

=0

)−ωi

((π2)∗(v)

)= −ωi

((π2)∗(v)

), i = 1, . . . , r.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Da aber (ω1, . . . , ωr) eine Basis von TNq0 ist, folgt: (π2)∗(v) = 0. Aber wegen (π1, π2) =

1 : M× N → M× N:v = (π1)∗(v) + (π2)∗(v) = 0 + 0 = 0

und damit (π1)∗|T(

g(M))(p0,q0)

ein Isomorphismus. Dann ist offenbar

Φ(p0) = π2 (π1|W)−1(p0)︸ ︷︷ ︸=(p0,q0)

= q0

und wegen(D(π1|W)−1)

p(ξ) = ker(µ1, . . . , µr)(p0,q0) ist nun mit (∗) aus (5.46) rückwärts:

0 = µ(D(π1|W)−1

p (ξ))= π∗1 αi

(D(π1|W)−1

p (ξ))− π∗2 ωi

(D(π1|W)−1

p (ξ))

= αi(Dπ1 D(π1|W)−1

p︸ ︷︷ ︸=1

(ξ))−ωi

(Dπ2 D(π1|W)−1

p︸ ︷︷ ︸=DΦ

(ξ))

= αi(ξ)−ωi(DΦ(ξ)

)= αi(ξ)−Φ∗ωi(ξ) = (αi −Φ∗ωi)(ξ), ∀ξ ∈ TMp,

also Φ∗ωi = αi (i = 1, . . . , r).(b) Ist U ⊆ M zusammenhängend, p ∈ U und Φ1, Φ2 : U → N glatt mit Φ1(p) = Φ2(p)

undΦ∗k ωi = α (k = 1, 2) (i = 1, . . . , r),

so gilt bereits:Φ1 = Φ2.

Beweis: Seien Φ1, Φ2 : U → N mit Φ∗k ωi = αi, so betrachte

V :=

p ∈ U : Φ1(p) = Φ2(p)

.

Dann ist V 6= ∅, da p0 ∈ V ist, und abgeschlossen in U, weil Φ1 und Φ2 stetig sind. Istp0 ∈ V gegeben, so sind sowohl

g1 : U → M× N, g1(p) =(

p, Φ1(p))

also auchg2 : U → M× N, g2(p) =

(p, Φ2(p)

)Integral-Mannigfaltigkeiten des Ideals 〈µ1, . . . , µr〉 durch ( p0, q0) mit q0 := Φ1( p0) =

Φ2( p0)(siehe (5.46)

). Nach der Eindeutigkeit der Integral-Mannigfaltigkeit durch einen

Punkt im Satz von Frobenius, gibt es deshalb U1, U2 ⊆ U mit offenen UmgebungenUk ⊆ U von p0, so dass g1(U1) = g2(U2). Aber aus g1(p) ∈ g2(U2) folgt:

(p, Φ1(p)

)=(

p′, Φ(p′))

für ein p′ ∈ U2.

=⇒ p = p′ =⇒ U1 ⊆ U2 =⇒ U1 = U2 und Φ1(p) = Φ2(p), ∀p ∈ U1 = U2.

Damit ist V ⊆ U auch offen in U, und da U zusammenhängend ist, folgt: V = U und damit:Φ1 = Φ2.

(5.48) Vorbereitung. Seien nun G und H wieder Liegruppen und g bzw. h ihre Lie-Algebren. Gegeben sei ein Lie-Homomorphismus ϕ : g→ h. Frage:

1. Gibt es einen Lie-Homomorphismus Φ : G → H mit Φ∗ = ϕ?

2. Sind Φ1, Φ2 : G → H Lie-Homomorphismen mit (Φ1)∗ = (Φ2)∗. Gilt dann: Φ1 = Φ2?

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

Beachte:

(i) ϕ : g→ h induziert ϕ∗ : h∗ → g∗ seine duale Abbildung

〈ϕ∗ω, X〉 = 〈ω, ϕX〉, ω ∈ h∗, X ∈ g.

(ii) ϕ∗ induziert dann auch Λ2ϕ∗ : Λ2h∗ → Λ2g∗ mit

Λ2ϕ∗(ω ∧ τ) = ϕ∗ω ∧ ϕ∗τ

(mit universelle Eigenschaft) bzw., wenn man Λ2g∗ ∼= Alt2(g)

Λ2ϕ∗(ω)(X, Y) = ω(ϕX, ϕY), ∀X, Y ∈ g.

(iii) Man kann auch d: g∗ → Λ2g∗ (für eine beliebige Lie-Algebra g) definieren durch

dω(X, Y) = −ω([X, Y]

)(vgl. Cartans Formel)

und ähnlich auch auf Λkg∗ und damit auf Λg∗ =⊕n

k=0 Λkg∗ (n = dim g) derart, dassΛg∗ zu einer cdga wird.

Beachte, dass d in folgendem Sinn funktoriell ist: d(ϕ∗ω) = ϕ∗(dω), für ω ∈ L∗, ϕ : L→M, L = g, M = h, denn:

d(ϕ∗ω)(X, Y) = −ϕ∗ω([X, Y]

)für X, Y ∈ L (nach Def.)

= −ω(

ϕ([X, Y]

)) (nach Def.(i)

)= −ω

([ϕX, ϕY]

)da ϕ Hom.

= dω(ϕX, ϕY) nach Def. von d

=(

ϕ∗(dω))(X, Y) nach Def. von Λ2ϕ∗

∀X, Y ∈ L, alsod(ϕ∗ω) = ϕ∗(dω).

(5.49) Lemma. Seien L und M Lie-Algebren und (Y1, . . . , Yr) = B eine Basis von M. Seien (Cijk)

die Strukturkonstanten von M bzgl. B und (ω1, . . . , ωn) dual zu B. Sei schließlich ϕ : L→ M einLie-Homomorphismus. Dann gilt mit

µi := π∗1(ϕ∗ωi)− π∗2 ωi ∈ (L×M)∗ ∼= L∗ ⊕M∗

sowie den Projektionen π1 : L×M→ L, π2 : L×M→ M, dass das Ideal I = 〈µ1, . . . , µr〉 ⊆ ΛL∗

differentiell ist, d.h.: dI ⊆ I.

Beweis. Es reicht zu zeigen, dass dµi ∈ I ist(für i ∈ 1, . . . , r

), weil d derivativ ist (Übung).

Außerdem ist dωi = −Cijkwj ∧ωk (nach Def.).

=⇒ dµi = π∗1(d(ϕ∗ωi)

)− π∗2(dωi)

(5.48)= π∗1

(ϕ∗(dωi)

)− π∗2(dωi)

= −Cijk

π∗1(

ϕ∗(ω j ∧ωk)︸ ︷︷ ︸=ϕ∗ω j∧ϕ∗ωk

)− π∗2(ω

j ∧ωk)

= −Cijk

[π∗1 ϕ∗ω j − π∗2 ω j︸ ︷︷ ︸

=µj∈I

]∧ π∗1(ϕ∗ωk) + π∗2 ω j ∧

[π∗1(ϕ∗ωk)− π∗2 ωk︸ ︷︷ ︸

µk∈I

]∈ I.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(5.50) Satz. Seien G und H Liegruppen mit Lie-Algebren g und h. Ist G zusammenhängend undΦ1, Φ2 : G → H Lie-Homomorphismen mit (Φ1)∗ = (Φ2)∗, so gilt bereits: Φ1 = Φ2.

Beweis. Man wähle Basis (ω1, . . . , ωr) von h∗. Dann ist (ω1, . . . , ωr) auch E (0)(H)-Basis vonE (1)(H). Da für Φ1 und Φ2 gilt:

Φ∗1ωi = ϕ∗ωi = Φ∗2ωi (i = 1, . . . , r)(bei ϕ = (Φ1)∗ = (Φ2)∗

)und weiter: Φ1(e) = e = Φ2(e) und schließlich mit I =

〈µ1, . . . , µr〉 ⊆ Λ(g× h) undµi = π∗1 ϕ∗ωi − π∗2 ωi

auch I := 〈µ1, . . . , µr〉E(G×H) ⊆ E(G× H) differentiell ist (denn dµi ∈ I), kann man (5.47,b)anwenden: Φ1 = Φ2.

(5.51) Kommentar. (5.47,a) liefert bei Vorgabe eines Homomorphismus ϕ : g→ h, dass eslokal um e ∈ G ein differenzierbares Φ : U → H gibt mit Φ(e) = e und Φ∗(ωi) = ϕ∗(ωi)|U,wo U ⊆ G eine offene Umgebung von e ist, aber es ist in dieser lokalen Version nichteinfach auch nur zu formulieren, dass Φ ein „lokaler“ Homomorphismus ist

(Φ(g1g2) =

Φ(g1)Φ(g2), falls g1, g2, g1g2 ∈ U). Wir werden später sehen, dass unter gewissen topolo-

gischen Voraussetzungen an G die Abbildung Φ sogar global existiert, Φ : G → H, und einLie-Homomorphismus ist.

(5.52) Definition. Seien G und H Liegruppen und ϕ : H → G ein Lie-Homomorphismus,der injektiv und immersiv ist. Wir nennen dann (H, ϕ) eine Lie-Untergruppe von G.

(5.53) Kommentar. Beachte, dass ϕ die Liegruppe H isomorph auf die abstrakte Unter-gruppe ϕ(H) ⊆ G abbildet, denn ϕ ist injektiv. ϕ braucht aber i.a. kein Homöomorphismusvon H auf ϕ(H) mit der Teilraumtopologie zu sein. Die abstrakte Untergruppe ϕ(H) ⊆ Gzusammen mit der (i.a. viel zu groben) Teilraumtopologie wird keine Liegruppe sein

(vgl.

(3.62)).

(5.54) Bemerkung. Sei (H, ϕ) eine Lie-Untergruppe von G. Dann ist h := Im(ϕ∗) =

ϕ∗(f) ⊆ g eine Lie-Unteralgebra von g, die isomorph zu h ist.

Beweis. ϕ∗ : h→ g ist injektiv, da ϕ als immersiv vorausgesetzt war. Aber dann ist ϕ∗ : h→h := Im(ϕ∗) ein Lie-Isomorphismus zwischen Lie-Algebren

(und natürlich Im(ϕ∗) eine

Lie-Unteralgebra von g).

(5.55) Frage.

1. Können verschiedene Lie-Untergruppen die gleiche Lie-Unteralgebra von g induzieren?

2. Taucht jede Lie-Unteralgebra h ⊆ g∗ als Lie-Algebra einer Lie-Untergruppe (H, ϕ) auf,h = Im(ϕ∗)?

(5.56) Kommentar.

(a) Ist H0 ⊆ H die Einskomponente einer Liegruppe H und ist ϕ : H → G eine Lie-Untergruppe, so haben ja H0 und H die gleiche Liealgebra h und daher ist natürlichϕ∗(h) = ϕ∗(h0) = h gleich. Wir sollten daher in Frage 1 aus (5.55) H als zusammenhän-gend voraussetzen.

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(b) Bei einer Lie-Untergruppe (H, ϕ) von G denkt man schon an die abstrakte Unter-gruppe ϕ(H) ⊆ G, allerdings mit einer Mannigfaltigkeits-Struktur, die i.a. keineUntermannigfaltigkeit-Struktur von G ist. Wir wollen deshalb (H1, ϕ1) und (H2, ϕ2)

nicht unterscheiden, wenn ϕ2 im Wesentlichen aus ϕ1 nur durch Vorschalten einesAutomorphismus’ von H zu Stande kommt. Genauer:

(5.57) Definition. Zwei Lie-Untergruppen (H1, ϕ1) und (H2, ϕ2) einer Liegruppe heißenäquivalent, wenn es einen Lie-Isomorphismus ψ : H1 → H2 gibt mit ϕ2 ψ = ϕ1,

H1ϕ1 //

ψ ∼=

G

H2

ϕ2

>>~~~~~~~~

(5.58) Kommentar.

(a) Sind (H1, ϕ1) und (H2, ϕ2) äquivalent, so induzieren sie wegen

(ϕ1)∗(h1) = (ϕ2 ψ)∗(h1) = (ϕ2)∗(ψ∗(h1)︸ ︷︷ ︸

h2

)= (ϕ2)∗(h2)

natürlich die gleiche Lie-Unteralgebra von g.

(b) Ist (H, ϕ) Lie-Untergruppe, so versehe man die abstrakte Gruppe A ⊆ G, A := ϕ(H),mit der Lie-Struktur, so dass ϕ′ : H → ϕ(H) = A ein Lie-Isomorphismus wird. Dann istdie Inklusion i : A → G ein Lie-Homomorphismus

(da i = ϕ (ϕ′)−1) und damit (A, i)

eine Lie-Untergruppe, die natürlich äquivalent zu (H, ϕ) ist (vermöge ϕ′),

Hϕ //

ϕ′ ∼=

G

Ai

??~~~~~~~

(5.59) Proposition. Sei G eine zusammenhängende Liegruppe und U eine offene Umgebung vone ∈ G. Dann gilt:

G =∞⋃

n=1

Un

(mit Un = g1 · · · gn ∈ G : gi ∈ U (i = 1, . . . , n)

).

Beweis. Indem gegebenenfalls von U zu U ∩U−1 übergeht, dass U = U−1 = g−1 ∈ G :g ∈ U ist. Es ist dann

H :=∞⋃

n=1

Un

zunächst eine Untergruppe von G. Da U offen ist, ist auch Un offen (denn für U, V ⊆ G offen=⇒ U ·V =

⋃g∈U gV offen), also ist auch H offen. Damit sind auch alle Linksnebenklassen

gH ⊆ G offen, denn lg : G → G ist Homöomorphismus. Es ist nun

G = H t⊔

g/∈H

gH,

und H nicht-leer, da z.B. e ∈ H. Es folgt, weil G zusammenhängend ist:⊔

g/∈H gH = ∅ =⇒H = G.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(5.60) Satz. Sei G eine Liegruppe und g ihre Liealgebra. Dann gibt es zu jeder Unteralgebra h ⊆ g

bis auf Äquivalenz genau eine zusammenhängende Lie-Untergruppe (H, ϕ) von G mit Im(ϕ∗) = h.

Beweis. (i) Existenz: Für jedes g ∈ G sei

Dg = Xg ∈ TGg : X ∈ h ⊆ TGg.

Sei dim h = k und (X1, . . . , Xk) eine Basis von h. Dann ist D := (Dg)g∈G eine glatte Distribu-tion vom Rang k, denn sie wird global von den glatten Vektorfeldern X1, . . . , Xk erzeugt,

Dg =⟨(X1)g, . . . , (Xk)g

⟩, ∀g ∈ G.

(α) Behauptung: D ist involutiv. Seien dazu X, Y ∈ Γ(D) beliebig. =⇒ ∃a1, . . . , ak, b1, . . . , bk ∈E (0)(G) :

X = aiXi, Y = bjXj(da (X1, . . . , Xk) auch E (0)(G)-Basis von X(G) ist.

)=⇒ [X, Y] = [aiXi, bjXj] = aibj [Xi, Xj]︸ ︷︷ ︸

∈h︸ ︷︷ ︸∈Γ(D)

+ ai(Xibj) · Xj︸ ︷︷ ︸∈Γ(D)

− bj(Xjai) · Xi︸ ︷︷ ︸∈Γ(D)

∈ Γ(D),

also D involutiv. Sei nun (H, ϕ) die nach dem Satz von Frobenius existierende maximaleIntegral-Mannigfaltigkeit bzgl. D durch e ∈ G.

(β) ϕ(H) ⊆ G ist eine (abstrakte) Untergruppe. Sei dazu g ∈ ϕ(H) beliebig. Betrachtedann die injektive Immersion

ϕ′ := lg−1 ϕ : H → G.

Ist g = ϕ(h) =⇒ ϕ′(h) = g−1 · g = e und

Im(Dϕ′h) = Dlg−1(Im Dϕh︸ ︷︷ ︸=Dϕ(h)

) = Dlg−1ϕ(h),

weil D = (Dg) G-invariant ist, Dlg′(Dg) = Dg′g. Also ist auch (H, ϕ′) eine Integral-Mannigfaltigkeit durch e. Da (H, ϕ) aber maximal ist, folgt: ϕ′(H) ⊆ ϕ(H). Für jedesg, g′ ∈ ϕ(H) ist also mit g′ = ϕ(h′) (für h′ ∈ H) auch

g−1g′ = g−1 · ϕ(h′) ∈ lg−1

(ϕ(H)

)= ϕ′(H) ⊆ ϕ(H),

also ϕ(H) ⊆ G Untergruppe. Wir versehen nun H mit der Gruppenstruktur, so dassϕ : H → ϕ(H) ein (abstrakter) Gruppenisomorphismus wird,

h1 · h2 := ϕ−1(ϕ(h1) · ϕ(h2)).

Wenn gezeigt ist, dass mult : H × H → H glatt ist, so ist H also eine Liegruppe und ϕ eininjektiver und immersiver Lie-Homomorphismus, d.i.: (H, ϕ) ist ein Lie-Untergruppe. NachKonstruktion ist ϕ∗(h) = h, denn Dϕe(THe) = De = Xe : X ∈ h und ϕ∗(X) ist nachDefinition das linksinvariante Vektorfeld auf G, welches in e mit Dϕe(Xe) übereinstimmt,also ϕ∗(X) ∈ h. Da ϕ∗ injektiv ist und damit dim ϕ∗(h) = dim(h), folgt: ϕ∗(h) = h.

(γ) mult : H × H → H ist glatt. Aber für β : H × H → H, (h1, h2) 7→ ϕ(h1) · ϕ(h2) ist

H × Hβ //

mult ##GGGGGGGGG G

H

ϕ

OO

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

kommutativ und daher nach (3.61) mult zunächst stetig, dann nach (3.43) sogar glatt. =⇒Existenz.

(ii) Eindeutigkeit: Sei (H, ϕ) (nach Frobenius) wie unter (a) und (K, ψ) eine weiterezusammenhängende Lie-Untergruppe mit Im(ψ∗) = h = Im(ϕ∗). Wegen der Linksinvarianzvon D = (Dg) folgt, dass auch (K, ψ) eine Integral-Mannigfaltigkeit für D durch e ist, alsoψ(K) ⊆ ϕ(H), wegen der Maximalität von (H, ϕ):

Dψh(THh) = Dψh (Dlh)e(h) = D(ψ lh)e(h) =ψlh=lψ(h)ψ

D(lψ(h) ψ)e(h)

= Dlψ(h) Dψe(h)︸ ︷︷ ︸=De

= Dψ(h).

Es gibt deshalb (wieder) eine Abbildung η : K → H, so dass das folgende Diagrammkommutiert:

Kψ //

η @@@@@@@ G

H

ϕ

OO

η ist ein Gruppenhomomorphismus, weil ψ und ϕ es sind (und ϕ injektiv ist):

ϕ(η(h1h2)

)= ψ(h1h2) = ψ(h1)ψ(h2) = ϕ

(η(h1)

)ϕ(η(h2)

)= ϕ

(η(h1)η(h2)

)=⇒ η(h1h2) = η(h1)η(h2)

mit

ψ = ϕ η, Kψ //

η ∼=

G

??~~~~~~~

wieder wegen (3.61)(und (3.43)

)ist η auch glatt und weil ϕ und ψ immersiv sind, ist es

auch η:0 = Dηh(ξ) =⇒ 0 = Dϕη(h)

(Dηh(ξ)

)= Dψh(ξ) =⇒ ξ = 0.

Da dim K = dim H = dim h = k ist, folgt: η bildet eine offene Umgebung V ⊆ K von e ∈ Kdiffeomorph auf eine offene Umgebung U ⊆ H von e ab. Aber damit liegt auch

Un = η(Vn) ⊆ Im(η).

Nach (5.59) ist damit η auch surjektiv. Injektiv ist es sowieso, weil ψ es ist (ψ = ϕ η injektiv=⇒ η injektiv). η ist Lie-Isomorphismus.

(5.61) Kommentar. Aber wann ist ϕ(H) ⊆ G sogar eine Lie-Untermannigfaltigkeit. NachKapitel 3 ist das genau dann der Fall, wenn ϕ : H → ϕ(H) ein Homöomorphismus ist(wobei ϕ(H) nun die Relativ-Topologie von G trägt, d.h.: wenn ϕ eine Einbettung ist, siehe

(3.43)).

(5.62) Satz. Sei (H, ϕ) eine Lie-Untergruppe einer Liegruppe G. Dann ist ϕ genau dann eineEinbettung, wenn ϕ(H) ⊆ G abgeschlossen ist.

Beweis. „=⇒“: Sei (gn) Folge in ϕ(H) und (gn) → g ∈ G. Zu zeigen: g ∈ ϕ(H). Weil ϕ

eine Einbettung ist =⇒ ∃ Frobenius-Box U ⊆ G um e ∈ G, so dass U ∩ ϕ(H) aus genaueiner Scheibe S besteht. Wähle e ∈ V ⊆W ⊆ U mit

V−1V ⊆W ⊆ U.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Da (g−1gn) → e, existiert ein N ∈ N ∀n ≥ N : g−1gn ∈ V, also gn ∈ gV. Betrachte nung−1

N gn ∈ (gV)−1 · gn = V−1g−1gn ⊆ V−1V ⊆W und g−1N gn ∈ ϕ(H)

=⇒ g−1N gn ∈ S ∩W =⇒ g−1

N g = limn→∞

(g−1N gn) ∈ S ∩W

(weil S ∩W abgeschlossen ist), insbesondere ist g−1N gn ∈ S ⊆ ϕ(H) =⇒ g ∈ gN ϕ(H) =

ϕ(H) =⇒ ϕ(H) ist abgeschlossen.„⇐=“: Da ϕ : H → ϕ(H) injektiv ist, reicht es zu zeigen, dass ϕ lokaler Homöomorphis-

mus ist (=⇒ ϕ ist Homöomorphismus). Weil ϕ mit Linkstranslation vertauscht, ϕ lh =

lϕ(h) ϕ, reicht es, eine offene Menge V ⊆ H zu finden, so dass ϕ(V) in ϕ(H) (mit der Relativ-Topologie) offen ist. Sei (U, τ) eine Frobenius-Box um e, also τ(U) = Wk×Wn−k. Dann beste-ht ϕ(H) ∩U aus höchstens abzählbar vielen der Scheiben τi = const. : i = k + 1, . . . , n,wobei die Scheibe S0 mit τ = 0 auf jeden Fall dazu gehört. Sei nun W ⊆ U ein kleineresRechteck und

C := W ∩ τ1 = · · · = τk = 0. =⇒ A := τ(

ϕ(H) ∩ C)⊆ Rn−k

ist nicht-leer (da 0 ∈ A ist), abgeschlossen und abzählbar =⇒(Satz von Baire, vgl. (5.63)

)A muss ein isolierten Punkt a ∈ A haben, d.h.: ∃U ⊆ Rn−k offen mit U ∩ A = a. =⇒ Esgibt also eine Scheibe Sa, so dass Sa ⊆ ϕ(H) relativ-offen ist. Setze dann V := ϕ−1(Sa) ⊆ Hoffen =⇒ Sa = ϕ(V) ist offen in ϕ(H), also: ϕ ist Einbettung.

