Digitales Lehren und Lernen in Polizeischulen · digitale Hilfsmittel fällen. Zudem hat die...

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90 format magazine n o 8 Digitales Lehren und Lernen in Polizeischulen Eine Auslegeordnung Kurt Hügi Direktor, Zürcher Polizeischule (ZHPS) Der Artikel beschreibt aus der Sicht einer Polizeischu- le den Einfluss der Digitalisierung auf die Lernenden, die Ausbilder/-innen sowie die Schulen und wirft einen Blick auf die Literatur und empirische Untersuchungen. Digitales Lernen wird oft mit E-Learning oder dem Ein- satz von digitalen Lernplattformen gleichgesetzt. Beides greift zu kurz, denn nicht das Lehren oder das Lernen werden digital, sondern die Hilfsmittel. Weil uns digi- tale Hilfsmittel in allen Lebensbereichen begleiten, sol- len sie es grundsätzlich auch beim Lernen tun. Die dazu nötige Medienkompetenz ist der Schlüsselfaktor, um Kompetenzorientierung, Individualisierung und Refle- xionsfähigkeit in der Ausbildung zu fördern. Ausbilder/ -innen verlieren zwar ihre Bedeutung als Alleinwis- sende, sie werden deshalb aber nicht überflüssig. Das Schwergewicht der Lehrtätigkeit soll nicht beim vermit- telnden Unterricht liegen, sondern bei der Planung und Vorbereitung von selbstorganisiertem Lernen, klugem Üben, Anwenden und Reflektieren. Dazu braucht es hoch motivierte und kompetente Ausbilder/-innen. Nicht immer aber finden die dank der Digitali- sierung möglichen Veränderungen so rasch statt, wie es technisch möglich wäre. Trotz der Möglich- keiten von E-Voting treffen sich beispielsweise die Stimmberechtigten des Kantons Glarus im traditio- nellen Ring der Landsgemeinde. Als 2006 die Regie- rung beantragte, die 25 Gemeinden zu 10 zusam- menzuschliessen, wurde ein Antrag aus dem Ring angenommen, der gleich eine Reduzierung auf 3 vorschlug (Leuzinger 2018). Innovativste, basisde- mokratische Entscheide lassen sich also ganz ohne digitale Hilfsmittel fällen. Zudem hat die Digitalisierung, wie jede Techno- logie, auch negative Seiten: z. B. Missbrauch von Daten, Hasskommentare auf Internetforen, Internet- sucht, Darknet oder Cyberkriminalität. Digitales Lernen wird oft mit E-Learning oder dem Einsatz von digitalen Lernplattformen gleichge- setzt. Beides greift zu kurz. Beim digitalen Lernen wird der Gebrauch von digitalen Endgeräten zu ei- ner Selbstverständlichkeit wie am entsprechenden Arbeitsplatz in der Praxis oder in anderen Lebens- bereichen. Die Kreidezeit an den Schulen ist schon lange zu Ende (Döbeli Honegger 2017). Der Cluster (Abbildung 1) zeigt, wie digitales Ler- nen die Lernenden, die Ausbilder/-innen sowie die Schulen beeinflusst. Im Folgenden sollen die einzel- nen Elemente des Clusters aus der Sicht einer Poli- zeischule und mit Blick auf die Literatur und empiri- sche Untersuchungen diskutiert werden. Einflüsse auf die Lernenden Muss das Lernen aufgrund der Digitalisierung heu- te neu erfunden werden? Eine rhetorische Frage, denn Lernen findet in unseren Köpfen statt und diese funktionieren nicht digital. Es wird also nicht das Lernen digitalisiert, sondern es verändern sich lediglich die Hilfsmittel, die dem Lernen dienen. DIGITALES LEHREN UND LERNEN IN POLIZEISCHULEN Die Digitalisierung verändert viele unserer Lebensbe- reiche mit hoher Geschwindigkeit. Heute sind nahe- zu alle Personen mit einem digitalen Endgerät ausge- rüstet, diese Geräte werden immer leistungsfähiger und sie werden immer intensiver genutzt. Dienstleis- tungen, wie beispielsweise das Einkaufen, verändern sich radikal. Beim Warten an der Bushaltestelle surft man durch ein globales Angebot, vergleicht Preise und Qualitäten und bestellt das Passende online. Ganze Berufe, wie derjenige des Taxifahrers, werden verschwinden, weil sich die Transportbedürfnisse der Kunden mit den Fahrstrecken von Autofahrern digital kombinieren lassen. Moderne Fahrassistenzsysteme machen das Autofahren immer sicherer und in au- tonom fahrenden Fahrzeugen wird ein Fahrer schon bald überflüssig sein.

