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Craniosacrale Biodynamik: ICSB, International Institute for Craniosacral Balancing® April, 2011 Karoline Heining Eine Einführung

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Craniosacrale Biodynamik :

ICSB, International Institute for Craniosacral Balancing® April , 2011

Karoline Heining

E ine E inführung

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 2

1. Einleitung 3

2. Geschichte und Entwicklung der Craniosacalen Therapie bis zur Craniosacralen Biodynamik: 4

Dr. Andrew Taylor Still 4

Dr. William Garner Sutherland 4

Dr. Rollin E. Becker 6

Dr. John E. Upledger 8

Dr. James Jealous, DO und Franklyn Sills 8

3. Prinzipien der Biodynamik: 11

Das Neutral 11

Die Mittellinien 13

4. Primäre Respiration – Rhythmen und Wahrnehmungsebenen 17

Mid Tide 17

Long Tide 18

Die dynamische Stille 19

5. Embryologie – 3 Zündungsprozesse 21

6. Die Anatomie des Cranium 23

Das Neurocranium 23

Das Viscerocranium 25

7. TMG – Articulatio temporomandibularis 26

8. SBG – Sphenobasilargelenk 30

9. Fallbeispiel – VKB-Ruptur 33

10. Schlusswort 38

Quellenverzeichnis /Bildnachweis 39

Literaturliste 40

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Vorwort

Als dipl. Physiotherapeutin stiess ich zu Beginn der Ausbildung zur Craniosacral Therapeutin immer wie-

der an gewisse Grenzen. Ich war es gewohnt, mit Menschen zu arbeiten, ich kannte die Anatomie und die

physiologischen und pathologischen Zusammenhänge. Meine Aufgabe war es bisher, nach allem zu fragen,

was schmerzt, nicht funktioniert und somit den Alltag einschränkt. Anschliessend kam das Analysieren von

Ursache und Symptom. Anhand dieser Angaben galt es, einen Behandlungsvorschlag zu machen – und ihn

gegebenenfalls im Verlauf anzupassen.

Nun lernte ich, meinen Fokus gleichzeitig auch auf das Positive im Alltag der KlientenInnen zu richten und

zu beobachten was passiert, wenn man genau das unterstützt. Dazu kam die Herausforderung, dass die

Bewegung im Inneren passiert und somit unsichtbar ist. Der Spürsinn meiner Hände wurde auf einmal we-

sentlich. Das Wissen über Anatomie und Physiologie wurde dadurch unter meinen Händen ganz lebendig

und bekam Farbe.

Es ist ein markanter Unterschied, ob man eine Wirbelsäule manualtherapeutisch unter-

sucht und behandelt, oder ob man der primären Respiration lauscht und beobachten

darf, wie sie die Wirbelsäule von innen her in vollkommener Eigenregie einzigartig bewegt

und mobilisiert.

In der craniosacralen Biodynamik konzentrieren wir uns also auf die jeweilige primäre Respiration der Kli-

entInnen: in welcher Qualität sie sich uns zeigt, wohin sie die Behandlung im Körper lenkt und wie sie sich

nach der Behandlung zeigt und entfaltet.

Beide Seiten, die Physiotherapie und die craniosacrale Arbeit, sind sehr wichtig und im Idealfall ergänzen sie

sich. Da ich diese Ergänzung in meinem bisherigen Arbeitsumfeld – meiner Physiotherapiepraxis – oftmals

vermisse, möchte ich die Möglichkeiten der craniosacralen Biodynamik und deren Potential vorstellen.

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1. Einleitung

Vielleicht kann ich auch Sie begeistern, für einen Moment bisherige Denkansätze und Strukturen der uns

bekannten medizinischen Auffassung etwas loszulassen und sich dadurch einem anderen Verständnis von

Gesundheit zu öffnen.

In der craniosacralen Biodynamik geht es nicht darum, Krankheit zu bekämpfen, sondern vielmehr den Men-

schen als zusammenhängende Einheit zu sehen und dessen innewohnende Lebenskraft – den Breath of Life

(Dr. Sutherland) – zu unterstützen.

Der Breath of Life ist eine in jedem Menschen innewohnende Kraft, die sich als langsame, stetige, innere

und organisierende Bewegung ausdrückt. Sie initiiert die Selbstregulation eines jeden Menschen. Dieser

Rhythmus wird auch als unwillkürlicher innerer Atem beschrieben und primäre Respiration genannt. Sie

verhält sich wie „Ebbe und Flut“ und ist eine der ursprünglichsten Bewegungen bei der Entstehung neuen

Lebens.

Die primäre Respiration kann von ausgebildeten Therapeuten wahrgenommen werden und ist ein wesentli-

cher Bestandteil der Evaluation und der daraus resultierenden therapeutischen Behandlung.

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2. Geschichte und Entwicklung der Craniosacralen Therapie bis zur Craniosacralen Biodynamik

Die craniosacrale Arbeit hat ihre Wurzeln in der Osteopathie und diese wurde 1874 von Dr. Andrew Taylor Still

(1828-1917) entdeckt und begründet. Er war ein Arzt, der voller Eifer nach einem effektiven Heilungssystem

ohne Medikamente suchte. Während seines Studiums zeichneten sich folgende Prinzipien für ihn ab:

1. Der Körper ist eine zusammenhängende Einheit

2. Der Körper besitzt selbstregulierende Mechanismen

3. Struktur und Funktion stehen in reziproker Beziehung zueinander

4. Eine vernünftige Behandlung basiert auf dem Verstehen der selbstregulierenden Körpermechanismen

und der wechselseitigen Beziehung von Struktur und Funktion im Körper.

„It is the first object of any physician to find health for the individual. Anybody can find

disease.“

„Es muss der erste Grundsatz eines Arztes sein, das Gesunde im Individuum zu finden. Jederman

kann Krankheit finden.“ Dr. Still 1

1892 gründete Dr. Still die American School of Osteopathy in Kirksville, Missouri. 1899/1900 war einer seiner

Studenten Dr. William Garner Sutherland (1873-1954). Beim Studieren der Suturen eines gesprengten Schä-

dels fiel sein Blick auf die abgeschrägte Naht der Ala major des Os sphenoidale und der Pars squamosa des

Os temporale. Dabei kam ihm ein Gedankenblitz:

„Bevelled like the gills of a fish, indicating a respiratory mechanism.“

„Abgeschrägt, wie die Kiemen eines Fisches, einen Atmungsmechanismus

anzeigend.“ 2

1 Tschumi Gemin, (2006), Arbeitsbuch Seminar 1, Seite 2.22 ebd., Seite 1.1

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Von diesem Gedanken angespornt forschte er während der nächsten 40 Jahre unermüdlich weiter, bevor er

damit an die Öffentlichkeit ging. Bis anhin wurde gelehrt, dass die Schädelknochen ab einem gewissen Al-

ter starr knöchern miteinander verwachsen sind. Nun suchte er nach Möglichkeiten, seine Erkenntnis, dass

die einzelnen Schädelknochen eben genau diese Form haben, damit sie sich zueinander und miteinander in

bestimmter Beziehung bewegen können, zu beweisen. Er führte an sich selber Experimente mit selbstgefer-

tigten Helmen durch, mit denen er gezielt Druck auf die einzelnen Schädelknochen ausüben konnte. Er selber

beschrieb alternierende Symptome wie Kopf- und Rückenschmerzen, Koordinationsstörungen und Stimmungs-

schwankungen. Die Personen in seinem Umkreis beschrieben teils schwerwiegende und irritierende Persönlich-

keitsveränderungen. Diese Symptome legten sich wieder, sobald er den Druck auf bestimmte Weise löste.

Aus diesem und anderen Experimenten an sich und seinen Patienten entwickelte er ein Behandlungskonzept,

welches später als Craniale Osteopathie bekannt wurde. Er übertrug dabei die Grundprinzipien der Osteopa-

thie auf den cranialen Mechanismus. Das war eindeutig eine Erweiterung und keine Abspaltung der osteopa-

thischen Wissenschaft von Dr. Still.