(5.63) Kommentar. Eine Teilmenge A in einem topologischen Raum X heißt nirgendsdicht, wenn A = ∅ ist, d.h.: A hat keine inneren Punkte. Nach dem Bairschen Kategorien-satz (siehe z.B. [HS]) ist ein vollständiger metrischer Raum immer von 2.Kategorie, d.h.: erist nicht Vereinigung von abzählbar vielen nirgends dichten Teilmengen.

Angenommen: ∅ 6= A ⊆ Rm sei abgeschlossen und ohne isolierte Punkte. Für jedes a ∈ Aist dann a ⊆ A abgeschlossen, also a = a und a = ∅, denn sonst müsste a ⊆ Aoffen sein (rel A), d.i.: a ist isolierter Punkt. Da A mit der euklidischen Metrik vollständigermetrischer Raum ist =⇒ (Baire) A muss überabzählbar sein, denn A =

⋃a∈Aa. Ist also

A ⊆ Rm nicht leer, abgeschlossen und abzählbar, so hat A mindestens einen isoliertenPunkt.

139

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Teil IV.

Differentialgeometrie IV

141

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(5.64) Erinnerung.

(a) Sei X ein zusammenhängender und lokal wegzusammenhängender topologischer Raum(also X auch wegzusammenhängend) und x0 ∈ X. Eine Überlagerung π : (X, x0) →(X, x0) heißt universell, wenn (X, x0) einfach zusammenhängend ist, π1(X, x0) = (1).

(b) Es folgt dann mit dem Liftungssatz: Ist π : (X, x0)→ (X, x0) eine beliebige Überlagerung,so gibt es genau einen Überlagerungsmorphismus f : (X, x0)→ (X, x0) d.h. π f = π.Es ist deshalb π bis auf Äquivalenz eindeutig bestimmt.

(X, x0)∃! f //

π

(X, x0)

πzzttttttttt

(X, x0)

(5.65) Bemerkung. Sei (X, x0) ein punktierter Raum wie unter (5.64) und habe eineuniverselle Überlagerung π : (X, x0)→ (X, x0). Sei x ∈ X beliebig. Dann gibt es eine offeneUmgebung U ⊆ X von x, so dass für die Inklusion i : U → X gilt: i∗ : π1(U, x)→ π1(X, x)ist trivial, i∗ = 0.

Beweis. Wähle eine gleichmäßig überlagerte, offene Umgebung U ⊆ X von x und seix ∈ X ein Urbild von x unter π. Sei weiter U ⊆ X das Blatt über U, welches x enthält,=⇒ π|U : U → U ist Homöomorphismus. Sei nun c ∈ π1(U, x) beliebig und c = [α] mitα : I → X geschlossen, α(0) = α(1) = x. Dann ist α : I → X,

α := (π|U)−1 α

der Lift von α mit α(0) = x, also α geschlossen. Es folgt: [α]X = 1, denn π1(X, x) = (1). Alsoist

i∗(c) = i∗([α]U

)= [α]X = [π α]X = π∗

([α]X

)= π∗(1) = 1.

(5.66) Definition. Wir nennen einen (zusammenhängenden, lokal wegzusammenhängen-den) topogischen Raum X semilokal einfach zusammenhängend, wenn jeder Punkt x ∈ Xeine offene Umgebung U ⊆ X besitzt, so dass für die Inklusion i : U → X der induzierteHomomorphismus i∗ : π1(U, x)→ π1(X, x) trivial ist.

(5.67) Beispiel.

(a) Hat jeder Punkt x ∈ X eine einfach zusammenhängende Umgebung U ⊆ X, π1(U, x) =(1), so ist er semilokal einfach zusammenhängend. Es folgt: Jede topologische n-Mannigfaltigkeit M ist semilokal einfach zusammenhängend

(∀p ∈ M ∃U ⊆ M offen,

U 3 p : U ∼= (Bn) und π1((Bn)) = (1)

).

(b) Nicht jeder (zusammenhängender, lokal wegzusammenhängender) Raum hat dieseEigenschaft. Z.B. hat sie folgender Teilraum von R2 nicht:

X =∞⋃

n=1

(x, y) ∈ R2 : (x− 1

n )2 + y2 = 1

n2

143

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

(5.68) Satz. Sei X semilokal einfach zusammenhängend und x0 ∈ X beliebig. Dann hat (X, x0)

eine universelle Überlagerung.

(5.69) Beweisidee. Angennommen:(i) π : (X, x0)→ (X, x0) sei universell. =⇒ Jedes x ∈ X hat offene wegzusammenhängende

Umgebung Ux ⊆ X, die gleichmäßige Überlagerung (und damit ist i∗ : π1(Ux, x)→ π1(X, x)trivial, vgl (5.65)) ist. Sei xi ∈ X (i ∈ I), Ui := Uxi fest gewählt mit X =

⋃i∈I Ui.

(ii) Sei Γ := π1(X, x0). Behauptung: ∀i ∈ I gibt es einen Homöomorphismus ψi : π−1(Ui)→Ui× Γ mit pr1 ψi = π (wir sagen: π : X → X ist ein Faserbündel mit Faser Γ). Setze nämlichϕi : Ui × Γ→ π−1(Ui). Zu (x, c) ∈ Ui × Γ; wähle

• Wege γi von x0 nach xi (i ∈ I);

• Repräsentanten α : I → X von c, c = [α];

• einen Weg w von xi nach x.

Setze nunϕi(x, [α]

):= (α ∗ γi ∗ w)(1).

Es ist dann:

• ϕi wohldefiniert, weil für andere Wahlen α′ und w′ gilt:

α′ ∗ γi ∗ w′ ' α ∗ γi ∗ w (weil w′ ∗ w− nullhomotop ist)

• ϕi|Ui ×[α]→ U[α]

i , wo U[α]i das Blatt über Ui ist, welches ϕi

(xi, [α]

)enthält, ist

Homöomorphismus(denn x 7→

(π(x), [α]

)ist Umkehrung

);

=⇒ (da Γ diskrete Topologie hat) ϕi ist Homöomorphismus.(iii) π : X → X wird (zusammen mit dem Bündel-Atlas (ψi)) sogar zu einem ΓΓΓ-Prinzipal-

bündel, d.h. die Übergänge

ψj ψ−1i : (Ui ∩Uj)× Γ→ (Ui ∩Uj)× Γ

werden durch Rechtsmultiplikation mit einem Element gij(x) ∈ Γ aus der Gruppe gegeben(und gij : Ui ∩Uj → Γ ist stetig), denn: Ist x ∈ Ui ∩Uj und wi Weg von xi nach x in Ui, wjWeg von xj nach x in Uj, so ist

ψj ψ−1i

(x, [α]

)=(x, [α ∗ γi ∗ wi ∗ w−j ∗ γ−j ]

)=(x, [α] · gij(x)

)mit

gij(x) := [γi ∗ wi ∗ w−j ∗ γ−j ] ∈ Γ.

(gij ist wohldefiniert und konstant auf Wegkomponenten von Ui ∩Uj, also stetig).Folgerung: Man kann π : X → X rekonstruieren, wenn man die offene Überdeckung

(Ui)i∈I von X hat und die Übergänge (gij):

X ∼=(∑i∈I

Ui × Γ)

/ ∼, π([(x, [α])i

]),

wo (x, [α]

)i ∼

(y, [β]

)j :⇐⇒ x = y, [β] = [α] · gij(x) (bei x ∈ Ui, y ∈ Uj).

Idee: Versuche nun π : X → X so zu bauen.

144

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Beweis von (5.68). Wähle eine offene Überdeckung (Ui) von X aus wegzusammenhängen-den, offenen Mengen Ui ⊆ X, so dass π1(Ui) → π1(X) trivial ist (i ∈ I) und für jedesi ∈ I einen festen Punkt xi ∈ Ui. Sei weiter γi ein fest gewählter Weg von x0 nach xi. MitΓ := π1(X, x0) setzen wir nun:

gij : Ui ∩Uj → Γ, gij(x) := [γi ∗ wi ∗ w−j ∗ γ−j ] (wo wi ein Weg von xi nach x in Ui).

Da π1(Uk) → π1(X) trivial ist (k = i, j), ist gij wohldefiniert und gij ist konstant aufWegkomponenten von Ui ∩Uj =⇒ gij ist stetig.

Setze nunX :=

(∑

iUi × Γ

)/ ∼

wobei (x, [α]

)i ∼

(y, [β]

)j :⇐⇒ x = y, [β] = [α] · gij(x)

(hier ist (x, [α])i := ιi(x, [α]) mit ιi : Ui × Γ → ∑j Uj × Γ) mit der natürlichen Topologie(gebildet aus Produkt-, Summen- und Quotiententopologie), sowie π : X → X,

π([

(x, [α])i])

:= x.

Ist q : ∑i Ui × Γ→ X die kanonische Projektion

=⇒ q[α]i := q|Ui ×[α]

: Ui ×[α]→ U[α]

i

ist Homöomorphismus (universelle Eigenschaft). Weiter ist

π−1(Ui) =⊔

[α]∈Γ

U[α]i

und π|U[α]i : U[α]

i → Ui ist homöomorph (weil qi ι[α]i mit ι

[α]i : Ui → Ui × [α], Umkehrung

ist. =⇒ π : X → X ist.) =⇒ π : X → X ist (evtl. unzusammenhängend) Überlagerung.(Wegliftung existiert trotzdem.) Noch zu zeigen:

(i) X ist wegzusammenhängend,

(ii) X ist einfach zusammenhängend.

(5.70) Lemma. Sei i0 ∈ I so, dass x0 ∈ Ui0 ist und α : I → X geschlossen mit α(0) = α(1) = x0.Sei weiter [β] ∈ Γ und α : I → X der Lift von α mit Anfang

[(x0, [β]

)i0

]. Dann gilt:

α(1) =[(

x0, [β] · [α])

i0

].

Schluss des Beweises von (5.68). (a) X ist wegzusammenhängend. Sei x1, x2 ∈ X beliebig,x1 = π(x1), x2 = π(x2). Seien γ1, γ2 Wege von x1 bzw. x2 nach x0. Dann verbindet γ1 bzw.γ2 x1 bzw. x2 mit der Faser π−1(x0). Sei daher o.E. x1, x2 ∈ π−1(x0). Setze

x0 :=[(x0, 1)i0

](mit i0 ∈ I aus dem Lemma).

O.E.: x1 = x0, x2 =[(x0, [α])i0

], für ein [α] ∈ Γ. Dann verbindet nach (5.70) der Lift α von α

mit α(0) = x0 x0 mit x2. =⇒ Behauptung.(b) X ist einfach zusammenhängend: Sei α : I → X mit α(0) = α(1) = x0. =⇒ α ist Lift

von α := π α. Nach (5.70) ist[(x0, 1)i0

]= x0 = α(1)

(5.70)=[(x0, 1 · [α])i0

]=⇒ [α] = 1.

Aber: π∗ : π1(X, x0)→ π1(X, x0) ist injektiv(siehe (C.32,b)

)=⇒ [α] = 1.

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KAPITEL 5. LIEGRUPPEN

Beweis von (5.70). γj−1 := γj−1 ∗ wj−1 =⇒ gj−1,j(xj) = [γj−1 ∗ aj ∗ γ−j ] =: β j. xj := α(tj) istxj−1 =

[(xj−1, [δ])ij−1

]=⇒ xj =

[(xj, [δ])ij

], weil α|[tj−1, tj] in einem Blatt verläuft.

α(1) =[(

x0, [β]gi0i1(x0) · gi1i2(x1) · · · gik−1ik(xk−1))

i0

]=[(

x0, [β] · [β1] · · · [βk])

i0

]β1 ∗ · · · ∗ βk ' γ0 ∗ α1 ∗ · · · ∗ αk ∗ γ−1

k ' α.

(5.71) Definition. Seien M, M zusammenhängende Mannigfaltigkeiten. Eine glatte Abbil-dung π : M→ M heißt glatte Überlagerung :⇐⇒ ∀ p ∈ M ∃ offenes U ∈ A(p):

π−1(U) =⊔i∈I

Ui

ist mit offenes Ui ⊆ M derart, dass π|Ui : Ui → Ui Diffeomorphismen sind.

(5.72) Satz. Sei nun M eine zusammenhängende glatte Mannigfaltigkeit, M zusammenhängend,lokal wegzusammenhängender topologischer Raum und π : M → M eine (topologische) Über-lagerung. Dann gibt es auf M genau eine glatte Mannigfaltigkeits-Struktur, so dass π zu einerglatten Überlagerung wird.

Beweis. (i) Eindeutigkeit. Sei c eine glatte Struktur auf M, so dass π : M → M glatteÜberlagerung ist. Es gibt dann offene Überlagerung (Uα)α∈A von M aus Kartengebieten, diegleichmäßig überlagert sind, d.h.: es gibt Karten ϕα : Uα → Vα ⊆ Rn und

π−1(Uα) =⊔i∈I

Uiα,

mit Uiα ⊆ M offen und π|Ui

α : Uiα → Uα diffeomorph. Es ist dann

ψiα := ϕα π|Ui

α : Uiα → Vα ⊆ Rn

ein Diffeomorphismus und damit A = (ψiα)α∈A,i∈I ein glatter Atlas von M, denn

ψijαβ := ψi

α (ψjβ)−1 : ψ

jβ(U

iα ∩ U j

β)→ ψiα(U

iα ∩ U j

β)

ist als Verkettung von Diffeomorphismen ein Diffeomorphismus. Es folgt: c = [A].(ii) Existenz. (a) M ist topologische Mannigfaltigkeit der Dimension n:(i) M ist hausdorffsch: Seien: p1, p2 ∈ M, p1 6= p2. 1.Fall: p1 := π( p1) 6= π( p2) =: p2. =⇒∃U1 ∈ A(p1), U2 ∈ A(p2) offen: U1 ∩U2 = ∅. Setze U1 := π−1(U1), U2 := π−1(U2) =⇒U1 ∈ A( p1), U2 ∈ A( p2) offen, und

U1 ∩ U2 = π−1(U1) ∩ π−1(U2) = π−1(U1 ∩U2) = π−1(∅) = ∅.

2.Fall: p := π( p1) = π( p2). Sei U ∈ A(p) offen und gleichmäßig überlagert, also

π−1(U) =⊔i∈I

Ui, π|Ui : Ui → Ui Homöomorphismus

=⇒ ∃i, j ∈ I, i 6= j : p1 ∈ Ui, p2 ∈ Uj (da π|Ui injektiv), also: Ui ∩ Uj = ∅.(ii) M hat abzählbare Topologie: (α) Behauptung: Die Blätterzahl von π : M → m ist

abzählbar. Dann: Wähle wieder Atlas A = (Uα)α∈A von gleichmäßig überlagerten Kartenge-biete von M. O.E.: A ist abzählbar (Diffgeo I: jede offene Überdeckung von M hat abzählbareTeilüberdeckung, weil M abzählbare Topologie hat.). Sei nun

π−1(Uα) =⊔i∈I

Uiα =⇒ M =

⊔α∈A, i∈I

Uiα

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

und jedes Uiα 6= Vα ⊆ Rn hat abzählbare Topologie. (Übungsaufgabe: X =

⋃i∈I Ui, Ui mit

abzählbare Topologie, Ui offen, |I| abzählbar =⇒ X hat abzählbare Topologie) =⇒ M hatabzählbare Topologie.

Zur Behauptung (α)(α)(α): Sei p0 ∈ M, p0 ∈ π−1(p0) ⊆ M, Γ := π1(M, p0). Die Abbildung

Φ : Γ→ π−1(p0), [α] 7→ α(1) mit α(0) = p0

ist dann wohldefiniert (Homotopieliftung) und surjektiv (weil M wegzusammenhängendist: ˜p0 ∈ π−1(p0), wähle β von p0 nach ˜p0, α := π β =⇒ α ist geschlossen und β = α, also˜p0 = Φ([α]).) Behauptung folgt, wenn klar ist: Γ ist abzählbar.

(β) Die Fundamentalgruppe einer zusammenhängenden Mannigfaltigkeit ist abzählbar:Dazu (Meru): Wähle eine offene Überdeckung (Ui)i∈I von einfach zusammenhängendenMengen Ui von M und pi ∈ Ui, π1(Ui, pi) = (1). O.E. (s.o.): I abzählbar.

Für jedes Paar (i, j) ∈ I × I hat dann Ui ∩Uj höchstens abzählbar viele (Weg-) Zusam-menhangskomponenten,

Ui ∩Uj =⋃

s∈Iij

Usij.

Wähle schließlich einen Weg γsij von pi nach ps

ij in Ui und δsij von pj zu ps

ij in Uj.Sei nun α geschlossen mit p0 = pi0 = α(0) = α(1) (mit i0 ∈ I fest). =⇒ ∃ Zerlegung

0 = t0 < t1 < · · · < tm = 1:

α([tr−1, tr]

)⊆ Uir−1 ; setze: Ur := Uir .

(mit ir ∈ I, r = 1, . . . , m). Es ist nun α(tr) ∈ Ur−1 ∩Ur. Es gibt deshalb ein sr−1 ∈ Ir−1,r mitα(tr) ∈ Usr−1

r−1,r. Wähle einen Weg wr in Usr−1r−1,r von psr−1

r−1,r nach α(ti). Es ist dann:

αr ' w−r−1 ∗ (wr−1 ∗ αr ∗ w−r ) ∗ wr rel 0, 1.

O.E. daher: α(tr) = psr−1ir−1ir . Nun ist aber:

αr ' (δsr−1r−1,r) ∗ γsr

r−1,r rel 0, 1.

Aber von Wegen der Art (i0 = im)

β = (δs1i0i1

)− ∗ γs1i1i2∗ (δs2

i1i2)− ∗ · · · ∗ (δsm

im−1im)− ∗ γsm

im−1im

gibt es nur abzählbar viele.

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AAnhang A.

Der Igelsatz

Siehe [Mi, §5].

(A.1) Definition.

(a) Sei Hn := x ∈ Rn : x1 ≥ 0. Eine topologische Mannigfaltigkeit M der Dimensionn mit Rand ist ein Hausdorff-Raum mit abzählbarer Topologie, so dass jeder Punktp ∈ M eine offene Umgebung U ⊆ M hat, die homöomorph zu einer offenen MengeV ⊆Hn ist.

(b) Ein Atlas von Homöomorphismen A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I (also M =⋃

i∈I Ui) heißt glatt,wenn alle Übergange

ϕij : ϕj(Ui ∩Uj)︸ ︷︷ ︸⊆Hn

→ ϕi(Ui ∩Uj)︸ ︷︷ ︸⊆Hn

, x 7→ ϕi ϕ−1j (x)

glatt sind (i, j ∈ I). (Eine Abbildung f : V → Rm, mit V ⊆Hn offen, heißt glatt, wenn esein offenes V ⊆ Rn mit V ⊇ V und ein glattes f : V → Rm gibt mit f |V = f .)

(c) Zwei glatte Atlanten A = (ϕi)i∈I und B = (ψj)j∈J auf M heißen äquivalent, wenn auchC = (ϕi, ψj)i∈I,j∈J noch glatt ist. Eine Äquivalenzklasse c = [A] auf einer topologischenMannigfaltigkeit M mit Rand heißt eine glatte Struktur und ein Paar (M, c) heißt eineglatte Mannigfaltigkeit mit Rand der Dimension n.

(A.2) Kommentar.

(a) Sei (Mn, c) eine glatte Mannigfaltigkeit mit Rand und p ∈ M ein Punkt, so dass es eineKarte ϕ : U → V ⊆Hn um p gibt (also p ∈ U), so dass ϕ1(p) = 0 ist (also ϕ(p) in

∂Hn := x ∈Hn : x1 = 0

liegt). Für jede andere Karte ψ : U → V ⊆ Hn um p gilt dies dann auch, denn wäreψ1(p) > 0, so würde der Übergang τ = ϕ ψ−1 : ψ(U ∩ U) → ϕ(U ∩ U), der umy0 := ψ(p) ein Diffeomorphismus ist, eine offene Menge in Hn \ ∂Hn in eine offeneMenge um x0 = ϕ(p) ∈ Rn transportieren, was er aber nicht macht, da eine solcheoffene Menge immer Punkte mit x1 < 0 enthält.

pσ τ = 1 =⇒ Dτ(y0) ∈ Gln(R) =⇒ τ(W) ist Umgebung von x0 in Rn (für W kleingenug):

(da τ(W) ⊆Hn). y

(b) Man nennt

∂M := p ∈ M : ∃ Karte ϕ : U → V ⊆Hn um p mit ϕ(p) ∈ ∂Hn

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ANHANG A. DER IGELSATZ

den Rand von M.

Ist A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I ein Atlas von M, so ist wegen (a)

A = (ϕi|Ui ∩ ∂M︸ ︷︷ ︸=:ϕi

: Ui ∩ ∂M︸ ︷︷ ︸=:Ui

→ Vi ∩

∼=Rn−1︷︸︸︷∂Hn︸ ︷︷ ︸

=:Vi

)i∈I

ein glatter Atlas von ∂M (weil für die Übergänge ϕij von A gilt:

ϕij = ϕij|ϕj(Ui ∩ Uj),

und damit glatt). Ist A ∼ B, so ist auch A ∼ B und damit macht c = [A], ∂M zu einerglatten Mannigfaltigkeit der Dimension n− 1.

(c) Eine glatte Mannigfaltigkeit M der Dimension n (im bisherigen Sinn) ist eine glat-te Mannigfaltigkeit mit Rand, denn ∂M = ∅ ist zugelassen. Z.B. ist für eine glatteMannigfaltigkeit mit Rand M sets ∂(∂M) = ∅. ∂M ⊆ M ist auch eine abgeschlosseneUntermannigfaltigkeit (für den naheliegenden Begriff von Untermannigfaltigkeiten auchbei Mannigfaltigkeiten mit Rand, Übung).

(A.3) Definition. Sei V ein reeller Vektorraum der Dimension n ∈N0.

(a) Zwei Basen A = (v1, . . . , vn) und B = (w1, . . . , wn) von V heißen gleichorientiert,A ∼ B, wenn für die Basiswechselmatrix A = (ai

j), also wj = aijvi, gilt: det A > 0.

v2v1

w2w1

(b) Eine Äquivalenzklasse σ = [A] gleichorientierter Basen heißt eine Orientierung auf Vund ein Paar (V, σ) heißt eine orientierter Vektorraum.

(A.4) Kommentar.

(a) Gleichorientierung ist wegen det(AB) = det A · det B (und damit det(A−1) = 1det A ),

∀A, B ∈ Gln R, tatsächlich eine Äquivalenzrelation.

(b) Zwei Basen A und B heißen entgegen gesetzt orientiert, wenn für ihre Basiswech-selmatrix A ∈ Gln R gilt: det A < 0. Ist A = (v1, . . . , vn) (und n ∈ N), so ist z.B.B := (−v1, v2, . . . , vn) entgegen gesetzt orientiert, da

det(diag(−1, 1, . . . , 1)

)= −1 < 0

ist. Sind B1 und B2 entgegen gesetzt orientiert zu A, so gilt: B1 ∼ B2. Deshalb gibt esbei n ∈ N genau zwei Äquivalenzklassen von Basen (von denen i.a. keine gegenüberder anderen ausgezeichnet ist). Ist eine fixiert und mit σ bezeichnet, so notieren wir dieandere mit −σ.

Für n = 0 gibt es auf V = (0) nur eine Orientierung denn V hat nur eine Basis, nämlichdas leere Tupel ( ).