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90 format magazine no 8

Digitales Lehren und Lernen in PolizeischulenEine Auslegeordnung

Kurt Hügi

Direktor, Zürcher Polizeischule (ZHPS)

Der Artikel beschreibt aus der Sicht einer Polizeischu-

le den Einfluss der Digitalisierung auf die Lernenden,

die Ausbilder/-innen sowie die Schulen und wirft einen

Blick auf die Literatur und empirische Untersuchungen.

Digitales Lernen wird oft mit E-Learning oder dem Ein-

satz von digitalen Lernplattformen gleichgesetzt. Beides

greift zu kurz, denn nicht das Lehren oder das Lernen

werden digital, sondern die Hilfsmittel. Weil uns digi-

tale Hilfsmittel in allen Lebensbereichen begleiten, sol-

len sie es grundsätzlich auch beim Lernen tun. Die dazu

nötige Medienkompetenz ist der Schlüsselfaktor, um

Kompetenzorientierung, Individualisierung und Refle-

xionsfähigkeit in der Ausbildung zu fördern. Ausbilder/

-innen verlieren zwar ihre Bedeutung als Alleinwis-

sende, sie werden deshalb aber nicht überflüssig. Das

Schwergewicht der Lehrtätigkeit soll nicht beim vermit-

telnden Unterricht liegen, sondern bei der Planung und

Vorbereitung von selbstorganisiertem Lernen, klugem

Üben, Anwenden und Reflektieren. Dazu braucht es

hoch motivierte und kompetente Ausbilder/-innen.

Nicht immer aber finden die dank der Digitali-

sierung möglichen Veränderungen so rasch statt,

wie es technisch möglich wäre. Trotz der Möglich-

keiten von E-Voting treffen sich beispielsweise die

Stimmberechtigten des Kantons Glarus im traditio-

nellen Ring der Landsgemeinde. Als 2006 die Regie-

rung beantragte, die 25 Gemeinden zu 10 zusam-

menzuschliessen, wurde ein Antrag aus dem Ring

angenommen, der gleich eine Reduzierung auf 3

vorschlug (Leuzinger 2018). Innovativste, basisde-

mokratische Entscheide lassen sich also ganz ohne

digitale Hilfsmittel fällen.

Zudem hat die Digitalisierung, wie jede Techno-

logie, auch negative Seiten: z. B. Missbrauch von

Daten, Hasskommentare auf Internetforen, Internet-

sucht, Darknet oder Cyberkriminalität.

Digitales Lernen wird oft mit E-Learning oder

dem Einsatz von digitalen Lernplattformen gleichge-

setzt. Beides greift zu kurz. Beim digitalen Lernen

wird der Gebrauch von digitalen Endgeräten zu ei-

ner Selbstverständlichkeit wie am entsprechenden

Arbeitsplatz in der Praxis oder in anderen Lebens-

bereichen. Die Kreidezeit an den Schulen ist schon

lange zu Ende (Döbeli Honegger 2017).

