doc - berner-aerzte.ch · Christian Gubler Vizepräsident Ärztegesellschaft des Kantons Bern...

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«Wir neigen dazu, neuen Situationen mit Reorganisation zu begegnen. Dies kann eine glänzende Methode sein, die Illusion von Fortschritt zu schaffen, wäh- rend Verwirrung, Wirkungslosigkeit und Demoralisierung produziert werden.» Diese Worte stammen vom römischen Politiker Petronius Arbiter aus dem Jahr 20 vor Christus. Haben wir gesundheitspolitische Lehren aus dieser Weisheit gezogen? Gewisse Zweifel kommen mir auf, wenn ich die folgende Liste sehe: FMH, KKA, VBH, FmCH, BBV, SGC, MTK, VVG, KVG, OKP... Im Gesundheitskarussell, der Name für diesen Bazar scheint mir recht zutreffend, sind wir Ärztinnen und Ärzte ja eigentlich die Hauptakteure. Doch wir haben Überblick und Kontrolle längst verloren. Über uns wird verfügt, verordnet, reglementiert. Wer trägt Schuld an der gegenwärtigen Situation? Ist sie hausgemacht oder das Resultat externer Einflüsse? Beides. Zum einen schwindet die Solidarität unter uns Doktores. Wir treten immer weniger geeint auf, sprechen nicht mehr mit einer standespoli- tischen Stimme. So fragen Spitalärzte nach dem Sinn einer Kantonalen Ärzte- gesellschaft. Soweit sind wir schon! Zum anderen bricht bereits die nächste gesundheitspolitische Reorganisations- welle über uns herein: DRG. Von Politik und vielen Kassen als Allerheilmittel gepriesen, werden in den kommenden Jahren Fallpauschalen im ganzen Land eingeführt. Dabei wäre der Blick über die Landesgrenzen erhellend. Wir könnten gar aus negativen Erfahrungen von anderen Staaten lernen. Nichts von alledem: Swiss DRG wird kommen und die bürokratischen Strukturen unseres Gesund- heitssystems zusätzlich aufblähen: Ein weitere Illusion von Fortschritt – was würde wohl Petronius zu all dem sagen? In diesem Sinne: Auf geht’s zu den DRG! Christian Gubler Vizepräsident Ärztegesellschaft des Kantons Bern doc.be ÆRZTEGESELLSCHAFT DES KANTONS BERN SOCIETE DES MEDECINS DU CANTON DE BERNE Nr. 3 / Juni 2010 www.berner-aerzte.ch Themen dieser Ausgabe: Der Ombudsmann der BEKAG stellt sich vor 2 Kantonales Aktionsprogramm Ernährung/Bewegung 3 Die ärztliche Notfallversorgung in Thun und Umgebung 5 Gefangen im Alltag 6 Zurück auf Feld 1? 8 Die Zukunft ist auch nicht mehr, was sie einmal war! 9 Leserbrief zu Wirtschaft- lichkeitsverfahren 12 Vorstand der Ärztegesellschaft des Kantons Bern 2010 14 Die Illusion von Fortschritt

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«Wir neigen dazu, neuen Situationen mit Reorganisation zu begegnen. Dieskann eine glänzende Methode sein, die Illusion von Fortschritt zu schaffen, wäh-rend Verwirrung, Wirkungslosigkeit und Demoralisierung produziert werden.»Diese Worte stammen vom römischen Politiker Petronius Arbiter aus dem Jahr20 vor Christus. Haben wir gesundheitspolitische Lehren aus dieser Weisheitgezogen?

Gewisse Zweifel kommen mir auf, wenn ich die folgende Liste sehe: FMH, KKA,VBH, FmCH, BBV, SGC, MTK, VVG, KVG, OKP... Im Gesundheitskarussell, derName für diesen Bazar scheint mir recht zutreffend, sind wir Ärztinnen und Ärzteja eigentlich die Hauptakteure. Doch wir haben Überblick und Kontrolle längstverloren. Über uns wird verfügt, verordnet, reglementiert. Wer trägt Schuld ander gegenwärtigen Situation? Ist sie hausgemacht oder das Resultat externerEinflüsse? Beides. Zum einen schwindet die Solidarität unter uns Doktores. Wirtreten immer weniger geeint auf, sprechen nicht mehr mit einer standespoli -tischen Stimme. So fragen Spitalärzte nach dem Sinn einer Kantonalen Ärzte-gesellschaft. Soweit sind wir schon!

Zum anderen bricht bereits die nächste gesundheitspolitische Reorganisations-welle über uns herein: DRG. Von Politik und vielen Kassen als Allerheilmittelgepriesen, werden in den kommenden Jahren Fallpauschalen im ganzen Landeingeführt. Dabei wäre der Blick über die Landesgrenzen erhellend. Wir könntengar aus negativen Erfahrungen von anderen Staaten lernen. Nichts von alledem:Swiss DRG wird kommen und die bürokratischen Strukturen unseres Gesund-heitssystems zusätzlich aufblähen: Ein weitere Illusion von Fortschritt – waswürde wohl Petronius zu all dem sagen?

In diesem Sinne: Auf geht’s zu den DRG!

Christian GublerVizepräsident Ärztegesellschaft des Kantons Bern

doc.beÆRZTEGESELLSCHAFTDES KANTONS BERNSOCIETE DES MEDECINSDU CANTON DE BERNE

Nr. 3 / Juni 2010www.berner-aerzte.ch

Themen dieser Ausgabe:

Der Ombudsmann der BEKAGstellt sich vor 2

Kantonales AktionsprogrammErnährung/Bewegung 3

Die ärztliche Notfallversorgung in Thun und Umgebung 5

Gefangen im Alltag 6

Zurück auf Feld 1? 8

Die Zukunft ist auch nichtmehr, was sie einmal war! 9

Leserbrief zu Wirtschaft-lichkeitsverfahren 12

Vorstand derÄrztegesellschaft desKantons Bern 2010 14

Die Illusion von Fortschritt

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Der Ombudsmann der BEKAG stellt sich vor

Vor über 30 Jahren gelangte Dr. Justus Imfeld aus Biel mit der Idee an denVorstand, in der Ärztegesellschaft eine eigene Ombudsstelle einzurichten.

Inzwischen ist der vierte Ombudsmann im Amt – in der Regel ein Arzt nachlangjähriger Praxistätigkeit. Seine Dienste sind nach wie vor gefragt.

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Dr. med. Hans-Jörg Rytz, Ombudsmann

der Ärztegesell-schaft des

Kantons Bern

Die Ombudsstelle ist eine Dienstleistungder Ärztegesellschaft des Kantons Bern(BEKAG). Sie klärt Schwierigkeiten in derArzt-Patienten-Beziehung und unterstütztBEKAG-Mitglieder in Beschwerdefällen.Der Ombudsmann ist unabhängig undnicht weisungsgebunden. Als Schlich-tungsstelle versucht er zwischen Konflikt-parteien neutral zu vermitteln. Er wird fürjeweils vier Jahre vom Vorstand derBEKAG ernannt.

Wie kontaktiere ich die Ombudsstelle? Hilfe- oder ratsuchende Patienten oderBEKAG-Mitglieder gelangen telefonischvia Verbandssekretariat zur Ombudsstelle.Auch schriftliche Anfragen oder Be -schwerden leitet das Sekretariat an michweiter. Selbstverständlich können Betrof-fene auch direkt an den Ombudsmanngelangen (per Mail: [email protected])und Gesprächstermine vereinbaren. Eswerden keine Kosten erhoben. Bitte be -achten Sie, dass die Ombudsstelle beibereits erfolgten juristischen Schrittennicht mehr tätig sein kann.

Nach welchen Grundlagen funktioniertdie Ombudsstelle?Grundlagen sind die rechtlichen Vorgaben,insbesondere die Standesordnung derFMH, die auch allgemeine zwischen-menschliche Verhaltensregeln umfassen.Der Ombudsmann hat keinerlei amtlicheoder standesrechtliche Befugnisse. Aberer kann zuhören und aufgrund einer Voll-macht der Beschwerdeführer weitere

Informationen einholen. Er kann versu-chen, schwierige oder falsch verstandeneZusammenhänge zu erklären. Diese Aufgaben werden zunehmend wich-tiger: Die vermehrte, auch reisserischeoder anklagende Medienberichterstattungüber Behandlungsfehler, von Ärzten undSpitälern, die unzähligen Fernseh-Serienüber faszinierende Abläufe in amerikani-schen Spitälern haben die Unsicherheitunserer Patienten erhöht und die Patien-ten-Arzt-Beziehung verändert. Verschär-fend kommt hinzu, dass sich Leistungser-bringer im Gesundheitssektor heute immermehr rechtfertigen müssen. So steht derArzt in der Praxis durch den Minutentarif

unter misstrauischer Beobachtung – vonSeiten der Patienten und von Seiten derKrankenkassen. Doch auch die Ärzte-schaft ist nicht unfehlbar: Aus Zeitdruck,ökonomischen Handlungszwängen oderfehlendem Vertrauen können Fehldiagno-sen und Fehlinterpretationen resultieren. Insolchen Fällen kann der Ombudsmann dieSituation beruhigen, das gegenseitige Ver-ständnis fördern und so zur Beilegung desKonflikts beitragen.

