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Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen
DIGITALE MEDIEN ZUR FÖRDERUNG DES
SCHRIFTSPRACHERWERBS
BEFUNDE DER FORSCHUNG UND ERFAHRUNGEN
DER PRAXIS
Prof. Dr. Josef Schrader Regionalkonferenz NRW, Volkshochschule Hamm
Hamm, den 3.3.2017
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AGENDA
I. Adressatengruppen und Zielsetzungen in der
Alphabetisierung und Grundbildung
II. Effekte des Lernens in Grundbildungskursen
III. Fragen und Herausforderungen
IV. Potenziale digitaler Medien – Befunde und
Erfahrungen
V. Beispiele für aktuelle Entwicklungen digitaler
Instrumente zur Unterstützung von Lehrkräften
VI. Fazit: Desiderate der Förderung und der Forschung
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I. Adressaten
gruppen ...
ADRESSATEN
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Hauptadressatengruppen für Schriftspracherwerb
• Unterschiedliche Adressatengruppen
• Funktionale Analphabeten (darunter Personen mit anderer
Muttersprache als Deutsch)
• Geflüchtete und Migranten (darunter primäre und
funktionale Analphabeten)
• Aufgaben/Konflikte/Chancen/Anforderungen durch
unterschiedliche Adressatengruppen (vgl. Grotlüschen, 2016)
• Getrennte Kurse oder Binnendifferenzierung?
ADRESSATEN
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Ergebnisse der leo. – Level-One Studie
Grotlüschen und Riekmann 2011, S. 4
ADRESSATEN
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Was ist ein „angemessenes“ Mindestniveau an Lese-und
Schreibfähigkeiten?
• Alpha-Level 1-3 versus
GER-Niveau B1
• Lernen, zu lesen
oder
lesen, um zu lernen?
Relation von Alpha-Levels und Stufen
des GER (Euringer, 2015, S. 72)
ADRESSATEN
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Theoretische Perspektiven des funktionalen
Analphabetismus‘
• Soziologische, pädagogische und
psychologische Perspektive (vgl.
Grosche et al., 2016)
• Neben sozialer (Bildungs-)
Benachteiligung bilden auch
phonologische Defizite einen
Risikofaktor für den funktionalen
Analphabetismus (z.B. Grosche und
Grünke, 2011; Landgraf et al., 2012;
Rüsseler et al., 2011)
• Bedeutung kognitiver,
pädagogischer und sozialer
Faktoren und deren Interaktion
nicht befriedigend geklärt (Vágvölgyi et al., 2016)
Rothe und Preising, 2011, S.10
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II. Wirkungen von
Kursen der
Grundbildung
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Wirkung
• Empirische Studie zum Erwerb schriftsprachliche Kompetenz von
Teilnehmenden an Alphabetisierungskursen in Volkshochschulen (Rosenbladt & Lehmann, 2013)
• Zentrale Fragestellungen
• Welchen Grad der Schriftbeherrschung erreichen die Teilnehmenden an
Alphabetisierungskursen nach mehrmonatiger Dauer des Kursbesuchs?
• Spiegeln sich eine günstige Lernausgangslage und vermehrte/wiederholte
Lerngelegenheiten positiv in der schriftsprachlichen Kompetenz wider?
• Wie schätzen die befragten Kursteilnehmenden ihre Lernfortschritte
aufgrund des Kursbesuchs selbst ein?
• Methodisches Design
• Mündlich-persönliche Interviews mit Teilnehmenden an
Volkshochschulalphabetisierungskursen für deutsche Muttersprachler
• Einschätzungen zur eigenen Lese- und Schreibfähigkeit und zu
Lernfortschritten im Kurs sowie standardisierte Tests der Lese- und
Schreibfähigkeiten in zwei Folgeerhebungen
• Insgesamt drei Erhebungswellen (n = 299)
WIRKUNGEN VON KURSEN DER GRUNDBILDUNG
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• Erreichtes Niveau der Schriftbeherrschung nach mehrmonatiger
Dauer des Kursbesuchs • 45 % = Alpha-Levels 1-2 (Lesen & Schreiben unterhalb der Ebene einfacher Texte)
25 % = Alpha-Level 3 (Lesen & Schreiben einfacher Texte)
30 % = Alpha-Levels 4-5 (Mindestniveau der Schriftbeherrschung erreicht)
• Günstige Lernausgangslage und schriftsprachliche Kompetenz • Je besser die Lernausgangslage, desto höher die erzielte schriftsprachlicher
Kompetenz
• Dauer des Kursbesuches und schriftsprachliche Kompetenz • Grad der Schriftbeherrschung nimmt mit zunehmender Dauer der
Kursteilnahme ab! Selektionseffekte im Teilnahmeverlauf ab einem gewissen Kompetenzniveau
Teilnehmende mit stärkeren Schriftschwächen nehmen länger an den Kursen teil.