(c) Sei V = Rn (n ∈ N). Dann nennen wir die Klasse σ =[(e1, . . . , en)

] ((e1, . . . , en) die

kanonische Basis von Rn) die Standard-Orientierung von Rn.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(d) Seien (V, σV) und (W, σW) orientierte Vektorräume (gleicher Dimension). Man nennteinen Isomorphismus T : V → W orientierungserhaltend, wenn für ein (und dannjedes) A ∈ σV gilt: T(A) ∈ σW .

(Ist A = (v1, . . . , vn), so sei T(A) = (Tv1, . . . , Tvn).

)Es

ist dann T(σV) = σW . Ist T(A) /∈ σW für ein A ∈ σV , so ist T(σV) = −σW . T heißt dannorientierungsumkehrend. Wir schreiben: sgn : Isom(V, W)→ ±1,

sgn(T) :=

+1, falls T orientierungserhaltend,

−1, falls T orientierungsumkehrend.

Es ist dannsgn(S T) = sgn(S) · sgn(T), ∀S, T.

(A.5) Definition. Sei Mn eine glatte Mannigfaltigkeit mit Rand. Eine Familie σ = (σp)p∈M

von Orientierungen auf (TMp)p∈M heißt eine Orientierung auf M, wenn es für alle p ∈ Meine Karte ϕ : U → V ⊆ Hn um p gibt, so dass Dϕq : TMq → TVϕ(q)

∼=kan.

Rn orientierungs-

erhaltend ist, ∀q ∈ U (wobei man Rn mit der Standard-Orientierung betrachtet).

(A.6) Kommentar.

(a) Auch ein Randpunkt p ∈ ∂M ⊆ M hat einen „vollen“ Tangen-tialraum TMp (und TM wird eine glatte Mannigfaltigkeit mitRand der Dimension 2n, sogar ein Vektorbündel über M). Erhat eine ausgezeichnete Hyperebene, nämlich T(∂M)p und diebeiden Komponenten von TMp \ T(∂M)p kann man in „innen“und „außen“ unterscheiden (Übung). TMp

T(∂M)p

innen außen

pξ ∈ TMp heißt außen, wenn es eine glatte Kurve α : (−ε, 0] → M gibt mit α(0) = p,α(0) = ξ und ξ /∈ T(∂M)p. y

(b) Der kanonische Isomorphismus Rn → TVx, mit V ⊆Hn offen und x ∈ ∂Hn,

ξ 7→(

t 7→ ddt

∣∣∣∣t=0

(x + tξ))

funktioniert immer noch, in dem man α : t 7→ x + tξ für ξ innen auf [0, ε), für ξ außenauf (−ε, 0]

(und für ξ ∈ T(∂V)x gar nicht

)einschränkt (ε > 0 klein).

(c) (A.5) macht präzise, dass die Orientierung σp auf TMp (p ∈ M) glatt von Parameter pabhängen soll.

(d) Eine Mannigfaltigkeit (mit Rand) M der Dimension n ≥ 1 heißt orientierbar, wenn eseine Orientierung σ auf M gibt. Das Paar (M, σ) heißt dann eine orientierte Mannig-faltigkeit. Ist dim M ≥ 1 und M zusammenhängend und σ = (σp) eine Orientierungauf M, so gibt es genau ein weitere Orientierung, nämlich −σ := (−σp)p∈M (Übung).Es gibt Mannigfaltigkeiten, die nicht orientierbar sind, z.B. das Möbiusband oder dieprojektive Ebene P2(R) (ohne Beweis).

(e) Eine zusammenhängende Mannigfaltigkeit der Dimension 0 ist ein Punkt, M = p.Eine Mannigfaltigkeit der Dimension 0 ist also eine abzählbare Menge mit der diskretenTopologie, M =

⋃∞n=1pn. Eine orientierte Mannigfaltigkeit der Dimension 0 ist ein

Paar (M, σ), wobei σ : M→ ±1 eine (Gewichts-) Funktion auf M ist.

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ANHANG A. DER IGELSATZ

(f) Ist M eine Mannigfaltigkeit mit Rand der Dimension n ≥ 1 und ist M orientiert, soerbt ihr Rand ∂M eine Orientierung wie folgt: Sei n ≥ 2: Für p ∈ ∂M heißt eine Basis(ξ1, . . . , ξn−1) von T(∂M)p positiv orientiert, wenn es ein ν ∈ TMaußen

p gibt, so dass(ν, ξ1, . . . , ξn−1) positiv orientierte Basis von TMp ist. Das versieht ∂M tatsächlich miteiner Orientierung (Übung). Für n = 1 ist M eine disjunkte Vereinigung von Kreislinienund (abgeschlossenen, offenen oder halboffenen) Intervallen [Mi, Appendix].

M p

+1−1

Ist p ∈ ∂M ein Randpunkt, so geben wir ihm das Gewicht +1, falls ein positiv orientierterVektor ξ ∈ TMp nach außen zeigt. Zeigt er nach innen, bekommt er das Gewicht −1.

(g) Wir nennen eine Mannigfaltigkeit geschlossen, wenn sie kompakt, zusammenhängend,ohne Rand und orientiert ist.

(A.7) Vorbereitung. Seien nun M und N geschlossene Mannigfaltigkeit der Dimensionn ∈N und Φ : M→ N glatt.

(a) Ist nun q ∈ N ein regulärer Wert von Φ, d.h.: für alle p ∈ Φ−1(q) ist das DifferentialDΦp : TMp → TNq surjektiv und damit ein Isomorphismus, so gibt es offene Umgebun-gen Up ⊆ M von p und V ⊆ N von Φ(p), so dass Φ(Up) = V ist und Φ|Up : Up → Vein Diffeomorphismus (Umkehrsatz). Kein anderer Punkt, außer p, in Up geht also aufq, d.h. Φ−1(q) ⊆ M liegt diskret. Damit muss Φ−1(q) endlich sein.

(Denn sonst müsste

Φ−1(q) einen Häufungspunkt haben, der zudem in Φ−1(q) liegen würde, da Φ−1(q)abgeschlossen ist. Dieser wäre aber nicht isoliert.

)(b) Beachte auch, dass wegen der Kompaktheit von M die Teilmenge

reg(Φ) := q ∈ N : q ist regulärer Wert von Φ

offen sein muss, denn A := M \ ⋃p∈Φ−1(q) Up ist abgeschlossen, also kompakt unddamit auch Φ(A) ⊆ N kompakt und damit abgeschlossen und q /∈ Φ(A). Nach evtl.Verkleinerung von V (und der Up’s) liegen dann auch alle Urbilder von q ∈ V auch in⋃

p∈Φ−1(q) Up und sind damit auch regulär.

(c) Nach einem Satz von Sard [Mi, §3] ist reg(Φ) ⊆ N auch dicht, insbesondere nicht-leer.(Beachte: q /∈ im Φ =⇒ q ∈ reg Φ)

(A.8) Definition. Seien M und N geschlossen der Dimension n ∈N und Φ : M→ N glatt.Für jeden regulären Wert q ∈ N definieren wir den Abbildungsgrad von Φ (bzgl. q) als

deg(Φ; q) := ∑p∈Φ−1(q)

sgn(DΦp) ∈ Z.

(A.9) Satz. Seien M und N geschlossen gleicher Dimension und Φ : M→ N glatt. Dann hängtder Abbildungsgrad deg(Φ; q) nicht von q ∈ reg(Φ) ab

(und wir nennen ihn den Abbildungsgrad

von Φ, deg(Φ) := deg(Φ; q)).

(A.10) Definition. Seien M und N glatte Mannigfaltigkeiten (und M ohne Rand). Zweiglatte Abbildungen f , g : M → N heißen homotop, f ' g, wenn es eine glatte AbbildungH : M× [0, 1]→ N gibt mit

H(p, 0) = f (p), H(p, 1) = g(p), ∀p ∈ M.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(A.11) Satz. Seien M und N geschlossen von gleicher Dimension. Sind dann f , g : M → Nhomotop, f ' g, so gilt:

deg( f ) = deg(g).

(A.12) Beispiel.

(a) Sei M = N = Sn (n ∈ N), i ∈ 1, . . . , n + 1 und si : Sn → Sn die Spiegelung an derHyperebene Hi := x ∈ Rn+1 : xi = 0,

si(p1, . . . , pn+1) = (p1, . . . , pi−1,−pi, pi+1, . . . , pn+1).

Sn trage die Standardorientierung, d.h. die, die sich als Rand von Bn+1 ⊆ Rn+1 ergibt.Für i 6= n + 1 betrachte p = (0, . . . , 0, 1), also s(p) = p und

Rn ∼= TSnp = x ∈ Rn+1 : xn+1 = 0 ⊆ Rn+1

Es folgt:(Dsi)p : TSn

p → TSnp, ξ = (ξ1, . . . , ξn) 7→ (ξ1, . . . ,−ξ i, . . . , ξn)

also:sgn(Dsi)p = −1. deg(si) = deg(si, p) = sgn(Dsi)p = −1.

(b) Für M = N und Φ = 1 folgt: deg(Φ) = +1.

(c) Sind M, N und P geschlossen von gleicher Dimension und f : M→ N und g : N → P,so gilt (Übung):

deg(g f ) = deg(g) · deg( f ).

(d) Insbesondere gilt für die Antipodenabbildung d : Sn → Sn, p 7→ −p, weil d = sn+1 · · · s1 ist:

deg(d) = (−1)n+1.

(A.13) Theorem (Igelsatz). Sei n ∈ N gerade. Dann hat jedes glatte Vektorfeld auf Sn (min-destens) eine Nullstelle.

(A.14) Kommentar.

(a) Stellt man sich im Fall n = 2 die Sphäre als Oberfläche eines (eingerollten) Igel vor undfür ein Vektorfeld X ∈ X(Sn) den Tangentialvektor Xp als ein (gekämmtes) Haar an derStelle p, so besagt (A.13): „Man kann einen Igel nicht ohne Scheitel kämmen“.

(b) Für n ungerade ist der Satz falsch, denn für n = 2k + 1 (k ∈N0) ist offenbar X : Sn →TSn ⊆ Sn ×Rn+1 = Rn+1 (wo wir nun TSn

p mit ξ ∈ Rn+1, 〈ξ, p〉 = 0 identifizieren),

X(p1, . . . , p2k+2) = (p;−p2, p1,−p4, p3, . . . ,−p2k+2, p2k+1)

ein glattes Vektorfeld ohne Nullstellen.

SnTMp

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ANHANG A. DER IGELSATZ

(c) Versuche ein Vektorfeld X auf Sn zu konstruieren (für n gerade), dass möglichst wenigNullstellen hat (eingezeichnet sind die Flusslinien des zugehörigen Flusses, Nullstellenentsprechen hierbei Gleichgewichtslagen): Hier sind zwei Beispiele für n = 2:

Beweis von (A.13). Sei X : Sn → TSn ⊆ Sn ×Rn+1

X(p) =(

p, F(p))

mit F : Sn → Rn+1, ein Vektorfeld ohne Nullstellen, also F(p) 6= 0 und

〈F(p), p〉 = 0, ∀p ∈ Sn.

(TSn ist ein Unterbündel des trivialen Bündels Rn+1 auf Sn.) Setze dann f : Sn → Sn,

f (p) :=F(p)‖F(p)‖

(wo ‖ ‖ die euklidische Norm auf Rn+1 sei, ‖x‖ =√〈x, x〉, 〈 , 〉 das kanonische Skalarpro-

dukt). Es ist (weiterhin) 〈 f (p), p〉 = 0, insbesondere f (p) 6= −p und f (p) 6= +p. Deshalb istnun

p

f (p)

(1− t)p + t f (p)H(p, t)

H : Sn × [0, 1]→ Sn, H(p, t) =(1− t)p + t f (p)‖(1− t)p + t f (p)‖

eine Homotopie von h0 = 1 nach h1 = f(ht = H( · , t)

). Es ist also: f ' 1. Andererseits ist

auch G : Sn × [0, 1]→ Sn

G(p, t) =(1− t)(−p) + t f (p)‖(1− t)(−p) + t f (p)‖

eine Homotopie von g0 = d nach g1 = f . Also ist auch f ' d (d die Antipodenabbildung).Nun ist aber ' eine Äquivalenzrelation, insbesondere transitiv (Übung), also ist auch 1 ' d.Nach (A.11) folgt:

deg(1) = deg(d).

Aber nach (A.12) ist deg(d) = (−1)n+1 = −1 (bei n gerade), während deg(1) = +1 ist:

(A.15) Lemma. Seien M und N geschlossen und gleicher Dimension und sei f : M → N glatt.Sei weiter X eine orientierte Mannigfaltigkeit mit Rand ∂X = M (als orientierte Mannigfaltigkeit)und F : X → N eine glatte Fortsetzung von f , F|M = f . Dann gilt für jeden regulären Wert q ∈ Nvon f :

deg( f , q) = 0.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Beweis. Schritt 1: Wir nehmen an, dass q auch ein regulärer Wert von F ist (also auchF−1(q) ⊆ X keine kritischen Punkte enthält).

Dann ist F−1(q) eine Untermannigfaltigkeit der Dimension (n + 1)− n = 1, wobei derRand von C = F−1(q) gerade f−1(q) ist: ∂C = f−1(q).pIm Inneren X \ ∂X von X ist C glatte Mannigfaltigkeit der Dimension 1 ohne Rand, auf∂X ist C ∩ X = f−1(q) glatte Mannigfaltigkeit der Dimension 0 und lokal um p ∈ f−1(q) istf−1(q) diffeomorph zu [0, ε), weil ker(DFp) ⊆ TXp transversal zu T(∂X)p liegt,

TXp = T(∂X)p ⊕ ker(DFp)

Benutze nun: Jede kompakte zusammenhängende Mannigfaltigkeit C der Dimension 1 istdiffeomorph zu S1 (dann ist ∂C = ∅) oder zu I = [0, 1] (dann ist ∂C = p1, p2 für p1 6= p2)[Mi, Appendix S.55-57]. y

Sei nun A ⊆ C eine Zusammenhangs-Komponente mit A ∩M 6= ∅. =⇒ ∂A = a, b mita 6= b.

Definiere nun für x ∈ A eine Orientierung auf TAx wie folgt: v ∈ TAx \ 0 heißt positivorientiert, falls es eine Ergänzung (v, ξ1, . . . , ξn) zu einer positiv orientierte Basis von TXx,so dass

(DFx(ξ1), . . . , DFx(ξn)

)positiv orientierte Basis von TNF(x) ist. =⇒ σ = (σx)x∈A ist

Orientierung auf A. Sind nun vb ∈ TAb bzw. va ∈ TAa positiv orientiert, so zeigt einer nachaußen, einer nach innen, o.E.: va ∈ TXinnen

a , vb ∈ TXaußenb .

Ist nun (ξ1, . . . , ξn) positiv orientierte Basis von TMb =⇒ (vb, ξ1, . . . , ξn) ist positivorientierte Basis von TXb (nach Definition der induzierten Orientierung auf M = ∂X)=⇒

(D fb(ξ1), . . . , D fb(ξn)

)ist positiv orientierte Basis von TNq (nach Definition der Orien-

tierung von A)=⇒ sgn(D fb) = +1.

Ähnlich sieht man: sgn(D fa) = −1 (da va nun innen liegt). Summiert man über alleZusammenhangs-Komponenten A von C auf, so folgt:

deg( f ; q) = 0.

2.Schritt: Ist Φ : U → Rn lokaler Diffeomorphismus und U ⊆ Rn zusammenhängend, soist DΦx : Rn → Rn A-erhaltend, sgn(DΦx) = +1, ∀x ∈ U, oder orientierend-umkehrend,∀x ∈ U (und nicht gemischt)

(Übung: Zwischenwertsatz auf x 7→ deg(DΦx)

). Es folgt:

Für Φ : M → N ist deg(Φ,−) : reg(Φ) → Z lokal konstant, denn ist q0 ∈ reg(Φ) undU1, . . . , Un ⊆ M disjunkte, offene und zusammenhängende Umgebungen von p1, . . . , pn

(mit

Φ−1(q0) = p1, . . . , pn), so ist K = Φ

(M \ (U1 ∪ · · · ∪Un)

)kompakt, also abgeschlossen,

also ist für q ∈ N \ K:Φ−1(q) = p1, . . . , pn

mit pi ∈ Ui. Da sgn(Φ|Ui, pi) = sgn(Φ|Ui, pi) ist, folgt:

deg(Φ; q) = deg(Φ; q0).

Ist nun q0 ∈ N regulär für f : M→ N, aber nicht für F : X → N, so wähle in einer offenenUmgebung V ⊆ N, wo deg( f ; q) = deg( f ; q0) ist, ∀q ∈ V, einen regulären Wert (auch) vonF. (Benutze: Satz von Sard, dass reg(F) ⊆ N dicht liegt!)

=⇒ deg( f , q0) = deg( f , q) Schritt 1

= 0.

(A.16) Korollar. Seien M und N geschlossen von gleicher Dimension, f , g : M→ N glatt undq ∈ N ein regulärer Wert von f und von g. Dann gilt: Ist f ' g, so ist

deg( f ; q) = deg(g; q).

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ANHANG A. DER IGELSATZ

Beweis. Das Produkt M × N von orientierten Mannigfaltigkeiten M und N trägt einenatürliche Orientierung, weil

T(M× N)(p,q)∼= TMp ⊕ TNq(

Ist A = (v1, . . . , vn) positiv orientiert für TMp und B = (w1, . . . , wr) positiv orientiert fürTNq, so sei (v1, . . . , vn, w1, . . . , wr) positiv orientiert für T(M× N)(p,q).

)Deshalb trägt nun

X := [0, 1]×M eine natürliche Orientierung(wo [0, 1] durch ∂

∂x orientiert sei, wenn x dieStandardkarte ist

). Die induzierte Orientierung auf

∂X = 0 ×M ∪ 1 ×M

ist dann auf 1 ×M „die richtige“ auf M (d.h.: i1 : M→ ∂X, p 7→ (1, p) ist orientierungser-haltend) und auf 0 × M „die falsche“ (d.h.: i0 : M → ∂X, p 7→ (0, p) ist orientierung-sumkehrend). Sei nun F : X → N eine Homotopie von f nach g, also F0 = f und F1 = g. Istnun q ∈ N regulärer Wert für F|∂X, so gilt:

0 = deg(F|∂X; q) = deg(g; q) + (−1)︸ ︷︷ ︸wegen Or.-wechsel

deg( f ; q) =⇒ deg( f ; q) = deg(g; q).

(A.17) Lemma. Sei M eine zusammenhängende Mannigfaltigkeit und p, q ∈ M. Dann gibt eseinen Diffeomorphismus Φ : M→ M mit Φ ' 1 (sogar isotop Φ 'iso 1) und Φ(p) = q.

(A.18) Kommentar. Zwei Diffeomorphismen f , g : M→ N heißen isotop, f 'iso g, wennes eine Homotopie H : M× [0, 1]→ N von f nach g gibt, so dass auch ht = H(−, t) : M→ Mein Diffeomorphismus ist, ∀t ∈ [0, 1].

Beweis. Schritt 1: Sei p ∈ M und ψ : U → V ⊆ Rn eine zentrierte Karte mit V = B(3) =x ∈ Rn : ‖x‖ < 3. Sei weiter c ∈ B(1) \ 0 und ρ : Rn → [0, 1] eine Abschneidefunktionfür B(1) ⊆ B(2), d.h.:

ρ|B(1) ≡ 1, ρ|Rn \ B(2) ≡ 0.

Setze nun zunächst X : B(3)→ Rn, X(x) = c (also konstant), schneide dann X mit ρ ab undsetzte danach, via ψ, X trivial zu einem glatten Vektorfeld auf M fort,

X(q) :=

Dψ−1

q(ρ ψ(q) · X ψ(q)), für q ∈ U

0 sonst..

Die Flusslinien t 7→ ϕt(q) von X existieren für alle t ∈ R, da supp(X) ⊆ ψ−1(B(2)) kompaktist und für den Anfang p gilt

ψ(

ϕt(p))= tc für |t| ≤ 1,

weil α(t) = tc für |t| ≤ 1 die Differentialgleichung

α(t) = c = X(α(t)

)löst.

Der Diffeomorphismus Φ = ϕ1 transportiert deshalb p nach ψ−1(c) =: q und Φ 'iso 1,weil H(q, t) = ϕt(q) eine Homotopie, sogar eine Isotopie, ist (weil alle ϕt(−) Diffeomorphis-mus sind).

Schritt 2: Definiere nun p und q als äquivalent, p ∼ q, wenn es einen DiffeomorphismusΦ : M→ M gibt mit Φ 'iso 1 und Φ(p) = q. Dann ist ∼ eine Äquivalenzrelation und Schritt1 zeigt, dass alle Äquivalenzklassen [p] ⊆ M offen sind. Aber M ist zusammenhängend.Deshalb kann es nur eine solche Äquivalenzklasse geben =⇒ Behauptung des Lemmas.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(A.19) Beweis von (A.9). Seien q1 und q2 zwei reguläre Werte von f : M→ N. Wir wählennach (A.17) einen Diffeomorphismus Φ : N → N mit Φ 'iso 1 und Φ(q1) = q2. Da Φ 'iso 1

ist, folgt: Φ ist orientierungerhaltend, d.h.: sgn(DΦq) = +1, für alle q ∈ N(Übung:

X =(q, t) ∈ M× [0, 1] : sgn

(Dht(q)

)= +1

(wo H : Φ 'iso 1, H(−, t) = ht

)ist offen, abgeschlossen

(weil auch . . . sgn(Dht(q)) = −1 offen ist

)und nicht-leer, da

(q, 1) ∈ X ist, ∀q ∈ N; also: X = M × [0, 1]). Sind nun p1, . . . , pr ∈ M die (paarweise

verschiedenen) Urbilder von q1 unter f , so ist

deg( f ; q1) =r

∑i=1

sgn(D fpi) =r

∑i=1

sgn(DΦq1)︸ ︷︷ ︸=1

· sgn(D fpi)

=r

∑i=1

sgn(DΦq1 D fpi) =r

∑i=1

sgn(D(Φ f )pi

)= deg(Φ f ; q2)

denn p1, . . . , pn sind auch die Urbilder unter Φ f von q2 (und q2 ist regulärer Wert fürΦ f ). Aber wegen (A.16) ist

deg(Φ f , q2) = deg( f ; q2),

denn Φ f ' 1 f = f und q2 ist regulärer für f und für Φ f . Es ist also tatsächlich:

deg( f ; q1) = deg( f ; q2).

(A.20) Beweis von (A.11). Da die regulären Werte von f und g jeweils dicht liegen, gibt eseinen gemeinsamen regulären Wert q ∈ N, reg( f ) ∩ reg(g) 6= ∅. Es folgt:

deg( f )(A.9)= deg( f ; q)

(A.16)= deg(g; q)

(A.9)= deg(g).

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BAnhang B.

Der Satz von Stokes

(B.1) Motivation.

(a) Um nun auch Integralrechnung auf Mannigfaltigkeiten betreiben zu können, erinnernwir an die Transformationsformel für Mehrfachintegrale (siehe Analysis IV):

Sind Ω, D ⊆ Rn offene Mengen und τ : Ω→ D ein (C∞-) Diffeomorphismus, so gilt füreine (Lebesgue-) integrierbare Funktion f : D → R, dass auch g : Ω→ R,

g(x) := |det Dτ(x)| · f τ(x)

integrierbar ist, und es gilt: ∫D

f (y)dL(y) =∫

Ωg(x)dL(x).