Dr. Sutherland erkannte, dass seine Entdeckung und anfängliche Beschreibung dieses mechanischen Systems

viel weitreichender, essentieller und grundlegender war. Er begann bald zu verstehen, dass diese Bewegung im

cranialen System - die er sich anfänglich mechanisch/anatomisch erklärte - eine grundlegende Lebenskraft der

Menschen beherbergt. Diese rhythmische Bewegung war für ihn eine Manifestation des Lebens in Bewegung.

Ein äusseres Anzeichen der grundsätzlichen, selbstregulierenden und selbstheilenden Körpermechanismen. Er

nannte dieses essentielle Phänomen primären Respirationsmechanismus und beschrieb fünf Komponenten

dieses Mechanismus, die als Einheit funktionieren:

1. die Fluktuation des Liquor cerebrospinalis, mit der Potency der Tide

2. die inhärente Motilität des Zentralen Nervensystems

3. die Mobilität der reziproken Spannungsmembran (craniale und spinale Dura)

4. die Motilität und Mobilität der Schädelknochen

5. die unwillkürliche Bewegung des Sacrums zwischen den beiden Ilia.

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Dr. Sutherlands Verständnis des primären Respirationsmechanismus ebenso wie sein Behandlungsansatz war

nie auf das Cranium beschränkt, sondern ist Teil der gesamten Körperphysiologie.

Diese wesentliche Pionierarbeit erhielt seinerzeit jedoch nicht die ihr gebührende Anerkennung, da zu wenig

über dieses funktionierende System bekannt war. Von seinen damaligen Medizinkollegen wurde die Arbeit als

zu unwissenschaftlich eingestuft. Erst in den letzten 10 Jahren seines Lebens unterrichtete er die gesammelten

Erkenntnisse über Flüssigkeiten und Potency.

Das Konzept des Breath of Life und der primären Respiration war für ihn der Kern oder das Fundament der

originalen Matrix und somit der Gesundheit im menschlichen System, also

„...der inhärenten physiologischen Funktion zu erlauben, ihre unfehlbare Potency zu

entfalten, statt von aussen blinde Kraft anzuwenden...“ Dr. Sutherland3

Zwei seiner Studenten - Dr. Harold Magoun und Dr. Rollin E. Becker - nahmen die Fährte ihres Lehrers auf und

verbreiteten diesen Ansatz.

Vor allem Dr. Rollin E. Becker (1910-1996) erforschte weiter das Flüssigkeitssystem und den Breath of Life

mit seiner innewohnenden Potency. Er verbreitete dadurch den biodynamischen Ansatz. Auch heute noch sind

seine Erkenntnisse ein wesentlicher Bestandteil der craniosacralen Biodynamik.

Durch seine osteopathische Ausbildung arbeitete er genau wie Dr. Sutherland anfänglich mit einem biome-

chanischen Ansatz. Sie hatten gelernt, sich an Achsen und Ebenen zu orientieren und die Bewegungsqualität,

deren Rotationsachsen und evtl. vorhandene Läsionen zu erkennen und mechanisch zu lösen. Somit wirkten sie

aktiv auf die Soma ein und wendeten Techniken zur Regulierung der Bewegungsfähigkeit an.

3 Rollin Becker (2007), Leben in Bewegung & Stille des Lebens, Seite I-166

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Im Laufe vieler Jahre der Praxis und Erfahrung erkannten sie, dass dieser Bewegung noch ursprünglichere

und essentiellere Kräfte zu Grunde liegen. Der Breath of Life, also die primäre Respiration, kreiert mit seiner

innewohnenden Kraft (Potency) kontinuierlich menschliches Leben. Dadurch werden unsere Systeme im Ur-

sprung gezündet. Becker und Sutherland erkannten, dass sie dort mit Potency in Kontakt kamen, die sich in

Eigenregie um die Gesundheit des Menschen kümmert – sofern man sie unterstützt und nicht blockiert!

Dr. Becker prägt in seiner Arbeit den Begriff Zustand der Balance und beschreibt in dem Zusammenhang

drei Schritte zur (normalen) Selbstregulation:

1. das System sucht ein Neutral

2. das System setzt sich in ein Neutral

3. das System reorganisiert sich.

„Dr. Rollin E. Becker definiert ein biodynamisches Prinzip als: ‚Arbeiten mit dem inhärenten Mechanismus,

der dem Problem zu Grunde liegt’ und einem biomechanischen Ansatz als: ‚Arbeiten am Problem selbst.’“

ICSB4

„From ‚elimination of pain and suffering’ to ‚restoration of health from within’.“

„Von ‚Schmerz und Leiden heilen und kurieren’ zu ‚Gesundheit von innen ansprechen, an-

regen und wieder herstellen’.“ Dr. Becker5

„I’m treating to restore health. I’m not treating to correct the problem. In treating this

way, I have opened the doors for the body to try to do what it wants to with its own

living forces.“

„Ich behandle, um Gesundheit in Stand zu setzen. Ich behandle nicht, um das Problem zu

korrigieren. Indem ich so behandle, öffne ich Tore für den Körper, damit er tun kann, was

er will mit seinen eigenen lebendigen Kräften.“ Dr. Becker5

4 Tschumi Gemin, (2006), Arbeitsbuch Seminar 2, Seite 2.15 ebd., Seite 2.2

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In den 1970er und 1980er Jahren nahm Dr. John E. Upledger (geb. 1931) die Forschungs-

arbeiten auf. Er liess das Konzept des „Breath of Life“ fallen und startete erneut mit einem

Forscherteam an der Universität von East Lansing, Michigan. Er initiierte eine Untersuchungs-

reihe zur Mobilität der Schädelknochen. Sie konnten die Bewegungen an den Suturen mittels

Laser ausmessen und nachweisen. Weiter konnten sie belegen, dass sich in den Suturen feine

Blutgefässe, Nervenfasern sowie elastische und kollagene Bindegewebsfasern befinden.

Neben diesen anatomischen Forschungen unternahm er eine Studie mit hyperaktiven, autistischen und

an Lernschwierigkeiten leidenden Kindern. Er konnte sie mit grossem Erfolg behandeln und instruierte

daraufhin erstmals Lehrer, Eltern und Sorgeberechtigte mit einfachen und ungefährlichen Techniken. Die

frappanten, positiven Reaktionen ermutigten ihn auch, Physiotherapeuten, Masseuren, Körpertherapeuten,

Psychologen, Zahnärzten und anderen Interessierten diese Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Er präg-

te in den 1970er Jahren erstmals den Namen Craniosacral-Therapie.

Dr. Upledger ist also ebenfalls ein Pionier, jedoch ausschliesslich auf der biomechanischen Ebene, daher

werde ich an dieser Stelle nicht weiter auf ihn eingehen.

Craniosacrale Biodynamik

Nachdem sich zuerst Dr. Sutherland und später Dr. Becker mit dem biodynamischen Ansatz beschäftigt

haben, sind es heute Dr. James Jealous, DO (geb. 1943), und Franklyn Sills (geb. 1947), die diesen Ansatz

aufgriffen und ihn weiter entwickeln und prägen.

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Dr. Jealous lernte ursprünglich bei Dr. Sutherland mit Dr. Becker als Mentor. Seit Anfang

der 1970er Jahre unterrichtete er vorerst in den USA, und entwickelte seine Arbeit mit der

Unterstützung von Dr. Ruby Day (einer Studentin Dr. Sutherlands) weiter. Ende der 1980er

Jahre startete er zwei Studygroups mit Dr. Hogopian (New England Osteopathic Studygroup)

und Anne Wales (Anne Wales Studygroup mit Sue Turner und Stuart Korth aus England). Er

erhielt eine Auszeichnung als Professor für das New England College of Osteopathic Medicine. Seit 1994

unterrichtet er sein Konzept „The Biodynamics of Osteopathy“ in den USA und weltweit.