• Subjektive Einschätzung des Lernerfolgs durch die Teilnehmenden • Je höher das erreichte schriftsprachliche Kompetenzniveau, desto positiver
die Nutzeneinschätzung der Kursteilnahme
Wirkung: Zentrale Befunde von Rosenbladt und
Lehmann (2013)
WIRKUNGEN VON KURSEN DER GRUNDBILDUNG
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III. Fragen und Herausforderungen
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Einordnung in das Angebots-Nutzen-Wirkungsmodell
FRAGEN UND HERAUSFORDERUNGEN
FRAGEN UND HERAUSFORDERUNGEN
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Auswahl zentraler Fragen an die Erwachsenenbildung
für einen erfolgreichen (Schrift-)Spracherwerb
• Wie können
Lehrkräfte in Alphabetisierung (und Deutsch als
Zweitsprache) professionalisiert werden?
individuelle Lernstände und Lernverläufe
diagnostiziert werden?
(binnendifferenzierte) didaktische Materialien entwickelt und
eingesetzt werden?
unterschiedliche Methoden den Schriftspracherwerb
unterschiedlicher Adressatengruppen unterstützen?
Formen selbstgesteuerten Lernens gefördert und erworbene
Kompetenzen stabilisiert und ausgebaut werden?
• Wie können digitale Medien dies unterstützen?
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Unterrichtsmethoden und -materialien
• sollten
• lebensweltnah gestaltet sein, einen Bezug zu persönlichen
Interessen und/oder Anforderungen im Alltag und Beruf
haben (vgl. Projekte im Förderschwerpunkt „Forschungs- und
Entwicklungsvorhaben zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener)
• entwicklungsproximalen Lerninput bieten, d.h. weder
überfordern noch unterfordern
• das Sprachbewusstsein der Lernenden fördern
• binnendifferenziert sein und spezifische
Lernförderungsbedarfe berücksichtigen (z.B. für
primäre/funktionale Analphabeten mit DaZ)
• evaluiert werden
• systematisiert und den Lehrkräften zentral zugänglich
gemacht werden (z.B. alphabund, Bundesverband
Alphabetisierung und Grundbildung, etc.)
FRAGEN UND HERAUSFORDERUNGEN
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IV. Potenziale digitaler Medien für
den Schriftspracherwerb –
Befunde und Erfahrungen
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Grundsätzliches
• Der Einsatz digitaler Medien (vgl. auch Howe & Thielen, 2016)
• ermöglicht selbstorganisiertes Lernen und fördert Schlüsselkompetenzen
(„Digitale Bildung“)
• erleichtert das Bereitstellen individueller Lernmaterialien auch bei
heterogenen Adressatengruppen
• kann helfen, Hemmschwellen zu überwinden (z.B. in der Diagnostik)
• kann Lehrkräften dabei helfen, ihren Unterricht zu planen, vorzubereiten und
zu reflektieren
• bietet einen Mehrwert, aber sicherlich keinen Ersatz für „klassische“
Unterrichtsmethoden“ („Blended Learning“)
• setzt entsprechende Kompetenzen voraus – sowohl auf Seiten der
Lernenden als auch auf Seiten der Lehrkräfte
• Pädagogische Ziele müssen im Vordergrund stehen, nicht das technisch
Mögliche (Gray, 2008)
• “Good teaching remains good teaching with or without the technology’’ (Higgins et al., 2007, p. 215)
• „Pädagogik vor Technik!“ (Zierer, 2016, S. 184)
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Computer-unterstütztes Sprachenlernen
• Amerikanische Review-Studien zu empirischen Arbeiten mit
Fokus auf Fremd-/Zweitspracherwerb
• Golonka et al. (2014)
• Analyse von 350 Arbeiten, die den Einsatz unterschiedlichster
Technologien untersuchen
• zumeist geringe bis mittlere Evidenz für einen Kompetenz-
zuwachs, starke Evidenz für einen positiven Effekt für einzelne
Instrumente (z.B. automatische Spracherkennung, Chats)
• Grugorovic et al. (2013)
• Meta-Analyse von 37 (quasi)-experimentellen Arbeiten, die den