Mit welchen Fragen setzt sich die Ombudsstelle häufig auseinander?Vom Arzt kann eine sorgfältige Diagnose-stellung und korrekte Behandlung erwartetwerden. Doch angesichts der Variations-breite von Krankheiten sowie des Krank-heitsverlaufs kann niemand ein bestimm-tes Heilungsresultat garantieren. Zahlrei-che Anfragen drehen sich um die Unsi-cherheit des Genesungsprozesses. Oftwaren aber auch etwas optimistische Vor-aussagen oder Erwartungen über ein Be -handlungsresultat Grund für eine Be -schwerde. Wichtig war in diesem Zusam -menhang eine gute und gut dokumentiertevorgängige Information durch den Arzt.Informationen über die Arzttätigkeit wur-den wiederholt eingefordert, insbesondereauch die Herausgabe der Krankenge-schichte bei Arztwechsel.

Beschwerdegründe?Häufige Beschwerdegründe waren Fragenzu vermuteter falscher Therapie, Dia gno -se verzögerungen, Diagnosefehler, un -freundliche Behandlung, Dokumentenher-ausgabe sowie Rechnungsbeanstandun-gen (für welche die Ombudsstelle nichtzuständig ist und wo sie nur einen mög-lichen Lösungsweg aufzeigen kann). Gele-gentlich wurden auch Fehler im BereichGeheimniswahrung und Datenschutz –auch gegenüber Amtsstellen – gemeldet.Haben solche Fälle Folgewirkungen,nimmt der Ombudsmann mit der Gutach-tenstelle der FMH Kontakt auf. Gleichesgilt für jene Anfragen, die meine Kom -petenzen überschreiten – in erster LinieFragen, welche juristische Abklärungenerfordern.

Rückläufige BeschwerdefallzahlenDie Zahl der jährlichen Beschwerdefällehat von 80 auf etwas über 30 abgenom-men. Das ist vergleichsweise hoch: DieZürcher Beschwerdestelle der AGZ hat inden letzten Jahren noch zwischen 5 und 8Fälle pro Jahr behandelt. Möglicher Grundfür die Abnahme: Unzufriedene Patientengehen immer häufiger juristisch gegen dieÄrzteschaft vor.

Sind sich Ärzte und Patienten über das Behand-lungsresultat nicht einig, kann der Ombuds-mann der BEKAG angerufen werden.

Foto: iStockphoto

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Gesunde Ernährung und ausreichendeBewegung verankernAufgrund der hohen Problemlast im Kan-ton Bern wurde der Bereich Ernährung/Bewegung seit 2006 in die kantonaleSchwerpunkteplanung integriert. Für dieJahre 2009 bis 2012 arbeitete die Gesund-heits- und Fürsorgedirektion das kanto -nale Aktionsprogramm Ernährung/Bewe-gung aus. Der frühen Förderung einesgesunden Körpergewichts wurde damitnoch mehr Gewicht beigemessen. Als kantonales übergeordnetes Ziel bis2012 ist formuliert, dass die Themenberei-che ausgewogene Ernährung und ausrei-chende Bewegung in der Bevölkerung desKantons Bern – insbesondere bei Elternvon Kindern und Jugendlichen – eine an -gemessene und breit akzeptierte Wichtig-keit haben. In Anlehnung an das langfristige Ziel derGesundheitsförderung Schweiz bis Ende2018 soll damit der Anteil der Bevölkerungmit einem gesunden Körpergewicht erhöhtwerden. Dies soll sich insbesondere beiden Kindern und Jugendlichen zeigen.

Mittel- und kurzfristig hat das KantonaleAktionsprogramm Ernährung/BewegungWissenserweiterung und Vernetzung zumZiel. Erwachsene Bezugspersonen vonKindern und Jugendlichen sollen die wich-tigsten Grundzüge einer ausgewogenenErnährung und ausreichender Bewegungkennen und wissen, wo sie entsprechendeInformationen erhalten. Fachpersonen sollen die verschiedenen Settings der kan-tonalen Angebote kennen, um Eltern opti-mal informieren, beraten und behandeln zukönnen. Kindergärten, Schulen, Gemein-den, Akteure und Partner sollen den Zu -gang zu Informationen rund um Projekteund Angebote im Bereich Ernährung undBewegung kennen.

Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen im FokusUm das Ziel zu erreichen, dass in Zukunftmehr Menschen im Kanton Bern eingesundes Körpergewicht haben, musssowohl die strukturelle als auch die indivi-duelle Ebene berücksichtigt werden. Aufder strukturellen Ebene sind Verhältnisseund Lebenswelten zu schaffen, die eineVerhaltensänderung ermöglichen und er -leichtern. Auf der individuellen Ebene stehtdie Stärkung der persönlichen Ressourcenund des Wohlbefindens im Zentrum. DieGesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF)und ihre Programmpartner konzentrierensich dabei in erster Linie auf Projekte undAngebote für Kinder und Jugendlich sowiefür deren Bezugspersonen. Sie sind aufdem Internetportal der GEF zu findenwww.gef.be.ch. Kindertagesstätten, Kindergärten undSchu len können ihre Angebote so ausrich-ten, dass es Kindern leichter fällt, sich ge -sund zu ernähren und ausgewogen zubewegen. Über diese Settings werden Kin-der unabhängig von ihrem Sozialstatusund Migrationshintergrund erreicht. Neben Projekten, die sich im Sinne derGesundheitsförderung an alle Kinder rich-ten, gibt es auch Angebote für solche, diebereits unter Übergewicht oder Essstörun-gen leiden. Dazu gehört zum Beispiel dasAngebot des Vereins WIM – Weniger is(s)tmehr: ein Jahresprogramm für Kinder und

Kantonales Aktionsprogramm Ernährung/Bewegung2,2 Millionen Schweizerinnen und Schweizer sind überwichtig oder adipös. Tendenz steigend. Besonders besorg -niserrgend ist die Entwicklung bei Kindern und sozial benachteiligen Bevölkerungsschichten. Mit dem kantonalen

Aktionsprogramm Ernährung/Bewegung will die Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern die Betroffenen sensibilisieren – und zählt auf die Unterstützung von Grundversorgern.

Übergewicht «nimmt zu»In den industrialisierten Ländern hat in denletzten 30 Jahren die Tendenz zu Überge-wicht deutlich zugenommen. Für die WHOist es ein brennendes Problem in derindustrialisierten Welt geworden. Im Jahr2006 wurde deshalb eine Charta zurBekämpfung der Adipositas verabschie-det. Die Schweiz trägt die in der Chartavorgeschlagenen Lösungswege mit. Gemäss den Ausführungen des Bundes-amtes für Gesundheit sind 2,2 MillionenSchweizerinnen und Schweizer überge-wichtig oder adipös, diese Zahl steigt jähr-lich um ca. 50'000 Personen. Besondersbesorgniserregend ist die Entwicklung beiKindern und in den sozial benachteiligtenBevölkerungsschichten. Laut dem viertenBerner Gesundheitsbericht aus dem Jahr2009 sind in der Stadt Bern rund 15% derKinder im zweiten Kindergartenjahr über-gewichtig. Bei den 15-Jährigen ist fastjedes fünfte Kind übergewichtig, wobeiKnaben etwas stärker betroffen sind alsMädchen.

Die frühzeitige Verankerung einer ausgewogenen Ernährung ist wichtig. Foto: zVg

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Jugendliche im Alter von 12 bis 16 Jahrenund deren Eltern. Kern des Kurses ist einVerhaltenstraining, das sich auf das Ernäh-rungs-, Bewegungs- und Freizeitverhaltenbezieht. Dabei soll die Einstellung des Kin-des zum Essen, zu seinem Bewegungsver-halten und zu seinem Selbstbild soweitverändert werden, dass eine anhaltendeGewichtsreduktion erreicht wird. Ein Bera-tungsangebot der Berner Gesundheit rich-tet sich an Jugendliche und Erwach seneab 16 Jahren mit Problemen rund um Ess-störungen (Magersucht, Übergewichtetc.). HIPFIT ist der Name eines bewe-gungsorientierten Moduls für übergewich-tige und adipöse Kinder im Primarschul -alter und wird von der Abteilung Sport desAmtes für Bevölkerungsschutz angeboten.