Franklyn Sills studierte ursprünglich Medizin, allerdings mit einer psychotherapeutischen Orientierung. Sein

Schwerpunkt lag mit Dr. William Emerson im Bereich der prä- und perinatalen Psychologie. Sein Osteopa-

thiestudium absolvierte er von 1975-1979 bei Dr. Randolph Stone DO. Er war begeistert, fasziniert und

wissbegierig. Kurze Zeit später lernte er die Arbeiten von Dr. Sutherland, Dr. Becker und Dr. Jealous ken-

nen. Seit 1986 unterrichtet er am Karuna Institute in England. Anfänglich handelte es sich noch um eine

Mischung von Biomechanik und Biodynamik. Schnell entstand daraus der biodynamische Ansatz, den er

heute ausschliesslich unterrichtet und weiterentwickelt. Er prägte Begriffe wie u.a. the holistic shift und

mid-tide.

2001 veröffentlichte er seine ersten Bücher „Craniosacral Biodynamics“ Volume I & II. In den letzten Jahren

beschäftigte er sich ausführlich mit der Neurophysiologie von Stress, Schock und Trauma. Dadurch erweiter-

te er die Biodynamik um zwei wesentliche Aspekte:

• die achtsame Entwicklung eines therapeutischen Beziehungsfeldes

• die Integration von Aspekten der SE-Arbeit (Somatic Experience) von Peter Levine.

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Es ist äusserst wichtig, das Wissen und die Qualitäten aller Ansätze zu kennen. Das Spüren der biomecha-

nischen Bewegung, das Wissen der Anatomie und Physiologie sind fundamental.

Der wissenschaftliche Nachweis der primären Respiration mit der innewohnenden Potency wird heute über

die Quantenphysik geführt. Einige Experimente beweisen, dass subatomare Partikel miteinander in Bezie-

hung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Aus der Beobachtung von Quanten (Lichtpartikel) ergeben

sich zwei Paradigmen:

„Der Beobachter beeinflusst das Beobachtete.“

„Wenn wir zwei Quantenpartikel an entgegengesetzte Orte des Universums bringen und ein Partikel sich

bewegt, antwortet der andere Partikel dementsprechend.“6

Dieses Wissen ist entscheidend für unsere Arbeit. Wenn wir als Practitioner den KlientInnen nicht aus einem

neutralen Zustand heraus begegnen, werden sie und ihr System auf unsere Anwesenheit reagieren und uns

nicht ihre eigenen Muster zeigen.

Wenn wir den heutigen biodynamischen Ansatz definieren wollen, müssten wir es wie folgt formulieren:

„In der craniosacralen Biodynamik treten wir kooperativ mit den Kräften, die dem Leben innewohnen, in

Kontakt. Wir unterstützen diese Kräfte in ihrem Vermögen, regulierend und korrigierend das Wohlergehen

der KlientInnen zu beeinflussen. So geschehen die nötige Neuorganisation und eine heilsame Balance von

innen her. Genauso wichtig ist die Wirkung von Stille, aus der heraus das menschliche System im Innersten

regenerieren und Kraft schöpfen kann.“

ICSB7

6 Tschumi Gemin, (2006), Arbeitsbuch Seminar 1, Seite 2.17 www.icsb.ch/de/biodynamik/biomechanik_biodynamik.php?navid=5

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3. Prinzipien der Biodynamik:

Das Neutral

Das Neutral kennt in der craniosacralen Biodynamik verschiedene Bedeutungen und zieht sich wie ein roter

Faden durch eine Sitzung. Es beginnt mit der neutralen Grundhaltung des Practitioners, der den KlientInnen

respektvoll, einfühlsam, achtsam und wertfrei begegnet.

Ein wichtiges Prinzip für den Beginn einer Sitzung ist laut Dr. Becker:

„Don’t start the treatment too early. Wait for the will of the patient to give way to the will

of primary respiration.“

„Fange die Sitzung nicht zu früh an. Warte bis sich der Wille des Patienten dem Willen der

primären Respiration ergibt.“ 8

1. Das Practitioner Neutral

Ein stabiles Practitioner Neutral ist sowohl für den Practitioner als auch für KlientInnen ein absolut wich-

tiges Fundament einer Sitzung. Der Practitioner lernt, wie er mit Hilfe verschiedener anatomischer Gege-

benheiten (z.B. der Wirbelsäule oder Mittellinie, des Sinus rectus, des dritten Ventrikels) und seiner eigenen

Körperwahrnehmung einen neutralen Boden schafft, um mit KlientInnen in Kontakt zu treten. Dies ist wäh-

rend der gesamten Sitzung für beide eine wichtige Orientierungshilfe, schafft klare und gesunde Grenzen

und unterstützt die objektive Beobachtung.

2. Das Neutral in der therapeutischen Beziehung

Sobald der Practitioner diesen neutralen Boden geschaffen hat, kann er mit entsprechender Klarheit, unvor-

eingenommen und offen auf KlientInnen zugehen und in (Hand-)Kontakt kommen. Die Neutralität seitens

des Practitioners ist eine wichtige Voraussetzung für das Neutral der KlientInnen. Der Alltag der Menschen

8 Tschumi Gemin, (2006), Arbeitsbuch Seminar 2, Seite 7.1

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ist oftmals nach aussen gerichtet, sodass sie etwas Zeit und Raum brauchen, um sich wieder zu sich selber

orientieren zu können. Erst dann wird die primäre Respiration anfangen, sich zu zeigen.

3. Das Neutral der KlientInnen – der holistic shift

In dem Moment, wo sich das System der KlientInnen setzen kann, geschieht ein Prozess: es erinnert sich an

seine Ganzheit. Die vermeintlich einzelnen Bruchstücke werden wieder eine Einheit und es kann eine ganz-

heitliche, systemische Wende zum Gesunden hin geschehen. Die Practitioner können in dem Moment eine

Klärung der primären Respiration und einen veränderten Ausdruck der Potency wahrnehmen. Gleichzeitig

sagt dieser Moment etwas über die innere Spannkraft des Systems und über vorhandene Ressourcen aus.

Dies ist der entscheidende Ausgangspunkt für den weiteren Verlauf einer Sitzung.

An dieser Stelle möchte ich nochmals auf den von Dr. Becker geprägten Begriff Zustand der Balance einge-

hen. Zeigt sich uns nach dem holistic shift ein Muster, d.h. Körperstrukturen bewegen sich nicht anhand der

embryonal angelegten Bewegungsmuster, ist es naheliegend, dass dort durch äussere Einflüsse verursacht

(z.B. durch einen Unfall) biokinetische Kräfte gehalten werden. Bildlich gesehen kann man das Fascienge-

flecht mit einem grossen und stabilen Spinnennetz vergleichen. Wird dort an einem Punkt ein Haken ver-

dreht eingesetzt, hat das weitreichende Auswirkungen. Die entstehende Spannung wird in der Physik mit

Vektorkräften gemessen. Möglich wäre, den Haken direkt zu entfernen (das machen die Biomechaniker),

oder man verhilft dem ganzen Gewebe eine neutrale Position dem Haken gegenüber zu finden. Dann wird

er von alleine aus dem Netz fallen. Mit diesem Ansatz arbeitet die craniosacrale Biodynamik.

Dr. Becker beschreibt diesen Prozess, also den Zustand der Balance in drei Schritten:

1. Das System sucht ein Neutral in seinem Muster

2. Das System setzt sich in Neutral und etwas wird geschehen

3. Das System reorganisiert sich.

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Sobald die Practitioner in dem Moment ihre Wahrnehmung zum gesamten System und der Biosphäre öffnen

und sich nicht nur auf das Neutral innerhalb des Musters konzentrieren, wird ein systemisches Neutral und

somit auch ein systemischer Prozess ermöglicht.Danach findet die natürliche und wichtige Reorganisation

und Integration statt. Die Strukturen können sich wieder an ihrer originalen Matrix orientieren.