Auswahlkriterien entsprachen (aus zunächst 200 identifizierten
Arbeiten aus den Jahren 1984-2006)
• Evidenz für einen (kleinen) Vorteil von computer-unterstützten
Methoden gegenüber klassischen Methoden, unklare Befunde
für „Blended Learning“
• Beide Studien betonen, dass es für belastbare Aussagen zu
wenig Studien mit geeignetem Untersuchungsdesign gibt
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Diagnoseinstrument
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
• otu.lea: Online Testumgebung zur Literalitätsentwicklung
von Arbeitskräften • Online-Version des lea.-Diagnoseinstruments (Kompetenzmessverfahren
für Erwachsene mit niedrigen Lese-, Schreib- und/oder Rechenfähigkeiten)
• Einsatz: „Selbsttest“ und/oder als Instrument der Förderdiagnostik
• Ziel: individuelle Rückmeldung und Auswahl passender Fördermaßnahmen
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Diagnoseinstrument
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
• otu.lea: Beispieleinheit
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Diagnoseinstrument
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
• otu.lea: Beispieleinheit
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Beispiele für Lernplattformen
• Ich-will-lernen • mehr als 500.000 Lerner seit 2004
• Über 31.000 Lernübungen zum Lesen und Schreiben
• weitere Übungen zur Grundbildung
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Beispiele für Lernplattformen
• Ich-will-lernen: Beispiellerneinheit
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Beispiele für Lernplattformen
• Ich-will-Deutsch-lernen • Derzeit rund 25.000 aktive Lerner
• mehr als 11.000 interaktive und audiogestützte Übungen
• Derzeitige Förderung des Ausbaus zur Integrationsplattform (SPINOZA)
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Beispiele für Lernplattformen
• Ich-will-Deutsch-lernen: Beispiellerneinheit
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Beispiele für Lernplattformen
• Online Linguistic Support (OLS, Erasmus+) • Ursprünglich entwickelt für Teilnehmende europäischer Austauschprogramme
• Öffnung für Geflüchtete seit Mitte 2016
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Beispiele für Lernplattformen
• OLS, Erasmus+: Beispiellerneinheit
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Preisträger des
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Preisträger des Innovationspreis `16
• DaFür – Deutsch als Fremdsprache für Integration
• Grundlegende Deutschkenntnisse zur Bewältigung von
Alltagssituationen
• Entwickelt für SprecherInnen der Sprachen Arabisch, Kurdisch, Farsi
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Preisträger des Innovationspreis `16
• eVideo – Gastgewerbe
• Für Menschen mit Lese-, Schreib-, Rechenschwierigkeiten, die im
Gastgewerbe arbeiten oder arbeiten wollen
• u.a. stellen 17 arbeitsplatznahe Übungen einen konkreten Bezug zum
Arbeitsalltag her
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Preisträger des Innovationspreis `16
• integration.oncampus.de und #DEU4ARAB
• Digitale Lernplattform für einen schnellen, flexiblen und einfachen
Zugang zum deutschen Hochschulsystem
• Kurse umfassen verschiedenste Fachdisziplinen und Deutschangebote
wie den MOOC #DEU4ARAB als Aussprachetraining für arabische
(syrische) Deutschlerner
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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Weitere Angebote
• Neben den umfangreichen Lernplattformen und den
vorgestellten Projekten gibt es zahlreiche weitere
digitale Medien, die Lernenden Unterstützung bieten
• Computerprogramme
• Apps für Smartphones
• MOOCs
• Lernspiele
• Soziale Netzwerkgruppen