(b) Nehmen wir nun an, M sei eine glatte Mannigfaltigkeit der Dimension n ∈N0 und ω

eine glatte n-Form, ω ∈ E (n)(M), deren Träger

supp(ω) := p ∈ M : ωp 6= 0 ⊆ M

ganz im Definitionsgebiet einer Karte ϕ : U → V ⊆ Rn enthalten ist. Es ist dann

ω|U = f (y)dy1 ∧ · · · ∧ dyn,

genauer ist(ϕ−1)∗ω = f (y)dy1 ∧ · · · ∧ dyn ∈ E (n)(V)

mit einer glatten Funktion f : V → R.

Nehmen wir nun auch noch an, dass der Träger von ω kompakt ist (i.A. hat man sonstkeine Lebesgue-Integrierbarkeit). Dann ist auch

L := ϕ(supp(ω)

)= supp( f ) = y ∈ V : f (y) 6= 0 ⊆ V

kompakt und damit f Lebesgue-integrierbar. Man setzt nun (vorläufig):∫M

ω :=∫

V(ϕ−1)∗(ω) :=

∫V

f (y)dy :=∫

Vf (y)dL(y) (∗)

(c) Ist nämlich nun ψ : U → V eine weitere Karte so, dass supp(ω) ⊆ U und kompakt ist,so ist

(ψ−1)∗ω = g(x)dx1 ∧ · · · ∧ dxn

mit einer glatten Funktion g : V → R, die kompakten Träger K = ψ(supp(ω)

)⊆ V hat

und damit integrierbar ist.

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

Nehmen wir nun schließlich an, dass der Kartenübergang τ : Ω→ D mit Ω = ψ(U ∩ U)

und D = ϕ(U ∩ U) überall positive Funktionaldeterminante hat, also

det Dτ(x) = |det Dτ(x)|, ∀x ∈ Ω.

Dann gilt wegen des Transformationsverhalten von n-Formen(vgl. (4.56,c)

)g(x) = det

(Dτ(x)

)· f τ(x)

und daher tatsächlich∫V

g(x)dL(x) =∫

Ωg(x)dL(x) Trafo.-Formel

=∫

Df (y)dL(y)

=∫

Vf (y)dL(y)

und in dem Sinne ist (∗) unabhängig von der gewählten Karte.

(d) Man hat es deshalb mit folgenden Problemen zu tun:

i) Man braucht Atlanten, deren Übergänge überall positive Funktionaldeterminantehaben; Orientierbarkeit.

ii) Man sollte ω ∈ E (n)(M) zerlegen können in eine Summe von Formen ωi ∈ E (n)(M),

ω = ∑i∈I

ωi, (∗∗)

so, dass supp(ωi) ganz in einem Definitionsgebiet Ui einer Karte ϕi enhalten istund kompakten Träger hat, die Summe (∗∗) lokal endlich ist, d.h. in jedem p ∈ Mgibt es eine offene Umgebung U ⊆ M so, dass ωi(q) 6= 0 für nur endlich viele i ∈ Iist, bei q ∈ U, damit (∗∗) überhaupt Sinn macht.

iii) Man würde dann die Definition wagen:∫M

ω := ∑i∈I

∫M

ωi,

wobei man noch darauf achten muss, dass die Summe endlich ist, und natürlichauch, dass die Definition nicht von der Wahl der Zerlegung (∗∗) abhängt.

(B.2) Bemerkung. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit (mit Rand). Dann ist M genau dannorientierbar, wenn es einen glatten Atlas von M gibt, so dass die Funktionaldeterminantender Übergänge alle positiv sind.

Beweis. „=⇒“: Sei σ = (σp)p∈M eine Orientierung auf M und A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I zunächstein beliebiger Atlas auf M. Indem wir nötigenfalls jede Karte ϕi auf jede Zusammen-hangs-Komponente von Ui einschränken (und diese Einschränkung dann als neue Kartenbetrachten), dürfen wir annehmen, dass jedes Kartengebiet Ui ⊆ M zusammenhängend ist.Dann ist ϕi entweder orientierungserhaltend, also

(Dϕi)p : TM→ (TVi)ϕi(p)∼= Rn

orientierungserhaltend für alle p ∈ U, oder orientierungsumkehrend, d.h. alle (Dϕi)p sindorientierungsumkehrend, für alle p ∈ U. Setze nun Ui := Ui, Vi := Vi und ϕi := ϕi : Ui → Vi,falls ϕi orientierungserhaltend ist, und Ui := Ui, Vi := τ(Vi) und ϕi = τ ϕi : Ui → Vi, fallsϕi orientierungsumkehrend ist. Hierbei ist τ die Einschränkung von

Rn → Rn, (x1, . . . , xn) 7→ (x1, . . . , xn−1,−xn).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Da τ orientierungsumkehrend ist, folgt dann wegen

sgn(Dϕi)p = sgn(Dτ)ϕi(p) · sgn(Dϕi)p = (−1) · (−1) = 1,

dass auch ϕi orientierungserhaltend ist.Die Übergänge (ϕij) des neuen Atlas’ A = (ϕi) haben nun alle positive Funktionaldeter-

minanten, denn wiederum ist

sgn(Dϕij)y = sgn(Dϕi)p · sgn(Dϕ−1j )y = (+1) · (+1) = 1

und das Signum von (Dϕij)y : (TVj)y ∼= Rn → Rn ∼= (TVi)x(x = ϕij(y) = ϕi(p), y = ϕj(p)

)ist gerade durch das Vorzeichen von det(Dϕij)y bestimmt.

„⇐=“: Ist andererseits A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I ein Atlas auf M mit det(Dϕij) > 0, füralle i, j ∈ I, so wähle man für p ∈ M eine j ∈ I aus, so dass p ∈ Uj ist und setzeσp := (Dϕj)

∗p(σStd), d.h. derart, dass

(Dϕj)p : TMp → (TVj)ϕj(p)∼= Rn

orientierungserhaltend wird. Das ist unabhängig von der Kartenwahl, denn ist i ∈ I einweiteres Element mit p ∈ Ui, so ist -mit der Wahl von σp via ϕj- auch

(Dϕi)p : TMp → (TVi)ϕi(p)∼= Rn

orientierungserhaltend, weil mit ϕij = ϕi ϕ−1j auch

(Dϕi)p = D(ϕij ϕj)p = (Dϕij)ϕj(p) · (Dϕj)p

ist und damit

sgn(Dϕi)p = sgn(Dϕij)ϕj(p) · sgn(Dϕj)p = (+1) · (+1) = +1

σ := (σp)p∈M wird damit zu einer Orientierung auf M.

(B.3) Kommentar.

(a) Ist (M, σ) eine orientierte Mannigfaltigkeit (mit Rand), so nennen wir einen AtlasA = (ϕi)i∈I einen Orientierungsatlas von M, wenn alle Karten orientierungserhaltendsind. Ist B = (ψj)j∈J ein weiterer Orientierungsatlas von M, so ist auch C = (ϕi, ϕj)i∈I, j∈Jeine solcher und man kann so eine Orientierung σ auf M eine Äquivalenzklasse c = [A]

von Atlanten zuordnen, deren Übergänge positive Funktionaldeterminante haben(und

natürlich (ϕi) = A ∼ B = (ψj), wenn auch C = (ϕi, ϕj) nur Übergänge mit positiverFunktionaldeterminante hat

).

(b) Umgekehrt legt eine solche Struktur c = [A] von derartigen Atlanten vermöge deminduzierten σσσ, so dass alle A’s Orientierungsatlanten werden, eine Orientierung auf Mfest und die Zuordnungen aus (a) und (b) sind invers zueinander. Deshalb kann maneine Orientierung auf M auch als eine solche Äquivalenzklasse von Atlanten auf Mbetrachten.

(c) Bei dem Übergang von ϕi zu ϕi = τ ϕi ist im Falle, dass M eine Mannigfaltigkeitder Dimension 1 mit Rand ist, etwas Vorsicht geboten. Dann ist mit V1 ⊆ H1 offenV1 = τ(V1) nur noch enthalten in −H1 = x ∈ R : x ≤ 0 und damit nicht mehr inH1.

(Für n ≥ 2 ist natürlich mit V ⊆ Hn auch V = τ(V) ⊆ Hn.

)Wir müssen deshalb

dort die erlaubten Karten auf Homöomorphismen ϕ : U → V mit V ⊆ H1 erweitern.(Ich danke Robin Raymond für diesen Hinweis.)

161

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

(B.4) Bemerkung. Sei (M, σ) eine orientierte Mannigfaltigkeit mit Rand und A = (ϕi : Ui →Vi ⊆Hn)i∈I ein Orientierungsatlas und n ≥ 2. Ist dann der Rand M := ∂M von M mit derinduzierten Orientierung σ versehen

(vgl. (A.6,f)

), so ist

A = (ϕi|Ui ∩ ∂M︸ ︷︷ ︸=:ϕi

: Ui ∩ ∂M︸ ︷︷ ︸=:Ui

→ Vi ∩ ∂Hn︸ ︷︷ ︸=:Vi

⊆ Rn−1)i∈I

ein Orientierungsatlas von (∂M,−σ).

Beweis. Identifiziert man ∂Hn = x ∈ Rn : x1 = 0 kanonisch mit Rn−1 via y =

(y2, . . . , yn) → (0, y2, . . . , yn), so induziert die Standard-Orientierung auf Hn, THnx∼= Rn

kanonisch, das Negative der Standard-Orientierung auf ∂Hn ∼= Rn−1, denn eine Basis(ξ2, . . . , ξn) von Rn−1 ∼= T(∂Hn)x ist positiv orientiert, genau wenn (−e1, ξ2, . . . , ξn) positivorientiert von Rn ∼= THn

x ist, da −e1 ∈ Rn ∼= THnx ein äußerer Vektor ist.

Ist daher ϕ : U → V ⊆ Hn eine positiv orientierte Karte von (M, σ), also (Dϕ)p orien-tierungserhaltend für p ∈ ∂M, so ist die Einschränkung

(Dϕ) : T(∂M)→ (TV) ∼= Rn−1

orientierungsumkehrend, denn ist (ξ2, . . . , ξn) positiv orientierte Basis von T(∂M)p, so istfür einen äußeren Vektor ν ∈ TMaußen

p nach Definition (ν, ξ2, . . . , ξn) positiv orientiert fürTMp und damit

(Dϕp(ν), Dϕp(ξ2), . . . , Dϕp(ξn)

)positiv orientiert für THn

x∼= Rn, x =

ϕ(p). Da Dϕp(ν) ∈ (THnx)

außen ist, ist daher(Dϕp(ξ2), . . . , Dϕp(ξn)

)negativ orientiert für

T(∂Hn)x ∼= Rn−1, also ϕ : U → V ⊆ Rn−1 positiv orientiert für −σ auf ∂M.

Frage: Wie erreicht manω = ∑

α∈Iωα

mit supp(ωα) ⊆ Uι(α) mit ι : A→ I bei einer vorgegebenen Überdeckung (Ui)i∈I?

(B.5) Definition. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit (mit Rand) und A = (Ui)i∈I eineoffene Überdeckung von M. Eine Familie glatter Funktionen (λα)α∈A, λα ∈ E(M), heißteine A untergeordnete Teilung der Eins, wenn gilt:

(i) Es gibt eine Abbildung ι : A→ I, so dass gilt:

supp(λα) ⊆ Uι(α), ∀α ∈ A;

(ii) (λα)α∈A ist lokal endlich, d.h. für alle p ∈ M existiert eine offene Umgebung U ⊆ Mvon p und α1, . . . , αr ∈ A (r ∈N), so dass gilt:

λβ(q) = 0,

für alle q ∈ U und allen β ∈ A \ α1, . . . , αr;

(iii) für alle p ∈ M gilt:

∑α∈A

λα(p) = 1.

(B.6) Kommentar.

(a) Beachte, dass wegen (ii) für jedes p ∈ M nur endlich viele Summanden in (iii) von Nullverschieden sind.

162

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(b) Die Funktion f ≡ 1 auf M wird zerlegt in Funktionen λα ∈ E(M), die gegenüber f denVorteil haben, dass sie nur auf einem Kartengebiet (eines gegebenes Atlas’) „leben“.Mit ihrer Hilfe kann man globale Probleme auf M lokalisieren: z.B. kann man für einen-Form ω ∈ E (n)(M) setzen: ωα := λα · ω, und man erhält wie in (B.1,d) gewünscht:supp(ωα) ⊆ Uι(α) und

∑α∈A

ωα = ω.

Beispiel: Teilung der Eins auf M = R mit I = A = Z, ι = 1, und A = (Un)n∈Z,Un = (n− 1, n + 1).

(B.7) Lemma. Sei M ein lokal kompakter (Hausdorff-) Raum mit abzählbarer Topologie (z.B. eineMannigfaltigkeit). Dann gibt es eine Familie offener Teilmengen (Gk)k∈N von M, so dass gilt:

(i) Gk ist kompakt, ∀k ∈N;

(ii) Gk ⊆ Gk+1, ∀k ∈N;

(iii)⋃

k∈N Gk = M.

Beweis. (a) Sei B = Bn : n ∈N eine abzählbare Basis von M. Dann ist auch

B := B ∈ B : B ist kompakt

eine abzählbare Basis, denn ist U ⊆ M eine beliebige offene Menge, so wähle man für jedesp ∈ U zunächst offene Mengen Vp ⊆ M und kompakte Mengen Kp ⊆ M mit

p ∈ Vp ⊆ Kp.

Das geht, weil X lokal kompakt ist. Dann wähle man ein np ∈N mit

p ∈ Bnp ⊆ Vp ∩U

(was geht, da B Basis der Topologie ist). Es ist dann

Bnp ⊆ Vp ⊆ Kp

und daher als abgeschlossene Menge (auch in Kp) eines Kompaktums selber kompakt(vgl.

(1.52)). Aber nun ist

U =⋃

p∈U

Bnp

und Bnp ∈ B, für alle p ∈ U. Also ist auch B Basis.(b) Wir nehmen nun gleich an, dass B aus relativ kompakten Teilmengen besteht (d.h.:

für B ∈ B gilt: B ist kompakt) und nummerieren die Elemente von B durch: B = Bn : n ∈N. Setzen wir nun G1 := B1 und nehmen an, dass wir Gk für k ∈N schon von der Form

Gk = B1 ∪ · · · ∪ Bjk

für ein jk ∈N gewählt haben. Dann ist

Gk = B1 ∪ · · · ∪ Bjk

und daher kompakt. Es existiert deshalb ein jk+1 > jk mit

Gk ⊆ B1 ∪ · · · ∪ Bjk+1 .

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

Wir setzen dann rekursiv:Gk+1 := B1 ∪ · · · ∪ Bjk+1 .

Dann gilt: Gk ist kompakt, Gk ⊆ Gk+1 nach Konstruktion und⋃k∈N

Gk =⋃

k∈N

B1 ∪ · · · ∪ Bjk =jk≥k

⋃m∈N

Bm = M.

(B.8) Satz. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit mit Rand und A = (Ui)i∈I eine offene Überdeckung.Dann existiert eine A-untergeordnete Teilung der Eins (λm)m∈N, so dass gilt: supp(λm) ⊆ M istkompakt, für alle m ∈N.

Beweis. Sei (Gk)k∈N eine relativ-kompakte Ausschöpfung von M wie in (B.7) und p ∈ Mbeliebig. Wir setzen G0 := ∅ und

kp := maxk ∈N : p /∈ Gk ∈N0.

Dann ist also p ∈ Gkp+1 ⊆ Gkp+2 und damit

p ∈ Gkp+2 \ Gkp .

Sei ip ∈ I so, dass p ∈ Uip und Vp ⊆ M offen, so dass

p ∈ Vp ⊆ Uip ∩ (Gkp+2 \ Gkp).

Nach evtl. Verkleinerung von Vp dürfen wir annehmen, dass Vp das Definitionsgebiet einerKarte ϕp : Vp → B ist, wobei B = B(3) ⊆ Rn ist und ϕp(p) = 0. Sei nun $p : Rn → [0, 1] eineAbschneidefunktion für B

(vgl. (3.26)

), d.h.:

$p|B(1) ≡ 1, $p|Rn \ B(2) ≡ 0.

Wir setzen schließlich

Wp := ϕ−1p(

B(1)), λp :=

$p ϕp auf Vp

0 sonst: M→ [0, 1]

Da nun Gk+1 \ Gk kompakt ist, existieren endlich viele p(k)1 , . . . , p(k)rk ∈ Gk+1 \ Gk, so dass

Gk+1 \ Gk ⊆rk⋃

j=1

Wp(k)j

ist. Dasupp(λp) ⊆ Vp ⊆ Gkp+2 \ Gkp

ist, existiert für jedes p ∈ M eine offene Umgebung, so dass nur endlich viele supp(λp(k)j

)

dieses U treffen(k ∈N, j ∈ 1, . . . , rk

), nämlich z.B. U = Gkp+2 \ Gkp , welches höchstens

vonW

p(kp−1)1

, . . . , Wp(kp+1)rkp+1

getroffen wird. Wir nummerieren nun die Familie (λp(k)j

)k∈N, j=1,...,rk zu einer Folge (λm)m∈N

um, m = m(k, j). Dann ist also (λm)m∈N lokal endlich, also

λ := ∑m∈N

λm

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

wohldefiniert und, weil (Wm)m∈N ganz M überdecken, ist:

λ > 0.(Wm := W

p(k)j, m = m(k, j)

)p⋃

m∈N Wm =⋃

m∈N Gm+1 \ Gm ⊆⋃

Gm+1 = M. ySetzen wir nun noch

λm :=λm

λ,

und ι : N → I so, dass ι(m) = ipm

(=⇒ supp(λm) ⊆ Vpm ⊆ Uipm

= Uι(m)

), so ist (λm) die

gesuchte Teilung der Eins auf M. Nach Konstruktion ist

supp(λm) ⊆ ϕ−1ι(m)

(B(2)

),

also auch kompakt.

(B.9) Kommentar.

(a) In vielen Anwendung ist es günstig, wenn man die Indexmenge A der (Ui)i∈I unterge-ordneten Teilung der Eins gleich I und die „Nummerierung“ ι : A→ I als die Identitätwählen kann. Verzichtet man darauf, dass die Träger supp(λi) ⊆ Ui kompakt seinsollen - und das muss man, wie das Beispiel einer nicht-kompakter Mannigfaltigkeitmit A = (M) zeigt - so kann man dies wie folgt erreichen: Man setze im Beweis von(B.8) noch λi : M→ [0, 1]

λi := ∑m∈N

ι(m)=i

λm.

Dann ist (λi)i∈I tatsächlich eine Teilung der Eins mit supp(λi) ⊆ Ui.

(b) Beachte, das für überabzählbares I dabei nur abzählbar viele i ∈ I existieren(nämlich

die aus im(ι)), wo λi 6≡ 0 sein kann.

(B.10) Definition. Sei (M, σ) eine orientierte Mannigfaltigkeit der Dimension n mit Randund ω eine glatte n-Form mit kompakten Träger.

(a) Sei n ≥ 1. Gibt es eine orientierungserhaltende Karte ϕ : U → V ⊆ Hn (bzw. −H1 imFall n = 1) mit supp(ω) ⊆ U, so setzen wir∫

Mω :=

∫V(ϕ−1)∗(ω|U) =

∫V

f (x)dL(x),

wenn ω|U = f (x)dx1 ∧ · · · ∧ dxn mit f ∈ E(V) ist.

(b) Sei n ≥ 1. Sei A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I ein Orientierungsatlas von M und (λm)m∈N eine(Ui)-untergeordnete Teilung der Eins. Wir setzen dann:∫

Mω := ∑

m∈N

∫M

λmω,

wobei die Integrale auf der rechten Seite nach (a) definiert sind, da supp(λmω) kompak-ten Träger in einer Karte hat.

(c) Für n = 0 ist ω ∈ E0(M) = E(M) eine (glatte) Funktion mit kompakten Träger. Istdann (M, σ) orientiert, also σ : M→ ±1 eine Gewichtsfunktion auf dem abzählbarendiskreten Raum M, so setzt man∫

Mω := ∑

p∈Mσ(p) ·ω(p).

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

Die Summe auf der rechten Seite ist endlich, weil ω kompakten Träger hat, d.h. indiesem Falle: es gibt nur endlich viele p’s mit ω(p) > 0.

(B.11) Kommentar.

(a) Wir haben schon in (B.1,c) schon geprüft, dass (B.10,a) nicht von der Wahl der orientiertenKarte abhängt.

(b) Die Summe auf der rechten Seite in (B.10,b) ist endlich, das soll hier heißen: Nur endlichviele Summanden sind von Null verschieden. Jedes p ∈ M hat ja eine offene UmgebungUp ⊆ M, die nur endlich viele der Träger von ωm := λmω trifft.

#m ∈N : Up ∩ supp(ωm) 6= ∅ < ∞.

Da supp(ω) ⊆ M kompakt ist, ist aber

supp(ω) ⊆ Up1 ∪ · · · ∪Upr

mit nur endlich vielen Punkten p1, . . . , pr ∈ M (r ∈N). Also ist auch

#m ∈N : supp(ωm) 6= ∅ < ∞.

(c) Beachte auch, dass ∫M

: E (n)cs (M)→ R,

mitE (n)cs (M) := ω ∈ En(M) : ω hat kompakten Träger,

linear ist, weil die Lebesgue-Integrale Ecs(V)→ R linear sind.

(d) Im Falle, dass supp(ω) in einem Kartengebiet ist, stimmt Definition (b) mit Definition(a) wegen ∑m λm = 1 überein.

(e) Es bleibt zu prüfen, dass (B.10,b) nicht von der Auswahl des Orientierungsatlas A undnicht von der gewählten Teilung der Eins (λm) abhängt:

(B.12) Bemerkung. Die Definition (B.10) des Integrals über n-Formen mit kompaktenTräger über orientierte Mannigfaltigkeiten (mit Rand) der Dimension n ist wohldefiniert.

Beweis. Sei o.E. n ≥ 1 und seien A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I und A = (ϕ : Uj → Vj)j∈J zweiOrientierungsatlanten auf M und (λk)k∈N bzw. (λl)l∈N ihnen untergeordnete Teilungen derEins. Es ist dann für ein ω ∈ E (n)cs (M) :

∑l∈N

∫M

λlω = ∑l∈N

∫M

λl

(∑

k∈N

λkω)

(da ∑ λk = 1 ist)

= ∑l∈N

∑k∈N

∫M

λlλkω

(da das Lebesgue-Integral auf Vι(l)linear ist, ι : N→ J

)= ∑

k∈N

∫M

λk

(∑

l∈N

λlω) (

da auch das Lebesgue-Integral aufVι(k) linear ist, ι : N→ J

)= ∑

k∈N

∫M

λkω (da ∑ λl = 1 ist)

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(B.13) Lemma. Sei V ⊆ Hn (bzw. auch in −H1 für n = 1) offen und ω ∈ E (n−1)cs (V). Dann

hat auch dω ∈ E (n)(V) kompakten Träger und mit der Einbettung ι : V ∩ ∂Hn →Hn, y 7→ (0, y),der Standard-Orientierung auf V und der induzierten Orientierung auf ∂V (:= V ∩ ∂Hn):∫

Vdω =

∫∂V

ι∗(ω).