Die Mittellinien

Um die Bedeutung der Mittellinien und deren Kräfte

zu verstehen, müssen wir einen ersten Blick auf die

embryonale Entwicklung werfen:

• Konzeptus: Eizelle und Spermium treffen aufein-

ander und kreieren eine einzigartige Polarität.

Dadurch kann ein erstes longitudinales Fulcrum

(eine Achse, ein Dreh- und Angelpunkt) gebildet

werden. Das organisierende Element im Kern die-

ses Fulcrums ist die Stille (wie im Auge eines

Hurrikans).

• Quantenmittellinie (Zustand von Stille und Licht):

Sie entsteht aus dem longitudinalen Fulcrum und

bildet das Zentrum der Mittellinienorganisation. Sie

beherbergt die originale und unversehrte Matrix

eines jeden Menschen und bildet eine Kohärenz zur

primären Respiration.

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• Primitivstreifen: Am 14. Tag wird er durch eine Ver-

änderung und Migration der Zellen sichtbar. Er ist

die erste Organisation, der den undifferenzierten

Zellen Orientierung gibt. Später bildet er sich zu-

rück und er ist nur noch im Bereich des Sacrum/

Coccyx zu finden.

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• primäre Mittellinie: die Chorda dorsalis, ein Pro-

zess des Mesoderms in der 3. Woche. Um die Quan-

tenmittellinie mit dem Primitivstreifen organisiert

sich diese primäre Mittellinie, die später die Wir-

belkörper formt. Der Verlauf geht von der Coccyx

über Sacrum, Wirbelkörper, Occiput und Sphenoid

hinauf zum Ethmoid. Das Sphenobasilargelenk (SBG)

und die Schädelbasis sind somit wesentliche Aspekte.

• Flüssigkeitsmittellinie: in der 3. oder anfangs

4. Woche rollt sich das Ektoderm ein, wodurch die

Neuralröhre und später die Duralröhre, das Rücken-

mark, entsteht. Die klare Flüssigkeit des Amnions

wird hier mit eingeschlossen und ist mit dem spä-

teren Liquor vergleichbar. In dem Moment entsteht

auch die erste Bewegung im ‚Liquor’. Anatomisch ge-

sehen liegt die Flüssigkeitsmittellinie im Vergleich

zur primären Mittellinie dorsal. Ihr Verlauf geht von

der Mitte des Sacrums über das Rückenmark zu den

Ventrikeln. Auch der Sinus rectus und die Falx ge-

hören dazu.

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Bei der primären Mittellinie kann man die primäre Respiration eher orientierend, zentrierend, aufsteigend,

tief, hell und voller Vitalität wahrnehmen; bei der Flüssigkeitsmittellinie sind es longitudinale Fluktuatio-

nen, die sich eher weich, geschmeidig und fliessend ausdrücken.

Durch diese ursprüngliche Veranlagung und Zentrierung orientieren sich sämtliche Strukturen des Körpers

an diesen Mittellinien. Daher gibt dieser Aspekt den Practitionern eine weitere wichtige Indikation in der

Evaluation, und auch während einer Sitzung in der Reorganisationsphase von Beckers drei Schritten.

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4. Primäre Respiration – Rhythmen und Wahrnehmungsebenen

Die Forschungen von Dr. R. Becker, Dr. J. Jealous und Franklyn Sills zeigen, dass die primäre Respiration, um

sich auszudrücken, verschiedene Rhythmen und Wahrnehmungsebenen kennt. Welche sich zeigt, hängt von

den Fertigkeiten des Practitioners und den KlientInnen bzw. deren Systems ab. Der wohl bekannteste ist der

Cranial Rhythmic Impulse(CRI), mit dem auch heute noch viele Osteopathen und Craniosacral Therapeuten

arbeiten. Er spricht hauptsächlich die Ebene des Somas und des autonomen Nervensystems (ANS) an. Daher

kann diese Arbeit teilweise sehr aktivierend und schlimmstenfalls auch retraumatisierend für das ANS sein.

Die craniosacrale Biodynamik konzentriert sich auf die darunter liegenden Ebenen wie Mid Tide, Long Tide

und die dynamische Stille.

Mid Tide

Die Mid Tide wurde erstmals von Dr. J. Jealous beschrieben. Sie orientiert sich um die dorsal liegende Flüs-

sigkeitsmittellinie (spinaler Liquorraum). Der Zyklus liegt zwischen 10 bis 30 Sekunden Inhalation und 10

bis 30 Sekunden Exhalation, also 1 bis 3 Zyklen pro Minute. Da wir mit unserer Aufmerksamkeit bei den

Flüssigkeiten sind, ist der Handkontakt wie in Wasser eingetaucht und schwebend, unsere Wahrnehmung

liegt jedoch bei der ganzen Person und deren Biosphäre (Biosphäre: laut Dr. Becker die Gesamtheit von

Körper und Energiefeld). Die primäre Respiration (PR) zeigt sich mit ihrer Potency als longitudinale Fluktua-

tion. Laterale Fluktuationen sind ein Zeichen inerter Potency und dienen als Indiz in der Evaluation. Weitere

Indizien, die wir zu Beginn durch die Mid Tide bekommen können sind:

• Vitalität und Potency

• Flüssigkeitsantrieb

• Motilität und Mobilität

• Qualität der PR: - Grösse und Amplitude

- Tempo (Frequenz).

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Aus diesem Befund ist der sog. inhärente Behandlungsplan ersichtlich, der uns anzeigt, wo wir spezifischer

arbeiten werden. Dies stimmt nicht zwingend mit dem Ort der Symptome überein. Über die Fluktuation der

Flüssigkeiten können wir sowohl die innewohnende Potency, als auch die äusserlich erworbenen biokineti-

schen Kräfte wahrnehmen. Sobald wir beides neutral zueinander halten können, geschieht eine Auflösung

des Musters. Der therapeutische Ansatz ist somit der von Dr. Becker geprägte Zustand der Balance (siehe

Seite 12). Die Strukturen und Gewebe können sich anschliessend wieder an ihrer originalen Matrix orientie-

ren und sich neu organisieren.

Long Tide

Die Long Tide wurde erstmals von Dr. Becker beschrieben. Sie ist der tiefste, innerste und langsamste Rhyth-

mus im System, bei welchem wir mit dem direkten Ausdruck der originalen Matrix, des ursprünglichen Seins,

in Kontakt kommen und quasi mit der Potency verbunden sind. Sie orientiert sich um die primäre Mittellinie,

die der Notochorda eines Embryos entspricht und bei Erwachsenen die Wirbelkörper darstellt. Der Zyklus

kann bis zu 100 Sekunden Inhalation und 100 Sekunden Exhalation in Anspruch nehmen. Daher brauchen

die Practitioner bei der Arbeit mit der Long Tide einen sehr stillen und rezeptiven Geist mit einem sehr

weit ausgedehnten Wahrnehmungsfeld. Es ist eine Rückkehr zur Ganzheit und Einheit, sodass wir erlebte

Geschichte, Schock und Trauma auf dieser Ebene nicht finden werden. Man arbeitet nicht mit spezifischen

Strukturen oder Geweben, sondern es geschieht eine systemische Wandlung und Orientierung zum Gesun-

den. Somit ist die Arbeit mit der Long Tide bei chronischen Erkrankungen wie z.B. Rheuma, rheumatoide

Arthritis, chron. Schmerzen, Asthma und bei posttraumatischer Belastungsstörung sehr unterstützend. Auch

Personen mit ADHS und Autismus erfahren durch die Long Tide Erleichterung.

Neueste Erkenntnisse zeigen, dass das System neu gezündet wird. Da der 3. Ventrikel im Zentrum liegt und

beide Hirnhemisphären, das limbische System mit Amygdala und Hypothalamus, Epiphyse und Hypophyse

in unmittelbarer Nachbarschaft liegen, findet somit auch eine Regulierung des Neuro-, Endokrin-, Immun-,

und Perzeptionssystems statt.