Unterstützung durch Pädiatrie- und Hausarztpraxen im Projekt KlemonBeim Projekt Klemon handelt es sich umeine bewährte elternzentrierte Frühinter-ventionsmassnahme, bei der Kleinkinderim Alter zwischen 2 und 5 Jahren mit Risikozu Übergewicht frühzeitig erkannt werdensollen. Betroffene Kinder werden vonFachpersonen (Mütterberaterinnen, Kin-derärztinnen und -ärzte, Hausärztinnenund -ärzte oder Betreuungsfachpersonenim Kleinkindbereich) identifiziert und demAngebot zugewiesen. Mütterberaterinnenführen in enger Zusammenarbeit mit denEltern eine mehrmonatige Beobachtungmit regelmässigen Beratungen durch. Die-ser Beratungsprozess fokussiert auf dasGesamtsystem mit den Aspekten Ernäh-

rung, Kontext des Essens in der Familieund Bewegung. Das Ziel ist, dass die Kin-der weniger Süssspeisen, Süssgetränkeund stark fetthaltige Speisen zu sich neh-men, dagegen mehr Früchte und Gemüsekonsumieren. Weiter werden in den Fami-lien regelmässige Essenszeiten etabliertund es wird darauf geachtet, dass die Kin-der ihre Hauptmahlzeiten in Anwesenheitvon Er wachsenen einnehmen können.Ergänzend sollen die Kinder mehr Spielzeitim Freien verbringen. Das altersspezifi-sche Grösse-Gewicht-Verhältnis soll sichdamit während der Beratungszeit verbes-sern bzw. im Normalbereich verlaufen. Pädiatrie- und Hausarztpraxen wirken imProjekt Klemon unterstützend mit. DieZusammenarbeit der Mütterberaterinnenmit den Grundversorgern wird im Rahmendes Projekts verbindlich geregelt: Bei Be -ratungsbeginn und -ende ist eine ärztlicheKonsultation durchzuführen. Bei medizi -nischen Problemen während des Monito-rings ist die garantierte Zusammenarbeitmit den zuständigen Arztpraxen erforder-lich. Die Mütter- und Väterberatung des Kan-tons Bern implementiert das Projekt Kle-mon ab 2010 in ein bis zwei Stützpunktenpro Region. In einer ersten Phase werdendie Mitarbeiterinnen in den BereichenErnährungsberatung, Ernährungserzie-hung und frühkindliche Bewegung ge -schult. In der zweiten Phase der Imple-mentierung sind die Kontakte zu den zu -weisenden Stellen zu knüpfen und ist dieZusammenarbeit mit den medizinischenGrundversorgern zu regeln.

Parallel zum Projekt Klemon gleist die Müt-ter- und Väterberatung das Projekt MigesBalù an zwei Stützpunkten mit hohemMigrationsanteil auf. Im Fokus dieses Projekts stehen Familien mit Migrations-hintergrund. Die Mitarbeiterinnen werdenzum Stellenwert des Essens im Migra-tionskontext geschult und Kulturvermitt -lerinnen und -vermittler unterstützen dieFachfrauen, damit diese Zugang zu ver-schiedenen Kulturkreisen erhalten. Die Angebote aus den Projekten Klemonund Miges Balù starten Ende 2010. Weite-re Informationen sind auf dem Internetpor-tal der GEF zu finden www.gef.be.ch.

Ein Ziel des Projekts Klemon: Kinder verbringen mehr Spielzeit im Freien.Foto: zVg

Ernährungs- und Bewegungsprojekte sollen auch Kinder mit Migrationshintergrunderreichen. Foto: zVg

Kontaktperson:Cornelia WaserGesundheits- und Fürsorgedirektiondes Kantons Bern, SozialamtAbteilung Gesundheitsförderung undSucht/Fachstelle FamilieRathausgasse 1, 3011 BernTelefon 031 633 78 87Telefax 031 633 78 [email protected]

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Der Notfalldienst im Bezirksverein Thunund Umgebung steht vor einer wich -tigen Reorganisation. Welche Änderun-gen sind geplant?Der Bezirksverein Thun und Umgebungbesteht bis dato aus insgesamt zwölf Not-falldienstkreisen. Nun haben sich sechsDienstkreise der Region Thun entschlos-sen, die Notfalldiensttätigkeit zu reorgani-sieren und zu straffen. Es wurde geplant,beim Spital Thun eine Hausärztliche Not-fallstation (HAN-RT) einzurichten. Sie hatAnfang Juni 2010 den Betrieb aufgenom-men. Wir haben uns dabei an bereits beste-henden hausärztlichen Notfallstationen inun serem Kanton und in der übrigenSchweiz orientiert (Badener Modell, Aar-berg, Oberaargau-Emmental). Die beteilig-ten Regionen sind Thun, Steffisburg, rech-tes Thunerseeufer, Westamt Spiez undUnteres Simmental.

Was war der Grund für diese Umstrukturierung?Es sind hauptsächlich zwei Gründe, dieuns bewogen haben, den Notfalldienst inder Region Thun zu reorganisieren: Patien-ten suchen immer häufiger direkt die Not-fallstation des Spitals auf, hier des SpitalsThun. Im Spital sind vielen ambulantePatienten eigentlich am falschen Ort. Spi-täler haben eine andere Abklärungsfunk-tion und -philosophie (sekundäre Abklä-rungsinstanz) als wir Hausärzte. Dies führtdazu, dass Patienten in Spitälern häufigmit unnötigen Untersuchungen belastetwerden – ein gesamtschweizerisches Phä-nomen und ein be deutender Kostenfaktorim Gesundheitswesen. Dabei haben Haus-ärztinnen und Hausärzte eine gut organi-sierte Infrastruktur aufgebaut, die nun inzunehmend ge ringerem Ausmass,besonders an den Wochenenden, genutztwird. Das andere Problem ist, dass proDienstkreis laufend weniger Notfalldienstleistende Ärzte zur Verfügung stehen. DerBezirksverein Thun und Umgebung hat,wie die meisten Be zirksvereine, ein Nach-wuchsproblem in der Hausarztmedizin.Die Notfalldienste verteilen sich auf immerweniger Ärzte. Diese sind zwar wenigerausgelastet, müssen aber mehr Dienstzei-

ten mit 24-Stunden-Verfügbarkeit in Kaufnehmen. Deshalb haben wir beschlossen,die sechs Dienstkreise in der Notfalldienst-funktion zu sammenzulegen und näher andie Patientenströme heranzuführen.

Wie hoch war die Belastung denn bisher?Die Arbeitsbelastung ist ganz unterschied-lich: In Thun hatten wir noch genügendKollegen. Hier teilten sich ca. 30 Ärzte denNotfalldienst untereinander auf. PeriphereNotfalldienstkreise haben meist einen Be -stand von fünf bis zehn Ärzte. Diese leistenalle fünf bis zehn Tage Notfalldienst undalle ein bis zwei Monate ein Notfalldienst-wochenende. Darüber hinaus haben wirNotfalldienstkreise, die nur aus drei bis vier Notfallärzten bestehen. Aus Distanz-gründen können sich diese nicht demhausärztlichen Notfalldienst Region Thunan schlies sen. Diese Kollegen sind mit rund100 Diensttagen pro Jahr stark ausge -lastet.

Wie hoch wird die Zahl der Notfall-dienst-Tage in Zukunft sein?Wir rechnen damit, dass um die 90 Ärzte inder neuen HAN-RT mitarbeiten. Da dasEinzugsgebiet recht gross ist, müssenneben den in der Notfallstation arbeiten-den Ärzten noch drei Kollegen während je24 Stunden Hintergrunddienst leisten, umallenfalls Patientinnen und Patienten zuHause zu besuchen. Rein rechnerisch soll-te sich die Belastung im gesamten Gebietum ca. ein Drittel reduzieren (anstelle vonbisher sechs leisten künftig vier Ärztegleichzeitig Notfalldienst). Zusätzlich wird es so sein, dass die Haus-ärzte in der Notfallstation nur ab 17 bis 23Uhr sowie an Feiertagen und Wochenen-den von 8 bis 23 Uhr arbeiten müssen.

Spielt MEDPHONE in der Organisation des Notfalldienstes inIhrem Bezirksverein eine Rolle?MEDPHONE hat sich nach anfänglichenVorbehalten vieler Notfallärzte nun auch inunserer Region zunehmend durchgesetzt

und zu einem wesentlichen Triageinstru-ment im ärztlichen Notfalldienst geworden.Der erste Notfalldienstkreis, der die Dienstevon MEDPHONE in unserem Bezirksvereinnutzte, waren unsere Kollegen im Saanen-land (Gstaad, Saanen). MEDPHONE sorgtehier rasch für eine deutliche Entlastung. Inder Zwi schenzeit haben auch andere Not-falldienstkreise ihre Notfallnummer aufMedphone um ge schaltet. Und mit derInbetriebnahme der neuen HAN ist MED-PHONE auch in der ganzen Region Thundie erste Anlaufstelle.

Die ärztliche Notfallversorgung in Thun und Umgebung Der Bezirksverein Thun und Umgebung steht vor einer wichtigen

Reorganisation des Notfalldienstes. Welchen Nutzen erwartet man von dieser Umstrukturierung? Der Präsident desÄrztlichen Bezirksvereins, Dr. med. Markus Husi, schildert doc.be die aktuelle Situation in Thun und Umgebung.