Der Cluster (Abbildung 1) zeigt, wie digitales Ler-

nen die Lernenden, die Ausbilder/-innen sowie die

Schulen beeinflusst. Im Folgenden sollen die einzel-

nen Elemente des Clusters aus der Sicht einer Poli-

zeischule und mit Blick auf die Literatur und empiri-

sche Untersuchungen diskutiert werden.

Einflüsse auf die Lernenden

Muss das Lernen aufgrund der Digitalisierung heu-

te neu erfunden werden? Eine rhetorische Frage,

denn Lernen findet in unseren Köpfen statt und

diese funktionieren nicht digital. Es wird also nicht

das Lernen digitalisiert, sondern es verändern sich

lediglich die Hilfsmittel, die dem Lernen dienen.

DIGITALES LEHREN UND LERNEN IN POLIZEISCHULEN

Die Digitalisierung verändert viele unserer Lebensbe-

reiche mit hoher Geschwindigkeit. Heute sind nahe-

zu alle Personen mit einem digitalen Endgerät ausge-

rüstet, diese Geräte werden immer leistungsfähiger

und sie werden immer intensiver genutzt. Dienstleis-

tungen, wie beispielsweise das Einkaufen, verändern

sich radikal. Beim Warten an der Bushaltestelle surft

man durch ein globales Angebot, vergleicht Preise

und Qualitäten und bestellt das Passende online.

Ganze Berufe, wie derjenige des Taxifahrers, werden

verschwinden, weil sich die Transportbedürfnisse der

Kunden mit den Fahrstrecken von Autofahrern digital

kombinieren lassen. Moderne Fahrassistenzsysteme

machen das Autofahren immer sicherer und in au-

tonom fahrenden Fahrzeugen wird ein Fahrer schon

bald überflüssig sein.

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Abbildung 1: Einflüsse des digitalen Lernens (ZHPS)

Diese Hilfsmittel bergen aber auch Risiken wie

Ablenkung, Oberflächlichkeit, Ziellosigkeit oder

spielerische Nutzung. Es ist oft zu beobachten,

dass Lernende, welche dem Präsenzunterricht nur

mit Mühe folgen können, auch beim individuellen

Arbeiten auf einer Lernplattform überfordert sind.

Demgegenüber haben generell gut Lernende auch

keine Probleme damit, individuell mit physischen

Lernmitteln oder Lernplattformen zu arbeiten. Neue

Technologien dienen also meistens nur denjenigen,

die auch mit den alten Technologien zurechtgekom-

men sind.

Eine Nationalfondsstudie untersucht, wie weit

Computerspielerfahrung bei Digital Natives beruf-

liche Kompetenzen fördern kann. Positive Effekte

sind bei Piloten oder bei am Bildschirm operieren-

den Chirurgen erkennbar (Horizonte 2018), also in

Berufen, in denen mit digitalen Hilfsmitteln zentrale

Steuerungsfunktionen ausgeübt werden.

Weil uns digitale Hilfsmittel in allen Lebensberei-

chen begleiten, sollen sie es grundsätzlich auch beim

Lernen tun. Die dazu nötige Medienkompetenz ist

heute eine Schlüsselqualifikation. Dazu gehören die

Reduktion von Wissen und Information auf das We-

sentliche, die Fähigkeit zur Abstraktion, Reduktion

und Modellbildung sowie die Konzentrationsfähig-

keit, um die Ablenkung in der digitalen Umwelt zu

minimieren (Hartmann Hundertpfund 2015).

Ein nachhaltiger Lernprozess folgt der Logik «An-

eignen – Anwenden – Reflektieren» (Abbildung 2).