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Die dynamische Stille

Unter der Long Tide gibt es noch eine Ebene. Sie ist wohl das eigenwilligste, kostbarste und gleichzeitig

auch faszinierendste Phänomen in der craniosacralen Biodynamik. Es ist ein ehrfürchtiger Moment, wenn

ein System für einen Moment in den Raum, aus dem alles Leben entsteht, zurückgeht. Embryologisch ist

diese Ebene mit dem organisierenden Element in dem longitudinalen Fulcrum vergleichbar: der Stille. Es ist

die innerste Natur unseres gesamten Wesens; es ist der Moment, wo Leben kreiert wird und sich unberührt

entfalten kann. Dort entsteht erstmals die primäre Respiration und als erster Rhythmus die Long Tide.

Gelangen wir bei unserer Arbeit auf diese Ebene, kann das System Kraft schöpfen, sich selber ressourcieren,

sozusagen die Batterien wieder aufladen. Als Folge davon wird es mehr Potency im System geben und somit

ist es ein systemischer Prozess der Potenzierung.

Grundsätzlich kann ein System in jeder Situation auf die Ebene der Stille kommen, wir können es als Practi-

tioner auch respektvoll einladen. Dabei wird differenziert, ob ein System nach der Exhalation oder nach der

Inhalation in die Stille kommen kann.

Wenn ein System nach der Exhalation in die Stille kommt, ist es hilfreich:

• bei Beginn einer Sitzung, um Potency zu bilden,

• bei überaktiven und hyperaktivierten Zuständen,

• bei ausgelaugten, erschöpften, schwachen und stagnierten Systemen,

• zur Integration am Ende einer Sitzung.

Wenn ein System nach der Inhalation in die Stille kommt, ist es hilfreich bei:

• hypoaktiven Zuständen

• Zuständen von Erstarrung, Eingefroren- und Gelähmtsein, also bei geschockten

Systemen

• dissoziativen Zuständen

• nicht ausgedrückten Ressourcen

• Abschluss einer Sitzung als Integration.

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Wir kennen klassische Handpositionen - wie z.B. den CV4 oder EV4 – bei denen wir mit dem 4. Ventrikel und

dem direkten Zugang zur Cisterna magna arbeiten. Grundsätzlich können wir die dynamische Stille aber in

jeder Handposition erleben, sofern sich das System der KlientInnen darauf einlässt. Sind die oben beschrie-

benen Gegebenheiten sehr weit fortgeschritten, ist es sehr gut möglich, dass der Zugang zur dynamischen

Stille vorübergehend nicht gewährt ist. Dies ist ein weiteres Indiz für die Evaluation.

Franklyn Sills sagt:

„Healing happens in stillness, not in movement.“

„Heilung geschieht in der Stille, nicht in Bewegung.“ 9

9 Tschumi Gemin, (2006), Arbeitsbuch Seminar 2, Seite 6.1

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5. Embryologie – 3 Zündungsprozesse

Bei dem Thema Mittellinien wurde die Embryologie bereits ein erstes Mal gestreift. Nun zu einem weiteren

wichtigen embryologischen Aspekt in der craniosacralen Biodynamik: die Zündungsprozesse.

Dr. Becker sagt:

„Komplizierte, leblose Maschinerie – wie in einem Auto oder einer Spülmaschine – braucht

einen Funken in ihren Systemen, damit sie startet und läuft. Biologische Systeme haben seit

Jahrtausenden einen Funken und ein Bioenergie-System in ihre Mechanismen eingebaut.

Dies ist keine esoterische oder religiöse Fantasie; es ist eine einfache, bioenergetische, phy-

siologische Tatsache.“ 10

10 Rollin Becker (2007), Leben in Bewegung & Stille des Lebens, Seite I-105

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Franklyn Sills ist dieser Aussage bei seinen Forschungsarbeiten gefolgt und beschreibt die Zündung von

Potency als Prozess der Verkörperlichung und somit als eine Transmutation von Potency in Flüssigkeiten und

Gewebe.

Drei primäre Zündungsprozesse sind der Ursprung unseres Seins:

1. Die Konzeptionszündung – Urgrund des Seins

Zwei Polaritäten treffen aufeinander und es findet eine erste Potenzierung von Flüssigkeiten im Feld statt.

Der 3. Ventrikel ist das Zentrum dieser Zündung.

2. Die Herzzündung – Das Wesen entsteht in seinem Sein.

In der 4. bis 5. Woche formt sich das Herzzentrum an oberster Stelle und der lebensnotwendige Herzschlag

beginnt. Der Embryo rollt sich zum ersten Mal ein. Sobald sich das Urherz mit der Mittellinie verbindet, wird

das in Sich-Sein durch eine bestimmte Qualität und ein Aufleuchten der Potency verkörpert. Die Seele und

der Geist verkörperlichen sich mehr mit dem Wesen. Die Herzgegend ist das Zentrum dieser Zündung. Dieses

ungeborene Wesen geniesst bis zur Geburt die Tiefen der Long Tide.

3. Die Geburtszündung – Die erste Abnabelung

Beim ersten Atemzug des Neugeborenen findet neben der grossen physiologischen Umstellung auch eine

Potenzierung des Liquors im 3. Ventrikel statt. Die Nabelgegend ist das Zentrum dieser Zündung, steht

jedoch in direkter Verbindung zum 3. Ventrikel. Daher ist das zeitgerechte Abnabeln und erste Stillen ein

wesentlicher und unterstützender Faktor dieses Prozesses, der mit „empowerment“ (mit Bestärkung und Be-

kräftigung von eigener Kraft und eigenem Sein) zu tun hat. Anders gesagt ‚das Feuer für den Lebensprozess

wird angezündet.’

Durch prä- und perinatale Erlebnisse könnten diese lebenswichtigen Zündungsprozesse gedämpft worden

sein. In der craniosacralen Biodynamik, genauer gesagt in der Arbeit mit der Long Tide, gibt es wertvolle

Möglichkeiten, mit diesen Zündungen zu arbeiten.

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6. Die Anatomie des Cranium

Das Neurocranium

In diesem Kapitel möchte ich auf die embryologisch-anatomisch wichtigen Besonderheiten des Craniums für

die Arbeit mit der craniosacralen Biodynamik eingehen.

Os occipitale

Embryologisch gesehen besteht der Occiput aus seinen vier Anteilen: Pars squamosa, Pars condylaris (2)

und Pars basilaris, die zwischen dem 4. und 8. Lebensjahr miteinander verwachsen. Bei der Geburt können

verschiedene äussere Kräfte auf das Occiput einwirken:

- die Squama oder die Kondylen werden rechts/links rotiert

- die Kondylen erfahren eine mediale Kompression

- alle Strukturen werden wie ein Teleskop ineinander geschoben

Knochen von Neuro- (grau) und

Viszerocranium (orange)

Ansicht von links. Der Schädel

bildet eine Knochenkapsel um

Gehirn, Sinnesorgane und

Kopfeingeweide.

Das Überwachsen des Neuro-

cranium (Hirnschädel) über das

Viszerocranium (Gesichtsschädel)

ist typisch für Primaten und eine

direkte Folge des Grössenwachs-

tums des Gehirns.

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Nicht jedes System kann sich selbständig von den Kräften der Geburtsdynamiken befreien, sondern sie wer-

den oftmals zentriert und aufrechterhalten. Während der langsamen Verknöcherung werden diese Kräfte als

intraossäre Kompressionen gespeichert.

In der craniosacralen Biodynamik können wir mit Hilfe der primären Respiration und dem direkten Behand-

lungsansatz die erforderliche Selbstkorrektur unterstützen und zum innewohnenden Bedürfnis nach dem

Gesunden zurückkehren.

Os sphenoidale

Sowohl das Sphenoid als auch der Occiput sind modifizierte Wirbel, die durch den obersten Teil der primä-

ren Mittellinie, der Notochorda geformt werden.