Text: Dr. med. Markus Husi, Präsident Ärztlicher Bezikrsverein Thun und Umgebung

Impressum

doc.be, Organ der Ärztegesellschaft des Kantons Bern Herausgeber: Ärztegesellschaft des Kantons Bern, Bolligenstrasse 52, 3006 Bern / erscheint 6 x jährlich Verantwortlich für den Inhalt: Vorstandsausschuss derÄrzte gesellschaft des Kantons BernRedaktion: Marco Tackenberg und Markus Gubler,Presse- und Informationsdienst, Postgasse 19, 3000 Bern 8 , Tel. 031 310 20 99; Fax 031 310 20 82; E-Mail: [email protected], [email protected]: P. Wolf, Bolligenstrasse 52, 3006 Bern Tel. 031 330 90 00; Fax 031 330 90 03; E-Mail: [email protected]: forum | pr, Postgasse 19, 3011 Bern,www.forumpr.chDruck: Druckerei Hofer Bümpliz AG, 3018 BernAusgabe Juni 2010

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Gefangen im Alltag Einfach mal Luft holen können. Eine Plauderstunde mit einer Freundin,

ein Coiffeurbesuch: Für Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen,sind solche Termine kaum organisierbar – von Freizeitfreuden ganz zu

schweigen… Lesen Sie, wie die ehemalige Leiterin der Dentalassistentinnen-Schule Bern ihren Ehemann Dr. Wladimir Adlinvankine

seit über 15 Jahren betreut und pflegt. Eine Geschichte über Trauer, Scham und Angst, aber auch von viel Liebe und Zuwendung.

Text: Anna-Christina Zysset

Ein Lächeln entwaffnet alle Menschen, auch in heiklen Situationen. Foto: iStockphoto

wache sie mehrmals auf, weil er aufstehe– und am nächsten Morgen gehe alles wie-der von vorne los.

Professionelle EntlastungWer hilft, braucht selbst Hilfe, darüber warsich auch Barbara Adlinvankine im Klaren.Sie war so übermüdet und überreizt, dasssie viel guten Willen aufbringen musste,um nicht loszuschreien. Deshalb ent-schloss sie sich, ihren Mann für zweiWochen auswärts in Pflege zu geben. Alssie Mitte der zweiten pflegefreien Wochebei der Vorstellung von der Rückkehr ihresMannes in Panik geriet, bot ihr das Pflege-heim sofort eine Aufenthaltsverlängerungan. Diese «Auszeit» hat sie dankbar ange-nommen und intensiv genossen. Die dreiWochen fanden einen schönen Abschlussmit den Worten des Kranken bei seinerHeimkehr: «Du hast n’e schöne Woh-nung», begleitet von einem Lächeln. Gera-de hat sie beschlossen, Wladimir einmalpro Woche für einen halben Tag in dieSchönegg in Wabern zu bringen. AufWunsch könnte sie den Kranken auchabholen und heimbringen lassen.

Die Kommunikation mit Demenzkran-ken folgt eigenen RegelnIn regelmässigen Abständen während desTages sagt Barbara Adlinvankine: «Komm,Wowo, steh auf. Hose runter. Wir müssenPipi machen.» oder «Wowo, setz Dich wie-

müller, welche ihren krebskranken Mannbis zu seinem Tod gepflegt und begleitethat, rät deshalb «allen pflegenden Angehö-rigen, sich ihr eigenes Leben unbedingt zubewahren. Sie dürfen sich nicht genieren,bei anderen Personen Hilfe zu holen.Ansonsten landet man in der Pflege in dertotalen Isolation».

Gefangen im AlltagFür Barbara Adlinvankine ist jeder Taggleich. «Aufstehen, anziehen, waschen,frühstücken, Mittagessen kochen, denFernseher einschalten, sitzen, manchmalkurz rausgehen, Katheter oder Verbandwechseln, wieder kochen, wieder fernse-hen, dabei meist die Pointe des Films ver-passen», weil ihr Mann ausgerechnet dannins Bett wolle, erzählt sie. In der Nacht

Wenn eine schwere Krankheit fortschrei-tet, so bringt dies sowohl körperliches alsauch seelisches Leiden mit sich. Dochselbst wenn Heilung nicht mehr möglichist, kann noch manches getan werden.Wer wüsste das besser als die gelehrtePflegefachfrau Barbara Adlinvankine, diedie Alltagssituation pflegender Angehöri-ger aus eigener Anschauung seit Jahrenkennt. Der Umgang mit der DiagnoseDemenz ist eine ernorme Herausforderungfür Wladimir und Barbara Adlinvankine.Manche Schwierigkeiten bei der Beglei-tung eines demenzkranken Menschenergeben sich aus der Tatsache, dass dieVerständigung nicht mehr so funktioniertwie früher. Allein das Worte-Finden füreinen unklaren Zustand kann einen zur Ver-zweiflung bringen. Den Gefühlssturm ausAngst, Wut und Scham muss man immerwieder neu zulassen. Hat man wieder zurRuhe gefunden, wäre ein einfühlender Ge -sprächspartner, mit welchem man redendarf, eine wesentliche Hilfe. Leider sind wirMitmenschen meist mit dieser Situationüberfordert, denn unsere unausgespro-chene, aber häufig präsente Angst blo-ckiert unser Denken und Fühlen. DieGefahr der totalen Isolation ist für Angehö-rige und Betreuende deshalb gross. DasSich-Einlassen auf diese besonderen Pro-bleme wagen und schaffen nur wenigeMenschen, denn sie ist zeitraubend undzeigt einem schonungslos die eigenenGrenzen. Und dies kann sehr schmerzhaftsein. Wer aber dieses Wagnis eingeht, wirdlangfristig bereichert.

Sein eigenes Leben bewahrenWissend um die Scham pflegender undbetreuender Angehöriger, auf Beratungund Begleitung zurückzugreifen, hat dasKompetenzzentrum Gerodontologie 2009eine Tagung unter dem Titel. «Vom Schat-tendasein zur neuen gesellschaftlichenRelevanz» durchgeführt. Dr. Klara Ober-

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ändern sich. Die meisten Erkrankten wer-den von ihren Angehörigen gepflegt, derenKräfte oft nicht ausreichen.» Wohl werdenweltweit Milliarden Euro in die Erforschungder Volkskrankheit des neuronalen Unter-gangs investiert. Es gibt viele kleine Er -folge, aber noch mehr ungelöste Rätsel.

Rund um die Krankheit Demenz ist dieganze Gesellschaft gefordert: Vom An -spruch auf Pflege sowie Beratung, Infor-mation, Entlastung und Anerkennung derAngehörigen bis zu steuerlichen Abzugs-möglichkeiten und Hilfslosen-Unterstüt-zung.

«Treu zu halten in guten wie in schlechtenTagen» haben viele von uns einmal ver-sprochen. Gut, erahnten wir nicht ansatz-weise wie anspruchsvoll dies sein kann.Das Gespräch mit Barbara Adlinvankinewar eine Bereicherung. Ich wünsche ihrviele einfühlsame Freunde und Bekannte,die sie auf ihrem Lebensweg begleiten.

der, Dessert.» Manchmal leuchten dannseine Augen auf, da Wladimir Aldinvankineüberaus gerne Süsses isst. Diese Befehle,klar, kurz und immer wieder gleich, gebendem Kranken Sicherheit. Sie gehören wieKörperpflege und immer gleiche Essens-zeiten zu den persönlichkeitsstabilisieren-den Ritualen. Je fortgeschrittener eineDemenz ist, desto rascher kann eine Ab -weichung von der Routine grosse Un ruhebei Demenzpatienten hervorrufen.

Liebe und DankbarkeitSeit 15 Jahren pflegt und begleitet BarbaraAdlinvankine ihren demenzkranken Mann.Sie macht das mit grosser Liebe und Hin-gabe, obwohl nur noch die Körperhülleden einst geliebten und spannendenGesprächspartner erahnen lässt.Das einst so charmante Benehmen hatkindischen Gesten und Worten Platz ge -macht. Noch kämpft seine Frau um mini-male Tischsitten wie das Gebrauchen vonMesser und Gabel. Denn ganz selten führtsie ihren Mann ins Restaurant Landhaus,wo ein verständnisvoller Wirt, die beidenfreundlich und zuvorkommend bedient.Starrenden Gästen begegnet sie mit einemLächeln, und die Situation ist gerettet.Im Allgemeinen wird sie in der Öffentlich-keit zuvorkommend behandelt. Über Bus -chauffeure gerät sie mit einer Ausnahmeschon fast ins Schwärmen. Herzlich ge -lacht hat sie, als zwei Jugendliche dieSchuhe ihres Mannes als «geile Schuhe»bezeichneten.Immer wieder studiert sie alte Fotoalbenaus glücklichen Zeiten oder schwelgt inlängst vergangene schöne Erlebnissen.Das verleiht ihr Kraft und ist Quelle zärt-licher Gefühle. Ein treuer kleiner Freundes-kreis stützt das Ehepaar.

Die Reise ins VergessenDie lange Lebenszeit hat einen hohenPreis, denn ab dem 60. Altersjahr steigt dieGefahr, an Demenz zu erkranken, ständigan, ab 80 gar exponentiell. Für Pflegewis-senschaftler Detlef Rüsing der UniversitätWitten-Herdecke bedeutet Demenz «Sip-penhaft». Das herausfordernde Verhaltender Kranken erzeugt ein immer wiederkeh-rendes Trauererlebnis. Ganz zu schweigenvon peinlichen Situationen, die man meis-tern lernen oder einfach über sich ergehenlassen muss. Wie beim Turmbau zu Babel«verwirrt Gott ihre Sprache» und verun -sichert Kranke und deren ganze Familie.Die preisgekrönte Spiegel-Reporterin formuliert es so: «Wie ein Feind schleichtsich Demenz in das Leben einer Familie:Alle Spielregeln des Alltags, alle Gefühle

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Bei Alzheimerkranken: Vergessen Sie nie: Der Verstand geht, aber die Gefühle bleiben!Foto: iStockphoto

Literatur:

Klara Obermüller: Weder Tag noch Stunde. Nackdenkenüber Sterben und Tod. Huber, Frauenfeld 2007

Klara Obermüller (Hg.) Es schneit in meinen Kopf. Erzählungenüber Alzheimer und Demenz. Nagel & Kimche

Julia Engelbrecht-Schnür / Britta Nagel: Wo bist Du? Demenz – Abschied zuLebzeiten. Hoffmann und Campe

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Ge -nehmigung des Autors und der SchweizerMonatsschrift für Zahnmedizin.