Beim Aneignen gelangt Neues über verschiedene

Filter vom Ultrakurzzeitgedächtnis via Kurzzeitge-

dächtnis ins Langzeitgedächtnis und vernetzt sich

dort mit Vorwissen und Erfahrungen. Dieser Prozess

verläuft sehr individuell und in unterschiedlichen

Geschwindigkeiten, weil die Voraussetzungen für

Abbildung 2: Vom Vermitteln zum Handeln (ZHPS)

diese Vernetzungen von Person zu Person ver-

schieden sind. Das Anwenden wird zuerst im ge-

schützten Rahmen der Schule geübt, wobei sich die

Übungsanlagen immer mehr der Praxis nähern, bei-

spielsweise mit Handlungstrainings oder Lernfeld-

konzepten.

Mit Hilfe des Reflek-

tierens wird das Ganze

verinnerlicht und die

Basis für den erfolgrei-

chen Transfer geschaf-

fen. Kompetent ist, wer sein Verhalten reflektieren

kann – darauf baut eine duale Ausbildung auf, die an

zwei Lernorten (Schule und Korps) stattfindet. Wissen

alleine genügt nicht, Handeln alleine aber auch nicht.

Einfluss auf die Ausbilder/-innen

Muss das Lehren aufgrund der Digitalisierung neu

erfunden werden? In der digitalen Zeit verlieren die

Lehrpersonen ihren Status als Allein- oder Alleswis-

sende, denn auf YouTube findet sich vielleicht ein

dreiminütiger Lehrfilm, der etwas besser erklärt als

die Lehrperson.

Zur Organisation und Begleitung des Lernpro-

zesses sind Ausbilder/-innen heute jedoch wichtiger

denn je. Guter Unterricht (Meyer 2004) lässt sich

nicht an digitale Hilfsmittel delegieren. Natürlich

erleichtern flexible, digitalisierte Lernmaterialien das

individuelle Lernen. Aber auch das Buch ist vom

Konzept her individualisiert und erlaubt verschiede-

ne Zugänge. Die Grundsätze des individuellen und

selbstorganisierten Lernens sind bereits lange be-

kannt (Herold 2011). Es braucht kreative Ausbilder/

-innen, die das umsetzen. Hilfsmittel und Methoden

alleine machen noch keinen wirkungsvollen Unter-

richt.

Die Hilfsmittel [...] bergen auch Risiken wie Ablenkung, Oberfläch-lichkeit, Ziellosigkeit oder spieleri-sche Nutzung.

DIGITALES LEHREN UND LERNEN IN POLIZEISCHULEN

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Der Unterricht an Polizeischulen umfasst immer

noch viele vermittelnde Anteile (Abbildung 2), die

im Klassenunterricht mittels Lehrgespräch statt-

finden. Im Lehrgespräch kann der Lernende nicht

zeigen, was er kann, höchstens, was er weiss. Das

Lehrgespräch fokussiert sich auf die Fachkompetenz,

nicht auf die Handlungskompetenz, und berücksich-

tigt unterschiedliche Lerntempi nicht. Es wird also

vermittelnd gelehrt, aber scheinbar nur handelnd

gelernt. Lässt sich dieser Widerspruch mit digitalen

Hilfsmitteln lösen?

Lehren muss bei den Lernenden einen Aufbau von

neuem Wissen und Veränderung von bestehendem

Wissen auslösen (Abbil-

dung 3). Dieses Wissen

ist die Voraussetzung für

Denken, Handeln und

Entscheiden (Felten und

Stern 2014). Deshalb

folgen diese drei Abläu-

fe bei einer bestimmten Person auch den gleichen

Mustern. Wissen ist einerseits prozedural und lässt

sich durch Üben und Wiederholen automatisieren.

Andererseits ist es konzeptuell und verknüpft sich

mit bestehendem Wissen.

Motorisches (dunkel graune Ovale) und kogniti-

ves Wissen (rote Ovale) müssen gut vernetzt sein,

damit es nicht vergessen geht. Wird der Lernzu-

wachs (helle Ovale) nicht mit dem Bestehenden

vernetzt, geht er rasch wieder verloren. Diese Ver-

netzung ist bei jedem Lernenden sehr individuell.