Beweis. (a) Sei n ≥ 2. Seien f1, . . . , fn ∈ E(V) die glatten Funktion mit

ω = f1dx2 ∧ · · · ∧ dxn + (− f2)dx1 ∧ dx3 ∧ · · · ∧ dxn + · · ·+ (−1)n fndx1 ∧ · · · ∧ dxn−1.

Es ist dann einerseits:

dω = d( n

∑i=1

(−1)i−1 fidx1 ∧ · · · ∧ dxi ∧ · · · ∧ dxn)

=n

∑i=1

(−1)i−1 ∂ fi

∂xi dxi ∧ dx1 ∧ · · · ∧ dxi ∧ · · · ∧ dxn

=( n

∑i=1

∂ fi

∂xi

)dx1 ∧ · · · ∧ dxn = div( f )dx1 ∧ · · · ∧ dxn

mit

div( f ) :=n

∑i=1

∂ fi

∂xi ∈ E(V).

Andererseits ist

ι∗ω = ι∗ f1dy2 ∧ · · · ∧ dyn = f1(0, y)dy2 ∧ · · · ∧ dyn,

denn ist ι∗ω = g(y)dy2 ∧ · · · ∧ dyn (y = (y2, . . . , yn))=⇒

g(y) = ι∗ω( ∂

∂y2 , . . . ,∂

∂yn

)= ω(ι∗

( ∂

∂y2

), . . . , ι∗

( ∂

∂yn

)) = ω

( ∂

∂x2 , . . . ,∂

∂xn

)|i(y) = f1(0, y),

da

ι∗(dx1)( ∂

∂yj

)=⟨

dx1,∂

∂xj

⟩= 0

ist für j = 2, . . . , n, denn ι∗(∂

∂yi ) =∂

∂xi . Nun ist zunächst

supp( ∂ fi

∂xi

)⊆ supp( f ),

damit supp(dω) ⊆ supp(ω) und damit auch kompakt. Wir können daher a2, . . . , an ∈ R

und b1, . . . , bn ∈ R wählen, so dass

supp(ω) ⊆ [0, b1]× [a2, b2]× · · · × [an, bn].

Setzen wir nun noch ω trivial zu ω auf ganz Hn fort

ω(x) :=

ω(x) für x ∈ V

0 sonst

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

(und nennen die Fortsetzung wieder ω mit den trivial fortgesetzten fi auf Hn, die weiterhin

fi (statt fi) heißen mögen)

so gilt mit den Satz von Fubini:

∫V

dω =∫

Hndω =

∫Hn

n

∑i=1

∂ fi

∂xi dx1 · · ·dxn

=n

∑i=1

∫ bn

an· · ·

∫ bi

ai· · ·

∫ b1

a1

(∫ bi

ai

∂ fi

∂xi dxi)

dx1 · · · dxi · · ·dxn

mit a1 := 0 und mit dem Hauptsatz der Differential und Integralrechnung:

∫V

dω =n

∑i=1

∫ bn

an· · ·

∫ bi

ai· · ·

∫ b1

a1

(fi(x1, . . . , xi−1, bi, xi+1, . . . , xn)

− fi(x1, . . . , xi−1, ai, xi+1, . . . , xn))dx1 · · · dxi · · ·dxn.

Da nun supp(ω) ⊆ [0, b1]× [a2, b2]× · · · × [an, bn] ist, gilt:

fi(x1, . . . , xi−1, ai, xi+1, . . . , xn) = fi(x1, . . . , xi−1, bi, xi+1, . . . , xn) = 0

für i = 2, . . . , n undf1(b1, x2, . . . , xn) = 0,

so dass nur noch überbleibt:∫V

dω = −∫ bn

an· · ·

∫ b2

a2f1(0, x2, . . . , xn)dx2 · · ·dxn

= −∫

Rn−1ι∗ω = +

∫∂Hn

ι∗ω = +∫

∂Vι∗ω,

mit der von V auf ∂V induzierten Orientierung(vgl. (B.4)

).

(b) Der Fall n = 1 sei als Übung überlassen. Er liefert im Fall, dass V = [0, b) ⊆ H1

zusammenhängend ist, dass∫V

dω =∫ b

0f ′(x)dx = − f (0) =

∫∂V

ι∗(ω),

wenn ω = f ist, und ähnlich für V = (a, 0] ⊆ −H1 bei ω = f (x):∫V

dω =∫ 0

−af ′(x)dx = + f (0) =

∫∂V

ι∗(ω),

weil ∂V = 0 im ersten Fall das Gewicht −1 bekommt und im zweiten Fall das Gewicht+1.

(B.14) Kommentar.

(a) Der folgende Satz gilt als der Höhepunkt der Differential- und Integralrechnung. Auf derrechten müsste es genauer ι∗ω statt ω heißen, wenn ι : ∂M → M die Inklusion bezeichnet.(So ist die Formulierung ästhetischer, weil das „runde d“ vor dem Integranden lediglichin das „partielle ∂“ des Definitionsgebiet wandert.)

(b) Er enthält als Spezialfall den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (für glatteFunktionen), denn ist M = [a, b] und f : [a, b]→ R glatt, so gilt mit einer StammfunktionF : [a, b]→ R, dass

α := f (x)dx = F′(x)dx = dω

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

ist, wenn man die Nullform ω ∈ E (0)(M) als ω := F setzt. Die Standard-Orientierungauf [a, b] induziert die Gewichte −1 auf a und +1 auf b von ∂M = a, b, so dass fürdas Randintegral ∫

∂Mι∗ω = −F(a) + F(b)

wird. Man erhält also:∫ b

af (x)dx =

∫[a,b]

dωStokes=

∫∂[a,b]

ι∗ω = F(b)− F(a).

(c) Tatsächlich haben wir in (B.13) gesehen, dass der Hauptsatz der wesentliche Bestandteilim Beweis ist, der den Spezialfall betrachtet, wo supp(ω) ganz in einem Kartengebietliegt. Der Rest des Beweises besteht nur aus „Kartenzauber“.

(d) Tatsächlich ist der Satz von Stokes ein Beispiel dafür, dass die Tiefe eines Satzes durchausim Entdecken der richtigen Begriffsbildungen liegen kann, sozusagen in den Definitionen(hier z.B.: Mannigfaltigkeiten, Differentialformen und Orientierungen). Der eigentlicheBeweis ist dann (mehr oder weniger) trivial.

(B.15) Theorem (Stokes). Sei M eine orientierte Mannigfaltigkeit mit Rand der Dimension n.Dann gilt für jede (n− 1)-Form ω mit kompaktem Träger:∫

Mdω =

∫∂M

ω.

Beweis. Sei n ≥ 2. Wir wählen einen Orientierungsatlas A = (ϕi : Ui → Vi ⊆ Hn)i∈I undeine ihm untergeordnete Teilung der Eins (λm)m∈N

(mit ι : N→ I, so dass supp(λm) ⊆ Uι(m)

ist)

mit kompakten Trägern supp(λm) ⊆ Uι(m). Bezeichnen wir mit A den induzierten Atlasvon ∂M, dessen Karten für die induzierte Orientierung orientierungsumkehrend sind so ist(λm) mit

λm := λm|∂M

eine A-untergeordnete Teilung der Eins ist, A := (Ui), Ui := Ui ∩ ∂M, i ∈ I(und natürlich

ist auch supp(λm) kompakt). Jetzt dürfen wir rechnen.∫

Mdω = ∑

m∈N

∫M

d(λmω)(

weil ∑ λm = 1 und d und∫

M− linear sind

)= ∑

m∈N

∫Vι(m)

(ϕ−1ι(m)

)∗(dωm)

(mit ωm := λmω, da dωm kompaktenTräger in Uι(m) hat.

)(4.67)= ∑

m∈N

∫Vι(m)

d((ϕ−1

ι(m))∗ωm

)(B.13)= ∑

m∈N

∫∂Vι(m)

j∗((ϕ−1

ι(m))∗ωm

) (wo j : Vι(m) = ∂Vι(m) → Vι(m) dieInklusion bezeichnet

)

= ∑m∈N

∫∂Vι(m)

(ϕ−1ι(m)

)∗(j∗ωm)

wo j nun die Inklusion ∂M → Mbezeichnet, denn es kommutierenϕ−1

ι(m) j = j ϕ−1

ι(m)

= ∑

m∈N

∫∂M

j∗(ωm)

∫ist linear=

∫∂M

j∗(

∑m∈N

ωm︸ ︷︷ ︸=ω

)=∫

∂Mj∗ω.

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

Der Fall n = 1 ist ähnlich, aber einfacher, weil man keine Teilung der Eins mehr auf∂M braucht. Man beachte aber, dass man hier V1 ⊆ H1 oder V1 ⊆ −H1 zulassen muss(Übung).

(B.16) Korollar. Ist M geschlossen und ω ∈ E (n−1)(M) beliebig, so ist:∫M

dω = 0.

(B.17) Proposition. Sei Mn eine Mannigfaltigkeit. Dann ist M genau dann orientierbar, wennes eine globale n-Form ohne Nullstellen auf M gibt.

Beweis. „=⇒“: Sei A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I ein Orientierungsatlas von M. Auf jedem Uidefinieren wir ωi ∈ E (n)(Ui) durch

ωi = dx1 ∧ · · · ∧ dxn.

Sei nun (λi)i∈I eine Teilung der Eins mit supp(λi) ⊆ Ui. Dann können wir λiωi ∈ E (n)(Ui)

trivial außerhalb von Ui zu einer glatten n-Form ωi ∈ E (n)(M) fortsetzen,

ωi(p) :=

λi(p)ωi(p) für p ∈ Ui

0 sonst.

Wir setzen dannω = ∑

i∈Iωi

und stellen fest, dass für ein p ∈ M die Summe auf der rechten Seite auf einer ganzenUmgebung von p endlich ist, damit ist ω wohldefiniert und glatt, ω ∈ E (n)(M).

Sei nun p ∈ M beliebig und i0, . . . , ir ∈ I die Indizes, wo λi(p) 6= 0 ist. Ist

ωi0 = dx1 ∧ · · · ∧ dxn,

so istωik = fk(x)dx1 ∧ . . . ∧ dxn (k = 1, . . . , r),

wo x = ϕi0 und fk die Funktionaldeterminante des Übergangs von ϕik zu ϕi0 ist und damitpositiv. Es ist deshalb

ω(p) =(

λi0(p) +r

∑k=1

λik(p) fk(xk))

dx1 ∧ · · · ∧ dxn (mit xk = ϕik(p)

)und da mindestens ein λik(p) > 0 sein muss, weil ∑r

k=0 λik(p) = 1 ist, ist

λi0(p) +r

∑k=1

λik(p) fk(xk) > 0.

„⇐=“: Sei ω ∈ E (n)(M) ohne Nullstellen. Da dim(ΛnT∗Mp) = 1 ist, folgt für α ∈ ΛnTM∗p,dass es genau ein λ ∈ R gibt mit

α = λωp,

denn (ωp) ist dann eine Basis von ΛnTM∗p.Sei nun B = (e1, . . . , en) eine Basis von TMp und (α1, . . . , αn) die dazu duale Basis von

TM∗p. Wir nennen B positiv orientiert, wenn für α := α1 ∧ · · · ∧ αn ∈ ΛnTM∗p gilt: Istα = λωp, so ist λ > 0. Das definiert tatsächlich eine Orientierung σp auf TMp, denn ist für

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

eine weitere Basis B = ( f1, . . . , fn) der Übergang zu B durch eine Matrix S = (sij) ∈ GLn R

gegeben, f j = sijei (j = 1, . . . , n), so gilt für die duale Basis (β1, . . . , βn), dass βi = ti

jαj ist mit

(tij) =: T = S−1. Es folgt

β = β1 ∧ · · · ∧ βn = det(T)α1 ∧ · · · ∧ αn = det(T)α.

Das zeigt: B ist genau dann auch positiv orientiert, wenn det(S) > 0 ist.Es ist auch σ = (σp)p∈M dann tatsächlich eine Orientierung auf M, denn ist ϕ : U → V

eine Karte um p, so dassω|U = f (x)dx1 ∧ · · · ∧ dxn,

sagen wir, f (x0) > 0, so ist auch f (x) > 0 auf einer Umgebung von x0, sagen wir V ⊆V, und damit ( ∂

∂x1 |p, . . . , ∂∂xn |p) positiv orientiert, für alle q ∈ U = ϕ−1(V). Damit ist

Dϕq : (TMq, σq)→ Rn orientierungserhaltend für alle q ∈ U, denn Dϕq(∂

∂xj |q) = ej(mit der

kanonischen Basis (e1, . . . , en) von Rn). Es ist also M orientierbar.

(B.18) Kommentar.

(a) Ein Geradenbündel π : L → M über M ist genau dann trivial, L ∼= R, wenn es einennullstellenfreien Schnitt hat

(Übung: s ∈ Γ(L) ohne Nullstelle =⇒ R → L, (p, λ) →

λ · s(p) ist ein Isomorphismus). M ist also genau dann orientierbar, wenn ihr, so

genanntes kanonische Bündel ΛnT∗M trivial ist.

(b) Eine Orientierung auf einem (endlich-dimensionalen) R-Vektorraum V kann man alsoals eine der beiden Zusammenhangskomponenten von

ΛnV∗ \ 0 ∼= R \ 0 (n ∈N)

betrachten. Ist M zusammenhängend und orientierbar, so hat also mit L := ΛnT∗M unddem Nullschnitt s : M→ L die Mannigfaltigkeit L \ s(M) zwei Zusammenhangskompo-nenten. (Im nicht orientierbaren Fall ist sie zusammenhängend, Übung.)

(B.19) Definition. Sei Mn eine Mannigfaltigkeit und ω ∈ E (n)(M) ohne Nullstellen. Dannnennt man ω eine Volumenform auf M.

(B.20) Kommentar. Zwei Volumenformen ω1, ω2 induzieren nach dem Beweis von (B.17)also genau dann die gleiche Orientierung σ auf M, wenn für f : M→ R, so dass

ω2 = f ω1 (∗)

ist, gilt: f (p) > 0, für alle p ∈ M. Da jede Orientierung von einer Volumenform nach (B.17)auch induziert wird

(man nehme zu σ das ω, welches in (B.17, „=⇒“) konstruiert wurde

),

kann man eine Orientierung auf M auch als eine Äquivalenzklasse von Volumenformen [ω]

betrachten(mit ω1 ∼ ω2, genau wenn (∗) gilt

).

(B.21) Bemerkung. Sei Mn eine kompakte Mannigfaltigkeit, ω ∈ E (n)(M) eine Volumen-form und σ die von ω induzierte Orientierung auf M. Dann gilt auf (M, σ):∫

Mω > 0.

Beweis. Ist A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I ein Orientierungsatlas von M, so ist mit

ω|Ui = fi(x)dx1 ∧ · · · ∧ dxn

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

offenbar fi > 0, da ωp und dx1 ∧ · · · ∧dxn|p die gleiche Orientierung σp auf TMp induzieren.Ist nun (λi)i∈I eine Teilung der Eins mit supp(λi) ⊆ Ui, ∀i ∈ I, so ist auch λi fi ≥ 0 unddamit ∫

Mωi =

∫Vi

λi ϕ−1i (x) fi(x)︸ ︷︷ ︸≥0

dL(x) ≥ 0 (mit ωi := λiω)

(Wir dürfen hier A = I und ι = 1 annehmen, da supp(λi) ⊆ M stets kompakt ist, weil M

kompakt ist.)

Es folgt also zunächst∫M

ω = ∑i∈I

∫M

ωi ≥ 0.

Zu p ∈ M gibt es aber ein i ∈ I mit p ∈ Ui und λi(p) > 0. Da auch fi(x0) > 0(mit

x0 = ϕi(p))

ist, istλi ϕ−1

i (x) fi(x) > 0

auf einer ganzen Umgebung von x0 und damit sogar∫M

ωi > 0

und damit auch∫

M ω > 0.

(B.22) Kommentar.

(a) Ist ω ∈ E (n)(M) eine Volumenform, so nennt man (M, ω) auch eine Volumen-Mannig-faltigkeit. Ist M kompakt, so ist ihr Volumen dann (bzgl. der induzierten Orientierung)

Vol(M) :=∫

Mω ∈ (0, ∞).

(b) Sei (M, ω) eine Volumen-Mannigfaltigkeit und A ⊆ M eine Borel-Menge (d.i. einElement in der Borelschen σ-Algebra von M). Ist A = (ϕi : Ui → Vi)i∈I ein Orien-tierungsatlas und (λi)i∈I eine untergeordnete Teilung der Eins, so setzt man für einen-Form α ∈ E (n)(M) mit supp(α) ⊆ Ui:∫

Aα :=

∫ϕi(A)∩Vi

f (x)dL(x) ∈ [0, ∞],

wenn f ≥ 0 ist. Für eine beliebige n-Form α ∈ E (n)(M) mit α = f ω und f ≥ 0 sei dann∫A

α := ∑i∈I

∫A

λiα︸ ︷︷ ︸≥0

∈ [0, ∞].

Man setzt nun µ : B(M)→ [0, ∞](B(M) die Borel-Algebra von M

),

µ(A) :=∫

µ ist dann ein Maß und macht (M,LM, µ) zu einem Maßraum. Für jede glatte Funktion(mit kompakten Träger) gilt dann (Übung):∫

Mf dµ =

∫M

f ω.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(B.23) Definition. Sei V ein reeller Vektorraum und p ∈ N. Identifiziert man ΛpV∗

kanonisch mit Altp(V), so nennt man für jedes v ∈ V die Abbildung

ιv : ΛpV∗ → Λp−1V∗

gegeben durch(ιvω)(w1, . . . , wp−1) := ω(v, w1, . . . , wp−1)

die Kontraktion von ωωω durch v (oder die innere Multiplikation von ωωω mit v).

(B.24) Kommentar.

(a) Tatsächlich ist ιvω (p− 1)-linear und alternierend, wenn ω p-linear und alternierend ist.Es ist auch ιv tatsächlich linear und schließlich auch die Zuordnung

ι : V → Hom(ΛpV∗, Λp−1V∗), v 7→ ιv

ist linear.

(b) Ist nun M eine Mannigfaltigkeit, ω ∈ E (n)(M) und X ∈ X(M), so kann man also ω mitX zu einer (n− 1)-Form ιXω kontrahieren. Dann ist d(ιXω) wieder eine n-Form. Ist nunω ∈ E (n)(M) eine Volumenform, so gibt es ein eindeutig bestimmtes glattes f : M→ R

mitd(ιXω) = f ·ω,

und dieses f hängt linear von X ab. Wir setzen:

(B.25) Definition. Sei (M, ω) eine Volumen-Mannigfaltigkeit. Dann heißt für jedes glatteVektorfeld X ∈ X(M) die Funktion f =: divω(X) mit

dιXω = divω(X) ·ω

die Divergenz von X.

(B.26) Bemerkung. Sei (M, ω) eine Volumen-Mannigfaltigkeit und x : U → V ⊆Hn eineKarte. Ist dann ω|U = f (x)dx1 ∧ · · · ∧ dxn und ξ i ∈ E(V) mit X|U = ξ i ∂

∂xi , so gilt fürdiv(X) : M→ R bzgl. der Karte x:

div(X) =1f· ∂

∂xi ( f ξ i).

(B.27) Kommentar.

(a) Das zeigt (erneut), dass div : X(M)→ E(M) ein lokaler (linearer) Operator ist.

(b) Ist bzgl. einer Karte x die Volumenform ω = dx1 ∧ · · · ∧ dxn, so stimmt div mit derüblichen Divergenz von Vektorfeldern ξ = (ξ1, . . . , ξn) auf offenen Teilmengen des Rn

überein,

div(ξ) =∂ξ i

∂xi .

Beweis. Schreiben wir ιXω|U als

ιXω = (−1)i−1ηidx1 ∧ · · · ∧ dxi ∧ · · · ∧ dxn

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

mit glatten Funktionen ηi ∈ E(V) (i = 1, . . . , n), so ist

ηi = (−1)i−1ιXω( ∂

∂x1 , . . . ,∂

∂xi , . . . ,∂

∂xn

)= (−1)i−1ω

(X,

∂x1 , . . . ,∂

∂xi , . . . ,∂

∂xn

)= (−1)i−1 f · dx1 ∧ · · · ∧ dxn

(ξ j ∂

∂xj ,∂

∂x1 , . . . ,∂

∂xi , . . . ,∂

∂xn

)= (−1)i−1 f · (−1)i−1ξ i dx1 ∧ · · · ∧ dxn

( ∂

∂x1 , . . . ,∂

∂xn

)︸ ︷︷ ︸

=1

= f ξ i.

Es folgt:

dιXω|U = d((−1)i−1ηidx1 ∧ · · · ∧ dxi ∧ · · · ∧ dxn)

= (−1)i−1 ∂ηi

∂xj dxj ∧ dx1 ∧ · · · ∧ dxi ∧ · · · ∧ dxn

=∂ηi

∂xi dx1 ∧ · · · ∧ dxn

=1f

∂ηi

∂xi ( f dx1 ∧ · · · ∧ dxn)

=1f

∂ηi

∂xi ·ω,

also:

div(X)|U =1f

∂( f ξ i)

∂xi .

(B.28) Satz. Sei (M, ω) eine kompakte Volumen-Mannigfaltigkeit und X ein glattes Vektorfeld aufM. Dann gilt: ∫

Mdiv(X)ω =

∫∂M

ιXω.

Beweis. Es ist nach Definitiond(ιXω) = div(X)ω,

also nach Stokes ∫M

div(X)ω =∫

Md(ιXω) =

∫∂M

ιXω.

(B.29) Beispiel. Für M = Rn (und dann auch für jede offene Teilmenge U ⊆ Rn) ist

ω := dx1 ∧ · · · ∧ dxn

eine Volumenform. Sie wird als die Standard-Volumenform auf Rn bezeichnet.

Ist X : U → Rn, X = (ξ1, . . . , ξn) ein glattes Vektorfeld auf einer offenen Menge U ⊆ Rn, soist seine Divergenz bzgl. der Standard-Volumenform also gegeben durch

div(X) =∂ξ i

∂xi .

(B.30) Erinnerung.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(a) Eine kompakte Teilmenge K ⊆ Rn hat glatten Rand, wenn es für jedes x ∈ ∂K eineoffene Umgebung U ⊆ K von x, ein offenes V ⊆ Hn und einen Diffeomorphismusϕ : U → V gibt. Überdeckt man ∂K mit (endlich-vielen) solchen Karten und nimmt nochϕ0 = 1 : K \ ∂K → K \ ∂K, so wird K offenbar zu einer Mannigfaltigkeit mit Rand. Wirorientieren sie mit der Einschränkung der Standard-Volumenform auf Rn.

(b) 0 ≤ k ≤ n(sogar k ∈ [0, n]

)ist erlaubt. Das k-dimensionale Hausdorff-Maß Hk,n auf der

Borel-Algebra von Rn (und durch Einschränkung damit auf jeder Borel-Menge M ⊆ Rn)misst den k-dimensionalen Flächeninhalt einer Borel-Menge A ⊆ Rn

Hk,n : L(Rn)→ [0, ∞].