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Dr. med.Thomas

Heuberger,Vorstandsmitglied

BEKAG,Grossrat Grüne

Kanton Bern

Die Grossratswahlen sind vorbei. Wirhaben Umwälzungen in der Zusammen-setzung erlebt, bedauert, kommentiert, mitFreude zur Kenntnis genommen oder garnicht wahrgenommen. Denn die fettenSchlagzeilen schrieben die Ölkatastropheim Golf von Mexiko, der Vulkanausbruchund Manager-Boni. Kommentare zur Wahlblieben eine Randnotiz. Kein Neubeginn ohne Blick zurück: Im Rathatten wir die letzten Jahre fünf Ärztinnen

und Ärzte verschiedener Parteicouleur.Zusammen mit anderen Fachpersonen inGesundheitsberufen und gesundheitspo -litisch interessierten Grossrätinnen undGrossräten konnten wir recht viel errei-chen. Über alle Parteigrenzen hinweg. Nun bleiben nur noch drei Mediziner. Auchsonst ist viel Know-how in Gesundheits -fragen und Spitalpolitik verloren gegan-gen. Viel Goodwill für Hausarztfragen istgar nicht mehr vorhanden. Was heisst dasnun? Zurück auf Feld 1? Einmal mit Würfeln aussetzen? Allen anderen denVortritt lassen, eine Joker-Karte ziehenoder den ganzen Bettel einfach hinwerfen?Geht der Brain-Drain für unsere Anliegenweiter oder zeigen sich Lichter am Endedes Tunnels? Morgenröte? Oder gar einWetterleuchten? Ist es nun Ruhe vor demSturm oder erwartet uns nur ein Gstürm?Ich weiss es nicht – noch nicht. Aber wirstellen uns auf intensive Arbeit ein, heisstes doch, gesundheitspolitisch interessier-

te Personen wiederzufinden, eine neueGruppe aufzubauen, Know-how zu vermit-teln, Sensibilitäten zu wecken und gegen-seitiges Vertrauen wiederzuerringen.

Goodwill mit der Lupe suchenDank der bürgerlichen Mehrheit ist viel-leicht mit mehr Verständnis für ein liberalesGesundheitssystem und für KMU-Praxenzu rechnen. Wenn allerdings staatliche Un -terstützung notwendig sein sollte, um dasbestehende System zu retten, um diemedizinische Versorgung zu sichern,könnte der Goodwill plötzlich mit der Lupezu suchen sein. Auf alle Fälle liegt es anuns, neue Ideen zu suchen, innovative Projekte aufzugleisen. Eine spannendeHerausforderung. Kann man dabei auf dieLinke zählen? Vielleicht schon, aber sichernicht, wenn der leiseste Verdacht besteht,Ärzte versuchten ihre Pfründen zu rettenoder Privilegien zu sichern.

Der Pfad ist eng, wir müssen versuchen,ihn zu gehen. Dabei das Ziel nicht aus denAugen verlieren und auch nicht die Geduld.Nicht der Weg ist das Ziel, sondern einGesundheitssystem, das nicht allzuvielvom Erreichten zerstört und uns nicht ohneGrundversorgung, ohne Hausärztinnenund ohne Sicherheit zurücklässt.

Ich möchte gerne, wenn es denn dereinstnotwendig sein sollte, noch einen Hausarztfinden – wir bleiben dran!

Zurück auf Feld 1? Die Grossratswahlen sind vorbei.

Die Wiedergewählten müssen Kontakte pflegen und neue Mitstreiter für ihre Anliegen finden. Viel Überzeugungsarbeit wartet auf sie. Auch in

der Gesundheitspolitik beginnt das Spiel von Neuem.

Dank den Wahlen ist viel Know-how in Gesundheits fragen und Spitalpolitik verloren gegangen. Nun beginnt das Spiel von Neuem. Foto: iStockphoto

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Dr. rer.pol. Heinz Locher,

Berater imGesundheits -

wesen

In gewissen Kreisen gelten wir Gesund-heitsökonomen ja nach wie vor – wie einregelmässiger Blick in die Leserbriefrubrikder Schweizerischen Ärztezeitung belegt –als das Böse schlechthin, gleichsam alsInkarnation des Leibhaftigen, welche derÄrzteschaft die definitorische Lufthoheitüber das Gesundheitswesen entreissenwollen. Vielleicht werden wir in dieser Rolle desBösewichts allerdings schon bald von denallwissenden bzw. alles besser wissendenEthikern abgelöst – man darf ja immernoch hoffen. Auf jeden Fall werde ich michernsthaft bemühen, den Vorurteilen meinerBerufsgruppe gegenüber gebührendRechnung zu tragen. Ihnen, liebe Neudiplomierte und -Promo-vierte, gratuliere ich sehr herzlich zumErreichten. Sie haben hart gearbeitet undschliessen nun eine wichtige Phase erfolg-reich ab. Ihr Blick richtet sich in die Zu -kunft. Das Vergangene, diesen und jenenKurs, dieses oder das andere Praktikum,haben Sie «gehabt», wie man zu sagenpflegt. Vorerst ein Tipp: Shreddern Sienicht alle Unterlagen aus dem Studium, inzehn bis zwanzig Jahren werden einzelneeinen gewissen Nostalgiewert haben,andere zumindest einen Unterhaltungs-wert.Die Zukunft, der Sie sich nun zuwenden,habe ich auch als Titel und Thema meinerAnsprache gewählt. Sie soll also nichtmehr sein, was sie einmal war! Ist das einegute oder eine schlechte Nachricht? Wirwerden ja sehen! Auf jeden Fall muss eseine wichtige Aussage sein: Google nennt

nach nur 0.48 Sekunden über 5 MillionenEinträge zum Vortragsthema. Dieses wirdim übrigen verschiedenen Autoren zuge-schrieben, so dem bayerischen KomikerKarl Valentin und dem amerikanischenBaseballstar Yogy Berra von den Yankees.Er hat es wohl ausgesprochen, als er denBall nicht mehr richtig traf. Wir sind also in bester Gesellschaft. Wiekönnte diese, Ihre Zukunft denn nun aus-sehen, die anders sein soll als früher?Wodurch wird sie bestimmt? Ich greife dreiBestimmungsfaktoren auf:

GenerationenzugehörigkeitWir werden alle in eine bestimmte Zeitgeboren und teilen unsere Entwicklung invielfacher Hinsicht mit den Mitgeborenen,insbesondere geprägt durch ähnlicheErfahrungen in den Jugendjahren. Der Ein-fachheit halber werden bekanntlich jeweilsmehrere Jahrgänge zu Generationen zu -sammengefasst.

Die Baby-Boomer (geboren 1946–1964)erlebten eine Zeit des sich stets beschleu-nigenden Aufschwungs nach dem zweitenWeltkrieg. Ihr Lebensgefühl ist geprägt vonSelbstvertrauen, Zuversicht und demWillen zur Selbstverwirklichung. Nun wer-den sie nach und nach älter, nach ihremSelbstverständnis aber zur «generationageless», für welche das Alter nach Umfra-geergebnissen mit 79,5 Jahren beginntund die bald als «grey panthers» dasGesundheitssystem unsicher machenwerden. Allerdings mussten sich die Baby-Boo-mers auch immer wieder gegen autoritäreStrukturen richten. Die Zeit des Aufbruchsund der Zukunftsgläubigkeit war auch dieZeit ohne Pille, dafür mit Konkubinatsver-bot, in der Schweiz die Zeit der Bespitze-lung der Eliten durch die eigenen Behör-den, welche in die Fichenaffäre mündete.Kein Wunder, dass sich daraus die 68er-Bewegung entwickelte, der Kampf gegennicht legitimierte Autoritäten: «Nieder mitden Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer»,lautete die Losung, und mit «Alpen» warennicht nur die Ergebnisse der Erdfaltunggemeint, sondern alle Hindernisse, die denHorizont einengen. Wohl nicht zuletzt zur Steigerung der Auf-lagen von Medienerzeugnissen folgtensich die Generationentypisierungen inimmer rascherer Folge, so die GenerationX mit den Geburtsjahren 1965–1975, wel-che mit ihren wenig konventionellen Vor-stellungen die Arbeitswelt neu aufmischte.Von Ihrer Generation, liebe Neudiplomier-te, den Echo-Boomers mit den Geburts-

Die Zukunft ist auch nicht mehr, was sie einmal war!