Das Sphenoid ist die am komplexesten aufgebaute knöcherne Struktur des menschlichen Körpers, die bei

der Geburt noch aus drei Teilen besteht. Diese verwachsen im 1. Lebensjahr, wobei nicht gelöste biokine-

tische Kräfte ebenfalls als intraossäre Muster gespeichert werden. Da die knöcherne Struktur nun in sich

gefangen ist, reagiert sie entsprechend unnatürlich in Beziehung zu anderen Strukturen, v.a. in der gelen-

kigen Verbindung (Synarthrose) zum Occiput (Sphenobasilargelenk = SBG). Bei einem Embryo und ebenso

bei Neugeborenen ist das SBG eine Symphyse, also ein weicherer Faserknorpel mit Bindegewebe als Knor-

pelscheibe. Mehr dazu beim Thema SBG (S. 30).

Os frontale

Die Sutura metopica (oder auch Sutura frontalis) zeigt deutlich, dass das Os frontale in seiner Veranlagung

zwei Kerne hat, die bis zum 7. Lebensjahr komplett verwachsen. Auch dort können intraossäre Muster ge-

speichert werden. Sobald dies der Fall ist, werden sich die beiden Hälften des Frontale mit der primären

Respiration nicht symmetrisch zur Mittellinie bewegen.

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Das Viscerocranium

Das Viscerocranium ist bei der Geburt im Vergleich zum Neurocranium wenig entwickelt. Es bildet die

Struktur unseres Gesichtes und entfaltet sich mit den Herausforderungen eines Säuglings: atmen, saugen,

schreien, schlucken, zahnen, lächeln, lautieren und sprechen lernen.

Besonders enge Verknüpfungen zum Neurocranium gibt es durch das Os frontale, Os sphenoidale (Orbita),

und das Os ethmoidale (die Lamina cribrosa gehört zum Neurocranium). Ihre Dynamiken müssen in einer

Sitzung immer mit einbezogen werden.

In der Medizin sind wohl die bekanntesten und offensichtlichsten Themen im Bereich des Viscerocraniums:

die Kieferorthopädie oder auch Fehlbildungen wie z.B. die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (Cheilognathopala-

toschisis). Mit der Arbeit der craniosacralen Biodynamik können wir die betroffenen Personen unterstützen.

Gerade wenn junge Mensche mehrmals operiert werden müssen, hinterlassen diese Eingriffe Spuren auf der

Ebene des Nervensystems als Aktivierung oder sogar Traumatisierung. Mit dem biodynamischen Ansatz und

der Arbeit der Long Tide gibt es ausgezeichnete Möglichkeiten, dem System wieder zur gesunden Ganzheit

und zur originalen Orientierung zu verhelfen.

Erste Untersuchungen in England zeigen sogar, dass eine regelmässige craniosacrale Arbeit mit Teenagern

die kieferorthopädische Behandlung mit Zahnspangen deutlich verkürzt oder sogar hinfällig werden lässt.

Auch längere Behandlungen beim Zahnarzt oder nächtliches Zähneknirschen haben einen wesentlichen

Einfluss auf das Viscerocranium. Dazu mehr beim Thema TMG (Temporomandibulargelenk) (S. 26).

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7. TMG – Articulatio temporomandibularis

Die Gelenkfläche des TMG ist, anders als bei den übrigen Gelenken im Körper, mit dichtem und robustem

Faserknorpel überzogen. Somit kann es sich besser regenerieren und remodellieren. Die Entstehung von

degenerativen arthritischen Veränderungen wird gebremst. Ein weiterer präventiver Faktor ist die direkt

unter dem Faserknorpel liegende Schicht von proliferativem Knorpel. Die knöchernen Anteile von Temporale

und Mandibula sind mit der grössten Anzahl Osteoblasten ausgestattet. Dies zeigt einerseits, wie gross die

mechanische Belastung ist und andererseits, wie robust und widerstandsfähig dieses Gelenk ist. Nicht zu

vergessen ist der Discus articularis zwischen Caput mandibulae und Fossa mandibularis, der an allen Seiten

mit der Kapsel verwachsen ist. Das TMG ist das Synovialgelenk im Cranium.

Die Bewegungsmöglichkeiten sind vielfältig. Nach Dr. A. C. Fonder befindet sich die Rotationsachse genau

am Dens Axis von C2. Demnach bewirkt eine dentale Malocclusion unmittelbar Distorsionen der Dura mater

und führt so zu Skoliosen und anderen Wirbelsäulenproblemen.

Fig. 1

The apex of the combined muscu-

lar control of the mandible in all

functioning movements is located

at the dens between the

atlas and axis cervical vertebrae.

Fig. 2

When the mouth opens the 136

muscles above and below the

mandible pivot the jaw at the

xy-axis. The condyle translates

forward and downward as the

mouth opens.

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Das vielfältige Bewegungspotenzial lässt sich in drei Hauptbewegungen zusammenfassen, die gewöhnlich

kombiniert auftreten:

1.) Öffnen und Schliessen um die Transversalachse

2.) Vor- und Zurückschieben längs der Sagittalachse

3.) Mahlbewegungen = Rotationsbewegungen um die Longitudinalachse

Damit entspricht das TMG einem funktionellen Kugelgelenk.

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Die Kaumuskulatur ist dementsprechend vernetzt und gehört zu einer der kräftigsten Muskulaturen im

Körper. Daher ist das TMG in seiner Balance stark vom Zustand der Muskulatur abhängig. Zu den grössten

Muskeln gehören: M. temporalis, M. masseter, M. pterygoideus lateralis und medialis. Motorisch werden sie

alle vom dritten Ast des N. trigeminus innerviert, der seinen Ursprung in den sensorischen und motorischen

Nuclei der Pons hat.

Schon allein durch die anatomischen Gegebenheiten kann das TMG von folgenden inerten Themen betrof-

fen sein:

• das Gleichgewicht der Ossa temporale (gepaarte Ossa temporale artikulieren mit der einen Mandibula)

• die Beziehung zum Tentorium und der reziproken Spannungsmembran, incl. Duralröhre

• die Beziehung zum SBG

• die Beziehung zu Gesichtsstrukturen wie Maxilla und harten Gaumen

• Muster des Bindegewebes (über Cervicalis und Hyoidstrukturen)

• die Kaumuskulatur

• die Beziehung zur Wirbelsäule

• alle transversen Faszienstrukturen (Diaphragmen)

• Hüfte und Hüftgelenke

• M. piriformis

• Knie und Fussgelenke

• alle Rotationsmuster (Pelvis, Schultergürtel, Duralröhre, SBG-Muster)

• Überreizung und Überaktivierung des N. trigeminus

• die Verbindung des Schambeins und des Schambeinbogens zu dem Bogen der Mandibula (die bei der

Geburt ebenfalls noch eine Symphyse hat).

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Daraus ergeben sich die Symptome vom sogenannten TMG-Syndrom:

• Schmerzen innerhalb des TMG, im Gesicht, ums Ohr herum, im Schädel, in der Kopfhaut; brennende

Schmerzen in Nase, Hals und Zunge, im Nacken und in der Cervicalgegend;

• TMG - Dysfunktionen wie mangelnde Mobilität, Klicken im Gelenk, Ödem;

• Tinnitus, Vertigo, Gehörverlust, Druck in den Ohren;

• Schmerzen oder Geräusche beim Öffnen oder Schliessen des Mundes und/oder beim Kauen;

• Zickzack-Bewegungen beim Öffnen oder Schliessen des Mundes, Malocclusion.

Eine Trigeminus-Neuralgie ist oft assoziiert mit TMG-Dysfunktionen. Jede Überreizung der Überlebenszen-

tren in der Pons feuert Impulse, die den N. trigeminus beeinflussen. Bei chronischer Stimulation folgen

chronische Auswirkungen auf das TMG.

In der Traumaarbeit wird im Zusammenhang mit diesen Überlebensmechanismen vom Flucht-Kampf-Me-

chanismus des ANS gesprochen. Auch der Orientierungs- und Verteidigungsmechanismus kommt hier ins

Spiel.