• Untersuchung der Stiftung Warentest von 9 Apps
zum Deutschlernen für Erwachsene (Stand April 2016)
• Fokus auf Geflüchtete
• 2 Apps empfehlenswert, 3 Apps eingeschränkt
empfehlenswert, 4 Apps nicht empfehlenswert
POTENTIALE DIGITALER MEDIEN
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V. Beispiele für aktuelle Entwicklungen
digitaler Instrumente zur Unterstützung
von Lehrkräften
07.03.2017 33
DIGITALE MEDIEN: UNTERSTÜTZUNG VON LEHRKRÄFTEN
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Beispiele für Videoaufnahmen in Kursen der
Alphabetisierung und Deutsch als Zweitsprache
DIGITALE MEDIEN: UNTERSTÜTZUNG VON LEHRKRÄFTEN
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Geplantes Projekt
KANSAS: Kompetenzadaptive, nutzerorientierte
Suchmaschine für authentische Sprachlerntexte
DIGITALE MEDIEN: UNTERSTÜTZUNG VON LEHRKRÄFTEN
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Übersicht KANSAS
• Suchmaschine berücksichtigt neben den Inhalten auch die
sprachliche Komplexität digitalisierter Texte (z.B. Internet,
elektronische Textsammlungen)
• Globales Komplexitätskriterium oder einzelne Priorisierungen
auf Wortschatz, Textlänge, Lexik, Grammatik, etc.
• Soll es Lehrkräften in Alphabetisierung und DaZ ermöglichen
• Interessen der Lernenden zu berücksichtigen
• entwicklungsproximale Texte zu identifizieren
• selbstentwickelte oder zusammengestellte Materialen hinsichtlich
globaler sprachlicher Komplexität oder relevanter sprachlicher
Konstruktionen zu überprüfen
• setzt auf der Suchmaschine Bing auf
• Adaption und Weiterentwicklung vom „englischen“ FLAIR (Chinkina, Kannan & Meurers, 2015)
• Interdisziplinäre Zusammenarbeit aus Computerlinguistik,
Fachdidaktik und Erwachsenenbildung
DIGITALE MEDIEN: UNTERSTÜTZUNG VON LEHRKRÄFTEN
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KANSAS: Internetsuche nach „Obst“, klassisches Ranking,
computerlinguistische Analyse im Hintergrund
DIGITALE MEDIEN: UNTERSTÜTZUNG VON LEHRKRÄFTEN
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KANSAS: Möglichkeit des Neurankings aufgrund globaler Komplexität,
Textlänge und/oder sprachlicher Konstruktionen
DIGITALE MEDIEN: UNTERSTÜTZUNG VON LEHRKRÄFTEN
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KANSAS: Ergebnis des Neurankings (globale Komplexität: A1-A2,
Gewichtung von Relativsätzen), Anzeige des Texts und
Markierungen relevanter Konstruktionen
DIGITALE MEDIEN: UNTERSTÜTZUNG VON LEHRKRÄFTEN
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KANSAS: Webseite #1 nach dem Neuranking
DIGITALE MEDIEN: UNTERSTÜTZUNG VON LEHRKRÄFTEN
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VI. Fazit:
Desiderate der Förderung und der Forschung
FAZIT
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Desiderate der Forschung
• Analyse unterrichtlicher Lehr-/Lernprozesse allgemein
sowie Praxen der Binnendifferenzierung im Besonderen
• Evaluation, Kosten-Nutzen-Analyse und Vergleich der
Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden
• Diagnose individueller Lernverläufe (statt nur
Lernstände)
• während eines Kurses/Lernprozesses
• im Verlauf einer individuellen Lernbiographie
(->Längsschnittstudien; Anschluss an NEPS; PIAAC-L)
• ...
FAZIT
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Desiderate der Förderung
• Wenig systematische Sichtung von (bewährten)
Konzepten aus der Fülle der geförderten
Einzelvorhaben
• Unklare Distributionsstrategien (Forschung/Entwicklung
- Erprobung – Implementation?)
• Geringe Schwerpunktsetzung: Gewinnung von
Teilnehmenden? Professionalisierung? Digitale
Infrastrukturen?
• Mögliche Synergie-Effekte Alphabetisierung/DaZ
• ...
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!