Neben eigener Lebensgestaltung und Generationenzugehörigkeit prägen Entwicklungen in Medizin und Gesundheitswesen die

Zukunft des medizinischen Nachwuchses, so der GesundheitsökonomHeinz Locher in seiner Festrede anlässlich der diesjährigen Diplom- und

Promotionsfeier der Medizinischen Fakultät der Universität Bern.

Die traditionelle ärztliche Einzelpraxis wird gegenwärtig ja geradezu sozialromantisch verklärt, wie mandas lange mit dem bäuerlichen Familienbetrieb tat, der bald nur noch auf dem Ballenberg zu sehensein wird. Foto: Keystone

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jahren 1975-1990, wird gesagt, sie sei dieerste Generation, der es wirtschaftlichschlechter gehe als ihren Eltern. In der Fol-ge sind Begriffe wie Generation Y oderGeneration dot.com geprägt worden, dieGeneration der «coolen» Einzelkämpfer,die – multikulturell und weltoffen – am lieb-sten in virtuellen Teams arbeiten. Späterkam – unter Anspielung auf ihre Probleme,nach Abschluss der Berufsausbildung eineFestanstellung zu erhalten – die Bezeich-nung Generation Praktikum oder Genera-tion Prekär dazu, mit deren faktischemZwang zur Selbstausbeutung. Allerdings stellt sich die Frage, ob die inter-personellen Unterschiede innerhalb vonGenerationen nicht grösser sind als dieje-nigen zwischen Generationen. Ich überlas-se es Ihnen, sich hier einzuordnen! Wel-ches ist die gemeinsame Aufgabe IhrerGeneration? Wollen Sie diese auch selberanpacken? Was wollen Sie als «Nachge-borene» (Bertolt Brecht) an der Ihnen vor-gegebenen Welt ändern?

Entwicklungen in Medizin und GesundheitswesenDieses Thema darf bei einem beruflichenInitiationsritus wie dem heutigen Anlass janicht ausgeklammert werden! Dass dieZukunft der Medizin und des Gesundheits-wesens nicht mehr sein wird, was sie ein-mal war, ist offenkundig! Wie könnte siedenn aussehen, und warum lässt sichHeutiges nicht aufrecht erhalten? Wie war die Zukunft denn früher? Es wardie Zeit der festgeprägten Rollenerwartun-gen seitens der Standespolitik, aber auchseitens der Bevölkerung: «Arzt, Zahnarzt,Apotheker ist, wenn man ….» früher meis-tens ja in der männlichen Erscheinungs-form. In einem kürzlich publizierten Brief andie Schweizerische Ärztezeitung (SAeZ2010; 91:9, S. 341) wird denn auch bedau-ert, dass der Arztberuf, der lange Zeit nocheine Lebensform gewesen sei, sich nunimmer mehr in Richtung Job verlagere.Schuld daran sei unter anderen der VSAO,der leider mit Erfolg das Prinzip der „frei-zeitorientierten Schonhaltung“ propagiere.Man könnte die frühere ärztliche Berufs-welt am ehesten mit der eines Tramführersvergleichen: Auf Schienen eingespurt, derStrom kommt von oben, die Weichenstel-lungen sind vorgegeben, spontaneAbzweigungen führen zur Entgleisung.Das Ganze ist eigentlich eine Endlos-schleife (gelegentlich mit Abstellgeleisen),der Fahrplan ist ebenso vorgegeben wieder Tarif. Einigen Glücklichen gelang dasLeben eines Trolleybusfahrers: keineSchienen mehr, der Strom kommt zwarimmer noch von oben, aber zusätzlich gibtes einen lärmigen und rauchenden Motor

zum Überbrücken von Strompannen undzum Umfahren von Baustellen.In Zukunft sind Mountainbiker mit GPSgefragt, im Winter auch Skicrossfahrerin-nen und -fahrer, die Wellen und Buckelebenso sicher meistern wie Schanzen, unddie in scharfen Rechts- und Linkskurventrotz den herausgefahrenen Ellbogen derKonkurrenten zielstrebig vorankommen.Vieles deutet darauf hin, dass wir imGesundheitswesen vor umbruchartigenEntwicklungen, auf gut Deutsch einemsog. «disruptive change» stehen, in einerArt «vorrevolutionärer» Phase.

BallenbergisierungNehmen wir als Beispiel – unorigineller-weise – die Diskussion über die medizini-sche Grundversorgung, die sogenannteHausarztmedizin. Die traditionelle ärztlicheEinzelpraxis wird gegenwärtig ja geradezusozialromantisch verklärt, wie man daslange mit dem bäuerlichen Familienbetriebtat, der bald nur noch auf dem Ballenbergzu beobachten sein wird. Droht den Haus-ärztinnen und Hausärzten auch eine «Ballenbergisierung» oder sind die gegen-wärtigen krampfhaften Reanimationsbe-mühungen eher dem im Zusammenhangmit dem Waldsterben geprägten Begriffder «Angsttriebe» zu subsumieren, welcheabsterbende Bäume kurz vor ihm Zu -sammenbruch an der Krone noch bildensollen?Respekt und Anerkennung gegenüber derengagierten Arbeit vieler Generationen vonHausärztinnen und Hausärzten gebietenes, eine solche Entwicklung zu verhindern.Es ist aber wie bei der Entwicklung wissen-schaftlicher Lehrmeinungen, für welcheuns Thomas Kuhn gelehrt hat, dass einaltes Paradigma aufgegeben werden soll-te, wenn ein neues die Welt besser erklärt.Weshalb soll krampfhaft an einer bestimm-ten Form der Berufsausübung festgehal-ten werden, wenn andere Formen denBedürfnissen der Bevölkerung und derBerufsangehörigen besser entsprechen?Die Frage, wie viele Grundversorger es imJahre 2030 brauche, ist deshalb etwagleich originell wie die Frage, (um beimBeispiel zu bleiben) wie viele Tramführer esim Jahre 2030 brauchen wird, wenn mansie stellt, bevor geklärt ist, ob es dannzu-mal überhaupt noch Trams gibt, welchesdie Fahrplandichte ist – oder ob wir in denStadtzentren Rollteppiche oder gar Mono-rails haben werden.Noch sind weite Teile des Gesundheitswe-sens als kleingewerblich betriebene soge-nannte Cottage-Industrie zu bezeichnen –dies betrifft nicht nur die beobachtbarenBetriebsgrössen, sondern auch die vor-

herrschende Mentalität. Es war demzu-folge nichts als folgerichtig, dass die Ärz-tegesellschaft des Kantons Bern vor eini-gen Jahren dem Gewerbeverband als Mit-glied beitrat.Allerdings beginnt es in Teilbereichen zubröckeln. Es sind Zeichen der «Industriali-sierung» zu erkennen, angefangen bei denApothekerketten über die Röntgeninstitutezu den Augenoptikern und Zahnärzten,Entwicklungen, die in der Pharma- undMedizinaltechnikindustrie schon längstetabliert sind. Der im Vergleich zu andernLebens- und Wirtschaftsbereichen festzu-stellende Rückstand – in der Kunstge-schichte pflegt man bei derartigen Phäno-menen von «provinzieller Stilverspätung»zu sprechen – verkleinert sich. Bereits ist inder Schweiz die erste Spitalkette an derBörse kotiert. Die obgenannte Frage müsste richtig lau-ten: Welche und wieviel Grundversorgungbraucht das Land? Welche Berufsgruppensollen sie in welchen Organisationsformenleisten? Verschiedene mögliche Zukünftesind denkbar. Sie sollten zugelassen – imIdealfall sogar gefördert und nicht (wie bis-her) durch allerlei Schikanen wie den Pra-xiseröffnungstopp verhindert werden.

Neue Aufgabenteilung unter GesundheitsberufenMögliche Entwicklungsachsen könntensich aus einer neuen Aufgabenteilungunter den Gesundheitsberufen ergeben:

• Ausweitung des Tätigkeitsgebietes vonApothekern und Drogisten in der Primär-versorgung bei gleichzeitiger völligerUmgestaltung bzw. Vereinigung der Lis-ten B, C, D und E

• Einsatz von Nurse Practitioners beichronischkranken Patienten, z.B. fürMonitoring-Aufgaben unter Einsatz vontelemedizinischen Instrumenten.

• Nach der Annahme des Gegenvor-schlags zur Komplementärmedizin-Ini -tiative werden auch neue Berufe mit Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis ent-stehen, die Rede ist von sog. nicht-ärzt-lichen Therapeuten.

Wir werden ja sehen!

Worum geht es bei all dem? Es geht umdas Trennen des Einfachen, Standardisier-baren vom Komplexen, Instabilen. Fürserstere können auch Walk-in-Kliniken adä-quat sein, die mit einem begrenzten Leis-tungssortiment das Häufige verlässlichund in konstanter Qualität anbieten – esmuss nicht alles jedes Mal eine Einzelan-fertigung sein.