Motorisches Wissen bleibt längere Zeit erhalten,

auch wenn es nicht benutzt wird (z. B. Schwimmen,

Velofahren, Schiessen). Anders ist es bei kognitivem

Wissen: Dieses wird überschrieben (hell graune

Ovale), wenn es nicht gebraucht oder nicht repetiert

wird (z. B. Fremdsprachen).

John Hattie hat über 15 Jahre Meta-Analysen mit

gegen 80 000 empirischen Untersuchungen durch-

geführt und Effektstärken berechnet (Hattie 2015).

Damit lässt sich die Frage beantworten, was sich auf

den Unterricht stark und was weniger stark auswirkt.

Zu den stärksten Wirkungen gehören die Selbstein-

schätzung des eigenen Lernniveaus (Reflexion), die

Klarheit der Lehrperson, die Lehrer-Schüler-Bezie-

hung und das bewusste Üben. Zu den schwach

wirkenden Effekten zählen Computerunterstützung,

Lernprogramme, webbasiertes Lernen, Fernunter-

richt und offene Klassenzimmer, um nur einige zu

nennen. Hatties Kernbotschaft ist, dass die Koope-

ration zwischen Schule, Lehrperson und Lernenden

entscheidend sei und es auf die Haltung der Lehr-

personen ankomme. Dabei stehe hier nicht die Rolle

des Fachexperten im Vordergrund, sondern, dass

die Lehrperson in der Lage sei, mit den Lernenden

in Dialog zu treten und eine Beziehung aufzubauen.

Der Unterricht an Polizeischu-len umfasst immer noch viele

vermittelnde Anteile [...], die im Klassenunterricht mittels Lehrge-

spräch stattfinden.

DIGITALES LEHREN UND LERNEN IN POLIZEISCHULEN

Abbildung 3: Vernetztes Wissen als Voraussetzung für Denken, Handeln und Entscheiden (ZHPS)

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Einfluss auf die Schule

Der Unterricht an einer Polizeischule findet rund zur

Hälfte ausserhalb der Schulzimmer statt (Schiess-

platz, Dojo, Trainingsgelände). Die meisten Schulen

besitzen heute digitale Lösungen, um die individuel-

len Lernwege ihrer Lernenden zu unterstützen oder

Tests durchzuführen. Solche Learning Management

Systeme (LMS) werden dann oft mit der Strategie

gekoppelt, dass Lehrmittel nicht mehr physisch,

sondern digital zur Verfügung gestellt werden. Man

verspricht sich davon eine Kosteneinsparung nach

dem Motto «Digitales ist gratis oder zumindest bil-

liger». Digitale Lehrmittel haben sicher den Vorteil,

dass sie einfacher überarbeitet werden können, dass

Links direkt zu weiterführenden Materialien führen,

Suchfunktionen genutzt und Notizen der Lernenden

integriert werden können.

Die Entwicklung in Richtung Lernplattformen ba-

siert nicht nur auf einer reinen Wirkungsanalyse. Oft

steht die Not im Vordergrund, dass die zunehmen-

de Anzahl an Lernenden gar nicht mehr mit einem

quantitativ angepassten Lehrkörper in den zur Verfü-

gung stehenden Räumen betreut werden kann. Das

Statistische Jahrbuch der Schweiz (BFS 2017) weist

aus, dass ein Professor im Jahr 1890 noch 10 Stu-

denten betreute, heute sind es bis zu 30. Der Polizei-

beruf als ausgesprochen praktischer und vielseitiger

Beruf eignet sich sicher nicht zum Fernstudium. Eine

Schule soll verschiedene Lernwege ermöglichen, ih-

ren Lernenden aber nicht vorschreiben, wie sie zu

lernen haben.

Die Schulen brauchen ein digitales Ordnungs-

prinzip, das ihnen erlaubt, Lernmaterialien den Fä-

chern, Klassen oder sogar den einzelnen Lektionen

zuzuordnen. Die Ordnungsprinzipien der Schulen

unterscheiden sich je nach didaktischem Konzept.