Ist V ⊆ Rk offen, ψ : V → Rn eine reguläre Parametrisierung, d.h.: ψ ist eine injektiveImmersion, so gilt für jede Hk-integrable Funktion f : M→ R, M = ψ(V), dass g : V →R, gegeben durch

g(u) := Jψ(u) · f ψ(u)

Lk-integrabel auf V (Lk : L(V) → [0, ∞] das Lebesgue-Maß auf V) und es gilt diesogenannte Flächenformel:∫

Mf (x)dHk(x) =

∫V

g(u)dL(u).

Hierbei ist Jψ : V → R die Jacobische von ψψψ, d.i.:

Jψ(u) :=√

det(

gij(u))

i,j

mit

gij(u) :=⟨ ∂ψ

∂ui ,∂ψ

∂uj

⟩(u) (1 ≤ i, j ≤ k).

Für g(u) =(

gij(u))

gilt also

g(u) = tDψ(u) ·Dψ(u).

f : M→ R ist z.B. dann Hk-integrabel, wenn f glatt ist und kompakten Träger hat.

(c) Ist M ⊆ Rn der Rand eines Kompaktums K mit glatten Rand, M = ∂K, so gibt esein eindeutig bestimmtes äußeres Einheits-Normalenfeld ν : M→ Rn (d.i. ein globalerSchnitt im TRn|M), d.h.: ν(p) ∈ TKaußen

p , ‖ν(p)‖ = 1 (bzgl. des Standard-Skalarprodukt〈 , 〉p auf TKp ∼= Rn).

(B.31) Satz (Gauß). Sei K ⊆ Rn ein Kompaktum mit glatten Rand und X ein glattes Vektorfeldauf K. Ist ν : ∂K → Rn das äußere Einheits-Normalenfeld entlang ∂K, so gilt:∫

Kdiv(X)dL =

∫∂K〈X, ν〉dHn−1.

(B.32) Lemma. Seien w1, . . . , wn−1 ∈ Rn und A ∈ Mat(n × (n − 1), R

)die Matrix, die

w1, . . . , wn−1 als Spalten hat. Für jedes i ∈ 1, . . . , n sei Ai ∈ Mat(n− 1, R) die Untermatrixvon A, bei der die i Zeile gestrichen ist und xi := det(Ai) ∈ R. Wir setzen

v := w1 × · · · × wn−1 := (x1, . . . , xn) ∈ Rn.

Dann gilt:

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

(a) v steht senkrecht auf wj, j = 1, . . . , n− 1;

(b) es ist det(t AA) ≥ 0 und (w1, . . . , wn−1) ist linear unabhängig, genau wenn

J(w1, . . . , wn−1) :=√

det(t AA) > 0

ist.

(c) Bzgl. des Standard-Skalarproduktes auf Rn ist

‖v‖ = J(w1, . . . , wn−1)

und für (w1, . . . , wn−1) linear unabhängig ist (v, w1, . . . , wn−1) eine positiv orientierte Basisvon Rn.

Beweis von (B.31). (a) Es reicht den Satz für ein Vektorfeld X zu beweisen, dessen Trägerganz in einer Karte ϕ : U → V ⊆ H liegt, denn beide Seiten in (B.31) sind linear inX. Mit einer Teilung der Eins kann man dann nämlich X in eine Summe von solchenVektorfeldern X0, . . . , Xr zerlegen, die ihren Träger in einer Karte haben,

X = X0 + · · ·+ Xr.

Gilt der Satz nun für Xi (i = 0, . . . , r), so auch für X:∫K

div(X)dL =r

∑i=0

∫K

div(Xi)dL =r

∑i=0

∫∂K〈Xi, ν〉dHn−1 =

∫∂K〈X, ν〉dHn−1.

(b) Ist daher ϕ : U → V ⊆Hn eine positiv-orientierte Karte (evtl. ⊆ −H1 bei n = 1), so istψ := ϕ−1|∂V → U ⊆ Rn, V := ∂V ⊆ Rn−1 offen, eine reguläre Parametrisierung. Setzenwir nun ω := dx1 ∧ · · · ∧ dxn ∈ E (n)(U) und

αi := (−1)i−1dx1 ∧ · · · ∧ dxi ∧ · · · ∧ dxn ∈ E (n−1)(U)

(i = 1, . . . , n), so ist mit X = (ξ1, . . . , ξn) ∈ X(U)(vgl. Beweis von (B.26)

):

ιXω =n

∑i=1

ξ iαi =: α.

Wegen (B.27) ist dann∫K

div(X)dL =∫

Kdiv(X) ·ω =

∫K

d(ιXω) =∫

∂KιKω =

∫∂K

α =∫

Vψ∗α.

Nun ist aber

ψ∗(αi) = (−1)i−1d(x1 ψ) ∧ · · · ∧ d(xi ψ) ∧ · · · ∧ d(xn ψ)

= (−1)i−1 ∂ψ1

∂uj1duj1 ∧ · · · ∧ ∂ψi

∂ujiduji ∧ · · · ∧ ∂ψn

∂ujndujn

= (−1)i−1 det(Ai)du1 ∧ · · · ∧ dun−1,

wo A(u) ∈ Mat(n− 1, n) nun die Jacobi-Matrix von ψ ist,

A = Dψ(u).

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Da die Spalten ∂ψ∂u1 , . . . , ∂ψ

∂un−1 von A den Tangentialraum TMx ⊆ Rn mit M = ∂K

aufspannen, ist dann wegen Jψ(u) =√

det t A(u) · A(u) = J(

∂ψ∂u1 , . . . , ∂ψ

∂un−1

):

∂ψ

∂u1 × · · · ×∂ψ

∂un−1 = Jψ(u) · ν(ψ(u)

),

also

ψ∗(αi) = Jψ · νi ψ · du1 ∧ · · · ∧ dun−1. (∗)

Deshalb ist∫K

div(X)dL =n

∑i=1

∫V

Jψ(ξi ψ) · (νi ψ)dL(u) =

∫V〈ξ, ν〉 ψ · JψdL(u)

(FF)=∫

∂K〈X, ν〉dHn−1.

(B.33) Kommentar.

(a) Ist ω eine Volumenform auf einer Mannigfaltigkeit M, so notiert man ω häufig auch alsdV, weil für das Volumen V = vol(M) im kompakten Fall dann gilt:

V =∫

MdV

und nennt dV das „infinitesimale Volumenelement“ auf M. Das ist etwas verwirrend,weil zumindest im kompakten Fall (und M ohne Rand) ω definitiv nicht exakt ist, weileinerseits V =

∫ω > 0 ist nach (B.21) und andererseits nach Stokes für eine exakte

Form dα ∈ E (n)(M), α ∈ E (n−1)(M), gilt:∫M

dα = 0.

(b) Ist K ⊆ Rn Kompaktum mit glatten Rand M = ∂K und ϕ : U → V ⊆ Rn−1 eine positivorientierte Karte auf M, so setzen sich die Formen,

ωϕ := ϕ∗(

Jψ(u)du1 ∧ · · · ∧ dun−1)mit ψ = ϕ−1 und Jψ : V → R+ der Jacobischen von ψ, zu einer globalen Volumenformα ∈ E (n−1)(M) zusammen. Nach dem Beweis von (B.31) ist nämlich

α =n

∑i=1

νiι∗(αi),

wenn man (∗) mit νi ψ multipliziert, aufsummiert und ‖ν‖ = 1 verwendet, und woι : M → Rn die Inklusion bezeichnet.

Diese Volumenform wird klassischer Weise als dS notiert und als „infinitesimalesOberflächenelement“ bezeichnet. Mit diesen Notationen liest sich der Satz von Gauß fürglatte Vektorfelder auf K dann so:∫

Kdiv(X)dV =

∫∂K〈X, ν〉dS.

(B.34) Vorbereitung.

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

(a) Sei nun M ⊆ R3 eine orientierte Untermannigfaltigkeit (evtl. mit Rand). Dann gibt eszu jedem p ∈ M eine eindeutig bestimmte Einheits-Normale νp ∈ R3, also νp⊥TMp

und ‖νp‖ = 1 (bzgl. des kanonischen Skalarproduktes auf R3), so dass für eine positivorientierte Basis (e1, e2) von TMp gilt: (νp, e1, e2) ist positiv orientierte Basis von R3. DieZuordnung M → R3, p 7→ νp, ist dann ein glattes Vektorfeld auf R3 entlang M. Bzgl.einer positiv orientierten lokalen Parametrisierung ψ : V → U ⊆ M ⊆ R3 wäre z.B.

ν ψ =

∂ψ∂u1 × ∂ψ

∂u2

‖ ∂ψ∂u1 × ∂ψ

∂u2 ‖

und damit glatt (Übung). Wir nennen ν das positiv orientierte Einheitsnormalenfeld anM.

(b) Sei nun M ⊆ R3 wie unter (a) und U ⊆ R3 eine offene Umgebung von M. Für ein glattesVektorfeld X = (ξ1, ξ2, ξ3) : U → R3 ist dessen Rotation erklärt durch rot(X) : U → R3

rot(X) =( ∂ξ3

∂x2 −∂ξ2

∂x3 ,∂ξ1

∂x3 −∂ξ3

∂x1 ,∂ξ2

∂x1 −∂ξ1

∂x2

)(= “~∇× X„),

wobei ~∇ = ( ∂∂x1 , . . . , ∂

∂x3 ). Setzen wir β1, β2, β3 ∈ E (2)(U),

β1 := dx2 ∧ dx3, β2 := dx3 ∧ dx1, β3 := dx1 ∧ dx2,

so erhalten wir für das infinitesimale Flächenelement dS auf M, welches bzgl. einerorientierten Karte ϕ : U → V ⊆H2 gegeben ist durch

dS = Jψ(u)du1 ∧ du2

mit ψ = ϕ−1, dass

dS =3

∑i=1

νiβi ∈ E (2)(M)

p=⇒ βi = νidS auf M yist.(Eigentlich ∑i νiι∗(βi), wo ι : M→ R3 die Inklusion ist, die wir aber unterdrücken.

)Setzen wir nun αi := dxi ∈ E (1)(U) und

α :=3

∑i=1

ξ iαi ∈ E (1)(U),

so gilt:

dα =3

∑i=1

∂ξ i

∂xj dxj ∧ dxi

=( ∂ξ3

∂x2 −∂ξ2

∂x3

)dx2 ∧ dx3 + · · ·+

( ∂ξ3

∂x1 −∂ξ1

∂x2

)dx1 ∧ dx2

=3

∑i=1

rot(X)i · βi.

Das zeigt, dass die Funktion 〈rot(X), ν〉 : M→ R, nur von X|M abhängt, denn:

〈rot(X), ν〉dS =3

∑i=1

rot(X)i · νidS︸︷︷︸=βi

= dα

auf M. Man braucht nämlich nur α auf M zu kennen(eigentlich nur ι∗(α), s.o.

)und

dieses dann auf M differenzieren. Der Koeffizient vor dS ist dann 〈rot(X), ν〉.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(c) Ist nun M ⊆ R3 orientierte Untermannigfaltigkeit mit Rand C = ∂M, so sei für jedesp ∈ C dann τp ∈ TCp positiv orientierte Einheits-Tangentenvektor von C an p. Istψ : I → C ⊆ R3, I ⊆ R ein offenes Intervall, eine reguläre und orientierungserhaltendeParametrisierung, so ist

τ ψ(t) =ψ(t)‖ψ(t)‖ ,

also

ψ = ‖ψ‖ · (τ ψ). (∗)

Beachte auch, dass t 7→ ‖ψ(t)‖ in diesem Fall die Jacobische von ψ ist:

Jψ(t) =√

det(

tψ(t) · ψ(t))=√

∑ ψiψi = ‖ψ‖.

(B.35) Satz (klassischer Satz von Stokes). Sei M ⊆ R3 eine kompakte, orientierte Unter-mannigfaltigkeit mit Rand, ν : M→ R3 ihr positives Einheitsnormalenvektorfeld und τ : ∂M→ R3

ihr positives Einheitstangentenfeld auf dem Rand. Für jedes glatte Vektorfeld X auf M gilt dann:∫M〈rot(X), ν〉dH2 =

∫∂M〈X, τ〉dH1.

Beweis. Wir haben schon gesehen, dass mit dem allgemeinen Satz von Stokes∫M〈rot(X), ν〉dH2 =

∫M〈rot(X), ν〉dS =

∫M

dα =∫

∂Mα

ist, wo

α =3

∑i=1

ξ idxi ∈ E (1)(M)

ist. Mit einem üblichen Argument, das eine Teilung der Eins benutzt, dürfen wir annehmen,dass X seinen Träger im Definitionsgebiet einer positiv orientierten Karte ϕ : U → V ⊆H2

hat und wir nennen ψ : I → C mit ψ := ϕ−1|∂V, I = ∂V. Dann ist

ψ∗(dxi) = d(xi ψ) =dψi

dt· dt = ψidt,

also

ψ∗(α) =3

∑i=1

ξ i ψ · ψ∗(dxi) =3

∑i=1

ξ i ψ · ψidt

=3

∑i=1

(ξ i ψ) · (τi ψ) · ‖ψ‖dt(wegen (∗)

)= 〈X, τ〉 ψJψdt.

Es folgt also: ∫M〈rot(X), ν〉dH2 =

∫∂M

α =∫

Iψ∗(α) =

∫I〈X, τ〉 ψ · Jψdt

=∫

∂M〈X, τ〉dH1.

(B.36) Kommentar.

179

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ANHANG B. DER SATZ VON STOKES

(a) Auch hier setzen sich die Elemente ‖ψ(t)‖dt ∈ E (1)(I) zu einer globalen 1-Form ds ∈E (1)(C) zusammen, denn es ist

ds =3

∑i=1

τidxi,

weil

ψ∗(dxi) = ψidt =⇒ ψ∗(∑

iτidxi

)= ∑

i

ψi

‖ψ‖ψ∗(dxi)

= ∑i

ψi

‖ψ‖ · ψidt = ‖ψ‖dt.

Es heißt das infinitesimale Bogenelement von C.

(b) In Termen der induzierten Volumenelemente dS ∈ E (2)(M) und ds ∈ E (1)(C), C = ∂M,liest sich der klassische Satz von Stokes für glatte Vektorfelder X ∈ X(M) also dann so:∫

M〈rot(X), ν〉dS =

∫∂M〈X, τ〉ds.

(B.37) Erinnerung. Ist X ein topologischer Raum, so heißt ein Teilraum A ⊆ X ein Retraktvon X, wenn es eine stetige Abbildung r : X → A mit r(a) = a, für alle a ∈ A, gibt. Einesolche Abbildung heißt dann eine Retraktion. Ist M eine glatte Mannigfaltigkeit und N ⊆ Meine Untermannigfaltigkeit, so betrachten wir zunächst nur glatte Retraktionen r : M→ N.

(B.38) Satz (Retraktionssatz). Für jedes n ∈ N gibt es keine Retraktion von Bn auf Sn−1 ⊆Bn.

Beweis. Da Sn−1 orientierbar ist, gibt es eine Volumenform ω ∈ E (n−1)(Sn−1), z.B. ω = dS,wenn dS die von Bn induzierte Standard-Volumenform auf Sn−1 ist

(vgl. (B.33,b)

). Da Sn−1

auch kompakt ist, ist bzgl. der von ω induzierten Orientierung nach (B.21) einerseits∫Sn−1

ω > 0.

Andererseits ist natürlich dω = 0, weil jede n-Form auf Sn−1 gleich Null sein muss, unddaher wegen (4.67) auch

d(r∗ω) = r∗(dω) = 0,

wenn r : Bn → Sn−1 (doch) eine (glatte) Retraktion ist. Da für die Inklusion i : Sn−1 → Bn

aber r i = 1 ist, ist nach dem Satz von Stokes∫Sn−1

ω =∫

Sn−1(r i)∗ω =

∫Sn−1

i∗(r∗ω)Stokes=

∫Bn

d(r∗ω) =∫

Bn0 = 0.

(B.39) Satz (Fixpunktsatz von Brouwer). Ist Φ : Bn → Bn eine glatte Abbildung, so hat Φeinen Fixpunkt, d.h. es gibt ξ ∈ Bn mit Φ(ξ) = ξ.

Beweis. Angenommen Φ : Bn → Bn hätte keinen Fixpunkt, also Φ(p) 6= p, ∀p ∈ Bn . Seidann r(p) ∈ Sn−1 der Schnittpunkt des Strahls, der in Φ(p) startet und in Richtung p−Φ(p)geht, mit Sn−1,

r(p) = Sn−1 ∩ Lp,

Lp = Φ(p) + R>0 ·(

p−Φ(p)).

180

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Dann ist r : Bn → Sn−1 auch glatt, weil r gegeben ist durch

r(x) = x + t(x) · u(x)

mit

u(x) =x−Φ(x)‖x−Φ(x)‖ , t(x) = −〈x, u〉+

(1− ‖x‖2︸ ︷︷ ︸≥0

+ 〈x, u〉2︸ ︷︷ ︸≥0︸ ︷︷ ︸

und mindestens einerder Summanden ist positiv

)1/2.

Aber nach Konstruktion wäre r(p) = p, für alle p ∈ Sn−1, also r eine Retraktion. Die gibt esaber nicht.

(B.40) Kommentar.

(a) (B.38) und (B.39) gelten auch für stetige Abbildungen. Ist etwa in (B.39) Φ : Bn → Bn

nur stetig, so kann man Φ nach dem Approximationssatz von Weierstraß gleichmäßig(bzgl. der euklidischen Norm) durch glatte Funktionen approximieren (sogar durchPolynome), da Bn kompakt ist. Sei daher fn : Bn → Bn glatt und ‖ fn − Φ‖ → 0(in der Supremumsnorm ‖ f ‖ = supx∈Rn | f (x)|). Ist dann ξn ∈ Bn ein Fixpunkt vonfn, fn(ξn) = ξn, so sei ξ ∈ Bn ein Häufungspunkt von (ξn) und o.E.: lim(ξn) = ξ

(sonst

gehe zu einer geeigneten Teilfolge von (ξn) über). Aber dann ist für jedes ε > 0

‖Φ(ξ)− ξ‖ ≤ ‖Φ(ξ)−Φ(ξn)‖︸ ︷︷ ︸<ε/3, da Φ stetig

+

<ε/3, da ( fn)glm−−→Φ︷ ︸︸ ︷

‖Φ(ξn)− fn(ξn)︸ ︷︷ ︸=ξn

‖+ ‖ξn − ξ‖︸ ︷︷ ︸<ε/3, da (ξn)→ξ

< ε,

wenn n = n(ε) groß genug gewählt ist. Also ist auch Φ(ξ) = ξ.

(b) Wäre in (B.36) r : Bn → Sn−1 eine (nur stetige) Retraktion, so hätte man Φ : Bn → Bn

gleich d r, wo d : Sn−1 → Sn−1 die Antipodenabbildung ist. Dann wäre Φ stetig ohneFixpunkte, denn für p /∈ Sn−1 ist Φ(p) 6= p, da Φ(p) ∈ Sn−1 ist, und für p ∈ Sn−1 istΦ(p) = −p 6= p, da Φ(p) = d(p) in diesem Fall ist.

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CAnhang C.

Überlagerungstheorie

(C.1) Definition. Sei M ein topologischer Raum und p ∈ M. Auf

S(M, p) := α : I → M stetig : α(0) = α(1) = p

(mit I := [0, 1]) definiert man eine Verknüpfung ∗ : S(M, p)× S(M, p)→ S(M, p) durch:

α ∗ β(t) :=

α(2t) für 0 ≤ t ≤ 1

2

β(2t− 1) für 12 ≤ t ≤ 1

(C.2) Definition. Zwei geschlossene Wege α, β ∈ S(M, p) heißen homotop (rel 0, 1),wenn es eine stetige Abbildung H : I × I → M gibt mit

H(0, s) = H(1, s) = p, ∀s ∈ I

H(t, 0) = α(t), H(t, 1) = β(t), ∀t ∈ I

H = (hs)s∈I , hs : I → M und hs(t) = H(s, t), heißt dann eine Homotopie von ααα nach βββ,H : α ' β.

(C.3) Kommentar.

(a) H kann man als eine Kurve in S(M, p) von α nach β betrachten. Die „Stetigkeit derKurve“ wird dadurch ausgedrückt, dass H als Abbildung auf I × I stetig sein soll.

(Wir

haben S(M, p) nicht mit einer Topologie versehen.)

(b) Es ist nicht schwer zu sehen, dass ' auf S(M, p) eine Äquivalenzrelation ist und auchnicht, dass sich

(C.4) Definition. Sei M ein topologischer Raum und p ∈ M. Dann heißt

π1(M, p) := S(M, p)/ '

zusammen mit der Verknüpfung

[α] · [β] = [α ∗ β]

die Fundamentalgruppe von (M, p).

(C.5) Kommentar.

(a) Es ist wieder nicht all zu schwer einzusehen, dass(π1(M, p), ·

)tatsächlich eine Gruppe

ist. Das neutrale Element 1 ∈ π1(M, p) ist dabei die Homotopieklasse des konstantenWeges cp : I → M, cp(t) = p, ∀t ∈ I,

[α] · [cp] = [α] = [cp] · [α].

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ANHANG C. ÜBERLAGERUNGSTHEORIE

Das inverse Element zu einem gegebenen Element γ = [α] ∈ π1(M, p) wird durch denrückwärts durchlaufenen Weg

(eines Repräsentanten α von γ ∈ π1(M, p)

)α− : I → M, α−(t) = α(1− t)

(unabhängig von der Repräsentantenwahl) gegeben,

[α] · [α−] = [cp] = [α−] · [α]

(b) π1(M, p) soll so etwas wie die „1-dimensionale Löcher in M“ detektieren.

(c) π1 ist so etwas wie der Prototyp eines Funktors in der Kategorientheorie von einergeometrisch-topologischen Kategorie in eine algebraische Kategorie: In der Kategorieder punktierten topologischen Räume Top0 sind die Objekte die Paare (M, p) (Mtopologische Raum, p ∈ M), die Morphismen die stetigen Abbildung f : (M, p) →(N, q) mit f (p) = q und die Komposition die Hintereinanderausführung von stetigenAbbildungen: Kategorie: C

• Ob(C ) = X (i.a. nur eine Klasse, keine Menge)

• Mor(X, Y), einer Menge; ∀X, Y ∈ Ob(C )

• ∀X, Y, Z ∈ Ob(C ):

Mor(X, Y)×Mor(Y, Z)→ Mor(X, Z), ( f , g) 7→ g f ,

so dass

(a) h(g f ) = (hg) f , ∀ f ∈ Mor(X, Y), g ∈ Mor(Y, Z), h ∈ Mor(Z, W) ∀X, Y, Z, W ∈Ob(C ).

(b) ∀x ∈ Ob(C ) ∃1X ∈ Mor(X, X) ∀Y, W ∈ Ob(C ) ∀g ∈ Mor(X, Y), h ∈ Mor(W, X):

g1X = g, 1Xh = h.

Beispiel. C1 = Top0, C2 = Grp, Objekte in C2: Gruppen, Morphismen in C2: Gruppen-homomorphismen, Komposition: Hintereinanderschaltung.