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Damit ist auch ein weiteres Stichwort fürden anschliessenden Apéro gesetzt: dievielgenannte Walmartisierung der Medizin.Möglicherweise steht aber bei uns nicht zulesen «You are sick – we are quick», wie beider MinuteClinic Retail Care in Minneapo-lis, sondern «Ich bin doch nicht blöd –Gesundheitsmarkt». Die künftige Grundversorgerpraxis wirdzur Gruppenpraxis, wofür es im Idealfallaus betriebswirtschaftlicher Sicht nebstAngehörigen anderer Gesundheitsberufemindestens sechs voll- oder teilzeitarbei-tende Ärztinnen und Ärzte braucht. Siekennt gegenüber den heute vorherrschen-den Formen der Praxisorganisation starkveränderte, den Bedürfnissen von Patien-tinnen und Patienten entsprechendeBetriebszeiten, z.B. wie in der MinuteClinicRetail Care werktags von 8 bis 8 Uhr, anWochenenden von 8 bis 4 Uhr. An weiteren Beispielen über möglicheZukünfte würde es nicht mangeln. Sicherwird es aber bei all diesen zu deren Meis-terung am ehesten die erwähnten Moun-tain-Biker und Skicrosser-Persönlichkei-ten brauchen.

Der autonome MenschWir sind den sich aus dem jeweiligen Zeit-geschehen und den Entwicklungen inunserem beruflichen Umfeld ergebendenEinflüssen nicht einfach macht- und ein-flusslos ausgesetzt. In seinem letzten, kurz

vor seinem Tod vollendeten Buch «Warmeine Zeit meine Zeit» – eine Bilanz seinesLebens und seiner schriftstellerischenTätigkeit – schreibt Hugo Loetscher gleichzu Beginn die eindrücklichen Worte: «Wiealle bin ich ungefragt auf die Welt gekom-men. Ich gehöre zu denen, die versuchten,daraus etwas zu machen.»Liebe Diplomandinnen und Diplomanden –das wäre doch ein möglicher Lebensplan –ganz unabhängig davon, worin dieses«daraus etwas zu machen» bestehen wird. In ähnlicher Weise hat der amerikanischeSoziologe David Riesman bereits in den60er-Jahren des letzten Jahrhunderts eintreffendes Rollenmodell für die eigeneLebensgestaltung skizziert, das zu IhremLeitstern werden könnte: der autonomeMensch. Dieser strebt – im Unterschiedzum aussengeleiteten Menschen – da -nach, selber zu denken und zu handelnund nach eigenen Werten unter verschie-denen Optionen auszuwählen. Der autonome Mensch – also hoffentlichauch Sie – gewinnt an Wirkungskraft, wennsie oder er auch noch Ideale und Visionenhat. Wovon will ich mich leiten lassen?Wofür will ich kämpfen? Das gibt Kraft undLebenssinn. Allerdings meinte der ehe -malige deutsche Bundeskanzler HelmutSchmidt, geprägt durch sein Leben alsanpackender Krisenmanager, wer Visio-nen habe, solle zum Arzt gehen. Er hatdabei wohl nicht an Orthopäden gedacht.

«Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufsMittelmeer!»Die Zukunft ist also in der Tat nicht mehr,was sie einmal war. Zum Glück! Sie ist offe-ner und vielfältiger geworden. Sie eröffnetmehr Freiräume – mehr Chancen zumGelingen – und wohl auch mehr Risikendes Scheiterns.Was können Sie für Ratschläge erwarten?Wohl kaum brave Hausrezepte wie «Üb'immer Treu und Redlichkeit». Nur wenigewerden sich an die Empfehlungen aus demKirchengesangbuch halten: «So nimmdenn meine Hände und führe mich.»Nein, ich wünsche Ihnen, liebe Neudiplo-mierte und Promovierte, dass Sie dieseZukunft als autonome Menschen mit kräf-tigen Visionen zu gestalten vermögen. Ver-einigen Sie den Optimismus und denZukunftsglauben der Baby-Boomer mitdem kritischen Denken und der aufmüpfe-rischen Haltung der 68er, gehören Sie zudenen, «die versuchen, etwas (aus ihremLeben) zu machen».Für den Fall, dass Sie unsicher werdensollten: Die Losung lautet stets und über-all: «Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufsMittelmeer.»

Walmart, das weltgrösste Detailhandelsunter-nehmen, ist zum Inbegriff knallharter Betriebs-führung geworden.

Medizinische Versorgung als Konsumgut: Arztpraxen werden künftig stärker nach den Bedürfnissender Patientinnen und Patienten ausgerichtet sein.

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Besuch von der Santésuisse

Im November 2009 besuchte MarkusCaminada, Ressortleiter Wirtschaft lich -keits prüfungen des KassenverbandesSantésuisse, die Mitgliederversammlungdes ABV Region Thun. Er referierte überWirtschaftlichkeitsverfahren und nahmStellung zu Fragen aus dem Publikum.

Zu Beginn erläuterte Markus Caminadaseinen ‚einfachen Dreisatz‘, wie er dieschwarzen Schafe unter den Ärzten ermit-telt. Jene also, die nicht wirtschaftlicharbeiten und der Überarztung beschuldigt

werden. Das Verfahren sei sehr einfachund diene in erster Linie der Prävention, soCaminada.

Auf die methodischen Fehler der Erhebungangesprochen, reagierte er ausweichend.Es gebe keinen Grund, das Verfahren zuändern. Santésuisse habe vom Bun-desverwaltungsgericht bisher stets Rechtbekommen. Dass sich die Ärzte gegen dasVerfahren wehren, beweise lediglich, dassdie Ärzte am Auffinden der schwarzenSchafe in den eigenen Reihen nicht inter-essiert seien, kommentierte Caminada. Dabei unterschlägt der oberste Wirt -

schaftlichkeitsprüfer der Krankenver-sicherer gänzlich, dass die Beweislast beiuns Ärztinnen und Ärzten liegt. Wir müssenzeigen, dass wir wirtschaftlich arbeiten.Schon allein der Gedanke, im Visier derKassen zu sein, sorgt bei uns für Stressund schlaflose Nächte. Nicht dasschlechte Gewissen, sondern die Angstvor der berufsfremden Aufgabe, unserePraxis statistisch mit anderen Praxen ver-gleichen zu müssen, löst den Stress aus.Ohne betriebswirtschaftliche Beratung istdie Aufgabe unmöglich zu bewältigen.Vom BAG können wir dabei keine Rück-endeckung erwarten.

Leserbrief zu Wirtschaftlichkeitsverfahren«Der Kas senverband pflegt lieber das Bild vom Arzt als Kostenverursacher.

Und setzt auf Einschüchterungstaktik.Frei nach dem Motto: Wenn dank der Methode weniger Ärzte statistisch auffällig werden,

wirkt das Verfahren.»

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Offensichtlich goutieren die Gesundheits-bürokraten das Treiben des Kassenver-bandes. Anderslautende Signale vernahmman jedenfalls bisher nicht.

In der Diskussion meldeten sich zahlreicheHausärzte zu Wort, die bereits in Wirt -schaftlichkeitsverfahren verwickelt waren.Ihre Argumente waren sachlich undvernünftig. Sie schienen aber MarkusCaminada kaum zu interessieren. Alsbeispielweise ein Kollege eine Studie ausdem Kanton Thurgau zitierte, die nach-weist, dass statistisch teurere Ärzte insge-samt kostengünstiger arbeiteten, wenn dieMorbidität des Patientenkollektivs einbe-zogen wird, negierte er diese Aussage.

Ich wurde den Eindruck nicht los, dassSantésuisse wenig daran liegt, die beste-hende Methode zu verbessern. Der Kas -senverband pflegt lieber das Bild vom Arztals Kostenverursacher. Und setzt auf Ein-schüchterungstaktik.

Frei nach dem Motto: Wenn dank derMethode weniger Ärzte statistisch auffälligwerden, wirkt das Verfahren.

Was bleibt uns? Wir Ärzte werden lernenmüssen, uns statistisch richtig zu verhal-ten. Ich bin überzeugt, dass sich die meis-ten grosse Mühe geben werden, ethischvertretbar und statistisch unauffällig zugle-ich zu arbeiten.

Fazit: Mir wurde vor Augen geführt, dassSantésuisse – beziehungsweise einigeExponenten von Santésuisse – weder ander Senkung der Gesundheitskosten nochan einer sinnvollen Zusammenarbeit mitden Ärzten interessiert ist.