Deshalb ist zu diskutieren, ob alle Polizeischulen die

gleiche Software benutzen, dieses – bildlich gespro-

chen – leere Haus dann aber individuell möblieren

können sollen. Die Fachhochschulen und andere

Bildungsinstitutionen leben dieses Konzept mit der

Bildungsplattform «Moodle» vor. Oft übertragen

Schulen heute die Anschaffung der nötigen Hard-

ware auf die Lernenden.

An der Zürcher Polizeischule bestätigen Befra-

gungen bei den Lernenden immer wieder, dass di-

daktisch aufbereitete Lehrmittel von den Lehrper-

sonen im Unterricht gar nicht eingesetzt werden,

weil diese andere methodisch-didaktische Konzepte

anwenden als die Autoren/-innen der Lehrmittel. Im

Bereich der höheren Berufsbildung, wie im Polizei-

beruf, dürfte deshalb eher das kompakte Fachbuch

im Vordergrund stehen, das den Fachkonsens in ei-

ner föderalistischen Polizeilandschaft dokumentiert.

Nationale Lehrmittel leisten einen wichtigen Beitrag

zur Harmonisierung zwischen den Schulen. Es gilt

aber auch hier das sogenannte «Pareto-Prinzip»:

80 % lassen sich mit vernünftigem Aufwand harmo-

nisieren, für den Rest wird der Aufwand überpro-

portional und der Nutzen minimal. Zudem soll den

einzelnen Schulen zwar Vorgaben zum «Was», nicht

aber zum «Wie» gemacht werden (Auftragstaktik).

Ein besonderes Spannungsfeld liegt bei digitalen

Tests, welche den Korrekturaufwand massiv redu-

zieren, da sie weitgehend automatisch korrigiert

werden. Andererseits

sind die Fragen oft

mehrheitlich Wissens-

fragen, welche dem

Anspruch an Kompe-

tenzorientierung nicht genügen. Multiple-Choice-

Tests basieren auf dem Wiedererkennen einer

richtigen Lösung bzw. dem Ausschlussprinzip von

falschen Lösungen. Kompetentes Handeln setzt aber

voraus, dass Lösungen aktiv erarbeitet werden, um

die anstehenden Probleme zu bewältigen. Exempla-

risch zeigen dies die praktischen Prüfungen an den

heutigen Berufsprüfungen Polizistin/Polizist.

An Polizeischulen wird vor allem in Handlungs-

trainings und Szenarien geübt und nicht simuliert

auf Lernplattformen. Handlungstrainings sind auf-

wändig und teuer, aber auch sehr wirkungsvoll. Bil-

dungsökonomisch ist deshalb sorgfältig abzuwägen,

wieviel in digitale Plattformen zu investieren ist und

ob diese Nice-to-haves oder Must-haves sind. Hohe

Investitionen garantieren in der Ausbildung nicht au-

tomatisch einen hohen Nutzen. Daher ist es wichtig,

dass sich Schulen im Rahmen ihrer Strategie und zu-

sammen mit den Lehrpersonen überlegen, wie di-

gitale Hilfsmittel zu integrieren sind. Schulentwick-

lung findet immer von unten nach oben statt.

DIGITALES LEHREN UND LERNEN IN POLIZEISCHULEN

Nationale Lehrmittel leisten einen wichtigen Beitrag zur Harmonisie-rung zwischen den Schulen.

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Literatur

Bundesamt für Statistik (BFS) (2018), Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2017. Verfügbar unter: www.bfs.admin.ch (Zugriff am 26.11.2018).Döbeli Honegger, Beat (2017), Mehr als 0 und 1. Schule in einer digitalisierten Welt, Bern: hep.Felten, Michael, Elsbeth Stern (2014), Lernwirksam unterrichten, im Schulalltag von der Lernforschung profitieren, Berlin: Cornelsen.Hartmann, Werner, Alois Hundertpfund (2015), Digitale Kompetenz, was die Schule dazu beitragen kann, Bern: hep.Hattie, John (2015), Lernen sichtbar machen [überarbeitet und übersetzt durch Wolfgang Beywel und Klaus Zierer], Hohengehren: Schneider.