Das TMG ist bekannt dafür, dass es Wut, Ärger, Frustration, Entschiedenheit, Rückzug, Zusammenbruch oder

Aufgeben hält.

Bei diesen Zusammenhängen ist es wenig verwunderlich, dass einige Menschen nachts mit den Zähnen

knirschen. Die oftmals angepasste Schiene vom Zahnarzt kommt mir je nach Gesamtsituation ein bisschen

vor wie ein Pflaster auf der Blase am Fuss. Der Körper wird direkt davor geschützt, sich weiter zu verletzen,

aber die möglicherweise dahinter liegende Ursache bleibt unverändert.

Für die betroffenen Personen wäre es unterstützend und erleichternd, wenn sie parallel zu der Schienen-

versorgung auch eine funktionelle Nachbehandlung erfahren dürften. Das Potential in der craniosacralen

Biodynamik ist offensichtlich vielfältig und individuell.

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8. SBG – Sphenobasilargelenk

In der Literatur finden sich unterschiedliche Hinweise zur Entwicklung der embryologischen Symphyse zwi-

schen Occiput und Sphenoid. Die einen sprechen im Erwachsenenalter von einer Synchondrose, die sich

nach wie vor wie eine Symphyse verhält, andere sprechen von einer Synostose, einer durchgehend knöcher-

nen Struktur.

In der craniosacralen Biodynamik macht es jedoch keinen Unterschied, ob die eindeutig spürbare Bewegung

während der primären Respiration auf eine Sychondrose mit ‚echten’ Bewegungen oder eine Synostose mit

intraossären Bewegungen zurückgeführt werden kann.

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Das SBG ist ein wesentlicher Anhaltspunkt auf der strukturellen Ebene und ein Schlüssel für die Orientie-

rung des Practitioners. Entwicklungsphysiologisch gesehen liegt das SBG bekanntlich im obersten Abschnitt

der primären Mittellinie (Notochorda), wodurch sämtliche Mittellinien-Themen (Erfahrung und Geschichte)

in der Dynamik zwischen Occiput und Sphenoid gespiegelt werden. Das SBG ist gleichzeitig das wichtigste

Fulcrum für die Mittellinie und die Schädelknochen, es ist gleichsam das Herz der Schädelbasis.

Veränderungen in der Dynamik zwischen Occiput und Sphenoid haben dementsprechend weitreichende

Auswirkungen auf sämtliche Knochen sowie auf das Membransystem, vor allem auf:

• das Atlantooccipitalgelenk mit oberer HWS

• über die Ossa temporalia auf das TMG

• über die Dura mater auf Wirbelsäule, Sacrum, Becken, also auf die gesamte Statik!

• die Hypophyse in der Sella turcica

• den Hypothalamus etwas superior und posterior der Hypophyse

• den 3. Ventrikel

• den Verlauf vieler Hirnnerven

• die Arterien (A. carotis interna, A. ophtalmica) und Venen

• die Sinus cavernosi links und rechts der Sella turcica

• den Hirnstamm, der auf dem Pars basilaris des Occiput ruht.

Abweichend von der gesunden und normalen Extensions- und Flexionsrotation werden physiologische und

nicht-physiologische Muster unterschieden. Sämtliche Muster der Schädelbasis sind Manifestationen von

ungelösten biokinetischen Kräften. Die drei physiologischen Muster: Flexions- oder Extensionsmuster; Tor-

sionsmuster; und Sidebending-Rotationsmuster sind innerhalb der Physiologie ‚erlaubt’. Gemeint ist, dass

die Menschen sie eigentlich gut kompensieren können und im Alltag nicht mit gravierenden Auswirkungen

zu kämpfen haben. Der Ursprung liegt in der Regel ausserhalb des Craniums. Es wird z.B. vom SBG ein

Beckenschiefstand und/oder eine Skoliose gespiegelt und für die weiterlaufende Bewegung ins Cranium

kompensiert.

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Anders die drei nicht-physiologischen Muster: laterale Verschiebung rechts/links; vertikale Verschiebung

superior/inferior; Kompression. Sie haben durch meist prä- und perinatale direkte und massive äussere

Kräfteeinwirkung auf das Cranium ihren Ursprung im Cranium. Sie können teils verheerende Auswirkun-

gen auf die Lebensqualität oder sogar Lebensfähigkeit der betreffenden Menschen haben, da sie starke

Verzerrungen und Stress innerhalb der Bewegungen der reziproken Spannungsmembrane kreieren und der

natürlichen Inhalation und Exhalation grossen Widerstand entgegenbringen. Die Kräfte dieser Verschie-

bungs- und Scherungsmuster agieren auf das ganze Cranium und forcieren das ganze Spannungsgewebe in

eine Verzerrung.

Da diese Muster traumatischen Ursprungs sind, ist es besonders wichtig, ihnen mit grosser Achtsamkeit zu

begegnen. In der craniosacralen Biodynamik wird im Hier und Jetzt auf der körperlichen Ebene und mit den

entsprechenden Reaktionen gearbeitet.

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9. Fallbeispiel – VKB-Ruptur

Patientin: weiblich, Jahrgang 1963, sehr sportlich, gut trainierter AZ

Februar 08: Sturz beim Skifahren ➔ sie stand auf und fuhr selber zur Talstation

Diagnose: VKB – Ruptur + mediale Seitenbandruptur links

Klinische Angaben: F/E 110°/10°/-

Ödem, einschiessende Schmerzen

➔ Beginn mit physiotherapeutischer Nachbehandlung (meistens durch Kollegin)

April 08: Operation: Arthroskopisch assistierte VKB Plastik mit Semitendinosus- und Grazilissehne

(proximal Endobutton, distal Intrafix). Glätten von Knorpelschäden

Operationsdiagnose: VKB-Ruptur des linken Knies, Knorpelschaden Grad II-III des medialen Condylus,

partielle Ruptur des medialen und lateralen Meniskus im Hinterhornbereich.

Status post-op.: F/E 60°/0°/0°

Ödem in normalem Ausmass

Starke Schmerzen

➔ Beginn mit physiotherapeutischer Nachbehandlung (Kollegin)

4. post-op Woche: F/E 95°/5°/-

8. post-op Woche: F/E 125°/0°/0°

Die Patientin beschrieb stets starke und limitierende Schmerzen medial.

5 Monate post-op: F/E 140°/0°/0°

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Die Patientin hatte, trotz kontinuierlicher physiotherapeutischer Nachbehandlung, persistierende Schmer-

zen medial. Sie hat zwar ihren Arbeitsalltag (eingeschränkt) bestreiten können, sportliche Aktivitäten waren

jedoch unmöglich. Auch die Gelenkbeweglichkeit war schmerzbedingt etwas rückläufig (F 120°). Dadurch

fehlte der Patientin jeglicher Ausgleich zum Beruf und die geliebten sportlichen Aktivitäten im Freundes-

kreis schienen Geschichte zu sein. Eine gänzlich unbefriedigende Situation! Daher plante der orthopädische

Chirurg im August 2009 erneut eine Arthroskopie. Er hatte mich freundlicherweise eingeladen, um bei die-

sem Eingriff zuschauen zu können.

Präoperativ übernahm ich die weitere Nachbehandlung, da die Kollegin in den Mutterschaftsurlaub ging.

Begleitend zur Physiotherapie haben wir mit den ersten Craniositzungen am Knie begonnen. Das Gewebe

war sehr dicht und zäh, die Patella wie angewachsen. Mir kam es vor, als ob man versucht, ein altes aus-

getrocknetes Kaugummi auseinander zu ziehen (mit den entsprechenden zähen weissen Fäden). Dazu kam,

dass die Patientin von ihrer inneren Körperwahrnehmung her das verunfallte Bein völlig ‚links liegen’ gelas-

sen hatte. Das erklärte mir auch, weshalb sie beim Gehen nicht ihre volle Beweglichkeit umsetzen konnte.