Dr. med. Caroline Burke

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Vorstand Ärztegesellschaft des Kantons Bern

PräsidentDr. med. Beat GafnerZur Station 7, Postfach, 3145 NiederscherliTel: 031 849 20 24, Fax: 031 849 20 54E-Mail: [email protected]

VizepräsidentDr. med. Christian GublerEffingerstrasse 45, 3008 BernTel: 031 381 11 10, Fax: 031 382 08 84E-Mail: [email protected]

VizepräsidentDr. med. Rainer FelberBollhölzliweg 14, 3067 BollTel: 031 839 04 44, Fax: 031 839 11 11E-Mail: [email protected]

SekretärDr. iur. Thomas Eichenberger, Fürsprecher,Bolligenstrasse 52, 3006 BernTel: 031 330 90 00, Fax: 031 330 90 03E-Mail: [email protected]

Wissenschaftl. SekretärProf. Dr. med. Heinz ZimmermannChefarzt Notfallzentrum Inselspital,3010 Bern Tel: 031 632 21 11, Fax: 031 632 21 81E-Mail: [email protected]

Weitere Vorstandsmitglieder

Medizinischer Bezirksverein Bern-RegioDr. med. Daniel MarthZeughausgasse 18, 3011 BernTel: 031 311 12 33, Fax: 031 311 12 93E-Mail: [email protected]

Ärztlicher Bezirksverein OberaargauDr. med. Andreas BieriSchorenstrasse 3, 4900 LangenthalTel: 062 923 15 55, Fax: 062 923 15 56E-Mail: [email protected]

Cercle Médical de Pierre-PertuisCMPPDr. med. Roland Brechbühler13, Grand-Rue, 2606 CorgémontTel: 032 489 11 67, Fax: 032 489 25 61E-Mail: [email protected]

Ärztlicher Bezirksverein SeelandDr. med. Marcel StampfliSilbergasse 9, 2502 BielTel: 032 322 26 24, Fax: 032 322 27 74E-Mail: [email protected]

Ärztlicher Bezirksverein Thun undwestliches Berner OberlandDr. med. Thomas RohrbachDorf, 3615 HeimenschwandTel. 033 453 12 22; Fax: 033 453 04 31E-Mail: [email protected]

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Ärztlicher Bezirksverein EmmentalDr. med. Peter BaumgartnerOberburgstrasse 67, 3400 Burgdorf Tel: 034 420 70 00, Fax: 034 420 70 01E-Mail: [email protected]

Beisitzer

Vertreter der GesundheitsdirektionPD Dr. med. Thomas Schochat,MSPH, PhD, Kantonsarzt, KantonsarztamtGesundheits- und Fürsorgedirektiondes Kantons BernRathausgasse 1, 3011 BernTel: 031 633 79 30 E-Mail: [email protected]

Vertreter der med. Fakultät derUni BernProf. Dr. med. Peter Eggli, Dekan, Murtenstrasse 11, 3010 BernTel: 031 632 35 57E-Mail:[email protected]

Vertreter VR InselspitalFrau Dr. med. Brigitte FahrländerMedizentrum Schüpfen, Dorfstrasse 1, 3054 Schüpfen Tel. 031 879 50 00; Fax: 031 879 50 01E-Mail: [email protected]

Vertreter Spitaltätige ÄrzteDr. med. Heinz Schaad, spital fmi,3800 Unterseen Tel. 033 826 27 77; Fax: 033 826 23 52E-Mail: [email protected]

Vertreter des VSAO, Sektion BernDr. med. Lars FrauchigerLänggasse 100, 3063 IttigenTel: 031 332 77 29E-Mail: [email protected]

PonteNovaDr. med. Hans-Werner LeibundgutKerzersstrasse 4, 3225 MüntschemierTel: 032 313 20 77, Fax: 032 313 14 94E-Mail: [email protected](Rücktritt per 9. Juni 2010)

Vertreter DV FMHDr. med. Thomas HeubergerSeehof, Staatsstrasse 16, 3652 HilterfingenTel: 033 243 33 66, Fax: 033 243 33 85E-Mail:[email protected]

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Ärztlicher Bezirksverein BernerOberlandDr. med. Manfred StuderWeissenaustrasse 27, 3800 UnterseenTel: 033 826 27 65, Fax: 033 826 23 53E-Mail: [email protected]

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Ombudsmann

Dr. med. Hans-Jörg RytzBolligenstrasse 52, 3006 BernTel: 031 330 90 00, Fax: 031 330 90 03E-Mail: [email protected]

Sekretariat

Frau Piroschka WolfBolligenstrasse 52, 3006 BernTel: 031 330 90 00, Fax: 031 330 90 03E-Mail: [email protected]: [email protected]

Presse- und Informationsdienst

Marco Tackenberg, forum pr, Postgasse 19, Postfach, 3000 Bern 8Tel: 031 310 20 99, Fax: 031 310 20 82E-Mail: [email protected]

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Bestellung «Politik+Patient»

Dieser Ausgabe von doc.be liegt die neueste Ausgabe der gesundheitspolitischen Zeitschrift «Politik+Patient» bei. Siebringt die Sicht der Leistungserbringer in die öffentliche Debatte ein.Ihre politische Wirkung ist um so grösser, je mehr Leserinnen und Leser die Ärzteschaft erreicht.

Selten hat sich unser Par-lament derart schwergetanwie mit der Teilrevisiondes Krankenversiche-rungsgesetzes. In der Som-mersession könnten wich-tige Entscheide fallen:Sogenannte «integrierteVersorgungsnetze» sollendie ambulante Gesund-heitsversorgung gewähr-leisten. Dies kann abernur funktionieren, wenn

der Risikoausgleich verfei-nert wird. In einem verfei-nerten Risikoausgleichmüssen der Bedarf anbestimmten Medikamen-ten, die Diagnosen undmedizinischen Tests be -rücksichtigt werden. Diesauf der Grundlage der

volkswirtschaftlichen Ge -samtkosten, nicht nur derreinen Heilungskosten.Nur so werden die nötigenRahmenbedingungen ge -schaffen, damit auch Ver-sorgungsnetze mit über-durchschnittlich vielenchronisch oder mehrfach

kranken Patienten entste-hen. Damit erbringen dieVersorgungsnetze für allePatienten die gleiche Be -handlungsqualität, ohneRisikoselektion. Danachsieht es zur Zeit allerdingskaum aus. Man wird sichauf jene Indizes abstützen,

die leicht verfügbar sind:zum Beispiel auf die Medi-kamentenkosten. Das ge -nügt nicht: Risikoselektionbliebe weiterhin attraktiv.Die Lösung des Problems istein Testfall für Bundesratund Parlament: IntegrierteVersorgungsnetze braucheneinen umfassenden Risiko-ausgleich – und als Kosten-basis die volkswirtschaft -lichen Gesamtkosten.

Testfall Risikoausgleich

Nummer 2/10 6. Jahrgang Herausgeber: Verband deutschschweizerischer Ärztegesellschaften (VEDAG)Verlag Rosenfluh Publikationen AGPolitik + Patient ist eine Beilage der Sprechstunde

Verantwortlich für die Redaktion: Marco Tackenberg, Felix Adank; forum|pr

Sparen auf dem Buckelder PatientenBei gleichen Wirkstoffen sollen

Ärzte undApothekerden Patien-ten grund-sätzlichdas güns-tigsteMedika-ment abge-ben. Gegendiese höchst fragwürdige Spar-massnahme wehren sich dieFMH und der Verband derDeutschschweizerischen Ärzte-gesellschaften VEDAG. Seite 2

McKinsey kommtArjen Iwema, Junior Partnerbeim BeratungsunternehmenMcKinsey,widerlegtvor einerGruppeeidgenös-sischerParlamen-tarier diegängigenVermutun-gen für die hohen Kosten imGesundheitssystem und plädiertfür einen Perspektivenwechsel. Seite 3

«Inzwischen gelten dop-pelt so viele Ärzte als auf-fällig»Wirtschaftlichkeitsverfahren

gegen Ärz-tinnen undÄrzte neh-men zu.Weshalbdie Kassenvermehrtkontrollie-ren undwelcheProbleme mit dem Verfahren ver-bunden sind, erklärt Peter Frutig,Geschäftsführer vom BernerÄrzte-Trustcenter PonteNova. Seite 4

Managed Care oder integrierte Versorgungsmodelle sollenden Patienten eine bessere Behandlung und dem Gesund-heitswesen tiefere Kosten bringen. Welche Interessen vertre-ten die Akteure?

Soziale FinanzierungDa ist zum einen das Parlament, das qualitativ hochste-hende Leistungen für alle wünscht – mit breitem Leis-tungsspektrum und einem solidarischen Ausgleich zwi-schen Gesunden und Kranken. Da sind zum andern diePrämienzahler, die als Gesunde möglichst tiefe Prämienwünschen – und als Kranke bestmöglich medizinisch ver-sorgt werden möchten, ungeachtet der Kosten. Und dasind schliesslich die Krankenkassen, die wenig staatlichenZwang und grossen Handlungsspielraum wünschen: Prä-mienrabatte, ein erweiterter Leistungskatalog und mög-lichst wenig schwer oder mehrfach kranke Menschen, diehohe Kosten verursachen.

Keine RisikoselektionUnd da gibt es noch die Leistungserbringer, welche in den integrierten Versorgungsnetzen arbeiten. Sie müssenschauen, dass die Rechnung am Schluss des Jahres aufgeht.Für die Konferenz der kantonalen ÄrztegesellschaftenKKA muss eine Risikoselektion weitgehend ausgeschlos-

Politik + Patient

In der Sommersession diskutiert der Nationalratdie Förderung von Managed-Care-Modellen. In -tegrierte Versorgungsnetze sollen die Qualitätder Patientenbetreuung verbessern und gleich-zeitig Kosten sparen. Bedeutet dies das Ende derJagd auf gute Risiken?

Managed Care

Ende der Jagd auf gute Risiken?

sen sein: Versorgungsnetze geraten bei überdurchschnitt-lich vielen kostenintensiven Patienten unter Druck undsind versucht, chronisch und mehrfach kranke Menschenabzuweisen oder medizinische Leistungen zu rationieren.Dazu Dr. med. Peter Wiedersheim, Präsident der St. Galler

Die Ausschau der Krankenversicherer nach jungen und gesundenPrämienzahlern soll nach dem Willen des Parlaments aufhören.

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