Ein (covarianter) Funktor T : C1 → C2 ist eine Abbildung T : Ob(C1) → Ob(C2) zwis-chen den Objekten und den Morphismen T(X,Y) : Mor(X, Y) → Mor

(T(X), T(Y)

), so

dass gilt:

(a) T(1X) = 1T(X), ∀X ∈ Ob(C1),

(b) T(g f ) = T(g)T( f ), X, Y, Z ∈ Ob(C1), ∀ f ∈ Mor(X, Y), g ∈ Mor(Y, Z).

T auf Morphismen wird oft mit ( )∗ notiert, T( f ) = f∗, also: 1∗ = 1, (g f )∗ = g∗ f∗.

Beispiel. Ist f : (M, p) → (N, q) stetig, α, β ∈ S(M, p) mit α ' β, so ist f α, f β ∈S(N, q) und f α ' f β. Man erhält also

f∗ : π1(M, p)→ π1(N, q), f∗([α])

:= [ f α]

f∗ ist Gruppenhomomorphismus und π1 : Top0 → Grp ist tatsächlich ein Funktor,1∗ = 1, (g f )∗ = g∗ f∗.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(d) Zwei Objekte X, Y in einer Kategorie C heißen isomorph, wenn es f ∈ Mor(X, Y), g ∈Mor(Y, X) gibt mit

g f = 1X, f g = 1Y

Wir schreiben: X ' Y. Beachte: Ist T : C1 → C2 ein Funktor und X ' Y =⇒ T(X) 'T(Y), denn ist f ∈ Mor(X, Y) ein Isomorphismus

(d.h. ∃g ∈ Mor(Y, X) mit g f =

1X, f g = 1Y), so ist f∗ ∈ Mor(TX, TY) ein Isomorphismus, denn:

g∗ f∗(b)= (g f )∗ = (1X)∗

(a)= 1T(X)

und analog f∗g∗ = 1T(Y).

Beispiel. Sind (M, p), (N, q) punktierte topologische Räume mit π1(M, p) 6∼= π1(N, q),so muss (M, p) 6' (N, q) sein

(d.i: (M, p) und (N, q) sind nicht homöomorph, d.i.: es

gibt keinen Homöomorphismus f : M→ N mit f (p) = q.)

(C.6) Beispiel. Man sagt (M, p) ist einfach zusammenhängend, wenn π1(M, p) = (1)ist. (Rn, 0) (mit n ∈ N0) ist einfach zusammenhängend, denn ist α : I → Rn mit α(0) =

α(1) = 0, so ist H : I × I → Rn, H(t, s) = (1− s)α(t) ist eine Homotopie von h0 = α nachh1 = c0, α ' c0, also [α] = 1.

(C.7) Kommentar.

(a) Ist M wegzusammenhängend, so hängt der Isomorphietyp von π1(M, p) nicht vonp ∈ M ab, denn ist q ∈ M beliebig und γ : [0, 1] → M ein Weg von p nach q, γ(0) =p, γ(1) = q, so ist

Φγ : π1(M, p)→ π1(N, q), [α] 7→ [γ− ∗ α ∗ γ]

wohldefiniert und ein Isomorphismus (mit Inversem Φγ−).

(b) Wir sagen daher für ein topologischen Raum M, dass er einfach zusammenhängendist, wenn er wegzusammenhängend ist und π1(M, p) = (1) ist, für ein (und dann jedesp ∈ M).

(c) Zum Beispiel ist Rn einfach zusammenhängend.

(C.8) Bemerkung. Für alle punktierte topologische Räume (M, p), (N, q) gilt:

π1(

M× N, (p, q))kan.∼=

π1(M, p)× π1(N, q)

[γ] 7→([π1 γ], [π2 γ]

)[(α, β)

]←([α], [β]

)(C.9) Beispiel. Wir werden später sehen:

(i) π1(S1) = Z. Außerdem (nicht so einfach, wie es aussieht):

(ii) π1(S2) = (1) (also S2 einfach zusammenhängend)

Es folgt: T2 6∼= S2, weil:

π1(T2) = π1(S

1 × S1) = π1(S1)× π1(S

1) = Z×Z 6∼= (1) = π1(S2).

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ANHANG C. ÜBERLAGERUNGSTHEORIE

(C.10) Definition. Sei M ein zusammenhängender topologischer Raum. Ein Paar (M, π)

heißt eine Überlagerung von M, wenn auch M zusammenhängend ist und π : M → Mstetig, so dass gilt: Für alle p ∈ M existiert eine offene Umgebung U ⊆ M von p, so dass

π−1(U) =⊔i∈I

Ui

mit offenen Mengen Ui ⊆ M (und einer Indexmenge I) derart, dass π|Ui : Ui → U einHomöomorphismus ist.

(C.11) Kommentar.

(a) Offene Mengen U ⊆ M mit dieser Eigenschaft, heißen gleichmäßig überlagert.

(b) Jede Faser von π, d.i.F = π−1(p) (für p ∈ M)

trägt offenbar als Teilraumtopologie die diskrete Topologie.

(c) Die Kardinalität der Indexmenge in (C.10) ist unabhängig von p und damit ist dieKardinalität aller Fasern gleich. Denn sei I0 die Indexmenge von p0, also card(I0) =

card(F0), F0 = π−1(p0), so ist

M0 := p ∈ M : card(Fp) = card(I0)

offen, aber auch abgeschlossen, weil das Komplement eine Vereinigung von ebenfallsoffenen Mengen Mq =

p ∈ M : card(Fp) = card(Fq)

(q ∈ M \M0)

M = M0︸︷︷︸offen

t⋃

q/∈M0

Mq︸ ︷︷ ︸offen

.

Da M zusammenhängend ist und M0 6= ∅ folgt: M = M0. card(Fp) (p ∈ M) heißtBlätterzahl von πππ : M→ M. Insbesondere ist π surjektiv.

(d) Ist U ⊆ M gleichmäßig überlagert und zusammenhängend, so sind Ui (i ∈ I) dieZusammenhangskomponenten von π−1(U) und heißen die Blätter von πππ über U.

(e) π ist stets lokaler Homöomorphismus.

(C.12) Beispiel.

(a) Sei M = S1 und M = R und π = ex : M → M, ex(t) = e2πit. Dann ist π eine Über-lagerung, denn für U = S1 \ 1, V = S1 \ −1 gilt:

π−1(U) =⊔

n∈Z

(n, n + 1), π−1(V) =⊔

n∈Z

(n− 12

, n +12)

und ex|(n, n + 1) : (n, n + 1) → U bzw. ex|(n − 12 , n + 1

2 ) : (n − 12 , n + 1

2 ) → V sindHomöomorphismen (die Umkehrfunktionen sind geeignete Zweige des komplexenLogarithmus.)

(b) Auch potn : S1 → S1, z 7→ zn (n ∈ N) ist Überlagerung (der Blätterzahl n) (benutzegeeignete Zweige der komplexen n-ten Einheitswurzeln)

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(c) Die Identität ist eine Überlagerung der Blätterzahl 1. Umgekehrt: Ist π : M → MÜberlagerung der Blätterzahl 1, so ist π ein Homöomorphismus (da lokaler Homöomor-phismus und injektiv).

(d) Die kanonische Projektion π : Sn → Sn/±1 = Pn(R) ist eine Überlagerung derBlätterzahl 2.

(C.13) Erinnerung. Eine Gruppenwirkung einer Gruppe Γ auf einen topologischen RaumM durch Homöomorphismen Γ×M→ M, (γ, p) 7→ γ.p, heißt eigentlich diskontinuierlich,wenn es zu p ∈ M eine offene Umgebung U ⊆ M von p gibt, so dass für alle γ, γ′ ∈ Γ mitγ 6= γ′ gilt:

γ(U) ∩ γ′(U) = ∅.

(C.14) Kommentar.

(a) Ein Paar (G, · ) heißt eine topologische Gruppe, wenn (G, · ) einerseits eine Gruppeund G andererseits ein topologischer Raum, so dass die Gruppenoperationen G× G →G, (g, h) 7→ g · h und G → G, g 7→ g−1, stetig sind.

(b) Eine Operation einer topologischen Gruppe auf einem topologischen Raum M heißtstetig, wenn G×M → M, (g, p) 7→ g.p stetig ist. Man spricht dann bei G (zusammenmit der Wirkung) von einer topologischen Transformation

(weil man einen Homomor-

phismus G → Homöo., g 7→ g.p hat).

(c) Operiert eine Gruppe Γ zunächst nur durch Homöomorphismen auf einem Raum M(d.h. jedes γ : M→ M, p 7→ γ.p, ist ein Homöomorphismus), so kann man Γ y M zueiner stetigen Wirkung machen, wenn man Γ die diskrete Topologie gibt.

(d) Ist umgekehrt Γ×M→ M eine stetige Operation und ist sie eigentlich diskontinuierlich,so muss Γ die diskrete Topologie tragen, denn jede Bahnabbildung

ρp : Γ→ Γp = γ.p : γ ∈ Γ

ist dann stetig (und bijektiv). Weil aber Γp ⊆ M diskret ist, muss daher Γ die diskreteTopologie tragen.

(C.15) Proposition (vgl. Diffgeo I). Sei M ein zusammenhängender Raum und eine GruppeΓ operiere eigentlich diskontinuierlich auf M. Dann ist der Bahnenraum M := M/Γ (mit derQuotiententopologie) zusammen mit der kanonischen Projektion π : M→ M, p 7→ Γ p = [ p] = peine Überlagerung

Beweis. Sei p ∈ M beliebig p ∈ π−1(p). Wähle U ∈ A(p) offen, so dass γ1(U)∩ γ2(U) = ∅.Setze dann U := π(U) ⊆ M. Vorher: π ist offen, weil für V ⊆ M offen gilt:

π−1(π(V))=⋃

γ∈Γ

γ(V)︸ ︷︷ ︸offen

=⇒ U ist offen, p ∈ U und π−1(U) =⊔

γ∈Γ γU. Außerdem ist π|U : U → U stetig,offen, surjektiv und injektiv, denn ist π(q1) = π(q2) mit q1, q2 ∈ U =⇒ ∃γ ∈ Γ mitq2 = γ.q1 =⇒ q2 ∈ γ(U) ∩ U =⇒ γ = 1 =⇒ q2 = q1. Also ist π|U Homöomorphismus.

=⇒ π|γ(U) = π|U︸︷︷︸Homöo.

γ−1|γ(U)︸ ︷︷ ︸Homöo.

(weil π γ = π)

auch Homöomorphismus. =⇒ π ist Überlagerung.

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ANHANG C. ÜBERLAGERUNGSTHEORIE

(C.16) Erinnerung.

(a) Ist M glatte Mannigfaltigkeit, operiere Γ auf M eigentlich diskontinuierlich durchDiffeomorphismen und ist M/Γ hausdorffsch (mit seiner Quotiententopologie), sobesitzt M = M/Γ eine Mannigfaltigkeit-Struktur mit einer universellen Eigenschaft:

Φπ

@@@@@@@

M Φ// N

Φ : M→ N (N glatte Mannigfaltigkeit) ist glatt, genau wennΦ π glatt ist

(vgl. (2.26)

).

π ist genau dann ein lokaler Diffeomorphismus und damit eine glatte Überlagerung,d.i.: ∀p ∈ M ∃U ∈ A(p) offen: π−1(U) =

⋃i∈I Ui mit Ui ⊆ Mi offen und π|Ui : Ui → U

sind Diffeomorphismen.

(b) Ist G Liegruppe und Γ ⊆ G ein diskreter Normalteiler, so operiert Γ auf G durch Links-multiplikation eigentlich diskontinuierlich und G := G/Γ ist hausdorffsch (Übung).Zusammen mit der Mannigfaltigkeit-Struktur aus (a) und der natürlichen Gruppenstruk-tur ist dann G eine Liegruppe und π : G → G ein Lie-Homomorphismus mit folgenderuniversellen Eigenschaft: Ist (H, ϕ) ein Konkurrent mit Γ ⊆ ker(ϕ), ϕ : G → H, so gibtes genau einen Lie-Homomorphismus Φ : G → H mit Φ π = ϕ

(siehe (5.12)

). π ist

dann eine Lie-Überlagerung, d.i.: Lie-Homomorphismus und glatte Überlagerung.

(C.17) Bemerkung. Seien G und H zusammenhängende Liegruppen mit Lie-Algebren g

und h, und π : G → H eine Lie-Überlagerung. Dann ist π∗ : g→ h ein Lie-Isomorphismus.

Beweis. Identifiziert man g bzw. h vermöge der Auswertungen im neutralen ElementαG : g→ TGe bzw. αH mit dem Tangentialraum im neutralen Element, so kommutiert

(vgl.

(5.26,a)):

g

αG ∼=

π∗ // h

αH∼=

TGe Dπe

// THe

Da π : G → H ein lokaler Diffeomorphismus ist, folgt insbesondere, dass Dπe : TGe → THe

ein (Vektorraum-) Isomorphismus ist. Es folgt: Auch π∗ ist Vektorraum-Isomorphismus unddamit auch, dass π∗ ein Lie-Algebren-Isomorphismus ist.

(C.18) Satz. Seien G und H zusammenhängend mit Lie-Algebren g und h und π : G → H einLie-Homomorphismus, so dass π∗ : g → h ein Lie-Isomorphismus ist. Dann ist π : G → H eine(Lie-) Überlagerung.

Beweis. Schritt 1: Konstruktion einer gleichmäßig überlagerten, offenen Umgebung V ⊆ Hvon e: Sei U ⊆ G eine offene Umgebung von e so klein, dass gilt:

• π|U : U → V mit V := π(U) ist Diffeomorphismus (V ⊆ H offen; Umkehrsatz)

• Sei Γ := ker(π); U−1 ·U ∩ Γ = e(sonst gehe von U aus (a) zu U ∩U−1 über

).

Behauptung: V ⊆ H ist gleichmäßig überlagert. Dazu:

(i) π−1(V) =⋃

γ∈Γ U · γ: Da V = π(U) ist und π(U · γ) = V, folgt: π−1(V) ⊇ ⋃γ∈Γ U · γ.„⊆“: Sei g ∈ π−1(V), also π(g) ∈ π(U), also π(g) = π(u) für ein u ∈ U. =⇒ γ :=u−1g ∈ Γ, weil π(u−1g) = π(u)−1π(g) = e =⇒ g = uγ ∈ Uγ =⇒ „⊆“.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(ii) Uγ1 ∩Uγ2 = ∅ für γ1 6= γ2: Angenommen g ∈ Uγ1 ∩Uγ2, also

g = u1γ1 = u2γ2; u1, u2 ∈ U =⇒ γ1γ−12 = u−1

1 u2 ∈ U−1U ∩ Γ = e =⇒ γ1 = γ2.

Schließlich: π|Uγ = π|U rγ−1 |Uγ (weil π rγ−1 = π) ist Diffeomorphismus.Schritt 2: Jedes h ∈ H hat eine gleichmäßige überlagerte Umgebung. Da V = π(U) offene

Umgebung ist, folgt: π ist surjektiv. Sei h = π(g). Betrachte Vh := h ·V. Dann ist:

π−1(Vh) =⊔

γ∈Γ

gUγ und π|gUγ = lh π|U lg−1 rγ−1

ist Diffeomorphismus von gUγ nach Vh.

(C.19) Motivation.

(a) Bisher geklärt: Welche „Unterlagerungen“ hat eine vorgegebene zusammenhängendeLiegruppe G:

(i) Ist Γ ⊆ G Normalteiler und diskret =⇒ H := G/Γ ist Liegruppe und die kanonis-che Projektion π : G → H eine (Lie-) Überlagerung.

(ii) Ist andererseits π : G → H Lie-Überlagerung =⇒ Γ := ker(π) ist diskrete Nor-malteiler und das induzierte π : G/Γ → H ein Lie-Isomorphismus: π ist Grup-penisomorphismus nach Homomorphiesatz der Gruppentheorie, π ist glatt nachDiffgeo I und lokaler Diffeomorphismus, da π∗ : g→ h Isomorphismus.

Frage 1: Für welche diskrete Normalteiler Γ1, Γ2 ⊆ G sind die Überlagerungen π1 : G →G/Γ1 und π2 : G → G/Γ2 äquivalent, d.h. es gibt einen Lie-Isomorphismus ϕ : G/Γ1 →G/Γ2 mit ϕ π1 = π2.

(b) (i) Noch zu klären: Gegeben zusammenhängendes G. Welche Überlagerungen π : G →G gibt es bis auf Äquivalenz? Hier sollen π1 : G1 → G und π2 : G2 → G äquivalentheißen, wenn es einen Lie-Isomorphismus ϕ : G1 → G2 gibt mit π2 ϕ = π1.

(ii) Allgemeiner: Klassifiziere zu gegebenem zusammenhängenden Raum X alle Über-lagerungen π : X → X bis auf Äquivalenz. Schlüssel dazu: Liftungstheorie.

(C.20) Definition. Sei π : X → X eine Überlagerung und Y ein weiterer topologischerRaum, f : Y → X stetig. Eine stetige Abbildung f : Y → X heißt Lift von f, wenn gilt:π f = f .

(C.21) Bemerkung. Sei π : X → X Überlagerung, f : Y → X stetig, Y zusammenhängend,und x0 ∈ X, x0 ∈ X und y0 ∈ Y mit π(x0) = x0, f (y0) = x0. Dann kann es höchstens einenLift f : Y → X von f mit f (y0) = x0 geben.

Beweis. Sind f1, f2 : (Y, y0)→ (X, x0) zwei solche, so betrachte

Z := y ∈ Y : f1(y) = f2(y).

Z ist nicht-leer, denn y0 ∈ Z und Z ist offen: ist nämlich y ∈ Z, so wähle gleichmäßigüberlagertes U ⊆ X von x := f (y) und sei U ⊆ X das Blatt über U, welches x :=f1(y) = f2(y) enthält und V := f−1

1 (U) ∩ f−12 (U) =⇒ V ist offene Umgebung von y. Weil

π f1 = f = π f2 ist, und π|U invertierbar, ist π|U f1|V = f |V = π|U f2|V =⇒ f1|V =

(π|U)−1 f |V = f2|V, also V ⊆ Z. Ähnlich sieht man auch, dass Y \ Z offen ist, also Yabgeschlossen und damit Z = Y =⇒ f1 = f2.

189

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ANHANG C. ÜBERLAGERUNGSTHEORIE

(C.22) Kommentar. Sei π : X → X Überlagerung, x0 ∈ X und x0 ∈ π−1(x0). Dann nennenwir die Untergruppe

Γ := Im(π∗ : π1(X, x0)→ π1(X, x0)

)die charakteristische Untergruppe von π : (X, x0)→ (X, x0).

(C.23) Lemma (Kurvenliftung). Sei π : (X, x0) → (X, x0) Überlagerung und α : (I, 0) →(X, x0) ein Weg

(mit Anfang x0, I = [0, 1]

). Dann existiert (genau) ein Lift α : (I, 0) → (X, x0)

von α.

Beweis. Wähle Unterteilung 0 = t0 < t1 < · · · < tk = 1 von I so klein, dass α([ti−1, ti]

)⊆

Ui ⊆ X, wo Ui gleichmäßig überlagert ist (i = 1, . . . , k) (Kompaktheitsargument). SeiU1 ⊆ X0 das Blatt über U1, welches x0 enthält. Setze

α(t) := (π|U1)−1 α(t) für 0 ≤ t ≤ t1.

Sei nun U2 ⊆ X das Blatt über U2, welches α(t1) enthält. Setze dann

α(t) := (π|U2)−1 α(t) für t1 ≤ t ≤ t2

usw. =⇒ α : (I, 0)→ (X, x0) ist Lift von α.

(C.24) Kommentar. Für Y = [0, 1] ist also das Liftungsproblem gelöst. Beachte: π1(I, 0) =(1), also Im(α∗) ⊆ Γ trivialerweise erfüllt. „Das Schräubchen wird nun etwas weitergedreht“:

(C.25) Lemma (Homotopieliftung). Sei π : (X, x0)→ (X, x0) Überlagerung und H : (I2, 0)→ (X, x0) stetig. Dann existiert (genau) ein Lift H : (I2, 0)→ (X, x0).

Beweis. Wähle Unterteilung 0 = t0 < · · · < tk = 1 so klein, dass H(Vij) ⊆ Uij ⊆ X mitVij := [ti−1, ti]× [tj−1, tj] in gleichmäßig überlagerten offenen Mengen Uij ⊆ X (1 ≤ i, j ≤ k)(Kompaktheit von I2). Sei dann U11 das Blatt über U11, welches x0 enthält. Setze

H11(t, s) := (π|U11)−1 H(t, s) für 0 ≤ t, x ≤ t1.

Sei nun U21 ⊆ X das Blatt über U21, welches H(t1, 0) enthält und setze

H21(t, s) := (π|U21)−1 H(t, s) für

t1 ≤ t ≤ t2

0 ≤ s ≤ t1.

Nun beachte, dass s 7→ α(s) := H11(t1, s) und s 7→ β(s) := H21(t1, s) beides Lifte der Kurveα : [0, t1] → X, α(s) = H(t1, s) sind mit α(0) = β(0). Nach (C.22) muss deshalb α = β

sein und daher passen H11 und H21 an der „Nahtstelle“ t1 × [0, t1] stetig zusammen.Setze Verfahren auf V31, . . . , Vk1, dann auf V12

(mit Nahtstelle (t1, 0)

)usw. fort und erhalte

schließlich H.

(C.26) Korollar. Seien α, β : I → X Wege mit gleichen Endpunkten, α(0) = β(0) = x0, α(1) =β(1) = x1, und seien α und β homotop

(rel. 0, 1

). Sei weiter π : (X, x0) → (X, x0) eine

Überlagerung und α, β : I → X die Lifts von α und β(mit α(0) = β(0) = x0

). Dann haben α und

β auch die gleichen Endpunkte, α(1) = β(1) =: x1 und auch α ' β(rel. 0, 1

).

Beweis. Sei H : I2 → X eine Homotopie von α nach β mit festen Endpunkten, also H(0, s) =x0, H(1, s) = x1, ∀s ∈ I. Sei H : I2 → X der Lift von H mit H(0, 0) = x0. =⇒ H(0, s) ∈π−1(x0), ∀s ∈ I, und weil π−1(x0) ⊆ X diskret ist, muss H(0, s) = x0, ∀s ∈ I, sein

(s 7→

H(0, s) ist Lift der konstanten Kurve)

β(1) = H(1, 1) = x1 = H(1, 0) = α(1).

Außerdem ist nun offenbar H Homotopie von α nach β(rel. 0, 1

).

190

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(C.27) Korollar. Sei X lokal wegzusammenhängend und einfach zusammenhängend also π1(X, x0)

= (1) (für x0 ∈ X). Ist nun π : X → X eine Überlagerung, so ist π ein Homöomorphismus (also π

einblättig) und damit π äquivalent zur Identität.

Beweis. Seien x0, x1 ∈ π−1(x0) beliebig. Da X zusammenhängend (und lokal wegzusam-menhängend, weil X es ist), also wegzusammenhängend, gibt es einen Weg α : I → X vonx0 nach x1. Sei α := π α. Dann ist α geschlossen,

α(0) = π α(0) = π(x0) = x0 = π(x1) = π α(1) = α(1).