Sie hinkte, als ob sie ein ‚Holzbein’ hätte.

August 09: Operation:

1. Arthroskopie des linken Knies

2. ausgedehnte Synovektomie peripatellär und im Hoffa’schen Fettkörper

3. Glätten von Knorpelschäden des medialen Condylus und der Patella

4. mediale Teilmeniskektomie.

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Ein Ausschnitt aus dem OP – Bericht:

„Rezessus suprapatellaris: vollständig verklebt mit chronischer Synovitis;

Femoropatellargelenk: Knorpelschäden Grad II der zentralen Patella, Grad III der medialen proximalen Con-

dylusfläche. Ausgedehnte Narben und Strangbildung peripatellär, die Patella ist teilweise mit chronischem

Bindegewebe überwachsen.

Mediales Kompartiment: Meniskushinterhornläsion von 4mm;

Zentralpfeiler: ausgedehnte Verklebungen des Hoffa’schen Fettkörpers, der von einem chronischen Binde-

gewebe überwachsen ist;

Laterales Kompartiment: Meniskus schön, Knorpel Tibiaplateau und Condylus schön. Seitliche Rezessi mit

Synovitis ausgefüllt.“

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Der Operateur sprach von morphologischen Veränderungen wie bei einem Morbus Sudeck. Kein Wunder

hatte die Patientin Schmerzen und war in ihrer Beweglichkeit gebremst.

Neben dem sofortigen Beginn mit physiotherapeutischer Arbeit wie Gelenksmobilisation, Lymphdrainage,

Querfriktionen, Kräftigungs-, Belastungs- und Beinachsentraining haben wir immer wieder begleitend mit

craniosacraler Biodynamik gearbeitet.

Post-operativ haben wir während eines Jahres 30 Physiotherapiebehandlungen und 8 Craniositzungen

durchgeführt.

Das Ergebnis war:

• F/E 145°/0°/0°

• normales Gangbild

• keine Einschränkungen im (Arbeits-)Alltag

• Freizeitsport (z.B. biken) wieder machbar (allerdings nicht im gleichen Ausmass wie vor dem Unfall)

• sogar Variationen von Schneidersitz und Fersensitz möglich

• belastungsabhängige Schmerzen (erträglich), durch den Knorpelschaden wahrscheinlich bleibend.

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Es war eindrücklich zu beobachten, wie wichtig für die Patientin die Unterstützung von beiden Seiten (Phy-

siotherapie und craniosacrale Biodynamik) war.

Physiotherapie: Gelenksmobilisation, manuelles Lösen und Lockern des Gewebes, Instruktion und Heranfüh-

ren an sportliche Belastungsfähigkeit, Erstellen eines Heimprogramms.

Craniosacrale Biodynamik: Körperwahrnehmung, mentales Verarbeiten des Unfalls und vor allem der Folgen

(für sie brach teilweise eine Welt zusammen, da nichts mehr von dem funktionierte, was sie doch so liebend

gern gemacht hatte), Ressourcen aktivieren, aktiviertes ANS ausgleichen, mit Hilfe der primären Respiration

Wundheilung und Vernarbung des massiv verletzen Gewebes unterstützen.

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10. Schlusswort

Wie an diesem Fallbeispiel wunderbar ersichtlich ist: ein einfacher, täglich vorkommender Skiunfall kann

plötzlich den gesamten Alltag eines Menschen verändern. Zum Glück gibt es heute vielfältige Möglich-

keiten in der Medizin, diese Verletzungen zu diagnostizieren und entsprechend chirurgisch zu versorgen!

Die Physiotherapie ist mittlerweile etabliert, und es gibt orthopädische Chirurgen, die der korrekten phy-

siotherapeutischen Nachbehandlung einen Drittel des Behandlungserfolgs zugestehen. Die craniosacrale

Biodynamik beherbergt ganz offensichtlich noch weitere, wichtige und wesentliche Werkzeuge, die eine

funktionelle Nachbehandlung – sei es nach einem Unfall, nach einer schweren Erkrankung, oder sei es ‚ein-

fach’ nur Kopfweh – ergänzen.

Es würde mich sehr freuen, wenn ich Ihnen ein Grundverständnis der craniosacralen Biodynamik vermitteln

konnte. Für mich war es eine spannende Herausforderung, aus einem so weitreichenden Gebiet mit noch

grossem Entwicklungspotenzial das Wesentliche herauszufiltern.

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bedanken bei:

• Daniela Fischer – eine wunderbare Freundin und Kollegin

• Jolanda Sattler – eine grossartige Assistentin während der Ausbildung

• der Klientin für ihre Erlaubnis, in diesem Rahmen zu berichten

• Dr. med. Thomas Henkel für die Einladung zur Operation und die Bilder, die er mir freundlicherweise

zur Verfügung gestellt hat

• Dr. med. Christina Balser für ihr Feedback und ihre wertvolle Unterstützung

• Tarcisius Schelbert für seine achtsame Textgärtnerei

• Bruno Imfeld für seine einzigartige gestalterische Arbeit und Geduld

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Quellenverzeichnis

• Diplomarbeit der Ausbildung zur Biodynamischen Craniosacral Therapeutin: Margot Fercher,

Daniela Andres (Juni 2008). Die Hände als Fenster zum Ganzen.

• www.icsb.ch

• www.craniosacralebiodynamic.de

• www.biodynamische-osteopathie.com

• www.jamesjealous.com

• www.karuna-institute.co.uk

Bildnachweis

• Seite 4: www.osteohome.com/SubPages/Still.html (Bild Dr. Still)

• Seite 6: www.osteohome.com/SubPages/wgs.html (Bild Dr. Sutherland)

• Seite 7: http://stillnesspress.com/dr_becker.html (Bild Dr. Becker)

• Seite 8: www.upledger.de (Bild Dr. Upledger)

• Seite 9: www.biodynamische-osteopathie.com/dozenten.html (Bild James Jealous)

• Seite 13: Moore, Keith L. u.a. (2007): Embryologie S. 40

• Seite 14: Moore, Keith L. u.a. (2007): Embryologie S. 72

• Seite 15: Moore, Keith L. u.a. (2007): Embryologie S. 76/78

• Seite 20: www.biodynamic-craniosacral.org/franklyn_sills (Bild Franklyn Sills)

• Seite 21: www.craniosacrale-biodynamik.de/ignition.htm (Bild Embryo)

• Seite 23: Schünke, M. u.a. (2006) Prometheus: Kopf- und Neuroanatomie, S. 3

• Seite 26: www.holisticdentist.com/pdf/ddsquantified-fonder.pdf (Bild Rotationsachse TMG)

• Seite 27: Schünke, M. u.a. (2006) Prometheus: Kopf- und Neuroanatomie, S. 33

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Literaturliste

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• Becker, Rollin (2007). Leben in Bewegung & Stille des Leben. Pähl. Jolandos Verlag

• Handoll, Nicholas (2009). Die Anatomie der Potency. Pähl. Jolandos Verlag

• Lipton, Bruce (2009). Intelligente Zellen. Burgrain. KOHA-Verlag

• Löwe, Ramraj Ulrich (2006). Craniosacrale Heilkunst. J. Kamphausen, Aurum Verlag

• Moore, Keith L. / Vidhya, T./ Persaud, N. (2007). Embryologie. München, Urban & Fischer Verlag

• Netter, Frank H (2000). Atlas der Anatomie des Menschen. Stuttgart. Georg Thieme Verlag

• Schünke, M. / Schulte, E. / Schumacher, U. / u.a. (2006) Prometheus: Kopf- und Neuroanatomie.

Stuttgart. Georg Thieme Verlag

• Tschumi Gemin, Bhadrena und Kavi (2006). Arbeitsbücher der craniosacralen Grundausbildung

von Seminar eins bis sieben. Bremgarten. ICSB, International Institute for Craniosacral Balancing®

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F o r t s c h r i t t f ü r S c h r i t t

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