Herold, Cindy, Martin Herold (2011), Selbstorganisiertes Lernen in Schule und Beruf, Weinheim und Basel: Beltz.Vahlensieck, Yvonne (2018), «Computerspielerfahrung ergänzt den Lebenslauf», Horizonte – Das Schweizer Forschungsmagazin, Nr. 116, März 2018, Bern: Schweizerischer Nationalfonds, S. 13–23.Leuzinger, Lukas (2018), Ds Wort isch frii. Die Glarner Landsgemeinde: Geschichte, Gegenwart, Zukunft, Zürich: NZZ Libro.Meyer, Hilbert (2004), Was ist guter Unterricht, Berlin: Cornelsen.

RésuméEnseignement et apprentissage numériques dans

les écoles de police : état des lieux

Cet article décrit, du point de vue d’une école de

police, l’influence de la numérisation sur les appre-

nants, les formateurs, ainsi que les écoles et porte

un regard critique sur la littérature et les études

empiriques. L’apprentissage numérique est souvent

confondu avec le e-learning ou avec l’utilisation de

plateformes d’apprentissage. En effet, ce ne sont ni

l’enseignement ni l’apprentissage qui deviennent

numériques, mais bien uniquement les outils.

Comme les ressources numériques sont aujourd’hui

présentes dans presque tous les domaines de la vie

courante, il n’y a pas de raison pour qu’elles ne le

soient pas dans l’apprentissage. Les compétences

médias requises constituent le principal facteur

favorisant l’accent mis sur les compétences, l’indi-

vidualisation et la capacité d’auto-analyse dans la

formation. Si le statut de « seul·e·s détenteurs·trices

des connaissances » des formateurs·trices en prend

un coup, ils n’en deviennent pas inutiles pour

autant. Le centre de gravité de l’enseignement ne

doit pas porter sur la transmission du savoir, mais

davantage sur la planification et la préparation d’un

apprentissage autonome, d’exercices d’observa-

tion, de la mise en pratique et de la réflexion. Cela

nécessite des formateurs·trices très motivé·e·s et

compétent·e·s.

RiassuntoInsegnamento e apprendimento digitali nelle

scuole di polizia: un’analisi

L’articolo descrive, assumendo il punto di vista di

una scuola di polizia, l’impatto della digitalizzazio-

ne sugli studenti, sui formatori e sulle scuole, gettan-

do inoltre uno sguardo alla letteratura di riferimento

e alle ricerche empiriche. La didattica digitale viene

spesso identificata con l’e-learning o con l’impiego

di piattaforme didattiche digitali. Entrambi i concet-

ti non centrano il punto, in quanto non sono l’in-

segnamento o l’apprendimento a divenire digitali,

ma solo gli strumenti. Poiché gli strumenti digitali

ci accompagnano in tutti gli aspetti della vita quo-

tidiana, lo devono fare in linea di principio anche

nel processo di apprendimento. La padronanza

dei supporti didattici digitali è il fattore chiave per

promuovere nella formazione l’orientamento alle

competenze, l’individualizzazione e la capacità di

riflessione. I formatori perdono sì il loro ruolo di

custodi del sapere, ma non per questo diventano

superflui. L’importanza dell’attività didattica non

dev’essere posta sull’insegnamento da trasmettere,

bensì sulla pianificazione e la preparazione di un

apprendimento organizzato autonomamente, oltre

che su esercitazioni, applicazioni e riflessioni intel-

ligenti. A questo scopo, servono formatori altamen-

te motivati e competenti.

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