Da π1(X, x0) = (1) ist, existiert eine Homotopie H von α auf den konstanten Weg cx0 , H : α 'cx0 . Nun ist offenbar α der Lift von α

(mit α(0) = x0

)und cx0 der Lift von cx0

(mit

cx0(0) = x0). nach (C.26) ist x1 = α(1) = cx0(1) = x0. Also ist π einblättrig und damit ein

Homöomorphismus wegen der Kommutativität von

X

1

Xπoo

π

X

äquivalent zu Identität.

(C.28) Kommentar.

(a) Sind zwei geschlossene Wege α, β : (I, 0)→ (X, x0) homotop, α ' β, und π : (X, x0)→(X, x0) Überlagerung und sind α, β : (I, 0)→ (X, x0) die Lifte von α und β, so haben α

und β den gleichen Endpunkt, α(1) = β(1).

(b) Umgekehrt: Sei π : (X, x0) → (X, x0) Überlagerung und π1(X, x0) = (1), X einfachzusammenhängend. Seien nun α, β : (I, 0)→ (X, x0) geschlossene Wege in (X, x0) undα, β : (I, 0)→ (X, x0) ihre Lifte. Haben nun α und β auch den gleichen Endpunkt, α(1) =β(1), so sind α und β homotop, denn: Ist H :

(I2, (0, 0)

)→ (X, x0) eine Homotopie von

α ∗ β− auf den konstanten Weg cx0 (beachte: α ∗ β− ist geschlossen), so ist H := π Heine Homotopie von α ∗ β− auf cx0 , also:

1 = [α ∗ β−] = [α] · [β]−1 =⇒ [α] = [β],

d.h.: α ' β. Insgesamt dann also für α, β : (I, 0) → (X, x0) geschlossen: α ' β ⇐⇒α(1) = β(1). Man erhält also eine Bijektion:

π1(X, x0)→ π−1(x0), [α] 7→ α(1). (∗)

(C.29) Beispiel. Da π1(R) = (1) und ex : (R, 0) → (S1, 1), ex(t) = exp(2πt), Über-lagerung mit π−1(1) = Z, so folgt schon mal, dass π1(S

1, 1) bijektiv zu Z ist.(Gleich

werden wir auch noch sehen, dass die Bijektion (∗) sogar ein Gruppenisomorphismus ist,wenn wir π−1(x0) - und damit in unserem Beispiel Z - mit einer Gruppenstruktur versehenhaben.

)(C.30) Satz (Liftungssatz). Sei π : (X, x0) → (X, x0) Überlagerung mit charakteristischerUntergruppe Γ = Im(π∗) ⊆ π1(X, x0). Sei weiter Y zusammenhängend und lokal wegzusammen-hängend und y0 ∈ Y. Sei schließlich f : (Y, y0) → (X, x0) stetig. Dann gibt es genau dann einenLift f : (Y, y0)→ (X, x0) von f , wenn gilt: Im( f∗) ⊆ Γ.

191

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ANHANG C. ÜBERLAGERUNGSTHEORIE

Beweis. Das Im( f∗) ⊆ Γ notwendig ist, ist bereits gezeigt.„⇐=“: Schritt 1. Konstruktion von f : Sei y ∈ Y beliebig. Da Y zusammenhängend und

lokal wegzusammenhängend ist, folgt: Y wegzusammenhängend(vgl. (1.47)

). Sei w : I → Y

Weg von y0 nach y. Setze α := f w(

Wenn f überhaupt einen Lift f hat, so ist f wauch Lift von α: π f = f =⇒ π f w = f w = α, also f w = α, insbesondere:f (y) = f w(1) = α(1).

)Setze:

f : Y → X, f (y) := α(1),

wo α der (eindeutige) Lift von α nach X ist mit α(0) = x0.Beachte: f (y) hängt nicht von der Wahl des Weges w ab. Denn: Ist v : I → Y ein weiterer

Weg =⇒ v ∗w− ist geschlossen, also auch f (v ∗w−) = ( f v) ∗ f w− = ( f v) ∗ ( f w)−.Setze β := f v =⇒ β ∗ α− geschlossen mit Aufpunkt x0. Da Im( f∗) ⊆ Γ = π∗

(π1(X, x0)

),

folgt: ∃u : I → X geschlossen (mit Aufpunkt x0), so dass

π∗([u])= [β ∗ α−] = f∗

([v ∗ w−]

),

also für u := π u:

u ' ( f v) ∗ ( f w)− =⇒ u ∗ ( f w) ' ( f v).

Da u Lift von u ist, ist u ∗ α = u ∗ α ' β, wo β der Lift von β sei (Homotopieliftung) undβ(1) = u ∗ α(1) = α(1). Klar ist: π f (y) = π α(1) = α(1) = f

(w(1)

)= f (y), also f Lift

von f .Schritt 2. f ist stetig.

(Benutze lokalen Wegzusammenhang von Y, siehe [Lo]

)(C.31) Korollar. Seien π : (X, x0) → (X, x0), π′ : (X′, x′0) → (X, x0) Überlagerungen mitcharakteristischen Untergruppe Γ, Γ′ ⊆ π1(X, x0) Dann ist π ∼ π′ ⇐⇒ Γ = Γ′.

(C.32) Kommentar. Sei X zusammenhängend und lokal wegzusammenhängend, x0 ∈ X.

(a) Wir sagen zwei (punktierte) Überlagerungen π : (X, x0) → (X, x0) und π′ : (X′, x′0) →(X, x0) heißen äquivalent, wenn es einen Homöomorphismus f : (X, x0)→ (X′, x′0) gibtmit π′ f = π. ( f heißt dann auch Überlagerungsisomorphismus er ist dann selbsteine Überlagerung).

(X, x0)f∼=//

π

(X′, x′0)

π′yyttttttttt

(X, x0)

(b) Beachte auch, dass die charakteristische Untergruppe Γ ⊆ π1(X, x0) einer punktiertenÜberlagerung π : (X, x0) → (X, x0) vermöge π∗ : π1(X, x0) → π1(X, x0) isomorph zuπ1(X, x0) ist, weil π∗ injektiv ist, denn: Ist α geschlossen in X mit π∗

([α])= 1, also

π α ' cx0 , so muss α ' cx0 = cx0 sein (Homotopieliftung), also [α] = 1.

(c) Es gibt also (bis auf Äquivalenz) höchstens so viele Überlagerungen von (X, x0), wiees Untergruppen in π1(X, x0) gibt. Z.B. gehört die Untergruppe Γ = π1(X, x0) offenbarzur Identität, 1 : (X, x0)→ (X, x0).

Frage: Gibt es auch zu jeder Untergruppe Γ ⊆ π1(X, x0) eine Überlagerung π : (X, x0)→(X, x0) mit Im(π∗) = Γ?

(d) Insbesondere wäre die Frage für die triviale Untergruppe Γ = (1) zu klären. Dann wärealso π1(X, x0) = (1), also (X, x0) einfach zusammenhängend.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Beweis von (C.32) (a). „=⇒“: f ist Lift von π für π′ =⇒ Im(π∗) ⊆ Im(π′∗) , also Γ ⊆ Γ′.Aus Symmetriegründen =⇒ Γ = Γ′.

„⇐=“: Wegen Γ ⊆ Γ′ existiert Lift f für π; wegen Γ′ ⊆ Γ existiert g : (X′, x′0) → (X, x0).Da g f : (X, x0) → (X, x0) Lift von π für π ist, und 1 auch, folgt: g f = 1. Genauso:f g = 1 =⇒ f ist Überlagerungisomorphismus.

(C.33) Definition. Sei (X, x0) punktiert, zusammenhängend und lokal wegzusammenhän-gend Raum. Eine Überlagerung π : (X, x0)→ (X, x0) heißt universell, wenn (X, x0) einfachzusammenhängend ist.

(C.34) Kommentar. π : (X, x0)→ (X, x0) heißt universell für π1(X, x0) = (1), weil es füreine beliebige Überlagerung π : (X, x0)→ (X, x0) genau einer Überlagerungsisomorphismusf : (X, x0)→ (X, x0) gibt (d.h.: f stetig mit π f = π)

(X, x0)f //

π

(X, x0)

πzzttttttttt

(X, x0)(denn π∗

(π1(X, x0)

)= π∗

((1))= (1) ⊆ π∗

(π1(X, x0)

)und damit nach dem Liftungssatz

die Existenz von f). Insbesondere ist π : (X, x0) → (X, x0), wenn sie existiert, bis auf

Äquivalenz, eindeutig bestimmt (s.o.).

(C.35) Definition. Sei π : X → X eine Überlagerung. Einen Überlagerungsmorphismusf : X → X (also π f = π) heißt eine Decktransformation von πππ, wenn es einen Über-lagerungsmorphismus g : X → X gibt mit g f = 1 und f g = 1; π f = π, π g = π.

(C.36) Kommentar. (a) Sind f , g : X → X, so ist offenbar auch g f−1 eine Decktransfor-mation. Es ist also

Deck(X, X) := f ∈ Homo(X) : f ist Decktr. für π

eine Untergruppe von Homo(X). Sie heißt die Decktransformationgruppe von πππ.

(b) Eine Decktransformation vertauscht also über einer gleichmäßig überlagerten (zusam-menhängenden) offenen Menge U ⊆ X lediglich die Blätter Ui ⊆ X über X (i ∈ I). Weileine Decktransformation f : X → X ein Lift von π über π ist, liegt f durch ihren Wertauf einem einzigen Punkt x ∈ X fest

(vgl. (C.21)

).

(c) Umgekehrt: Sei π : (X, x0) → (X, x0) universelle Überlagerung und x′0 ∈ π−1(x0)

beliebig, so folgt aus dem Liftungssatz, dass es genau einen Lift f : (X, x0)→ (X, x′0) fürπ und ebenso genau einen Lift g : (X, x′0)→ (X, x0) für π gibt. Wegen der Eindeutigkeitdes Lifts folgt, dass g f = 1 und f g = 1 sein müssen. Es gibt also ein eindeutigesf ∈ Deck(X, X) mit f (x0) = x′0.

(C.37) Korollar. Sei π : (X, x0)→ (X, x0) universelle Überlagerung. Für jedes [α] ∈ π1(X, x0)

sei Φ([α])∈ Deck(X, X) die Decktransformation von π, die x0 nach α(1) abbildet. Dann ist

Φ : π1(X, x0)→ Deck(X, X) ein Gruppenisomorphismus.

Beweis. (i) Beachte, dass Φ zunächst wohldefiniert ist, weil für den Lift α : (I, 0)→ (X, x0)

eines Repräsentanten α eines Elementes c ∈ π1(X, x0), c = [α], des Endpunktes α(1) nichtvon der Auswahl des Repräsentanten abhängt.

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ANHANG C. ÜBERLAGERUNGSTHEORIE

(ii) Sind nun [α], [β] ∈ π1(X, x0), so seien fα, fβ ∈ Deck(X, X) die Decktransformationenmit fα(x0) = α(1) fβ(x0) = β(1),

Φ([α])= fα, Φ

([β])= fβ.

Es ist dann fα β : I → X der Lift von β mit fα β(0) = fα(x0) = α(1)(denn π ( fα β) =

π β = β)=⇒ α ∗ ( fα β) ist Lift von α ∗ β (mit Aufpunkt x0) =⇒ (α ∗ β)(1) = α ∗ ( fα

β)(1) = fα β(1) = fα fβ(x0) =⇒ Φ([α] · [β]

)= fα fβ = Φ

([α])·Φ([β]).

(iii) Wir hatten schon gesehen, dass die Abildungen π1(X, x0)→ π−1(x0) und π−1(x0)→Deck(X, X) x′0 7→ f x′0

, bijektiv sind. Also ist ihre Komposition Φ bijektiv.

(C.38) Kommentar. Das ergibt nun die Möglichkeit, die Fundamentalgruppe π1(X, x0) zubestimmen, wenn man ihre universelle Überlagerung kennt:

(a) X = S1. Dann ist ex : (R, 0) → (S1, 1) universelle Überlagerung und Deck(R, S1) ∼=Z, weil für m ∈ ex−1(1) ∈ Z gerade die Translation tm : R → R, x 7→ x + m, dieDecktranformation von ex, mit tm(0) = m. Da tm tn = tm+n ist, ist Deck(R, S1) ∼= Z

und damit (erst) π1(S1, 1) ∼= Z.

(b) π : Sn → Pn(R) (für n ≥ 2) ist universelle Überlagerung da π1(Sn) = (1) ist, für n ≥ 2.

Die Decktransformationen sind f = 1 und die Antipodenabbildung d : Sn → Sn, d(x) =−x. Es folgt:

π1(Pn(R)

) ∼= Deck(Sn, Pn) = Z/2Z(∼= ±1

).

(C.39) Bemerkung. Ist Γ ⊆ Homo(X) die Decktransformation einer Überlagerung π : X →X, so operiert Γ eigentlich diskontinuierlich auf X.

Beweis. Sei x0 ∈ X beliebig, γ1, γ2 ∈ Γ und γ1 6= γ2. =⇒ γ1(x0) 6= γ2(x0) (da γ1, γ2 beidesLifts von π über π sind; sonst wäre γ1 = γ2), π γj = π (j = 1, 2). Sei U ⊆ X gleichmäßigüberlagerte offene Umgebung von x0 := π(x0) und o.E. U wegzusammenhängend. SeiU, U1, U2 ⊆ X die Blätter über U, die x0, γ1(x0), γ2(x0) enthalten. Es ist dann γ1(U) =

U1, γ2(U) = U2(weil z.B. γ1|U = (π|U1)

−1 (π|U) ist). =⇒ γ1(U) = γ2(U) = U1 ∩ U2 =

∅ =⇒ Behauptung.

(C.40) Satz. Sei X lokal wegzusammenhängend und einfach zusammenhängend.

(a) Sei π : (X, x0) → (X, x0) Überlagerung und Γ = Deck(X, X). Dann ist π äquivalent zuπ′ : (X, x0)→ (X/Γ, [x0]).

(b) Sei γ ⊆ Homo(X) Untergruppe, die eigentlich diskontinuierlich auf X operiert. Dann gilt fürπ : X → X/Γ:

Deck(X, X) = Γ

Beweis. (a) Da Γ eigentlich diskontinuierlich operiert, ist π′ : X → X/Γ eine Überlagerung.Da π γ = π ist, ∀γ ∈ Γ =⇒ ∃Φ : X/Γ→ X stetig mit Γ π′ = π (universelle Eigenschaftder Quotiententopolgie) und Φ

([x0])= x0.

Da π surjektiv und π = Φ π′, folgt: Φ surjektiv. Ist Φ([x1])= Φ

([x2])=⇒ π(x1) =

π(x2) =⇒ ∃γ ∈ Γ: γ(x1) = x2, da Γ transitiv auf den Fasern operiert (Liftungssatz)=⇒ [x1] = [x2]. Da lokal Φ|U = (π|U) (π′|U)−1 ist, ist Φ lokaler Homöomorphismus.Also folgt: Φ ist Homöomorphismus.

(b) Für jedes γ ∈ Γ ist π γ = π (und π γ−1 = π) also operiert Γ durch Decktransfor-mationen für π : X → X/Γ: Γ ⊆ Deck(X, X). Andererseits: Sei x0 ∈ X, x′ ∈ Deck(X, X/Γ)und x1 := γ′(x0) ∈ π−1(x0), x0 := π(x0). =⇒ ∃γ ∈ Γ mit γ(x0) = x1. Da γ′, γ Lifts von π

sind, folgt: γ = γ′. Also: Deck(X, X/Γ) = Γ.

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

(C.41) Satz (Hauptsatz der Überlagerungstheorie). Sei (X, x0) lokal wegzusammenhän-gend, zusammenhängend mit universellen Überlagerung. Dann gibt es zu jeder UntergruppeΓ ⊆ π1(X, x0) bis auf Äquivalenz genau eine Überlagerung π : (X, x0) → (X, x0), so dass Γcharakteristische Untergruppe für π ist.

Beweisidee. Falls es π : (X, x0)→ (X, x0) mit charakteristischer Untergruppe Γ ⊆ π1(X, x0) =

Deck(X, X) gibt, so muss Γ ∼= π1(X, x0) und es gibt ein f : (X, x0)→ (X, x0) Überlagerungmit Deck(X, X) = Γ, also f ∼ π : X → X/Γ.

(X, x0)

f

π

$$IIIIIIIII

(X, x0) π// (X, x0)

Setze daher: X := X/Γ, f : X → X kanonische Projektion, x0 := f (x0), π : (X, x0)→ (X, x0).Prüfe dann nach, dass π

([x])= π(x) (wohldefiniert). π die gewünsche Eigenschaft hat.

195

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Index

Übergangsfunktion, 17

Überlagerung, 186

Blätter, 186

Blätterzahl, 186

gleichmäßig überlagert, 186

universell, 193

äußere Ableitung, 105

1-Parametergruppe, 46

abgeschlossen, 5

Abschneidefunktion, 54

abzählbare Topologie, 6

Algebra, 81

graduiert, 82

Algebrenbündel, 98

Antipoden, 10

Atlas, 17

auflösbare Struktur, 125

BündelHomomorphismus, 92

Isomorphismus, 92

Bündelatlas, 90

Bündelkarte, 90

Bahn, 24

Bahnenraum, 26

Ball, 7

Basis, 6

Cartesisches Blatt, 60

charakteristische Untergruppe, 190

Codimension, 40

Cotangentialbündel, 36, 98

Cotangentialraum, 34

Covektoren, 35

Darstellung, 24

Decktranformationgruppe, 193

Decktransformation, 193

Derivation, 28, 29

derivativ, 29

Diffeomorphismus, 21

lokal, 23

Differential, 38, 39, 105

total, 38

Differentialform, 36

links-invariant, 126

differenzierbar, 18, 20, 21

differenzierbare Struktur, 18

direkte Summe, 79, 97

diskrete Topologie, 5

Distribution, 63

integrabel, 63

Divergenz, 173

Dreiecksungleichung, 3

dynamisches System, 45

global, 46

eigentlich diskontinuierlich, 25

Einbettung, 10, 42

einfach zusammenhängend, 185

Einpunktvereinigung, 11

Erzeugendensystem, 7

euklidischer Raum, 3

Faserprodukt, 98

fein, 6

Flächenformel, 175

Fluss, 47

freie Vektorraum, 75

Frobenius, 65

Frobenius-Box, 66

Fundamentalgruppe, 183

197

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Index

Funktionskeime, 29

Funktor, 123

Geradenbündel, 92

glatt, 37, 149

glatte Abbildung, 28

glatte Funktion, 28

grob, 6, 7

Häufungspunkt, 14

hausdorffsch, 5

Heine-Borel, 15

Homöomorphismus, 5

homotop, 152

Hyperfläche, 40

Igelsatz, 38, 96

Immersion, 42

impliziter Funktionensatz, 41

indiskrete Topologie, 5

induzierte Topologie, 5, 6

Inklusion, 6

innere Multiplikation, 173

Integral-Mannigfaltigkeit, 63

Integralkurve, 48

involutiv, 65

isotop, 156

Jacobi-Identität, 53

Karte, 17

Kategorie, 184

Funktor, 184

Morphismus, 184

Objekte, 184

Kleinsche Flasche, 10

kompakt, 13

Kontraktion, 173

Koordinatensysteme, 17

Koordinatenvektor, 30

Koordinatenvektorfelder, 36

Lösungskurve, 48

Lie-Überlagerung, 188

Lie-Algebra, 53

abelsch, 53, 119

abgeleitet, 124

auflösbar, 125

Lie-Unteralgebra, 54, 118

nilpotent, 125

Lie-Homomorphismus, 122

Lie-Isomorphismus, 122

Lie-Klammer, 53

Lie-Untergruppe, 135

äquivalent, 136

Lift, 189

Linienfeld, 62

links-invariant, 117

lokal wegzusammenhängend, 12

lokal endlich, 162

Möbiusband, 8, 92

Mannigfaltigkeitdifferenzierbar, 18

geschlossen, 152

glatt, 28

mit Rand, 149

topologische, 17

mit Rand, 149

Untermannigfaltigkeit, 28, 40

Maurer-Cartan, 127

Metrik, 3

diskrete Metrik, 3

euklidische Metrik, 3

induzierte euklidische Metrik, 3

induzierte Metrik, 3

metrischer Raum, 3

metrisierbar, 5

natürliche Paarung, 86

Neillsche Parabel, 60

nicht-entartet, 86

offen, 3, 5, 10

offene Überdeckung, 13

Operation, 23

Orbit, 24

orientiertentgegen, 150

gleich, 150

Orientierung, 150, 151

Orientierungsatlas, 161

orientierungserhaltend, 151

orientierungsumkehrend, 151

orthogonale Gruppe, 108

parallelisierbar, 122

Produkt, 79

Produkttopologie, 7

projektiver Raum, 10

Quotienten-Topologie, 8

198

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DIFFERENTIALGEOMETRIE

Rand, 150

Relativtopologie, 6

Richtungsableitung, 28

Rotation, 178

Satz vonSard, 152

Schiefsymmetrie, 53

Schnitt, 95

global, 95

Nullschnitt, 96

nullstellenfrei, 96

semilokal einfach zusammenhängend, 143

spezielle lineare Gruppe, 110

spezielle orthogonale Gruppe, 109

spezielle unitäre Gruppe, 110

Sphäre, 7, 19

stereographische Projektion, 20

Standard-Orientierung, 150

Standgruppe, 24

stetig, 4, 5

Strukturkonstanten, 125

Subbasis, 7

Submersion, 42

Summentopologie, 10

Tangentialbündel, 36

Tangentialraum, 28, 29

Tangentialvektor, 29, 30

Teilraumtopologie, 6

Teilung der Eins, 162

Tensor, 87

Tensorbündel, 98

Tensorfeld, 99

Tensorprodukt, 76

Topologie, 4

feinste, 8

topologischer Raum, 5

topologische Gruppe, 187

Torus, 8

Träger, 159

transitiv, 24

Translationen, 26

Trennungsaxiom, 5

Tychonoff, 14

Umgebung, 5

Umgebungsbasis, 12

unendlich ferne Hyperebene, 10

unitäre Gruppe, 110

universelle Eigenschaft, 6–8, 75, 76, 79, 84,112

Vektorbündel, 91

Vektorfeld, 36

vollständig, 53

Verjüngung, 88

Volumen-Mannigfaltigkeit, 172

Volumenform, 171

Weg, 11

wegzusammenhängend, 11

zusammenhängend, 11

zweiseitiges Ideal, 82

Zylinder, 8

199

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Literaturverzeichnis

[Wa] F. Warner: Foundations of Differentiable Manifolds and Lie Groups, Springer-Verlag.

[SZ] R. Stöcker ; H. Zieschang: Algebraische Topologie; Teubner-Verlag.

[BC] Bishop ; Crittenden: Geometry of Manifolds; Academic Press.

[Hi] Hirsch: Differential Topology; Springer-Verlag.

[Mi] J. Milnor: Topology from the Differentiable Viewpoint; University of Virginia Press.

[Sp] Spirak: Calculus on Manifolds; Westview Press.

[He] Helgason: Differential Geometrie, Lie groups and Symmetric Spaces; Academic Press.

[Ho] Hochschild: The structure of Lie groups; Holden-Day.

[Ch] Chevallier: Theorie des Groupes de Lie, II & III; Heimann.

[HS] Friedrich Hirzebruch ; Winfried Scharlau: Einführung in die Funktionalanalysis; B.I.

[Lo] F. Loose: Algebraische Topologie I & II.

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